Im Fokus von Fraunhofer: Strukturwandel im Helmstedter Revier durch nachhaltige Agrarproduktion und Digitalisierung der Landwirtschaft
Wie lässt sich ein wirtschaftlicher, sozialer und ein ökologisch nachhaltiger Strukturwandel im ehemaligen Helmstedter Revier gestalten? Wie können Arbeitsplätze in der Region gesichert und neue geschaffen werden? Welche Innovationen sind notwendig, um die landwirtschaftlichen Betriebe in der Region langfristig zu stärken? Diese Fragen beschäftigen nicht nur die Politik sowie die Menschen und Unternehmen der Region Helmstedt, sondern auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fraunhofer-Gesellschaft.
Am 3. November 2022 initiierte daher das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST im Rahmen der »Fokusreise Strukturwandel« des Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft Professor Reimund Neugebauer ein Round-Table-Gespräch auf der Burg Warberg, dem Sitz des Netzwerks Ackerbau Niedersachsen NAN. Vor dem Hintergrund der Klimakrise, einer wachsenden Weltbevölkerung und geopolitischer Instabilität diskutierten etwa 30 Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Landwirtschaft Herausforderungen und Lösungsansätze für heutige Agrarsysteme, darunter auch die Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Barbara Otte-Kinast. »Wir brauchen eine moderne Landwirtschaft, die die großen Chancen der Digitalisierung nutzt. Nur so können wir den Agrarsektor effizient weiterentwickeln und die Region zukunftssicher aufstellen!« Ihr Haus habe daher Digitalisierungsprojekte der Landwirtschaftskammer auf der Domäne Schickelsheim mit rund zwei Millionen Euro unterstützt.
Ein Ziel ist es, die landwirtschaftliche Produktion unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten zu optimieren. Dementsprechend rücken zunehmend regionale und dezentrale Lösungen in den Fokus, die eine optimale Anpassung an die jeweiligen örtlichen Bedingungen erlauben. Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, betont: »Der Aufbau dezentraler und resilienter High-Tech-Agrarproduktionssysteme zur Sicherung einer qualitativ hochwertigen Nahrungsmittelproduktion leistet einen wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit und ist essenziell für eine krisensichere, unabhängige Lebensmittelversorgung. Durch die vorhandenen Kompetenzen im Agrarsektor im Helmstedter Revier bestehen zahlreiche Anknüpfungspunkte für Fraunhofer, zusammen mit unseren Partnern vor Ort Technologielösungen zu entwickeln, die die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft in der Region und darüber hinaus sichern und ausbauen.«
Um den landwirtschaftlichen Strukturwandel in der Region Helmstedt modellhaft voranzutreiben, plant das Fraunhofer IST gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS den Standort Helmstedt zu nutzen und überregionale Initiativen und regionale Partner zu vernetzen. »Unser Ziel ist es, technologische Lösungen für die Herausforderungen des Agrarsektors gemeinsam mit den Stakeholdern zu erarbeiten und prototypisch zu erproben,« erklärt Professor Christoph Herrmann, Institutsleiter des Fraunhofer IST, »dazu bündeln wir die vielfältigen Kompetenzen der Fraunhofer-Gesellschaft und vor allem der regionalen Partner. Dazu gehören insbesondere die TU Braunschweig, das Julius-Kühn-Institut sowie das Thünen-Institut.«
Wie solche technologischen Lösungen aussehen und welche Möglichkeiten die digitale Landwirtschaft bietet, davon konnten sich die Teilnehmenden auf der Domäne Schickelsheim einen Eindruck verschaffen. Der Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen Gerhard Schwetje erklärt: »Auf der Domäne Schickelsheim verfügen wir mit knapp 40 Hektar über ein deutschlandweit einzigartiges PraxisLabor Digitaler Ackerbau. Dort setzen wir modernste digitale Maschinen und Anwendungen unter betrieblichen Bedingungen ein – so sammeln unsere Fachleute wertvolle Daten und Erkenntnisse zur Praxistauglichkeit der neuen Technologien, die unter anderem das Ziel haben, den Umgang mit Dünger und Pflanzenschutzmitteln noch effizienter und sparsamer zu gestalten. Die Zusammenarbeit mit Akteurinnen und Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft hat für uns eine große Bedeutung – dies gilt selbstverständlich auch für mögliche Praxistests mit Fraunhofer-Innovationen.«
Im Rahmen eines Rundgangs stellte das Fraunhofer IST aus Braunschweig eine mobile Anlage vor, mit der ozoniertes Wasser zur Desinfektion oder Schädlingsbekämpfung ganz ohne Zusatz von Chemikalien mit diamantbeschichteten Elektroden erzeugt werden kann. Das System lässt sich miniaturisieren und beispielsweise auch in eine tragbare Sprüheinheit integrieren.
Fraunhofer-Mitarbeitende aus Dresden präsentierten einen Bodendichtesensor des Fraunhofer IKTS, der die automatisierte Messung von Böden bis in eine Tiefe von 2 Metern ermöglicht. Die Sensoren können robotergeführt oder mit Traktorkopplung über den Acker geführt werden und den Landwirtinnen und Landwirten als Entscheidungshilfe für die Notwendigkeit einer Tiefenlockerung dienen bzw. den Erfolg bereits vorgenommener Bodenbearbeitungen messen.
Der vom Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI vorgestellte elektrisch angetriebene und autonome Feldroboter CERES verfügt über ein vollautomatisches Hochstromladesystem. Der Geräte- und Sensorträger ist mit entsprechender Aufrüstung in der Lage, Datenerfassungen sowie Bearbeitungsgänge im 24/7-Betrieb selbständig auf den Feldern durchzuführen.
Das Saatzuchtunternehmen Strube D&S brachte den vollelektrischen und autonom navigierenden Feldroboter BlueBob mit, der gemeinsam mit NAÏO-Technologies und dem Fraunhofer-Entwicklungszentrum für Röntgentechnik EZRT entwickelt und aktuell in Kleinserie produziert wird. Der Feldroboter eignet sich für die mechanische Unkrautbekämpfung in der Landwirtschaft beim Anbau von Zuckerrüben und anderen Hackfrüchten.
Zur Fokusreise Strukturwandel
In Folge der zunehmenden Digitalisierung sowie der Umstrukturierungen im Zuge einer nachhaltigen Wertschöpfung und der damit verbundenen ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Transformation, stehen zahlreiche Regionen vor großen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Die Fraunhofer-Gesellschaft unterstützt den innovationsgetriebenen Strukturwandel aktiv durch Vernetzung und den strukturierten Aufbau neuer Wertschöpfungsketten. Ziel ist es die vom Strukturwandel betroffenen Regionen durch innovationsfördernde Maßnahmen auf einen dynamischen Wachstumspfad zu heben und damit zur Verringerung regionaler Disparitäten beizutragen. Im Rahmen der »Fokusreise Strukturwandel« vom 1. bis 7. November 2022 demonstrieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der regional verankerten Institute richtungsweisende Lösungsansätze, die geeignet sind, einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft in vom Strukturwandel betroffenen Regionen zu leisten. Gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik werden die Themenfelder Versorgungssicherheit, nachhaltige Fertigungsprozesse und Agrarwirtschaft diskutiert sowie künftige Technologiepfade ermittelt.
Folgen Sie der »Fokusreise Strukturwandel« auch in den Sozialen Medien, über den LinkedIN-Kanal von Fraunhofer-Präsident Professor Reimund Neugebauer sowie unter dem Hashtag #WeKnowChange.