Nach fünfzig Jahren (Lavant)
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Nach fünfzig Jahren.
Es trieft von Blut fast jedes Blatt der offiziellen Weltgeschichte;
Erschlagen hunderttausendweis verzeichnen stoisch die Gerichte,
Und hätte man sie nicht verscharrt, es gäbe Berge längst von Leibern,
Darunter mancher schmucke Sproß von hohen und von höchsten Weibern.
Des Häufleins, das im Märzensturm von Achtundvierzig einst gefallen,
Daß wir, gehoben und gebeugt, zu all den grünen Hügeln kamen,
Obgleich nicht Einer drunter liegt von Rang und Stand, Geburt und Namen,
Obgleich es lauter derbes Volk der schmutz’gen Werkstatt und der Gasse,
Gewiß, es fielen zehnmal mehr im unbedeutendsten Gefechte,
Doch diese traten kämpfend ein für unveräußerliche Rechte;
Sie faßten zornig das Gewehr aus freier Wahl, aus innrem Drange,
Zu messen mit den Schergen sich in furchtbar ernstem Waffengange,
Am Schicksalstag der Monarchie und an des Volkes Ehrentage.
Ja wohl, wie Spreu zerbläst den Spott, und wär‘ er gift’ger noch und rüder,
Das Wort, daß sie gefallen sind für ihre unterdrückten Brüder,
Daß sie für uns, für die Idee, mit schlichtem Mannesmuth das Leben,
Und weil sie standhaft das gethan, sind sie in unsren Augen Helden,
Mag auch von Manchem der Chronist uns nicht einmal den Namen melden.
Und Helden, die vergißt man nicht, verwischt die Grabschrift auch der Regen,
Mag über ihren Hügel auch der Epheu seine Ranken legen.
Die stolzesten der Namen wird, die blutigsten, es überdauern,
Und ragen wird es still und hehr, auch ohne Marmor und Cypressen,
Wenn das Gedächtnis Jener längst im Wind vergeht, vom Volk vergessen,
Wenn nur die Forscher, die dem Schutt das längst Versunkene abgewinnen,
Die sühnende Gerechtigkeit, in ihrem unbestochnen Walten
Tritt sie verächtlich in den Grund, die für unsterblich sich gehalten.
Und ihn, der fiebernd sich gereckt, daß er des Ruhmes Kränze hasche,
Begräbt tronisch lächelnd sie tief unter Moder, Schutt und Asche.
Es schiebt verächtlich mit dem Fuß die Unbeugsame sie zur Seite,
Mit müdem und zerstreutem Blick, mit einer lässigen Geberde,
Als ob sie dieser tollen Jagd nach Schemen überdrüssig werde.
Doch immer wieder weilt ihr Fuß an stillen Gräbern, halb versunken,
Von einer Thräne, halb zerdrückt, schwimmt es auf ihres Auges Grunde,
Ein Lächeln, sanft und seelenvoll, erblüht auf ihrem herben Munde,
Und zu der Armuth Spenden legt, damit er würdig sie ergänze,
Die Herrliche mit frommer Hand den besten ihrer ew’gen Kränze,
Die stolz den schönen Opfertod für unterdrückte Brüder sterben.
R. L.