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MKL1888:Tieck

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Tieck“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Tieck“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 15 (1889), Seite 693694
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Tieck. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 693–694. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Tieck (Version vom 21.06.2023)

[693] Tieck, 1) Johann Ludwig, Dichter der romantischen Schule, geb. 31. Mai 1773 zu Berlin als der Sohn eines Seilermeisters, besuchte seit 1782 das damals unter Gedikes Leitung stehende Friedrichswerdersche Gymnasium, wo er sich eng an Wackenroder anschloß, studierte darauf in Halle, Göttingen und kurze Zeit in Erlangen Geschichte, Philologie, alte und neue Litteratur und kehrte 1794 nach Berlin zurück, wo er sofort als Schriftsteller auftrat. Es erschienen seine ersten Erzählungen und Romane: „Peter Lebrecht, eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeiten“ (Berl. 1795, 2 Bde.), „William Lovell“ (das. 1795–96, 3 Bde.) und „Abdallah“ (das. 1796), worauf er, seinen Übergang zur eigentlichen Romantik vollziehend, die bald dramatisch-satirische, bald schlicht erzählende Bearbeitung alter Volkssagen und Märchen unternahm und unter dem Titel: „Volksmärchen von Peter Lebrecht“ (das. 1797, 3 Bde.) veröffentlichte. Nachdem er sich 1798 in Hamburg mit einer Tochter des Predigers Alberti verheiratet hatte, verweilte er 1799–1800 in Jena, wo er zu den beiden Schlegel, Hardenberg (Novalis), Brentano, Fichte und Schelling in freundschaftliche Beziehungen trat, auch Goethe und Schiller kennen lernte, nahm 1801 mit Fr. v. Schlegel seinen Wohnsitz in Dresden und lebte seit 1803 teils in Berlin, teils auf dem gräflich Finkensteinschen Gut Ziebingen bei Frankfurt a. O., wohin er auch nach der Rückkehr von einer Reise nach Italien, die er 1805 zum Behuf des Studiums der im Vatikan aufbewahrten altdeutschen Handschriften unternommen hatte, zurückkehrte. Während dieses Zeitraums waren erschienen: „Prinz Zerbino, oder die Reise nach dem guten Geschmack“ (Jena 1799), „Franz Sternbalds Wanderungen“ (Berl. 1798), ein die altdeutsche Kunst verherrlichender Roman, an welchem auch sein Freund Wackenroder Anteil hatte, und „Romantische Dichtungen“ (Jena 1799–1800, 2 Bde.) mit dem Trauerspiel „Leben und Tod der heil. Genoveva“ (separat, Berl. 1820) sowie das nach einem alten Volksbuch gearbeitete Lustspiel „Kaiser Octavianus“ (Jena 1804), Werke, worin sich der Autor rückhaltlos der romantischen Richtung hingegeben hatte. Daneben veröffentlichte er eine Übertragung des „Don Quichotte“ von Cervantes (Berl. 1799–1804, 4 Bde.), die Übersetzung einer Anzahl dem Shakespeare zugeschriebener, aber zweifelhafter Stücke unter dem Titel: „Altenglisches Theater“ (das. 1811, 2 Bde.), eine Bearbeitung des „Frauendienstes“ von Ulrich von Lichtenstein (Tübing. 1812) sowie eine Auswahl dramatischer Stücke von Rosenplüt, Hans Sachs, Ayrer, Gryphius und Lohenstein („Deutsches Theater“, Berl. 1817, 2 Bde.) und gab unter dem Titel: „Phantasus“ (das. 1812–17, 3 Bde.; 2. Ausg., das. 1844–45, 3 Bde.) eine Sammlung früherer Märchen und Schauspiele, vermehrt mit neuen Erzählungen und dem Märchenschauspiel „Fortunat“, heraus, welche die deutsche Lesewelt wieder lebhafter für T. interessierte. In der That werden Märchen und Erzählungen wie „Der getreue Eckart“, „Die Elfen“, „Der Pokal“, „Der blonde Eckbert“ etc. schon ihrer formellen Vorzüge wegen ihren dichterischen Wert lange Zeit behaupten. Das Kriegsjahr 1813 sah den Dichter in Prag; nach dem Frieden unternahm er größere Reisen nach London und Paris, hauptsächlich im Interesse eines großen Hauptwerks über Shakespeare, das er leider nie vollendete. 1818 verließ er dauernd seine ländliche Einsamkeit und nahm seinen Wohnsitz in Dresden, wo nun die produktivste und wirkungsreichste Periode seines Dichterlebens begann. Trotz des Gegensatzes, in welchem sich Tiecks geistige Vornehmheit zur Trivialität der Dresdener Belletristik befand, gelang es ihm, hauptsächlich durch seine fast allabendlich stattfindenden dramatischen Vorlesungen, einen Kreis um sich zu sammeln, der seine Anschauungen von der Kunst als maßgebend anerkannte. Als Dramaturg des Hoftheaters gewann er namentlich in den 20er Jahren eine bedeutende Wirksamkeit, die ihm freilich durch Kabalen und Lügen der trivialen Gegenpartei mannigfach verleidet wurde. Als Dichter bediente er sich seit der Niederlassung in Dresden beinahe ausschließlich der Form der Novelle. Die Gesamtheit seiner „Novellen“ (vollständige Sammlung, Berl. 1852–54, 12 Bde.) erwies sein großes Erzählertalent. In den vollendetsten gab er wahrhafte Kunstwerke, in denen eine wirklich dichterische Aufgabe mit rein poetischen Mitteln gelöst ward; mit zahlreichen andern bahnte er hingegen jener bedenklichen Gesprächsnovellistik den Weg, in welcher das epische Element ganz zurücktritt und die Erzählung nur das Vehikel für die Darlegung gewisser Meinungen und Bildungsresultate wird. Zu den bedeutendsten der erstern Gattung zählen: „Die Gemälde“, „Die Reisenden“, „Der Alte vom Berge“, „Die Gesellschaft auf dem Lande“, „Die Verlobung“, „Musikalische Leiden und Freuden“, „Des Lebens Überfluß“ u. a. Unter den historischen haben „Der griechische Kaiser“, „Der Tod des Dichters“ und vor allen der großartig angelegte, leider unvollendete „Aufruhr in den Cevennen“ Anspruch auf bleibende Bedeutung. In allen diesen Novellen entzückt nicht nur die einfache Anmut der Darstellungsweise, sondern auch die Mannigfaltigkeit [694] lebendiger und typischer Charaktere und der Tiefsinn der poetischen Idee. Auch in den prosaischern Novellen zeigte T. seine Meisterschaft des Vortrags. Sein letztes größeres Werk: „Vittoria Accorombona“ (Bresl. 1840), entstand unter den Einwirkungen der neufranzösischen Romantik und hinterließ trotz der aufgewendeten Farbenpracht einen überwiegend peinlichen Eindruck. Auch Tiecks sonstige litterarische Thätigkeit war während der Dresdener Periode eine sehr ausgebreitete. 1826 übernahm er die Herausgabe und Vollendung der von A. W. v. Schlegel begonnenen Shakespeare-Übertragung und gab die hinterlassenen Schriften Heinrichs v. Kleist (Berl. 1821) heraus, denen die „Gesammelten Werke“ desselben Dichters (das. 1826, 3 Bde.) folgten. „Die Insel Felsenburg“ (Bresl. 1827), „Lenz’ gesammelte Schriften“ (Berl. 1828) sowie „Shakespeares Vorschule“ (Leipz. 1823–29, 2 Bde.) etc. wurden mit Vorreden und Abhandlungen von bleibendem Wert begleitet. Aus seiner dramaturgisch-kritischen Thätigkeit erwuchsen die „Dramaturgischen Blätter“ (Bresl. 1826, 2 Bde.; Bd. 3, Leipz. 1852; vollständige Ausg., Leipz. 1852, 2 Tle.). 1841 wurde T. vom König Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berufen, wo er, durch Kränklichkeit zumeist an das Haus gefesselt und durch den Tod fast aller nähern Angehörigen sehr vereinsamt, ein zwar ehrenvolles und sorgenfreies, aber im ganzen sehr resigniertes Alter verlebte und 28. April 1853 starb. Seine „Kritischen Schriften“ erschienen gesammelt in 2 Bänden (Leipz. 1848), „Nachgelassene Schriften“ in 2 Bänden (das. 1855). „Ausgewählte Werke“ Tiecks gab Welti heraus (Stuttg. 1886–88, 8 Bde.). Tiecks vielfach widerspruchsvolle Natur kann nicht bloß aus der Zwiespältigkeit seiner Bildung, in welcher sich der Rationalismus des 18. Jahrh. und die mystische Romantik fortwährend bekämpften, erklärt werden, sondern ist zumeist auch noch auf das Improvisatorische, vom zufälligen Augenblick Abhängende seiner Begabung zurückzuführen, das ihn selten zu reiner Ausgestaltung seiner geist- und lebensvollen Entwürfe gelangen ließ. Vgl. R. Köpke, Ludwig T. Erinnerungen aus dem Leben etc. (Leipz. 1855, 2 Bde.); H. v. Friesen, Ludwig T., Erinnerungen (Wien 1871, 2 Bde.); K. v. Holtei, Briefe an Ludwig T. (Bresl. 1864, 4 Bde.); Ad. Stern, Ludwig T. in Dresden (in „Zur Litteratur der Gegenwart“, Leipz. 1879). – Tiecks Schwester Sophie T., geb. 1775 zu Berlin, verheiratete sich 1799 mit Aug. Ferd. Bernhardi (s. d.), von dem sie 1805 wieder geschieden wurde, lebte dann in Süddeutschland und mit ihren Brüdern, dem Dichter und dem Bildhauer, längere Zeit in Rom, später in Wien, München und Dresden. Im J. 1810 schloß sie eine zweite Ehe mit einem Esthländer, v. Knorring, dem sie in dessen Heimat folgte, und starb dort 1836. Sie hat außer Gedichten, z. B. dem Epos „Flore und Blanchefleur“ (hrsg. von A. W. Schlegel, Berl. 1822), auch Schauspiele und einige Romane, wie „Evremont“ (hrsg. von Ludw. T., das. 1836), geschrieben.

2) Christian Friedrich, Bildhauer, Bruder des vorigen, geb. 14. Aug. 1776 zu Berlin, hatte hier Schadow, dann in Paris David zum Lehrer und ward seit 1801 zu Weimar bei der Ausschmückung des Neuen Schlosses beschäftigt. Unter anderm modellierte er Goethes Büste, die er später auch in Marmor für die Walhalla ausführte. 1805 ging er mit seinem Bruder Ludwig nach Italien, wo er mehrere treffliche Büsten, wie die Alexanders v. Humboldt, und ein Reliefporträt Neckers für dessen Grabmal in Coppet ausführte. Von 1809 bis 1812 hielt er sich in der Schweiz und in München auf, wo er die Büsten des damaligen Kronprinzen Ludwig, Schellings, F. Jacobis und L. Tiecks fertigte. In Carrara, wo er dann längere Zeit verweilte, entstanden die Büsten Lessings, Erasmus’ von Rotterdam, Hugo Grotius’, Herders, Bürgers, Wallensteins u. a. 1820 wurde er Professor der Akademie zu Berlin, wo er die 1829 in Erz gegossenen Gruppen von Rossebändigern für den Überbau des königlichen Museums, Niobe und ihre Kinder, ein Relief im Giebelfeld des Schauspielhauses, Ifflands Statue im Schauspielhaus, das Standbild König Friedrich Wilhelms II. für Neuruppin, eine Statue Schinkels für die Vorhalle des Museums und zahlreiche durch sorgfältige Durchführung ausgezeichnete Büsten schuf (darunter eine dritte Goethebüste 1820 gleichzeitig mit Rauch). T. starb 14. Mai 1851 in Berlin.