Zum Inhalt springen

Kettenschifffahrt und Elektricität

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Anton Schromm
Illustrator:
Titel: Kettenschifffahrt und Elektricität
Untertitel:
aus: Zeitschrift für Elektrotechnik
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Selbstverlag des Elektrotechnischen Vereins
Drucker:
Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
siehe auch: Tauerei
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[264]
Kettenschifffahrt und Elektricität.

Vortrag des k. k. Schifffahrts-Gewerbe-Inspectors Regierungsrathes A. SCHROMM in der Plenar-Versammlung des Donau-Vereines in Wien am 20. December 1894.

Seit dem letzten Congresse in Paris (1892) macht die Tauerei[WS 1] mittelst magnetischer Adhäsion der Kette auf Rollen, einen gewaltigen Schritt nach vorwärts. Ich hatte in meinem Berichte über den V. Congress diese Neuerung im Kettenschifffahrtsbetriebe eingehend beschrieben (siehe „Ztsch. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.- Ver." H. I–IV. 1893) und will nur heute hinzufügen, dass vom Herrn Director de Bovet, dem Erfinder dieses Systems, in der Zwischenzeit einige Verbesserungen an den magneto-elektrischen Kettenrollen angebracht wurden. Das Eine hat die nun zweijährige Erfahrung mit dem Kettendampfer „Ampère" (Société anonyme de Touage de la Basse-Seine et de l’Oise à Paris) zur Evidenz ergeben, dass das Stadium des Versuches überschritten ist, dass infolge der erlangten günstigen Resultate nun die genannte Gesellschaft eben daran geht, drei neue Kettendampfer mit elektro-magnetischen Kettenrollen zu erbauen.

Es möge mir gestattet sein, den geehrten Herren in wenigen Worten die bisher im Gebrauche stehenden Kettendampfer zu beschreiben. Auf dem Flussgrunde liegt eine starke Kette, welche durch die sogenannten Ausleger (an den beiden Schiffsenden) auf das Schiff gehoben und in seiner Längsachse dem eigentlichen Touage-Apparate, den Kettentrommeln zugeführt wird; nach Verlassen der genannten Trommeln geht die Kette abermals in der Schiffslängenachse nach rückwärts, wo dieselbe, über einen Ausleger laufend, wieder auf den Flussgrund zurückgelegt wird.

Die Herren ersehen, dass sich der Kettendampfer durch das Aufrollen der Flusskette auf den Trommeln vorwärts bewegt und Sie werden sofort begreifen, dass der Nutzeffect der zum Umdrehen der Kettentrommeln aufgewendeten Maschinenkraft, bezw. zur Fortbewegung des Kettendampfers und seines Anhanges sich bedeutend günstiger stellen muss, als dies bei den Schrauben- und Schaufelrad-Dampfern der Fall ist, denn Schraube oder Rad finden im Wasser keinen so festen Stützpunkt, wie ein solcher durch die Flusskette geboten wird. Diese Thatsache war denn auch die Ursache, dass die Kettendampfer, besonders in starken Strömungen, ihre Ueberlegenheit den Schrauben- und Schaufelrad-Dampfern gegenüber zeigten.

Wie jedes Ding zwei Seiten hat, so muss ich auch die Nachtheile der Kettendampfer besonders hervorheben.

In erster Linie fallen die Anschaffungskosten und die ungemein schnelle Abnützung der Kette sehr schwer in’s Gewicht; soll also die Kettenschifffahrt rentabel sein, so muss die Mehr-Schleppleistung oder der billigere Betrieb (infolge der besseren Ausnützung der Maschinenkraft) der Verzinsung und Amortisation des in die Flusskette angelegten Capitales zum Mindeșten aufwiegen.

Die ungemein rasche Abnützung der Flusskette ist nicht, wie irrthümlich so oft angenommen wird, den Unebenheiten des Flussgrundes zuzuschreiben, sondern vielmehr der Unvollkommenheit des Touage-Apparates, d. h. der Kettentrommeln.

Nachdem man endlich die schwachen Punkte der bisherigen Kettendampfer erkannt hat, so waren auch dem erfinderischen Geiste des Menschen die Wege geebnet, verbessernd einzutreten.

Geradezu als bahnbrechend bezeichne ich die vom Ingenieur de Bovet im Jahre 1892 gemachte Erfindung, welche berufen erscheint, die Kettenschifffahrt wieder in ihre frühere dominirende Stellung zurückzuführen.

Es gereicht mir zur grossen Genugthuung, an dieser Stelle aussprechen zu können, dass die Verwaltung der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft sich wahrscheinlich bereit finden dürfte, einen ihrer Kettendampfer nach dem Bovet’schen System abzuändern, welche Abänderung mit nicht zu grossen Kosten verknüpft sein wird. Ich bewog nämlich Herrn Bovet, mit dem ich seit dem Congresse 1892 in Paris in lebhaftem Briefwechsel stehe, nach Wien zu kommen, um sich die Kettenschifffahrt auf der Donau anzusehen, und, gestützt auf seine Beobachtungen, Adaptirungsvorschläge für diese Donau-Toueurs[WS 2] der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft zu unterbreiten. Dieses letztere ist vor circa zwei Monaten geschehen und ich hoffe, dass wir vielleicht im Jahre 1895 auf der Donau einen Kettendampfer mit magnetischer Kettenrolle in Verwendung sehen werden. Von einem Risico kann bei diesen Versuche wohl keine Rede sein, nachdem das Bovet’sche System sich seit zwei Jahren vollkommen bewährt. Mit den bisherigen Kettentrommeln und der bereits ziemlich abgenützten Kette ist künftighin keine Gewähr für die Betriebssicherheit geboten; man müsste mit enormen Kosten eine neue Kette in die Donau legen. Nun, ich bin überzeugt, dass auf Grund der bisher gemachten Erfahrungen mit der magnetischen Kettenrolle, die eben erwähnte alte Flusskette noch ganz gut auf Jahre hinaus verwendet werden könnte.

Herr Bovet hat nämlich die früheren Nachtheile der Kettentrommeln ganz beseitigt; Bovet verwendet gar keine Trommeln, sondern benützt nur eine Kettenrolle und auch über diese wird die Flusskette auf nur dreiviertel ihres Umfanges geführt. Um nun die nothwendige Adhäsion der Kette auf dieser Rolle zu erzeugen (dem Zuge von 4500–5000 kg entsprechend), macht Bovet die Rollenwangen mittelst eines elektrischen Stromes stark magnetisch. [265] Nachdem nun der eigentliche Touage-Apparat in dieser ingeniösen Weise nicht nur vereinfacht, sondern bedeutend verbessert wurde, so erreicht man dadurch

a) eine bedeutende Verminderung in der Abnützung der Kette (also eine geringere Amortisationsquote);

b) die Beseitigung der Hauptursachen des Reissens der Kette (also eine erhöhte Betriebssicherheit);

c) die Beseitigung des Relaisdienstes (also einen rationelleren Betrieb);

d) die Verminderung der Betriebskosten (also wirthschaftlich vortheilhafter).

Diese eben citirten Vortheile gelten den bisherigen Kettendampfern gegenüber; aber auch den besten Remorqueurs[WS 3] (Schaufelrad- oder Schrauben-) gegenüber, werden dann diese mit der magnetischen Rolle ausgestatteten Toueurs bei Niederwasser ebenbürtig und bei Hochwasser unbestritten überlegen sein.

Mit dem ersten auf der Seine seit November 1892 im Betriebe stehenden Toueur „Ampère" mit magnetischer Rolle, werden gewöhnlich 12 Peniches[WS 4] à 300 t geschleppt, und zwar mit einer relativen Geschwindigkeit von 4¾ km pro Stunde, entsprechend einer absoluten Geschwindigkeit von 5¼ km, nachdem die Strömung in der canalisirten Seine circa 0,15 m beträgt.

Dabei indicirt die Maschine circa 100 HP[WS 5]. Der genannte Toueur „Ampère“ ist mit einer Schraube versehen, um thalwärts als gewöhnlicher Remorqueur zu dienen; als solcher erreicht er eine Fahrgeschwindigkeit von circa 20 km und indicirt dabei circa 170 HP. Ich muss hier noch hinzufügen, dass bei Anwendung der magnetischen Rolle dem mit Schraube versehenen Toueur die Möglichkeit geboten ist, an jeder beliebigen Stelle die Kette abzuwerfen, da höchstens nur 3 m Kette sich auf der Rolle befinden und diese 3 m gewiss keine „gefährlich lose Stelle“ für den nachfolgenden Toueur bilden; anders stellt sich die Sache bei den gewöhnlichen Toueurs, auf deren Trommeln sich circa 38 m Kette aufwickeln, die nicht so ohneweiters am Ende der Strecke abgeworfen werden können, da sonst der Toueur bei jeder Fahrt um 38 m weiter stromaufwärts käme und somit nach einer gewissen Zeit die ganze Kette oberhalb der eigentlichen Betriebsstrecke aufgehäuft läge.

Diese Uebelstände suchte man auf der Seine und auch bei uns auf der Donau dadurch abzuhelfen, dass man die Flussbette von 100 zu 100 m mit sogenannten „Schlössern“ zum Auslösen versah; jeder Toueur nahm am Ende seiner Fahrt ein solches Kettenstück von 100 m thalwärts mit und fügte dasselbe am Anfange der Fahrt der Kette wieder an. Dieser Vorgang hat den grossen Nachtheil an sich, dass sich die gesammte Flusskette in ihrer Lage nach aufwärts verrückt (das sogenannte Wandern der Kette), wodurch jede systematische Controle über deren Zustand, besonders an gefährlichen Stromstellen, unmöglich gemacht wird.

Ich habe diese Kettenschifffahrtsfrage etwas eingehender erörtert, weil dieselbe für unsere Touage auf der Donau von actuellem Werthe ist.

Ich gehe nun zu einem anderen elektrischen Schiffzugsysteme über, welches Ingenieur Galliot auf dem Burgunder Canal im Sommer 1893 einrichtete, und welches seit dieser Zeit, d. i. 15. August 1893, zur grössten Zufriedenheit functionirt.

Allerdings handelt es sich in diesem Falle nur um eine Scheitelhaltung von 6000 m Länge, wovon 3300 m im Tunnel liegen. Vom Jahre 1867 bis 1893 bediente man sich der gewöhnlichen, bereits früher beschriebenen Kettendampfer; die angewandte Kette wog pro laufenden Meter nur 4 kg. Man war bezüglich der Leistung dieser Kettendampfer (circa 200.000 t pro Jahr) sehr zufrieden, nur stellten sich die Betriebskosten etwas zu hoch, nämlich ca. 0,0166 Frcs.<--Fehler im Original Fcs.--> = 0,83 Kreuzer pro Tonnenkilometer. Als man nun vor der Frage stand, abermals neue Kettendampfer anzuschaffen, schlugen Chef-Ingenieur Fontaine und Ingenieur Galliot der französischen Regierung vor, mit dem elektrischen Betriebe einen Versuch zu machen. Diesem Vorschlage wurde zugestimmt und wir können uns nun eines schönen Erfolges der französischen Ingenieure erfreuen, denn dieser Frage muss ja auch bei uns näher getreten werden, nachdem die Canalisirung des Wiener Donau-Canales, welche mit Ende 1897 durchgeführt sein wird, einen den neuesten Fortschritten der Betriebstechnik entsprechenden Schiffsbetrieb erfordert.

Herr Ingenieur Galliot hat die an der erwähnten Scheitelhaltung vorhandenen beiderseitigen Gefälle (7 m bei Pouilly zur Seine hin und 8 m bei Escommes gegen die Saône hin) benützt, um die darin enthaltene Wasserkraft (= 35 HP) mittelst Turbinen zum Antriebe von Primär-Dynamos zu verwenden. Die solchergestalt gewonnene elektrische Kraft wird durch eine, dem Canale auf dem Lande entlang laufende Drahtleitung mittelst Wägelchens auf die auf dem Kettendampfer aufgestellte secundäre Dynamo-Maschine übertragen. Diese letztere treibt eine Kettenrolle an, welcher in ähnlicher Weise die Flusskette zugeleitet wird, wie beim Bovet’schen Toueur. Die Gesammtausgaben für die 6 km lange Strecke, inclusive der beiden Toueurs stellten sich auf 139.000 Frcs. Die Dimensionen der Toueurs sind: Länge 15 m, Breite 3,20 m, Tiefgang 0,45 m. Die Zugleistung beträgt durchschnittlich 17 Peniches mit circa 1400 t Ladung bei einer Geschwindigkeit von circa 3 km pro Stunde entsprechend einem Kraftaufwande von circa 15 HP.

Die Vorzüge dieser elektrischen Touage den früheren gewöhnlichen Kettendampfern gegenüber sind folgende:

1. Das Betriebspersonal ist weniger angestrengt als früher, nachdem nun das [266] Einschiffen der Kohle, das Reinigen der Maschine, das Anfeuern der Dampfkessel ganz entfällt.

2. Die Fahrt wird nun schneller bewerkstelligt als früher.

3. Der Betrieb stellt sich auch insoferne billiger, als nun die Bemannung nur zwei Mann zählt, gegen vier Mann bei den alten Toueurs, abgesehen von dem gänzlichen Wegfall der früher pro Jahr benöthigten 5000 t Kohle. Allerdings sind die erhöhten Anlagekosten für die beiden Turbinen, Drahtleitung auf dem Lande etc. entgegenzu halten.

4. Die früheren Maschinen arbeiteten, wie fast alle älteren Toueur-Maschinen, stossweise, wodurch eine bedeutende Anstrengung, bezw. eine vorzeitige Abnützung der Kette erfolgte.

Herr Galliot, welcher, nebenbei bemerkt, gegenwärtig infolge Einladung der russischen Regierung in Russland weilt, um die Einführung der elektrischen Touage auf dem Dnieper[WS 6] zu studiren, theilte uns gelegentlich seiner Durchreise durch Wien mit, dass die Abrechnung des ersten Betriebsjahres auf der genannten Scheitelstrecke des Burgunder Canales eine Ersparniss von 5000 Frcs. gegen die frühere Touage zeigte, so dass sich die Betriebskosten auf circa 0,012 Frcs. = 0,6 Kreuzer pro Tonnenkilometer stellten. Diese Kosten werden sich aber im Laufe der nächsten Jahre noch vermindern, nachdem zweifellos noch weitere Verbesserungen angebracht werden.

Sowohl die Herren de Bovet, Paris, und Galliot, Dijon, als auch O. Büsser in Frankfurt a. O., streben die Lösung der Frage des elektrischen Einzelbetriebes für Schiffe an. Ich verweise auch in dieser Beziehung auf meinen Bericht über den V. Congress in Paris. Herr Bovet schlägt vor, jedem Schiffe beim Eintritte in die Canalhaltung einen kleinen compendiösen und leicht anbringbaren Apparat, bestehend aus einer Dynamo-Maschine und einer magnetischen Kettenrolle, zu übergeben, welcher Apparat beim Verlassen der Haltung wieder abgegeben wird. Der elektrische Strom zur Bewegung der Dynamo-Maschine auf dem Schiffe wird durch eine längs des Canales angebrachte Drahtleitung mittelst biegsamer federnder Eisenstäbe zugeführt, wie dies bei den elektrischen Strassenbahnen bereits in zahlreichen Fällen ausgeführt wurde.

Die Erzeugungsstellen für den elektrischen Strom wären in die Nähe der Schleusen zu verlegen, um das Gefälle der einzelnen Haltungen zum Antriebe von Turbinen benützen zu können.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Tauerei ist ein Überbegriff für das Ziehen von Schiffen entlang einer im Fluss verlegten Kette oder Seils.
  2. Toueur ist die französische Bezeichnung für einen Kettendampfer.
  3. Remorqueurs ist die französische Bezeichnung für einen Schlepper mit Schufelrad- oder Schraubenantrieb.
  4. Peniche ist die französische Bezeichnung für einen Frachtkahn.
  5. HP steht für horse power (Pferdestärke).
  6. Der Dnepr (auch Dnieper) ist ein Strom, der durch Russland, Belarus und die Ukraine in das Schwarze Meer fließt.