Jagdfahrten
Es war schon ziemlich spät des Abends, als wir, der frischen Kühle nach fast unerträglicher Tageshitze uns erfreuend, im traulichen Gespräch auf der Gartenterrasse des Herrenhauses von Baratofka saßen. Plötzlich drang aus nicht zu großer Ferne ein entsetzlicher Ton durch die Stille der Nacht, langgezogen, rauh, heiser und doch laut, markdurchschütternd. Unwillkürlich fuhr ich auf, in demselben Augenblicke rannten die beiden großen Windhunde, welche zu unsern Füßen gelegen, mit heftigem Gebell davon, gleichzeitig erklang von allen Seiten das disharmonische Geläute der vielen Hunde des Gutes und Dorfes.
„Was war das?“ fragte ich mit einiger Spannung.
„Nichts,“ entgegnete der Gutsbesitzer, mein Freund, indem er sich eine frische Papyros kunstgerecht drehte, „es war ein Wolf.“
„Wie, die Raubthiere wagen sich so nahe an die Gehöfte, und zwar jetzt, mitten im Sommer, wo sie keine Noth haben?“
„Sie thun dies nur, wenn man ihnen die Jungen genommen hat,“ sagte der Freund.
„Und Sie haben einer Wölfin die Jungen genommen, und sie sind hier und ich kann sie sehen?“
„Gern und im Augenblick. Sergei!“ Der Reitknecht entfernte sich rasch nach den Ställen.
Das Concert, dessen Beginn wir so eben vernommen, dauerte fort, aber in weiterer Entfernung. Ich ward vom Eifer der Jagd ergriffen, bat um eine Flinte und Begleitung.
„Ihre Mühe würde ganz vergeblich sein,“ bemerkte Herr v. G, „schon weicht der Wolf von den ihm nachbelfernden Hunden zurück, und wird in dieser Nacht nicht wiederkommen. Ueberdies ist es bei uns, die wir zu den echten Sportsmen zählen, nicht einmal Sitte, dem feigen Räuber mit der Flinte entgegen zu treten.“
„Aber wie denn?“
„Man fängt ihn einfach mit der Hand.“
Ich lächelte achselzuckend, denn ich glaubte an einen Scherz.
„Es ist mein voller Ernst,“ sprach mein Freund, „und mehr noch, ich verspreche Ihnen den Augenschein; Sie sollen eine Wolfshetze mit ansehen, ja dabei mitwirken, wenn Sie anders nicht vor einem kleinen Kirchthurmrennen zurückschrecken.“
In diesem Augenblick trat Sergei in das Zimmer, in welches wir uns mittlerweile aus dem Garten begeben hatten, und hielt in jeder Hand ein Wölflein an der Nackenhaut, wie man auch die jungen Hunde trägt, ein drittes brachte ein Knabe nach. Es waren allerliebste Thiere; etwa sechs bis acht Wochen alt, hatten sie die Größe von Hunden desselben Alters, sahen aber weit mehr kleinen Füchsen ähnlich, besonders in dem klugen Gesicht mit der spitzen, glänzend schwarzen Schnauze; die aufgerichtet abstehenden löffelförmigen Ohren erschienen unverhältnißmäßig groß; das Fell war dicht behaart und glatt, hellbrauner Färbung. Man hätte die kleinen Räuberkinder wahrhaft lieb gewinnen können, so hübsch, zutraulich und ehrlich sahen sie aus; sie ließen mit sich machen, was man wollte, und spielten im Stall artig mit ihren Milchbrüdern, jungen Jagdhunden, deren Mutter die wilden Findlinge unbedenklich sofort an Kindesstatt für die ersäuften eigenen Sprößlinge angenommen hatte. Aber alle Liebenswürdigkeit schien Verstellung, denn von Zeit zu Zeit schoß aus den runden, großen, schwarzen Augen der Wölfchen ein so falscher, grimmiger Blick, daß man in diesem all die schlummernde Blutgier und Erbarmungslosigkeit ihrer Race zu lesen glaubte. Wenn man sie auf den Schooß nahm oder an dem Licht hin und her drehte, dachten sie nicht einmal daran, ihre schon ganz respectabeln spitzen Zähnchen zu zeigen; kaum aber waren sie auf den Fußboden gesetzt, so verkrochen sie sich in die finstersten Winkel, und es hielt schwer, sie wieder hervorzukriegen; besonders einen, der sich dermaßen zwischen Wand und Pult eingeklemmt hatte, daß es ihm selber fast unmöglich gewesen wäre, sich wieder zu befreien. Natürlich regte der Anblick der Gefangenen meine Jagdlust noch mehr an, und ungeduldig fragte ich: „Wann? Wie?“ Aber ich ward bedeutet, daß zu einer Wolfshetze mancherlei Vorkehrungen nothwendig seien, daß man vor Allem das Versteck des Feindes aufspüren müsse, wozu die erforderlichen Schritte noch an demselben Abend ernstlich besprochen wurden. Damit mußte ich mich denn vorläufig begnügen, obgleich ich am liebsten gleich auf der Stelle geritten wäre; zur Entschädigung wurden mir aber inzwischen andere Jägerfreuden in Aussicht gestellt.
Am nächsten Morgen machten wir eine Fahrt durch die Felder. Endlos dehnte sich der gelbe Weizen, der mit schweren, vollen Aehren nickte, der Roggen auf mannshohen Halmen, die bärtige Gerste, der Hafer mit seinen zitternden Rispen und die dunkelgrüne Leinsaat, welche aussah, wie ein hochgeschorener Teppich. Nicht weit, und es zeigte sich eine räthselhafte Erscheinung. Aus der Mitte eines reifen Weizenfeldes reckte sich bei unserem Nahen eine Menge dunkler Gegenstände hervor, gleich Pfählen, aber sie bewegten, drehten, duckten und entfernten sich. Noch war ich meiner Sache nur halb gewiß, da rauschte es, und mit schmetterndem Flügelschlag [204] brauste eine große Heerde prächtiger Trappen dahin und senkte sich, vollkommen in Sicht, ein paar tausend Schritte weiter. Und jetzt hoben sich überall, nah und fern, die spitzen, lauschenden Köpfe der stattlichen Vögel über die Halme empor, viele Hunderte konnte man mit einem Rundblick gewahren. Gerechter St. Hubertus, und ich hatte keine Büchse! Vor ungeduldiger Aufregung vermochte ich kaum im Wagen sitzen zu bleiben. Ich gedachte der Trappenjagd im lieben Vaterland, wie man da lange vor Sonnenaufgang hinaus und Viertelstunden lang geduldig wie ein Fuchs zwischen Saaten und Kartoffelzeilen dahin kriechen muß, um das überaus scheue und seltene Hochwild, das in Deutschland von Jahr zu Jahr mehr verschwindet, zu beschleichen, und wie doch am Ende alle Mühe, alle Anstrengung vergeblich ist. Hier war es anders, die Thiere schienen vorsichtig, aber wenig scheu, oft ließen sie den Wagen bis auf zwanzig Schritte herankommen, ehe sie aufflogen. Es ist ein weit verbreiteter Irrthum, daß die Trappe eines Anlaufs bedürfe, ehe sie sich zum Flug zu erheben vermöchte; ich habe hundertmal gesehen, wie sie sich, erschreckt, augenblicklich in die Luft wirft, und diese sehr kräftig und rasch durchschneidet. Die Zahl der in den Saaten hausenden Trappen war eine außerordentliche und es ist bei ihrer Größe und Schwere leicht begreiflich, welchen ungemeinen Schaden sie thun. So sehr man dies auch einsieht, so ist man doch eines Theils daran gewöhnt, andern Theils spendet die Natur hier ihre Gaben in so reicher Fülle, daß man sich nicht die Mühe gibt, dem Uebel eifrig Einhalt zu thun.
Also ein Paradies für Jäger! Wäre es uns doch beinahe gelungen, eine junge Trappgans lebendig zu fangen. Dicht vor den Pferden lief das verwirrte, tölpische Ding quer über den Weg,
„Fangt sie!“ rief mein Begleiter, der die Zügel führte; mit einem Satz war ich vom Wagen, der uns zur Seite reitende Verwalter vom Pferde, und wir hätten sie ganz gewiß erhascht – denn sie hatte noch einen Monat Zeit bis zur vollkommenen Flugfertigkeit – aber der schöne Weizen dauerte uns denn doch zu sehr, als daß wir nicht bald, trotz der nachgerufenen Anfeuerung des Besitzers, von der athemkostenden Hetze abgelassen hatten. Aber kaum zurückgekehrt, ging es an die Auswahl einer Flinte unter den vorhandenen, sehr übel behandelten Waffen des Landsitzes; dann mußte sie geputzt, probirt, Schrot zusammengesucht und Patronen gemacht werden, denn eine Trappe wollte und mußte ich schießen. Daheim war mir’s, trotz öfterer Versuche, niemals gelungen.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Frühzeitig am Morgen schon machte ich mich ganz allein, ohne Jemand ein Wort zu sagen; weil ich große Begleitung fürchtete, auf den Weg hinaus in die Steppe. Es war ein prachtvoller, aber heißer Tag, zu Allem eher geeignet, wie zu einem Pürschgang, Allein der erwachte Jagdeifer ließ mich Alles vergessen, selbst, daß ich auf’s Gerathewohl in die weite Oede wanderte, wo kein Markzeichen vor dem Verirren schützt. Die Entfernung bis zu den Getreidefeldern, wo ich mein edles Wild vermuthen konnte, war groß; ziemlich ermüdet und von der Sonnengluth gedrückt, erreichte ich endlich das Revier. Der Weizen war zum großen Theil abgebracht und stand in Mandeln. Vorsichtig schlich ich von einer zur andern, um das Terrain zu recognosciren, Plötzlich gewahrte ich die Trappen. Etwa tausend Schritte feldein äßte sich eine große Heerde, sorglos, als wisse sie, daß heut ein Tag des Friedens sei, zwischen den aufgethürmten Getreidehaufen. Vor allen Dingen suchte ich jetzt das plötzlich eingetretene Fieber, das sich mit hämmerndem Herzklopfen bemerkbar machte, zu bewältigen; es gelang mir nicht ganz, obgleich ich ein ziemlich versuchter Jäger bin. Alsdann begann ich das Anschleichen, den Wind brauchte ich nicht zu berücksichtigen, denn die Luft war vollkommen still. An der Erde hinkriechend, jeden höheren Stoppelbusch, jede vergessene Distel als Deckung benutzend, unbeweglich, so lange ich die Hälse der Trappen verdächtig emporgereckt wähnte, schob ich mich von Mandel zu Mandel. Langsam aber sicher rückte ich dem Wilde näher, die peinigende Ungeduld mit Mühe bezähmend. So war ich vielleicht auf hundert Schritte hinzugekommen, mit äußerster Behutsamkeit spähte ich hinter meinem Versteck hervor nach den stattlichen Vögeln, bis zu welchen die kurzen Rohre meiner Doppelflinte nicht reichten –, denn ich will es gestehen, daß ich, allem Waidmannsbrauch entgegen, Schrot führte und nicht die edle Kugel, die solchem Wild gebührt. Die Trappen gingen träg und anscheinend arglos hin und her, zuweilen ein Korn vom Boden aufpickend, dann wieder die Köpfe hoch emporstreckend, um zu sichern; ein gutes Geschick schien sie auf ihrer Promenade meinem Stand entgegen zu führen. Ein alter, gravitätischer Hahn mit gewaltigem Schnurrbart à la Haynau schritt dem Volke voran; er war ihm nicht blos Führer, sondern auch Wächter. Eben, als ich wiederum nur mit dem halben Auge vorlugte, um die noch übrige Entfernung prüfend zu messen, blieb er plötzlich stehen – offenbar sah oder witterte der erfahrene Schelm etwas Ungehöriges. Und richtig, ich war verrathen – denn plötzlich breitete das ganze Geschwader, wie auf ein gegebenes Zeichen, die Fittige aus, und dahin flohen die scheuen Vögel und ließen mir ein ärgerliches Nachsehen. Was half es, daß ich sie in nicht großer Weite wieder einfallen sah? Zwar versuchte ich, indem ich einen Haken schlug, ein abermaliges Beschleichen, aber es mißlang noch weit schneller, als das erste; denn einmal erschreckt, ist die Trappe das vorsichtigste Wild, welches es gibt, und auch dem geduldigsten Schützen wird es dann nicht mehr gelingen sie zu berücken.
Schwer verdrossen, wanderte ich einer anderen Richtung der Steppe zu. Die Sonne brannte nunmehr scheitelrecht herab und mit jedem Schritte stieg die Schale der Jagdlust höher gegenüber derjenigen der Erinnerung an das kühle Gemach und den köstlichen Trunk des eisgekühlten Quaß, die mich erwarteten. Ich wandte mich zur Rückkehr; da kam quer über die Ebene daher ein einzelner Bauernwagen heran, gerade auf mich zu. Es war Sergei, der getreue Tabunschtschik (Roßhirt), welchen sein Gebieter nachgesandt hatte, um feurige Kohlen auf des Flüchtlings schon hinreichend glühendes Haupt zu sammeln, indem er mir das einzige Mittel zu einer wirklich erfolgreichen Jagd bot. Ich schwang mich auf den Strohsitz des schmalen Gefährts hinter den bärtigen Lenker, der mir, mehr durch Zeichen, als durch Worte, verständlich machte, daß ich mich nunmehr gänzlich seiner Discretion zu überlassen habe, in einem weiten Bogen führte er mich darauf durch die Steppe in eine andere Abtheilung der Getreidefelder, wo die Früchte noch auf ihrem Halme standen. Ehe wir den Rand derselben erreichten, bedeutete mich Sergei, abzusteigen und hinter der langsam fahrenden, von einem kleinen Klepper gezogenen Teljäga herzuschreiten. So kamen wir auf den schmalen Weg, welcher die einzelnen Weizenäcker von einander scheidet; die Flinte hatte ich vor mir auf den Wagen gelegt, der blos zur Brusthöhe reichte. Schon ehe ich selbst des erhofften Wildes ansichtig ward, gab die plötzliche Aufregung meines Führers mir davon deutlicher Kunde, als mir lieb war. Nicht eine Minute mehr konnte er ruhig sitzen bleiben, alle Augenblicke fuhr er herum, riß den Mund auf, kniff die Augen zu und machte so lächerliche Grimassen, daß ich kaum an mich zu halten vermochte; all mein zorniges Nicken und Faustdrohen war vergeblich; begütigend duckte er sich nur nieder, um im nächsten Augenblicke abermals herumzufahren und von Neuem Fratzen zu ziehen. Aber ich sah nicht mehr nach ihm, denn dort erschien das Wild. Ueber den Halmen reckten sich die bekannten Köpfe empor, und zwar auf beiden Seiten des Weges, weithin im Getreide vertheilt; ein Volk von wenigstens sechzig Stück Trappen ging hier auf der Aeßung. Der Wagen aber schien keinen besonderen Eindruck auf sie zu machen, denn nachdem sie ihn neugierig betrachtet, duckten sich da und dort die Köpfe wiederum nieder, um fortzufahren in der unterbrochenen Beschäftigung.
Die Flinte hatte ich schußfertig in der Hand – da plötzlich schlug es mir zur Rechten mit lautem Schall die Luft, ein starker Hahn stieg keine dreißig Schritte von mir auf – aber er sank auch eben so rasch wieder. Ich hatte einen glücklichen Schuß gethan, freudig erregt sprang ich der prächtigen Beute zu, während weit und breit die Schaaren der Räuber, auf so unerwartete Weise aus ihrem Reviere geschreckt, in großen Flügen enteilten. Der erlegte Vogel war ein ausgewachsener junger Hahn, gegen dreißig Pfund schwer, mit glänzendem, schwarz gewässert rostbraunem Gefieder auf dem Rücken, Hals, Kopf und Brust hellgrau, die Ständer fast armstark, überaus kräftig, die unten weißen, an der Spitze dunkelbraunen Schwungfedern hatten fingerdicke Kiele. Mit Hülfe Sergei’s, der sich wie närrisch gebehrdete und einen Kriegstanz um das erlegte Wild halten zu wollen schien, hob ich die Beute auf den Wagen, und vollkommen befriedigt traten wir den Rückweg an. Hierbei will ich zu erwähnen nicht unterlassen, daß das in Deutschland allgemein verbreitete Vorurtheil von der Ungenießbarkeit des Trappenfleisches – es sei denn einige Tage in der Erde vergraben gewesen – von den Russen nicht getheilt wird, und ich habe mich genugsam davon zu überzeugen Gelegenheit gehabt, daß es einen sehr schmackhaften, vortrefflichen Wildbraten abgibt, welcher dem des Auerhahns weit vorzuziehen ist. Allerdings legt man es gern
[205] [206] in Essig, gesäuerte Milch oder in Quaß, ehe es an den Spieß kommt.
Unsere Heimfahrt führte an einem jener künstlichen, durch Aufdämmung gebildeten Teiche vorüber, in welchen das Winterwasser sich sammelt, den Heerden der Steppe zur Tränke. Er war rings mit hohem Schilf umkränzt, nur da und dort waren tiefe Pfade von den Weidethieren bis zum Wasserspiegel hindurchgebrochen. Wir scheuchten eine Kette Krickenten auf, aber die kleinen schwarzen Streckhälse waren schon weit, ehe ich auf dem Wagen fertig wurde. Auch ein paar Spießenten rauschten empor; zwar knallte ich hinter den bei uns ziemlich seltenen Wanderern drein, aber leider vergeblich. Der Jagdeifer war ohnedies erstickt in der fabelhaften Gluth des Himmels, der über uns lag, wie ein Brennspiegel, die Zunge klebte mir am Gaumen, ich wollte vom Wagen springen und vom schlammigen Wasser des Teiches schöpfen, allein Sergei litt es nicht, indem er mich auf wenige Schritte vertröstete. In der That enteilte er nicht lange darauf plötzlich und kam nach kurzem Verzug wieder, schwer beladen mit einer Last, die er im Schooße seines Kittels oder Hemdes – das Kleidungsstück ist Beides – herbeischleppte. Es waren Gurken, welche unterhalb des Teiches, der zur Bewässerung diente, in weiten Feldern angepflanzt standen. Sie sind eine Lieblingsspeise der Russen, und zwar roh, höchstens geschält, aber nicht immer, und mit etwas Salz; so findet man sie selbst auf den besten Tafeln. Dem Beispiel meines Begleiters folgend, machte ich mich rasch daran, rohe Gurken zu verspeisen, zum ersten Male in meinem Leben; sie löschten trefflich den Durst, und obgleich ich gewiß ein halbes Dutzend davon zu mir nahm, fühlte ich keinerlei Beschwerde darnach. Sergei hatte freilich durch mehrmalige auffallende Bewegung der Hand zum Munde und mit schmachtend nach dem Himmel gerichteten Augen, während seine Lippen das magische Wörtlein „Wodka“ murmelten, deutlich zu verstehen gegeben, was zu solcher Kost gehöre, allein ich konnte dem Guten nicht helfen. Uebrigens brachte er, denn es war ja Sonntag und jedem Tage muß sein Recht werden, die Entbehrung reichlich wieder ein, wie ich mich am lichten Abend überzeugen konnte, als ich ihn im Stalle zwischen den Pferden liegend fand, die anscheinend an diese Vertraulichkeit durchaus gewöhnt waren und sie respectirten.
Das Glück der ersten Jagdfahrt bewährte sich nicht auf den folgenden. Es war gerade, als hätten sich die Trappen meilenweit in der ganzen Umgegend die drohende Gefahr und die List des Menschen mitgetheilt; denn fernerhin ließ niemals wieder ein Volk den Wagen bis zur Schußweite herankommen. Die Vorsicht und Scheu dieser großen Vögel mußte ich bewundern, so sehr ich mich darüber auch ärgerte. Der Ersatz war, dem Quantum und der Jagdfreude nach, ein ziemlich geringer; der tägliche Gegenstand der Suche waren Wachteln, deren die Steppenfelder unzählige Mengen bergen und welche in der Erntezeit außerordentlich fett sind. Dazu braucht man einen guten Hund; der, welcher mir zu Gebote stand, war gut, aber nur für sich; er dachte nicht anders, als der Jäger mache sich seinetwegen alle die Mühe, und spielte daher den angenehmen Wirth, der jeden Braten anschneidet, ehe ihn der Gast erhält. Seufzend oder fluchend, je nachdem, dachte ich manchmal sehnsüchtig an die gute Diana daheim und an ihre wohlgerathene Tochter Cora, der es im alten Sachsenlande gelungen war, was man nur in Amerika noch möglich glaubt, nämlich vor dem letzten Bieber zu stehen. –
[215] Die Wachtelbeize mit dem Habicht ist eine Hauptlust der Tataren und mehrere Male war ich später so glücklich, diesem interessanten Schauspiele beizuwohnen, welches um so mehr in die alten Zeiten des höfischen Ritterthums zurückversetzen konnte, als die kleidsame Tracht dieser Steppensöhne dem idealen Jagdgewande der Edelknaben mit dem Falken auf der Faust, die uns die Maler schon in allen möglichen Stellungen gezeigt haben, ziemlich ähnlich ist. Die Jagd geschieht zu Pferde, gerade wie die Falkenjagd. [216] Eine Anzahl tatarischer Jäger, auf’s Trefflichste beritten, vertheilt sich über die Steppe, jeder hat einen kleinen, langhaarigen Wachtelhund bei sich, welcher weiter nichts zu thun hat, als in möglichst ruhigem Tempo die Vögel aufzustöbern und emporzujagen. Auf der Hand, ohne Handschuh, trägt der Jäger einen Habicht mit der Lederkappe über den Augen; sobald die Wachtel auffliegt, reißt er jene dem Vogel ab und wirft ihn nach; der Habicht steigt nicht empor, wie der Edelfalke, sondern schießt sofort im Bogen auf das Wild, welches zwar sogleich einfällt und sich zu verbergen sucht, allein selten dem gierigen Auge des Räubers entgeht, der sich darauf stürzt, aber es mit den Fängen gewöhnlich so säuberlich packt, daß er es seinem Herrn lebend und unversehrt überbringt. Nur junge, noch unerfahrene Habichte stoßen so scharf nieder, daß sie die Wachtel verletzen oder tödten. Der Jäger führt, ein seltsamer Anblick, einen hölzernen Käfig neben sich, in welchem er das erbeutete Wild verwahrt; er fängt nicht selten an einem Tage fünfzig bis sechzig Stück Wachteln auf solche Weise. Dieselben werden gewöhnlich noch eine Zeit lang gemästet und dann lebendig zu Markte gebracht; man verkauft sie nach dem Gewicht, das Pfund etwa zu einem halben Thaler; sehr viele davon werden in Tonnen eingepökelt und geräuchert, oder auch mit Fett übergossen aufbewahrt.
Die zur Beize bestimmten Habichte müssen ganz jung aus dem Neste genommen werden; der Jäger füttert sie stets nur selber und sie gewöhnen sich frühzeitig so an ihn, daß sie seinem Locken gehorsam folgen. Sobald sie mit der Kappe und der Faust vertraut sind, kann man unbedenklich wagen, sie fliegen zu lassen. Die Tataren besitzen überhaupt eine höchst merkwürdige Geschicklichkeit in Zähmung und Abrichtung der Thiere; sie beizen nicht nur mit dem Habicht, sondern auch mit dem Steinadler, dessen Junge sie von den riesigen Gebirgen der Krim holen, und mit dem Edelfalken, den sie aus Persien und dem Kaukasus beziehen. – Wachtelfang mit Stellnetzen und Laufgarnen wird ebenfalls vielfach betrieben und ist ziemlich einträglich.
Einige Abwechselung in das einförmige Wachtelschießen, dessen Ausbeute durch den liebenswürdigen Monsieur, so hieß der Hund, um ein Drittheil mindestens decimirt ward, boten die kleinen Suppenhühner, die sich überall fanden, dann die hübschen Zwergtrappen (Otis tetrao) von der Größe einer Wildgans, fast gerade so gefiedert, wie die große Trappe; ich traf dieselben stets einzeln in der Steppe liegen, sie lassen den Jäger nahe herankommen, und fliegen dann plötzlich mit merkwürdig tönendem Flügelschlag empor aus ihrem Versteck im Burian. Die Raubvögel, von welchen die Steppe wahrhaft wimmelt, lernten bald die Flinte kennen, und wichen ihr im scheuen Respect aus, obgleich sie als nützliche Naturpolizei vor ihr vollkommen sicher waren; die Hasen lagen alle wohl geborgen tief im Getreide, und überdies war es nicht ihre Zeit; so mußte denn manchmal nur des Schusses wegen ein unglückliches Ziesel herhalten, das vor seinem Loche sich sonnte, und die mit gestohlenen Körnern gefüllten Backen kratzte. Aber nach und nach ward dies Alles langweilig, zumal die furchtbare Hitze, die schon mit dem frühen Morgen begann, jeden Jagdzug zu einer Art von Martyrium, langsamem Braten auf dem Roste vergleichbar, machte.
Da kam eines Tages der Schäfer Stepan, ein Bündel unterm Arm, das er mit gar betrübter Gebehrde vor den Füßen seines Herrn ausbreitete; es waren drei blutgetränkte Lämmerfelle.
„Der Wolf hat sie zerrissen, o Herr!“ so klagte der Getreue, und die hellen dicken Tropfen rollten ihm unaufhaltsam in den krausen Bart, während sich plötzlich die ganze Atmosphäre des Zimmers mit Spiritus vollgesogen zu haben schien; „wir haben gewacht, Herr, und die Hunde haben ihn gejagt, aber er ist wiedergekommen und hat die drei besten Stücke geholt aus der Heerde, sieh hier ihre Felle, die Leiber haben wir verscharrt. Hilf, Herr, und gib uns den Leo, denn unsere Hunde trauen sich nicht an den Wolf.“
Leo war ein ungeheurer Neufundländer, von merkwürdiger Tapferkeit und Stärke, aber träg und verwöhnt, nur Wächter des Hauses und Hofes, doch hatte er schon manchen Wolf im Kampfe gar rühmlich bezwungen. Der Gutsbesitzer wiegte bedächtig den Kopf, antwortete aber weiter nichts als:
„Geh’ zuvor, Stepan, und schlafe Deinen Rausch aus!“ worauf sich der Schäfer entfernte unter den fürchterlichsten Eiden, daß er gar nicht mehr wisse, wie Branntwein aussehe, nur der Kummer, nur die tiefe Betrübniß um die fortwährenden Verluste des geliebten Herrn habe ihm die Beine geknickt. Als er fort war, sprach mein Freund: „Ich weiß zwar ganz bestimmt, daß die Spitzbuben selbst die Lämmer geschlachtet und verzehrt haben, aber was will man machen? Beweisen kann ich es ihnen nicht, Einer ist wie der Andere, und sie haben für sich, daß Wölfe wirklich in der Nähe sind, also muß ich es hinnehmen. Aber um ihnen auf ein paar Wochen mindestens die Ausrede abzuschneiden, sollen die angeblichen Räuber verjagt werden. Morgen in der Frühe der Erste!“
Wer war froher als ich über die willkommene Kunde!
Spät am Abend sprangen Sergei, Wassilei und Sacha, drei erprobte Reiter und Wolfsjäger, von den Gäulen; sie waren den ganzen Tag auf der Streife gewesen.
„Der Wolf ist gefunden, Väterchen,“ sagte der riesige Wassilei schmunzelnd, „morgen wird er zu Deinen Füßen kriechen.“
Und sie schmunzelten alle Drei immer energischer, und leckten die bärtigen Lippen, und kratzten sich hinter den Ohren, bis der Gebieter, wohlbekannt mit dieser Zeichensprache, einem Jeden ein mäßiges Wasserglas voll des geliebten Wodka kredenzte. Es floß hinab wie Wasser, immer schmunzelnd wischten sie den Mund mit den weiten Aermeln und verneigten sich tief, dann gingen sie, die nöthigen Anstalten zu treffen.
Um drei Uhr früh sollte Jedermann fertig zur Stelle sein; ich war schon eine Stunde vorher munter und bereit. Aber endlos dehnten sich noch die Zurüstungen, das Hin- und Herlaufen, der Thee, nachdem meinem ungeduldigen Rumoren gelungen war, männiglich zu erwecken. Einigermaßen verwundert war ich, als ich von dem gewohnten Apparat der Flinten, Waidmesser, Jagdtaschen, Pulverhörner durchaus nichts gewahrte, von welchen sich der Deutsche, dessen Erbtugend die Lust am Schleppen zu sein scheint, noch immer nicht losmachen kann.
„Hier Ihre Waffe!“ sagte der Edelmann, und übergab mir eine vortreffliche Reitpeitsche aus einem Stück ungegerbten Leders.
„Wollen Sie mir denn nicht die Ehre gönnen, einen Wolf erlegt zu haben?“ gegenfragte ich halb gedemüthigt.
„Die Ehre ist so klein,“ entgegnete mein Freund lächelnd, „daß ein Sportsman darauf verzichtet. Wissen Sie nicht, wie man in England den Fuchs jagt? Gerade so werden wir es mit seinem Vetter machen. Und nun zu Roß!“
Vor der Veranda scharrten vier Pferde ungeduldig den Boden. Das stattlichste darunter war eine englische Vollblutstute, welche bei den Rennen zu Cherson, Wosnesensk und Jekaterinoslaw schon mehrmals gesiegt, eines der werthvollsten Thiere aus dem bedeutenden Gestüte meines Freundes. Sie war von dessen Güte für mich bestimmt; aber neben ihr schäumte und stampfte ein tatarischer Rapphengst, dessen prachtvolle Mähne, überhaupt sein ganzes Wesen mich augenblicklich dergestalt einnahm, daß ich mir die Gunst ausbat, ihn reiten zu dürfen. Sie ward mir, wie ich glaube, mit einiger Genugthuung gewährt, denn die englische Stute war zehnmal werthvoller, wie das eingeborene Thier. Wassilei und Sacha waren unsere Genossen, sie ritten starke Ponies der Steppenrace, der Letztere trug einige Stricke am Sattel, und darin bestand unsere ganze Ausrüstung; nicht einmal Hunde wurden mitgenommen.
Im scharfen Trab ging’s hinaus in die thauige, stille Steppe, die beiden Leibeigenen etwa um funfzig Schritte voraus. Wie herrlich war’s in dieser Morgenfrische, überwölbt vom blauen, ungetrübten Himmel, dahin zu reiten durch die Wüste, ohne Weg und Bahn! Nicht lang und die Pferde fielen von selbst in die gewohnte Gangart, den Galopp, denn Trab laufen in Rußland nur die Orlow’schen Traber aus Chränowoi, und es hält schwer, Steppenpferde an diese dem Thier nicht natürliche Bewegung zu gewöhnen. Wir mochten ungefähr drei Werst zurückgelegt haben, als Wassilei sich umwandte und die Hand hoch empor hielt; es war ein Zeichen größerer Vorsicht, wir warfen die Cigarren weg, und befleißigten uns des Schweigens. Aber lang noch dauerte der Ritt, viel zu lang für meine fieberhafte Ungeduld. Plötzlich wandte sich der Vorreiter zum zweiten Male mit eindringlicher Gebehrde.
„Halt!“ commandirte mein Begleiter, „wir sind dem Lager des Wolfes nahe; die beiden Burschen werden ihn aufjagen; lassen wir unsere Pferde etwas verschnaufen, damit sie sich zeigen können, wenn es wirklich gilt.“
Wassilei und Sacha hatten mittlerweile sich getrennt und ritten nunmehr im Schritt einer Bodensenkung zu, die von wildem Buriangestrüpp erfüllt war, das hier und da seine stacheligen Häupter über das Niveau der umliegenden Fläche erhob. Nach einigen Minuten waren sie unseren Blicken entschwunden. In athemloser Erwartung harrten wir – wenigstens ich – eine ziemliche Weile; da, auf [217] einmal erscholl ein so durchdringender Schrei, daß ich erschreckt zusammenfuhr, und mein gutes Thier, nicht gewohnt an so rüde Hülfen, sich bäumte und mich bügellos machte.
„Vorwärts, dort läuft der Wolf!“ rief mein Freund und flog voran. Ohne Antrieb folgte mein Renner. Uns gerade gegenüber, am jenseitigen, flach abgeböschten Hang der Mulde streifte ein Ding durch die Burianbüsche, wie ein grauer Schatten; es mochte 800 bis 1000 Schritte von uns entfernt sein. Gleichzeitig aber tauchten auch Wassilei und Sacha ihm zu Rechten auf, in ziemlichem Abstand von einander; der Erstere voraus, augenscheinlich bestrebt, dem Wolf die Richtung zu verlegen und ihn nach unserer Seite, die wir den linken Rand der Vertiefung umritten, zu wenden. Es gelang ihm vortrefflich, das geängstigte Thier ließ sich von der anfangs eingeschlagenen Linie seiner Flucht abbringen, und es war nunmehr an uns, die wir die Sehne seines Bogenlaufes ritten, die Hetze aufzunehmen. Alle Aufmerksamkeit, die ich vorher dem Gegenstand derselben gewidmet, concentrirte sich bald auf die Pferde. Als wüßten sie, was es gelte, flogen die edlen Thiere dahin, es bedurfte nicht des mindesten Antriebes durch Zügel und Peitsche, um sie zu reizen oder zu leiten; in ihnen schien dieselbe Aufregung zu gähren, die ihre Reiter ergriffen hatte. Die Vollblutstute mochte aber noch so gewaltige Sätze machen, mein Tatar war ihr stets zur Seite, und, was mich am meisten verwunderte, ehe man sich’s versah, ritten Wassilei und Sacha, welche doch weit hinter uns geblieben waren, auf ihren kleinen struppigen Kleppern mit uns auf einer Linie; nach und nach schwenkte der Letztere zur Linken, so daß wir Beiden im Abstand von ungefähr hundert Fuß die Mitte einnahmen. Bald waren wir dem Wolf auf 3–400 Schritte nahe, und nun galt es, das Tempo zu mäßigen, sonst würden wir dem Raubthier zu früh, ehe es seine Kräfte verloren, auf den Nacken gekommen sein, und der Erfolg wäre problematisch gewesen. Es kostete aber große Mühe, die Rosse zu zügeln, und besonders mein Hengst machte mir mehr zu schaffen, als mir lieb war. Einige Worte des mir zur Seite gerückten Jagdherrn erklärten mir auch jetzt das Manöver der Vorreiter. Man hetzt den Wolf nur mit dem Winde, niemals gegen denselben; im letzteren Fall hält er die Verfolgung noch einmal so lange aus, während die Pferde übermäßig angestrengt werden. Die Direction war gelungen und der Erfolg schon sichtbar.
Deutlich war zu gewahren, daß der Wolf an Kräften mehr und mehr verliere. Wir waren etwa seit einer Stunde auf seinen Fersen und kamen ihm, trotz der nunmehr gemäßigten Gangart unserer Pferde, mit jedem Schritt näher. Er lief in einer Art von kurzem Galopp, den Kopf tief niederhängend, den Schweif eingeklemmt, von Zeit zu Zeit fiel er in einen Trott, wie um sich zu erholen, zuweilen wandte er sich nach rechts und links, aber überall waren die Verfolger. Allmählich kamen wir ihm so nahe, daß wir die scharfe Witterung des Thieres bekamen; immer unbändiger wurden die Pferde, sie hackten im Lauf mit den Vorderfüßen, als gierten sie darnach, den grimmen Feind zu treffen. Schon ritt Wassilei ihm dicht zur Seite, der Augenblick der Entscheidung nahte. Immer langsamer lief das verfolgte Thier, manchmal raffte es noch alle seine Kräfte zusammen zu einem paar verzweifelten Sätzen, aber endlich erlahmte seine letzte Anstrengung. Im Bestreben zu enteilen, schoß es einige Mal noch eine Strecke weit vorwärts, dann versuchte es, einen Haken zu schlagen – umsonst! Endlich stand es – wir waren dicht hinter ihm. Es gibt keinen scheußlicheren Anblick, wie den des mattgehetzten Wolfs. Die Zunge hing ihm fußlang aus dem geifertriefenden Maule, die weißgelben Zotteln des Sommerpelzes standen vom Körper ab, und ein abscheulicher Geruch vergiftete ringsum die nächste Atmosphäre. Wie es im Reinecke Fuchs beschrieben: „es brach ihm vor Schmerzen über und über der Schweiß durch seine Zotten, er löste sich vor Angst.“ Das Thier war eine Wölfin, wahrscheinlich dieselbe, der man die Jungen geraubt, hager und verwahrlost zum Entsetzen. Mit eingeknickten Hinterläufen machte es nunmehr Kehrt gegen die Verfolger, denen es kaum gelang, die wüthenden Pferde zu pariren. Wie ein Blitz war der starke Wassilei aus dem Sattel, er riß seinen alten Filzhut vom Kopf, stülpte ihn um die linke Faust und trat, diese vorgehalten, furchtlos der erschöpften Wölfin entgegen. Treulich folgte ihm sein wilder Klepper, mit den Vorderbeinen hauend und die Zähne bleckend, als wolle er helfen, den grausamen Räuber zu fangen. Dieser sah allerdings noch gefährlich genug aus, aber doch war schon in seiner ganzen Stellung nicht mehr zu verkennen, daß mit der Entkräftung die Feigheit über ihn gekommen sei.
Jetzt stand der Mann einen Schritt vor dem Raubthiere, weit riß dieses den schäumenden Rachen auf, die Faust mit dem schützenden Filz fuhr ihm zwischen die Fangzähne, aber die gewaltigen Kiefern hatten ihre Stärke verloren, nur unschädlich schlossen sich dieselben, gleichzeitig aber packte Wassilei’s kräftige Rechte das Genick der Wölfin und preßte ihr den Kopf an den Boden. In dem nämlichen Augenblicke war auch Sacha zur Hand mit Stricken, eine Schleife ward um die Schnauze geschlungen, mit einer gleichen jedes Paar der Pranken unschädlich gemacht – und in einer Secunde lag die Wölfin gebändigt und gefangen zu unseren Füßen. Die echten Jäger der Steppe halten es für unwaidmännisch, den Wolf sofort zu tödten; passionirte Freunde der Hetze setzen sogar eine harte Strafe darauf, wenn einer ihrer Leute sich vom Eifer dazu hinreißen läßt, gleich als wollten sie zeigen, wie wenig furchtbar ihnen ein solch’ blutdürstiger Feind sei. Waffen zu tragen ist daher niemals dabei erlaubt; will man kurzen Proceß machen, so wird der Wolf mit den Kantschu’s erschlagen. Wir sparten ihn für einen ebenbürtigen Gegner auf; Sacha warf den Gefesselten vor sich auf’s Pferd und dann ritten wir fröhlich heimwärts, ich um ein merkwürdiges Jagdabenteuer reicher. Unsere Pferde waren und blieben so frisch, als kämen sie eben von der Weide.
Zwei Tage Galgenfrist wurden der gefangenen Wölfin verstattet; man hatte sie, ihrer Bande entledigt, in einer Scheune eingesperrt und mit Futter versehen, wovon sie aber wenig Notiz zu nehmen schien. Am dritten Tage schlug ihre Stunde. Wir waren von der Seite her auf das Gebälke gestiegen, um das Schauspiel mit anzusehen; die Wölfin hockte in einer Ecke und blickte ingrimmig finster umher und hinauf. Da öffnete sich die schmale Pforte der Einfahrt und herein schob Wassilei den edlen Neufundländer Leo, rasch wieder hinter ihm schließend. Kaum erblickte der wackere Hund die gefährliche Feindin, so richtete er sich mit dumpfem Knurren majestätisch empor, langsamen Schrittes, die Läufe hoch gehoben, schritt er näher und näher auf sie zu. Die Wölfin drückte sich ganz dicht an den Boden, nur den Kopf mit dem geöffneten Rachen in die Höhe reckend, als wolle sie einen Sprung nach dem Halse des Widersachers wagen. Aber dieser war ein erprobter Held, der nicht dem ersten Wolfe gegenüber stand. Sobald er nahe genug war, machte er eine Bewegung, als wolle er sich auf die Feindin stürzen, rasch fuhr diese knappend vorwärts, aber gleichzeitig hatte Leo mit berechnender Behendigkeit eine Wendung zur Seite ausgeführt, und mit gewaltigem Satze lag er nun über der Wölfin – ein Biß, ein Krachen der Halswirbel, und sie streckte sich zuckend, verendet. Stolz und unversehrt, gehobenen Schweifes, mit Befriedigung leise knurrend, umschritt der edle Hund den besiegten Gegner, von Zeit zu Zeit still stehend, als sei er darauf gefaßt, ihn wiederum erwachen zu sehen. Aber er war sehr todt.
Dies war eine Wolfshetze im Sommer. Im Winter, der gewöhnlichen Jahreszeit für solches Vergnügen, ist sie gefahrvoller und interessanter, theils wegen des schlimmeren Terrains für den Reiter, theils weil die Wölfe dann gewöhnlich in Rudeln zusammen gehen und es dann oft heißt: Auf den Mann ein Vogel! Die dem Lager entnommenen jungen Wölfe werden großentheils blos zur Winterhatz auferzogen, wie man es in Britannien auch theilweise mit Füchsen zu halten pflegt. Eine andere Art Wolfsjagd ist die im Schlitten; sie gibt Gelegenheit, Geschicklichkeit in der Handhabung der Büchse zu zeigen. Mit einem tüchtigen Dreigespann fährt der Jäger hinaus, er hat mehrere Gewehre zur Hand, vielleicht noch einen Büchsenspanner neben sich, und sitzt rückwärts im Schlitten, an welchem mittelst eines langen Strickes ein Stück Aas angebunden ist, welches im Schnee nachschleift. Sind die Wölfe zahlreich in der Gegend, so bekommen sie bald die Witterung der Lockspeise und beginnen, derselben zu folgen; anfangs in scheuer Entfernung, dann aber, von Hunger und Gier angestachelt, sich immer näher und näher wagend. Ein guter Schütze kann auf diese Weise ein ganzes Rudel nach und nach vertilgen, denn der Fall eines Cameraden schreckt die Anderen nur höchstens auf so lange ab, bis dessen magerer Leichnam zerrissen und verschlungen ist. Nur muß er ein scharfes Auge und eine sichere Hand haben, um die Wölfin nicht zu tödten, welche gewöhnlich den Kern eines Rudels von vier bis sieben Wölfen bildet. Ist diese gefallen, so werden die letzteren toll und scheuen keine Gefahr mehr, so daß oft nur schnelle Flucht vor ihrer Wuth erretten kann. Die Tataren jagen den Wolf mit dem Adler, welcher dazu abgerichtet wird, indem er stets sein Futter auf dem Schädel eines oberflächlich ausgestopften Wolfes empfängt. Der Vogel umflattert [218] das aufgejagte Wild so lange, bis es ihm gelingt, sich auf dessen Halse einzukrallen und ihm mit scharfem Schnabelhiebe die Augen zu treffen.
So feig der Wolf allein und zur Sommerszeit ist, wo er überall in der weiten Steppe Nahrung zur Genüge findet, so gefährlich und blutdürstig wird er in der Periode des Mangels, in der er viribus unitis jagt und selbst dem gewissen Tode stier entgegenrennt, wenn ihn der unbezähmbare Hunger treibt. Dann kommt er von weit her aus den Wäldern gewandert und umschleicht allnächtlich mit grausigem Geheul die Ansiedelungen; nicht selten wagt er sich sogar in deren Mitte und holt, trotz des Gebells der Hunde, ein Kalb, ein Schaf, ein Huhn aus den schlecht verwahrten Winterstallungen. Vor den Hunden der gewöhnlichen Race fürchtet er sich nicht, wohl aber diese vor ihm, sie setzen, wenn auch in noch so großer Ueberzahl, seinen Angriffen nur ein wüthendes Bellen entgegen, ohne ihn selber zu fassen. Erst wenn sie einen sicheren Rückhalt an den erweckten Bewohnern haben, lassen sie sich zuweilen zur Offensive bewegen, ziehen jedoch gewöhnlich dabei den Kürzeren. Aber nicht allein Hausthiere in großer Zahl, auch Menschen fallen alljährlich den grausamen Raubthieren als Opfer. Noch ist in Odessa die Erinnerung wach an einen entsetzlichen Fall aus dem Winter von 1857 auf 1858. Die Gattin eines der Redacteure des Odesskii Wjästnik (Odessaer Bote), der gelesensten Zeitung in Neurußland, Madame Troinizky, fuhr an einem schönen Sonntagmorgen mit ihrer erwachsenen Tochter im Schlitten auf’s Land, 24 Werst weit, ich glaube, um einer Hochzeit beizuwohnen. Nachdem sie ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, veränderte sich das Wetter und ein heftiges Schneegestöber schlug den Reisenden in das Antlitz. Bald darauf wurden plötzlich die Pferde des Dreigespanns seltsam unruhig, die Damen wandten sich besorgt um – da waren die Verderber über ihnen, ein großes Rudel Wölfe jagte wie rasend hinter dem Gefährte drein, deutlich gewannen ihre schwarzen Leiber auf dem weißen Schnee stets einen größeren Vorsprung. Mit gellendem Angstschrei riefen die Frauen dem Iswostschik zu, dieser, betäubt, voll Furcht, vielleicht auch betrunken – wer weiß es, aber es ist zehn Mal eher möglich, als das Gegentheil – hieb mit rasender Wucht auf die Pferde ein, daß sie, mit plötzlichem Anzuge sich in das Geschirr werfend, dahinstoben, gleich dem Sturmwinde. Aber der leichte Schlitten schlug bei dem heftigen Anpralle halb um, Mutter und Tochter wurden herausgeschleudert, entsetzlich scholl ihr Hülfegeschrei dem dahinjagenden Kutscher nach – umsonst, der sah sich nicht um, der hörte nicht, er fuhr davon, wie toll, bis in’s nächste Dorf. Als er sich da zum ersten Male wandte, erblickte er nur den geleerten Schlitten hinter sich. Freilich warfen sich sofort einige muthige Männer auf Pferde und ritten zurück, um zu retten, wenn Rettung möglich sei – aber sie kamen zu spät. Noch erblickten sie die enteilenden Wölfe, aber auf dem blutgetränkten Wahlplatze fanden sie nichts, als einen Damenhut und einen Schuh. Und doch war noch ein Wunder dabei. Denn während die Männer wieder langsam heimritten, erscholl auf einmal ein Hülferuf, wie aus den Tiefen der Erde, vorsichtig naheten sie sich der Stelle – da lag in einer Grube, ganz vom Schnee bedeckt, dem Tode nahe vor Schrecken und Frost, die jugendliche Tochter der unglücklichen Mutter. Beide Frauen waren ein Stück dem Schlitten nachgelaufen, die ältere war aber bald zusammengebrochen, während die jüngere plötzlich durch die Schneedecke in eine tiefe Höhlung stürzte, gewiß zu ihrem Heil; die Stimmen der Vorbeireitenden erweckten sie zum Leben. – – –