Der angebliche Napoleon-Schlitten
← Merkwürdige Häuser. IV. Die alte Kreuzschule | Der angebliche Napoleon-Schlitten (1899) von Otto Richter Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900) |
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Als Napoleon I. auf der Flucht aus Rußland am 14. Dezember 1812 nachts 2 Uhr in Dresden ankam, stieg er bekanntlich bei dem französischen Gesandten Baron de Serra ab, der in dem damals dem Kammerherrn und Hausmarschall Grafen von Loß gehörigen Hause in der Kreuzgasse, jetzt Nr. 10[WS 1], wohnte. Früh 7 Uhr reiste er in einem auf Schlittenkufen gesetzten Königlichen Wagen nach Paris weiter; der bisher benutzte Schlitten blieb in zerbrochenem Zustande hier zurück. Dieser Schlitten sollte nach der Ueberlieferung, wie sie sich bei den Bewohnern des Hauses fortgepflanzt hat, derselbe sein, der seit langer Zeit auf dem Boden stand. Beim Verkaufe des Hauses an die Stadtgemeinde erhielt ihn diese im Jahre 1888 vom Grafen Kleist vom Loß geschenkt und seit 1890 ist er um der weltgeschichtlichen Erinnerung willen, die sich daran knüpfen sollte, im Stadtmuseum aufgestellt.
Es ist ein kurzer. sehr leichter Schlitten, vorn und an den Seiten nur durch Lederschirme geschützt, nach hinten aber ganz offen; in der Mitte ist ein Sessel für Eine Person freistehend auf Eisenstäben befestigt. Der Schlitten war offenbar ursprünglich für Eine Person zum Selbstfahren eingerichtet; erst später ist an den Boden hinten noch ein Stück angesetzt und darauf ebenfalls auf Eisenstäben eine Pritsche für den Kutscher angebracht worden.
Seit der Schlitten öffentlich ausgestellt war, ist von Vielen der Zweifel ausgesprochen worden, daß Napoleon auf diesem kleinen offenen Gefährt eine so weite Reise im harten Winter habe ausführen können, ganz zu geschweigen der bekannten Thatsache, daß er mehrere Begleiter bei sich hatte. Gegenüber der sehr sicher auftretenden Ueberlieferung der Hausbewohner mußte aber der bestimmte Nachweis der Unächtheit abgewartet werden.
Eine Beschreibung des Schlittens, mit dem Napoleon in Dresden ankam, war in zeitgenössischen Schriften, soweit sie in den hiesigen Bibliotheken sich vorfanden, nicht zu ermitteln. Insbesondere hat auch der sächsische Minister Graf von Senfft, der in jener Nacht Augenzeuge der Begegnung Napoleons mit dem König Friedrich August im Loßschen Hause war, in seinen Memoiren von dem zerbrochen angekommenen Schlitten nur erwähnt, daß er von einem Edelmanne in der Gegend von Wilna herstammte (Mémoires du comte de Senfft, Leipzig 1863 p. 186). Erst vor Kurzem stieß ich in einem Pariser Antiquariatskataloge auf ein Buch, dessen Titel genaue Nachrichten über die Reise Napoleons versprach und das ich deshalb für die Stadtbibliothek kommen ließ. Es ist ein Bruchstück aus den unveröffentlichten Memoiren des ehemaligen französischen Gesandten Baron Paul de Bourgoing, das unter dem Titel Itinéraire de Napoléon I. de Smorgoni à Paris im Jahre 1862 in Paris erschienen ist. Bourgoing stützt sich bei seiner Schilderung der Reise auf den Bericht, den einer der Begleiter Napoleons, der polnische Ordonnanzoffizier Graf Dunin Wonsowicz, bald nachher niedergeschrieben und ihm mitgetheilt hat. Er erzählt (S. 60 flg.):
„Auf der Poststation Gragow (Grajewo?) bemerkte man, daß der Wagen des Kaisers wegen des hohen Schnees, der den Weg bedeckte, nur noch mit der größten Schwierigkeit vorwärts zu bringen war; man mußte daran denken, ihn durch einen Schlitten zu ersetzen. Der Kaiser befahl deshalb dem Grafen Wonsowicz, für einen solchen zu sorgen. Der Postmeister theilte mit, daß der Gutsherr des Ortes für seine Tochter, die sich soeben verheirathet hätte, eine sehr bequeme Berline habe bauen lassen, die auf Schlittenkufen stünde. Dieser polnische Herr weigerte sich anfangs, ihn zu verkaufen, welchen Preis man ihm auch dafür bot; den wiederholten inständigen Bitten gab er erst dann nach, als er erfuhr, daß der Wagen für den Kaiser bestimmt war; zur Belohnung verlangte er nur, diesem vorgestellt zu werden. Der Kaiser willigte ein, wollte aber das Geschenk nicht annehmen und ließ ihm 1000 Dukaten oder 10[1] und dem Grafen Wonsowicz ein, der Mameluck [2] nahm auf dem Bocke Platz; das Gefolge, das noch nicht angekommen war, wurde zurückgelassen und traf erst in Paris wieder mit ihm zusammen. Nur der General Lefebvre-Desnouettes konnte in einem kleinen Schlitten, den er sich sofort verschafft hatte, folgen“.
000 Francs geben. Die Berline wurde unverzüglich angespannt, der Kaiser stieg mit dem Herzog von VicenzaBourgoing schildert nun den Verlauf der Reise bis Dresden und den Aufenthalt daselbst und bemerkt noch in Bezug auf den Schlitten (S. 72):
„Da der Schlitten, dessen sich der Kaiser bis dahin bedient hatte, nicht weiter zu brauchen war, wurde er durch einen sehr haltbar auf Schlittenkufen befestigten Hofwagen ersetzt; dieser Wagen wurde aus Keller und Küche des Schlosses verproviantirt“.
Nach diesem Berichte, an dessen Glaubwürdigkeit nicht zu zweifeln ist, war der Schlitten Napoleons eine „sehr bequeme Berline“, das heißt ein viersitziger geschlossener Reisewagen. Das ist also der Schlitten im Stadtmuseum nicht.
Man könnte noch an die Möglichkeit denken, es wäre der kleine Schlitten, in dem der General Lefebvre dem Kaiser folgte. Dagegen spricht aber wiederum nicht blos die leichte Bauart, die ihn überhaupt zu einer weiten Reise im Winter ungeeignet machte, sondern auch [170] der Umstand, daß Lefebvre in Bourgoings Memoiren seit der Abfahrt in Polen nie wieder erwähnt wird; man muß daraus schließen, daß er nicht lange in der Nähe des Kaisers geblieben und jedenfalls nicht mit ihm in Dresden angekommen ist.
Einen Fingerzeig für die Herkunft des Schlittens gibt die Deckeneinfassung, die, wohl nicht ganz zufällig, die Farben grün, roth, silber trägt. Dies sind die Hauptfarben des gräflich Loßschen Wappens. Man wird daher vermuthen dürfen, daß der Schlitten aus dem Haushalte des Grafen von Loß stammt und nur wegen seiner ungewöhnlichen Form und dadurch, daß er sich im Hause lange Zeit erhalten hatte, zu der Ehre gekommen ist, für den Napoleon-Schlitten gehalten zu werden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ siehe auch Dresdner Geschichtsblätter Band 1 Merkwürdige Häuser. Teil III. Kreuzstraße Nr. 10 (gräflich Loß’sches Palais).