Das spanische Mädchen
Als ich im Herbst des Jahres 1854 in Brüssel war, besuchte ich in den Abendstunden gewöhnlich das Café Suisse auf dem Place de Monnaie, wo man neben einer guten Tasse Mocca
und den französischen und englischen Journalen auch einige deutsche Zeitungen fand, welche uns wie gute liebe Bekannte erschienen, die man in der Fremde trifft und mit denen man von der Heimath plaudern kann. So ohne Weiteres bekam ich indessen nicht immer die Zeitungen, denn ein alter Herr von vielleicht einigen sechzig Jahren, dessen gerade, militärische Haltung auch außer dem grauen Schnurrbart und dem rothen Bändchen der Ehrenlegion, das er im Knopfloch trug, den ehemaligen Soldaten verrieth, hatte in der Regel alle Journale, deren er habhaft werden konnte, zusammengetragen und vor sich aufgehäuft, und während er mit der einen Hand das Blatt, in welchem er eben las, hielt, stützte er sich mit der anderen auf die übrigen Blätter, so daß in der That etwas diplomatisches Geschick dazu gehörte, um dem alten Herrn eins der Journale zu entführen. Dabei machte er in der Auswahl der Zeitungen keinen Unterschied, und französische, deutsche,
englische Blätter lagen friedlich neben dem madrider „Heraldo“, ein Beweis, daß der Mann eine große Sprachkenntniß besitzen müsse. Wer die Kaffeehäuser großer Städte besuchte, wird gewiß eine derartige Originalität, einen dieser „Gazettophagen“, wie sie Cuvier nennen würde, gesehen haben. Da der Zufall wollte, daß der Kapitain, dies war er, wie ich später erfuhr, zu gleicher Stunde mit mir das Café besuchte, so entstand ein sonderbares
Verhältniß, eine Art Bekanntschaft zwischen uns, die jedoch die Eigentümlichkeit hatte, daß niemals zwischen uns ein Wort gewechselt wurde. Zuletzt war trotz unseres beständigen Zeitungskriegs die Gegenwart des Einen dem Andern förmlich zum Bedürfniß geworden; es lag ein eigner Reiz für uns Beide in dieser hartnäckigen Vertheidigung und meinen beharrlichen Angriffen.
Eines Tages indessen, als der Kapitain D.... seinen ledernen Beutel mit der Meerschaumkopfpfeife vergessen, wurde unsere bisher stumme Unterhaltung gesprächig. Ich bot dem Kapitain, der vergebens in allen seinen Taschen suchte, und dem ich den Aerger darüber in den Augen las, eine gute Manilla an, die nach einigem Sträuben auch angenommen wurde. Die Zigarre wurde gewissermaßen zur Friedenspfeife, denn von dem Augenblick an hörte unser Zeitungskrieg auf und wir fingen an, mit einander zu sprechen, wobei ich erfuhr, daß der alte Militär unter dem Kaiser gedient und die Feldzüge in Spanien, Deutschland und Rußland mitgemacht, woher auch seine ausgebreitete Sprachkenntniß rührte, da er sich Jahre lang in fremden Ländern aufgehalten. Alte Soldaten sind, wenn man sie nur erst zum Reden gebracht, in der Regel dann sehr gesprächig, und unsere Unterhaltung war im besten Zug, als sich das Café mit einer lärmenden, plaudernden, begeisterten Menge füllte, die aus dem dem Café gegenüberliegenden großen (vor Kurzem abgebrannten) Theatre royal kam und [156] dort die Berühmtheit des Tags, die spanische Tänzerin Pepita de Oliva, die an dem Abend zum ersten Mal in Brüssel aufgetreten, gesehen hatte. Alles war voller Entzücken und der Name der Spanierin auf allen Lippen. Der Unterhaltungsstoff ist ansteckend, wie mancher Krankheitsstoff, und so kam es auch, daß ich den alten Kapitain fragte, ob er nicht Lust habe, morgen mit in’s Theater zu gehen, und die schöne Spanierin zu bewundern. Der alte Soldat zuckte mit den Achseln, ließ eine dichte, blaue Rauchwolke emporwirbeln und murmelte dann:
„Wenn ich noch jung wäre, würde ich mir das Vergnügen nicht versagen, aber ich bin schon ein zu alter Knabe, um mich noch an dergleichen Dingen zu ergötzen – und dann“, setzte er zögernd und mit einem düsteren Ausdruck hinzu, „dann ist sie auch eine Spanierin, und so oft ich ein Weib dieses Volkes sehe, werde ich immer an eine unglückliche Geschichte erinnert, die mir meine Laune Tage lang verdirbt.“
Man kann sich denken, daß diese Worte meine Neugierde heftig erregten, und ich bat den Kapitain um eine nähere Erklärung. Im Anfang wich er aus und schien sich über das schon Gesagte zu ärgern, aber ich ließ ihn nicht los und erfuhr endlich folgende Geschichte, die ich hier so wieder erzählen will, wie ich sie mir an jenem Abend, als ich nach Hause gekommen, in mein Tagebuch aufgeschrieben.
„Es war im Jahre 1809, im dritten der napoleon’schen Feldzüge auf der pyrenäischen Halbinsel. Die französischen Truppen, an der Ostküste herunterrückend, hatten Barcellona genommen und näherten sich Saragossa, in welchem der spanische General Palafox commandirte. Eine düstere, unheimliche Stille lagerte über der Stadt, die sich mit finsterer Entschlossenheit zum Widerstand rüstete. Die Straßen von Saragossa sind bis auf eine, die Hauptstraße, alle schmal, düster und feucht, weil die hohen Häuser von Backsteinen das ganze Jahr keinen Sonnenstrahl hinein fallen lassen. Die einzige del Coso-Straße hat ein heiteres, freundliches Ansehen und schöne, geschmackvolle Häuser, und auf ihr ist auch immer das dichteste, lebhafteste Menschengetümmel. An dem einen Ende dieser Straße stand ein kleines, zweistöckiges Haus, hinter dessen grünen Jalousien man zuweilen einen schönen, blassen Mädchenkopf mit dunklen, feurigen Augen, frischen, rothen Lippen und nachtschwarzen Locken bemerken konnte. In der letzten Zeit mußte das arme Kind einen tiefen Kummer haben, der an ihm nagte, denn wenn sie an das Fenster trat, um ihre Blumen zu begießen, sah man oft in ihren schönen dunklen Augen Thränen schimmern, und häufig saß sie Stunden lang auf einer Stelle, den Kopf in die Hand gestützt und auf einen Punkt starrend, wie über den Gegenstand ihres Schmerzes brütend.
Die Ursache, aus welcher ihre Thränen flossen, war nicht schwer zu errathen. Dolores Lianares, so hieß die junge Spanierin, war, wie damals die meisten spanischen Frauen, eine glühende Patriotin, welche die Franzosen als Unterdrücker ihres Vaterlandes aus dem Tiefsten ihrer Seele haßte. Aber Dolores war neben der Patriotin auch Mädchen, ein spanisches Mädchen mit einem Herzen voll Gluth und Leidenschaft, und dieses feurige, glühende Herz hatte sie einem jungen spanischen Offizier geschenkt, Don Ramon, welcher in einem arragonesischen Regiment diente. Aber Don Ramon, der vor dem Ausbruch des Kriegs auf der hohen Schule zu Salamanca die Rechtswissenschaft studirt hatte, war ein entschiedener Priesterfeind, ein Feind der unbedingten Alleinherrschaft, ein Anhänger jener freien Richtung, die bald nach den französischen Kriegen so mächtig in Spanien auftauchte. Zum Unglück war der Befehlshaber des Regiments, bei welchem Don Ramon als Hauptmann stand, einer jener alten, glaubenseifrigen Spanier, wie sie die Zeiten des Pizarro und Philipp II. sahen, die auf Einflüsterungen eines Mönchs tausende von Indianern und Ketzern morden lassen konnten.
Don Baldomo, das war der Name des Obersten, hatte bald die ketzerischen Gesinnungen seines Hauptmanns kennen gelernt, und bei einer Musterung, die er über das Regiment hielt, warf er dies dem Don Ramon öffentlich in verletzenden Ausdrücken vor der Fronte seiner Compagnie vor und zog ihm außerdem, trotz Ramon’s oft bewiesener Tapferkeit, im Avancement einige junge Hidalgo’s (Edelleute) vor, die zwar weniger Tapferkeit und kriegerische Fähigkeiten, aber desto mehr jenen düsteren Glaubenseifer und Begeisterung für die unumschränkte Alleinherrschaft zeigten, wie sie der Oberst selbst besaß.
Don Ramon war außer sich; nach beendigter Musterung ließ er sich beim Obersten melden, und als er vorgelassen wurde, machte er ihm die bittersten Vorwürfe, verlangte Genugthuung mit dem Degen von ihm, und als ihm der Oberst diese verweigerte, nannte er ihn einen Ehrlosen. Der Oberst ließ ihn in Arrest werfen und wegen Verletzung der Subordination ein Kriegsgericht zusammentreten. Der Spruch war vorauszusehen; das Kriegsgericht aus lauter Gegnern der Ansichten Don Ramon’s zusammengesetzt, konnte nur auf Kassation oder Tod durch die Kugel erkennen. Don Ramon kam ihm zuvor, mit Hülfe einiger treuer Soldaten seiner Compagnie entfloh er aus dem Militärgefängniß und eilte nach der nächsten, von französischen Truppen besetzten Stadt. Mit blutigen Händen und Füßen, zerrissenen Kleidern kam er im französischen Hauptquartier an.
„Wo ist der kommandirende General?“ frug er mit vor Aufregung bebender Stimme den ersten Soldaten, der ihm begegnete.
Man führte ihn in dessen Wohnung.
„General!“ sprach er, „ich bin Spanier, aber ich bin auch Mann, ich bin Soldat. Man hat mich wie einen Elenden behandelt, mich eingekerkert, und nur durch die Flucht konnte ich mich einer entehrenden Strafe oder dem Kugeltod entziehen.“
Und er erzählte die ihm widerfahrenen Unbilden. Es lag damals in der Politik Napoleon’s, junge Männer aus guten spanischen Familien in seine Dienste zu ziehen.
Der General richtete einige Fragen an den jungen Mann, die ihm von der Wahrheit seiner Aussagen überzeugten, und am Abend war er als Adjutant seinem Stab zugetheilt.
Wer vermag den Schmerz der armen Dolores zu schildern, als sie diesen Uebertritt ihres Geliebten zu den Feinden des Vaterlandes erfuhr? Sie zerraufte sich ihr schwarzes Haar, rang die zarten Hände wund und weinte Tag und Nacht. Als sie sich so weit wieder gesammelt, daß sie einige Gedanken fassen konnte, sendete sie durch einen geheimen Boten folgendes Briefchen an Don Ramon:
- „Unglücklicher! Du liebtest also die Fahnen des fremden Unterdrückers mehr als Dein Vaterland, mehr als Dolores? Du eilst in die Reihen derer, die Deine Brüder tödten und Deine Schwestern entehren! – Du bist zum Verräther an Deinem Land, zum Verräther an unserer Liebe geworden! Dolores Lianares wird nie einem Manne angehören, dessen Hand sich roth von dem Blute eines Spaniers färbte – Lebe wohl! Gott und die heilige Jungfrau mögen Dir vergeben und gnädig sein. – Ich kann es nicht. Dolores.“
Als der Kapitain so weit in seiner Erzählung gekommen war, hielt er einen Augenblick inne und zog eine alte Brieftasche heraus, aus welcher er ein altes, vergilbtes Papierblatt nahm, auf welchem mehrere kleine, dunkle Blutflecken zu sehen waren. Es enthielt einige Zeilen in spanischer Sprache und unten am Ende stand undeutlich und kaum leserlich der Name Dolores. Ich betrachtete mit einem gewissen, unwillkürlichen Schauder dies kleine Blättchen und gab es dann dem Kapitain zurück, der darauf in seiner Erzählung fortfuhr:
„Dolores Schmerz wurde zwar mit der Zeit etwas ruhiger, stiller, aber der Gram um den verlornen Geliebten nagte um so gefährlicher im Innern an dem Herzen des armen Mädchens und die besorgten Aeltern, welche die Rosenröthe von Dolores Wangen schwinden und ihre Augen immer thränenfeucht sahen, schickten sie, um ihren Kummer etwas zu zerstreuen, nach dem Kloster der heiligen Anna in dem kleinen Städtchen G., wo eine Tante von Dolores Priorin war.
Dolores kam im Kloster an, aber die kalten feuchten Mauern konnten das Andenken an Ramon nicht ersticken, und das Beten und Messe singen der Nonnen Dolores Schmerz nicht lindern.“
[165] „Es war ein schöner, stiller Juliabend, ein spanischer Sommerabend mit lauer, warmer Luft, tiefblauem Himmel und murmelndem Wellenschlag der Flüsse, die zwischen den grünen Ufern dahinströmten. Der Jasmin und Hollunder hauchten ihren köstlichen Duft aus, und durch die alten hohen Oelbäume des Klostergartens, in welchem Dolores mit ihrer Tante auf und ab ging, wehten leise flüsternde Winde. Die Priorin erzählte, um ihre Nichte von den weltlichen Schmerzen, die sie quälten, abzulenken, die Legenden von der heiligen Paula und der heiligen Bathilde von Frankreich, aber Dolores war eine unaufmerksame Zuhörerin für die frommen Sagen der Priorin, ihre Gedanken waren weit weg bei Ramon, dem verlorenen Geliebten. Tante Felicitas begann eben zum zweiten Male die Geschichte von der heiligen Paula zu erzählen, als ein dumpfer aus weiter Ferne herschallender Donner die Erzählung unterbrach.
„Was ist das?“ riefen erschrocken die beiden Frauen und blieben in banger Spannung horchend stehen.
„Es wird gedonnert haben in der Ferne,“ murmelte unsicher die Tante Priorin.
„Aber ich sehe kein Wölkchen am Himmel,“ entgegnete Dolores, „nicht einmal drüben am Gebirgssaume.“
Die Priorin antwortete nicht, und es vergingen wieder einige Sekunden, bis derselbe dumpfe Knall, aber jetzt schon etwas näher, erschallte. Aengstlich blickten sich die beiden Frauen an und Keine wagte, ihre Befürchtungen auszusprechen, als plötzlich die Pforte des Klostergartens aufgerissen wurde und schreiend und klagend, wie ein Flug gescheuchter Tauben, eine Schaar junger und älterer Nonnen mit dem Ruf: „Man schlägt sich, die Franzosen drängen die Spanier nach unserer Stadt zu!“ hereinstürzten.
Die nun näher und immer näher schallenden Kanonenschüsse bestätigten die Schreckensnachricht, und die bestürzten Nonnen waren noch zu keinem Entschluß gekommen, als der erschrockene Klostergärtner mit bleicher, entstellter Miene die Kunde brachte, daß sich schon einzelne verwundete Spanier durch’s Städtchen flüchteten und man die Ankunft der siegreichen Franzosen, die das spanische Hauptcorps vor sich hertrieben, mit jeder Stunde erwartete.
In diesem Augenblick gewann die Priorin ihre Ruhe wieder und die zitternden Nonnen um sich versammelnd, sprach sie:
„Meine Schwestern! Es ist Euch nicht unbekannt, wie der ruchlose Feind, der bald vor den Mauern dieser Stadt erscheinen wird, weder Scheu noch Furcht vor dem geheiligten Asyl des Klosters hat, welcher Schmach, welchen Mißhandlungen so oft unsere Schwestern in dem Schrecken dieses Krieges ausgesetzt gewesen sind. Ihr würdet selbst in der Kirche nicht vor ihnen sicher sein. Das Einzige, was uns noch retten kann, ist, daß wir uns in der Stadt einzeln bei guten Patrioten verbergen und das Kloster verlassen, bis der Feind wieder abgezogen.“
Einige ältere Nonnen waren zwar im Anfang nicht mit diesem Vorschlag einverstanden, und wollten sich lieber das Märtyrerthum und dadurch den Himmel erobern, als das Kloster verlassen, aber die Mehrzahl der jüngeren Schwestern stimmte der Priorin bei, und in wenigen Minuten darauf waren die weiten hohen Räume des Klosters öde und leer.
Der Tumult und der Sturm des Gefechts zog sich indessen immer näher, spanische Cavalleristen sprengten flüchtend und mit verhängtem Zügel durch die Stadt, Kanonen und Munitionswagen und Pulverkarren fuhren in verwirrter Eile durcheinander und die wenigen Compagnien der Spanier, welche den Rückzug deckten, wurden von dem feindlichen Kartätschenfeuer und dem der französischen Tirailleurs, die jetzt auf den Höhen erschienen, hart mitgenommen. Geschrei und Aechzen der Verwundeten, der Commandoruf der Befehlshaber, das Trommeln und der Signalruf der Hörner hallte dazwischen, von Zeit zu Zeit wurde Alles durch den Kanonendonner und das knatternde Gewehrfeuer übertäubt, bis ein begeistertes „vive l’Empereur!“ den Sieg der Franzosen verkündete.
Dolores hatte von dem Fenster eines Hauses auf dem Marktplatz die Niederlage und den Rückzug der Ihrigen mit angesehen. Schmerz, Scham, Haß gegen die Sieger erfüllten ihr stolzes, patriotisches Herz und trieben eine glühende Röthe auf ihre blassen Wangen. Mit düsteren Blicken betrachtete sie, noch immer am Fenster stehend, die einrückenden Colonnen – als sie plötzlich erbleichte, einen tiefen, stechenden Schmerz im Herzen empfand und dann wieder eine dunkle Purpurröthe auf ihren Wangen brennen fühlte. – Dicht unter ihrem Fenster hielt ein französischer Offizier auf schaumbedecktem Roß, mit flatterndem Federbusch und der Adjutantenschärpe um die Schultern. – Dolores stand wie festgewurzelt und betrachtete den Offizier, der, wie es schien, einem der Commandeure einen Befehl des Generals überbrachte. In diesem Augenblick hob wie durch Zufall auch der Offizier seine Augen nach dem Fenster, an welchem noch immer Dolores, bald bleich, bald roth werdend, stand. Ein schneller Ruf der Ueberraschung flog über seine Lippen, er legte die Hand auf’s Herz, warf einen raschen Blick auf das Haus, um sich sein Ansehen genau in’s Gedächtniß einzuprägen und sprengte davon. Dolores sank auf das Sopha, bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen und murmelte, indem Thränen und Schluchzen ihre Stimme fast erstickten:
[166] „Er war es – er war es – er mordete heute seine Brüder.“ Nach einer Weile wurde sie ruhiger und die Hand auf die Brust legend sprach sie: „Still, Herz, vergiß den Verräther!“ – Die Liebe zum Vaterlande mag bei dem Mann zwar eine hohe, mächtige Leidenschaft sein, der er Alles und auch das Theuerste opfern kann, aber bei einem Weibe wird sie selten so stark sein, um zu einem Frauenherzen zu sagen: „vergiß den, welchen Du liebtest“ – und dann auch den Geliebten vergessen können.
So viel Mühe sich auch Dolores gab, Don Ramon’s Andenken aus ihrer Seele zu verbannen, so sah sie doch immer seine Gestalt vor ihren Blicken auftauchen, und ein jäher Schreck, ein Schreck aus Freude und Angst flog durch ihre Seele, als sie beim Einbruch der Nacht wohlbekannte Tritte auf der Treppe hörte und gleich daraus Don Ramon, die Thür öffnend, in’s Zimmer trat. Aber als sie ihn nun vor sich sah in der verhaßten französischen Uniform, in der Farbe der Unterdrücker ihres Landes, verschwand jene weiche Empfindung und das Feuer der Entrüstung loderte wieder in ihr auf. Don Ramon sah bleich und bewegt aus, er schritt auf das junge Mädchen zu und indem er sich auf ein Knie vor ihr niederließ, flüsterte er:
„Dolores!“ Aber diese wich einen Schritt zurück und ihn mit Blicken von glühender Entrüstung betrachtend, rief sie:
„Was willst Du hier, Verräther, dessen Hand noch rauchend von dem warmen Blut Deiner Brüder? Fort aus meinen Augen, bringe den Namen Dolores nicht mehr über Deine Lippen, ich habe aufgehört, für Dich zu leben, von dem Augenblicke an, wo Du diese Uniform mit den Farben des Vaterlandes vertauschtest.“
Dunkle Röthe überzog bei diesen Worten das Gesicht des jungen Offiziers.
„Dolores!“ rief er, „höre mich, ein Wort von mir, bevor Du mich verurtheilst – der Richter gestattet es dem Verbrecher, kannst Du es mir verweigern?“
Und er erzählte dem jungen Mädchen die Beleidigungen, die Kränkungen, die er von seinem Obersten hatte erdulden müssen und die ihn unter Frankreichs Fahnen getrieben. Seine lebhafte Schilderung bewegte Dolores, aber sie erweichte sie noch nicht.
„Wohlan“ rief sie aus, „ich glaube, was Du sagst, aber warum ließest Du dem Vaterland entgelten, was ein Einzelner verbrochen? – Es giebt nur ein Mittel, wodurch Du meine Liebe wieder erlangen kannst.“
„Sprich, sprich, Dolores!“ rief, von Leidenschaft und Liebe überwältigt, Ramon – aber verlange nichts, was gegen die Ehre ist; Barmherzigkeit, meine Dolores, ich will Alles opfern, mein Leben, es ist das Einzige, was ich noch habe, nachdem ich Dich und das Vaterland verloren – nur meine Ehre verlange nicht zum Opfer!“
„Deine Ehre?“ antwortete das leidenschaftliche Mädchen. „Was ist Ehre – nur im Dienste des Vaterlandes giebt es Ehre, Du verlorst sie, als Du diese Uniform anzogst. Was Du „Ehre“ nennst, ist ein leerer Begriff, ein Nichts, ein Köder, mit dem Euch Euer Tyrann an sich fesselt!“
„Dolores, Dolores!“ stammelte Ramon, „Du machst mich wahnsinnig, Du raubtest mir das Letzte, was mir geblieben.“
„Sei ruhig und höre,“ antwortete Dolores, „und willigst Du in das, was ich verlange, so bin ich Dein, Dein auf alle Zeiten!“
„Dolores,“ rief Don Ramon, „spanne mich nicht länger auf die Folter! In wenig Stunden muß ich fort, mit Depeschen meines Generals – es ist eine gefährliche Sendung, ich muß durch von Spaniern besetzte Orte, vielleicht bringt sie mir den Tod – raube mir nicht diese wenigen Minuten des Glücks, denke an die schönen Zeiten zu Saragossa, an jene Abende, wo wir an den Ufern des Guerva Hand in Hand gingen, von Liebesglück und heiterer Zukunft träumten, wo wir –“
„Schweig,“ unterbrach ihn Dolores, die fürchtete, sich durch die Erinnerung an jene schönen, vergangen Tage erweichen zu lassen, „schweig und höre – Du gehst noch heute Nacht, wie Du sagst, mit Depeschen Deines Generals ab – Du kommst, wie Du sagst, durch Orte, die den Spaniern ergeben – wohlan, ich habe hier einen Brief an den Commandanten der nächsten spanischen Garnison, es ist ein Verwandter von mir, ich werde ihn in das Futter Deines Rockes nähen und Du wirst ihn durch einen sicheren Boten an seine Adresse befördern. – Ich kann es nicht, denn die ganze Gegend ringsherum wimmelt von französischen Streifcorps.“ –
„Dolores, Dolores, was verlangst Du?“ rief schmerzlich Don Ramon, „nur das nicht, Verrath an meiner Fahne.“
„Gut, so gehe, Unglücklicher,“ rief entrüstet Dolores und stieß ihn von sich.
„Dolores, was machst Du aus mir?“ stammelte erschöpft Ramon, den die Liebe überwältigte – „verstoße mich nicht – ich willige ein.“
„Du willigst ein?“ jauchzte Dolores und flog an Ramon’s Brust, „Du willigst ein – Dank, Dank Dir, mein Ramon, nun bist Du wieder mein, Du, mein Einziger, mein Geliebter.“ Und die lang unterdrückte Glut der jungen Spanierin brach unaufhaltsam hervor, und mit feurigen Küssen hing sie an dem Munde des jungen Offiziers, der sie bebend vor Leidenschaft in seine Arme schloß. – – –
Mehrere Stunden vergingen so den Glücklichen. Da schlug die Uhr der alten Klosterkirche Mitternacht und verkündete dem Offizier, daß ihn die Pflicht rufe. – Der bittere Augenblick der Trennung war gekommen.
„Leb’ wohl, mein Geliebter, leb’ wohl,“ flüsterte das junge Mädchen, den letzten Abschiedskuß ihm gebend, „lebe wohl! Ich bleibe ewig Dein!“
„Lebe wohl! Dolores – lebe wohl – vielleicht auf immer,“ murmelte von trüben Ahnungen bewegt der junge Mann und ging – Dolores sah ihm nach, so lange ihr Blick seinen weißen Federbusch in der Dunkelheit erkennen konnte.
Aber der Besuch Don Ramon’s bei Dolores war nicht unbeobachtet geblieben – eine Patrouille hatte ihn aus dem Hause gehen sehen, und da man auf alle im Heere dienenden Spanier ein sehr wachsames Auge hatte, so meldete man dies dem General. Der General empfing die Meldung ruhig und ließ Don Ramon mit den Depeschen abreisen, schickte ihm aber unmittelbar eine Reiterpatrouille nach, die ihn anhalten und untersuchen sollte.
In Träumereien über Dolores versunken, ritt Ramon langsam durch den Morgennebel dahin, als er mit einem Mal den Schall von Huftritten hört; in der Meinung, daß es Spanier, greift er zu seinen Pistolen und lockert den Säbel in der Scheide, aber das: qui vive! mit welchem man ihn anruft, sagt ihm, daß es Franzosen. Eine düstere Ahnung befällt ihn – aber er sucht sich zu fassen. Der Führer der Patrouille zeigt ihm den Befehl des Generals. Unwillkürlich erbleicht Don Ramon und – man untersucht ihn, und in dem Futter seines Rockes findet man den Brief Dolores an den spanischen Befehlshaber.
„Sacre bleu!“ flucht der Wachtmeister, „das wird eine schlimme Affaire – Also links um, nach dem Hauptquartier.“
Und der Trupp, Don Ramon als Arrestanten in der Mitte, reitet wieder nach G. zurück. – Augenblicklich wird ein Kriegsgericht zusammen gerufen, und der Wirbel der Trommeln ruft die Truppen, welche bei der voraus zu sehenden Execution zugegen sein sollten, unter die Waffen.
Die traurige Geschichte fliegt, obgleich es noch am frühen Morgen, mit grausiger Eile durch die Stadt, von Mund zu Mund – die Bürger ballen ingrimmig die Fäuste und die Frauen beten ein Vaterunser für die Seele des Unglücklichen.
Im Quartier des Generals sitzen die Offiziere noch beim Kriegsrath zusammen, und da Don Ramon sein Vergehen eingesteht und nicht läugnet, so soll eben das Urtheil gesprochen werden, als vor der Thür die Stimme eines Mädchens gehört wird, die einen lauten, heftigen Wortwechsel mit der Schildwache hat. „Laß mich hinein!“ ruft sie in stürmischer Erregung, „laßt mich hinein, es gilt das Leben eines Unschuldigen zu retten. – Um der heiligen Jungfrau willen, laßt mich durch.“
Der General, der den Lärm hört, wendet sich zu einem der Offiziere und spricht:
„Lassen Sie das Mädchen hereintreten.“
Die Thür wurde geöffnet und herein stürzte mit aufgelöstem Haar, das über den weißen Nacken herunterfiel, in leichtem Morgenkleid, über welches in der Eile eine schwarzseidne Mantille geworfen war, in bloßen Füßen, wie sie vom Bett aufgesprungen – Dolores und warf sich zu den Füßen des Generals.
„General,“ sprach sie in fliegender Eile, „Ihr wollt einen Unschuldigen morden – Don Ramon ist unschuldig an dem Vergehen, das ihm zur Last gelegt wird – ich schwöre es Euch bei dem Haupte meiner Mutter. – Wir lieben uns, ich bin seit einem Jahr seine Verlobte. – In vergangener Nacht war er bei mir, [167] mir ein Lebewohl zu sagen – ohne daß er es wußte, was der Brief enthalte, der, wie Ihr seht, an einen Lianares, an einen Verwandten von mir, adressirt ist, verbarg ich ihm das Schreiben in seiner Kleidung. – Er ist unschuldig wie das Licht der Sonne – wie das neugeborne Kind auf dem Schooß der Mutter –“
Ramon, der unten am Ende des Zimmers zwischen zwei Unteroffizieren stand, hatte ihrer Rede mit dem Ausdruck des Entsetzens zugehört. – Bei dieser Selbstanklage erstarrte ihm das Blut in den Adern, er kannte die Strenge der französischen Militärgesetze.
„Mein General,“ rief er in peinlicher Angst, „hört nicht auf die Worte dieses armen Mädchens, dem der Schmerz über mein Geschick das klare Licht der Vernunft geraubt! – Ich, ich allein bin der Schuldige, ich wußte was der Brief enthielt – ich wollte das Vergehen gegen mein Land wieder sühnen, den Verrath gegen Spanien, durch Verrath gegen Frankreich tilgen.“
Bei den letzten Worten, die der unglückliche mit sichtlicher Anstrengung gesprochen, wurde er todtenbleich und seine Knie bebten; um seine Dolores zu retten, opferte er den letzten Rest seiner Ehre. – Was er von dem Sühnen des Verraths sprach, war nicht wahr, nur aus Liebe zu Dolores hatte er den Brief übernommen. – Das junge Mädchen aber rief:
„Glaubt ihm nicht, glaubt ihm nicht – er will sich opfern, um mich der verdienten Strafe zu entziehen, aber Ihr werdet gerecht sein, General, und keinem Unschuldigen das büßen lassen, was ich verbrach.“
Der General und die Officiere sahen sich gerührt an – aber der Fall wog zu schwer – das offene Geständniß Don Ramon’s lag vor, überdies durfte man schon um des Beispiels willen solche Vergehen nicht ungeahnt lassen, das Kriegsgericht erkannte einstimmig auf „Tod durch die Kugel.“ – Bei diesem Ausspruch stürzte Dolores mit einem herzdurchdringenden Schrei an Don Ramon’s Brust, preßte ihm einen letzten Kuß auf die Lippen und sank dann bewußtlos nieder. Ihre herbeigeholten Verwandten trugen sie in ihre Wohnung.
Eine Stunde später tönte dumpfer Trommelwirbel durch die Straßen, es war das Commando, welches Don Ramon hinaus vor die Stadt führte, zur Execution. Der Lieutenant, der das Peloton befehligte, ging mit düsterem Blick an der Spitze des Zugs, Don Ramon war sein Freund. – Aber er mußte seine traurige Pflicht erfüllen, denn man hatte es ihm befohlen. An der Stelle angelangt, wo schon eine tiefe Grube gegraben war, flüsterte der Verurtheilte dem Lieutenant noch ein paar Worte in’s Ohr, dann trat er an die Grube, und das weiße Tuch, welches ihn die Augen bedecken sollte, zurückweisend, kommandirte er mit fester Stimme: „Feuer!“ – Die Grenadiere hatten gut gezielt, er fiel ohne Laut. – Dann kommandierte der Offizier: „Gewehr auf!“ und das Peloton marschirte wieder zurück, während der Leichnam in der Grube, in welche er gefallen, liegen blieb – unbedeckt, ohne eine Hand voll Erde – des Beispiels willen und zur Abschreckung, wie der Befehl des Generals lautete. – Aber am anderen Tag war der Leichnam verschwunden.
Bauern, die vorübergegangen waren, behaupteten am Abend als der Mond hinter den Gebirgen aufgestiegen war, eine seltsame Gestalt um den Leichnam herum irren gesehen zu haben. Andere wollten ein junges Mädchen mit lose flatterndem Haar in der Nähe der Grube gesehen haben, dabei ein traurig klingendes, altspanisches Liedchen singend – mit eigenthümlicher Melodie, die wie das Lied einer Wahnsinnigen geklungen habe.
Mehrere Tage später fanden spanische Soldaten in der Tiefe einer Schlucht, unweit des Guerva ein junges, schönes Mädchen, halbnackt, mit blutigen Händen und Füßen, einen schon zum Theil in Verwesung gegangenen Leichnam bewachend. Sie sang dabei ein Lied, und als sich die Soldaten näherten, suchte sie ängstlich mit dem Leichnam, den man ihr, wie sie glaubte, rauben wollte, zu entfliehen. – Aber die Soldalen holten sie ein und brachten sie in das Irrenhaus zu Saragossa. Dort blieb sie einige Tage und wurde eines der Opfer, die bei dem Brand des Irrenhauses – durch das französische Bombardement – umkamen. Es war Dolores.“
Der Kapitain schwieg und stand auf, drückte mir schweigend die Hand und wollte fort.
„Noch ein Wort,“ bat ich.
„Sprechen Sie.“
„Wie kamen Sie in den Besitz des Briefchens von Dolores an Don Ramon, das Sie mir zeigten – es waren Blutflecke darauf?“
„Ich fand es in der Brieftasche des Unglücklichen, die ich ihm unmittelbar nach der Execution aus der Uniform nahm, um sie seiner Mutter zuzustellen. Es ist das einzige, was ich als Andenken an meinen unglücklichen Freund behalten. Ich war der Lieutenant, der das Executionscommando kommandirte.“