Zum Inhalt springen

ADB:Kopp, Joseph Eutych

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Kopp, Joseph Eutych“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 685–690, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kopp,_Joseph_Eutych&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 18:57 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Kopp, Joseph
Nächster>>>
Kopp, Karl Philipp
Band 16 (1882), S. 685–690 (Quelle).
Joseph Eutych Kopp bei Wikisource
Joseph Eutych Kopp in der Wikipedia
Joseph Eutych Kopp in Wikidata
GND-Nummer 113668961
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|16|685|690|Kopp, Joseph Eutych|Gerold Meyer von Knonau|ADB:Kopp, Joseph Eutych}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=113668961}}    

Kopp: Joseph Eutych K., schweizerischer Geschichtsforscher, geb. am 25. April 1793 zu Münster (Kanton Luzern), † am 25. Oct. 1866 zu Luzern. Aus sehr einfachen Verhältnissen hervorgegangen, widmete sich K. nur unter Entbehrungen höheren Studien, zuerst in Luzern, dann seit 1812 in Freiburg im Breisgau, wo er als Philolog mehr glaubte gewinnen zu können. Von 1814 auf 15 folgte ein Aufenthalt in Paris; dann aber mußte der Unbemittelte nach einer festen Anstellung sich umsehen. 1816 kam K. zuerst in das berühmte Fellenberg’sche Institut zu Hofwil als Lehrer, wo er mit seinem Collegen Kortüm sich befreundete, 1817 aber an die Secundarschule von Zurzach im Kanton Aargau. 1819 endlich erlangte er die Lehrstelle für classische Philologie am Lyceum in Luzern, und zwar begleitete ihn zu seiner Genugthuung der College zu Zurzach, Leonz Füglistaller († 1840 als Propst in Luzern), ein höchst begabter, geistig angeregter Mann, welcher auf germanistischem Felde für die Anlage eines schweizer-deutschen Idiotikon thätig war, sich seinem Freunde Stalder (s. den Art.) dabei behülflich erwies, von dessen Beherrschung des Lateinischen die geradezu meisterhafte Uebertragung der Schiller’schen Glocke Zeugniß ablegt. Trotz der 25 Jahre Altersunteischied war K. dem älteren Genossen enge befreundet. – Allein so gewissenhaft und pflichttreu K. diesem seinem bis in hohes Greisenalter besorgten Lehramte sich widmete, so lag doch das Feld, auf welchem er eine bleibende Bedeutung gewinnen sollte, nicht in diesem Bereiche seiner Berufsstudien. In einer eigenthümlichen Weise entwickelte sich seine Thätigkeit auf demjenigen Gebiete, mit dem sein Name auf alle Zukunft verbunden bleiben wird. Seit 1826 hatte K. in der „Zuger Zeitung“ kleinere historische Arbeiten herauszugeben angefangen und dabei noch gänzlich der feststehenden Ueberlieferung über die ältere schweizerische Geschichte sich angeschlossen, allerhöchstens etwa in einigen Noten leise Zweifel sich erlaubt. 1828 hernach war von ihm, als ein Lehrbuch für Schulen abgefaßt werden sollte, „Der Geschichten schweizerischer Eidgenossenschaft durch Johannes Müller wörtlicher Auszug für Schulen und Liebhaber“ (Luzern) erschienen. Denn er war noch, wie er später selbst schrieb, „so gläubig im Sinne der bisherigen Geschichtsauffassung, wie nur einer“: „niemand kann betroffener sein, als ich es wurde, da die gleichzeitigen Quellen, welche allmählich an das Tageslicht traten, das Bild jener Zeit mit anderen Zügen erscheinen ließen“. Denn der Plan, für die bevorstehende Feier der 500jährigen Zugehörigkeit Luzerns zur Eidgenossenschaft – 1832 – eine Festschrift abzufassen, führte ihn um 1830 zuerst in die Archive. K. konnte von sich bekennen, daß er nie eigentlich historische Studien gemacht, nie auch nur ein historisches Colleg auf der Hochschule gehört: um so unbefangener trat er an die Quellen heran, und rasch war seine ganze Stellung zur Frage eine andere geworden. Sehr bald rang er sich von den bisher noch fest gehaltenen Autoritäten los und schrieb schon 1833 an den Berner Forscher Wurstemberger (s. den Art.): „Unserem Gilg Tschudi muß man auf die Finger schauen. Die kecke Zuversicht, mit der er auftritt, und die ehrliche Miene, die er sich gibt und die er wirklich hat, täuschte mich lange; und wen nicht? Darum wäre es durchaus nöthig zu wissen, welches bei jeder Erzählung seine Quelle ist; dann würde man freilich manchmal auf saubere Gewährsmänner stoßen. Und nun deren Sagen, welche jene mit keiner oder einer falschen Zeitrechnung erzählen, nimmt Tschudi auf und weist ihnen eine bestimmte Zeit [686] an, ohne dem arglosen Leser auch nur ein Wörtchen ins Ohr zu raunen. Darum wohl hat auch Müller, nur weil er Tschudi für diplomatischer hielt, als er ist, sich so leicht täuschen lassen. Und nun wage es einer, aus Tschudi und Müller das widersinnige Zeug herauszuschaffen“. K. selbst machte sich daran, das zu thun, indem er eine Geschichte der eidgenössischen Bünde zu schreiben sich vornahm, welche von 1273 bis 1336 reichen sollte. Schon wuchs sein Material in erfreulicher Weise an; zahlreiche Anknüpfungen mit Forschern und Sammlern innerhalb und außerhalb der Schweiz dienten zur Förderung und Ermuthigung (allerdings erst im Sommer 1837 hob die für K. wichtigste und günstigste Verbindung, diejenige mit Böhmer in Frankfurt – vgl. Bd. III. S. 76–78 – an). K. war jetzt seiner Aufgabe völlig gewiß. An Chmel konnte er, als er sich ihm brieflich am 1. März 1834 vorstellte, melden: „Es fallen z. B. weg die Bedrückungen König Albrechts gegen die drei Länder, weg die sauberen Geschichten der Landvögte, weg das Scheußliche der sogen. Blutrache, und Königin Agnes wird von dem Besudeln ihres Charakters errettet“. An Wurstemberger hatte er schon vorher geschrieben: „Das Gebäude muß abgetragen werden, welches Tschudi und nach ihm Müller aufgeführt haben. Aus dem Schutte der Chroniken, der dann übrig bleibt, muß das Brauchbare wieder hervorgesucht werden; und im Einklange damit und mit den bisher bekannten oder auch nicht bekannten Urkunden muß ein neues Gebäude aufgeführt werden, welches, wenn auch eben nicht überaus schön (das mag ich gar nicht versprechen), doch gewiß licht, wohlgefügt und zusammenhängend mit den übrigen Werken erscheinen soll, oder ich müßte mich über mich selber gröblich täuschen“. Zunächst aber schickte nun K. der zusammenhängenden Darstellung 1835 ein Bändchen: „Urkunden zur Geschichte der eidgenössischen Bünde“ (Luzern) voraus, und hier schon tritt, was von seinen Leistungen überhaupt das Bleibende sein wird, Akribie, Sicherheit der kritischen Beleuchtung, sorgsame Erläuterung der wesentlichen Einzelheiten, des historischen Zusammenhanges, glänzend zu Tage. Unter den 82 abgedruckten und erörterten Stücken ist das 21., dessen Zugehörigkeit zu 1291, statt zu 1251, wie Tschudi sich die Sache zurecht gelegt oder gar zurecht corrigirt, K. schon 1832 erkannt hatte. Gerade hier, bei diesem Bunde von Uri und Schwyz mit Zürich, tritt aber auch einer der Fälle, wo sonderbare Unbelehrsamkeit und böser Trotz in scheinwissenschaftlicher Hülle K. verunglimpfend begegneten, vor die Augen: noch im achten Jahre nach des Forschers Tode hielt ein Altdorfer Dilettant öffentlich die Zahl 1251 hartnäckig fest (vgl. Geschichtsfreund der fünf Orte, Bd. XXXI u. XXXII). – Nach der Aufrichtung dieses „Marksteins einer neuen Aera der Schweizer Geschichtsforschung“ folgte 1839 der von K. bearbeitete erste und dann sehr lange allein gebliebene Band der „Amtlichen Sammlung der älteren eidgenössischen Abschiede“, über die J. 1291–1420 (Luzern: 1874 in neuer Bearbeitung nach erweitertem Plane durch Segesser publicirt). Inzwischen aber hatten nun, während das Hauptwerk stets noch in Vorbereitung stand, Beifall und Angriffe schon um die Ergebnisse des Bändchens der „Urkunden“ sich gesammelt, denn mit der Auslöschung eines in Küßnach regierenden Geßler, mit der gänzlichen Wegräumung der Vögtegeschichten bei 1308 war ja auch die Tell-Episode schon mit in Frage gezogen, von der gesammten Fragenreihe diejenige Stelle, wo ein mißverstandener Patriotismus oder denkfauler Autoritätenglaube am meisten Anlaß zu eigentlicher Agitation gegen den ruhig arbeitenden Forscher boten. Ueber all das setzte sich K. hinweg, sogar als in seinem Auftreten für die historische Wahrheit politische Gefahren oder gar gemeine Selbstsucht des wissenschaftlichen Entdeckers gesehen werden wollten. Anders verhielt es sich, wenn die Einwendungen von beachtenswerther Seite und in würdiger Form kamen, wie es bei den Erörterungen des Baslers Heusler (vgl. Allg. d. Biogr. Bd. XII. S. 338 u. [687] 339) der Fall war. Doch nicht nur diese Polemik, soweit sich K. überhaupt zu antworten entschloß, sondern noch andere Ursachen verzögerten das Erscheinen eines ersten Theiles der Geschichte der Bünde. – Erstlich betheiligte sich K. eine Zeit lang sehr ernsthaft an der mit den vierziger Jahren erfreulich neu erwachenden Thätigkeit der schweizerischen geschichtsforschenden Vereine. Als 1840 die allgemeine geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz neu erstand, wurde K. alsbald als Mitglied der Redactionscommission bestellt, ohne dann freilich an den Arbeiten derselben theilzunehmen, er verhielt sich von da an mehr reservirt, zuletzt ganz ablehnend, auch als später die von ihm längere Zeit beharrlich neu angebrachten Wünsche – 1852 ein zusammenhängendes Arbeitsprogramm – wenigstens theilweise zur Ausführung gelangten. Dagegen stand ihm der 1843 in Luzern begründete historische Verein der fünf Orte der Urschweiz, für dessen Vereinspublication, den ersten Band des „Geschichtsfreundes“ (1843 u. 1844), er das Meiste leistete, um so näher, als er der eigentliche Gründer der Vereinigung war. Dann aber zog er sich – persönliche Gründe kamen noch hinzu – auch hier zurück. – Doch noch eine zweite Abhaltung von der geistigen Hauptthätigkeit – daneben stand stets das Schulamt als erster Anspruch an die Arbeitskraft – ergab sich in diesen Jahren. Schon 1828, noch in der Zeit der Restauration, hatte K. ein erstes Mal, als Großrathsmitglied in die Prüfungscommission des Gesandtschaftsberichtes ab der Tagsatzung gewählt, eine wohl erwogene politische Berichterstattung verfaßt. In der Umgestaltungsperiode schrieb er 1831 als Mitglied des Verfassungsrathes, seiner vermittelnden Auffassung gemäß, eine auch historisch werthvolle Denkschrift über „Luzerns Stellung zur Landschaft“, trat dann aber zurück. Erst durch die neue Umwandlung von 1840 (vgl. den Art. Leu) wurde er wieder in das politische Leben gezogen, 1841 als Verfassungsrath erwählt und im Mai des Jahres auf dem Grunde der ausgeprägter demokratisch gestalteten Verfassung als Mitglied des Regierungsrathes bestellt. Aber bezeichnend war es für den aufrichtigen Bekenner katholischer Confession, welchem im Uebrigen „der Gottesfriede als Grundlage des neuen Staatsgesetzes“, d. h. die enge Beziehung zwischen Staat und Kirche in dem neu geschaffenen Systeme, entsprach, daß er als vorsitzendes Mitglied des Erziehungsrathes einer hauptsächlichen und in ihren Nachwirkungen bedenklichen Maßregel der von Sigwart-Müller (s. den Art.) beherrschten politischen Richtung sich widersetzte. 1842 und 43 gehörte er der verneinenden Gruppe, gegen die Berufung der Jesuiten an die höheren Lehranstalten Luzerns, an und urtheilte, daß er eine ganze oder theilweise Uebergabe der Schulen „für den Anfang eines nicht zu berechnenden Unglückes für den Kanton Luzern“ ansehe. Aber diese Minorität unterlag, und K. selbst mußte ungern genug Ende 1844 den Vertrag mit der Gesellschaft Jesu als Regierungsrath unterzeichnen. Er sehnte sich aus der Behörde hinweg und trat im Mai 1845 in das Privatleben zurück. Vorher noch war er, als in der Nacht vom 31. März zum 1. April, im zweiten Freischaarenzuge, die gegen die Regierung von Luzern aufgebrochenen Angreifer vor Luzern standen, so seelenruhig gewesen, daß er, als der Rath nächtlich auf dem Rathhause beisammen war, an einem Druckbogen corrigirte. – Erst mit diesem Rücktritte in das Privatleben begann nun, nachdem die Weidmann’sche Buchhandlung hatte gewonnen werden können, 1845 die Veröffentlichung der „Geschichte der eidgenössischen Bünde mit Urkunden“, oder: „Der Geschichten von der Wiederherstellung und dem Verfalle des heiligen römischen Reiches erstes (u. s. f.) Buch“ (Leipzig). Nacheinander kamen 1845, 1847, 1849 vier Bücher über Rudolf (das fünfte erst 1871 aus dem Nachlasse durch Arnold Busson bearbeitet); dann aber trat eine Stockung ein, weil das Werk keinen genügenden buchhändlerischen Markt gefunden hatte. Nachdem nur 1851 ein zweites Bändchen „Urkunden zur Geschichte der eidgenössischen Bünde“ (im Archiv für Kunde österreichischer [688] Geschichtsquellen, Bd. Ia) erschienen war, begründete K. 1854 „im Vereine mit mehreren Mitarbeitern“ – neben dem treuen Freunde Aebi ist voran Segesser zu nennen – die „Geschichtsblätter aus der Schweiz“, welche in zwei Bänden bis 1856 dauerten und es ermöglichten, in einzelnen Bogen, als Beigabe zu der Zeitschrift, Buch IX und X, Heinrich VII. und Friedrich und Ludwig bis 1322, erscheinen zu lassen (Luzern). Indem darauf 1856 Böhmer den ihm durch die Wedekind’sche Stiftung zugewiesenen Preis für die Kaiserregesten, noch in „Originalverpackung und Versiegelung“, ganz zuwies, wurde die Fortsetzung des Druckes bei dem früheren Verleger möglich. So kamen 1858 Friedrich und Ludwig 1322–1330, 1862 Adolf und Albrecht nach (Berlin). Einzig Buch XII steht auch jetzt noch aus, ist aber soeben – 1881 (Verleger Felix Schneider in Basel) – in der Drucklegung begriffen. Besorgt von Professor Rohrer *), wird das Buch ein Denkmal nicht nur für K., sondern auch für dessen liebevollen Biographen Aloys Lütolf sein, welcher über der Fortsetzung der Aufgabe dahinschied. – Darüber, daß dieses große Werk eine der bedeutendsten Leistungen gelehrten Fleißes, eines sorgsamen Sammelns, gewissenhaftesten Arbeitens sei – dafür spricht die vergleichende Durchsicht der auf der Luzerner Bürgerbibliothek liegenden successiven Redactionen, in der zierlich steifen Handschrift des Autors –, ist volle Uebereinstimmung vorhanden. Aber gegen Anlage und Geist desselben bleiben doch viele Einwendungen aufrecht, und wer es zu benutzen in der Lage ist oder gar eine zusammenhängende Lesung versuchen wollte, wird stets das Urtheil von Waitz als richtig anerkennen: „Wesentlich ist das Werk nur eine Aneinanderreihung von Quellennachrichten, aber nicht nach einer chronologischen oder einer anderen mehr äußerlichen Ordnung, sondern allerdings in einer Weise, die wohl anzeigt, daß es der Verfasser auf eine Darstellung abgesehen hat, zu der er sich aber aus der Fülle der Einzelheiten nicht zu erheben vermag: gerade die Vollständigkeit, nach der er strebt, gibt seiner Arbeit etwas Zufälliges und Unbefriedigendes“. Wer einer Einzelnotiz, bei dem Mangel von alphabetischen Verzeichnissen, nachzugehen gezwungen ist, unterschreibt auch gerne das Urtheil des neuesten Geschichtsschreibers von Baiern, daß diese Bände „unübersichtlich und betäubend durch die Massenhaftigkeit des nicht genügend gesichteten Stoffes“ seien. Der treueste Freund und mildeste Beurtheiler, Böhmer, spricht einmal, wol gegen seine Absicht, die schärfste Verdammung der durch K. immerhin als „Darstellung“ bezeichneten Nebeneinanderlegung von Einzelheiten aus, daß die Arbeit „freilich nicht lesbar“ sei, „weil sie Allgemeines und Besonderes in unbegreiflicher Weise durcheinander schlingt (man kann doch sonst nicht zugleich durch einen Tubus und durch ein Mikroskop sehen), und sich auf ergänzende und die Resultate ziehende Betrachtung gar nicht einläßt“. Und doch konnte K. noch in diesen späteren Jahren dazwischen vorzügliche kleinere Untersuchungen schaffen, so in seinen „Geschichtsblättern“ die Artikel „Zur Tell-Sage“ und deren Beilage „Die Geßler“. Aber daneben war auch der Standpunkt des Verfassers, der in derselben von der höchst nothwendigen Polemik gegen Tschudi und Müller ausgegangen war, in vielen Hauptstücken ein unrichtiger. Zur Ausmerzung der früheren Verunglimpfungen gegen Habsburg und Oesterreich bemühte sich jetzt K. hier als „Vindex veritatis“ aufzutreten und so gerieth er vielfach in das entgegengesetzte Extrem. Schon die Bezeichnung der Zeit von Rudolf an als eine „Wiederherstellung des Reiches“ ist, aus dem wahren Zusammenhang der deutschen Geschichte gesehen, ein Irrthum gewesen, und als nun die als „Reichspolitik“ sich darstellenden territorialen Interessen des 1273 neu erwählten Königs und seines Hauses mit anderen Factoren zusammenstießen, [689] mochten es die verfassungsgemäß gleich gut begründeten Rechte von Uri oder Schwyz, oder mochte es das Gotteshaus St. Gallen, oder mochten es gar völlig entgegenstehende Mächte, König Adolf, König Ludwig der Baier, sein, da hörte K. nur zu rasch auf objectiv zu sein, und er konnte so weit gelangen, mitunter auch Quellennachrichten Gewalt anzuthun. Dergestalt hat denn, bei allem äußeren monumentalen Gewichte des Buches, dasselbe nur geringes Glück gehabt und ist ihm nur mit Einschränkung ein bleibender Werth zuzuschreiben.

Man begreift auch den Ausdruck der Verwunderung in einem Briefe des Verlegers – Sal. Hirzel – an K., als derselbe sich ihm zuerst nach einer anderen Seite zeigte: „Nichts konnte mir überraschender kommen, als Sie mit einem Male als dramatischen Dichter vor mir zu sehen“. Schon in jungen Jahren war in K. die Lust am Dichten erwacht, und seine Vorliebe für das Dialogische führte ihn zu Versuchen in dramatischer Form. Nach 20jährigem Zurücktreten des poetischen Schaffens kam dann aber, als mit 1850 jene Verschiebung der historischen Arbeit eintrat, hinwieder die dichterische Thätigkeit zur Geltung. Mit schon früher entstandenen Stücken erschienen diese neuen Arbeiten 1855–1866 in vier Bändchen als „Dramatische Gedichte“ (Luzern). Von denselben hat besonders die 1850, 1851 und 1852 entstandene Reihe: „Das Lager vor Basel“, „König Rudolf, erster, zweiter Theil“, Interesse, da hier, um wieder Böhmer’s Worte anzuführen, eine „Ergänzung der Geschichte Rudolfs“ vorliegt. Aber freilich auch hier wieder sprach Böhmer, K. selbst gegenüber, das schärfste Urtheil aus. Denn diese dramatischen Gedichte waren nicht nur nicht, was K. von Böhmer beurtheilt wissen will, „darstellbar oder theatralisch“, sondern auch als Lesestücke zu breit und unbeweglich. Böhmer faßt sie als „dramatische Geschichtserzählung, die nur etwa so zur Poesie gehört, wie der historische Roman“: „Sie wollten die Wahrheit geben. Sie sind Historiker geblieben und wählten nur eine andere Form, in welcher wir nun finden, was die Meisten in Ihrer Geschichte vergeblich suchen, eine Geschichte König Rudolfs“. – In stiller Zurückgezogenheit, oft den Mangel größerer Anregung an seinem Wohnorte schwer empfindend und doch durch rührende Anhänglichkeit an die Heimath daselbst festgehalten, hatte der bescheidene und äußerlich höchst anspruchslose, aber, wie manche Aeußerungen beweisen, doch ziemlich empfindliche Mann ein höheres Alter in unverminderter Kraft erreicht. Nur selten hatte eine größere Reise – 1845 nach Wien, 1847 nach Turin, besonders 1858 nach Rom zur Hebung neuer Materialien, deren Mangel auch den längeren Aufschub der Geschichte veranlaßt hatte – dieses Stillleben unterbrochen, und einen durch Feil (Bd. VI S. 603) ihm zu Stande gebrachten Ruf nach Wien an die Universität, 1852, hatte er, gewiß in richtiger Erkenntniß seiner selbst, abgelehnt, da er in Luzern allzu fest gewachsen sei: „Wie ein groß gewachsenes und verwöhntes Kind müßte ich, wenn ich in Wien lebte, Jahr aus Jahr ein (wie unser Sprichwort sagt) heimgehen, „go d’Mueter luege“. Dagegen erhielt er 1856 ein jährliches Ehrengeschenk von tausend Gulden aus Wien zuerkannt. Immer noch besorgte K. neben den umfassenden historischen Arbeiten seine Lehrstelle, bis durch Böhmer’s, des treuesten, hülfreichen und verständnißvollen Freundes Tod – 1863 – auch für K. die Krisis beschleunigt wurde. 1865 mußte der schwer kranke Greis seinen Rücktritt vom Amte nehmen, der ihm in ehrenvollster Form gewährt wurde. Aufs Treueste von seiner Familie besorgt – Gehen und Schreiben wurde ihm unmöglich – behielt er bis nahe vor dem Ende die Theilnahme für wissenschaftliche Fragen bei. Die Zuwendung eines Honorars für die noch ausstehenden Bände der Geschichte, zur Ermöglichung des Erscheinens derselben, im Mai 1866, war eine Genugthuung schöner Art: „Mögen Sie darin nur einen Beweis sehen, welchen Werth die Freunde deutscher Geschichte alle auf die Fortsetzung des begonnenen [690] Werkes legen“, schrieb Waitz an K.; aber von eigner Thätigkeit konnte keine Rede mehr sein. Vor dem Beginne des Winters erlöste der Tod den, so lange er vermocht hatte, unermüdlichen Arbeiter, dessen Forschung für die Geschichte seines Landes einen neuen Boden geschaffen hat, von fernerem Leiden. Mit großer Liebe verfaßte der seither gleichfalls verstorbene A. Lütolf (s. d. Art.) das inhaltreiche Buch „Joseph Eutych Kopp als Professor, Dichter, Staatsmann und Historiker, mit Beilagen“ (Luzern 1868); allein es muß gesagt werden, daß in demselben mehr noch ein Werk der Pietät als ein streng objectives Bild entgegentritt.

Vgl. auch das umfangreiche Material in Janssen, Böhmer’s Leben, Briefe und kleinere Schriften (vgl. Jahrbuch für die Litteratur der Schweizergeschichte, 2. Jahrg., ed. Meyer von Knonau, S. 104–114). Das beste Urtheil über Kopp als Historiker gab Waitz, Götting. Gel. Anz. 1857, Stück 72–75.

[688] *) Rohrer’s beklagenswerth früher Tod – am 3. September 1882 – rückt die Vollendung abermals weiter hinaus.