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ADB:Hebel, Johann Peter

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Artikel „Hebel, Johann Peter“ von Jacob Achilles Mähly in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 188–195, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hebel,_Johann_Peter&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 02:28 Uhr UTC)
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Hebel: Johann Peter H., wurde am 10. (11.?) Mai 1760 zu Basel geboren. Seine Eltern waren in dem Dorfe Hausen (6 Stunden von Basel in der damaligen Markgrafenschaft Baden-Durlach gelegen) heimisch; der Vater, aus Simmern auf dem Hunsrück gebürtig, seines Berufes wahrscheinlich Weber, hatte im Hause und Dienste eines Major Iselin in Basel, den er als Diener nach Flandern, an den Niederrhein und nach Corsika begleitet hatte, Hebel’s spätere Mutter, die dort als Magd angestellt war, kennen gelernt. Im Sommer hielten sich die beiden Eheleute in Hausen auf und besorgten ihren bescheidenen Haus- und Feldstand; im Winter, wo es daheim wenig zu arbeiten und zu verdienen gab, fanden sie jeweilen freundliche Aufnahme und lohnende Beschäftigung bei ihrer alten „Herrschaft“. Auch der Dichter H. ist zeitlebens der Erinnerung an sein liebes Basel treu geblieben und spricht noch in seinem Todesjahre davon, sich in Basel zur Ruhe setzen zu wollen, „heim“, d. h. eben nach Basel zu kommen, denn in Basel sei er „daheim“. Schon im Jahre nach Hebel’s Geburt starb der Vater, und die Mutter hatte Mühe, sich und den Knaben ordentlich durchzubringen. Da galt es arbeiten am Schmelzofen, Holz lesen, Kohlen tragen, überhaupt durch Arbeit etwas verdienen. Die Mittel reichten gleichwohl aus, den Knaben, nachdem er der Dorfschule entwachsen war, nach Schopfheim in die lateinische Schule zu schicken; ab und zu erhielt er auch in Basel Unterricht. Bald nach dem Tode seiner treuen Mutter (1773), einer nicht blos frommen sondern auch verständigen Frau, kam H. als Schüler in das Gymnasium illustre nach Karlsruhe (1774). Hier nahm sich seiner, auch für das Materielle, besonders der Hofdiaconus Preuschen an. Der junge H. nahm lebhaften Antheil an der „lateinischen Gesellschaft“ (der später berühmte Namen, wie Aug. Böckh angehörten); in den Acten der Societät finden sich vier Reden von ihm, die noch kein specifisches theologisches Gepräge haben, wenn auch H. bereits fest entschlossen war zum Studium der Theologie. Diesem Gebiete sind die Thesen entnommen, über die er, übungsgemäß, vor dem Abgang zur Universität (1778) zu disputiren hatte. Die Universitätsjahre in Erlangen (1778–1780) scheinen für H. mehr eine Zeit fröhlicher Erholung als strengen Studiums gewesen zu sein; immerhin bestand er, wenn auch nicht glänzend, sein Examen. Eine Zeit lang lebte er nun in ziemlicher Verschollenheit als Hauslehrer zu Hertingen im Markgrafenland und tauchte erst im J. 1783 als Präceptoratsvicar in Lörrach wieder auf. Die acht Jahre, die er hier und in dieser Stellung zubrachte, sind die an Keimen, Anregungen, Eindrücken fruchtbarsten und gesegnetsten seines Lebens geworden. In Lörrach und Umgebung liegt der, wenn auch einstweilen unbewußt eingeheimste Stoff zu den „Alemannischen Gedichten“. Nicht, weil Lörrach der Verwaltungssitz des ganzen „Wiesenthales“ war, sondern weil eben dieses liebliche Wiesenthal, Land wie Leute, ihm jetzt erst recht vertraut und zu dem Fleckchen Erde wurden, auf das alle seine Anschauungen und Empfindungen sich bleibend concentrirten. Das freundliche, gewerbreiche Städtchen Lörrach, dessen nahe Anhöhen einen herrlichen Ausblick nach der Schweiz, dem Elsaß und hinein in die Thäler des Schwarzwaldes gewähren, bezeichnet den Eingang in das eigentliche Wiesenthal, das, bis Schopfheim weit und offen, sich dort zu einer engen Schlucht zusammen zieht, durch welche die Wiese strömt. Die Wiese! Hebel’s Leser wissen, welche Fülle von [189] Ideen und Motiven sich für H. an diesen Fluß knüpft! In Lönach wird nun auch zwischen H. und vertrauten Freunden jener „Geheimbund“ der Proteuser geschlossen, dieser absonderliche, curios anmuthende Kreis mit seinen eigenen Siegeln, seinen Zeichen, seinem Wörterbuch, dem H. auch in Karlsruhe stets treu ergeben blieb, als „Stabhalter“ und „Parmenides“ („Parmenideus“). So wenig dergleichen Bündlerei und Kinderei dem modernen Geschmack entspricht, so sehr lag es damals in der Luft, und das Beste an der Absurdität war, daß sie wenigstens unschuldig war. Die Freunde, die H. hier kennen lernte – und auch die Freundinnen, wie Gustave Fecht, die Schwägerin des „Proteusers“ Güntert, die eine lange Zeit hindurch vom Gerücht als Hebel’s einstige Lebensgefährtin bezeichnet war – blieben es fürs Leben. Warum H. in Lörrach sich mit dem Gedanken trug, „noch umzusatteln und Medicin zu studiren“, ist nicht klar; es war auf jeden Fall zu spät damit, als er mittelst Decrets 1791 als Subdiaconus nach Karlsruhe berufen wurde. Sein Lehrtalent hatte ihm diese Berufung verschafft. Mit seiner neuen Stellung als Lehrer der altclassischen Sprachen, des Hebräischen, der Rhetorik und der Naturgeschichte war auch die Pflicht zum Predigen verbunden. Der Empfang und die ersten Erfahrungen in der Residenz waren nicht gerade erhebend, aber Hebel’s eminentes Lehrtalent stimmte bald milder und aufmerksamer gegen den Mann ohne Namen. Seine Ernennung zum Professor der Dogmatik (1798) bewies, daß man auch an maßgebender Stelle mit ihm zufrieden war. Ein Gelehrter im strengen Sinne war H. weder jetzt noch später; dazu fehlte ihm, unter anderem, der Sinn für erschöpfende Gründlichkeit, für Vertiefung ins Einzelne – aber als Lehrer war er ein Muster und Meister. Allein neben seiner Lehrthätigkeit begann ihn jetzt noch ein anderes lebhaft zu beschäftigen: das Heimweh kehrte bei ihm ein, und unter seinem Einfluß bekam allmählig das, was er in Gedanken und Empfindungen aus seinem Wiesenthal nach der Residenz mitgebracht hatte, Farbe, Gehalt und Körper: es reiften die „Alemannischen Gedichte“. Zu Anfang des Jahres 1803 erschienen sie zum ersten Mal. Sie verdienen, daß auch hier etwas dabei verweilt werde. H. nennt seinen Dialect mit Recht den alemannischen und gibt ihm gleichfalls mit Recht die Ausdehnung, daß er herrsche „in dem Winkel des Rheins zwischen dem Frickthal und ehemaligen Sundgäu und weiterhin in mancherlei Abwandlungen bis an die Vogesen und Alpen und über den Schwarzwald hin in einem großen Theile von Schwaben.“ Es ist natürlich, daß innerhalb dieses Complexes wieder der „Sprachgesang“ sich mannigfach abstuft, und wiederum natürlich, daß der Dichter den „Ton“ wählte, der ihm in seiner eigenen Heimath (d. h. in demjenigen Winkel, wo seine Jugendtage sich abspielten), in die Ohren klang; es ist dies die Gegend nordöstlich von Basel (in ziemlicher Beschränkung), und die Sprache ist die des „Wiesenthales“ mit dem Jargon der Stadt Basel vermischt. In Hebel’s Sprache klingt viel mehr specifisch Baslerisches, als man annimmt, und dies erklärt sich aus seinen Jugendeindrücken. Einheimische und Kenner fühlen diese Besonderheit sofort heraus aus dem Bestreben, die ursprünglich kurzen Vocale zu längen. Die Regeln und Gesetze, unter welchen, die Ausdehnung, innerhalb welcher dies geschieht, sind Fragen, die hier nicht erörtert werden können, wol aber muß bemerkt werden, daß selbst Sprachgelehrte, die nicht im Lande einheimisch sind, durch Unkenntniß dieser Thatsache sich zu falschen Schlüssen (auch in Betreff Hebel’s) haben verleiten lassen, so z. B. Götzinger. Nimmt man in den Hebel’schen Gedichten den Kehllaut ch, der statt des k besonders als An- und Auslaut (hier sogar als K ch), einzutreten pflegt, nimmt man ferner die trübere Aussprache des Diphthongen ue (ü), den die Basler stets mit dem hellen i oder ie vertauschen, aus, so nähert sich keine der in jenem oben angedeuteten Umfang vorkommenden Sprachnuancen [190] dem Hebel’schen Dialect mehr, als gerade die in der Stadt Basel, Hebel’s zweiter Heimath, gesprochene.

H. ist nicht der erste Dialectdichter der Zeit nach; der Gedanke, den Dialect auch schriftlich zu verwenden und besondere Wirkungen damit zu erzielen, ist viel älter, und selbst in der speciellen Sphäre dichterischer Anwendung hat H. auf deutschem Gebiet Vorgänger gehabt, die er kannte, so J. H. Voß, der in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts schon plattdeutsche Idyllen schrieb, und Grübel in Nürnberg, der Stadtflaschner und Volksdichter, der kurz vor H. seine Gedichte erscheinen ließ und, wie H., an Goethe seinen Recensenten fand. Gerade in Basel trat schon im J. 1749 eine periodische Wochenschrift kräftig ein für die Sprache des Volks, d. h. für Anwendung der Dialecte in der Poesie und eine zweite, bald nach jener in Basel erschienene Zeitschrift („Der helvetische Patriot“) hat den Dialect wirklich herbeigezogen und in solcher Weise verwerthet; auch Herder hat in seiner Sammlung von Volksliedern bereits mundartliche aus der Schweiz, und im J. 1797 hatte Ignaz Andr. Fellner, Professor zu Freiburg, Lieder in der alemannischen Mundart seiner Heimath in die Welt hinausgeschickt. Allerdings war der Dialect schriftlich nicht zuerst im Dienste der Muse aufgetreten, sondern er hatte zunächst didactische Zwecke erfüllt; er hatte der politischen und sonstigen Aufklärung des Landvolkes gedient; aber H. war in seinem Griff wie man sieht, durch Beispiel und Vorgang hinreichend gerechtfertigt und geschützt. Er würde sich übrigens trotz seines bescheidenen Wesens nicht gescheut haben, auch ohne Beispiel vorzugehen, denn seine Lieder sind, wie er selbst gesteht, Kinder des Heimwehs, einer Herzensangelegenheit, und darum nothwendig und nothwendig gerade in der innern Art und in dem äußern Gewand wie sie auftreten, d. h. eben in seinem lieben Dialect. Und dieser war in der That nicht blos das äußere Gewand, das ihm die Farbe und das Gepräge seiner Heimath wieder vor die Seele führte und ihn über die steiferen Formen der Residenz hinwegtäuschte in die schlichten Verhältnisse seines „Wiesenthales“ hinein, sondern in diesen Lauten plätscherte auch ein Quell – nicht blos anders für das Ohr, sondern auch sein Inhalt war anders, war duftiger und weihevoller, als wenn er in den Lauten des Schriftdeutsch gerauscht hätte. Im schriftdeutschen Ausdruck hätte ein naives und kindlich empfindendes Gemüth, wie H., die Unmittelbarkeit nicht gefunden, deren es zur Entfaltung seines Seelenlebens bedurfte; Ausdruck und Empfindung, gerade wo diese sich im beschränkten Kreise der heimischen Erfahrung, der idyllischen Stimmung bewegt, sind – und waren also auch bei H. – von Anfang an so verwachsen, daß eine Sprache, die nicht die des ursprünglichen Denkens und Fühlens ist (und wäre es auch die immerhin vornehmere und würdevollere Muttersprache), nur unter beiderseitigem Zwang sich als Vermittlerin brauchen läßt, unter beiderseitigem: denn auch sie leidet, wird steif und gezwungen, vollends aber der natürliche Laut der Empfindung wird gebrochen, wie der Lichtstrahl durch das Wasser, und seine Frische wird gedämpft. Der Dialect hat ein beschränktes Terrain, auf dem er im Schriftgewand walten und schalten darf: Hebel’s Größe beruht zum Theil auch darin, daß er mit feinem Tact die Grenzen desselben eingehalten und das Gebiet des Nachbars, d. h. der Nachbarin, der deutschen Schriftsprache, respectirt hat. Gestreift hat er es in nur wenigen Gedichten, wie „Vergänglichkeit“ und „Der Wächter um Mitternacht“, wo man finden mag, daß einzelne Laute etwas exotisch klingen. Die Dialectpoesie darf keine großen und tiefen Gedanken entwickeln und keinen kühnen Flug wagen in die Aetherhöhen der Phantasie. Das köstliche Gestein, das aus dem Schachte des Herzens gebrochen wird, muß ihr genügen; denn sie muß dem Volke verständlich sein und sein Eigenthum werden, Fleisch von seinem Fleisch und Blut von seinem Blut. Nicht blos für „Freunde ländlicher Natur und [191] Sitte“, wie H. auf dem Titel seiner Gedichte schreibt, sondern für solche auch, ja für solche zunächst ist die Dialectpoesie bestimmt, die jene Natur und jene Sitte an und in sich selber spiegeln und üben, d. h. für das Volk. H., der vom Staub des Katheders und der Kanzlei zu der Sommerfrische seines Dorfes, zu den „Feldblumen“ seines Ackers und zum traulichen Verkehr mit „Land und Leuten“ zurückkehrt, ist ein „Erlöser des Volksgeistes durch dichterische Kraft“ geworden. Wenn in seinem Dichterstrauße auch „blüthenloses Gras“ sichtbar wird, so gehört auch dieses, „inter fructus folia“, zur Volkspoesie, denn so, gerade so muß es auch draußen in der Natur beschaffen sein, von der das Volk lebt; sie kann nicht ausschließlich Blüthen und Früchte, sie kann nicht nur und allein Sonnenschein brauchen. Mit der richtigen Abgrenzung sollte aber auch zugleich die richtige Abschätzung dieser Gebiete gegeben sein. H. darf in seiner Art als vollkommen gelten, weil er diesen kleinen Kreis gerade mit dem Inhalt ausgefüllt hat, der als der passendste bezeichnet werden muß: naives, volksthümliches Empfinden ohne Süßlichkeit und Empfindsamkeit, frisch wie die Natur und wahr wie sie und doch, trotz dem Leben mitten in ihr, vielmehr gerade darum, keine Spur ungesunder Schwärmerei für sie, kein romantisches Sichhingeben an sie, kein Aufgehen in ihr, kein Ausklingen der Menschenseele. H. verliert den Menschen nie aus dem Auge, er läßt ihn nicht, wie etwa die Romantiker, unter seinen Händen verduften, sondern die Fäden, die sein gesundes Naturgefühl an diese oder jene Erfahrung anknüpft, münden immer nur im Menschenherzen oder im Haus wo Menschen wohnen. Das wollte auch Goethe sagen mit seinem, wenn auch derben Ausdruck, daß H. „das Universum verbaure“. Wenn H. die Natur schildern will, so geschieht dies nur im Gefühl ihres Einflusses auf das Leben und Treiben der Menschen, nicht in der trockenen, unpoetischen, descriptiven Art, die Erscheinung neben Erscheinung, Eindruck neben Eindruck zergliedert; bei H. nehmen auch die Phasen der Natur concrete Menschengestalt an; das ächte Dichterauge Hebel’s zeigt sich nirgends klarer und schärfer als in seinen Personificationen. Er arbeitet hier, wie weiland die mythenbildende Kraft im Menschengeiste arbeitete, aber er hat es ihr nicht abgelernt, sondern es ist dies ureigene dichterische Intuition. Was er andern ablauschte (wie z. B. dem Theocrit) ist ihm weniger gerathen. Er hat, instinktgemäß, möchte man sagen, selten fehlgegriffen; – es ist auch geschehen (vgl. die „Hauensteiner Bauernhochzeit“), geschehen auch in den moralischen Anhängseln zu manchen Liedern, obschon Goethe darin merkwürdigerweise eine Tugend erblickt! – und darum kann er auch in seiner Sphäre als canonisch, das heißt, er kann (allerdings auch in Berücksichtigung seines „rheinischen Hausfreundes“) als das Muster eines Volksdichters gelten. Daran hat Goethe wohl kaum gedacht, als er seine bekannte Recension der alemannischen Gedichte in der Jenaischen allg. Litt.-Ztg. schrieb, eher noch Jean Paul. Hierin also liegt Hebel’s Größe und seine Schranke, die aber jener keinen Eintrag thut. Der erste schriftlich, d. h. gedruckt vorhandene Versuch Hebel’s, im Dialect zu dichten, ist wol das bei Aufhebung der Leibeigenschaft durch Markgraf Karl Friedrich (1783) verfaßte Danklied, zu einer Zeit also, wo er sich noch in der „Heimath“ befand. Merkwürdig ist die Aeußerung in einem seiner Briefe, daß er sich kein zweites Bändchen zu Stande zu bringen getraue: „Der erste heilige Anflug des Genius ist schnell an mir vorübergegangen“ – wir vernehmen an derselben Stelle, daß schon damals Versuche gemacht wurden, seine Gedichte ins Hochdeutsche umzusetzen, und daß er sogar selber mit einem solchen voranging. Sie sind sammt und sonders als mehr oder weniger verunglückt zu bezeichnen, und wer sich in den Herzschlag der Dialektdichtung zu versetzen vermag, wird begreifen, warum. Auch die Mahnung Goethes, das Umgekehrte zu wagen, d. h. schriftdeutsche Gedichte zu Nutz und [192] Frommen des Volkes in den Dialect umzusetzen, muß als verfehlt bezeichnet werden. Man muß der Schriftsprache geben, was der Sprache, und dem Dialect, was des Dialectes ist. Hebel’s große Bedeutung beruht ja auch darauf, daß er das Locale nie verließ; Voß hat dies gethan, er hat, consequent, auch den plattdeutschen Dialect nach grammaticalischen Gesetzen umgedichtet, und schon darum ist er in der Wirkung weit hinter H. zurückgeblieben. Was er vor H. voraus hat, ist sein streng rhythmisches und metrisches Gefühl. Gleichwol ist H. hier keineswegs gleichgültig oder gar flüchtig gewesen; wenn auch seine Hexameter der strengen metrischen Prüfung nicht immer Stich halten, so hat er doch gesucht, sein Gefühl durch Zucht und Uebung zu schulen. „Ich studire unsere oberländische Sprache grammaticalisch“ – schreibt er im J. 1801 – „ich versificire sie, Herculeum opus! in allen Arten von Metris!“ – und doch war seine Natur auch später, wo er als Lehrer der altclassischen Litteratur auf Schritt und Tritt Veranlassung hätte finden sollen, sich mit der Wissenschaft der Metrik vertraut zu machen, schlechterdings zu einem strengen Studium derselben nicht angethan; ein metrisches System zu ergründen und in sich aufzunehmen war er nicht im Stande, wie denn überhaupt Gründlichkeit und Akribie im Wissen mit seinem innersten Wesen sich nie vereinbaren wollte.

Die Folgen und die Erfolge der „alemannischen Gedichte“ sind viel größer gewesen, als H. es erwartete, jene größer, als er es jemals ahnte, wenn wir darunter die Anregungen zur Nachfolge verstehen. Diese zu verfolgen und zu fragen: wer hat sich durch Hebel’s Vorgang und leuchtendes Beispiel begeistern lassen, auf dem Gebiet deutscher Zunge, von der Schweiz bis zum norddeutschen Plattland, von Usteri und Kuhn bis zu Klaus Groth und Fritz Reuter seiner dichterischen Muse das Gewand des Dialekts umzulegen, ist nicht dieses Ortes, wol aber darf und soll die Thatsache erwähnt werden, daß das Beispiel des großen Volksdichters mächtig wirkte. Die Erfolge konnte H. an den neuen Auflagen ermessen. Hiebei muß natürlich der Maßstab damaliger Zeit angelegt werden; was die neuere Zeit an Zahlen bietet, kann für die ersten Decennien dieses Jahrhunders nicht gelten. H. selber hat zu fünf Auflagen das Vorwort geschrieben (daneben hatte auch er von Nachdruck zu leiden); neue „Ausgaben“ seiner Gedichte werden noch stets nöthig; die von H. selber veranstalteten brachten nicht unbedeutenden Zuwachs zum ursprünglichen Bestand. Die erste Auflage erschien zu Anfang des J. 1803 in Karlsruhe, ohne eigentliche Nennung seines Namens auf dem Titelblatte, mit den bloßen Initialen J. P. H., und der Dedication: „meinem lieben Freund, Herrn Berginspector Herbster, und dann meinen guten Verwandten, Freunden und Landsleuten im Wiesenthal zum Andenken gewidmet“. Die zweite große Leistung Hebel’s in volksthümlicher Darstellung ist sein „Rheinländischer Hausfreund oder Neuer Kalender mit lehrreichen Nachrichten und lustigen Erzählungen“, Karlsruhe 1808–1811. 4° – hernach unter dem Titel: „Rheinischer Hausfreund, oder allerlei Neues zu Spaß und Ernst“ (Kalender auf 1814 und auf 1815). Die Jahrgänge bis 1811 wurden zusammengestellt im: „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“, Tübing. 1811, gr. 8. Dieser „Hausfreund“, d. h. nichts anderes als die „Lesestücke des badischen Landkalenders“ würde genügen, um H. für immer einen Ehrenplatz in der deutschen Litteratur zu sichern. Diese goldene Volksthümlichkeit nach Sprache, Behandlung, Inhalt ist bisher kaum erreicht, geschweige übertroffen worden; für das Rohmaterial des Inhalts ist H. besonders dem „Rollwagenbüchlein“ Wickram’s zu vielem Dank verpflichtet. Jene ist es zunächst, die Jacob Grimm (in seiner Grammatik) veranlaßt hat, unserm alemannischen Dichter in der Geschichte der deutschen Sprache eine so bedeutende Stelle anzuweisen. In der That, diese Schriftstücke, mögen sie nun Erzählungen oder Schilderungen, mögen [193] sie Ernst oder Humor, Schwänke und Schnurren oder wie sonst gefärbt sein – sie enthalten vollzählig alle die richtigen und gesunden Elemente, deren das Volk zur geistigen Nahrung und Erquickung bedarf. Man kann wohl diesen Humor an einzelnen Zipfeln fassen, daß er uns Rede steht über den Zauber, den er ausübt, und daß er uns Blicke thun läßt unter den Schleier seines Geheimnisses, aber das ganze Arcanum als solches wird doch nicht erschaut und zergliedert, sondern nur gefühlt. Was hilft es, zu erkennen, daß in allen diesen Kalenderstücken eine Sprache herrscht, die den Nagel gerade auf den Kopf trifft, die mit den einfachsten Mitteln das größte erreicht, daß sie alle durchzogen und gewürzt sind von einer heitern Lust an Menschen und Dingen, daß der Schalk nie beleidigt, nie ein persönliches Stichblatt braucht und dennoch souverän schaltet, daß sogar der Gauner- und Galgenhumor uns behaglich anweht und seine Conflicte mit der „strafenden und richtenden Macht“ dieser Erde, will sagen der Polizei, keineswegs verletzen? Die Hauptsache wäre eben, zu wissen, wie bringt das der Schriftsteller zu Stande? und hier läßt uns unsere Weisheit gar oft im Stich. Wohl merken wir etwa: hier liegt die Wirkung in der Umstellung des gewöhnlichen Satzverhältnisses, dort in einem absichtlichen, aber prächtig applizirten Sprachfehler, an einer andern Stelle in einem plötzlichen Sprung in mediam rem – aber diese Hausmittelchen, die wir etwa erhaschen können, machen noch lange nicht den Hebel’schen Apparat aus. Man stelle z. B. die Gaunergeschichten eines Zundelfrieder, Heiner, rothen Dieter, Zirkelschmidt zusammen mit der Erklärung des Weltgebäudes; es sind das doch gewiß zwei ganz verschiedene Sphären, und gleichwol welche virtuose Darstellung in beiden! Interessant ist dabei die Beobachtung, daß H. diese Arbeit nicht spontan übernahm, sondern einigermaßen dazu gezwungen wurde. Das Gymnasium illustre nämlich, an dem er lehrte, hatte seit Jahrzehnten das Recht, alle Schulbücher sowie den Kalender für die Markgrafschaft zu drucken und zu verkaufen. Ein hoher Gönner, dem die Haltung des Kalenders nicht gefiel, veranlaßte H., sich desselben anzunehmen; auf Hebel’s Vorstellung, die Bearbeitung dieser Volksschrift einem fähigen Landgeistlichen zu übertragen, hielt ihn die oberste Kirchen- und Schulbehörde für den geeigneten Mann, und H. durfte den Auftrag nicht ausschlagen. Schon der Jahrgang 1807 ist ganz von H., mit 1808 erhielt der Kalender den neuen Titel und größeren Umfang. Die Verbreitung war eine für die damaligen Zeiten völlig außerordentliche, so daß die Behauptung „die in das geschmeidige Silber der Prosa gesetzten Kleinodien des Schatzkästleins“ hätten kein so großes Publikum gefunden, wie „die goldgefaßten alemannischen Gedichte“, mehr als gewagt erscheint. „Der Adjunct“, und die „Schwiegermutter“, die seit dem Jahrgang 1811 so häufig als Mithelfer des „Hausfreunds“ auftreten, sind bestimmte Persönlichkeiten, denen H. diese kleinen Ovationen darbrachte (der erstgenannte der württembergische Gesandtschaftssecretär Kölle, ein Freund und Beisteurer von Anekdoten, die Schwiegermutter die dramatische Künstlerin Händel-Schütz, seit lange Hebel’s Freundin). Ein ärgerlicher, durch übergroße und unmotivirte Empfindlichkeit der Curie herbeigeführter Vorfall – plötzliche Sistirung des Verkaufs wegen der Erzählung „Der gute Rath“, worin eine Verhöhnung der Religion wahrgenommen wurde – verleidete H. die Lust an fernerer Arbeit (1815). Die folgenden Jahrgänge (1816, 1817, 1818) sind nicht mehr von ihm, wenn sie auch einige Beiträge von seiner Hand enthalten. Auf Zureden seiner Freunde unternahm er noch einmal – zum letztenmal! – die Herausgabe des Jahrgangs 1819. Wenn je ein Volksbuch, so verdiente dieses einmal eine richtige, gediegene Ausgabe mit revidirtem Text und guten Holzschnitten. – Die übrige schriftstellerische Thätigkeit Hebel’s will, verglichen mit der eben geschilderten, [194] wenig bedeuten. Sie ist erstens liturgischer und dogmatischer Natur, zweitens umfaßt sie seine Predigten (diese etwas steif und trocken, hie und da gemüthlich ansprechend, aber ohne Schwung); ein gutes Buch sind die zuerst 1827 bei Cotta erschienenen „Biblischen Geschichten“; hier finden wir den populären Darsteller in seinem Elemente (eine neue Bearbeitung von G. Längin erschien 1873 in Karlsruhe). Mit dem Erscheinen der alemannischen Gedichte – um den fallen gelassenen Faden wieder aufzuheben – war H. ein viel gekannter, bald auch berühmter Name geworden. Die Fachgelehrten kannten ihn früher schon; im Jahr 1797 war er von der mineralogischen Gesellschaft zu Jena zum Ehrenmitglied, 1802 von der Gesellschaft der Aerzte und Naturforscher Schwabens zum correspondirenden Mitgliede ernannt worden. Er fuhr fort, nicht blos seine gewöhnlichen Gesellschaften und Reunionen durch Witz und Laune zu unterhalten, Räthsel, Charaden, Xenien (bisweilen herzlich triviale) und Ausflüge in die nähere und weitere Peripherie zu machen, seine alten Freunde, die Proteuser und andere zu cultiviren, neue Freundeskreise (z. B. in Straßburg) zu gewinnen und zu erfreuen, der Jugend zu leben und die Erwachsenen zu erbauen, er fuhr auch fort, auf der Stufenleiter der Ehren zu steigen. Im J. 1808 wurde er Director des Gymnasiums (Lyceums); sechs Jahre später trat er von dieser Stelle zurück und ging in den evangelischen Oberkirchenrath über, in welcher Stellung er die Prüfungen der Lehranstalten des Landes vorzunehmen hatte. Das J. 1819 brachte sodann die hohe Würde eines Prälaten und, da ein solcher die evangelische Kirche vertreten sollte, Sitz und Stimme in der ersten Kammer der Landstände. Diese Stellung führte eine Wandlung nicht in Hebel’s innerm Wesen, wol aber in seinem äußeren Thun und Lassen herbei; er glaubte sich zu größerer Reserve und Zurückgezogenheit verpflichtet. Davon merkten natürlich seine fernen und intimen Freunde und Freundinnen nichts. Sein Lehramt an der Schule legte er erst 1824 gänzlich nieder. Man hört jetzt nichts mehr von der Sehnsucht des „Doctor theologiae“ H. – diese Würde hatte ihm die Heidelberger Universiät 1821 ertheilt – nach einer stillen Landpfarre. Trotzdem mag sich H. im Sitzungssaale der Landstände nicht immer ganz behaglich gefunden haben. Wenn wir ihn auch etwa einmal als Berichterstatter, ein andermal als Antragsteller, dann wieder als Mitglied irgend einer Commission finden, so war die Politik, überhaupt die Oeffentlichkeit in staatlichen oder auch kirchlichen Fragen nicht die Luft, die ihm zum Leben nothwendig oder auch nur gedeihlich war. Sein Sinn war gerichtet auf die Ordnung des innern Menschen; in der Hausluft unter gleichgesinnten Seelen, und draußen im Feld war ihm wohler als in der Atmosphäre des Rathsaales; er war in Folge seiner Erziehung etwas verschüchtert, gegenüber großen Herren, zu wenig selbständig in seinem Auftreten und Fühlen, er hatte die Unterwürfigkeit zu früh eingesogen, um später sein Wesen auf seinen eigenen festen Willen zu gründen; dieser Wille der Selbstbestimmung fehlte ihm; aber dieser Fehler ist kein „Fehler“ im gewöhnlichen Sinne, nichts, das ins Gebiet des Schlechten übergreift, sondern der Ausfall eines Segments aus dem vollen Kreise des Guten. Denn Hebel’s Wesen ist sonst liebenswürdig, Wahrheit, Treue und Güte seine lieben Bekannten. Nicht einmal sein scharfes Verdammungsurtheil über Andreas Hofer darf ihm zu sehr verargen, wer die Signatur jener Zeit, wer die neue Stellung Badens gegenüber Frankreich, wer die damalige Strömung im Lande und wer – gegenüber maßloser Vergötterung – den blinden Fanatismus des Helden ins Auge faßt.

Auf einer Reise von Mannheim her, wo H. den Herbstschulprüfungen beigewohnt hatte, fühlte der schon längere Zeit an Unterleibsbeschwerden leidende H. einen stärkern Anfall des Uebels und erlag demselben im Hause eines Freundes in Schwetzingen am 22. Septbr. 1826. Er hinterließ, außer seinem Ruhme, nicht viel. Der größere [195] Theil seines bescheidenen Vermögens (das Honorar für seine biblische Geschichte) war bei dem Bankerott eines Karlsruher Hauses verloren gegangen. Stiftungen, die er beabsichtigt hatte, wurden theilweise von Freunden und Verehrern anläßlich der Säcularfeier seiner Geburt im J. 1860 ausgeführt (Aussteuerfonds, Lehrgelderprämien, die Kinderbewahranstalt im Hebelhause, der „Hebelschoppen“), andere kamen ihm zu Ehren hinzu, so der Hebelpreis am Lyceum zu Karlsruhe; im J. 1835 erhielt der dortige Schloßgarten den Schmuck eines einfachen Hebeldenkmals, ein Hebel-Album erschien ferner im J. 1857 ebenda; in Schwetzingen wurde dem Dichter im J. 1859 (statt der bloßen Trauerweiden) ein würdiger Denkstein gesetzt, in Basel und Karlsruhe eine Straße nach ihm benannt, die „Hebelshöhe“ bei Schopfheim bald nach seinem Tode verschönert; schon bei Hebel’s Lebzeiten nämlich hatte sie den Namen erhalten, wie auch schon 1810 bei Adelshofen straßburgische Verehrer Hebel’s eine „Hebelinsel“ mit Gartenanlagen hergestellt hatten. – Unter Hebel’s Bildnissen ist zu erwähnen der aus den früheren Jahren herrührende Riepenhausen’sche Kupferstich, besonders aber die (lithographirte) Zeichnung von Agricola (aus dem kräftigsten Mannesalter), die gewöhnlich den Ausgaben der Werke beigegeben ist.

Allgem. Ztg. 1827, Nr. 14–17. – Neuer Nekrolog der Deutschen Bd. IV, S. 520 ff. – H. D(üntzer), Hebel’s Leben als Einltg. zu den alemann. Gedichten (vollständige berichtigte Ausgabe, Leipzig, Dyk, o. J.) – Leben des alemann. Dichters J. P. Hebel (vor der Ausg. der Werke bei Müller in Karlsruhe, 1834 u. 1838). – Aus Hebel’s Briefwechsel, Freiburg 1860. – Fr. Becker, J. P. Hebel, Festgabe zu seinem Geburtstag, Bas. 1860. – Hebel’s alemann. Gedichte, herausgegeben und erläutert von Dr. E. Götzinger. Mit Karte, Aarau 1873. – Hebel’s Leben in der Stuttgarter Ausgabe der Werke von C. Baur, 1872. – Hebel’s sämmtl. Werke m. Einleitung v. G. Wendt, 2 Bde. 3. Aufl. Berlin 1874. – J. P. Hebel, ein Lebensbild von G. Längin, Karlsruhe 1875. – E. Scheurer, J. P. Hebel, Sa vie et ses ouvrages, Par. 1877. – B. Auerbach, Schrift und Volk. Grundz. d. volksthüml. Litt., angeschlossen an eine Charakt. Hebel’s, Leipzig 1846. – F. H. Kahle, Claudius und Hebel, Berl. 1864. – A. Corrodi, Rob. Burns und J. P. Hebel, Berl. 1873. – Klaus Groth, Hebel auf dem Parnaß (in P. Lindau’s Gegenwart. 21. Febr. 1872). – Joh. Müller, Hebel als Theolog für die Theologen, Aarau 1870.