Rabbinische Literatur

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Rabbinische Literatur umfasst im weitesten Sinne das gesamte Spektrum religiöser Schriften jüdischer Gelehrter seit der Entstehung des rabbinischen Judentums ab 70 n. Chr. bis heute. Allerdings wird der Ausdruck oft als genaue Entsprechung des hebräischen Begriffes Sifrut Chasal (ספרות חז"ל; „Literatur [unserer] Weisen, gesegneten Angedenkens“) verwendet, was sich speziell auf die Literatur der talmudischen Ära bezieht. In diesem spezifischeren Sinne wird der Begriff normalerweise in mittelalterlichen und modernen rabbinischen Schriften benutzt (wo Chasal sich in der Regel nur auf die Weisen der talmudischen Ära bezieht) und auch in zeitgenössischen akademischen Schriften (wo mit „rabbinischer Literatur“ der Talmud, Midraschim und verwandte Schriften gemeint sind, aber kaum jemals spätere Werke).

Bezüglich des Inhaltes in der rabbinischen Literatur wird zwischen der Halacha, den gesetzlich-rechtlichen Überlegungen und der Aggada, die bevorzugt narrative Elemente enthält, unterschieden.[1]

Dieser Artikel behandelt rabbinische Literatur in beiden Bedeutungen. Er beginnt mit der klassischen rabbinischen Literatur der talmudischen Ära (Sifrut Chasal) und fügt dann einen breiten Überblick über die rabbinischen Schriften späterer Perioden hinzu.

Die Begriffe Meforschim oder Parschanim werden auch in modernen Jeschiwot (Talmudhochschulen) verwendet und bedeuten dort „rabbinische Kommentare der Kommentatoren“, siehe unten für nähere Erläuterung.

Einteilung und Übersicht

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Es können im Wesentlichen drei Hauptformen in der rabbinischen Literatur, mit den folgenden Genres, unterschieden werden:

Das mündliche Gesetz

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In der literarischen Figur des Moses wurde jenem vom Allmächtigen aufgetragen (2. Mose 34 EU), den Text der Erzählungen, der in der Tora wiedergegeben wird, in zwei verschiedenen Präsentationen darzustellen:

  • „dem aufgeschriebenen Gesetz“, Tora Schebichtaw (hebräisch תּוֹרָה שֶׁבִּכְתָב)
  • „der mündlichen Überlieferung“ Tora Schebaal Pe (hebräisch תּוֹרָה שֶׁבְּעַל פֶּה)

Das „aufgeschriebene Gesetz“ bezieht sich auf die fünf Bücher Moses: Bereschit „Im Anfang“, Schemot „Namen“, Wajikra „Und er rief“, Bemidbar „In der Wüste“ sowie Devarim „Worte“ oder auch Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Die „mündliche Überlieferung“ ist das Ergebnis der Bemühungen des schriftgelehrten Judentums nicht nur die – über die Zeit – verschriftlichte Tora, sondern auch deren mündlich überlieferten Auslegungen, die die schriftliche Tora jeweils reinterpretieren und auf die aktuellen sozialen und kulturellen Situationen anwendbar machen, niederzuschreiben. So etwa belegt in der Gemara, die den Text der Mischna erläutert und ergänzt.[3] Die „mündliche Tora“ dient der Auslegung der „schriftlichen Tora“.

Nach dem Fall des Herodianischen Tempels im August des Jahres 70 n. Chr. und den kulturell-religiösen Zerstörungen während und um den Bar-Kochba-Aufstand von 132 bis 136 n. Chr., unter der Führung des Simon bar Kochba (dem dritten jüdisch-römischen Krieg), durch das Imperium Romanum und seiner Armee drohte die Gefahr, dass das mündlich überlieferte Wissen verlorengehen könnte. Deshalb unternahmen Gelehrte, zumeist des rabbinisch-(pharisäischen) Judentums (Tannaim[4]), den Versuch auch an verschiedenen Orten, etwa Jawneh (Jabne) später Usha, die mündlichen Traditionen Israels zu kompilieren und entgegen aller Bedenken auch schriftlich zu fixieren und zu systematisieren.

Diese zusammengetragenen religionsgesetzlichen Überlieferungen des jüdischen Volkes bildeten die Mischna, den inneren Kern des Talmuds.[5] Die Mischna wurde in sechs Ordnungen eingeteilt und umfasst insgesamt 63 Traktate. Nachdem in der Mischna die mündliche Tora verschriftlicht und zusammengefasst worden war, setzte parallel dazu der Prozess des Kommentierens und diskursiven Reformulierens ein; die Ergebnisse dieses Prozesses wurden dann in der Gemara aufgezeichnet. Der Prozess einschließlich seiner Redaktion dauerte bis ca. in das 4. und 5. Jahrhundert an.

Die Mischna und die Tosefta (zusammengestellt aus Material vor dem Jahr 200) sind die frühesten ausführlichen Werke der rabbinischen Literatur und erklären das mündliche Gesetz des Judentums. Die Tosefta, obgleich in Aufbau und Inhalt der Mischna sehr ähnlich, zeichnet sich aber im Unterschied zu dieser, durch ein Fehlen an Hinweisen auf die Bearbeitungen aus. Aber sie enthält tannaitisches Textmaterial, das so in der Mischna fehlt.[6]

Mischna und Gemara bilden zusammen den Talmud, der in zwei Versionen überliefert ist:

Midrasch (pl. Midraschim) ist ein hebräisches Wort für die Auslegung biblischer Texte. Der Begriff „Midrasch“ kann auch verwendet werden für eine Kompilation von Midrasch-Lehren in Form von juristischen, exegetischen oder homiletischen Kommentaren der hebräischen Bibel.

Spätere Werke nach Kategorien

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Jüdisches Recht

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Halacha bezeichnet die rechtlichen Regelungen des jüdischen Lebens. Wichtige Werke dieser Kategorie beinhalten:

Jüdisches Denken und Ethik

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Spätere Werke nach historischen Perioden

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DezisorRischonimGeonimSaboräerAmora (Judentum)TannaimDie 5 Paare

Werke der Geonim

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Die Geonim sind die Oberhäupter der Talmudischen Akademien von Sura und Pumbedita, in Babylonien (650–1250)

Werke der Rischonim (die „frühen“ rabbinischen Kommentatoren)

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Die Rischonim sind die Rabbiner des frühen Mittelalters (1250–1550)

Werke der Acharonim (die „späten“ rabbinischen Kommentatoren)

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Die Acharonim sind die Rabbiner von 1550 bis heute.

Mefarschim ist ein hebräisches Wort und bedeutet klassische (rabbinische) Kommentatoren, Exegeten; es wird als Ersatz verwendet für das korrekte Wort Peruschim, das „Kommentare“ bedeutet. Im Judentum wird dieser Begriff für die Kommentare der Tora, des Tanach, der Mischna, des Talmud, der Responsen, des Siddur u. a. verwendet.

Klassische Tora- und/oder Talmud-Kommentare wurden verfasst von:

  • Aharonim
  • Der Gaon von Wilna, Rabbi Eliyahu von Wilna, 18. Jahrhundert, Litauen
  • Der Malbim, Meir Loeb ben Jehiel Michael

Klassische Talmud-Kommentare wurden von Raschi geschrieben. Nach Raschi entstand der Tosafos, ein allgemeiner Talmud-Kommentar von den Schülern und Nachfolgern Raschis; die Grundlage dieses Kommentars waren Diskussionen in den rabbinischen Akademien Deutschlands und Frankreichs.

Zu den modernen Tora-Kommentaren, die in der jüdischen Gemeinschaft breite Zustimmung finden, zählen:

Orthodox:

  • Ha-Ketav veha-Kabbalah von Rabbi Jaakov Zwi Meckelenburg
  • Haemek Davar von Rabbi Naphtali Zwi Juda Berlin
  • Torah Temimah von Baruch ha-Levi Epstein
  • der Tora-Kommentar von Rabbi Samson Raphael Hirsch
  • Sefat Emet (Lippen der Wahrheit), Jehuda Arjeh Leib von Ger, 19. Jahrhundert, Europa
  • Pentateuch und Haftaroth von Joseph H. Hertz
  • Soncino Books of the Bible
  • Nechama Leibowitz, eine bekannte Tora-Gelehrte
  • der Chofetz Chaim

konservatives Judentum:

  • der fünfbändige JPS Commentary on the Torah von Nahum M. Sarna, Baruch A. Levine, Jacob Milgrom und Jeffrey H. Tigay
  • Etz Hayim: A Torah Commentary von David L. Lieber, Harold Kushner und Chaim Potok

Moderne Siddur-Kommentare wurden geschrieben von:

  • Rabbi Yisrael Meir Kagan HaCohen, The Chofetz Chaim’s Siddur
  • Samson Raphael Hirsch, Hirsch Siddur
  • Abraham Isaak Kook, Olat Reyia
  • The Authorised Daily Prayer Book mit Kommentaren von Joseph H. Hertz
  • Elie Munk, The World of Prayer, Elie Munk
  • Nosson Scherman, The Artscroll Siddur, Mesorah Publications
  • Reuven Hammer, Or Hadash, United Synagogue of Conservative Judaism
  • My Peoples Prayer Book, Jewish Lights Publishing, verfasst von einem Team nicht-orthodoxer Rabbiner und Talmud-Gelehrter
  • Shemuel Safrai, Peter J. Tomson: The Literature of the Sages: Oral Torah, Halakha, Mishnah, Tosefta, Talmud, External Tractates. Fortress, 1987
  • Tal Ilan, Lorena Miralles Maciá, Ronit Nikolsky (Hrsg.): Rabbinische Literatur. (Die Bibel und die Frauen. Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie Band 4), Kohlhammer, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-17-038895-6
  • Leopold Zunz: Etwas über die rabbinische Litteratur. Maurersche Buchhandlung, Berlin 1818, auf digital.slub-dresden.de [1] der SLUB Dresden via EOD
  • Viktor Golinets, Birgit Klein, Annette Weber (Hrsg.): Zur rabbinischen Literatur. Historische und sozialgeschichtliche Studien. (Trumah. Zeitschrift der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, Band: 15), 1. Auflage, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-8253-5166-3.

Einzelnachweise

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  1. Beate Ego: “Rabbinische Literatur” In: Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) (Hrsg.): Der Neue Pauly. doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e1017980
  2. Susanne Galley, Anja Kurths, Katharina Hoba, Helga Völkening: Die Hebräische Bibel. Eine Einführung. Wbg, Darmstadt 2004, S. 48
  3. Günter Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch. 9. Auflage, C. H. Beck, München 2011, S. 44
  4. Martin Goodman: Die Geschichte des Judentums. Glaube, Kult, Gesellschaft. Klett-Cotta, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-608-96469-1, S. 61; 354
  5. Martin Goodman: Die Geschichte des Judentums. Glaube, Kult, Gesellschaft. Klett-Cotta, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-608-96469-1, S. 327 f.; 226–232
  6. Martin Goodman: Die Geschichte des Judentums. Glaube, Kult, Gesellschaft. Klett-Cotta, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-608-96469-1, S. 354–355