„Sohar“ – Versionsunterschied
[gesichtete Version] | [gesichtete Version] |
Markierung: 2017-Quelltext-Bearbeitung |
Typo |
||
(40 dazwischenliegende Versionen von 16 Benutzern werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
{{Begriffsklärungshinweis}} |
{{Begriffsklärungshinweis}} |
||
[[Datei:Zohar.png|mini|''Der |
[[Datei:Zohar.png|mini|''Der Sohar'' – Titelseite des Erstdrucks 1558]] |
||
Der ''' |
Der '''Sohar''' ({{heS|הזוהר ספר‎|Sēfer ha-sōhar}}, zu {{he|זֹהַר‎|sohar|de=Glanz}}; auch in der Schreibweise, vor allem [[Englische Sprache|englisch]], ''Zohar'') gilt als das bedeutendste Schriftwerk der [[Kabbala]].<ref>[[Gershom Scholem]], Melila Hellner-Eshed: ''Zohar.'' In: Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hrsg.): ''Encyclopaedia Judaica.'' 2. Auflage. Vol. 21, Macmillan Reference, Detroit 2007, S. 647–664. (Gale Virtual Reference Library. Gale)</ref> Der Name bedeutet „(strahlender) Glanz“ und geht zurück auf biblische Texte bei den [[Prophetie|Propheten]] [[Ezechiel|Hesekiel]] ({{B|Ez|1,28}}; {{B|Ez|8,2}}) und [[Daniel]] ({{B|Dan|2,31}}; {{B|Dan|12,3}}). |
||
Das in einem künstlich altertümlichen [[Aramäische Sprachen|Aramäisch]] – wohl, um das Alter der Schrift zu beweisen –,<ref name="maier-s13f">{{Literatur |Autor=[[Johann Maier (Judaist)|Johann Maier]] |Titel=Die Kabbalah |TitelErg=Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen |Verlag=Verlag C.H. Beck |Ort=München |Datum=1995 |ISBN=3-406-39659-3 |Seiten=13f}}</ref> zu geringen Teilen in [[Hebräische Sprache|Hebräisch]] verfasste Werk der [[Judentum|jüdischen]] [[Mystik |
Das in einem künstlich altertümlichen [[Aramäische Sprachen|Aramäisch]] – wohl, um das Alter der Schrift zu beweisen –,<ref name="maier-s13f">{{Literatur |Autor=[[Johann Maier (Judaist)|Johann Maier]] |Titel=Die Kabbalah |TitelErg=Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen |Verlag=Verlag C.H. Beck |Ort=München |Datum=1995 |ISBN=3-406-39659-3 |Seiten=13f}}</ref> zu geringen Teilen in [[Hebräische Sprache|Hebräisch]] verfasste Werk der [[Judentum|jüdischen]] [[Mystik]]. |
||
Es enthält vor allem [[Kommentar (Literaturwissenschaft)|Kommentare]] zu [[Text]]en der [[Tora]], dem [[Hohelied]] ({{heS|שִׁיר הַשִּׁירִים‎|Šīr ha-Šīrīm}}), dem [[Buch Rut]], ({{heS|מְגִלַּת רוּת‎|Megillath Ruth}}) und den [[Klagelieder Jeremias|Klageliedern Jeremias]], ({{heS| אֵיכָה‎|'êkâ}}).<ref>[[Kurt Wilhelm (Rabbiner)|Kurt Wilhelm]] (Hrsg.): ''Jüdischer Glaube. Eine Auswahl aus zwei Jahrtausenden.'' (Lizenzausgabe des Originals Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin 1961) Schibli-Doppler, Birslfelden-Basel 1976, S. 207</ref> Literarisch handelt es sich bei den Kommentaren um [[PaRDeS|Schriftexegesen]], [[Homilie|homiletischen]] Meditationen, [[Erzählung]]en und [[Dialog]]en, aber auch Betrachtungen zur mythischen [[Kosmogonie]] und mystischen [[Psychologie]]. |
|||
⚫ | |||
Dies schließt, zusammenfassend und explizierend formuliert, Diskussionen um das „Wesen Gottes“, „Ursprung und Struktur des Universums“, „Natur der Seele“, „Erlösung“, die Beziehung zwischen „dem menschlichen Ego und dem Dunklen“, um das „wahre Selbst“ zum „Licht Gottes“ und zwischen „universeller Energie“ und dem einzelnen Menschen ein.<!--<ref>''It is a group of books including commentary on the mystical aspects of the [[Torah]] (the five books of [[Moses]]) and scriptural interpretations as well as material on mysticism, mythical cosmogony, and mystical psychology. The Zohar contains discussions of the nature of God, the origin and structure of the universe, the nature of souls, redemption, the relationship of Ego to Darkness and „true self“ to „The Light of God“, and the relationship between the „universal energy“ and man. Its scriptural exegesis can be considered an esoteric form of the Rabbinic literatur known as Midrash, which elaborates on the Torah.''</ref> [Belegstelle?]--> |
|||
⚫ | |||
== Entstehung == |
== Entstehung == |
||
Der |
Der Sohar ist eine Sammlung von Texten in zumeist fünf Bänden. Als Autor wird [[Schimon ben Jochai]] genannt, ein bedeutender [[Tannaim|Tannait]] des zweiten Jahrhunderts, der auch die wichtigste handelnde Person ist und vom Propheten [[Elija]] den Auftrag bekommen haben soll, den Sohar zu schreiben.<ref>Joseph Jacobs, Isaac Broydé: ''Zohar.'' In: ''Jewish Encyclopedia.'' Funk & Wagnalls Company.</ref> Schimon ben Jochai gilt zwar historisch als „Vater der Kabbala“, seine tatsächliche Autorschaft für den Sohar ist jedoch vor allem aus sprachlichen Gründen fraglich, so dass von einem [[Pseudepigraphie|pseudepigraphischen]] Charakter der Schrift ausgegangen werden muss. |
||
Der |
Der Sohar tauchte zuerst gegen Ende des 13. Jh. in [[Spanien]] auf (Herausgabe in Teilen zwischen 1280 und 1286). Um seine Herausgabe und Verbreitung hat sich der Kabbalist [[Mosche de Leon|Mosche ben Schemtow de León]] verdient gemacht, der bis 1305 in [[Kastilien]], zuletzt in [[Ávila]] lebte. Aufgrund literarischer, sprachlicher und quellentheoretischer Beobachtungen wurde de León historisch auch die Autorschaft des Sohar zugeschrieben. Dem Tagebuch des Kabbalisten Isaak ben Samuel aus [[Akko]] zufolge soll die Witwe von Mosche de León, Tami Musaphia Heni aus [[Tihama]] (um 1250–1305) zugegeben haben, dass der Sohar von ihrem Mann geschrieben worden sei; Isaak aus Akko sprach jedoch nicht selbst mit der Witwe, sondern erzählt aus dritter Hand.<ref>{{Literatur |Autor=Gershom Scholem |Titel=Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen |Reihe=suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft |BandReihe=330 |Auflage=1 |Verlag=suhrkamp Verlag |Ort=Frankfurt am Main |Datum=1980 |Seiten=174, 204-223 |Originaltitel=Major Trends in Jewish Mysticism |Originalsprache=en |Übersetzer=Gershom Scholem und Nettie Katzenstein-Sutro}}</ref> |
||
== Inhalt == |
== Inhalt == |
||
Nach seinen eigenen Worten hat der |
Nach seinen eigenen Worten hat der Sohar zum Ziel, Jisrael durch und aus dem Exil zu helfen.<ref>„And because Yisrael will in the future taste from the Tree of Life, which is this book of the Zohar, they will go out, with it, from Exile, in a merciful manner.“ – Zohar, Vol. 3, 124b, ''Ra`aya Meheimna.'' u. a.</ref> |
||
Der |
Der Sohar versucht das Wesen Gottes zu erfassen und dieses dem Menschen mitzuteilen. Da Gott verborgen ist, kann dies nur in höchst spekulativer und [[Kontemplation|kontemplativer]], nicht in beschreibender oder lehrhafter Form geschehen. Dabei steht immer die Auslegung der [[Tora]], als wesentliches religiöses Fundament, im Vordergrund. Der Sohar erkennt für die biblische Exegese [[Vierfacher Schriftsinn|vier Stufen des Verständnisses]], vom unmittelbar Wörtlichen zum Mystischen:<ref>Joseph Jacobs, Isaac Broydé: ''Zohar.'' In: ''Jewish Encyclopedia''. Funk & Wagnalls Company.</ref> |
||
# der wortwörtliche Text (Literalsinn, |
# der wortwörtliche Text (Literalsinn, {{heS|פשט‎|pschat}}) |
||
# die übertragene Bedeutung (Allegorie, |
# die übertragene Bedeutung (Allegorie, {{heS|רמז‎|remez}}) |
||
# die Bedeutung im Leben (Auslegung, Auskunft, |
# die Bedeutung im Leben (Auslegung, Auskunft, {{heS|דרוש‎|drasch}}) |
||
# die mystische Bedeutung (Geheimnis, |
# die mystische Bedeutung (Geheimnis, {{heS|סוד‎|sod}}) |
||
Die Anfangsbuchstaben dieser vier hebräischen Wörter bilden den Begriff ''[[PaRDeS]]'' (‚Obstgarten‘, verwandt mit dem deutschen Wort ''Paradies''), wodurch der Sinn des Schriftstudiums angedeutet wird als Gang durch einen blühenden Garten. Dieser Gang wird auch interpretiert als geistiger Gang durch die verschiedenen Hallen des jüdischen Tempels. |
Die Anfangsbuchstaben dieser vier hebräischen Wörter bilden den Begriff ''[[PaRDeS]]'' (‚Obstgarten‘, verwandt mit dem deutschen Wort ''Paradies''), wodurch der Sinn des Schriftstudiums angedeutet wird als Gang durch einen blühenden Garten. Dieser Gang wird auch interpretiert als geistiger Gang durch die verschiedenen Hallen des [[Jerusalemer Tempel|jüdischen Tempels]]. |
||
Der |
Der Sohar nimmt die kabbalistischen Vorstellungen der zehn ''[[Sefirot]]'' auf als Sphären der Manifestation Gottes. Als letzter Ausdruck göttlichen Seins wird darüber das Unendliche (hebr. ''[[En Sof]]'') erkannt. Aus dem ''En Sof'' hat sich das Sein wie aus einem einzigen Punkt zu den vielen Erscheinungen der Welt ausgefächert. |
||
In der [[Ethik]] vertritt der |
In der [[Ethik]] vertritt der Sohar als höchsten Wert die tätige Liebe zu Gott (hebr. {{lang|he|דְבֵקוּת‎|Debekut}}), die sich auch in der sozialen Hinwendung zum Mitmenschen äußert. Daneben vertritt der Sohar ein starkes Armutsideal. Der gerechte Mensch (hebr. ''[[Tzaddik]]'') ist sowohl ein Tora-Gelehrter und Gottsucher, als auch der Wohltäter, der seine eigenen Bedürfnisse hinter die Sorge für den Nächsten radikal zurückstellt. |
||
Der |
Der Sohar ist laut [[Johann Maier (Judaist)|Johann Maier]], verglichen mit dem „vergleichsweise klar formulierte[n] und geradezu didaktisch aufgebaute[n] Hauptwerk“ [[Josef Gikatilla]]s ''Scha’are Orah'', weniger durchorganisiert und sprachlich und inhaltlich weit schwieriger, gehört aber noch zu den Texten, die „vergleichsweise verständlich geschrieben sind und auch in Übersetzung noch verständlich bleiben, was für kabbalistische Literatur ansonsten durchaus nicht selbstverständlich ist“.<ref>{{Literatur |Autor=Johann Maier |Titel=Die Kabbalah. Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen |Verlag=Verlag C.H. Beck |Ort=München |Datum=1995 |ISBN=3-406-39659-3 |Seiten=12f}}</ref> Nach Bernhard J. Bamberger ist der Sohar ''„das Werk eines Genies, aber er ist schwierig zu charakterisieren. Sein Inhalt reicht vom Erhabenen zum Grotesken, vom Tiefen zum Einfältigen und einfach Unverständlichen. Er enthält brilliant-originelle Interpretationen der Schrift, wunderbare Formulierungen und Gleichnisse sowie phantastische Mythen. In dieser oder jener Form behandelt er alle Probleme und Interessen der Kabbala.“''<ref>[[Bernhard Jacob Bamberger|Bernhard J. Bamberger]]: ''Von Maimonides bis zur Kabbala''; in Frederick R. Lachmann: ''Die jüdische Religion'', Aloys Henn Verlag, Kastellaun, 1977, ISBN 3-450-11907-9, S. 140</ref> |
||
== Bedeutung == |
== Bedeutung == |
||
Schon bald nach seiner Entstehung hat der |
Schon bald nach seiner Entstehung hat der Sohar eine außergewöhnliche Bedeutung zuerst unter Kabbalisten, dann auch im Judentum allgemein gewonnen, wobei jedoch die übrigen kabbalistischen Schriften „in den Hintergrund gedrängt“ wurden und teils verloren gingen.<ref>{{Literatur |Autor=Johann Maier |Titel=Die Kabbalah. Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen |Verlag=Verlag C.H. Beck |Ort=München |Datum=1995 |ISBN=3-406-39659-3 |Seiten=15}}</ref> Seine Verbreitung nahm insbesondere nach der [[Vertreibung der Juden aus Spanien]] (1492) stark zu. Vor allem für die [[Chassidismus|chassidische]] Tradition im [[Juden in Osteuropa|osteuropäischen Judentum]] erlangte der Sohar geradezu [[Bildungskanon|kanonisches]] Ansehen. |
||
Auch unter [[Christentum|christlichen]] Gelehrten hat der |
Auch unter [[Christentum|christlichen]] Gelehrten hat der Sohar einige Resonanz hervorgerufen, insbesondere in der Neuzeit durch die lateinische Übersetzung im zweiten Teil von [[Christian Knorr von Rosenroth]]s ''Kabbala denudata''.<ref name="maier-s13f" /> Die spekulative Kraft seiner Sprache hat sogar dazu geführt, thematische Verbindungslinien zur christlichen Lehre zu ziehen bis hin zu Ähnlichkeiten im Wesen des [[Dreifaltigkeit|dreifaltigen]] Gottes. Andererseits wird auch der Sohar Elemente eines [[Esoterik|esoterischen]] Christentums im Südeuropa des 12. Jhdts. integriert haben, so dass eine klare Bewertung von Ursachen und Wirkungen schwerfällt. Grundsätzlich zeigen sich in mystischen Traditionen die stärksten und fruchtbarsten Verbindungen zwischen den Religionen. |
||
Die modernen Übersetzungen (Stand 1995) decken nicht die Gesamtheit des |
Die modernen Übersetzungen (Stand 1995) decken nicht die Gesamtheit des Sohar ab und „lassen sehr zu wünschen übrig“. Am besten steht es laut Maier mit englischen Übertragungen, „während die französische von de Pauly kaum brauchbar ist“.<ref name="maier-s13f" /> [[Jean de Pauly]]s verfälschte Sohar-Übersetzung und die darauf zurückgehenden Fehler in [[Arthur Edward Waite]]s ''The Secret Doctrine in Israel'' hatte auch [[Gershom Scholem]] kritisiert.<ref name="scholem-s232">{{Literatur |Autor=Gershom Scholem |Titel=Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen |Reihe=suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft |BandReihe=330 |Auflage=1 |Verlag=suhrkamp Verlag |Ort=Frankfurt am Main |Datum=1980 |Seiten=232, 419 |Originaltitel=Major Trends in Jewish Mysticism |Originalsprache=en |Übersetzer=Gershom Scholem und Nettie Katzenstein-Sutro}}</ref> |
||
== Aufbau == |
== Aufbau == |
||
Die fünf Bände des |
Die fünf Bände des Sohar bestehen aus folgenden Teilen: |
||
* '' |
* ''Sohar'' (Hauptteil, Kommentar zur Tora gemäß den Abschnitten der [[Synagoge|synagogalen]] [[Parascha|Wochenlesungen]]) |
||
* ''Sifra di-Tzeniutha'' (‚Buch der Verborgenheit‘, ein dunkler Kommentar zu den ersten 6 |
* ''Sifra di-Tzeniutha'' (‚Buch der Verborgenheit‘, ein dunkler Kommentar zu den ersten 6 Kapiteln des [[1. Buch Mose|1. Buchs Mose]]) |
||
* ''Idra Rabba'' (‚Große Versammlung‘, ekstatische Vorträge des Schimon ben Jochai und seiner Schüler zu Themen der Schöpfung) |
* ''Idra Rabba'' (‚Große Versammlung‘, ekstatische Vorträge des Schimon ben Jochai und seiner Schüler zu Themen der Schöpfung) |
||
* ''Idra Sutta'' (‚Kleine Versammlung‘, Erzählung vom Tode Schimon ben Jochais und seiner Vermächtnisrede) |
* ''Idra Sutta'' (‚Kleine Versammlung‘, Erzählung vom Tode Schimon ben Jochais und seiner Vermächtnisrede) |
||
Zeile 50: | Zeile 54: | ||
* ''Sitre Tora'' (‚Geheimnisse der Tora‘, Deutungen verschiedener Abschnitte der Tora) |
* ''Sitre Tora'' (‚Geheimnisse der Tora‘, Deutungen verschiedener Abschnitte der Tora) |
||
* ''Matnitin'' (Auslegungen zur Tora im Stil der [[Mischna]]). |
* ''Matnitin'' (Auslegungen zur Tora im Stil der [[Mischna]]). |
||
* '' |
* ''Sohar zum [[Hohelied|Hohenlied]]'' |
||
* ''Kaw ha-Midda'' (‚Das Maß des Maßes‘, Auslegungen zum [[Schma Jisrael]], einem der Hauptgebete des Judentums) |
* ''Kaw ha-Midda'' (‚Das Maß des Maßes‘, Auslegungen zum [[Schma Jisrael]], einem der Hauptgebete des Judentums) |
||
* ''Sitre Otiot'' (‚Geheimnisse der Zeichen‘, Deutungen zu den Buchstaben des Gottesnamens und des Textes der Schöpfungsgeschichte) |
* ''Sitre Otiot'' (‚Geheimnisse der Zeichen‘, Deutungen zu den Buchstaben des Gottesnamens und des Textes der Schöpfungsgeschichte) |
||
Zeile 56: | Zeile 60: | ||
* ''Midrasch ha-ne'elam'' zum [[Buch Rut]] |
* ''Midrasch ha-ne'elam'' zum [[Buch Rut]] |
||
* ''Ra'ja Mehemna'' (‚Der treue Hirte‘, Deutung der Gebote und Verbote der Tora) |
* ''Ra'ja Mehemna'' (‚Der treue Hirte‘, Deutung der Gebote und Verbote der Tora) |
||
* ''Tikkune |
* ''Tikkune Sohar'' (‚Vollendung des Sohar‘, ein weiterer Kommentar zu den ersten sechs Kapiteln der Tora)<ref>[[Gershom Scholem]], [[Melilla Hellner-Eshed]]: ''The Zohar and Kabbalah.'' , In: [[Michael Berenbaum]], [[Fred Skolnik]] (Hrsg.): ''Encyclopaedia Judaica.'' Vol. 21. 2nd ed., Macmillan Reference USA, Detroit 2007, S. 647–664, auf jewishvirtuallibrary.org [https://www.jewishvirtuallibrary.org/the-zohar-and-kabbalah]</ref> |
||
== Vom Hauptteil umschlossenes „Messianisches Epos“ == |
== Vom Hauptteil umschlossenes „Messianisches Epos“ == |
||
Gelehrte wie Gershom Scholem und Isaiah Tishby hatten im |
Gelehrte wie [[Gershom Scholem]] und [[Isaiah Tishby]] hatten im Sohar anders als in der [[Isaak Luria|lurianischen]] Kabbala keine [[Messianismus|messianische]] Thematik gefunden. Yehuda Liebes hingegen meinte, in den ''Idrot'' messianische Ereignisse erkennen zu können.<ref>[[Karl Erich Grözinger]]: ''Jüdisches Denken''. Band 2, 2005, S. 520.</ref> Gängig war es bis dahin, den erzählerischen Rahmen mit Berichten über die Treffen von zehn Mystikern und ihren Austausch über die Geheimlehren der Kabbala als Mittel für das Zusammenbinden der homiletischen Midraschim und Einzeltraditionen zu sehen.<ref>K. E. Grözinger: ''Jüdisches Denken''. Band 2, 2005, S. 509.</ref> Liebes legte jedoch dar, dass die in die ''Idra Rabba'' und ''Idra Sutta'' eingeflochtenen Reden nicht bedeutender waren als die Erzählung selbst.<ref name="gr-2-510">K. E. Grözinger: ''Jüdisches Denken''. Band 2, 2005, S. 510.</ref> Die neuere Forschung, wie jene von Ronit Meros, geht davon aus, dass die Entstehung des Gesamt-Sohar sich auf den Zeitraum von 1370 bis 1410 erstreckte und die Arbeit von [[Literatur|literarischen]] Lehrer- und Schüler-Generationen sich in fünf unterscheidbaren „Schichten“<ref>Ronit Meros: ''Mivnehu schel Sefer ha-Sohar.'' Vortrag auf dem 12. Weltkongress für Jüdische Studien, 1997. Zitiert nach K. E. Grözinger: ''Jüdisches Denken''. Band 2, 2005, S. 474.</ref> niederschlug. Davon die letzte, die „epische Schicht“, unterwarf die Gesamtredaktion des Sohar zum Schluss ebenso wie die anderen [[Gattung (Literatur)|literarischen Gattungen]] der vollständigen Form eines [[Midrasch]] und entledigte sie damit ihrer Originaldynamik und Struktur insgesamt. Der Weg zum Verständnis führt daher nach [[Ronit Meroz|Meroz]] über ein Separieren der Schichten und der Betrachtung im Einzelnen.<ref>K. E. Grözinger: ''Jüdisches Denken''. Band 2, 2005, S. 475.</ref> Eine derartige Schicht lässt sich bilden, indem alle in sich abgeschlossenen, homiletische Midraschim enthaltende [[Erzählung]]en herausgefischt werden, in denen die [[Held]]en der Zehnergruppe um Schimon ben Jochai angehören.<ref name="gr-2-510" /> Wiederum zusammengesetzt, ergeben diese „Szenen“ ein „Messianisches Epos“, ein Drama mit folgenden drei Akten: |
||
# Bericht über das Entstehen einer Bruderschaft, der zuerst ein Rabbi Pinchas ben Jair vorsteht. Als gleichrangig betrachtet er aber Schimon ben Jochai, den die römische Religionsverfolgung zu einem dreizehnjährigen Aufenthalt in einer Höhle zwingt, die Zeit seiner Vollendung. Ihm wird die Führerrolle zugeteilt, sie festigt sich, und eine in diesem Zusammenhang genannte Feuersäule von der Erde bis zum Himmel kann als Zeichen für das Herannahen des Messias gewertet werden. |
# Bericht über das Entstehen einer Bruderschaft, der zuerst ein Rabbi Pinchas ben Jair vorsteht. Als gleichrangig betrachtet er aber [[Schimon ben Jochai]], den die römische Religionsverfolgung zu einem dreizehnjährigen Aufenthalt in einer Höhle zwingt, die Zeit seiner Vollendung. Ihm wird die Führerrolle zugeteilt, sie festigt sich, und eine in diesem Zusammenhang genannte Feuersäule von der Erde bis zum Himmel kann als Zeichen für das Herannahen des [[Messias]] gewertet werden. |
||
# Zwischen dem Auszug des Schimon ben Jochai aus der Höhle und dessen Sterben in Ekstase liegt die Zeit seiner Leitung der Bruderschaft. Er vollbringt zahlreiche Wunder und kosmische ''Tikkunim'' (Strukturierungen), bleibt aber der leidende Messias, befleckt und in Niedrigkeit, damit aber auch identifizierbar mit der ''[[Schechina]]''. |
# Zwischen dem Auszug des Schimon ben Jochai aus der Höhle und dessen Sterben in [[Ekstase]] liegt die Zeit seiner Leitung der Bruderschaft. Er vollbringt zahlreiche [[Wunder]] und kosmische ''Tikkunim'' (Strukturierungen), bleibt aber der leidende Messias, befleckt und in Niedrigkeit, damit aber auch identifizierbar mit der ''[[Schechina]]''. |
||
# Zuletzt setzt sich die verstört zurückgebliebene Bruderschaft mit dem Tod ihres Meisters auseinander. Dessen Mission scheint noch nicht erfüllt, und so wird Rabbi Schimon selbst als Messias zurückerwartet.<ref>K. E. Grözinger: ''Jüdisches Denken''. Band 2, 2005, S. 511 f.</ref> |
# Zuletzt setzt sich die verstört zurückgebliebene Bruderschaft mit dem Tod ihres Meisters auseinander. Dessen Mission scheint noch nicht erfüllt, und so wird Rabbi Schimon selbst als Messias zurückerwartet.<ref>K. E. Grözinger: ''Jüdisches Denken''. Band 2, 2005, S. 511 f.</ref> |
||
== Ausgaben == |
== Ausgaben == |
||
* Erstdruck: ''Sēfer |
* Erstdruck: ''Sēfer ha-sōhar.'' 3 Teile. Mantua 1558–1560. |
||
* Aramäischer Text: Martin Dobeš (Hrsg.): ''Zohar |
* Aramäischer Text: Martin Dobeš (Hrsg.): ''Zohar: der komplette aramäische Text.'' Kabbalah Centre International, Los Angeles 2012, ISBN 978-1-908659-28-6. |
||
* Deutsche Übersetzung: ''Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala''. Nach dem Urtext hrsg. von Ernst Müller. Glanz, Wien 1932 (es handelt sich hierbei lediglich um übersetzte Ausschnitte des Originals). Zahlreiche Nachdrucke, zuletzt: Diederichs, München 2011, ISBN 978-3-7205-2643-2. |
* Deutsche Übersetzung: ''Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala''. Nach dem Urtext hrsg. von Ernst Müller. Glanz, Wien 1932 (es handelt sich hierbei lediglich um übersetzte Ausschnitte des Originals). Zahlreiche Nachdrucke, zuletzt: Diederichs, München 2011, ISBN 978-3-7205-2643-2. |
||
* Englische Ausgabe und Übersetzung: [[Yehuda Ashlag]], Michael Berg (Hrsg.): ''Zohar : First ever unabridged English translation with commentary''. 23 Bände. Kabbalah Publishing, New York 1993, ISBN 1-57189-239-7 (englisch und aramäisch-hebräisch). Weitere Ausgabe: Kabbalah Learning Center, 2001, ISBN 1-57189-199-4. |
* Englische Ausgabe und Übersetzung: [[Yehuda Ashlag]], Michael Berg (Hrsg.): ''Zohar : First ever unabridged English translation with commentary''. 23 Bände. Kabbalah Publishing, New York 1993, ISBN 1-57189-239-7 (englisch und aramäisch-hebräisch). Weitere Ausgabe: Kabbalah Learning Center, 2001, ISBN 1-57189-199-4. |
||
Zeile 72: | Zeile 76: | ||
== Literatur == |
== Literatur == |
||
* Gerold Necker: ''Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala'' |
* Gerold Necker: ''Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala.'' Marix, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-86539-336-4. |
||
* [[Gershom Scholem]]: ''Der Sohar I + II.'' In: ders.: ''Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen.'' Frankfurt 1980, ISBN 3-518-07930-1, S. 171–266. |
* [[Gershom Scholem]]: ''Der Sohar I + II.'' In: ders.: ''Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen.'' Suhrkamp, Frankfurt 1980, ISBN 3-518-07930-1, S. 171–266. |
||
* [[Karl Erich Grözinger]]: ''Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik.'' Band 2: ''Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus.'' Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-593-37513-3, S. 463–618. |
* [[Karl Erich Grözinger]]: ''Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik.'' Band 2: ''Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus.'' Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-593-37513-3, S. 463–618. |
||
* Ronit Meroz: ''Der Aufbau des Buches Sohar.'' S. 16–36 In: Nathanael Riemer (Hrsg.): ''PaRDeS.'' Zeitschrift der Vereinigung für Jüdische Studien e.V., im Auftrag der Vereinigung für Jüdische Studien e.V. Universitätsverlag Potsdam (2005) Heft 11, ISSN 1614-6492, auf publishup.uni-potsdam.de [https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/598/file/Pardes11.pdf] |
|||
== Weblinks == |
== Weblinks == |
||
Zeile 82: | Zeile 87: | ||
== Nachweise == |
== Nachweise == |
||
<references /> |
<references /> |
||
{{Normdaten|TYP=w|GND=4191011-4}} |
|||
[[Kategorie:Kabbala]] |
[[Kategorie:Kabbala]] |
Version vom 24. August 2024, 08:47 Uhr
Der Sohar (hebräisch הזוהר ספר Sēfer ha-sōhar, zu זֹהַר sohar, deutsch ‚Glanz‘; auch in der Schreibweise, vor allem englisch, Zohar) gilt als das bedeutendste Schriftwerk der Kabbala.[1] Der Name bedeutet „(strahlender) Glanz“ und geht zurück auf biblische Texte bei den Propheten Hesekiel (Ez 1,28 EU; Ez 8,2 EU) und Daniel (Dan 2,31 EU; Dan 12,3 EU).
Das in einem künstlich altertümlichen Aramäisch – wohl, um das Alter der Schrift zu beweisen –,[2] zu geringen Teilen in Hebräisch verfasste Werk der jüdischen Mystik.
Es enthält vor allem Kommentare zu Texten der Tora, dem Hohelied (hebräisch שִׁיר הַשִּׁירִים Šīr ha-Šīrīm), dem Buch Rut, (hebräisch מְגִלַּת רוּת Megillath Ruth) und den Klageliedern Jeremias, (hebräisch אֵיכָה 'êkâ).[3] Literarisch handelt es sich bei den Kommentaren um Schriftexegesen, homiletischen Meditationen, Erzählungen und Dialogen, aber auch Betrachtungen zur mythischen Kosmogonie und mystischen Psychologie.
Dies schließt, zusammenfassend und explizierend formuliert, Diskussionen um das „Wesen Gottes“, „Ursprung und Struktur des Universums“, „Natur der Seele“, „Erlösung“, die Beziehung zwischen „dem menschlichen Ego und dem Dunklen“, um das „wahre Selbst“ zum „Licht Gottes“ und zwischen „universeller Energie“ und dem einzelnen Menschen ein.
In seinem exegetischen Charakter kann der Sohar auch als esoterische Variante zum rabbinischen Midrasch eingeordnet werden. Er gilt daher auch als Midrasch des Shimon bar Jochai.[2]
Entstehung
Der Sohar ist eine Sammlung von Texten in zumeist fünf Bänden. Als Autor wird Schimon ben Jochai genannt, ein bedeutender Tannait des zweiten Jahrhunderts, der auch die wichtigste handelnde Person ist und vom Propheten Elija den Auftrag bekommen haben soll, den Sohar zu schreiben.[4] Schimon ben Jochai gilt zwar historisch als „Vater der Kabbala“, seine tatsächliche Autorschaft für den Sohar ist jedoch vor allem aus sprachlichen Gründen fraglich, so dass von einem pseudepigraphischen Charakter der Schrift ausgegangen werden muss.
Der Sohar tauchte zuerst gegen Ende des 13. Jh. in Spanien auf (Herausgabe in Teilen zwischen 1280 und 1286). Um seine Herausgabe und Verbreitung hat sich der Kabbalist Mosche ben Schemtow de León verdient gemacht, der bis 1305 in Kastilien, zuletzt in Ávila lebte. Aufgrund literarischer, sprachlicher und quellentheoretischer Beobachtungen wurde de León historisch auch die Autorschaft des Sohar zugeschrieben. Dem Tagebuch des Kabbalisten Isaak ben Samuel aus Akko zufolge soll die Witwe von Mosche de León, Tami Musaphia Heni aus Tihama (um 1250–1305) zugegeben haben, dass der Sohar von ihrem Mann geschrieben worden sei; Isaak aus Akko sprach jedoch nicht selbst mit der Witwe, sondern erzählt aus dritter Hand.[5]
Inhalt
Nach seinen eigenen Worten hat der Sohar zum Ziel, Jisrael durch und aus dem Exil zu helfen.[6]
Der Sohar versucht das Wesen Gottes zu erfassen und dieses dem Menschen mitzuteilen. Da Gott verborgen ist, kann dies nur in höchst spekulativer und kontemplativer, nicht in beschreibender oder lehrhafter Form geschehen. Dabei steht immer die Auslegung der Tora, als wesentliches religiöses Fundament, im Vordergrund. Der Sohar erkennt für die biblische Exegese vier Stufen des Verständnisses, vom unmittelbar Wörtlichen zum Mystischen:[7]
- der wortwörtliche Text (Literalsinn, hebräisch פשט pschat)
- die übertragene Bedeutung (Allegorie, hebräisch רמז remez)
- die Bedeutung im Leben (Auslegung, Auskunft, hebräisch דרוש drasch)
- die mystische Bedeutung (Geheimnis, hebräisch סוד sod)
Die Anfangsbuchstaben dieser vier hebräischen Wörter bilden den Begriff PaRDeS (‚Obstgarten‘, verwandt mit dem deutschen Wort Paradies), wodurch der Sinn des Schriftstudiums angedeutet wird als Gang durch einen blühenden Garten. Dieser Gang wird auch interpretiert als geistiger Gang durch die verschiedenen Hallen des jüdischen Tempels.
Der Sohar nimmt die kabbalistischen Vorstellungen der zehn Sefirot auf als Sphären der Manifestation Gottes. Als letzter Ausdruck göttlichen Seins wird darüber das Unendliche (hebr. En Sof) erkannt. Aus dem En Sof hat sich das Sein wie aus einem einzigen Punkt zu den vielen Erscheinungen der Welt ausgefächert.
In der Ethik vertritt der Sohar als höchsten Wert die tätige Liebe zu Gott (hebr. דְבֵקוּת Debekut), die sich auch in der sozialen Hinwendung zum Mitmenschen äußert. Daneben vertritt der Sohar ein starkes Armutsideal. Der gerechte Mensch (hebr. Tzaddik) ist sowohl ein Tora-Gelehrter und Gottsucher, als auch der Wohltäter, der seine eigenen Bedürfnisse hinter die Sorge für den Nächsten radikal zurückstellt.
Der Sohar ist laut Johann Maier, verglichen mit dem „vergleichsweise klar formulierte[n] und geradezu didaktisch aufgebaute[n] Hauptwerk“ Josef Gikatillas Scha’are Orah, weniger durchorganisiert und sprachlich und inhaltlich weit schwieriger, gehört aber noch zu den Texten, die „vergleichsweise verständlich geschrieben sind und auch in Übersetzung noch verständlich bleiben, was für kabbalistische Literatur ansonsten durchaus nicht selbstverständlich ist“.[8] Nach Bernhard J. Bamberger ist der Sohar „das Werk eines Genies, aber er ist schwierig zu charakterisieren. Sein Inhalt reicht vom Erhabenen zum Grotesken, vom Tiefen zum Einfältigen und einfach Unverständlichen. Er enthält brilliant-originelle Interpretationen der Schrift, wunderbare Formulierungen und Gleichnisse sowie phantastische Mythen. In dieser oder jener Form behandelt er alle Probleme und Interessen der Kabbala.“[9]
Bedeutung
Schon bald nach seiner Entstehung hat der Sohar eine außergewöhnliche Bedeutung zuerst unter Kabbalisten, dann auch im Judentum allgemein gewonnen, wobei jedoch die übrigen kabbalistischen Schriften „in den Hintergrund gedrängt“ wurden und teils verloren gingen.[10] Seine Verbreitung nahm insbesondere nach der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) stark zu. Vor allem für die chassidische Tradition im osteuropäischen Judentum erlangte der Sohar geradezu kanonisches Ansehen.
Auch unter christlichen Gelehrten hat der Sohar einige Resonanz hervorgerufen, insbesondere in der Neuzeit durch die lateinische Übersetzung im zweiten Teil von Christian Knorr von Rosenroths Kabbala denudata.[2] Die spekulative Kraft seiner Sprache hat sogar dazu geführt, thematische Verbindungslinien zur christlichen Lehre zu ziehen bis hin zu Ähnlichkeiten im Wesen des dreifaltigen Gottes. Andererseits wird auch der Sohar Elemente eines esoterischen Christentums im Südeuropa des 12. Jhdts. integriert haben, so dass eine klare Bewertung von Ursachen und Wirkungen schwerfällt. Grundsätzlich zeigen sich in mystischen Traditionen die stärksten und fruchtbarsten Verbindungen zwischen den Religionen.
Die modernen Übersetzungen (Stand 1995) decken nicht die Gesamtheit des Sohar ab und „lassen sehr zu wünschen übrig“. Am besten steht es laut Maier mit englischen Übertragungen, „während die französische von de Pauly kaum brauchbar ist“.[2] Jean de Paulys verfälschte Sohar-Übersetzung und die darauf zurückgehenden Fehler in Arthur Edward Waites The Secret Doctrine in Israel hatte auch Gershom Scholem kritisiert.[11]
Aufbau
Die fünf Bände des Sohar bestehen aus folgenden Teilen:
- Sohar (Hauptteil, Kommentar zur Tora gemäß den Abschnitten der synagogalen Wochenlesungen)
- Sifra di-Tzeniutha (‚Buch der Verborgenheit‘, ein dunkler Kommentar zu den ersten 6 Kapiteln des 1. Buchs Mose)
- Idra Rabba (‚Große Versammlung‘, ekstatische Vorträge des Schimon ben Jochai und seiner Schüler zu Themen der Schöpfung)
- Idra Sutta (‚Kleine Versammlung‘, Erzählung vom Tode Schimon ben Jochais und seiner Vermächtnisrede)
- Hechalot (‚Hallen‘, Beschreibung der Hallen des Tempels, die von den Seelen der Frommen durchschritten werden)
- Rasa de-Rasin (‚Das Geheimnis der Geheimnisse‘, Abhandlungen über die Verbindung von Seele und Körper)
- Saba (‚Der Greis‘, Erkenntnisse eines greisen Kabbalisten über die Seele und die Seelenwanderung)
- Jenuka (‚Das Kind‘, Erkenntnisse eines Wunderkindes über die Tora)
- Rab Methibtha (‚Das Haupt der Schule‘, Visionärer Gang durch das Paradies mit Betrachtungen über das Schicksal der Seelen)
- Sitre Tora (‚Geheimnisse der Tora‘, Deutungen verschiedener Abschnitte der Tora)
- Matnitin (Auslegungen zur Tora im Stil der Mischna).
- Sohar zum Hohenlied
- Kaw ha-Midda (‚Das Maß des Maßes‘, Auslegungen zum Schma Jisrael, einem der Hauptgebete des Judentums)
- Sitre Otiot (‚Geheimnisse der Zeichen‘, Deutungen zu den Buchstaben des Gottesnamens und des Textes der Schöpfungsgeschichte)
- Midrasch ha-ne'elam zur Tora (mystischer Kommentar zur Tora)
- Midrasch ha-ne'elam zum Buch Rut
- Ra'ja Mehemna (‚Der treue Hirte‘, Deutung der Gebote und Verbote der Tora)
- Tikkune Sohar (‚Vollendung des Sohar‘, ein weiterer Kommentar zu den ersten sechs Kapiteln der Tora)[12]
Vom Hauptteil umschlossenes „Messianisches Epos“
Gelehrte wie Gershom Scholem und Isaiah Tishby hatten im Sohar anders als in der lurianischen Kabbala keine messianische Thematik gefunden. Yehuda Liebes hingegen meinte, in den Idrot messianische Ereignisse erkennen zu können.[13] Gängig war es bis dahin, den erzählerischen Rahmen mit Berichten über die Treffen von zehn Mystikern und ihren Austausch über die Geheimlehren der Kabbala als Mittel für das Zusammenbinden der homiletischen Midraschim und Einzeltraditionen zu sehen.[14] Liebes legte jedoch dar, dass die in die Idra Rabba und Idra Sutta eingeflochtenen Reden nicht bedeutender waren als die Erzählung selbst.[15] Die neuere Forschung, wie jene von Ronit Meros, geht davon aus, dass die Entstehung des Gesamt-Sohar sich auf den Zeitraum von 1370 bis 1410 erstreckte und die Arbeit von literarischen Lehrer- und Schüler-Generationen sich in fünf unterscheidbaren „Schichten“[16] niederschlug. Davon die letzte, die „epische Schicht“, unterwarf die Gesamtredaktion des Sohar zum Schluss ebenso wie die anderen literarischen Gattungen der vollständigen Form eines Midrasch und entledigte sie damit ihrer Originaldynamik und Struktur insgesamt. Der Weg zum Verständnis führt daher nach Meroz über ein Separieren der Schichten und der Betrachtung im Einzelnen.[17] Eine derartige Schicht lässt sich bilden, indem alle in sich abgeschlossenen, homiletische Midraschim enthaltende Erzählungen herausgefischt werden, in denen die Helden der Zehnergruppe um Schimon ben Jochai angehören.[15] Wiederum zusammengesetzt, ergeben diese „Szenen“ ein „Messianisches Epos“, ein Drama mit folgenden drei Akten:
- Bericht über das Entstehen einer Bruderschaft, der zuerst ein Rabbi Pinchas ben Jair vorsteht. Als gleichrangig betrachtet er aber Schimon ben Jochai, den die römische Religionsverfolgung zu einem dreizehnjährigen Aufenthalt in einer Höhle zwingt, die Zeit seiner Vollendung. Ihm wird die Führerrolle zugeteilt, sie festigt sich, und eine in diesem Zusammenhang genannte Feuersäule von der Erde bis zum Himmel kann als Zeichen für das Herannahen des Messias gewertet werden.
- Zwischen dem Auszug des Schimon ben Jochai aus der Höhle und dessen Sterben in Ekstase liegt die Zeit seiner Leitung der Bruderschaft. Er vollbringt zahlreiche Wunder und kosmische Tikkunim (Strukturierungen), bleibt aber der leidende Messias, befleckt und in Niedrigkeit, damit aber auch identifizierbar mit der Schechina.
- Zuletzt setzt sich die verstört zurückgebliebene Bruderschaft mit dem Tod ihres Meisters auseinander. Dessen Mission scheint noch nicht erfüllt, und so wird Rabbi Schimon selbst als Messias zurückerwartet.[18]
Ausgaben
- Erstdruck: Sēfer ha-sōhar. 3 Teile. Mantua 1558–1560.
- Aramäischer Text: Martin Dobeš (Hrsg.): Zohar: der komplette aramäische Text. Kabbalah Centre International, Los Angeles 2012, ISBN 978-1-908659-28-6.
- Deutsche Übersetzung: Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala. Nach dem Urtext hrsg. von Ernst Müller. Glanz, Wien 1932 (es handelt sich hierbei lediglich um übersetzte Ausschnitte des Originals). Zahlreiche Nachdrucke, zuletzt: Diederichs, München 2011, ISBN 978-3-7205-2643-2.
- Englische Ausgabe und Übersetzung: Yehuda Ashlag, Michael Berg (Hrsg.): Zohar : First ever unabridged English translation with commentary. 23 Bände. Kabbalah Publishing, New York 1993, ISBN 1-57189-239-7 (englisch und aramäisch-hebräisch). Weitere Ausgabe: Kabbalah Learning Center, 2001, ISBN 1-57189-199-4.
- Englische Übersetzung: The Zohar. Übersetzt von Daniel C. Matt. Pritzker Edition. Band 1. Stanford University Press, Stanford 2004, ISBN 0-8047-4747-4.
Literatur
- Gerold Necker: Der Sohar – Das heilige Buch der Kabbala. Marix, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-86539-336-4.
- Gershom Scholem: Der Sohar I + II. In: ders.: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen. Suhrkamp, Frankfurt 1980, ISBN 3-518-07930-1, S. 171–266.
- Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik. Band 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-593-37513-3, S. 463–618.
- Ronit Meroz: Der Aufbau des Buches Sohar. S. 16–36 In: Nathanael Riemer (Hrsg.): PaRDeS. Zeitschrift der Vereinigung für Jüdische Studien e.V., im Auftrag der Vereinigung für Jüdische Studien e.V. Universitätsverlag Potsdam (2005) Heft 11, ISSN 1614-6492, auf publishup.uni-potsdam.de [2]
Weblinks
- Das Buch Sohar – Rose ( vom 8. Februar 2007 im Internet Archive): kommentierter Textauszug in deutscher Übersetzung
- Online-Zohar im aramäischen Original mit englischer Übersetzung ( vom 13. Juli 2011 im Internet Archive)
Nachweise
- ↑ Gershom Scholem, Melila Hellner-Eshed: Zohar. In: Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica. 2. Auflage. Vol. 21, Macmillan Reference, Detroit 2007, S. 647–664. (Gale Virtual Reference Library. Gale)
- ↑ a b c d Johann Maier: Die Kabbalah. Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen. Verlag C.H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-39659-3, S. 13 f.
- ↑ Kurt Wilhelm (Hrsg.): Jüdischer Glaube. Eine Auswahl aus zwei Jahrtausenden. (Lizenzausgabe des Originals Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin 1961) Schibli-Doppler, Birslfelden-Basel 1976, S. 207
- ↑ Joseph Jacobs, Isaac Broydé: Zohar. In: Jewish Encyclopedia. Funk & Wagnalls Company.
- ↑ Gershom Scholem: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen (= suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Band 330). 1. Auflage. suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1980, S. 174, 204–223 (englisch: Major Trends in Jewish Mysticism. Übersetzt von Gershom Scholem und Nettie Katzenstein-Sutro).
- ↑ „And because Yisrael will in the future taste from the Tree of Life, which is this book of the Zohar, they will go out, with it, from Exile, in a merciful manner.“ – Zohar, Vol. 3, 124b, Ra`aya Meheimna. u. a.
- ↑ Joseph Jacobs, Isaac Broydé: Zohar. In: Jewish Encyclopedia. Funk & Wagnalls Company.
- ↑ Johann Maier: Die Kabbalah. Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen. Verlag C.H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-39659-3, S. 12 f.
- ↑ Bernhard J. Bamberger: Von Maimonides bis zur Kabbala; in Frederick R. Lachmann: Die jüdische Religion, Aloys Henn Verlag, Kastellaun, 1977, ISBN 3-450-11907-9, S. 140
- ↑ Johann Maier: Die Kabbalah. Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen. Verlag C.H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-39659-3, S. 15.
- ↑ Gershom Scholem: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen (= suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Band 330). 1. Auflage. suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1980, S. 232, 419 (englisch: Major Trends in Jewish Mysticism. Übersetzt von Gershom Scholem und Nettie Katzenstein-Sutro).
- ↑ Gershom Scholem, Melilla Hellner-Eshed: The Zohar and Kabbalah. , In: Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica. Vol. 21. 2nd ed., Macmillan Reference USA, Detroit 2007, S. 647–664, auf jewishvirtuallibrary.org [1]
- ↑ Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken. Band 2, 2005, S. 520.
- ↑ K. E. Grözinger: Jüdisches Denken. Band 2, 2005, S. 509.
- ↑ a b K. E. Grözinger: Jüdisches Denken. Band 2, 2005, S. 510.
- ↑ Ronit Meros: Mivnehu schel Sefer ha-Sohar. Vortrag auf dem 12. Weltkongress für Jüdische Studien, 1997. Zitiert nach K. E. Grözinger: Jüdisches Denken. Band 2, 2005, S. 474.
- ↑ K. E. Grözinger: Jüdisches Denken. Band 2, 2005, S. 475.
- ↑ K. E. Grözinger: Jüdisches Denken. Band 2, 2005, S. 511 f.