Liebe

Beziehung am Ende: Warum wir Trennungen feiern sollten

Glückwunsch, kein Mitleid: Statt das Liebesaus von Frischgetrennten zu betrauern, sollte man ihnen zum Mut oder zur Möglichkeit für einen Neuanfang beglückwünschen. Das würde auch das Stigma des Singleseins abbauen. Warum wir Trennungen als Akt von Selfcare sehen sollten.
Trennung beglückwünschen
Juan Moyano

Glückwunsch zur Trennung: Warum wir lernen sollten, das Leben als Single in einem positiveren Licht zu sehen.

"Und dann war es vorbei, nur drei Monate nach der Hochzeit.", sagt Lena. Sie schaut erst etwas betreten auf ihren Teller, dann zu mir, wartet auf eine Reaktion. „Wie geht es dir denn damit?“, frage ich. "Ehrlich gesagt: richtig gut. Ich lebe jetzt wieder." Sie lächelt. "Na, dann ist doch alles super! Herzlichen Glückwunsch zum Neuanfang!", sage ich und hebe mein Wasserglas. Lena strahlt mich an.

Nicht oft trifft sie auf Leute, die sie dazu beglückwünschen, sich getrennt zu haben. Schließlich war Stefan doch so nett. Und erfolgreich. Und die beiden seit Studienzeiten ein Paar. 16 Jahre Beziehung, dann Traumhochzeit vor filmreifer Kulisse auf Sizilien, dann kurz darauf die Trennung. Warum? Weil Lena es nicht mehr aushielt. Die Erkenntnis, dass die Liebe eher Freundschaft war, dass Stefan und sie sich in unterschiedliche Richtungen entwickelten, eher aus Gemeinsamkeiten aus der Vergangenheit als aus geteilten Träumen für die Zukunft schöpften - all das war ihr schon lange vor der Hochzeit klar. Aber sie blieb bei ihm, weil sie dachte, sie wäre sonst undankbar; sie dachte, sie hätte zu hohe Erwartungen. Es sei ja schließlich klar, dass man in einer so langen Beziehung eher befreundet sei, sagte ihre Mutter. Und alle fanden, dass sie und Stefan so ein tolles Paar wären. "Wann würde denn endlich geheiratet werden?", war die Standardfrage im Bekannten- und Familienkreis. Als er dann schließlich um ihre Hand anhielt, traute sie sich nicht, nein zu sagen. Ein Ja war der Weg des geringsten Widerstands. Ein Nein hätte zu Chaos geführt. Zu groß war Lenas Angst vor den Reaktionen aus dem Umfeld, zu groß auch die Angst, ihn zu enttäuschen. Und sie liebte ihn ja auch.

Als Lena sich Monate nach der Hochzeit dann in ihren Fitnesstrainer verknallte, wurde ihr aber schmerzhaft bewusst, dass es keinen Sinn macht, sich selbst zu belügen und die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, nur um die Erwartungen der Gesellschaft und ihrer Lieben zu erfüllen.

Lena und ich reden bei unserem Mittagessen lange darüber, wie viele Menschen wohl unglücklich in Beziehungen festhängen, nur aus dem Grund, dass dieses Schicksal gesellschaftlich erwünschter ist als Single zu sein. Niemand reagiert überrascht, wenn er von einer langen, unglücklichen Phase in einer Beziehung hört, die "bestimmt bald besser wird." Doch wenn sich jemand trennt, ist die Reaktion meist "Oh nein! Wirklich? Wie schade!"

Unsere Gesellschaft hat in Sachen Beziehungsdynamik einen Realitätssinn, der sich eher an Disneyfilmen orientiert als an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen

Eine Beziehung zu haben gilt immer als besser – auch wenn sie unglücklich ist – als Single zu sein. Deswegen verdient es umso mehr Respekt, wenn jemand es schafft, sich aus einer Beziehung zu lösen, die belastend ist. Oft stecken Menschen jahrelang, oder gar jahrzehnte- oder lebenslang, in Beziehungen, die sie nicht mehr erfüllen und in denen sie unglücklich sind.

Selbst Menschen, die verlassen werden, müsste man eigentlich beglückwünschen, denn schließlich werden sie nicht länger von einer Person, die gar nicht mit ihnen zusammensein möchte, festgehalten. Ist es nicht besser, von jemandem verlassen zu werden, der nicht mehr ernsthaft an der Beziehung interessiert ist, als in einer Partnerschaft zu verharren, in der man sich nicht geliebt oder geschätzt fühlt? Es sollte niemand mit jemandem zusammen sein, der die eigenen Gefühle nicht ernst nimmt oder sich der Beziehung nicht sicher ist. Oder? Natürlich wird es Menschen geben, die nun mit "Doch!" antworten – und genau hier drehen wir uns im Kreis. Der internalisierte und tief verwurzelte Glaube, dass eine Beziehung, egal welche Qualität sie hat, besser ist als gar keine, treibt viele erst dazu, auszuharren bis sie selbst verlassen werden.

Oft ist es auch die Angst vor dem Unbekannten, die Menschen im unglücklichen Status Quo hält. Eine solche Bequemlichkeit kann auf lange Sicht aber natürlich auch zu Frustration führen, denn wer nur in einer Beziehung lebt, aus Sorge vor dem, was danach kommt - oder kommen könnte-, nimmt sich selbst sämtliche Möglichkeiten, ein besseres Leben zu führen.

Immer mehr Studien über Alleinstehende belegen, dass deren Glückspotential über dem von Liierten liegt

Und trotzdem werden sie als bemitleidenswert dargestellt; als Menschen, die niemanden finden oder die in ihrer Einsamkeit frustriert und gefangen sind. Verheerend. Und falsch: Singles sind häufig Menschen, die keine Kompromisse eingehen wollen und die für das einstehen, was sie sich in einer Beziehung wünschen. Sie haben den Mut, ihre Standards aufrechtzuerhalten und sich nicht mit weniger zufrieden zu geben, als sie möchten.

Sprechen wir also über Buzzthemen wie Selfcare und die Ermächtigung der Frau, gehört auch eine refelktierte Sicht auf Trennungen dazu. Die Realität und die Komplexität menschlicher Beziehungen sprengt nun mal Disneyfilm-Schemata. Trennungen sind ein Teil des Lebens, der natürlich nicht immer leicht zu bewältigen ist und viel Enttäuschung und Schmerz mit sich bringt, aber eben auch eine große Portion persönliches Wachstum und die Chance auf Neuanfänge. Es ist eine Gelegenheit, die eigenen Bedürfnisse und Werte zu reflektieren und herauszufinden, was man wirklich in einer Partnerschaft sucht. Und ob man überhaupt eine sucht oder nur denkt, man müsse eine suchen, weil das eben dazugehört.

Wir sollten daher lernen, das Leben als Single in einem positiveren Licht zu sehen. Anstatt mit Bedauern auf Menschen zu blicken, die sich trennen oder alleine sind, sollten wir sie ermutigen, unterstützen und ja, auch beglückwünschen, die eigenen Wünsche zu priorisieren. Sich selbst wertzuschätzen bedeutet eben auch, dass man den manchmal schwierigen, aber notwendigen Schritt zur Trennung wagt.

Trennungskompetenz ist generell wichtig, nicht nur in Bezug auf Beziehungen. Sie befähigt uns dazu, unsere eigene mentale Gesundheit an oberste Stelle zu setzen. Das hilft auch für Entscheidungen in Freundschaften, im Job oder in der Familie.

Aus Lena und ihrem Fitnesstrainer ist übrigens nichts geworden, die Trennung von Stefan hat sie dennoch nie bereut: "Manchmal denke ich zurück, und frage mich, ob alles so richtig war. Aber jedes Mal komme ich zum gleichen Ergebnis: Mir selbst gegenüber endlich ehrlich gewesen zu sein, macht mich sehr, sehr stolz."

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