Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger hat mit einer Äußerung zum bayerischen Klimaschutzgesetz Irritationen ausgelöst. Der Freie-Wähler-Chef sagte am Rande einer Klausur seiner Landtagsfraktion in Chieming, dass das Gesetz, das den Freistaat zur Klimaneutralität bis 2040 verpflichtet, bereits geändert worden sei – und zwar im vergangenen Jahr. Doch das ist falsch.
Der Landtag, das gesetzgebende Organ des Freistaats, hat eine solche Änderung bislang weder beschlossen noch diskutiert. Im Gegenteil: Bei einer Landtagsdebatte am 12. Dezember 2024 sagte Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber, ein Parteikollege Aiwangers: „Das Hohe Haus, das Parlament, hat dieses Klimaschutzgesetz beschlossen, und das gilt. Bayerns Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, steht.“
Aiwanger antwortete am Donnerstag auf eine Frage der SZ, ob die Staatsregierung ihr Klimaziel ändern werde, so: „Das ist schon geändert, hat die Süddeutsche vielleicht nicht mitbekommen.“ Die Koalition aus CSU und Freien Wählern habe das vorgeschriebene Datum bereits „kassiert“. Aiwanger antwortete weiter: „Wir streben eben nicht mehr 2040 an, sondern haben uns auf das Bundesziel 2045 geeinigt.“
Doch wer am Donnerstag das gültige bayerische Klimaschutzgesetz auf der offiziellen Plattform Bayern.Recht öffnete, fand immer noch folgende Passage unter Artikel 2: „Spätestens bis zum Jahr 2040 soll Bayern klimaneutral sein.“ Eine Nachfrage der SZ, ob Aiwanger seine Aussage konkretisieren könnte, fand auf der Pressekonferenz keine Beachtung mehr. Später lieferte ein FW-Sprecher folgende Erklärung nach: Aiwanger habe sich auf Äußerungen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Rande der Haushaltsverhandlungen im November bezogen. Söder sagte damals, dass ohne eine Rückkehr zur Atomkraft „die Klimaziele weder in Deutschland noch in Bayern erfüllt werden“ könnten. „Keine Chance.“
„Wir alle brauchen einen Klimaruck“, sagte Söder vor ein paar Jahren
Von einer konkreten Gesetzesänderung war bislang jedoch nicht die Rede. Söder hatte das ehrgeizige Klimagesetz im Jahr 2021 ja selbst mit großem Pathos auf den Weg gebracht. „Wir alle müssen uns bewegen, wir alle brauchen einen Klimaruck“, sagte Söder. „Es geht tatsächlich um unseren Fußabdruck in der Geschichte.“
Wie Aiwanger also zu seiner Aussage kam, dass das Gesetz bereits geändert sei, blieb am Donnerstag offen. Naheliegend wäre die Vermutung, dass es sich schlicht um einen Fehler handelt. Um ein Gesetz zu ändern, muss erst einmal ein Antrag zu einer Gesetzesänderung in den Landtag eingebracht werden. Einen solchen Antrag der Regierungsfraktionen gab es bislang nicht. Dann muss die Änderung im Parlament und den zuständigen Ausschüssen beraten werden. Schließlich muss eine Mehrheit der Abgeordneten für die Gesetzesänderung stimmen, bevor der Text im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht wird und in Kraft treten kann. Nichts davon ist bislang geschehen.
„Ich finde es erschreckend, dass vom Vize-Ministerpräsidenten so eine Falschaussage getätigt wird“, kritisiert der Grünen-Politiker Martin Stümpfig, Sprecher für Energie und Klimaschutz im Landtag. Er habe als Abgeordneter und Fachpolitiker bislang nichts von konkreten Plänen gehört, das Klimaschutzgesetz zu ändern. Stattdessen solle die Staatsregierung endlich Maßnahmen ergreifen, um wirksamen Klimaschutz zu machen. Angesprochen auf Aiwangers Aussagen, sagt Stümpfig: „Das überrascht mich jetzt schon.“
Die Ziele stellt Aiwanger schon lange infrage
Hat Aiwanger möglicherweise eine geplante Gesetzesänderung vorweggenommen? Schließlich betont der Wirtschafts- und Energieminister seit Längerem, dass er Klimaziele für überbewertet hält: „Ob wir’s erreichen, wissen wir nicht“, sagte der Politiker, der in Bayern unter anderem für den Ausbau der erneuerbaren Energien zuständig ist. Die gesetzliche Klimaneutralität 2040 für Bayern verglich er zum Beispiel mit einem sportlichen Wettbewerb: „Das ist genau so, wie wenn ich sage: Ich will nächstes Jahr Tabellenführer im Fußball werden.“ Doch laut dem eigenen Klimagesetz ist die Staatsregierung in diesem Jahr gezwungen, „zusätzliche steuernde Maßnahmen“ einzuleiten, um die CO₂-Neutralität zu erreichen.
Kurz vor Weihnachten schien sich die Debatte um das Klimaziel wieder zu beruhigen. Im Parlament versprach Umweltminister Glauber allen Zweiflern: „Der Freistaat Bayern steht natürlich zu seinen Klimaschutzzielen.“
Sein Parteichef und Ministerkollege Aiwanger stellte das nun völlig anders dar. Am Donnerstag rühmte er sich, dass er „als Erster diese Debatte“ um die Änderung der Klimaziele eröffnet und dafür sogar vom Koalitionspartner CSU angegriffen worden sei. „Wenige Wochen drauf haben wir’s dann kassiert“, so Aiwanger. Ihm zufolge habe sich die Koalition auf das neue Ziel 2045 geeinigt, das auch im Bund gilt.
Doch auch diese Verpflichtung – sollte sie denn tatsächlich so kommen – wäre für Aiwanger offenbar nicht bindend. „Ich sag’ auch hier: Wir streben das an. Aber bevor die Wirtschaft tot ist, müssen wir auch an diesem Ziel rütteln.“