StartseiteRegionalNeubrandenburgFeuer, Tempo, Arbeitswelt: Wie ein Nachwende-Roman auf die Bühne kommt

Probenbesuch

Feuer, Tempo, Arbeitswelt: Wie ein Nachwende-Roman auf die Bühne kommt

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Der Nordosten ist ein gutes Pflaster für Domenico Müllensiefen: Hier bekam er den Uwe-Johnson-Förderpreis für „Aus unseren Feuern“, hier kommt sein Buch jetzt auch auf die Bühne.
Veröffentlicht:24.07.2024, 18:46

Artikel teilen:

Erst begeisterte „ein Debüt, das Staunen macht“ die Jury des Literaturpreises; dann begeisterte eine „"Atmosphäre, die man buchstäblich riechen kann",“ den Theatermann Maik Priebe. So kommt es, dass der Schauspieldirektor jetzt den Roman um das Träumen, Zündeln, Scheitern, das widersprüchliche Leben dreier junger Männer im Nachwende-Ostdeutschland in eine Theaterfassung bringt und sie im Herbst an der Theater und Orchestergesellschaft Neubrandenburg/Neustrelitz uraufführen wird. Als der Autor das Ensemble zum Probenbeginn besuchte, hatte Susanne Schulz Gelegenheit zum Gespräch mit Domenico Müllensiefen und Maik Priebe.

Was macht den Roman aus, das danach verlangt, ihn auf die Bühne zu bringen?

Priebe: Ich hatte das Buch schon auf dem Tisch, aber noch nicht gelesen, als Domenico voriges Jahr in Neubrandenburg den Uwe-Johnson-Förderpreis bekam. „Das müssen Sie lesen, das gehört auf die Bühne!“, sagte damals Dirk Oschmann, der die Laudatio gehalten hatte und den ich für sein Buch „Der Osten, eine Erfindung des Westens“ verehre. Tatsächlich konnte ich dann, einmal angefangen, gar nicht aufhören zu lesen. „Aus unseren Feuern“ ist für mich eines der wichtigsten Bücher der vergangenen 15 Jahre. Es eröffnet einen ganz anderen Blick auf den Osten, in unfassbar atmosphärischer Beschreibung: Ich kannte das alles, ich konnte es buchstäblich riechen!

Und wie fühlt es sich für den Autor an, wenn sein Romanstoff zu einem Schauspiel umgeformt wird?

Müllensiefen: Ich bin voller Freude und Dankbarkeit dafür, und voll freudiger Erwartung, wie das umgesetzt wird. Es ist unglaublich, was für tolle Leute man trifft, wenn man so ein Buch publiziert hat: Leute, die Lust haben, mit dem Stoff zu arbeiten.

Wie eng werden Sie die Inszenierung verfolgen?

Müllensiefen: Sehr! Ich komme natürlich zur Premiere und möchte überhaupt so viele Aufführungen wie möglich sehen. Wenn ich eingeladen werde, bin ich auch gern bei Proben dabei. Aber ich werde mich nicht einmischen!

Beruhigend für Sie, Herr Priebe?

Priebe: Offen gestanden schon. Denn aus fast 350 Romanseiten eine Bühnenfassung zu destillieren, ist natürlich hart. Da werden Sachen 'rausfallen, an denen Domenicos Herz hängt. Umso schöner, auf einen Autor zu treffen, der so offen und neugierig ist. Auch im Ensemble liest ja jeder das Buch aus seiner eigenen Perspektive, jeder verbindet andere Erfahrungen damit.

Setzen Sie voraus, dass alle im Ensemble den Roman kennen, bevor sie sich mit der Bühnenfassung beschäftigen?

Priebe: Nein, das erwarte ich nicht. Aber Überraschung: Sie hatten ihn alle gelesen!

Müllensiefen: Und die Bücher, die ich da im Probenraum gesehen habe, sahen echt nicht ladenneu aus.

Wie packen Sie's an, aus dem – sehr dialogstarken – Roman ein Theaterstück zu machen?

Priebe: Normalerweise finde ich Romanbearbeitungen meistens etwas merkwürdig, aber dieses Buch kommt so stark ins Dialogische, dass ich mich nicht groß fragen muss, wie das Epische und Prosaische funktionieren soll. Ich habe da sofort Bilder gesehen. Vor allem geht es mir um diese saftigen Figuren, voller Kraft, voller Liebe, voller Sehnsüchte. Sagen wir mal salopp, dass es ein sehr englischer Abend wird, extrem temporeich, so wie auch Domenico schreibt, mit diesen schnellen Schnitten und den Zeitebenen.

Ein persönliches Faible? Drängend klingt ja auch der Titel des neuen Romans „Schnall dich an, es geht los“, der demnächst erscheint.

Müllensiefen: Vielleicht ist das eine falsche Fährte, die Figuren jedenfalls verharren erst mal.

Priebe: Auf jeden Fall freue ich mich darauf, mir die Uraufführungsrechte zu sichern. „Aus unseren Feuern“ ist schon mal ein großer Wurf.

Hat der Uwe-Johnson-Förderpreis etwas verändert, etwas bewirkt, Druck erhöht?

Müllensiefen: Das nicht unbedingt. Ich habe mich schon gefragt, ob ich die Qualität des ersten Romans ein weiteres Mal erreichen kann. Aber ich schreibe, was mir auf dem Herzen liegt und in die Welt hinaus will.

Dabei beeindruckt immer wieder die prägnant, teils drastisch beschriebene Arbeitswelt. Wie lässt sich damit auf der Bühne umgehen, wo Sie ja eher nicht konkrete Schauplätze abbilden?

Priebe: Das zu erspielen, ist unser Beruf, und ich glaube fest daran, dass Theater Utopien eröffnet. Wir leben ja in 'ner Blase. Aber warum denken Leute außerhalb dieser Blase so, wie sie denken, warum leben sie, wie sie leben? Dort werden Wahlen entschieden, nicht in elitärem Gesumse. Und diese Leute erreicht man nicht, wenn Politiker keine Fleischer, Bestatter, Elektriker kennen. Es ist eine große Qualität dieses Romans, dass wir solchen Leuten begegnen: Das ist ein Gesellschaftsporträt.

Eines, das somit programmatisch am Beginn der neuen Spielzeit platziert ist?

Priebe: Tatsächlich steht es bewusst am Anfang einer Saison, in der uns zwei große deutsche Wegmarken beschäftigen: 35 Jahre Mauerfall, der ja auch 40 Jahre DDR zum Hintergrund hat, und 80 Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – erschreckend, dass wir nicht von 80 Jahren Frieden in Europa sprechen können. Ich will aber gerade bei „Aus unseren Feuern“ nicht unterschlagen, dass es sich auch um einen lustigen Roman handelt. Denn was wir vor allem wollen, ist: Geschichten von Menschen erzählen.

Ein Jahr nach der Auszeichnung mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis kommt „Aus unseren Feuern“ nun auch auf die Bühne.
Ein Jahr nach der Auszeichnung mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis kommt „Aus unseren Feuern“ nun auch auf die Bühne. (Foto: Kanon-Verlag)

Der Roman „Aus unseren Feuern“ ist erschienen im Kanon Verlag Berlin (336 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-98568-081-8). Maik Priebes Theaterfassung wird am 28. September im Schauspielhaus Neubrandenburg uraufgeführt. Bereits einige Tage zuvor liest Domenico Müllensiefen zum Auftakt der Uwe-Johnson-Tage in Neubrandenburg (16. 9.) und Güstrow (17. 9.) aus seinem neuen Buch „Schnall dich an, es geht los“.