61-jähriger Hochspringer Rüdiger Weber bricht Weltrekord

Das Wetter ist nicht optimal an diesem Abend. Nachdem es den halben Tag geregnet hat, ist der Himmel am Nachmittag aufgerissen, doch es ist kühl und windig. „Keine guten Hochsprungbedingungen“, sagt Rüdiger Weber. Warm sollte es sein, am besten sogar heiß, dann seien die Muskeln beweglich und das Verletzungsrisiko geringer. Weber, 1,87 Meter groß, blondes, lichtes Haar, blaue Augen steht am Rand des Sportplatzes in Pfungstadt, auf dem weitläufigen Platz treten heute Leichtathleten gegeneinander an. 535 Sportler, vor allem aus den jüngeren Altersklassen, Rüdiger Weber fällt auf. Die jüngeren Sportler beäugen ihn interessiert, ein wenig belustigt. Weber scheint das weder zu bemerken noch zu interessieren. Erst vor wenigen Tagen brach er abermals den Weltrekord seiner Altersklasse: 1,82 Meter hat er gefloppt, nur vier Tage vor seinem 61. Geburtstag. Andere Voraussetzungen als die meisten Altersgenossen Das Sportfest in Pfungstadt ist für ihn lediglich Trainingsort, hier kann er unter Wettkampfbedingungen springen. Doch er möchte sich auch an einem neuen Rekord versuchen, 1,83 Meter – „das wär doch was!“. Seitdem Weber zur Masters-Leichtathletik gekommen ist, mischt er die Wettkämpfe auf. Hessischer Meister, deutscher Meister, Europameister, dann im vergangenen Jahr Weltmeister in der Altersklasse ab 59 und seit Februar Weltrekordhalter in der Altersklasse 60 bis 64 – eine Bilanz, auf die Weber sichtlich stolz ist. Und er möchte mehr: „Ich bin davon überzeugt, ich kann noch richtig gut werden.“ Für die Wettkämpfe bringt er andere Voraussetzungen mit als die meisten seiner Altersgenossen: 1963 in Wiesbaden geboren, ist Weber schon als Kind sportbegeistert. Er tritt mit neun Jahren in die Wiesbadener Eintracht ein, mit nur zwölf Jahren ist er der beste hessische Hochspringer, bei einer Körpergröße von 1,55 floppt Weber 1,59 Meter. Anfang 1981 wird er Zweiter bei der deutschen Jugendmeisterschaft in der Halle. Mit 18 überspringt er 2,10 Meter, mit 21 erreicht er mit 2,16 Metern seine Bestleistung. Er gehört damals zur erweiterten deutschen Spitzenklasse, fährt gemeinsam mit den Hochsprungstars Carlo Thränhardt und Dietmar Mögenburg auf Wettkämpfe. Webers Leistungen sind gut, doch kann er nicht an die Ausnahmetalente seiner Generation heranreichen: Thränhardt und Mögenburg, beide mit etwa zwei Metern Körpergröße deutlich größer als Weber, überspringen damals mehr als 2,30 Meter. Weber geht es immer ums Gewinnen Weber beendet 1996 seine Wettkampfkarriere, der Ehrgeiz und die Liebe zum Sport aber bleiben. Als er vor zehn Jahren im Internet nach den Spitzenergebnissen in seiner Altersklasse sucht, scheinen die für ihn mehr als erreichbar. „Ich dachte, da räume ich mal ab“, sagt er heute. Weber geht es immer ums Gewinnen. Er will der Beste sein, ganz oben an der Spitze der Rangliste: Weltmeister, Champion, Weltrekordhalter. Das war es, was ihn als junger Sportler angetrieben hat und das ist es auch heute noch, sagt er. „Den anderen geht es vielleicht darum, dabei zu sein, mir geht’s um die Weltrekorde.“ Seine Konkurrenten von damals könnten heute nicht mehr mit ihm mithalten, davon ist er überzeugt. „Jetzt zeigt sich, wer der nachhaltigste Sportler ist.“ Viele der ehemaligen Spitzensportler seien heute nicht mehr in Form – „die haben ihre Körper vernachlässigt“. Nicht so Weber, der vier bis fünfmal in der Woche trainiert. Obwohl er neben seiner Mitgliedschaft bei der Wiesbadener Eintracht seit 50 Jahren Teil des Kraftsportvereins SV Athletia ist, geht er fürs Krafttraining seit anderthalb Jahren zusätzlich ins Fitnessstudio. Ob er sich nicht unwohl fühle zwischen den ganzen jungen Pumpern bei McFit? „Im Gegenteil, die sind ganz frustriert, wenn die mich trainieren sehen“, sagt Weber und lacht. Für ihn ist die Hochsprungleistung nur Randprodukt seines Trainings. „Ich gehe nicht jede Woche hochspringen. Ich trainiere die Beine und den Oberkörper, also die allgemeine Kraft und Fitness, die man dafür braucht.“ Dabei geht er strikt nach dem Lustprinzip, wie er sagt, läuft oder stemmt Gewichte, wenn ihm danach ist. Auf dem Platz bereitet er sich für seinen entscheidenden Sprung vor. 1,79 Meter, seinen Weltrekord vom Februar, hat er schon bestätigt. Er visiert die Latte an, sieht vor seinem inneren Auge den Bewegungsablauf, ein paar schnelle Schritte nach vorne, dann in einer Kurve auf die Latte zu, bis er mit der linken Schulter fast auf ihrer Höhe ist, schließlich der Sprung. Er läuft, springt und reißt die Latte. Einmal, zweimal, dreimal. Er flucht, kein Weltrekord in Pfungstadt. Als er seine Sachen zusammenpackt, ist er in Gedanken schon beim kommenden großen Wettbewerb, den Weltmeisterschaften in Göteborg. Als sein härtester Konkurrent gilt Marco Segatel, der wie er aus der dritten Reihe der Spitzensportler stammt. Noch vor zehn Jahren ist der Italiener 1,91 Meter gesprungen und hat damit Carlo Thränhardts damaligen Weltrekord in der Altersklasse ab 55 gebrochen. Doch Weber ist überzeugt, an diese Leistung kann auch Segatel nicht mehr anschließen.