Frauen in der Antike: Ausstellung in Berlin über Frauenbilder

Der Medea-Sarkophag der Berliner Antikensammlung stammt aus der frühen Regierungszeit des Kaisers Antoninus Pius um 140 nach Christus, als sich die Körperbestattung gegen die altrömische Sitte der Brandbestattung durchzusetzen begann. Er zeigt den Mythos der Königstochter aus Kolchis am Schwarzen Meer, die Jason, dem Anführer der Argonauten, aus ihrer Heimat nach Griechenland folgt, in Korinth von ihm verstoßen wird und aus Rache ihre Nebenbuhlerin und ihre Kinder tötet, in vier nebeneinanderstehenden Szenen. In der ersten, ganz links, übergeben Medeas Kinder der neuen Braut Jasons die vergifteten Speisen und Kleider, an denen sie sterben wird; in der zweiten steht Kreusa, die Braut, buchstäblich in Flammen, während sich ihr Vater Kreon hinter ihr die Haare rauft; in der dritten zückt Medea das Schwert, mit dem sie ihre beiden Knaben töten wird, und in der vierten flieht sie mit deren Leichen auf dem Wagen des Helios, der von geflügelten Schlangen gezogen wird. Der Sarkophag aus poliertem Carrara-Marmor wurde 1887 fast unzerstört vor der Porta San Lorenzo an der Straße nach Tivoli im Nordosten Roms ausgegraben. Er ist ein Meisterwerk der kaiserzeitlichen Kunst, aber die Besucher der Dauerausstellung des Alten Museums in Berlin schenken ihm gewöhnlich nur einen kurzen Blick. Es ist das Dilemma aller Sammlungspräsentationen: Das einzelne Stück verschwindet in der Masse der Objekte. Die Antikensammlung, die im Alten Museum nur wenig Platz für Sonderausstellungen zur Verfügung hat, versucht dem Problem seit Jahren mit immer neuen Themenausstellungen zu begegnen. So auch diesmal. Und wieder mit Erfolg. Die Zurichtungen des männlichen Blicks Seit Ende Mai nämlich steht der Medea-Sarkophag in der Ausstellung „Göttinnen und Gattinnen“, die einen Querschnitt antiker Kunst- und Kulturgeschichte vom siebten vorchristlichen bis zum dritten nachchristlichen Jahrhundert bietet: zweiundvierzig Objekte, die allesamt von Frauen erzählen. Man könnte statt von Göttinnen und Gattinnen auch von Täterinnen und Opfern reden: hier Medea, die sich für die ihr angetane Schmach grausam revanchiert, dort, auf einem anderen, späteren, weniger gut erhaltenen römischen Sarkophag, die Zeustochter Persephone, die auf einer Blumenwiese vom Unterweltgott Hades gepackt und in sein Totenreich entführt wird. Aphrodite, Athena und Artemis, ihre Schwestern, müssen der Untat hilflos zusehen, und der Schlangenwagen der Demeter, der Mutter des verschleppten Mädchens, kommt zu spät. Aber natürlich waren alle mythischen Frauen der Antike Opfer der Zurichtungen des männlichen Blicks und der Weltbilder patriarchaler Erzählungen, wie die Raumtexte der von Annegret Klünker kuratierten Ausstellung und die Aufsätze der Autorinnen des Katalogs in hinreichender Deutlichkeit kundtun. Nur fährt ihnen die Präsentation selbst dabei in die Parade. Jene Venus, die in der linken Hand ein Schwert hält, während die rechte, nur verstümmelt erhaltene wie zum Gruß erhoben ist, und die neben ihr stehende römische Athene, die ihren Ziehsohn Erichthonios, den späteren König von Athen, wie ein Jesusknäblein auf ihrem Arm balanciert, sind eben keine braven Weibchen, sondern Himmelsherrscherinnen mit entsprechender Handlungsmacht. Auch ihre Schwestern auf der Erde, seien es die Amazonen, die Jägerin Atalante oder die keulenschwingende Omphale, bleiben den Männern nichts schuldig – dass Penthesilea von Achill besiegt wird, ist kein Gegenbeweis, schließlich wird er auch mit jedem anderen Sterblichen fertig. In der Sphäre der Mythologie galten andere Gender-Stereotypen als im homerischen Epos mit seinen webenden und wartenden Mustergattinnen auf Ithaka oder mannstollen Ehebrecherinnen in Mykene. Hier trieben die wilden Reiterscharen und die Zauberkundigen aus den Randzonen des griechischen Globus ihr Wesen. Auf einer um 400 vor Christus entstandenen Vase aus Athen reckt sich eine Amazonenkriegerin in prächtigen Beinkleidern auf einem Schimmel in derselben Pose, die seit der Renaissance zum Standard neuzeitlicher Reiterstatuen von Feldherrn und Fürsten wurde, herrisch, siegesbewusst, mit gestrecktem Speerarm auf dem sich bäumenden Ross. Rechts und links neben ihr ducken sich zwei griechische Hopliten furchtsam unter ihre Schilde. Der Künstler wusste, wie man eine antike wonder woman inszenierte. Wie man einen Mythos trivial macht Die Ausstellung füllt nur einen Saal in Schinkels Bau, aber von hier aus kann man Spuren in die Sammlungspräsentation im Erdgeschoss und im oberen Stockwerk folgen – sei es die Dämonenfurcht, die sich in einem rhodischen Salbgefäß in Form eines Gorgonenhaupts oder in den Medusahäuptern auf römischen Goldringen zeigt, sei es der Glaube an eine Muttergottheit in Gestalt der Hera in Marmor und Ton. Die einzige Spur, die in die Irre führt, ist der in zwei Vitrinen und mehreren Katalogaufsätzen starkgemachte Verweis auf die feministisch angezuckerte Populärliteratur der Schreibschülerinnen von Marion Zimmer-Bradley. Denn in Fantasyromanen wie Madeline Millers „Ich bin Circe“ wird nicht der Mythos in die Gegenwart geholt, sondern die Gegenwart in die Karnevalskostüme einer Streamingserie gehüllt, in der der Sonnengott Helios beim Damespiel sitzt, während sich seine Tochter nach properen Knaben umsieht. Als Göttinnen und Gattinnen noch Objekte des Kultus waren, herrschte im Umgang mit ihnen ein anderer Ernst. So war auch der Medea-Sarkophag nicht der Verherrlichung weiblicher agency gewidmet. Im Mittelpunkt der Darstellung steht vielmehr Kreusa, die unglückliche Braut, die als Sterbende im durchsichtigen Kleid einen spektakulären Auftritt hat. Offenbar war die in dem Sarg Bestattete in jungen Jahren dahingeschieden. Medea aber verkörperte auf dem Relief die Grausamkeit des Schicksals, das die Hoffnungen der Menschen zunichtemacht. Erst in der Neuzeit wurde sie zur tragisch Liebenden. Und erst Maria Callas machte sie vor Pasolinis Kamera zum Star. Göttinnen und Gattinnen. Frauen im antiken Mythos. Altes Museum Berlin, bis 15. März 2025. Der Katalog kostet 34,80 Euro.