Die diesjährige Ausgabe von „Adelsheim leuchtet“ steht unter dem Motto des „Emergency Exit“

Es braucht ein ganzes Dorf, um eine Videoausstellung auf die Beine zu stellen. Zumindest im baden-württembergischen Adelsheim hätte dieses Diktum Sprichwortpotential. Unter Mithilfe eines riesigen Stabs an größtenteils ehrenamtlichen Helfern haben dort die Künstler Louis von Adelsheim und Karl Anton Koenigs vergangene Woche die zwanzigste Ausgabe der Veranstaltungsreihe „Adelsheim leuchtet“ unter dem Motto „Emergency Exit“ vorgestellt. Dafür haben sie den hiesigen Schlosspark mit einer Vielzahl an Licht- und Videoinstallationen in surrealistisch-dadaistischer Manier bestückt. Der „Emergency“, der Notstand also, betrifft die aktuellen Menschheitsprobleme von Krieg bis Klimawandel. Sie stehen im Zentrum der Installationen. Einen Vorschlag für einen möglichen Exit machen von Adelsheims und Koenigs mit ihrer „Rakete Noah“, die, ihrem alttestamentarischen Vorbild ähnlich, Proben irdischen Lebens in Form von DNA-Flaschen zur Reproduktion auf einem neuen Heimatplaneten beherbergt. Gleich zu Beginn des Parcours im Park wartet die dadaistische „Aussegnung des Wahnsinns“: In einem fotonegativen Videotunnel aus stur applaudierenden Männern, die an den Einheitslook der Trittbrettfahrer in asiatischen Diktaturen erinnern sollen, steht ein Sarg, auf dem sich Schlangen winden und aus dem die Besucher ein riesiges Auge anstarrt. Ihre eigentümliche Entrücktheit gewinnt die Szenerie durch das Video eines Akkordeonisten, dessen Bach-Transkriptionen gespenstisch aus einem Spiegelkasten im Fluchtpunkt des Tunnels schallen. Unumstrittene Verwerflichkeit Mit diesem Nebeneinander der Mittel ist die Aussegnungs-Installation bereits die am stärksten assoziative dieser Ausstellung. Ansonsten vermittelt sich ihr mahnender Impetus unumwunden: Auf geradezu offensivem Weg rufen die Stationen Betroffenheit hervor. Diese hemdsärmelige Herangehensweise macht aber nichts falsch, denn schließlich behandelt das Projekt unstrittige Themen; auf die Verwerflichkeit von Krieg, Umweltverschmutzung und Kindesmissbrauch können sich wohl alle Besucher in Adelsheim einigen. Statt auf einen inhaltlichen Diskurs unter den Besuchern zielen von Adelsheim und Koenigs, wie bei vielen solcher großformatigen Licht- oder Videoinstallationen, eher auf einen Austausch über Form und Ausdruck der Arbeiten ab. Was ihre Ausstellung aber nicht nur anders, sondern klüger als andere ihrer Art macht, ist die stetige Immersion der Besucher. Bloß mit effekthascherischen Projektionen zu beeindrucken ist nicht das Ziel der Künstler. Gelenkte Blicke, schweifende Assoziationen Stattdessen laden sie die Besucher zu einem feinen Dinner an einer langen Tafel ein, auf die neben Muscheln und Lachs auch zu jedem eingedeckten Sitzplatz ein Paar Hände projiziert werden. Weitaus analoger, da ganz ohne Elektronik, kommen die Himmelstische aus. Unter den ausladenden Kronen der Laubbäume platziert, liegen Spiegel auf etwa brusthohen Tischen, die die Gäste zu einem Blick auf das eigene Konterfei vor dem bunt beleuchteten Hintergrund auffordern. Gerade an diesen beiden Stationen des Emergency-Gangs lässt sich die Spannweite ihrer Macharten ablesen. Die bestechend simplen Himmelstische kommen ganz ohne sozialkritische Fingerzeige aus und überlassen es ganz den Gästen, sich in Bezug zum Visuellen zu setzen. Einige mögen sich davon an die Stunden der Kindheit erinnert fühlen, in denen man auf Wiesen liegend in den Himmel schaute, andere sich unbedarft am Spiegelspiel erfreuen. Die Tafelrunde hingegen überlässt nichts dem Zufall. Für das aufwendig choreographierte Video wurde nicht nur das Team der beiden Künstler, genauer ihre Hände, beim Essen aufgezeichnet, sondern bis hin zum gebratenen Lachs alles eigens präpariert. Spätestens bei der Überlagerung dieses Mahls mit Aufnahmen von Müllstrudeln wird die anklagende Stoßrichtung der Installation offenbar. Die Guckkastenperspektive beschränkt sich im Park auf sinnfällige Einsätze, deren eindrucksvollster die auf eine Mauer projizierte Meeresbrandung ist. Was unspektakulär klingen mag, entfaltet hier durch eine Einbettung in die Parkszenerie seine „leicht psychedelische Wirkung“, die Louis von Adelsheim in der Eröffnungsrede scherzend verspricht. Tatsächlich geht die Luftaufnahme der türkisfarbenen Wellen farblich wie haptisch so nahtlos in das wogende Grün der Sträucher über, dass sich nach einigen Minuten ein tranceähnlicher Zustand einstellt. Mahn-Rakete Zu diesen visuellen Auszeiten gehört neben weiteren Spiegelinstallationen und einem marokkanischen Zelt zur meditativen Entspannung auch der Park selbst, der die Besucher immer wieder mit effektvollen Illuminationen überrascht. Solche klug gesetzten sinnlichen Gegengewichte zur inhaltlichen Schwere mancher Videos verhindern, dass die Ausstellung zu moralisierend wirkt. Im Sinne des mitschwingenden Dadaismus mausert sich deshalb auch die Idee von der „Rakete Noah“ und dem angeschlossenen Spiel von galaktischen Ausflüchten der Menschheit zum spielerischer Nebenschauplatz. Er soll weniger als zwingender Konnex der einzelnen Installationen dienen, die ohnehin nicht durch dramaturgische, inhaltliche oder ästhetische Bögen aufeinander bezogen sind, sondern Prismen menschlicher Abgründigkeit abbilden. Die Idee der Rakete ist eine augenzwinkernde Erinnerung daran, dass sich die Menschheit trotz all ihrer schrecklichen Eigenschaften auch an ihrem großartigen Erfindergeist erfreuen kann.