Frankfurter Anthologie :
Jean de Bourgois: „Icke“

Von Hans Christoph Buch
Lesezeit: 3 Min.
Passt besser uff, denn hier spricht Berlin! Ein Gedicht, das den Volksmund imitiert und damit zahlreiche Intellektuelle faszinierte.

Egal, ob gereimt oder ungereimt: Ich war und bin kein Freund der Berliner Schnauze, deren Charme in ihrer Grobheit liegt. Theodor Fontane gibt dafür Regel und Beispiel zugleich: Zum gelernten Berliner, schrieb er einmal, wirst du erst, wenn du es schaffst, wildfremde Menschen anzurempeln mit dem Ruf: „Pass besser uff!“ Seit über fünfzig Jahren lebe ich hier und hätte mir nie träumen lassen, ein Dialektgedicht von der Spree in der Frankfurter Anthologie zu kommentieren. (Genau genommen ist Berlinerisch ja kein Dialekt, sondern ein Großstadtjargon, plattdeutsch mit französischen und slawischen Einsprengseln – doch das nur in Klammern.)

Das vorliegende Gedicht ist eine Perle, Mundart vom Feinsten: Kein anderes aus einer in der „Anderen Bibliothek“ publizierten Sammlung Berliner Verse wurde öfter nachgedruckt und, von Mund zu Mund gehend, verstümmelt, variiert und erweitert bis zum Geht-nicht-mehr. Das liegt daran, dass man den Text für ein anonymes Produkt des Volksmunds hielt, denn der Name des angeblichen Verfassers Jean de Bourgois ist nirgendwo sonst belegt. Fest steht nur, dass das Gedicht erstmals 1925 im „Europa-Almanach“ erschien, herausgegeben von Paul Westheim und Carl Einstein, der auch als Verfasser infrage kommt. Noch im selben Jahr wurde es von Kurt Weill vertont und 1927 bei der Hochzeit des Komponisten Hans-Heinz Stuckenschmidt in Berlin uraufgeführt.

Klopfzeichen aus dem Inneren

Das ist nur das erste Glied in einer Kette aus Liebeserklärungen und Adaptationen, die vom Berliner Prominentenfriseur Udo Walz bis zu F. K. Waechter reicht, Malerpoet und Mitbegründer der Satirezeitschrift „Titanic“, der das Gedicht fortgeschrieben hat: „De Tür steht uff, ick seh die Klops / und seh – Mariechen – und da klopps / an meene Birne und meen Herz. / Ick mach mir schleunings erdenwärts.“ Weiter als bis zum Mond, wie hier, kann man sich kaum entfernen vom irdischen Ursprung des Texts, dessen Faszination sich aus zwei Quellen speist: vom Gleichklang der Wörter „Klops“ und „klopps“, der allein schon irre komisch ist, und davon, dass der Klopse-Esser nicht der geliebten Marie, sondern sich selbst, seinem Alter Ego, gegenübersteht. So besehen, erwuchs das Gedicht aus der fiktiven Begegnung zweier Vorreiter der Moderne: Heinrich Zille, der wie Wilhelm Busch seine Bilder mit Versen versah, und Franz Kafka, der sich als Hungerkünstler verewigte – und das nicht nur im übertragenen Sinn: Aus der Klinik in Kierling, wo er an Kehlkopfkrebs starb, schickte Kafka den Eltern eine Speisekarte, ohne zu erwähnen, dass er nichts mehr essen und trinken konnte. Zille hingegen liebte es deftig: „Mal en Schluck in de Destille! Und een bisken Kille Kille – Det hält munter! Heinrich Zille.“

Damit nicht genug. Ein philosophisch gebildeter Rezensent hat die vom Gedicht aufgeworfene Klopse-Frage in ihrem existenziellen Tiefgang erfasst: „Was könnte es aber sein, was bei Kant anklopft? Antwort: Was bei uns quasi von außen anklopft, das kommt aus unserem Inneren. Dieses kantische Klopfzeichen ist das Fragezeichen.“

Dazu hat Georg Bötticher, der Vater von Joachim Ringelnatz, in schneidigem Offizierston das Entscheidende gesagt: „Feier für Kant sympathisch mir / Wenn auch von ihm nichts jelesen / Sein kategorischer Imperativ / Jradezu Leutnantsdevise / Weis keine zweite so intensiv- / knapp militärisch wie diese.“

Hier schließt sich der Kreis, obwohl die Wirkungsgeschichte der Verse sich darin nicht erschöpft. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Königsberg heute Kaliningrad heißt und dass Königsberger Klopse in Berlin nur noch selten aufgetischt werden.

Jean de Bourgois: „Icke“

Ick sitze da un esse Klops.
Uff eemal klopp’s.
Ick kieke, staune, wundre mir,
Uff eemal jeht se uff, de Tür,
Nanu denk’ ick, ick denk’ nanu,
Jetzt isse uff, erscht war se zu?
Un ick jeh raus un blicke,
Un wer steht draußen? –  Icke!