(M.A.-Abschlussarbeit, Wiener Rupert-Riedl-Preis 2019) Schon Erwin Schrödinger hat sich mit der Frage der Gesetzlichkeit der Natur auseinandergesetzt, wie ein endlicher menschlicher Geist zu einer Formulierung von Gesetzen der Natur...
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Schon Erwin Schrödinger hat sich mit der Frage der Gesetzlichkeit der Natur auseinandergesetzt, wie ein endlicher menschlicher Geist zu einer Formulierung von Gesetzen der Natur gelangen kann, worin der konstruktive Beitrag der menschlichen Subjektivität zu unserem objektiven Bild von der Natur besteht, worin die Relationen zwischen Erkenntnissubjekt und Naturobjekten bestehen, welche uns eine Wirklichkeitserschließung möglich machen. Es fragt sich, wie das Bild von der Natur im Denken des menschlichen Ichs überhaupt entstehen kann und wie die Welt durch die Betrachtung des menschlichen Geistes Bedeutung erlangen kann.
Es lässt sich außerdem mit Erwin Schrödinger fragen, wie natürliche Außenwelt und Bewusstsein aufeinander bezogen sind und in welchem Verhältnis sie aus der Perspektive des menschlichen Denkens und Vorstellens zueinander stehen. Bei der Reflexion dessen lässt sich die Annahme von Moritz Schlick stark machen, dass das philosophisch Geistige in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis selbst zu suchen ist. Ebenso kann man sich bei der Reflexion solcher Fragen der Annahme von Karl Raimund Popper anschließen, dass es sich bei den von uns vorgestellten Gesetzen der Natur um vom menschlichen Geist erschaffene Idealisierungen der Welt handelt, welche wir als Fangnetze auswerfen, um den Kosmos einzufangen, wodurch wir versuchen analog zu einem Musikstück die Natur in den Rhythmen ihrer Strukturen zu erfassen.
Ähnlich ließe sich mit Werner Heisenberg vermuten, dass etwa die Quantentheorie sich als bedeutsam für ein umfassendes Weltverständnis erweist, indem sie auf die für diese Welt grundlegenden Strukturen und platonischen Ideen hinweist. Damit muss auch das Verhältnis von Geist und Materie neu bestimmt werden, wobei jemand wie Carl Friedrich von Weizsäcker diesbezüglich auf das durch die moderne Physik gewandelte Bild vom Ganzen dieser Wirklichkeit eingegangen ist, indem er versucht hat die Einheit der Natur zu rekonstruieren auf der Grundlage der Auffassung, dass die Quantentheorie als fundamentale Theorie für unsere Naturerkenntnis in der Gegenwart anzusehen ist und damit auch eine Theorie des menschlichen Wissens über die Welt insgesamt darstellt.
Damit stellt Weizsäcker schließlich die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Wissen überhaupt, wobei die Zeit als Horizont menschlichen Wissens auftrete und die Quantentheorie als eine Logik der Zeitlichkeit die Bedingungen für die Möglichkeit von Wissen angebe und eben dadurch das Sein in seiner naturgesetzlichen Einheit bestimme. Die verschiedenen Erscheinungen der Welt stellen sich dann nach Weizsäcker als zeitliche Erscheinungen des Seienden im Bewusstsein dar. Die Wissenschaft untersuche die Realität in ihrer Vielfalt als Gegenstand des Wissens, welches menschlichen Subjekten zukommt und sich zeitlich entwickelt, wobei die Natur selber eine geschichtliche Bedingung für die Möglichkeit von wissenden Subjekten darstellt und ein philosophisches Bewusstsein die Zeitlichkeit allen Wissens zu bedenken hat.
Jene Geschichtlichkeit der Natur zeigt sich seit jeher im Bereich des Organischen, in welchem die der natürlichen Auslese entspringende evolutionäre Variation und die Unvorhersagbarkeit zukünftiger Phänomene als besonders kennzeichnend in das Blickfeld rücken, wobei sich offenbart, um mit Ernst Mayr zu sprechen, dass das Lebewesen Mensch als sehr unwahrscheinlich erscheinen muss und dennoch dem Planeten Erde mehr oder weniger bloß „passiert“ ist. Jener Mensch untersteht dabei, wie auch Jacques Monod ausgeführt hat, genauso wie alle anderen Lebewesen in der Evolution der Zusammenwirkung von Zufallsereignissen auf der mikroskopischen Ebene und Selektionsbedingungen auf der makroskopischen Ebene.
Somit lässt sich dann auch mit Konrad Lorenz der konsequente Schluss ziehen, dass auch der menschliche Erkenntnisapparat als ein Objekt der Realität mit seinen Denkformen und Anschauungsweisen aus der Auseinandersetzung mit der Umwelt und der Anpassung an ihre Bedingungen hervorgegangen ist. Damit lässt sich auch etwa mit Adolf Portmann der Glaube, dass die Natur den Menschen „entlassen“ haben, durchaus bezweifeln.
So hat dann Rupert Riedl jene „Strategien“ der Evolution aufgedeckt, welche bei der Entwicklung der Komplexität dieser Realität von der materiellen und der organischen Ebene bis hin zur geistigen und soziokulturellen Ebene maßgeblich sind und durch welche sich das Leben organisiert. Dabei zeigt sich nach Riedl, dass der geschichtlichen Ordnung der Natur und der in ihr waltenden Auslese auch die Ordnung des menschlichen Denkens entspringt, wodurch die organische Evolution zur Ausdifferenzierung eines bestimmten Hypothesensystems in uns geführt hat. So zeigt also Riedl, wie sich entlang materieller Gesetzlichkeiten der menschliche Geist entwickelt und differenziert hat und durch die Stammesgeschichte auch das menschliche Vorstellen in seinem Vermögen ausgeformt worden ist.
Nach Weizsäcker zeichnet sich Materie durch die Eigenschaft aus, dass sie möglicher Gegenstand des menschlichen Denkens sein kann. Weizsäcker zufolge hat die moderne Physik philosophisch gesehen das Verdienst, erkannt und wieder der Aufmerksamkeit zugeführt zu haben, dass bezüglich des Seins „überhaupt eine Frage zu stellen“ ist, weshalb das Problem der modernen Physik ein solches der Ontologie wäre. Die Quantenphysik könnte sich nach Weizsäcker als jene „Theorie des überhaupt begrifflich Erkennbaren“ und „allgemeine Wissenschaft des Verstandes“ herausstellen. Die Quantenphysik als „Logik objektivierbarer Erfahrung“ bietet nach Weizsäcker eine neue Herangehensweise an „das Seiende zu verstehen“.
Riedl sieht in der Evolutionsbiologie die Möglichkeit einer objektiven Betrachtung des „Werdens der Vernunft“ im Sinne eines kosmischen Prozesses, indem sie es ermögliche den „stammesgeschichtlichen Grundlagen“ der menschlichen Vernunft nachzugehen, um zu erfahren, für die Bewältigung welcher Art von Lebensaufgaben die menschlichen Anschauungsformen von der Selektion ausgewählt worden sind. So hätten sich nach Riedl auch im Menschen bestimmte „ratiomorphe Anlagen“ ausgebildet, durch welche die Grundstrukturen der Welt gespiegelt werden, wodurch der Erkenntnismechanismus des menschlichen Bewusstseins auf einem angeborenen Lehrmeister beruht. So wendet sich Riedl in seiner „evolutionären Theorie der Erkenntnis“ einer objektiven Beschreibung der „naturgesetzlichen Evolution des Bewusstseins“ zu, wobei die individuell „angeborenen Anschauungsformen“ des menschlichen „Weltbildapparates“ als aposteriorische „Selektionsprodukte“ des genetischen Lernens beschrieben werden.
Weizsäcker empfiehlt ausgehend von der mathematischen Physik der Gegenwart eine Rückbesinnung auf den Kantianismus und den Platonismus und sieht durch das gewandelte Denken der modernen Naturwissenschaft eine idealistische Erkenntnistheorie als bekräftigt an. Riedl sieht ausgehend von der Evolutionsbiologie und durch die Möglichkeit der natürlichen Erklärung menschlichen Denkens eine idealistische Erkenntnistheorie sowie platonistische und kantianische Ansätze als überholt an.
Weizsäcker und Riedl versuchen in ihrem Blick auf die logisch-empiristische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie eines Carnap und eines Popper bei der Besprechung von Fragen nach der Möglichkeit menschlicher und wissenschaftlicher Erkenntnis alternative Wege zu gehen, indem Weizsäcker gegenüber den analytisch-empiristischen Zugängen der konventionellen Wissenschaftstheorie einen mehr transzendentalen und holistischen Zugang vorzieht und Riedl im Kontrast zu den „logizistischen“ Zugängen der etablierten Wissenschaftstheorie für einen evolutionären und mehr dynamisch-systemischen Zugang zur philosophischen Diskussion menschlichen und wissenschaftlichen Wissens plädiert.