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Annals of the Academy of Romanian Scientists Series on Philosophy, Psychology, Theology and Journalism ISSN 2067 – 113X Volume 3, Number 1-2/2011 113 METAPHYSIK UND RELIGION BEI MAX SCHELER Claudiu BACIU Abstract. Max Scheler thinks every essence is corresponding to an actual thing. Methodologically, the entities and their relationships are independent (i.e., without their support) and he explores what is really a matter of phenomenology. Analyzing actuality is possible only through a concrete experience. This faith-directedness, unless it is satisfied not by a faith in God leads necessarily to metaphysics, ie to "entering a company from being the epitome of finite beings in the sphere of absolute per-intentioned. The so-called agnosticism is only a limiting case of such metaphysics, “metaphysics of nothingness”. Man is "an essential and necessary metaphysician”, (even) if he does not believe in the reality of God. Key words: metaphysics, Max “metaphysics of nothingness” Scheler, agnosticism, ontological perspective, Max Scheler denkt jede Wesenheit als entsprechend einem realen Träger. Methodologisch können die Wesenheiten und ihre Zusammenhänge selbstständig (d.h. ohne ihre Träger) erforscht werden, was eigentlich eine Sache der Phänomenologie ist. Von einer Wesenheit aber können wir nie ihren faktischen Träger erschließen und erkennen. Das ist möglich nur durch eine konkrete Erfahrung. „Es ist ein ganz allgemeiner Satz der phänomenologischen Philosophie, sagt Scheler, dass – obzwar das Wesen der Realität selbst (und des Realitätsbewusstseins) noch phänomenologisch zu eruieren ist, desgleichen die Realitätsform der materialen Seinsgebiete – die faktische Setzung und Nichtsetzung eines wesensmäßig schon bestimmten, aber auch ausschließlich so bestimmbaren Gegenstandes ausschließlich und überall auf Erfahrung, und zwar auf Erfahrung vom Wesen der ‚zufälligen’, nicht auf Erfahrung vom Wesen der phänomenologischen Erfahrung, gründet.“1 Im Falle des Göttlichen, kann also die Philosophie nie etwas anderes tun als das Wesen des Göttlichen aufweisen, d.h. nie einen „ontologischen Beweis“ bringen. Was diesem Wesen faktisch entspricht, kann nur durch eine positive Offenbarung erkannt werden, d.h. durch eine Selbstdarstellung des Gottes. Das Wesen des Göttlichen wird von der Phänomenologie als eine „unendlich heilige Person“ bestimmt, d.h. die  Senior Researcher, PhD, Institute of Philosophy and Psychology “C. Rădulescu-Motru”, Romanian Academy, Bucharest, Romania. 1 M. Scheler, Absolutsphäre und Realsetzung der Gottesidee, in Schriften aus dem Nachlass, Bd. 1, Francke Verlag, Bern, 1957, S. 180. 114 Claudiu Baciu Philosophie kann nur formell den Begriff von Gott bestimmen, als „höchster Gut“. Deswegen wird die philosophische Gotteslehre „primär auf der Axiologie überhaupt (nicht Ethik in spezifischen Sinne), nicht auf Ontologie zu ruhen haben, Religionsphilosophie aber (die von der philosophischen Gotteslehre verschieden ist) primär auf der Phänomenologie der Gemütserfahrung, nicht auf jener der theoretischen Erfahrung wertfreier Gegenstände.“1 Soweit die Werte aber und ihre Rangordnung ursprünglich durch einen Akt von Liebe erkannt werden, soll auch Gott, als summum bonum, erst durch einen liebenden Akt erfahrungsmäßig gegeben werden. Die theoretische Seinserkenntnis eines realen Gottes soll aber ihrerseits auch in dieser Gottesliebe begründet sein. Wenn Gott in dem Wesen der Person gedacht wird, dann sollen ihm mehrere Bestimmungen zukommen: 1. seine Selbsterschließung als Grundbedingung seiner Erkenntnis von einer endlichen Person; 2. diese Selbsterschließung fundiert sich ihrerseits im Gott als „liebreicher Person“; 3. Gott muss als Weltschöpfer gedacht werden: „Denn nur im Wesen einer Person liegt es schaffen (nicht nur bearbeiten) zu können – wenn sie Realität hat –, und nur im Wesen einer unendlichen Person, es ohne das Substrat einer schon gegebenen Materie zu tun.“2 Aus diesem Grund, konnte selbst „die Welt“, als eine einheitliche Ganzheit, in der Geschichte nur aufgrund der Konzeption eines persönlichen Gottes entstehen: „Ich will hier nicht in extenso zeigen, dass die Annahme eines realen Weltganzes und eines Ganzen (im Unterschied von einer Mehrheit von Welten) nicht etwa die mögliche Grundlage für die Annahme der Realität der Gottesidee ist, sondern allein die mögliche Folge.“3 4. Seine Schöpfung findet statt aufgrund seiner Allliebe. „Hierbei sind die Wertwesen den Seinswesen so zugrunde liegend zu denken, dass (noch unabhängig vom Wollen Gottes) nur dasjenige auch seinsmöglich ist, was Träger eines möglichen Wertes überhaupt sein kann.“4 5. Sofern die Welt als Schöpfung Gottes angesehen wird, kann und muss sie auch als eine „natürliche Offenbarung“ Gottes betrachtet werden. Aber die Welt, als eine natürliche Offenbarung zu betrachten, ist möglich nur unter der Voraussetzung des Glaubens, d.h. einer Realsetzung Gottes als Person, was durch Philosophie nie möglich ist. (Obschon in dem Korrelationsprinzip zwischen Akte und ihren Gegenstände die Seinsunabhängigkeit der Gegenstände von den sie erfassenden Akten steht und jedem Gegenstand noch die Idee eines ihm entsprechenden Akt gehört, wird dadurch der erfassende Akt selbst noch nicht gesetzt. Deswegen ist die Idee der Welt als eines Makrokosmos nur durch Glauben möglich, d.h. durch die Realsetzung Gottes.) Die natürliche Offenbarung führt aber zum Verstehen der menschlichen Vernunft als „lumen naturale“. „Es gibt also keinen ‚Beweis’, sagt 1 Ebd., S. 184. Ebd., S. 188. 3 Ebd., S. 188. 4 Ebd., S. 190. 2 Metaphysik und religion bei Max Scheler 115 Scheler, der Realität Gottes aus der natürlichen Offenbarung, sondern nur eine fromme nachträgliche Deutung unserer Vernunft – und Gemütserkenntnis ‚als’ natürliche Offenbarung – und immer schon unter der Voraussetzung der Realität Gottes.“1 Scheler widerlegt dabei zwei Arten diese natürliche Offenbarung mit der Vernunft als natürliches Licht in eine Einheit zu bringen. Die erste ist der Versuch von Augustinus (und später jene von Malebranche): demzufolge erkennen wir die Wesenheiten „in Gott“, sofern Gott die Weltdinge nach ihnen, als Musterbilder, geschaffen hat. Scheler kritisiert dabei die Tatsache, dass in dieser Konzeption durch Gottes Wesen auch seine Realität gesetzt wird und dass man die Wesenheiten nicht ohne diese Setzung erkennen könnte. D.h. eine Erkenntnis der Wesenheiten und ihrer Zusammenhänge, ohne den Bezug auf Gott, ist unmöglich. Die andere Position gehört dem Thomismus, wonach die Wesenheiten der geschaffenen Dinge und die Wesenheiten im Geiste Gottes zwei verschiedene Reihen von Wesenheiten bilden, und zwischen ihnen ein Verhältnis von Ähnlichkeit und Analogie besteht. In diesem Sinne aber könnten wir die Wesenheiten der Dinge in sich selbst erkennen, ohne noch die Reihen der Wesenheiten im Gottes Geiste zu setzen. D.h. in beiden Fällen, wird keine echte Einheit zwischen Gott – Wesenheiten (und dadurch Welt) – und der menschlichen Vernunft vollgezogen: das eine Mal ist die „weltliche“ Erkenntnis der Wesenheiten nutzlos, das andere Mal die göttlichen Wesenheiten. Demgegenüber beschreibt Scheler die einzig mögliche Position (die auch seine eigene ist, und worauf sich seine spätere Metaphysik begründen wird): „Die fromme Deutung des Inbegriffs der Wesenheiten als natürliche Offenbarung ist wesensmöglich nur in der Richtung, dass die Wesenheiten der Weltdinge (und Güter) mit jenen in Gott identisch sind und nur die ihnen entsprechenden Ideen in Gott und in endlichen Personen verschieden an Fülle und Adäquation. Insofern kann – unter Voraussetzung der Realität Gottes – gemäß jener (dann notwendigen) frommen Deutung, jeder Wesenserfassung im Akte der Wesensschau oder des evidenten Fühlens, Vorziehens, Liebens, und zwar diesen primär – der Sinn gegeben werden, dass wir in ihnen das miterfassen, was Gott ‚vorerfaßt’, und dass die Dinge selbst nach ihrem Wesen erkennen, heiße, sie miterkennen mit Gott, die Güter und Personen selbst ihrem Wesenswerte nach fühlen, vorziehen, lieben aber hieße, sie mitlieben mit Gott, richtig wollen aber mitwollen mit Gott. Die Wesensverschiedenheit eines unendlichen Geistes (und einer unendlichen Fülle von Wesenheiten) und eines endlichen Geistes (mit einer nur endlichen Fülle) bleibt hier also strengt gewahrt wie die notwendige Inädequation jeder Erkenntnis und jedes Werterfassens der Wesenheiten seitens eines endlichen Geistes.“2 1 2 Ebd., S. 191. Ebd., S. 192. 116 Claudiu Baciu Die Liebe zur Erkenntnis kann unter diesem „frommen“ Gesichtspunkt nur eine Gegenliebe, eine Art Antwort sein, die der Mensch der liebenden Selbstoffenbarung Gottes gibt, d.h. seine Liebe für die Wesenheiten im Allgemeinen, die am Grund jeder seiner Erkenntnis steht, ist ein mitvollziehen der göttlichen Liebe für alles Geschaffene und eine Antwort auf die spontane „Einladung“ zur Erkenntnis, die aus jedem Geschaffenen herausquellt. „Was dem Menschen vor dieser frommen Deutung nur einsichtig war – das leuchtet ihm jetzt im wahrhaftigen Sinne des Wortes wie ein vom Gegenstande ausgehendes Licht entgegen: Es ‚leuchtet ihm ein’.“1 Diese fromme Einstellung kann durch keine teleologischen Beweise betreffs eines guten Schöpfers erworben werden, also durch keine endlichen Weltgüter. Dieselben Tatsachen und Prozesse können, vom Standpunkt einer sich zu einem bestimmten Ziel orientierenden Weltgeschichte, antinomisch interpretiert werden, sowohl als ein Gut oder als ein Übel. Ausgehend von dieser Unmöglichkeit einer Wertentscheidung, formuliert Scheler dann die Idee einer prinzipiellen Sinnunvollendung jeder historischen Tatsache: „Da zu jeder historischen ‚Tatsache’ konstitutiv die Einheit eines ‚Sinnes’ gehört (der mit den subjektiven Absichten der Menschen nichts zu tun hat), ihr Sinn-Gehalt aber mit jedem nächsten Augenblick des welthistorischen Ganges variiren kann, ist eine ‚historische Tatsache’ (z.B. die Ermordung Cäsars) ihrem Wesen nach sinnunvollendet, mag gleich ihr naturhaftes Substrat in der Vergangenheit abgeschlossen und vollendet sein. Alle Geschichte ist noch sinnerlösbar.“2 Eben dieses Unvollendet-sein aber ist eine Hauptbedingung einer immer neuen Erkenntnis von Gott. Es stellt sich aber auch eine andere Frage in Bezug auf alle diesen Bestimmungen betreffs des Wesens des Göttlichen: sie können keine Metaphysik begründen, d.h. ohne die Realsetzung Gottes durch einen Glaubensakt (und nicht einfach durch das Denken) sind diese Wesen sozusagen nur ein logisches Spiel. Jedoch spricht Scheler in seiner ganzen Philosophie immer wieder vom Gott und von der Beziehung zwischen dem Menschen und Gott und in seiner Spätphilosophie spricht er sogar über die Deifikation des Menschen. Und das nicht im Rahmen einer Religion, (wo der Glaubensakt vollkommen gültig ist) sondern (was die späte Philosophie betrifft) im Rahmen einer Metaphysik. Die Frage ist also die folgende: wie wird Scheler seine Metaphysik begründen oder, was die mittlere, phänomenologische Periode betrifft, wie gelangt er zu den metaphysischen Behauptungen, die in allen seinen Schriften so reichlich verstreut sind. Ist es einfach ein Beweis von seiner unsystematischen Denkungsart, ein Versehen das seine Philosophie begleitet, oder gibt es dafür auch theoretische Gründe? 1 2 Ebd., S. 193. Ebd., S. 194. Metaphysik und religion bei Max Scheler 117 „Es liegt bereits in Schelers Auffassung von Wesenserkenntnis, sagt W. Henckmann, dass ihre Geltung über den Bereich der erfahrbaren realen Welt hinausreicht, nicht nur im Sinne unendlicher Erweiterung für alle möglichen realen Gegenstände gleichen Wesens, sondern auch im Sinne der Erkenntnis der Wesenheiten an sich selbst und in sich selbst.“1 Welche sind Schelers Argumente in dieser Richtung betreffs des Wesens des Göttlichen, bzw. wie kann er von der Phänomenologie des Religiösen in den metaphysischen Bereich gelangen? In derselben Abhandlung behauptet Scheler, dass betreffs der Problematik des Göttlichen die agnostische Position sich immer wieder verneinend bezog. „Hat jemand – populär gesagt –, sagt Scheler, das Recht zu sagen: Ich glaube nicht an eine mögliche Offenbarung oder Gnade Gottes, da ich um so etwas zu glauben, zuerst an die Realität Gottes glauben müsste, an die ich nicht glaube? Mir kommt ein solcher, der dies sagte, nicht anders vor als einer, der sagte: Ich glaube nicht an die Existenz der Zahlen, da ich sie nicht sehen oder hören kann; oder ich glaube nicht an die Existenz der Farben, da ich sie nicht hören kann. D.h. ein solcher vergisst, dass sich die mögliche Erfahrungs- und Erkenntnisart irgendeiner Gegenständlichkeit und Realität überall nach deren Wesen richtet, und dass das Wesen Gottes (als leibloser und ichloser Person) eben so beschaffen ist, dass – wenn ihm ein Reales entspricht – es überhaupt nicht durch spontane Akte irgendwelcher Art erfassbar sein kann, sondern ausschließlich durch Selbstmitteilung (Religion). Versagt er also seinen Glauben schon der Möglichkeit – nicht erst einer bestimmten Wirklichkeit – der Selbstmitteilung, so versteift er sich darauf, die Realität eines ihm gegebenen Wesens in einer sobestimmten Erfahrungsart zu erkennen, die gerade – wenn etwas dieses Wesens real sein sollte – evident und a priori unmöglich zu seiner Realerkenntnis führen kann. Das aber ist a priori widersinnig, genau so widersinnig, wie die Existenz von Farben von ihrer Hörbarkeit abhängig machen zu wollen. Der Glaube (als Glaubens-Inhalt) an eine Möglichkeit der Offenbarung (Selbstmitteilung) folgt also aus Gottes Wesen.“2 Im vorigen Zitat macht sich wieder das für Schelersche Philosophie grundlegende Korrelationsprinzip zwischen Akte und ihren Gegenstände geltend: die Gegenstände können uns nicht unter jeglichen Bedingungen gegeben werden, sondern nur durch die ihnen entsprechenden Akte. So wie schon die Eigenschaften der Dinge, für ein Lebewesen im Allgemeinen, nur durch adäquate Wahrnehmungsorgane zugänglich sind, so ist im Falle des Göttlichen der Träger des Wesens Gottes nur in der gläubigen Einstellung zugänglich. Für die Realsetzung jedes Trägers eines Wesens sind es noch auch andere Akte notwendig als jener der phänomenologischen Anschauung. Durch die phänomenologische Anschauung sind uns die reinen Bedeutungen als Wesen gegeben, nicht auch was ihnen 1 2 W. Henckmann, Max Scheler, Verlag C. H. Beck, München, S. 76. M. Scheler, Absolutsphäre und Realsetzung der Gottesidee, S. 200. 118 Claudiu Baciu empirisch entsprechen kann. Später wird Scheler die Art wie uns die Gegenstände wirklich gegeben sind, in seiner Widerstandstheorie behandeln. Eine „reine“ Erkenntnis gilt prinzipiell, d.h. wesentlich, im Falle Gottes nicht, eben weil Gott nicht als einen „Gegenstand“ unter anderen gedacht ist, sondern als eine Person. Die Person aber ist frei. Sie ist nicht einfach „angeschaut“ (wenn wir die leiblichen Ausdrücke beiseite lassen), wie irgendein empirischer Gegenstand, sondern sie teilt sich selbst mit. Im Falle Gottes aber diese Person offenbart sich. Die Notwendigkeit des Glaubens ist aber verschieden von dem Wissen, dass es eine „absolute Sphäre“ gebe (zusammen mit einer absoluten Seinssphäre und einer absoluten Wertsphäre). Dieses Wissen ist vor allem Glauben und Unglauben selbstgegeben, es ist „evident wahr“. Nur das, was als diese Sphäre erfüllend gedacht ist, kann bezweifelt werden, nicht das Bestehen der Sphäre selbst: „Man mag bezweifeln ob dieses Sein und dieser Wert auch eine Realität sei (Ding oder Gut), oder etwa gerade das Real- und Irrealsein nur zum daseinsrelativen Sein z.B. des Menschen gehöre, ob ihm Seele oder Natur als Form seines Daseins näher liege (Spiritualismus-Materialismus), oder es beides sei (Dualismus), ob es in seinem Was durch Menschen erkennbar oder sonst erlebbar sei oder nicht (Metaphysik – Agnostizismus), ob es das Gegenstandssein oder Wertsein oder Denken, Wollen usw. sei, was die absolute Sphäre primär erfülle, ob Welt, Gott, Ich usw. –: nicht am Bestande der absoluten Sphäre selbst lässt sich zweifeln. In jeder möglichen Art von Gegebenheit ist dieser Verhalt mitgegeben, dass sie besteht.“1 Für Scheler – selbst im Falle des Agnostikers, der behauptet, dass jenseits der Realität keine andere begründende Entität zu erkennen ist –, wird die absolute Sphäre doch erfüllt und zwar mit dem „positiven“ Nichts. Der Agnostiker behauptet dadurch einen „metaphysisch-religiösen Nihilismus“. Die absolute Seins- und Wertsphäre, indem sie intendiert ist, muss auch mit irgendeiner Realität erfüllt werden. Eben darum wird das Nichts des Agnostikers doch ein „Was“ (d.h. ein positives Nichts). Es erfüllt die absolute Wertsphäre, aber nicht als ein Gott (der vom Agnostiker bestreitet wird) sondern als ein Götze. Schelers Grundposition ist, dass für jede Wesenheit auch eine Daseinsform entspricht, und umgekehrt, jedem Daseienden eine Wesenheit. Dabei aber ist es durchaus möglich, dass wir, indem wir die Wesenheit kennen, das entsprechende Dasein noch suchen, und umgekehrt. Dieser Sachverhalt wird von dem Gang der Wissenschaft immer wieder exemplifiziert. Trotzdem gilt diese Beziehung nur auf der relativen Ebene, wo entweder die Erkenntnis des Wesens oder des ihm entsprechenden Daseins relativ auf unsere Erkenntnisvermögen sind. Für die absolute Sphäre kann sie aber nicht gelten, weil wir, indem wir durch einen Akt etwas Absolutes intendieren, nicht mehr zu dem Unterschied zwischen Wese und Dasein vom Standpunkt unseres Erkenntnisvermögen zurückgreifen können. Das, 1 Ebd., S. 201. Metaphysik und religion bei Max Scheler 119 was von uns als Absolutes betrachtet wird, wird ohne irgendeine Beziehung zu dem momentanen, relativen Erkenntnisvermögen gesetzt. Hierin besteht aber der logische Irrtum des Agnostikers: „Es ist eine Täuschung, wenn der Agnostizist meint, er lasse die absolute Realsphäre, die er annimmt und setzt, bloß nach ihrem Was unbestimmt und könne mit Recht und Fug urteilen: ‚Ich enthalte mich ihrer Wesensbestimmung’. Mag er so aussagen, mag er auch so (nämlich falsch) urteilen – er erblickt doch noch eine Wasbestimmtheit an seinem absolut Realen, und zwar sowohl eine Wesensbedeutungs- als eine Wesenswertbestimmung : Er erblickt ‚das Nichts’ und ‚die Nichtigkeit’.“1 Dieses Nichts wird ihm anschaulich aber auch im Fühlen gegeben: anschaulich als absolute Leere und im Fühlen als Grauen. Darum hat der Agnostiker „nicht ‚die Religion der stummen Verehrung des unbekannten Wesens’ gegründet, sondern – die Idee der Irreligion des absoluten Grauens und der absoluten Verzweiflung konzipiert“2. Am Beispiel dieses extremsten Falls des Agnostikers, beweist also Scheler, dass es unmöglich für ein endliches Bewusstsein ist irgendwie die absolute Sphäre nicht zu erfüllen. Die Idee des Nichtgläubigen betrachtet darum Scheler als unmöglich. „Die Glaubensgerichtetheit auf den je vorschwebenden Gehalt als Wasbestimmtheit des als absolut-real Vermeinten ist wesensnotwendig im endlichen Bewusstsein mitgegeben, und kann nicht ausgeschaltet gedacht werden, ohne das endliche Bewusstsein aufzuheben. Eine mögliche ‚Wahl’ oder auch nur ein möglicher ‚Vorzug’ des Nichtglaubens vor dem Glauben überhaupt fehlt.“3 Diese Glaubensgerichtetheit, soweit sie nicht durch ein Glauben im Gott erfüllt ist, führt notwendig zur Metaphysik, d.h. zum „Hineinnehmen eines Wesens aus dem Inbegriff der endlichen Wesenheiten in die je gemeinte absolute Sphäre. Der sog. Agnostizismus stellt nur einen Grenzfall solcher Metaphysik dar – die Metaphysik des Nichts.“ Darum sieht sich Scheler berechtigt, dem Menschen nicht nur faktisch einen „metaphysischen Hang“ zu erkennen (von dem sich dann der Mensch abgewöhnen könnte, so wie der agnostische Positivismus glaubt), sondern nach ihm ist der Mensch „wesensnotwendig Metaphysiker – sofern er nicht an die Realität Gottes glaubt.“4 Der „metaphysische Hang“ ist also ein Grundmoment jedes endlichen Bewusstseins und ist auch dadurch eine Bedingung jeder Religion. Obschon Metaphysik und Religion verschieden sind, sind sie vereinigt in demselben Tendenz des Menschen die absolute Sphäre seines Bewusstseins irgendwie zu erfüllen: Religion durch Offenbarung, Metaphysik durch irgendeine Hypostasierung. 1 Ebd. S. 203. Ebd., S. 206. 3 Ebd., S. 207. 4 Ebd., S. 207. 2 120 Claudiu Baciu