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Parteienvertrauen in Deutschland 2017: Ausmaß und Determinanten

2019

Das Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen ihres Landes lässt sich als Potenzial bzw. gesellschaftliche Ressource verstehen, mit der soziale, wirtschaftliche und politische Krisen leichter überwunden werden können als in der Abwesenheit politischen Vertrauens. Der Beitrag geht in Auseinandersetzung mit dem Begriff des Vertrauens der Frage nach, wer wem bzw. welchen politischen Institutionen aus welchen Gründen vertraut.

„Aufgespießt“ Angenendt – Parteienvertrauen in Deutschland 2017 [...] MIP 2018 24. Jhrg. Parteienvertrauen in Deutschland 2017: Ausmaß gen zudem ein volatileres Parteiensystem und führen zu einer Schwächung der etablierten Parteien (Pogund Determinanten untke 2014). Als problematisch erachtet wird die sinkende Zufriedenheit vor allem dann, „if the parMichael Angenendt, M.A.1 ties themselves become the center of protest and if anti-party sentiments occur increasingly, [because] the core actors of representative democracy are dis1. Parteien im Dauerfeuer der Kritik credited” (Rossteutscher et. al. 2015: 53). Den aktuelDas Vertrauen der Bürger in die politischen Instituti- len Trend in den Bevölkerungseinstellungen fasst onen ihres Landes lässt sich als Potenzial bzw. gesell- Norris (2011: 21) unter dem Begriff „critical citischaftliche Ressource verstehen, mit der soziale, zens“ zusammen: So zeigt sich zwar im Zeitverlauf wirtschaftliche und politische Krisen leichter über- in modernen Demokratien eine Zunahme der genewunden werden können als in der Abwesenheit poli- rellen Akzeptanz demokratischer Werte und Prinzitischen Vertrauens (Tyler 1998: 270-272). Es stellt pien, diese geht jedoch einher mit einer gleichzeitig sich daher in Auseinandersetzung mit dem Begriff gestiegenen Skepsis gegenüber den zentralen Akteudes Vertrauens die Frage, wer wem bzw. welchen ren wie Parteien, Parlamenten und Regierungen (vgl. politischen Institutionen aus welchen Gründen ver- auch Scarrow 1996: 311; Dalton 2004: 195). traut. In der Bundesrepublik stehen insbesondere die Par- 2. Parteienvertrauen im Vergleich teien im Fokus der Kritik. Das Phänomen der Parteienkritik ist dabei „so alt wie die Parteien selbst“ (Stöss 1990: 15); Parteien seien „Unpopulär aus Tradition“ (Wiesendahl 2012). So begann in der Bundesrepublik bereits in den 1970er Jahren die Debatte um „die Legitimationskrise des Parteiensystems“ (Rönsch 1977: 366; vgl. Poguntke 1999) und erreichte ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren (Arzheimer 2002: 18). An vielen Kommunal- und selbst bei einigen Landtagswahlen beteiligt sich mittlerweile weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten (siehe u.a. Gehne 2008: 116ff.). Zudem sinken die Mitgliedszahlen der deutschen Parteien: Es treten weniger Menschen den Parteien bei, als altersbedingt ausscheiden (Niedermayer 2016; vgl. auch van Biezen/ Poguntke 2012). Mit der AfD ist seit der letzten Bundestagswahl nun auch erstmals eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag eingezogen, womit eine Angleichung an die Parteienlandschaft anderer europäischer Staaten stattgefunden hat. Offen bleibt, ob es sich dabei tatsächlich um einen Niedergang der Parteien oder um eine Phase der Neustrukturierung handelt (Gehne/Spier 2010). Der internationale Vergleich zeigt darüber hinaus, dass sich die steigende Unzufriedenheit mit den Parteien nicht auf Deutschland beschränkt, sondern ein generelles Phänomen moderner, westlicher Demokratien darstellt (u.a. Dalton 2008, 2004; Dalton/ Weldon 2005; Pharr/Putnam 2000; Norris 1999). Die gesellschaftlichen Veränderungen und die mangelnde Integrationskraft der Volksparteien begünsti1 Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften, Lehrstuhl Vergleich politischer Systeme und Politikfeldanalyse, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 106 Wie viel Vertrauen bringt die Bevölkerung in Deutschland den Parteien im Jahr 2017 tatsächlich entgegen? Tabelle 1 gibt einen Überblick über das Vertrauen in verschiedene Institutionen und ermöglicht dadurch den Vergleich zu anderen öffentlichen Einrichtungen: Tabelle 1: Vertrauen in öffentliche Einrichtungen in Deutschland (2017) Polizei Regionale/lokale Behörden Justiz Bundeswehr Bundestag Bundesregierung Öffentliche Verwaltung Vereinte Nationen Europäische Union Politische Parteien eher vertrauen 86,4 75,5 66,2 64,9 59,6 58,7 56,8 47,2 45,6 36,8 eher nicht vertrauen 12,3 21,6 31,2 27,1 35,0 37,3 30,8 39,8 46,1 57,9 weiß nicht 1,4 2,9 2,6 8,0 5,4 4,0 3,4 13,0 8,3 5,3 Eigene Berechnung auf Grundlage des Eurobarometers 2017; Befragte= 1605. Wie Tabelle 1 zeigt, setzen die Bürger das meiste Vertrauen in die Ordnungs- und Rechtsorgane, wobei der Polizei mit mehr als 85 Prozent Zustimmung am häufigsten vertraut wird. Justiz und Bundeswehr folgen an dritter bzw. vierter Stelle. Den regionalen oder lokalen Behörden vertrauen drei von vier Befragten. Geringeres Vertrauen wird in die politischen Institutionen gesetzt: Dem Bundestag, der Bundesregierung, der Europäischen Union und den Parteien vertrauen weniger als zwei Drittel der Befragten. Die Parteien in Deutschland genießen dabei das geringste Vertrauen: Mehr als jeder zweite Befragte misstraut ihnen. doi:10.25838/oaj-mip-2018106-111 MIP 2018 24. Jhrg. Angenendt – Parteienvertrauen in Deutschland 2017 [...] Im Vergleich zum Vorjahr zeigen sich Kontinuitäten hinsichtlich der Rangfolge: Die Ordnungs- und Rechtsorgane genießen nach wie vor das höchste Vertrauen, während die politischen Institutionen auf den hinteren Plätzen rangieren (vgl. Tabelle A im Anhang). Dennoch verzeichnen Letztere einen deutlichen Vertrauenszuwachs, wobei die Parteien am wenigsten davon profitieren, da sie den geringsten Zuwachs verzeichnen. Genießen die Parteien ausschließlich im Vergleich zu anderen Institutionen in Deutschland ein geringes Vertrauen oder ist die Parteienverdrossenheit hierzulande generell ausgeprägter als in anderen Staaten? Abbildung 1 gibt Auskunft über die Bewertung der Parteien im europäischen Vergleich: Abbildung 1 zeigt deutlich, dass das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Parteien im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn relativ hoch ist. Nur in den Niederlanden und in Luxemburg vertrauen anteilig mehr Personen den Parteien als in Deutschland. Auch die skandinavischen Länder weisen relativ hohe Zustimmungswerte auf, ebenso wie Österreich, die Türkei, Albanien und Malta. Süd- und osteuropäische Staaten weisen mit unter 20 Prozent Zustimmung geringere Vertrauenswerte auf. Griechenland, Lettland, Spanien und Zypern bilden das Schlusslicht: Weniger als jeder zehnte Bürger vertraut den dortigen Parteien. Die Steigerung des Parteienvertrauens zwischen 2016 und 2017 beschränkt sich nicht auf Deutschland: Während 2016 nur in Dänemark und den Niederlanden etwa jeder dritte Befragte den Parteien doi:10.25838/oaj-mip-2018106-111 „Aufgespießt“ vertraute (siehe Abbildung A im Anhang), sind es 2017 zehn Staaten mit ähnlich hohen oder höheren Vertrauenswerten. 3. Parteienvertrauen und Sozialstruktur Im Folgenden wird dargestellt, ob sich das Parteienvertrauen zwischen den gesellschaftlichen Schichten unterscheidet. Den Ausgangspunkt bilden in der bisherigen Literatur weitgehend zwei widerstreitende Thesen (vgl. zusammenfassend Biehl 2013: 72-74). Einerseits wird postuliert, dass zunehmendes Misstrauen gegenüber den Parteien das Resultat unproblematischer gesellschaftlicher Entwicklungen ist (Dalton 2008). Demzufolge sei blindes Vertrauen in die politischen Institutionen Ausdruck eines vordemokratischen Politikverständnisses und nehme mit der Ausbreitung postmaterialistischer Wertevorstellungen (Inglehart 1999) kontinuierlich ab. Misstrauen wird gemäß dieser Sichtweise als Ausdruck mündiger und kritischer Bürger verstanden (Bude et al. 2010: 22). Demnach misstrauen den Parteien eher ressourcenstarke Bürger der höheren gesellschaftlichen Schichten (Biehl 2013: 73). Andererseits wird das politische Misstrauen als Krisenphänomen verstanden (ebd.: 72). Die Unzufriedenheit mit den Ergebnissen des politischen Systems sowie der eigenen wirtschaftlichen Lage und des sozialen Status spiegelten sich folglich in einem geringen Vertrauen in die politischen Akteure wider (ebd.: 74). Mangelndes Vertrauen sei demgemäß der Ausdruck von Defiziten politischer Repräsentation (ebd.). Empirisch sollten sich dann vorwiegend ressourcenschwache Bürger der unteren sozialen Schichten durch Misstrauen kennzeichnen (ebd.: 7374). Die widerstreitenden Thesen wurden von Biehl (ebd.) anhand einer Bevölkerungsbefragung aus dem Jahr 2010 für die Bundesrepublik einer empirischen Prüfung unterzogen. Biehl resümiert, dass sozioöko107 „Aufgespießt“ Angenendt – Parteienvertrauen in Deutschland 2017 [...] nomisch schwächer gestellte Personen ein im Vergleich zu höheren sozialen Sichten geringeres Parteienvertrauen aufweisen und sieht daher „das geringe Vertrauen nicht als Modernisierungssymptom, sondern eher als Ausdruck einer gestörten Beziehung zwischen Bürgern und Parteien“ (ebd.: 86). Ob es sich bei den Befunden lediglich um eine Momentaufnahme handelt oder die postulierten Thesen auch sieben Jahre später Gültigkeit besitzen, wird anhand der Daten des Eurobarometers 2017 im Folgenden überprüft. Tabelle 2: Parteienvertrauen und Sozialstruktur (2017) Gesamt Geschlecht Männer Frauen Alter 15 bis 24 Jahre 25 bis 39 Jahre 40 bis 54 Jahre 55 Jahre oder älter Bildungszeit (in Jahren) Weniger als 15 Jahre 16 bis 19 Jahre Mehr als 20 Jahre Schichtzugehörigkeit Arbeiterklasse Untere Mittelschicht Mittelschicht Obere Mittelschicht Oberschicht Finanzlage des Haushalts Eher gut Eher schlecht Bundesland Westdeutschland Ostdeutschland eher vertrauen 36,8 eher nicht vertrauen 57,9 weiß nicht 5,3 37,2 36,4 58,6 57,1 4,2 6,5 31,0 33,3 35,4 39,2 59,2 63,5 57,6 56,2 9,9 3,1 7,0 4,6 37,0 32,4 44,3 57,7 62,2 52,1 5,3 5,4 3,5 22,5 26,2 41,8 51,2 42,9 72,5 70,0 53,4 43,5 42,9 4,9 3,8 4,8 5,4 14,3 41,3 12,6 53,5 84,0 5,2 3,5 42,2 24,1 52,3 71,1 5,5 4,8 Eigene Berechnung auf Grundlage des Eurobarometers 2017; Befragte= 1605. Zwischen Männern und Frauen lassen sich 2017 in Deutschland hinsichtlich des Parteienvertrauens keine nennenswerten Unterschiede feststellen. Jeweils zwei von drei Befragten neigen eher zu Misstrauen. Differenzen zeigen sich hinsichtlich der Altersstruktur: Ältere Personen vertrauen häufiger als jüngere Personen. Die Bildung(szeit) der Befragten zeigt in keine eindeutige Richtung. Wer länger als 20 Jahre in schulischer- und beruflicher Ausbildung war, vertraut mehr als diejenigen mit geringerer Ausbildungszeit. Allerdings vertrauen Befragte mit einer Ausbildungszeit zwischen 16 und 19 Jahren seltener den Parteien als Befragte mit einer noch kürzeren Ausbildungszeit. Deutlich erkennbar sind schichtspezifische Unterschiede: Während nur jeder fünfte Angehörige der Arbeiterklasse den Parteien vertraut, hat in der oberen Mittelschicht jeder Zweite Vertrau108 MIP 2018 24. Jhrg. en in die Parteien. Generalisierbare Aussagen über die Angehörigen der Oberschicht sind aufgrund der geringen Fallzahl (<10) nicht möglich. Von denjenigen, die ihre finanzielle Haushaltslage eher schlecht beurteilen, vertraut nur eine von acht Personen den Parteien. Wird die Finanzsituation eher gut beurteilt, vertrauen vier von zehn Personen den Parteien. Erkennbar sind ebenfalls Unterschiede zwischen Westund Ostdeutschen. Letztere sind den Parteien gegenüber deutlich misstrauischer eingestellt als Westdeutsche. Die Ergebnisse von Tabelle 2 deuten auf die Bestätigung der Krisenthese hin: Insgesamt kennzeichnen sich ressourcenschwache Personen der unteren gesellschaftlichen Schichten häufiger durch eine parteienskeptische Sichtweise als Personen höherer Schichten. Doch welche der berücksichtigten Merkmale sind ursächlich für das Parteienvertrauen? Tabelle 3 gibt darüber abschließend Auskunft. Tabelle 3: Determinanten des Parteienvertrauens Variablen Geschlecht Alter Bildungszeit (in Jahren) Untere Mittelschicht Mittelschicht Obere Mittelschicht Oberschicht Finanzlage des Haushalts Bundesland Pseudo R2 (Nagelkerkes) Befragte (n) Regressionskoeffizient B ,14 ,01 *** ,01 ,00 ,46 * ,67 * 1,37 ,73 *** ,79 *** ,16 1.143 Exp (B) 1,15 1,01 1,01 1,00 1,58 1,96 3,92 2,08 2,19 Geschlecht= Referenz Männer; Schichtzugehörigkeit= Referenz Arbeiterklasse; Finanzlage= Referenz eher schlechte Lage; Bundesland= Referenz Ostdeutschland. Signifikanzen: ***= 0,1 %-Niveau; **= 1 %-Niveau; *= 5 %-Niveau. Eigene Berechnung auf Grundlage des Eurobarometers 2017. Es lassen sich keine geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich des Parteienvertrauens in Deutschland feststellen, wie bereits durch die deskriptive Übersicht zu vermuten war. Im Gegensatz dazu ist ein hochsignifikanter positiver Effekt des Lebensalters auf das Parteienvertrauen erkennbar: Mit jedem zusätzlichen Lebensjahr steigt die Wahrscheinlichkeit, den Parteien eher zu vertrauen, um ein Prozent. Da in der Analyse die Finanzlage und Schichtzugehörigkeit kontrolliert wurde, handelt es sich um einen eigenständigen Effekt, d.h. ältere Personen vertrauen eher den Parteien, unabhängig davon, ob sie eine im Vergleich zu jüngeren Jahren bessere Finanzlage aufweisen oder nicht. Nichtsdestotrotz ist die finanzielle Situation ein wichtiger Erklärungsfaktor: Befragte, die ihre Haushaltslage eher doi:10.25838/oaj-mip-2018106-111 MIP 2018 24. Jhrg. Angenendt – Parteienvertrauen in Deutschland 2017 [...] gut beurteilen, weisen im Vergleich zu Befragten mit eher schlechter Beurteilung eine mehr als doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit auf, Parteien zu vertrauen. Einen weiteren Erklärungsfaktor stellt die Schichtzugehörigkeit dar. Auffällig ist, dass zwischen den Angehörigen der Arbeiterklasse und der unteren Mittelschicht keine überzufälligen Unterschiede bestehen. Erst darüber hinaus zeigen sich signifikante Differenzen: Je höher die Schichtzugehörigkeit, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Parteien zu vertrauen. Befragte der Mittelschicht weisen eine im Vergleich zu Arbeitern fast sechzig Prozent höhere Chance auf, zu vertrauen, Angehörige der oberen Mittelschicht bereits eine knapp doppelt so hohe Chance. Die fehlende Signifikanz für Angehörige der Oberschicht resultiert voraussichtlich aus der geringen Fallzahl für diese Kategorie. Die Bildung der Befragten erweist sich als insignifikant. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass im Eurobarometer 2017 nicht der formale Bildungsabschluss erhoben wurde, sondern ausschließlich die Schul- und Berufsbildungszeit in Jahren. Neben den individuellen Eigenschaften der Befragten zeigt sich ein erklärungskräftiger struktureller Faktor: Westdeutsche vertrauen den Parteien im Vergleich zu Ostdeutschen deutlich häufiger; Erstere weisen eine mehr als doppelt so hohe und hochsignifikante Wahrscheinlichkeit auf, zu vertrauen. Einkommensunterschiede zwischen Ost und West scheinen dabei nicht der ausschlaggebende Faktor zu sein, da der Unterschied unabhängig von der finanziellen Haushaltslage der Befragten bestehen bleibt. Die erklärte Varianz des empirischen Modells liegt bei 16 Prozent und damit eher im unteren Bereich. Sozialstrukturelle Determinanten erweisen sich in der Konsequenz zwar als einflussreich, jedoch sind weitere Forschungsanstrengungen notwendig. Die vorangegangene Analyse erfolgte auf Grundlage des Eurobarometers 2017. Der Vorteil liegt in der Aktualität der Daten, geht allerdings auf Kosten eines umfangreicheren Sets an möglichen erklärenden Faktoren. Potenziell einflussreiche Erklärungskonzepte, wie bspw. das generalisierte soziale Vertrauen (Angenendt 2017; Angenendt/Schmitt 2015, Zmerli/ Newton 2008; Newton 1999), wurden nicht erhoben. Durch den Fokus der obigen Analyse auf die Bundesrepublik war es zudem nicht möglich, institutionelle Faktoren, wie bspw. das Wahl- oder Parteiensystem (van der Meer 2010; Criado/Herreros 2007), vergleichend einzubeziehen. doi:10.25838/oaj-mip-2018106-111 „Aufgespießt“ 4. Fazit Die empirischen Befunde belegen das im Vergleich zu anderen Institutionen geringe Vertrauen der Deutschen in die Parteien, wobei die Bewertung der Parteien im europäischen Vergleich hoch ausfällt. Hier zeigt sich zwischen 2016 und 2017 eine deutliche Zunahme des Vertrauens, sodass Deutschland im Jahr 2017 zu den drei Ländern in Europa gehört, in denen den Parteien am häufigsten vertraut wird. Hinsichtlich der Ursachen des Parteienvertrauens zeigen sich schichtspezifische und strukturelle Unterschiede: Angehörige höherer Schichten und finanziell Bessergestellte vertrauen eher als Angehörige niedriger Schichten und finanziell Schlechtergestellte, ebenso wie Westdeutsche im Vergleich zu Ostdeutschen. Letztlich bekräftigen die Daten somit vorhergehende Analysen, die ein geringes Parteienvertrauen in Deutschland als Ausdruck von Unzufriedenheit mit den etablierten politischen Akteuren deuten und nicht als Folge von Modernisierungsprozessen. Offen bleibt, ob und inwieweit das Parteienvertrauen durch die zunehmende Polarisierung des deutschen Parteiensystems leidet. Etwaige Rückkoppelungseffekte auf das Elektorat infolge sinkender Kooperationsbereitschaft zwischen den Parteien (Schmitt 2018; vgl. auch Angenendt/Schmitt 2017) bieten insofern einen relevanten Anknüpfungspunkt für künftige Forschungsanstrengungen. 5. 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