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Hacke Rez. Maier, Die Deutschen und Ihre Geschichte 2010_SZ

Süddeutsche Zeitung LITERATUR Buchkritik Mittwoch, 8. Dezember 2010 Bayern, Deutschland, München Seite 14 Region ist nie Provinz Hans Maiers brillante Studien zur deutschen Geschichte Die Klage über den Mangel an konservativen Ideen ist derzeit weit verbreitet. Während sich die CDU wundert, wohin die Galionsfiguren des Konservatismus verschwunden sind, fällt es der Linken heute leichter, den Neoliberalismus zu attackieren, als irgendeinen im herkömmlichen Sinne konservativen Gegner zu orten. Blickt man zurück auf die versunkene alte Bundesrepublik, sahen dort die Dinge anders aus. Überall lauerte die konservative Gefahr, drohte Law-andOrder-Etatismus. Die Gepflogenheiten der politischen Rhetorik überdeckten, dass die Bonner Jahre durchaus einen gehaltvollen liberalen Konservatismus hervorbrachten, der anachronistische Vorstellungen von Tradition, Heimat, Religion und hierarchischer Ordnung verabschiedete und seinen Namen deswegen verdiente, weil er die parlamentarische Ordnung, liberale Werte und den Rechtsstaat zu bewahren suchte. Der renommierte Politikwissenschaftler und langjährige bayerische Kultusminister Hans Maier ist einer der herausragenden Vertreter dieses Liberalkonservatismus, dessen Grundzüge er nicht nur theoretisch entwarf, sondern über sechzehn Jahre in politischer Verantwortung zu praktizieren suchte. Neben Roman Herzog, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Hermann Lübbe, Kurt Biedenkopf oder auch Ralf Dahrendorf gehört er zu den in dieser Generation häufiger als heute anzutreffenden Hochschullehrern, die sich nicht scheuten, ein öffentliches Amt auszuüben, ohne den wissenschaftlichen Ruf damit aufs Spiel zu setzen. Der letzte, fünfte Band von Maiers gesammelten Schriften behandelt „Die Deutschen und ihre Geschichte“ und setzt sich mit den Traditionen der politischen Kultur und des politischen Denkens auseinander. In einer Reihe brillan- Ein liberalkonservativer Gelehrter und Politiker mit Sinn für Pluralität: Hans Maier. Foto: A. Schellnegger ter ideengeschichtlicher Studien relativiert Maier lange vorherrschende Vorstellungen von deterministischen antiwestlichen Sonderwegen. Mit Sinn für Ambivalenzen zeigt er eindrucksvoll die spezifischen Bedingungen der politischen Reflexion in Deutschland auf: die Innerlichkeit der Bürgerfreiheit, die Konzentration auf Verwaltung und organisierte Wohlfahrt, die Verschränkung von Staat und Religion, die Vielfalt des Föderalismus, die sich von der Stadtrepublik bis zur autoritär geführten Monarchie erstreckte. Wie den bekennenden Historisten Thomas Nipperdey und Reinhart Koselleck geht es Maier um die vielfältigen Grauschattierungen der Geschichte und um den Sinn für Pluralität. Maier zeigt am Beispiel Preußens, wie „die wirtschaftliche und geistige Freiheit, die zunehmende Rechtssicherheit, die man seit dem aufgeklärten Absolutismus und der konstitutionellen Bewegung genoß“, die Bürger gleichgültig ge- gen den Mangel an politischer Freiheit machte. Fortschritt kann als Fessel fungieren, wenn der zufriedene Monarchist kein Bedürfnis danach verspürt, Republikaner zu werden. Eindrucksvoll bleibt auch, wie Maier – anknüpfend an seine bahnbrechende Habilitionsschrift über Ursprünge der Staatslehre in Deutschland – die Genese eines deutschen Staatsmodells herausarbeitet. Die Lehre einer „guten Polizey“ oder die Vorstellung vom Staat als „Rechtsanwalt“ der Bürger (Carl von Rotteck) zeigen alternative Entwicklungspfade auf, an die in der Verfassungsgeschichte immer wieder angeknüpft worden ist. Damit eng verbunden ist auch Maiers luzide Rekonstruktion Dieses Buch ist Pflichtlektüre für alle, die einen modernen Konservativismus einklagen des Sozialstaats, an dem er die Eigenart eines deutschen Staatsdenkens exemplifiziert, „das zur offenen Distanznahme, zum naturrechtlichen Messen des Staates an einer über ihm stehenden Ordnung ebenso unfähig ist, wie es sich zur langsam-bedächtigen Reform des Bestehenden in hohem Maße eignet“. Eben diese Anpassungsfähigkeit an neue Problemlagen lässt Maier den solidarischen Wohlfahrtsstaat gegen Zeittrends verteidigen. Die Nachtseiten der deutschen Geschichte spart der Gelehrte nicht aus. Sein Aufsatz über die nationalsozialistische Hochschulpolitik hat nach 45 Jahren nichts an Eindringlichkeit eingebüßt und veranschaulicht, wie eine kompromisslose moralische und wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Verstrickung von Akademikern durchaus möglich war, als die belastete Elite noch in großer Zahl zu den Mitlebenden zählte. Moralische Sensibilität ist es auch, die Maier die tektonischen Veränderungen des kulturellen Klimas in der Nachkriegszeit genau registrieren lässt, um die Liberalisierungsschübe ins Licht zu setzen. Anders als manch anderer seiner Generation, für den die Studentenproteste der sechziger Jahre bis heute ein rotes Tuch sind, würdigt er die Achtundsechziger in einem wesentlichen Punkt: Sie haben „die politischen Establishments gezwungen, die Demokratie mit mehr Phantasie, mit intelligenteren Methoden zu verteidigen als mit dem Traditionsargument“. Wenn Hans Maier sich auch über lange Jahre als „Pflichtverteidiger der alten Bundesrepublik“ verstand, so tat er dies doch auf unverkrampfte und modernitätsoffene Weise, wie die lesenswerten Stücke über die Sprachentwicklung in der Nachkriegszeit oder über die Kultur der Adenauer-Ära belegen. Die Pflege richtiger Traditionen ist ihm stets genauso wichtig gewesen wie die Absetzung vom Überkommenen. In Hans Maiers Schriften gibt sich ein behutsamer, eminent gelehrter, leichthändig argumentierender Liberalkonservatismus zu erkennen, dessen Lob der Pluralität, dessen Hohelied auf den Föderalismus („Region war in Deutschland nie Provinz“) jede nationale Selbstüberhebung konterkariert, die einst konservatismusverdächtig war. Es wäre ein Anfang, gegen die eigene Ideenlosigkeit anzugehen, wenn man in Unionskreisen etwas Zeit für die Lektüre dieses gehaltvollen Bandes einplante. JENS HACKE HANS MAIER: Die Deutschen und ihre Geschichte. Gesammelte Schriften, Band 5. Verlag C. H. Beck, München 2010. 388 Seiten, 48 Euro. DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de A48503503 libnethis Süddeutsche Zeitung LITERATUR Buchkritik Mittwoch, 8. Dezember 2010 Bayern, Deutschland, München Seite 14 Region ist nie Provinz Hans Maiers brillante Studien zur deutschen Geschichte Die Klage über den Mangel an konservativen Ideen ist derzeit weit verbreitet. Während sich die CDU wundert, wohin die Galionsfiguren des Konservatismus verschwunden sind, fällt es der Linken heute leichter, den Neoliberalismus zu attackieren, als irgendeinen im herkömmlichen Sinne konservativen Gegner zu orten. Blickt man zurück auf die versunkene alte Bundesrepublik, sahen dort die Dinge anders aus. Überall lauerte die konservative Gefahr, drohte Law-andOrder-Etatismus. Die Gepflogenheiten der politischen Rhetorik überdeckten, dass die Bonner Jahre durchaus einen gehaltvollen liberalen Konservatismus hervorbrachten, der anachronistische Vorstellungen von Tradition, Heimat, Religion und hierarchischer Ordnung verabschiedete und seinen Namen deswegen verdiente, weil er die parlamentarische Ordnung, liberale Werte und den Rechtsstaat zu bewahren suchte. Der renommierte Politikwissenschaftler und langjährige bayerische Kultusminister Hans Maier ist einer der herausragenden Vertreter dieses Liberalkonservatismus, dessen Grundzüge er nicht nur theoretisch entwarf, sondern über sechzehn Jahre in politischer Verantwortung zu praktizieren suchte. Neben Roman Herzog, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Hermann Lübbe, Kurt Biedenkopf oder auch Ralf Dahrendorf gehört er zu den in dieser Generation häufiger als heute anzutreffenden Hochschullehrern, die sich nicht scheuten, ein öffentliches Amt auszuüben, ohne den wissenschaftlichen Ruf damit aufs Spiel zu setzen. Der letzte, fünfte Band von Maiers gesammelten Schriften behandelt „Die Deutschen und ihre Geschichte“ und setzt sich mit den Traditionen der politischen Kultur und des politischen Denkens auseinander. In einer Reihe brillan- Ein liberalkonservativer Gelehrter und Politiker mit Sinn für Pluralität: Hans Maier. Foto: A. Schellnegger ter ideengeschichtlicher Studien relativiert Maier lange vorherrschende Vorstellungen von deterministischen antiwestlichen Sonderwegen. Mit Sinn für Ambivalenzen zeigt er eindrucksvoll die spezifischen Bedingungen der politischen Reflexion in Deutschland auf: die Innerlich- gen den Mangel an politischer Freiheit machte. Fortschritt kann als Fessel fungieren, wenn der zufriedene Monarchist kein Bedürfnis danach verspürt, Republikaner zu werden. Eindrucksvoll bleibt auch, wie Maier – anknüpfend an seine bahnbrechende Habilitionsschrift über Ursprünge der Staatslehre in Deutschland – die Genese eines deutschen Staatsmodells herausarbeitet. Die Lehre einer „guten Polizey“ oder die Vorstellung vom Staat als „Rechtsanwalt“ der Bürger (Carl von Rotteck) zeigen alternative Entwicklungspfade auf, an die in der Verfassungsgeschichte immer wieder angeknüpft worden ist. Damit eng verbunden ist auch Maiers luzide Rekonstruktion Dieses Buch ist Pflichtlektüre für alle, die einen modernen Konservativismus einklagen des Sozialstaats, an dem er die Eigenart eines deutschen Staatsdenkens exemplifiziert, „das zur offenen Distanznahme, zum naturrechtlichen Messen des Staates an einer über ihm stehenden Ordnung ebenso unfähig ist, wie es sich zur langsam-bedächtigen Reform des Bestehenden in hohem Maße eignet“. Eben diese Anpassungsfähigkeit an neue Problemlagen lässt Maier den solidarischen Wohlfahrtsstaat gegen Zeittrends verteidigen. Die Nachtseiten der deutschen Geschichte spart der Gelehrte nicht aus. Sein Aufsatz über die nationalsozialistische Hochschulpolitik hat nach 45 Jahren nichts an Eindringlichkeit eingebüßt und veranschaulicht, wie eine kompromisslose moralische und wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Verstrickung von Akademikern durchaus möglich war, als die belastete Elite noch in großer Zahl zu den Mitlebenden zählte. Moralische Sensibilität ist es auch, die Maier die tektonischen Veränderungen des kulturellen Klimas in der Nachkriegszeit genau registrieren lässt, um die Liberalisierungsschübe ins Licht zu setzen. Anders als manch anderer seiner Generation, für den die Studentenproteste der sechziger Jahre bis heute ein rotes Tuch sind, würdigt er die Achtundsechziger in einem wesentlichen Punkt: Sie haben „die politischen Establishments gezwungen, die Demokratie mit mehr Phantasie, mit intelligenteren Methoden zu verteidigen als mit dem Traditionsargument“. Wenn Hans Maier sich auch über lange Jahre als „Pflichtverteidiger der alten Bundesrepublik“ verstand, so tat er dies doch auf unverkrampfte und modernitätsoffene Weise, wie die lesenswerten Stücke über die Sprachentwicklung in der Nachkriegszeit oder über die Kultur der Adenauer-Ära belegen. Die Pflege richtiger Traditionen ist ihm stets genauso wichtig gewesen wie die Absetzung vom Überkommenen. In Hans Maiers Schriften gibt sich ein DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de A48503503 libnethis Süddeutsche Zeitung Buchkritik lenzen zeigt er eindrucksvoll die spezifischen Bedingungen der politischen Reflexion in Deutschland auf: die Innerlichkeit der Bürgerfreiheit, die Konzentration auf Verwaltung und organisierte Wohlfahrt, die Verschränkung von Staat und Religion, die Vielfalt des Föderalismus, die sich von der Stadtrepublik bis zur autoritär geführten Monarchie erstreckte. Wie den bekennenden Historisten Thomas Nipperdey und Reinhart Koselleck geht es Maier um die vielfältigen Grauschattierungen der Geschichte und um den Sinn für Pluralität. Maier zeigt am Beispiel Preußens, wie „die wirtschaftliche und geistige Freiheit, die zunehmende Rechtssicherheit, die man seit dem aufgeklärten Absolutismus und der konstitutionellen Bewegung genoß“, die Bürger gleichgültig ge- LITERATUR so wichtig gewesen wie die Absetzung vom Überkommenen. In Hans Maiers Schriften gibt sich ein behutsamer, eminent gelehrter, leichthändig argumentierender Liberalkonservatismus zu erkennen, dessen Lob der Pluralität, dessen Hohelied auf den Föderalismus („Region war in Deutschland nie Provinz“) jede nationale Selbstüberhebung konterkariert, die einst konservatismusverdächtig war. Es wäre ein Anfang, gegen die eigene Ideenlosigkeit anzugehen, wenn man in Unionskreisen etwas Zeit für die Lektüre dieses gehaltvollen Bandes einplante. JENS HACKE Mittwoch, 8. Dezember 2010 Bayern, Deutschland, München Seite 14 HANS MAIER: Die Deutschen und ihre Geschichte. Gesammelte Schriften, Band 5. Verlag C. H. Beck, München 2010. 388 Seiten, 48 Euro. DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de A48503503 libnethis