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(2016) Skizze Promotionsvorhaben: ADHS im sonderpädagogischen Fachdiskurs

Fokussiert wird sich auf die erziehungswissenschaftliche Teildisziplin der (Sonder-)Pädagogik und es soll analysiert werden, wie im (sonder-)pädagogischen Fachdiskurs das Phänomen ADHS konstruiert wird. Entgegen einer einseitigen Fokussierung auf Aspekte der Behinderung wird der Arbeit eine differenztheoretische Ausrichtung zugrunde gelegt (vgl. Dederich 2013; Hinz 2013), die sich übergeordnet mit Normalitätskonstruktionen im Kontext von ADHS auseinandersetzt. Es sollen dabei variable Muster von Inklusion und Exklusion sowie Exklusionseffekte in sich verschiebenden Systemgrenzen (vgl. Dannenbeck 2012b, 61 ff.) im (sonder-)pädagogischen Diskurs herausgearbeitet werden. Ausgehend von einer wissenssoziologischen Perspektive wird danach gefragt, welche Wissenskategorien auf welche Weise Gültigkeit erfahren und wie dadurch die Wirklichkeit des Phänomens ADHS in der (sonder-)pädagogischen Fachliteratur gleichsam abgebildet und geschaffen wird. Da die Konstruktion von ADHS von der Feststellung eines Defizits an sozial erwünschten Verhaltensweisen abhängig zu sein scheint (vgl. Mattner 2004), wird die sozialkonstruktivistische Perspektive in einem zweiten Schritt erweitert durch einen Bezug auf normalismustheoretische Überlegungen (vgl. Canguilhem 2012; Foucault 1977, 1983, 2003; Link 1997), um zu ergründen, durch welche Theorien ADHS im Sinne eines nicht-normalen Verhaltens konstruiert wird und mit welchen institutionalisierten Normalitätserwartungen diese Praxis einhergeht.

Benjamin Haas: Zur Konstruktion des Phänomens ADHS im sonderpädagogischen Fachdiskurs – eine normalismustheoretische Analyse – Skizze Promotionsvorhaben. Betreut von: Prof. Dr. Vera Moser (Berlin); Prof. Dr. Anne Waldschmidt (Köln) Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) avancierte innerhalb der letzten 15 Jahre zu der am häufigsten diagnostizierten kinder- und jugendpsychiatrischen Krankheit. Mit Blick auf die anhaltende Thematisierung des Phänomens ADHS kann im Allgemeinen festgestellt werden, dass diese an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen stattfindet und sowohl medizinische, psychologische, psychiatrische oder neurowissenschaftliche als auch soziologische oder pädagogische Zugänge möglich sind, sich das Verhältnis von naturwissenschaftlich-medizinischen und geisteswissenschaftlichen Ansätzen jedoch in der Regel als konkurrent darstellt. Aus der Möglichkeit sich bei der Beschäftigung mit dem Phänomen ADHS auf natur- oder kultur- und sozialwissenschaftliche Erklärungsmodelle zu beziehen, erwächst eine jeweils spezifische Konstruktion, wonach ADHS als Störung, Krankheit, soziokulturelles oder pädagogisches Problem betrachtet werden kann. Kritischen Beobachtungen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema ADHS zu Folge ist jedoch eine Präferenz hinsichtlich der Bezugnahme auf medizinische Kausalitätsmodelle zu erkennen, welche sich daran zeigt, dass sich der Mainstream der wissenschaftlichen Thematisierung als biologisch ausgerichtete ADHS-Forschung erweist und kultur- wie sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird (vgl. Ahrbeck 2007, 31). Überraschend wirkt diese Tendenz dahingehend, da ADHS-ähnliche Verhaltensweisen in der Regel in schulischen Settings erstmalig die Aufmerksamkeit auf sich lenken, wenn unaufmerksame, impulsive und hyperaktive Verhaltensweisen zu Störungen des Unterrichts führen. Angemerkt wird daher vor allem in jüngeren erziehungswissenschaftlichen Veröffentlichungen, dass die Schulbezogenheit des Phänomens und damit dessen pädagogische Relevanz sowohl in praktischer wie theoretischer Hinsicht nicht hinreichend reflektiert werde (vgl. Becker 2014, 271; Graham 2006, 1; Stechow 2015, 9), wodurch das Phänomen ADHS für die Erziehungswissenschaft weiterhin einen „unklaren Sachverhalt“ (Sauerbrey; Winkler 2011, 11) darstelle. Ausgehend von diesen Beobachtungen besteht die übergeordnete Zielstellung meiner Arbeit darin, die Konstruktion des Phänomens ADHS auf der theoretischen Ebene zu reflektieren, um ausgehend von institutionalisierten Konstruktionsprozessen das damit einhergehende Inklusionsproblem im Erziehungssystem (vgl. Becker 2014, 319) näher zu bestimmen. Fokussiert wird sich auf die erziehungswissenschaftliche Teildisziplin der (Sonder-)Pädagogik und es soll analysiert werden, wie im (sonder-)pädagogischen Fachdiskurs das Phänomen ADHS konstruiert wird. Entgegen einer einseitigen Fokussierung auf Aspekte der Behinderung wird der Arbeit eine differenztheoretische Ausrichtung zugrunde gelegt (vgl. Dederich 2013; Hinz 2013), die sich übergeordnet mit Normalitätskonstruktionen im Kontext von ADHS auseinandersetzt. Es sollen dabei variable Muster von Inklusion und Exklusion sowie Exklusionseffekte in sich verschiebenden Systemgrenzen (vgl. Dannenbeck 2012b, 61 ff.) im (sonder-)pädagogischen Diskurs herausgearbeitet werden. Ausgehend von einer wissenssoziologischen Perspektive wird danach gefragt, welche Wissenskategorien auf welche Weise Gültigkeit erfahren und wie dadurch die Wirklichkeit des Phänomens ADHS in der (sonder-)pädagogischen Fachliteratur gleichsam abgebildet und geschaffen wird. Die Frage lautet daher nicht, was ADHS eigentlich ist, welche Ursachen für die darunter subsumierten Verhaltensweisen verantwortlich gemacht werden können oder wie den Verhaltensweisen auf eine pädagogische Weise zu begegnen ist. Vielmehr gilt es herauszustellen, durch welche Einflüsse das Phänomen ADHS seine Bedeutsamkeit im (sonder-)pädagogischen Diskurs erhält und welche sozialen Machtverhältnisse damit einhergehen. Oder anders formuliert: Es gilt zu ergründen, nach welchen Regeln sich das Sprechen über ADHS in der (sonder)pädagogischen Fachliteratur gestaltet, welche diskursiven Formationen mit ihm einhergehen, wie sich bestimmte Deutungsmuster und Deutungshoheiten durchsetzen und letztlich, wie auf dieser Grundlage spezifische ‚Wahrheitsobjekte’ des ADHS im und durch den (sonder-)pädagogischen Diskurs geschaffen werden. Gewählt wird daher ein sozialkonstruktivistischer und wissenssoziologischer Zugang (vgl. Berger/ Luckmann 1992) zum Thema, der mit einer diskursanalytischen Spezifizierung (vgl. Foucault1973, 1974) die Bedeutung von disziplinären Konstruktionsweisen des Phänomens ADHS hervorheben möchte. Da die Konstruktion von ADHS von der Feststellung eines Defizits an sozial erwünschten Verhaltensweisen abhängig zu sein scheint (vgl. Mattner 2004), wird die sozialkonstruktivistische Perspektive in einem zweiten Schritt erweitert durch einen Bezug auf normalismustheoretische Überlegungen (vgl. Canguilhem 2012; Foucault 1977, 1983, 2003; Link 1997), um zu ergründen, durch welche Theorien ADHS im Sinne eines nicht-normalen Verhaltens konstruiert wird und mit welchen institutionalisierten Normalitätserwartungen diese Praxis einhergeht. Literatur Ahrbeck, Bernd (2007): Hyperaktivität, innere Welt und kultureller Wandel. In: Ahrbeck, Bernd (Hrsg.) (2007): Hyperaktivität. Kulturtheorie, Pädagogik, Therapie. Stuttgart: Kohlhammer, 13-44. Becker, Nicole (2014): Schwierig oder krank?: ADHS zwischen Pädagogik und Psychiatrie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Berger, Peter L./ Luckmann, Thomas (1992): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt: Fischer. (1. Aufl. auf Deutsch 1969/ Original 1966). Canguilhem, Georges (2012): Das Normale und das Pathologische. Berlin: August-Verlag. (Original 1974). Dannenbeck, Clemens (2012a): Inklusion reflexiv – ein Immunisierungsversuch gegen politische Umarmungsstrategien. In: Seitz, Simone; Finnern, Nina-Kathrin; Korff, Natascha; Scheidt, Katja (Hrsg.) (2012): Inklusion gleich gerecht? Inklusion und Bildungsgerechtigkeit. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 107-114. Dannenbeck, Clemens (2012b): Wie kritisch ist der pädagogische Inklusionsdiskurs? Entpolitisierungsrisiko und theoretische Verkürzung. In: Rathgeb, Kerstin (Hrsg.) (2012): Disability Studies. Kritische Perspektiven für die Arbeit am Sozialen. Wiesbaden: Springer VS, 55-68. Dederich, Markus (2013): “Heilpädagogik als Kulturwissenschaft”. In: Musenberg, Oliver (Hrsg.) (2013): Kultur – Geschichte – Behinderung. Die kulturwissenschaftliche Historisierung von Behinderung. Oberhausen: Athena, 43-66. Foucault, Michel (1973): Archäologie des Wissens. Frankfurt, Suhrkamp. Foucault, Michel (1974): Ordnung des Diskurses. München, Hanser. Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1. Auflage (Original: 1976). Foucault, Michel (1983): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1. Auflage (Original: 1977). Foucault, Michel (2003): Die Anormalen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Graham, Linda J. (2006a): From ABCs to ADHD: The role of schooling in the construction of ‘behaviour disorder’ and production of ‘disorderly objects’. In: Proceedings Australian Association for Research in Education 2006 Annual Conference, University of South Australia, Adelaide. URL: http://eprints.qut.edu.au/5447/ (12.01.2015). Hinz, Andreas (2013): Inklusion – von der Unkenntnis zur Unkenntlichkeit!? – Kritische Anmerkungen zu einem Jahrzehnt Diskurs über schulische Inklusion in Deutschland. In: Zeitschrift für Inklusion 1/2013. URL: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusiononline/article/view/26/26 (03.10.15). Link, Jürgen (1997): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Opladen: Westdeutscher Verlag. Mattner, Dieter (2004): Zur Biologisierung abweichenden kindlichen Verhaltens. In: Amft, Hartmut; Gerspach, Manfred; Mattner, Dieter (Hrsg.) (2004): Kinder mit gestörter Aufmerksamkeit: ADS als Herausforderung für Pädagogik und Therapie. 2. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer, 7-46. Sauerbrey, Ulf; Winkler, Michael (2011): Die pädagogische Bedeutung des Sachverhaltes ADHS. In: Sauerbrey, Ulf; Winkler, Michael (Hrsg.) (2011): Pädagogische Anmerkungen zur Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Jena: edition Paideia, 7-22. Von Stechow , Elisabeth (2015): Von Störern, Zerstreuten und ADHS-Kindern. Eine Analyse historischer Sichtweisen und Diskurse auf die Bedeutung von Ruhe und Aufmerksamkeit im Unterricht vom 16. bis zum 21. Jahrhundert. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.