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Media Embodiment. Die technologische Basis der Verkörperung digitaler Bilder

In seinem zukunftsweisenden Text The Cyborg’s Dilemma: Embodiment in Virtual Environments (1997) entwickelte Frank Biocca das Konzept des progressive embodiment. Mit diesem Theoriekonzept entwirft Biococa ein interaktionistisches Modell des mediatisierten Raumes, in welchem sich physischer Körper und technologische Apparatur über ein komplex gestaltetes Interface miteinander verbinden lassen. Diese Verbindung bleibt allerdings nicht ein rein technisches Kalkül, sondern mündet direkt im kognitionsphilosophischen ›Cyborg’s Dilemma‹ und der damit verbundenen Problemstellung, wie sich das subjektivierte Ich während der rezeptiven Verkörperung innerhalb digitaler Bildsimulationen autonom von der artifiziellen Präsenz des Technischen abgrenzen kann. Dies führt zu der bereits europhänomenologisch anmutenden Frage: »Where am ›I‹ present?«. Mit Blick auf aktuelle Medientechnologien – vor allem in Bezug auf immersive Interfaces und Displays – lässt sich plausibel vom progressive embodiment oder von Medien der Verkörperung in zweifacher Hinsicht sprechen: Zum einen unterstützen die von Biococa genannten Interfaces die virtuelle Verkörperung der Rezipienten in den simulierten Bildraum hinein; und zum anderen entwickeln sich die Medien immer stärker zu ›Körpern der Bilder‹, indem sie eine multimodale und damit sinnlich-extensive Repräsentation erlauben.

Lars C. Grabbe, Patrick Rupert-Kruse, Norbert M. Schmitz (Hg.) Zum Verhältnis von Bildtechnologien und Embodiment büchner BEWEGTBILDER BILDKÖRPER © 2016 Büchner-Verlag eG Bildkörper © 2016 Büchner-Verlag eG © 2016 Büchner-Verlag eG Lars C. Grabbe, Patrick Rupert-Kruse, Norbert M. Schmitz (Hg.) Bildkörper Zum Verhältnis von Bildtechnologien und Embodiment büchnerverlag wissenschat und kultur © 2016 Büchner-Verlag eG Besuchen Sie uns im Internet: www.buechner-verlag.de ISBN (Print) 978-3-941310-71-1 ISBN (ePDF) 978-3-941310-72-8 Copyright © 2016 Büchner-Verlag eG, Darmstadt Umschlaggestaltung: Büchner-Verlag eG, Darmstadt Druck und Bindung: Schaltungsdienst Lange oHG, Berlin Printed in Germany Das Werk, einschließlich all seiner Teile, ist urheberrechtlich durch den Verlag geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Bibliograische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograie, detaillierte bibliograische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2016 Büchner-Verlag eG Inhalt Dank .............................................................................................................. 7 Einleitung ..................................................................................................... 9 Lars C. Grabbe, Patrick Rupert-Kruse & Norbert M. Schmitz Von der Handgreiflichkeit des Denkens oder Die Verkörperlichung des Geistes .........................................................18 Norbert M. Schmitz Abstrakt – Affektiv – Multimodal: Zur Verarbeitung von Bewegtbildern im Anschluss an Cassirer, Langer und Krois .............46 Martina Sauer Körperfilme – Filmkörper: Ein neurowissenschaftlicher Beitrag zu Embodiment im Film .........................................................................72 Katrin Heimann Bewusstseinsikonografien und Räume der Kognition im zeitgenössischen Science-Fiction-Kino .................................................96 Matthias Schulz Verkörpertes Filmverstehen und intermediale Referenzen: Ein cybersemiotischer Ansatz .............................................................. 127 Jacobus Bracker »Language is (not) obvious«: Asynchrone Bewegtbilder von Geste und Wort ...................................................................................... 147 Jeanine Reutemann © 2016 Büchner-Verlag eG 6 INHALT Parallaxe der Wahrnehmung und Subjektivierungsformen in Inception ..................................................................................................... 172 Jihae Chung Media Embodiment: Die technologische Basis der Verkörperung digitaler Bilder ......................................................................................... 191 Lars C. Grabbe & Patrick Rupert-Kruse Zur Grundlegung einer Ästhetik des Embodiments in digitaler Medienkunst ........................................................................................... 213 Jin Hyun Kim Autorinnen und Autoren ...................................................................... 234 © 2016 Büchner-Verlag eG Media Embodiment: Die technologische Basis der Verkörperung digitaler Bilder Lars C. Grabbe & Patrick Rupert-Kruse Einleitung In seinem zukunftsweisenden Text The Cyborg’s Dilemma: Embodiment in Virtual Environments (1997) entwickelte Frank Biocca das Konzept des progressive embodiment. Mit diesem Theoriekonzept entwirft Biocca ein interaktionistisches Modell des mediatisierten Raumes, in welchem sich physischer Körper und technologische Apparatur über ein komplex gestaltetes Interface miteinander verbinden lassen. Diese Verbindung bleibt allerdings nicht ein rein technisches Kalkül, sondern mündet direkt im kognitionsphilosophischen ›Cyborg’s Dilemma‹ und der damit verbundenen Problemstellung, wie sich das subjektivierte Ich während der rezeptiven Verkörperung innerhalb digitaler Bildsimulationen autonom von der artifiziellen Präsenz des Technischen abgrenzen kann. Dies führt zu der bereits neurophänomenologisch anmutenden Frage: »Where am ›I‹ present?« (Biocca 1997: 24). Mit Blick auf aktuelle Medientechnologien – vor allem in Bezug auf immersive Interfaces und Displays – lässt sich plausibel vom progressive embodiment oder von Medien der Verkörperung in zweifacher Hinsicht sprechen: Zum einen unterstützen die von Biocca genannten Interfaces die virtuelle Verkörperung der Rezipienten in den simulierten Bildraum hinein; und zum anderen entwickeln sich die Medien immer stärker zu ›Körpern der Bilder‹, indem sie eine multimodale und damit sinnlich-extensive Repräsentation erlauben. Diesen beiden Ausprägungen des progressive embodiment und dessen medientheoretischen Implikationen wollen wir uns im Folgenden widmen, indem wir uns zunächst mit den Technologien der Virtuellen Realität auseinandersetzen und deren Potential in Bezug auf Verkörperungs- © 2016 Büchner-Verlag eG 192 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE Strategien analysieren. Von dort aus werden wir uns exemplarisch der Versinnlichung des Digitalen durch immersive und multimodale Interfaces widmen und dieses Phänomen an aktuellen medientechnologischen Entwicklungen aufzeigen. Damit soll gezeigt werden, welchen zentralen Stellenwert Embodiment und speziell Bioccas progressive embodiment in medien- und bildtheoretischen Überlegungen einnimmt bzw. einnehmen sollte. Virtualität: Technologie und Bestimmung Thematisieren wir dynamische Bewegtbildkonzepte, dann wollen wir eine kleine Richtungsveränderung fokussieren. Nicht Kinematografie oder filmische Bewegtbilder stehen im Mittelpunkt, sondern digitale Mediensysteme, deren Materialität eine scheinbar ganzheitliche, mediale Synchronisierung von Rezipient und technischem Artefakt ermöglicht. Wir sprechen einerseits von Bewegtbildkonzepten innerhalb der Ausgestaltung der Virtual Reality (VR) und andererseits von den subjektiven Bedingungen rezeptiver Dynamiken. Im Wechselverhältnis von technologischer Entwicklung und Wahrnehmungspotenzialen ereignete sich seit jeher ein kulturelles Bedürfnis danach die subjektiven Erfahrungen in der Welt über Medien zu speichern, anschaulich werden zu lassen oder aktiv durch medialen Einsatz zu transformieren. Virtualität ist damit natürlich eine technische Variable, wird aber gleichermaßen diagnostisches Instrument zur Charakterisierung einer kulturellen Entwicklungslogik. Begriffe wie »virtual reality«, »virtual environment« oder »simulation« (Biocca/Levy 1995: 5) geben hier deutlich einen erweiterten Begriffsradius wieder. VR leistet also neben einem komplexen apparativen Moment eine nahezu kulturtheoretische Fundierung menschlicher Subjektivität, die wiederum seit jeher mediale Umgebungen erzeugte, um ein Stück weit die Begrenzungen physikalischer Realität zu überwinden. Dies beschreibt bereits Ivan Sutherland im Jahr 1965: »A display connected to a digital computer gives us a chance to gain familiarity with concepts not realizable in the physical world. It is a looking glass into © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 193 a mathematical wonderland« (506). Sutherland spricht hier ergänzend vom Erreichen des »ultimate display« (ebd.: 508). Daniel Czitrom betonte 1982: »[The] dream of transcendence through machines is an ancient one, and the urge to annihilate space and time found particularly intense expression through new communication media« (187). Biocca und Levy kennzeichnen diese Entwicklung als »ancient desire for physical transcendence […] is nothing less than the desire to free the mind from the ›prison‹ of the body« (1995: 7). Sprechen wir in diesem Kontext also von Bewegtbildwissenschaft, dann geht es hier weniger um die Analyse multimodaler Bildkonzepte (vgl. Grabbe/Rupert-Kruse 2013) im Sinne der Repräsentation von Bedeutung als vielmehr um die Strukturdimensionen der Repräsentation von Anwesenheit – in medialen Umgebungen. Es geht also weniger um logische Informationsgehalte, sondern vielmehr um kohärente sowie phänomenale Erlebnisinhalte während der subjektiven Anwesenheit. Obwohl VR bekanntermaßen ein ingenieurs-wissenschaftliches Artefakt darstellt, zeigt sich deren Realisierung allerdings wesentlich organischer, als man es auf den ersten Blick vermuten würde. Denn die technischen Entwicklungsgrade sind konstant von ihrer phänomenal-leiblichen Einbettung in den rezeptiven Horizont abhängig, also von der sensomotorischen Effektivität innerhalb der sinnlichen Adressierung des Rezipienten: »VR is not a technology; it’s a destination. The ultimate goal of VR interface design is nothing less than the full immersion of the human sensorimotor channels into a vivid computer-generated experience. In the ideal system, the body is wrapped in communication and pulsates with information. Media have always been environments – both radio and television dominate the rooms in which they are used and the minds that use them. But the VR environment surrounds the senses. The optimist would say VR embraces the senses; the pessimist would say it kidnaps them« (Biocca/Levy 1995: 17). VR zeigt sich folglich als komplexes Kommunikationssystem, wobei dem Interface ein zentraler Stellenwert zugesprochen werden muss: Hier verbinden sich die Prozesselemente der physikalischen Apparatur mit den sensomotorischen Kanälen des Rezipienten. Neben dem Verstehen der Apparatur tritt also das Verstehen rezeptiver Dynami- © 2016 Büchner-Verlag eG 194 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE ken, was Biocca und Levy als »psychosemiotics of VR« (1995: 18) kennzeichnen. Psychosemiose: Zum Verhältnis von Sinnlichkeit und Apparat Abbildung 1: Schematische Darstellung der Telepresence nach Steuer. (Quelle: Steuer 1995; Bearbeitung durch die Autoren) Die strukturelle Grundausrichtung der Wahrnehmung wurde im Kontext der frühen Entwicklungen von VR als Telepräsenz (Abb. 1) bezeichnet (heute weitestgehend als presence begriffen), wobei hier selbst schon eine ontologische Differenz zum Tragen kommt. Zunächst haben wir die natürliche Wahrnehmung einer Situation oder Umgebung, die dann ein spezifisches Präsenzbewusstsein ausprägt. Kontrastierend zeigt sich dann die Telepräsenz als Moment der Wahrnehmung einer medialen – oder durch mediale Vermittlung zu Stande kommenden – Umgebung: »Telepresence is defined as the experience of presence in an environment by means of a communication medium« (Steuer 1995: 36). Zwei zentrale Subkategorien der Telepräsenz bilden das sinnliche Adressierungspotenzial (vividness) eines Mediums sowie die multimodale Handlungsflexibilität innerhalb der Interaktivität (interactivity): »However, the variables vividness and interactivity refer only to the representational powers of the technology, rather than to the individual; that is, they determine properties of the stimulus that will have similar but not identical ramifications across a range of perceivers« (ebd.: 41). © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 195 Die sinnliche Adressierung zeigt sich hier unterscheidbar nach Umfang (breadth) und Tiefe (depth), wobei der Umfang einer ganzheitlichen Sinnesadressierung entspricht, die eine ganzheitliche Erfahrung innerhalb eines medialen Environments hervorbringen kann. Umfang korreliert dann mit der Annahme, dass sich die Inputs die innerhalb unseres neuronalen Systems zu Perzepten werden (orientiert am relationalen Verhältnis von sensorischem und perzeptuellen System nach Mausfeld 2010), spezifische Grade von Intensität aufweisen, je nachdem, welche Sinne am Wahrnehmungsakt beteiligt sind. Der Tastsinn übernimmt hierbei die Primärfunktion, hier ereignet sich das haptische ›begreifen‹ der Welt. Der Sehsinn ist nachgelagert und besitzt bereits Informationen durch den Tastsinn (also Raum, Ort, Lagebestimmung, Art und Weise von Objekten). An dritter Stelle befindet sich das Gehör, welches Atmosphären erkennt und serielle Vorgänge kodieren kann (Musik, Sprache etc.), eine akustische Orientierung gilt allerdings als relativ unpräzise. Dann folgen olfaktorische und gustatorische Sinnlichkeit (vgl. Singer 2009). Nicht zu vergessen sind allerdings zwei eigenständige Sinnesdimensionen, die als Basissinne grundsätzlich unsere Wahrnehmungswirklichkeit konstituieren. Die Propriozeption bildet hier die Eigenwahrnehmung des individuellen Körperverhaltens im Raum aus (Lageveränderung, Ortsbestimmung, körperliche Reaktion wie Ausweichen oder ducken etc.). Die Viszerozeption hingegen stabilisiert die nach Innen gerichtete Wahrnehmung der eigenen Organtätigkeiten. Die Tiefe der Sinnesadressierung lässt sich dann als Bandbreitenphänomen bestimmen, bei dem die Tiefenqualität sinnlicher Adressierung von der Datenmenge sowie Datenübertragungsrate abhängig ist. Der vor allem auch in den game studies äußerst prominente Aspekt der Interaktivität bildet den zweiten Grundpfeiler der Telepräsenz und beschreibt die Gradstufen oder Handlungssysteme, mit denen ein Rezipient die vielfältigen Formen und Inhalte einer medialen Umwelt aktiv beeinflussen kann. Speed beschreibt das Potenzial zur temporalen Synchronisierung zwischen Medium und Rezipient und integriert Reaktions- sowie Latenzzeiten. Range charakterisiert die quantitative Handlungsfähigkeit während der Handlung mit oder durch die Gesamtanzahl aller interaktiven Artefakte sowie deren © 2016 Büchner-Verlag eG 196 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE maximaler Beeinflussbarkeit untereinander. Mapping thematisiert allgemein die Übersetzung physikalischer Handlungen über das Interface in das mediale Szenario (z.B. Gehen im CAVE, Tennis spielen mit der Wii etc.). Etwas spezieller und für unsere Zwecke zielführender ist hier allerdings das Konzept des natural mapping: »Natural mapping […] is typically thought of as how closely actions represented in a game match the actions used to bring about that change in a real environment. […] [Adapting] virtual controls to movements of the human body should bring about heightened levels of presence« (Skalski et al. 2011: 226f.). Es zeigt sich deutlich, dass diese Formen von Bewegtbildern eine komplexe Synchronisierung verschiedener Artefaktdimensionen integrieren, wobei die Konstitution von Präsenz dann in der Lage sein kann, komplexe Erfahrungsmuster zu initiieren und zu stabilisieren. Werden vividness und interactivity zu autonomen, technischen Systemstufen, kann sich eine intermodale Konsistenz bzw. Kongruenz zwischen den Sinnesdaten ereignen, die neben einer konsistenten Medienerfahrung zu einem medialen Evidenzerleben führen kann (vgl. Singer 2009: 105). Die von Biocca und Levy konstatierte »psychosemiotics« (1995: 18) wird dann zur Systembeschreibung einer sich über Medium, Sinnesadressierung, Interaktivität und Psyche erstreckenden medialen Hybridform. Progressive Embodiment Das Konzept des progressive embodiment ist eines der zentralen Konzepte unserer Ausführungen. Für Frank Biocca beschreibt dies eine grundlegende und fortschreitende Entwicklung interaktiver medialer Systeme: »At the close of this century the development of advanced computer interfaces is characterized by what we might call progressive embodiment. Progressive embodiment is the steadily advancing immersion and coupling of the body to advanced communication interfaces« (1997: 14). © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 197 Im Fokus steht hierbei die umfassende sensorische Kopplung des menschlichen Körpers mit multisensorischen Interfaces, was unter anderem zum sogenannten natural mapping des Leibes in die Virtuelle Realität führen soll: »In immersive VR, more so than in any other medium before it, the representation of the user’s body is a psychologically profound issue. This is especially true when the systems map the user’s body directly to the first person experience of a full virtual body, as virtual body that provides feedback about the location of limbs and head in space« (Biocca 1997: 17). Immersive Interfaces führen folglich zu einer Verkörperung des Users durch den Avatar, der als phänomenaler Leib (phenomenal body) und damit als Extension oder Prothese des fühlenden Selbst beschrieben werden kann. Ziel dieser technologisch induzierten Verschiebung oder Verdoppelung des Leibes ist der psychologische Zustand des Präsenzerlebens (presence). Ausgehend von diesen Überlegungen wollen wir exemplarisch das Phänomen des media embodiment in den Blick nehmen, um die unterschiedlichen Ausprägungen der medialen Verkörperung medien- und bildwissenschaftlich erfassen zu können und die phänomenal-rezeptive Dimension innerhalb der medialen Strukturen der Subjektivierung näher zu bestimmen. Wir verwenden den Begriff des media embodiment, um zu betonen, dass diese Form der Interface-Teleologie durch die aktuellen medientechnologischen Entwicklungen allgemein auf audiovisuelle Bewegtbildmedien angewendet werden kann. Dennoch werden wir uns – in Orientierung am Ursprungstext von Biocca – den Interfaces interaktiver Technologien widmen, um aufzuzeigen, wie sich die Idee der Virtuellen Realität vom Bildraum, über Interfaces bis hin zur Repräsentation des Selbst spannen lässt. Medien der Verkörperung: Immersive Interfaces »The vision of such a system foresees some applications where the body of the user is to be completely immersed in the interface, and the mind is © 2016 Büchner-Verlag eG 198 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE set floating in the telecommunication system – in cyberspace« (Biocca 1997: 14f.). Bioccas Vision der Interface-Evolution (Abb. 2) spielt in Bezug auf immersive Medien eine zentrale Rolle. Als immersiv wird ein Medium immer dann bezeichnet, wenn es als multi-sensorische Reizquelle die Sinne der Rezipierenden mit vermittelten Informationen überflutet. Der Grad dieser technologischen oder apparativen Immersion lässt sich am einfachsten dadurch beschreiben, wie viele Sinne von der virtuellen Umgebung in welcher Qualität angesprochen werden und inwiefern diese somit die Wahrnehmung der Realität verdrängen (vgl. Lombard/Ditton 1997: k.S.). Abbildung 2: Schematische Darstellung der Relation aus Körper und Interface. (Quelle: Biocca 1997: 14) © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 199 Immersive Medien sind folglich in der Lage, Präsenzerfahrungen bei den Betrachtern auszulösen, die ihn mit allen Sinnen im virtuellen Raum anwesend sein lassen. Dafür müssen sie die User nicht nur multimodal einbinden, sondern sie müssen ihnen auch eine Erfahrung vermitteln, die ihnen realistisch erscheint. Das Medium muss folglich in der Lage sein, die Objekte, Ereignisse und Subjekte innerhalb der Virtuellen Realität so zu repräsentieren, dass sie von ihren Vorbildern in der physischen Realität kaum noch zu unterscheiden sind: Es geht um die Schöpfung der perfekten Illusion und damit um die Angleichung der virtuellen Wirklichkeit an die physikalische Realität. Eine solche Architektur der Interfaces und Displays forciert auf technologischer Ebene durch einen hohen Grad an vividness und interactivity die Erfahrung von Präsenz als einer »mediated experience that seems very much like it is not mediated« (Lombard/Ditton 1997: k.S.) oder als »perceptual illusion of nonmediation« (ebd.). Erreicht wird dies aktuell durch die Kombination neuartiger Interfaces, von denen einige durch zahlreiche Kickstarterkampagnen in den kommenden Jahren sicher Marktreife erlangen könnten. Durch die Kombination dieser Interfaces wird schließlich das möglich, was Matthew Lombard und Theresa Ditton perceptual immersion genannt haben und was als apparative Form der Immersion das möglichst komplette Überfluten der Sinne der Rezipienten mit vermittelten Informationen – und damit verbunden die Verdrängung der Wahrnehmung der Realität – zum Ziel hat (ebd.). Diese Gesamterfahrung wird nun durch die einzelnen Technologien meist Sinn- bzw. Modalitätsspezifischgewährleistet. Ein Beispiel für ein Interface hoher visueller Immersion ist die zweite Entwicklerversion des HeadMounted-Displays Oculus Rift (DK2) (Abb. 3) von der Firma Oculus VR mit höherauflösendem, Sichtfeld ausfüllendem Display und weiterentwickeltem Headtracking. Das Display der Oculus Rift bietet für jedes Auge eine Bildauflösung von 960 x 1080 Pixel, insgesamt wird so ein nominales Blickfeld von 100° geboten. Für einen Abgleich von Kopfposition und Blickfeld im virtuellen Raum stehen ein Gyroskop, ein Beschleunigungsmesser und ein Modul zur Magnetfeldstärkenmessung zur Verfügung. Dadurch kann die Position des Kopfes selbst mit kleinsten © 2016 Büchner-Verlag eG 200 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE Abweichungen erkannt werden. Die hohe Aktualisierungsfrequenz des Trackings (1000 Hz) ermöglicht eine schnelle Positionserkennung selbst bei minimaler Neigung des Kopfes (vgl. Oculus VR o. J.). Abbildung 3: Ein Head-Mounted-Display der Firma Oculus VR. (Quelle: http://www.nerdstar.de/wp-content/uploads/2014/10/-Oculus-Rift-Dev.-Kit2.jpg) Das Problem, das hierbei noch immer auftritt, ist die Doppelverortung der Nutzenden: Sie mögen sich vielleicht in der virtuellen Welt bewegen, doch in der Realität sitzen oder stehen sie still. Dies wird sich allerdings durch eine Kombination von der Oculus Rift mit dem Cyberith Virtualizer (Abb. 4) aufheben lassen. Der Virtualizer ist eine omnidirektionale Treadmill, die es erlaubt, die natürliche Gehbewegung aus der Realität in die virtuelle Wirklichkeit zu übertragen: »The Virtualizer’s flat base plate has a low-friction surface that enables you to walk, run, and strafe freely in every direction. As it’s flat, movement feels realistic, dramatically enhancing immersion. The uniquely constructed ring allows for vertical movements such as jumping and crouching, as well as a 360° axial rotation. The adjustable harness ensures that movement through virtual worlds is effortless… you can even sit down!« (Cyberith o.J.; http://cyberith.com/product/). © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 201 Abbildung 4: Die omnidirektionale Treadmill der Firma Cyberith. (Quelle: http://www.geekovation.de/wp-content/uploads/2014/-07/Virtualizer-4.jpg) Um das Präsenzerleben jedoch noch weiter zu steigern, müssten neben den Gehbewegungen noch weitere »motoric channels« (Biocca 1997: 14) als Eingabemodalitäten – möglichst natürlich – integriert werden. Repräsentationen der Bewegungen und Gesten der Hände innerhalb der VR würden das leibliche Gefühl der Anwesenheit zusätzlich verstärken. Insbesondere, wenn zudem haptisches Feedback die Grenze zwischen virtueller und physikalischer Realität aufbrechen würde. Verstanden als multisensorische Integration weiterer Sinnesmodalitäten induziert dieses Feedback das Gefühl, als ob die virtuelle Repräsentation als das eigene leibliche Selbst in der VR agieren würde (vgl. Petkova/Khoshnevis/Ehrsson 2011: k.S.). © 2016 Büchner-Verlag eG 202 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE Realisiert werden könnte dies durch das Feedback fähige Exoskelett Dexmo F2 der Firma Dextra Robotics (Abb. 5): »Dexmo is a wearable mechanical exoskeleton that captures your hand motion as well as providing you with force feedback. It breaks the barrier between the digital and real world and gives you a sense of touch« (Dextra Robotics 2014: k.S.) Abbildung 5: Mit dem Exoskelett werden Handbewegungen in die virtuelle Realität übertragen. (Quelle: http://www.roadtovr.com/-latest-dexmo-inputglove-features-positional-tracking-with-full-finger-input-claims-5ms-latency/) Der Handschuh bzw. das Exoskelett Dexmo F2 dient dazu, dass zum einen die Hand- und Fingerbewegungen natürlich in die virtuelle Welt übertragen werden, doch vor allem soll das System es ermöglichen, diese Welt auch zu berühren. Einschränkend muss jedoch erläutert werden, dass die Force Feadback-Funktion zunächst nur für den Daumen und Zeigefinger zur Verfügung gestellt wird und der Widerstand nicht analog gemessen wird, was letztlich bedeutet, dass es keine weichen Übergänge im Fühlen geben wird, sondern lediglich einen aktivierten oder nicht aktivierten Widerstand. © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 203 Solche »presence-evoking technologies« (Lombard 2011: 3) belegen den aktuellen Stand des von Biocca früh aufgezeigten progressive embodiment durch Interfacetechnologien. Folgt man diesbezüglich Olaf Blankes und Thomas Metzingers Definition von Embodiment, erlauben die modernen Interface- und Displaytechnologien dieses insofern, als dass sie eine »subjective experience of using and ›having‹ a body« (2008: 7) innerhalb der virtuellen Realität forcieren. Diese Medien induzieren ein Gefühl von Anwesenheit in der VR und damit – in Bezug auf den Avatar bzw. auf das re-embodiment als mediale Repräsentation – ein Gefühl von Selbstheit (phenomenal selfhood): »[Virtual] limbs and bodies in virtual reality could be owned by participants just as rubber hands can be perceived as parts of one’s body in physical reality. Furthermore […] ownership of virtual limbs and bodies may engage the same perceptual, emotional, and motor processes that make us feel that we own our biological bodies« (Slater et al. 2011: k.S.). Dies erreichen diese Technologien, da sie drei dafür notwendige Eigenschaften hervorbringen bzw. unterstützen: »(i) a globalized form of identification with the body as a whole […], (ii) spatiotemporal self-location and (iii) a first-person perspective« (Blanke/ Metzinger 2008: 8). Eigenschaften (i) und (ii) werden dabei vor allem durch eine synchrone multisensorische Integration unterschiedlicher Sinnesreize hervorgerufen: »In this multisensory framework, the integration of temporally, and spatially congruent visual, tactile, and proprioceptive signals generates a perceptually coherent percept of one’s own body« (Petkova/Khoshnevis/Ehrsson 2011: k.S.). Unterstützt wird diese Auffassung u.a. durch Experimente von Henrik Ehrsson und Valeria Petkova, welche bei ihren Studien gezeigt haben, dass neben der multimodalen Sinnesreizung auch die Übernahme der Erste-Person-Perspektive als die eigene Perspektive als grundlegende Kondition angesehen werden muss, damit es zu dem kommt, was in der Fachliteratur body swapping genannt wird: Die (Re)Lokalisierung des eigenen Bewusstsein in einem anderen Körper – beispielsweise dem virtuellen Körper des eigenen Avatars (vgl. Petkova/Ehrsson 2008: 6; Petkova/Khoshnevis/Ehrsson 2011: k.S.): »Through an IVR [immersive virtual reality] a person can see through the eyes and hear through the ears of a virtual body that can be seen to sub- © 2016 Büchner-Verlag eG 204 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE stitute for their own body, and our data show that people have some subjective and physiological responses as if it were their own body« (Slater et al. 2010: k.S.). Mediale Subjektivität: Das Dilemma des Cyborgs Interessanterweise zeigt sich innerhalb der Telepräsenz oder presence konstituierenden Medientechniken ein expliziter Fokus auf das Konzept des Körpers, wobei hier nicht von einem statischen Körpermodell ausgegangen werden kann, bei dem nur die physikalische Realität für ein Evidenzerlebnis sorgt. Vielmehr argumentiert Frank Biocca für ein triadisches Körpermodell, welches den physikalischen vom virtuellen Körper (Avatar) unterscheidet und als Zwischeninstanz das mental stabilisierte Körperschema verortet. Der physikalische Körper generiert die primäre Präsenzerfahrung der Wahrnehmungswirklichkeit in Raum und Zeit. Der virtuelle Körper ist die Repräsentation des Körpers innerhalb der virtuellen Umwelt und das Körperschema ist die mentale oder interne Repräsentation des eigenen Körpers (vgl. Biocca 1997: 23). Die komplexe Sinnesadressierung erfolgt im Kontext des physikalischen Körpers, wobei die Erfahrungswirklichkeit zusätzlich auf den virtuellen Körper übertragen wird. Kommt es an dieser Schnittstelle zur Irritation oder problematischen Umsetzung von Handlungen (aufgrund von Latenzzeit, starker Beschleunigung, Orientierungslosigkeit etc.), kann das eigene Körperschema irritiert bzw. destabilisiert werden (z.B. simulation sickness): »It appears that embodiment, especially in immersive virtual environments, can significantly alter body schema. In a way we might say that the virtual body may compete with the physical body. The result is a tug of war where the body schema may oscillate in the mind of the user« (Biocca 1997: 24). Das Körperschema zeigt sich bereits als neuro-phänomenologisches Konstrukt, an welchem die Sinnlichkeit und ebenfalls virtuelle Informationen konstitutive Anteile haben können. Grundüberlegung ist hier die Annahme, dass Erfahrungsinhalte aus der physikalischen © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 205 Realität oder virtueller Realität über die Sinnlichkeit vermittelt werden, dann aber nicht nur schlichte Informationen auf der Körperebene bereitstellen, sondern in der »Meinigkeit« (Metzinger 2005: 8) meiner Erfahrungswelt konstitutive Anteile haben an der Modellierung des eigenen Selbstmodells, also der phänomenalen Entität, die man alltagssprachlich als Ich beschreiben würde: »Das Selbstmodell ist ein transientes komputationales Modul, das vom System vorübergehend aktiviert wird, um seine Interaktion mit der Umwelt zu regulieren« (Metzinger 2005: 11). Wird das Körperschema bzw. das subjektive Selbstmodell innerhalb eines virtuellen Environments stets versuchen eine Synchronisierung zwischen physikalischem und virtuellem Körper herzustellen, so erscheint die abschließende Frage in Bioccas berühmtem Aufsatz überaus plausibel: »Where am ›I‹ present?« (Biocca 1997: 24). Denn das Ich oder Selbstmodell wird stets versuchen sich flexibel auf das mediale Environment einzustellen oder auszuweiten (Extension) und sich als mediale Hybridform, unter Berücksichtigung von Medium, Sinnesadressierung, Interaktivität, physikalischem und virtuellem Körper, kohärent zu stabilisieren. Das mediale Ich ist in diesem Kontext keine Singularität, sondern eine ganzheitliche und konnektomatische Systemkomponente, ein intersystemisches und mediatisiertes Erregungsniveau. Die Verkörperung der Bilder Im Kontext des progressive embodiment tritt neben das Phänomen der virtuellen Verkörperung der Rezipienten in den simulierten Bildraum hinein noch eine andere Bedeutungsdimension der Medien der Verkörperung. Durch die evolvierenden Display- und Interfacetechnologien können Medien zusehends als ›Körper der Bilder‹ verstanden werden. Aufgrund der vielfältigen Feedbackmöglichkeiten neuer Medientechnologien gewinnt das Digitale zusehends an Materialität und damit an sinnlicher Qualität. Digitale Bilder werden so zu Tastbildern (vgl. Krois 2011: 210– 231). Im Zentrum steht dabei nicht mehr eine ›visuelle Dreidimensi- © 2016 Büchner-Verlag eG 206 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE onalität‹ – was konstitutiv ist für die virtuelle Verkörperung –, sondern ihre ›haptische Dreidimensionalität‹. Damit können der Repräsentation nahsinnliche Qualitäten zugeschrieben bzw. erfühlt werden, wodurch die bildliche Erscheinung ihren Bildstatus verliert und zum Quasi-Objekt wird. »Das beste Bild ist […] das Bild, das sich selbst auflöst, weil es vom Betrachter nicht als Bild gesehen wird und deshalb eigentlich auch gar nicht Bild genannt werden sollte. Der Betrachter kann zwar noch wissen, aber nicht mehr sehen, dass er ein Bild sieht. Er sieht die dargestellte Sache wie eine reale und anwesende Sache« (Wiesing 2013: 66). Aus der bloßen Sichtbarkeit des Bildinhalts wird eine multimodale Anwesenheit, aus der artifiziellen Präsenz des immateriellen Bildobjekts wird die artifizielle Existenz des Gegenstandes, der als sinnliches Konkretum tatsächlich empfunden werden kann (vgl. Misselhorn 2012: 796). Wo zuvor – sollte jemand tatsächlich ein Bild berühren – nicht das Bildobjekt fühlbar war, sondern lediglich der Bildträger – das Medium – tritt nun das Repräsentierte multimodal hervor. Um die Überlegung von Lambert Wiesing noch einmal aufzugreifen: Die Berührenden fühlen die dargestellte Sache wie eine reale und anwesende Sache. Ein Beispiel hierfür ist eine neue Technologie von Disney Research, diese ist: »a tactile-rendering algorithm for simulating 3D geometric features, such as bumps, on touch screen surfaces. This is achieved by modulating friction forces between the user’s finger and the touch screen, instead of physically moving the touch surface« (Kim / Israr / Poupyrev 2013: 1). Der Algorithmus soll auf Smartphone- oder Tabletoberflächen ein plastisches und direktes taktiles Feedback erzeugen, durch das zum einen ein realistischeres Interaktionserlebnis möglich werden soll und das zum anderen die Effizienz und Genauigkeit dieser Interkationen steigern soll. Digitale Bilder können so mit einer taktilen Dimension angereichert werden. Die Auswahl von Büchern aus einer virtuellen Bibliothek, die bereits in den gängigen mobilen Medien implementiert ist, wird damit wieder zu einem multimodalen Erlebnis, indem man über die Buchrücken streichen, deren Breite und Struktur erfühlen kann (vgl. Kim/Israr/Poupyrev 2013: 7). © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 207 Geist und Körper: Ich und Welt Die vorangehenden Ausführungen verdeutlichen in gewissem Sinne eine Erweiterung medientheoretischer Diskurse, die unabdingbar mit der Perspektive einer Bewegtbildwissenschaft verknüpft ist. Diese Diskurserweiterung verweist bereits auf die akademische Analyse von VR oder poly-sensuellen Mediensystemen (vgl. Biocca et al. 1995; Steuer 1995; Sutherland 1965), integriert allerdings gleichermaßen philosophisch und neurowissenschaftlich verankerte Perspektiven der intersystemischen Verschränkung von Geist und Körper. Diese Perspektiven zeigen sich besonders prominent innerhalb der verschiedenen Variationen der extended mind debate (vgl. Clark/Chalmers 1998), des radical enactivism (vgl. Hutto/Myin 2013) oder der Vielfalt von embodied cognition theory (vgl. Chemero 2009; Rowlands 2010). Diesen Ansätzen ist ein körperlicher Fokus zu Eigen, welchem ein primärer Stellenwert für kognitive Prozesse zugesprochen wird. D.h. Kognition wird nicht länger primär innerhalb von repräsentationalen Eigenschaften des mentalen Systems verortet, also im Sinne einer neurokomputationalen Theorie des Geistes, sondern körperorientiert in das Außen verlagert. Die Außenwelt stabilisiert das handelnde Subjekt demnach in situativen und empirischen Kontexten, welche externe Inputs für weitere Verarbeitungsprozesse generieren, die allerdings nicht auf inhaltsgebundene Repräsentationen angewiesen sind: »radical embodied cognitive science can explain cognition as the unfolding of a brain-body-environment system« (Chemero 2009: 43). Im Fokus steht demnach eine explizite Handlungsorientierung und aktive Partizipation an und mit den Elementen der Lebenswelt: »The enactive view of human cognition starts with the idea that we are action oriented. Our ability to make sense of the world comes from an active and pragmatic engagement with the world, along with our capacities to interact with other people« (Gallagher 2013: 209). Diese Ansätze lassen sich als produktive Rehabilitation des medialen Körpers beschreiben und leisten ihren evidenten Beitrag zur Aufhebung der ideengeschichtlichen Spaltung von res cogitans und res extensa. Werden demnach körperliche und mentale Ebene als systemisches Konstrukt verstanden, so lassen sich gerade für eine © 2016 Büchner-Verlag eG 208 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE Bewegtbildwissenschaft zahlreiche Anknüpfungspunkte in den Blick nehmen und etwaige Unschärfen innerhalb der Theorieperspektiven harmonisieren. Vor allem die Problematisierung und Klärung der repräsentationalen Ordnung des Mentalen (interne Repräsentation) erscheint hier als überaus notwendig. Denn bei Mediensystemen und medialen Ordnungsgefügen handelt es sich in vielfältiger Art und Weise um Bedeutungssysteme die über differenzierte Modi der Darstellung (oder medialen Präsentation) differenzierte Codeebenen (Handlung, Mitteilung, Kommunikation, Symbolik etc.) evozieren, die ihrerseits wiederum großen Anteil haben am Verstehen der Medieninhalte und der Rezeptionserfahrung. Gerade eine explizite Leugnung oder Abkehr vom Konstrukt der Repräsentation (mental, intern) erscheint demnach als problematisch, da explizit im Kontext von Medien- oder Kunsterfahrung zumindest inhaltsbezogene Struktur-mechanismen zum Tragen kommen, welche Handlungen und Kognition prägen, allerdings stets in Abhängigkeit vom medialen Input: »Radical enactivism thus goes against the commonly held position that the best explanation of cognition always and everywhere requires positing contents that are acquired and transformed in order to create representations that then inform and guide what an organism does or experiences. Contents are understood as ways of representing the world that have conditions of satisfaction« (Hutto et al. 2014: 1). Das Zitat verdeutlicht das Problem: Kognition steht in gängigen Wissenschaftsdiskursen stets im Zusammenhang mit dem Konzept eines mentalen Inhalts (content), welcher in ein System aus mentalen Repräsentationen überführt wird, die wiederum Eigenschaften der Welt und Erfahrungsinhalte zum Ausdruck bringen. Diese Perspektive wird gerade innerhalb des radical enactivism problematisiert. Obwohl die enaktivistischen Embodiment-Diskurse einen enormen Vorteil bieten, weil sie die Rolle des Körpers und der Situationsbezogenheit von kognitiven Prozessen betonen, und damit gleichermaßen Sensorik für die Ausgestaltung subjektiver Erfahrungen heranziehen, wird jedoch gleichzeitig durch die Abkehr vom RepräsentationsDiskurs ein neues Problem geschaffen: Denn Mediensysteme und Medieninhalte sind in hohem Maße content-driven und stellen apparative Synchronisationseinheiten zwischen Subjekt und Körper dar. © 2016 Büchner-Verlag eG MEDIA EMBODIMENT 209 Daher muss gerade in einer modernen Bewegtbildwissenschaft dem Verhältnis von Inhalt, externer und interner Repräsentation sowie Handlung, Körperlichkeit und Kognition adäquat Rechnung getragen werden (vgl. Grabbe 2015). Dieses Vorgehen bietet enorme Vorteile, denn sie führt nicht nur Medientheorie und Philosophie enger zusammen, sondern eröffnet den notwendigen Anschluss an neurowissenschaftliche Perspektiven. Schlussbemerkung Das Verhältnis interner und externer (medialer) Repräsentationen bildet den Kulminationspunkt moderner Medien- und Bildwissenschaften und erstreckt sich von der Wahrnehmung bis zur Wirkung des jeweiligen Medieninhalts auf kognitive, emotionale und konative Prozesse. Die Abhängigkeit dieses Verhältnisses von der Körperlichkeit – sowohl des Dargestellten als auch der Rezipienten – zeigt, wie zentral eine Integration der Überlegungen innerhalb der neuzeitlichen Embodiment-Diskurse für eine moderne Theorie bewegter (interaktiver) Bilder ist. Dies herauszuarbeiten und anhand von Frank Bioccas Ausführungen zum Problem des progressive embodiment zu diskutieren bildete den Kern des vorliegenden Artikels. Die Aktualität von Bioccas Konzept zeigt im Hinblick auf heutige Medientechnologien – vor allem in Bezug auf immersive Interfaces und Displays –, warum wir von Medien der Verkörperung in zweifacher Hinsicht sprechen konnten: Zum einen spielte im Kontext von VR-Technologien die virtuelle Verkörperung der Rezipienten in den simulierten Bildraum hinein eine zentrale Rolle; zum anderen haben wir aufgezeigt, dass sich die Medien immer stärker zu Körpern der Bilder entwickeln, indem sie sinnlich-extensive Repräsentationen abbilden. Diese Zusammenführung von modernen Medientechnologien und Verkörperungstheorien offenbart sich innerhalb dieser Ausführungen nicht nur als äußerst schlüssig, sondern ebenfalls als ein Desiderat beider Forschungsbereiche. Das theoretische, aber auch anwendungsbezogene Potential dieses Spannungsfeldes gilt es weiterhin auszuloten. © 2016 Büchner-Verlag eG 210 LARS C. GRABBE UND PATRICK RUPERT­KRUSE Literatur Biocca, Frank/Kim, Taeyong/Levy, Mark R. 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Denn erst die Analyse des Verhältnisses von Bildtechnologien und Embodiment erlaubt es, die Erlebnisdimensionen und Sinnhorizonte audiovisueller Artefakte von ihrer leiblichen Basis her näher zu beschreiben. ISBN 978-3-941310-71-1 www.buechner-verlag.de www.bewegtbildwissenschaft.de