THOMAS RING
ASTROLOGISCHE
MENSCHENKUNDE IV
DAS LEBENDE MODELL
VERLAG HERMANN BAUER
FREIBURG IM BREISGAU
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Ring, Thomas:
Astrologische Menschenkunde / Thomas Ring.
- Freiburg im Breisgau : Bauer
4. Das lebende Modell. - 4. Aufl. -1994
ISBN 3-7626-0425-8
bearbeitet und formatiert durch Lisa Jensen
Mit 6 zweifarbigen und 16 einfarbigen Zeichnungen
4. Auflage 1994
ISBN 3-7626-0425-8
© by Verlag Hermann Bauer KG, Freiburg im Breisgau
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags von der Buchausgabe gescannt und zur Online-Präsentation
aufbereitet durch
Astrodienst AG, Zollikon.
II
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort zur 3. Auflage
Vorwort
Vorgehen der Psychodiagnostik und der Astrologie
Aufgabenunterschied
Stimmt das Horoskop beim einen und beim anderen nicht?
Theorie und Praxis
Entsprechungen
Mängel, Fehlhaltungen
Veränderungslust
Angst
Aggression
Die verschlingende Mutter
Ehezwist
Bequeme und unbequeme Kinder
Die Unbehausten des Fortschritts
Der Sündenbock
Gewissenlosigkeit
Auflichtung des Schattens
Die Eintopfmethode
Die Lebenslüge
Persönlichkeitsschwund
Krise, Verwirrung, Umbau
Vorzüge, Ergänzungen
Physiognomische Außenseite und Wesenskern
Freiheit - Lenker des Schicksals
Von der Relativität des Glücks und der Harmonie
Wandlung, Sinn, Selbstgestaltung
Das neue Menschenbild der revidierten Astrologie
Personenverzeichnis
IV
V
1
10
14
18
24
31
40
55
71
88
112
127
133
142
155
171
183
194
205
218
221
235
246
256
271
289
III
VORWORT ZUR 3. AUFLAGE
Zwei Jahre nach dem Tod von Thomas Ring erscheint
diese wesentlich erweiterte Auflage. Thomas Ring hat für
„Das lebende Modell“ noch drei neue Kapitel geschrieben,
die er im Jahre 1982, zusammen mit kleineren Korrekturen,
dem Verlag übergab. Viele neue Gedanken des 90jährigen
Autors sind in folgenden Abschnitten zusammengefaßt:
Ein Kapitel, das sich mit einem großen Teil der heutigen
Jugend befaßt, ist symptomatisch für Rings Beschäftigung
mit neuesten Problemen. Er nennt diese jungen Menschen
„Die Unbehausten des Fortschritts“, weil ihnen das Zuhause, der Wurzelboden fehlt (Seite 127 ff.).
Ein weiteres Kapitel setzt sich mit unserem „Schuldkonto“, der Summe der Verdrängungen peinlicher Situationen, der falschen Bezichtigung anderer, affektiv begangener
Bosheiten, Lieblosigkeiten usw. - dem „Schatten“ nach C.
G. Jung - auseinander („Auflichtung des Schattens“, S. 155
ff.).
Schließlich wird das Buch noch durch ein Schlußkapitel
ergänzt, das in wiederum neuer Form das moderne Weltbild
Rings „revidierter Astrologie“ charakterisiert und Zeiterscheinungen gegenüberstellt („Das neue Menschenbild
der revidierten Astrologie“, S. 271 ff.).
Außerdem ergab sich die Notwendigkeit, das als Beispiel
gebrachte Kosmogramm Sigmund Freuds neu zu zeichnen.
Die auf eine Selbstangabe Freuds zurückgehende Geburtsstunde verschiebt sich nach einer Eintragung des Vaters in
die Familienbibel um eineinhalb Stunden.
Sieht man von wenigen rein technischen Korrekturen ab,
so hat das Buch sein wesentlich neues Gepräge durch den
Autor selbst erhalten.
Allensbach am Bodensee, im Sommer 1985
Erp Ring
IV
VORWORT
Wenn es Wahrheiten gibt, die nach Jahrtausenden noch
dieselben sind, dann können es nur innerseelische Wahrheiten sein, während sich unterdessen alle Bewußtseinsinhalte
geändert haben. Das Bleibende in der Astrologie beruht somit auf Symbolen, die seelische Grundgehalte umschreiben.
Die Vorstellung jedoch, wie eine Beziehung zwischen Gestirn und Mensch zustande kommen kann, worauf sie beruht, wechselte mit dem jeweiligen Wandel der Weltvorstellungen. Heute wird dies durch die Wissenschaft ausgemacht. Die Frage erhebt sich, ob und wie Astrologie in unser heutiges wissenschaftliches Weltbild hineinpaßt.* Die
Antwort rüttelt nicht an jenen bleibenden Wahrheiten, doch
hinsichtlich der Aussagemöglichkeit ergeben sich daraus
wichtige Modifikationen.
Modifikationen sind Abwandlungen, nähere Bestimmungen. Ihnen gilt das vorliegende Buch. Meine Darlegung will
mehr sein als ein Ratgeber für die Praxis, wenn sie auch aus
dieser heraus und für sie geschrieben wurde. Es geht um den
Lebensnerv dessen was ich astrologische Menschenkunde
nenne: die von Geburt an in uns liegende Wirklichkeit überdauernder Bedeutung. Wir erfahren sie am lebenden Modell
im Vergleich mit dem Meßbild. Wenn nicht Menschenbeobachtung genauen Schritt hält mit dem Erlernen der astrologischen Begriffe, werden diese unversehens zu schieren
Wortungeheuern, die ein begiffsgläubiger Verstand als äußere Verursacher dieser oder jener Ereignisse nimmt. Statt
von sinntragenden Wesenskräften handeln wir dann doch
*
Eine Beantwortung versuchte ich in „Astrologie ohne Aberglauben“, Econ
Verlag, Düsseldorf 1972. Von anderer Seite wurde mehrmals unternommen, Astrologie mit überkommenen Begriffen als Erfahrungswissenschaft wieder zu begründen. Die Aussagekraft der Erfahrung hängt indes vom Gesichtswinkel ab, unter dem
man sie macht. Der Blickpunkt der revidierten Astrologie liegt gegensätzlich zu
allem, was die Ursachen des astrologisch Erfahrbaren in die ausgemessenen Gestirne hineinträgt, zum Glauben an äußere Bewirkung und ein fertig vorbestimmtes
Schicksal.
V
von Sternen als Bewirker eines Schicksals, das außerhalb
des Lebendigen, seiner Verantwortung und Entscheidungskraft, vorbestimmt ist. Es geht dann mit der Horoskopie wie
mit jeder überspitzten Technik, die nicht mehr der Erweiterung menschlicher Freiheit dient; dasselbe Instrument, das
uns fördern und dem Fortschritt auf die Beine helfen sollte,
wird zum Werkzeug der Vernichtung. Mit der genannten
Abstraktion des Schicksals vom schöpferischen Leben, mit
einer dementsprechenden fatalistischen Einstellung bekommen Aussagen aus dem Meßbild (Horoskop, Kosmogramm)
eine lähmende Wirkung.
Indem mein Buch diese Gefahr signalisiert und dem Mißbrauch einen Riegel vorschieben hilft, will es beitragen, die
Tür zu den eigentlichen Inhalten zu öffnen.
Der Aufbau des Buches kann nicht solcherart geschlossen
sein wie in den drei vorangegangenen Bänden „Astrologische Menschenkunde“, bei denen die Abhandlung der
Deutungselemente und ihrer Kombination die Gliederung
vorschrieb. Wenn wir mit allgemeinen, oft sehr aktuellen
Übeln und Mißständen anfangen, sie aus dem Leben herausgreifend, so beginnen wir ja mit verstreut auftauchenden
offenen Fragen, für deren Beantwortung gewöhnlich einige
aufgezählte Ursachen und Ratschläge zur Abstellung als
hinreichend betrachtet werden. Kaum je leuchtet dies die
dispositionellen Grundlagen in einer Vollständigkeit an, wie
es die Einbeziehung der astrologischen Menschenkunde erlaubt. In astrologischer Sicht dürfen wir nicht von Anlagen
für das fertige Ergebnis, etwa einem Trieb zu lügen, zu
stehlen, sprechen. Vielmehr können verschiedene Anlagekomponenten, je nach ihrer funktionellen Verwendung, zu
einem ähnlichen Erscheinungsbild führen. Anderseits ergibt
mitunter ein und derselbe Faktor unterschiedliche Äußerungen. Alles ist in Fluß, solange das Modell „lebt“. Der dabei
wirksame selbstbestimmende Faktor (die einsetzende oder
unterbleibende freie Entscheidungswahl) sowie die Umwelt
(ihr begünstigender oder hemmender Einfluß) wirken mit an
der Variabilität der Entsprechungen, ohne welche das Symbol und sein Bedeutungsumkreis nicht real begriff en werVI
den kann. Aber auch das Erbe schließt etwas ein, was aus
der Geburtskonstellation nicht ersichtlich ist, nämlich den
angeerbten Stand der Entwicklung, die herkunftsbedingte
Ausgangsbasis des Handelns. Mit dadurch unterschiedlichen
Entsprechungen erforschen wir den Spielraum des Symbols
zu Gunsten lebensnaher Deutung.
Zum heute psychologisch viel gebrauchten Wort „Struktur“ sei gleich gesagt, in welchem Sinne es hier gilt. Sozialpsychologische Beobachtung und Überlegung findet, daß
jeder auf jeden einwirkt. Die Summe psychischer Wirkungen ergäbe ein heilloses Gemisch, hätte nicht jeder sein eigenes Gefüge von Kräften, Ausdrucksweisen und Interessen. Bei mangelhafter Kenntnis dessen, was ein Mensch von
Geburt an mitbringt und seinen Eigenschaftsanlagen einen
ordnenden Rückhalt gibt, beschränkt sich unser Urteil auf
die Erbstruktur oder wir nehmen psychische Eintragungen
der Umwelt, Einflüsse durch Erzieher, aufgestellte Ideale,
Verhaltensnormen der Umgebung, materielle Lage, kurz
„die Verhältnisse“ hinzu. Auf diese Weise gingen in den
Strukturbegriff auch seelische Mechanismen ein, die Erworbenes ritualisiert festhalten; sie können für Anlagen gehalten werden, obzwar sie veränderbar sind. Haben wir nun ein
Meßverfahren, das uns individuelle Anlagengefüge in Einklang mit der Geburtskonstellation zeigt, so bekommt
Struktur den Inhalt einer bleibenden Grundverfassung, die
in allen existentiellen Lagen und auf jeder Entwicklungshöhe immer wieder durchschlägt. Aus ihr erwächst die Problematik des Einzellebens abzüglich der Verhältnisse und
des Erbes, indem latent Vorhandenes manifest wird, ohne
daß die Problemlösungen endgültig so wie getätigt vorbestimmt wären. Das akute Geschehen entspinnt sich zwar mit
der Ineinanderschränkung von Erbe und Umwelt, das
astrologische Meßbild enthält gewisse Reaktionsweisen,
typenhafte Varianten, auch vorgezeichnete Kompromisse,
doch das effektive Verhalten ist nicht nur erb-, umweltsund konstellationsbedingt, sondern im Wesentlichen „selbstmächtig“. Außer aller Typik der Lösungsformen gibt es
freies „Anderskönnen“. Es ist Sache der Entscheidungswahl
VII
im selbstbestimmenden Faktor, aus ihm geht die Weiterentwicklung hervor.
Von solchen Strukturen handelt dieses Buch, von lebenden und das heißt, daß niemals, wie fatalistische Auffassung
vermeint, unabwendbar festgelegt sein kann, was daraus
gemacht wird. Auf der Wandelbarkeit strukturbestimmender
Symbole beruht der erzieherische, therapeutische, zur
Selbstgestaltung anleitende Wert des astrologischen Meßbildes.
Ein Hauptzweck des Buches besteht in der Anleitung zum
Studium an Hand des Kosmogramms, das keineswegs als
Instrument für Fertigaussagen verstanden sein will. Solch
Selbststudium bedeutet mithin alles andere als die beliebte
Freizeitastrologie, um nach obskuren Regeln sein Glück zu
packen. Groß ist die Gefahr der Täuschungen und schädlichen Übergriffe, wenn wir deterministisch abgefaßte Aussagen ungeprüft auf den Menschen anwenden. Den
Prüfstein gibt das lebende Modell selbst her, das Erlebnisse
durchmacht, die einerseits so verlaufen, wie ihm konstellativ vorgezeichnet, anderseits von vorbestimmter Zwangsläufigkeit abweichen. Das Beobachten des lebenden Modells
befreit uns von den stereotypen und formelhaften Deutungsbegriffen der alten Astrologie. Vor allem werden daran
die Unterschiede von Tendenz und Ereignis, von Anlage
und Eigenschaft klar. An den Abweichungen kann das Mitwirken der außerhoroskopischen Faktoren ermessen, kann
die Notwendigkeit von Aussagegrenzen begriffen werden.
Sie sind der eigentliche Lehrstoff, nachdem man die Methode der Deutung erlernt hat. Man verhalte sich daher locker
im Ausdeuten der Konstellation, sodaß man den prinzipiellen und symbolisch ausdrückbaren Gehalt des Wesensgefüges schildert, jedoch unvoreingenommen die konkrete
Verbildlichung in Form von Entsprechungen, wie sie das
Leben herausbildet, studiert und aufnimmt. Das Selbstgespräch oder Gespräch mit anderen entwickelt sich dann zur
Einsicht in die Grundursachen meist irrtümlich gesehener
Geschehnisse. Vom wesenhaften Geschehen hebt sich ab,
was äußere Einkleidung des Charakterbildes ist. Der Blick
VIII
auf den individuellen Entwurf und Anlageplan macht das
Gespräch wesentlich. Bei Auswirkungen unterdrückter, verschwiegener und unbekannter, auch etwa peinlich empfundener Anlagen schaffen wir so einen Abstand und erleichtern dem Klienten mit einem „vielleicht“, „gegebenenfalls“,
„möglicherweise“ das Akzeptieren. Jedes Element läßt verschiedenerlei Einkleidungen zu. Unterschiedliches Niveau
liefert Stichproben, wie mannigfaltig die betreffenden Eigenschaftsanlagen dargelebt werden können. Strikt muß
beim Studium vermieden werden, Sensationen nachzujagen,
Ungläubige mit „Treffern“ zu dupieren, Ahnungslosen
„Dinge auf den Kopf zuzusagen“ und was dergleichen Eitelkeiten sind.
Auf die beschriebene Weise erfährt man am ehesten die
therapeutische Wirkung einer Aussprache, die oft zur
Beichte wird, sowie die innere Stütze, welche die Bekanntschaft mit seinem Kosmogramm einem Menschen geben
kann.
IX
EINLEITUNG
Vorgehen der Psychodiagnostik und der Astrologie
Aufgabenunterschied
Wir lernten in der Psychologie und Charakterologie,
ebenso durch Anwendung von Analysen aus Gesellschaftslehren, unter die Selbstbeurteilung greifen. Mit tiefenpsychologischen Symbolen und Testaussagen, auch soziologischen Feststellungen, gewannen wir eine große Anzahl
von Hinweisen auf etwas anderes als der Mensch von sich
weiß, von sich denkt. Doch bei längerem gewissenhaften
Umgehen damit zeigt es sich, daß jede Einzelheit gegebenenfalls etwas bedeutet, was abweicht vom Stichwort, unter
dem die betreffende Methode diese Einzelheit einreiht.
Betrachten wir beispielsweise den Rorschachtest und nehmen wir, was man klinisch nicht tun darf, eine Einzelheit
heraus. In den Klexbildern überwiegend Tiere sehen, kann
endogene Wurzeln des Verhaltens aufdecken, ist nach
Bohm und der erweiterten Fassung des Tests durch Zulliger
der allgemeinste Steterotypie-Indikator. Dies bedeutet ein
Denken, bei dem sich die Assoziationen schwer von einer
bereits vollzogenen Einstellung lösen. Doch solche Stereotypisierung des Denkens drückt sich unter Umständen auch
anders aus und viele Tiere zu sehen kann einfach ein Zeichen von Tierliebe sein. Gemeinhin entspricht der Tiernatur
in uns das Triebhafte und die von Instinkten gelenkte Bewegungslust. Wieder anders ist die Kinästhesie in Hinsicht
kommunikativer Bewegung, wenn etwa jemand das Klexbild als zwei sich die Hände reichende oder miteinander boxende Menschen deutet, wo ein anderer einen Schmetterling
sieht oder ein dritter Skeletteile und ein vierter Formen, die
nichts miteinander zu tun haben. Beim Koch'schen Baumzeichentest (der einen Obstbaum zu zeichnen verlangt) gilt
das Überwiegen blumiger Formen meist mit Recht als Anzeichen vegetabilischen Wachsens und Blühens; Blätter und
Früchte künden oft von aufgeschlossener Jugendlichkeit,
1
Schmucktrieb, sinnlicher Ansprechbarkeit, verglichen mit
dem schematischen Kugelbaum des typischen Intellektuellen; noch markanter ist es, wenn dieser nur halb hingehört
hat und ein dürres, grätenartiges Linienschema, etwas Tannenartiges, anbringt. Doch ein künstlerisch erzogener Augenmensch zeichnet anders als beide; die Klammer der
Rationalität kann auch bei schwelgenden Blättern und
Früchten an dem erkannt werden, was der Durchschnitt saubere, gefällige, genaue Darstellungsweise nennt gegenüber
flüchtig Hingeworfenem aber rhythmisch Gegliedertem. So
müssen wir jedes Merkmal zusammen mit anderen Merkmalen beurteilen und jeder Test hat sein „aber“.
Ähnlich liegt es mit Traumsymbolen. Das Erlebnis des
Fliegens im Traum kann tatsächlich die genitalische Bedeutung haben, die Freud ihm anfänglich zusprach, kann
aber auch an den rituellen Schamanentanz anklingen und
den Wunsch nach Besitz übernatürlicher Kräfte oder auch
geistiger Überlegenheit ausdrücken. Die Sehnsucht, zu fliegen, sowie die untergründige Überzeugung von einer AntiSchwerkraft gehören schließlich zum innerseelischen Haushalt der Menschen aller Zeiten. Eine individuelle Seelenlage
dessen muß man erst herausfinden. Bei Traumbildern
kommt es insbesondere auf den Zusammenhang an, in welchem die Lebenssituation steht. Hierbei spricht natürlich der
soziale Stand mit. Wer nie arbeiten mußte, von klein auf
umsorgt und behütet wurde und wem auch später die Geldmittel anstrengunglos zuflossen, versetzt sich schwerlich in
die Seele eines Arbeiterkindes unterer Existenzklasse, auch
wenn er einen Armutskult betrieb. Anderseits, Muße im
Sinn der schöpferischen Pause ist nicht mit unbegrenzter
Freizeit schon gegeben. Sie steht außerhalb der Gesellschaftslage und ermittelt sich weder aus sozialem Druck
noch aus parasitärer Lebensweise; höchstens könnte man als
sozial bedingt anführen, was heutige Verhaltensforschung
mit „Wohlstandsverwahrlosung“ meint. Auch ist von Bedeutung, wie Alfred Adler hervorhob, ob man Geschwister
hat und der wievielte man in der Reihe ist. Man kann etwa
in der Ideologie christlicher Nächstenliebe erzogen worden
2
sein und dementsprechende Vorstellungen haben, während
im Protest gegen einen Bruder, der vermeintlich bei den Eltern besser angeschrieben steht, sich untergründig ein vom
Leistungsehrgeiz getragenes rücksichtslos durchgesetztes
Leitbild ausformt. Dergleichen gibt den Dingen bestimmte
Wertakzente.
So haben wir stets nur fließende Begriffe, Relationen, und
ferner kommt es auf den akuten Zeitpunkt an, darauf, ob
jemand in einer Angstphase (etwa „Examensangst“) träumt,
zeichnet und ein Klexbild deutet, oder ob er es zur Zeit gehobener Hoffnungen und der Selbstüberzeugung tut. Abgesehen von Routineaussagen hat auch der Tester als lebendes
Wesen seine Phasen; starre Pedanterie bekommt keiner
Testaussage. Stichproben auf ein Verhalten sind nur dann
stichhaltig, wenn genau die Umstände beachtet werden,
unter denen die Probe angestellt wird. Für diejenigen Merkmale, die möglicherweise Pathologisches anzeigen, gilt das
paracelsische „sola dosis facit venenum.“* Der Zusammenhang und die Menge, die Wiederkehr und Nachbarschaft
von Bildern oder Merkzeichen deutet auf gesund oder
krank, gibt Auskunft über das verborgene Wesen. Wie kann
man diesem, wenn wir ihm nachgehen, tabellarisch beikommen? Bei starken schöpferischen Persönlichkeiten
müßte man für jeden eine besondere Testmethode und eine
eigene Traumdeutung erfinden.
Immerhin sind Tests, Traumdeutung, Typenlehren im allgemeinen praktisch anwendbar und für summarische Einblicke unentbehrlich geworden. Zur Gültigkeit (Validität)
eines Tests gehört, daß genau angegeben ist, was gemessen
werden soll; ist der Fragezweck vielleicht eingeengt auf
Eignung für einen bestimmten Beruf, so weiß ich damit,
welche Tests heranzuziehen sind. Die Aufgabe des einzelnen Tests ist pragmatisch beschränkt. Jeder Test dringt in
einen bestimmten Bezirk ein, er kann nur über die berührte
konstitutive Ebene aussagen. Für ein charakterologisches
Gesamtbild wird wichtig, wie die betreffenden Bezirke im
*
„Nur die Dosis (zugeteilte Menge) macht das Gift.“
3
Ganzen zusammenhängen und sich zueinander verhalten.
Der „Könner“ kontrolliert eines am anderen, erst dadurch
gewinnt er etwas wie eine umfassende Charakteraussage.
Verfahren wie der Rorschachtest, Szonditest usw. sind darauf angelegt, durch Serien (verschiedene Tafeln) ein Netz
von Aussagen zu bekommen.
Zur gültigen Beurteilung des Zusammenhangs der Ebenen und der Dosis, des Stellenwerts eines Merkmals, fehlt
aber die psychische Konstitutionslehre, das heißt eine
Kenntnis der anlagemäßigen Ausgangspunkte, von denen
die einzelnen Merkmale richtig gedeutet werden können.
Oder gibt es sie bereits, mangelt es nur am methodischen
Ausbau? Wir behaupten hier, daß es sie gibt im astrologischen Meßbild, dem Horoskop oder Kosmogramm, wenn
man eine Revision des Grundgedankens vornimmt und die
Deutung des Meßbildes danach ausrichtet.
In der Wissenschaftsgeschichte wird immer wieder der
Fehler gemacht, eine Erklärung zunächst für weiterreichend
anzusehen, als ihr zukommt. Die Anwendung astrologischer
Symbole und Praktiken unterlag einem fundamentalen Irrtum. Die Messung liefert exakte Zahlen. Dem vermutlich
schon im Entstehen höheren menschlichen Bewußtseins
aufkeimenden Gestirnglauben lag die Meinung nahe, eine
Deutung müsse ebenso genaue Tatsachen hierzu in Beziehung bringen. Glaubte man sich über die Grundbedeutung
der Planeten im reinen, so sollte ihr gegenseitiges Verhältnis
wie die Stellung im Tierkreis und in den Häusern - nachdem
diese Systeme ausgebildet waren - klare Modifikationen angeben. Deutung war dann eine Auslegung nach festen Regeln und Begriffen. Deutungsfehler erklärte man sich damit,
daß irgendwelche unbekannte Himmelszeichen bestünden,
die nicht in Betracht gezogen waren.
Abgesehen von der Simplifizierung geht diese Auffassung auf fertig vorbestimmte Sachverhalte, die durch Gestirneinflüsse „bewirkt“ oder durch Gestirnstände als ein zu
erfüllendes Schicksal „angezeigt“ wurden.
Im kleineren Maßstabe kennen wir dies schematisierende
Verfahren aus der Traumdeutung. Nicht nur das vorwissen4
schaftliche Schema „Sarg bedeutet Hochzeit“, nicht die
ehemaligen Traumbücher der Köchinnen sind gemeint.
Auch in den Anfängen der Tiefenpsychologie, als man den
Traum wieder ernst nahm, gingen viele mit einer Dechiffrierungsmethode nach feststehendem Schlüssel vor, nahmen
Bild und Abbild und Analogien an wie bei der Übersetzung
einer Sprache in die andere. zwar warnte Freud seine Schüler, auch C. G. Jung suchte der Verwechslung mit einem
mechanischen System vorzubeugen und betonte die polyvalente Bedeutung der auftauchenden Bilder. Nichtsdestoweniger wurden Listen der Siegel und ihrer Entschlüsselung
aufzustellen versucht. Solches widerspricht grundsätzlich
dem bildschöpferischen Vermögen im Dienst einer Selbstdefinition, als welche wir den Traum ansehen müssen, wenn
wir ihm einen Sinn beimessen. Gemeinsamkeiten bestehen,
doch ein immer stimmender Traumkatalog würde den bildnerischen Vorgang zur Computerarbeit machen.
Was schon für das individuelle Leben im Bildgehalt der
Träume gilt, muß umso mehr auf die gestaltschöpferischen
Äußerungen des universellen Lebens, welche die Astrologie
untersucht, bezogen werden. Von Übel waren die verbreiteten Rezeptbücher. Es genügt nicht, den Stil zu belächeln
wie etwa graphologische „Popularschriften“, wenn sie
Weltbewegendes vom herabgesetzten i-Punkt ableiten. Ist
dies nur Überspannung eines Merkmals, so die Abfassung
gebrauchsfertiger Aphorismen in der Astrologie ein Grundirrtum. (Der Bedarf ist so eingesessen, daß Schüler die vorgemachten Kombinationen gleich als Rezepte anzuwenden
suchen.) Den astrologischen Erfahrungen können wir einen
Sinn abgewinnen, wenn wir darin die Einordnung der Lebensgestalten und -vorgänge in die Periodizität des uns einbegreifenden Sonnensystems (geozentrisch bezogen) sehen.
Dann aber bedeuten die Komponenten des Gestirnbildes, die
„Planeten“, keine kausal bewirkenden Mächte, sondern
Ordnungszeichen. Die ausübende Kraft ist dann im eingeordneten Leben zu denken, seinem Modus als Wachstumsund Bildekraft, im Menscheninneren als Wesenskraft. Diese
organisch kosmologische Auffassung versteht die Ord5
nungszeichen inhaltlich als Symbole, deren reale Entsprechungen jeweils aus der Lebenssituation zu ermitteln sind.
Damit ist die Methode vorgeschrieben und ein ergänzendes
Arbeitsfeld für eingeschaltete Psychodiagnostik gegeben.
Vom Verhältnis zwischen Symbol und Entsprechung
(Prinzip und Konkretum) wird noch öfter die Rede sein um
die Vorbehalte zu überbrücken, welche ein normales wissenschaftliches Denken dagegen anführt. Was bei guten
Tests die serielle Anordnung leistet, vervielfacht sich mit
den interstrukturellen Beziehungen im Kosmogramm, denen
eine Vielzahl flexibler Entsprechungen angereiht ist. Darin
liegen unverkennbare Schwierigkeiten. Es erfordert differenzierte Erfahrung, hiermit die Isolation stückweiser Aussagen in der Gesamtschau aufzuheben, doch führt die Methode selbst zur verfeinerten Kombination. Diese Methode
erlernt man sinngemäß unter ständiger Beobachtung und
Vergleichung mit Belebtem Leben. Allerdings kann man der
kosmologischen Symbole, als unserer „verborgenen Innenausstattung“, auch unmittelbar innewerden im ElementarErlebnis; auf ihm beruht die Evidenz bei richtiger Deutung.
Die Beschreibbarkeit solchen Erlebens stößt jedoch an
Grenzen wie in der Physik diejenige der subatomaren Welt.
Das in diesem Elementar-Erlebnis gegründete, unbewußt in
uns verankerte Urwissen verlangt mit dem Fortschritt empirischen Wissens immer andere Interpretationen. Der Wechsel der Argumente aber, unter denen das Urwissen uns zur
Vorstellung gelangt, ist nicht das Eigentliche. Sie stellen nur
den Anschluß des Bleibenden an das veränderte Weltbild
her, bringen Äußeres und Inneres im geschichtlichen Bewußtsein sowie im Kulturkanon zur Dekkung. Anders ausgedrückt: Archetypisches erfahren wir stets in Grenzsituationen und Näherungswerten.
Zur Interpretation, sowohl in psychodiagnostischen als
auch in astrologischen Aussagen, gilt folgendes. Da die wenigsten Menschen lebende Strukturen in ihrem Werden und
Wandel sehen können, bekommt die Beschreibung notwendigerweise einen von Episoden berichtenden, erzählenden
Ton. Sie muß einzelne Stücke anleuchten und am logischen
6
Faden aufreihen. Bei Tests und Typenlehren dient dies dem
Ausspinnen eines Grundurteils, vom Psychologen abgegeben. In der Astrologie hingegen sind solche Grundurteile vorgezeichnet vom Leben, das sich manifestierte,
bevor ein Bewußtsein hinzukam. Vom exakt naturwissenschaftlichen aber unterscheidet sich das astrologische Experiment darin, daß nicht jeder zum gleichen Ergebnis
kommt (dies würde einen perfekten Frage-Antwort-Mechanismus voraussetzen); nur allgemeinmenschliche Wesenszüge schlagen bei den Elementen durch. Im besonderen
Fall ist persönliche Deutung nötig, den Komplizierungen
der Versuchsperson angemessen, Schätzungsfehler sind
nicht auszuschalten. Wir deuten die Ganzheit eines Wesensgefüges und verfolgen die Wandlungen, mit denen sie in Erscheinung tritt. Mit Recht wird darum von einer DeutungsKunst gesprochen.
Wenn wir interpretativ erzählen und aufzählen, verhilft
uns dies zum Einblick in eine vorhandene Kräftestruktur,
deren Äußerungen wir am lebenden Modell studieren. Psychodiagnostische und astrologische Methoden kommen sich
dabei entgegen, nur haben letztere eine naturgegebene Basis
in den Komponenten, die zu Betracht stehen, während die
ersteren von bewußten Urteilen ausgehen, die richtig oder
falsch sein können. Bei diesen liegen die Fehlerquellen im
Ansatz, bei jenen in der Deutung. Am astrologischen Meßbild gilt es immer wieder klar zu machen, wie Mehreres,
diskrepant erscheinend und oft sich widersprechend, in einer
Menschenseele beisammen wohnt, wie dann aus diesem
Angeborenen sich eine Problematik entspinnt und in der
Auseinandersetzung mit der Welt zu Alternativen drängt,
deren Lösung stets durch Entscheidung innerhalb von miteinander ringenden Strebungen gewonnen wird. Das staffelweise Sich-Entschiedenhaben, den Entwicklungsstand,
wissen wir vom Meßbild aus nicht. Hier liegt eine Aussagegrenze. Was der Psychodiagnostiker vor Augen hat, den individuierten Menschen, soll der Astrologe in statu nascendi
erfassen und deuten. Er ist zunächst auf Wahrscheinlichkeiten angewiesen, steht jedoch im Vorzug, fraglos von cha7
rakterlichen Anlagen, den Wurzeln der Eigenschaften, ausgehen zu können.
Die Trümpfe des psychodiagnostischen und des astrologischen Vorgehens werden oft zu Unrecht mit „entwederoder“ gegeneinander ausgespielt. Versteht man aber die
Methoden richtig, dann führt uns ein „sowohl-als auch“ zur
lebensnäheren Aussage. Beides ergänzt sich darin, daß eine
Testbatterie genaue und einzelne Aussagen über das momentane Verhalten bringt, wofür jedoch der begründete Zusammenhang fehlt (weil er von da- oder dorther stammen
kann), während die astrologische Aussage vom Grundbau in
die Einzelheiten geht, aber, um in den Entsprechungen genau zu sein, außer ihrer eigenen kombinativen Methode und
Zusammenschau auch konkretisierende Hilfsmittel braucht.
So sagt der Rorschach-, Wartegg-, Koch-, Lüschertest
usw. über fertiggeprägte Einzelheiten aus, die Handschrift
vermittelt einen näheren Einblick in den aktuellen Zustand,
der Szonditest in die familiäre Triebstruktur des Beurteilten,
die psychoanalytische Untersuchung berichtet von Nachwirkungen der Vergangenheit, vor allem der Vater-MutterKind-Welt, die Konzeption Adlers beachtet den Ausgleich
von Organminderwertigkeiten, die Rolle des Leitbildes sowie den Einfluß der geschwisterlichen Situation, soziologische Betrachtungen zeigen den Einzelnen als Glied einer
bestimmten Gesellschaftsordnung - dies und anderes zusammengenommen versorgt uns mit Anhaltspunkten für
astrologische Entsprechungen. Jedoch den prinzipiellen
Grundbau und Zusammenhalt gibt uns die Geburtskonstellation. Wenn wir den kürzeren Weg gehen, indem wir lediglich diese Konstellation berechnen und deuten, bleibt
doch zu bedenken, daß die Auswirkungen der so ermessenen Struktur den Bedingungen unterliegen, die jene psychodiagnostischen Methoden rechtfertigen. Nur ist es etwas
anderes, ob wir sie in den Vordergrund rücken und für allein
berechtigt halten, oder ob wir uns eine wenigstens überschlägliche Kenntnis davon verschaffen: ohne solche Stichproben gelangt man ebensowenig, wie jene Verfahren ohne
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astrologische Kenntnisse zu den Anlagewurzeln vordringen,
zur differenzierten Deutung.
Noch mehr trifft dies auf die zeitliche Abwicklung des
Lebens zu. Gewisse Vorkommnisse können sich nur ereignen, wenn eine entsprechende Disposition dazu vorliegt.
Dies geht die determinative Seite in der Astrologie an.
„Disposition“ meint dabei mehr als subjektive Anlage sowie
ihr „zur Verfügung haben“, meint zusätzlich objektive Umstände der Umwelt. Hier kommen soziologische Gesichtspunkte in Betracht, wofür die Psychodiagnostik wenig
anderes als den verschwommenen Begriff der Sozialanpassung und die Sozialpsychologie nur typenmäßige oder
behavioristische Einreihungen zur Verfügung hat. Im
astrologischen Meßbild hingegen ist ein Entworfensein auf
Umwelt enthalten, wenn auch nicht das wirklich vorhandene
umweltliche Faktum. Mit dieser Einschränkung verstehen
wir persönliches Schicksal als Strukturzwang, dies übertrifft, was sich aus Angepaßtheit oder verweigerter Einreihung ergibt.
An meinen früheren Büchern rügten manche Leser den
„schwierigen Stil“. Bekanntermaßen liegt es nicht immer
am Autor, wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen.
Der Grund vieler Komplizierungen besteht in der Kompliziertheit der Sache gegenüber vereinfachenden Anschauungen von ihr. Es gibt zweifellos verständlichere Bücher über
Astrologie. Wenn man den Umfang menschlicher Problematik und die Vielfalt der Entsprechungen astrologischer
Elemente nicht sieht, Aussagegrenzen mißachtet und nach
fatalistischen Regeln munter losschreibt, findet man leicht
seine Leser. Doch wer an solchen Büchern Genüge hat,
stelle nicht diese Art von Verständlichkeit als Forderung
einer Menschenkunde auf.
Anfängliche Schwierigkeiten sind unvermeidlich, wenn
die Voraussetzungen einer neuen Blickweise verstanden
werden sollen. Das Bemühen um Begriffe, die Schätzungsfehler ausmerzen, rollt das terminologische Problem auf.
Astrologische Begriffe beziehen sich auf dieselben Sachverhalte, die aus verschiedenen psychologischen Schulen an9
ders geläufig sind. Die astrologische Menschenkunde hat
somit blickpunktbedingte Spezialisierungen zu überwinden,
muß umfassender sein, ohne jedoch an Genauigkeit nachzustehen. Diese Aufgabe sieht die Vulgärastrologie überhaupt nicht; sie fährt fort mit unzulänglichen Aussagen über
„Charakter“, als ginge es um eine Ersatzpsychologie für den
kleinen Mann. Schlimmer, wenn sie überlieferte Faustregeln
in puncto „Schicksal“ anwendet. Solche schematisierenden
Verfahren schläfern die nötige kritische Beobachtung ein.
Wollen wir Überzeugungen gedanklich rechtfertigen, so
dürfen wir dem Meßbild nicht vorschreiben, es habe Auskunft zu geben in diesen und jenen Fragen, wie sie momentane Bedürfnisse, Standpunkte und Neugier aufwerfen. Wir
müssen vielmehr von den Grundvoraussetzungen der Sache
her erst richtig fragen lernen. In der Anwendung der Deutungstechnik, ausgerichtet in heutigem Geiste, lernen wir
dann kennen, was sie leistet.
Bevor er an die Sache selbst herangeht, stellt sich dem
Skeptiker die Frage:
Stimmt das Horoskop beim einen und beim anderen nicht?
Theorie und Praxis decken sich in der Antwort, daß das
Horoskop stets zutreffende Auskünfte geben kann, solange
wir nicht den Homunkulus in der Retorte erzeugt haben. Ein
solches Loskommen vom kosmischen Eingeordnetsein müssen wir uns freilich offen halten, ebenso wie das Zersprengen des Erdballs, den Selbstmord der Menschheit durch
Umweltsverschmutzung, gegenseitige Ausrottung durch
Kriege und andere makabre Freiheiten.
Solange jedoch der Personenbestand der Menschheit auf
natürlichem Wege erzeugt und geboren wird, geschieht es in
Einklang mit kosmischen Perioden. Ich konnte noch keinen
Fall ermitteln, der außerhalb stünde. Selbst eine Geburt
durch Kaiserschnitt, scheinbar von willkürlichen Entschlüssen abhängig, enthält bestimmte Anzeichen dafür in der
Konstellation dieses Augenblicks. Entsprechend der natür10
lichen Herausforderung durch einen krisenhaften Zustand
der Mutter sind diese Anzeichen in der Mondstellung zu
suchen, den operativen Akt betrifft die Marsstellung, den
Lebenswillen der Sonnenstand usw., den Wesenkräften gemäß.
Allerdings fehlen hierüber noch Massenstatistiken, auch
über künstlich durch Wehenmittel eingeleitete Geburten.
Abgesehen von der Vielzahl in Betracht kommender Elemente darf die Bereitstellung von Unterlagen für solche
Statistiken erst erwartet werden, nachdem an den sie vergebenden Stellen das noch herrschende Vorurteil überwunden wurde. Dann ist die Abgrenzung von der Zufälligkeit
rechnerisch erreichbar. Ohne ein Urteil über die Sinnhaftigkeit abzugeben, sei bestätigt, daß Eingriffe des Menschen in
den Naturlauf, die akosmische Zustände erreichen, möglich
sind.
Die in der Wissenschaft übliche Leugnung von Tatsachen, wenn ein herrschendes System von Anschauungen geschützt werden soll, scheint mit der natürlichen Geburtenregelung durch Astrologie in der CSSR einer vorurteilsfreieren Haltung gewichen zu sein. Leider sind uns die rechnerischen Methoden der Untersuchungen von Dr. Jonas und
der Praktiken seines Instituts in Nitra, das 98% Erfüllung
seiner Prognosen angibt, erst soweit zugänglich, um sagen
zu können, daß es sich um einen die mütterliche Linie betreffenden Mondzyklus handelt. Dies stimmt überein mit der
traditionellen Deutung des Mondsymbols sowie den Hypothesen der revidierten Astrologie, daß Lebensvorgänge eingebaut in kosmische Zyklen zu denken sind.
Ob etwas stimmt, ist die gröbere Fassung der Frage,
worin es stimmt oder stimmen kann. Dies aber setzt voraus,
daß wir wissen, welche Aussagen ein Horoskop überhaupt
herzugeben möglich ist, abgesehen von abstrakten Betrachtungen müssen wir es erfahren haben. Zu solcher Erfahrung
soll unser Buch verhelfen.
Beim Erscheinungsbild, das wir am Horoskop (Kosmogramm) überprüfen, ist zunächst der Grad der Individualisierung wichtig (vgl. Bd. I, S. 16). Wenigstens ein roher
11
Überschlag soll uns sagen, wie stark sich vermutlich. das
individuelle Wesensgefüge durchprägt gegen den ethnischen Untergrund (Rasse, Volksstamm, Familie). Gerade
beim hochindividualisierten Menschen wiederum spielen
Einflüsse der Umwelt mit (Gesellschaftsordnung, geschichtliche Lage, Landschaft, Erziehung und Lebensweise). All
dies kommt sowohl charakterlich als auch im persönlichen
Schicksal zum Ausdruck. Schließlich aber formt der selbstbestimmende Faktor entscheidend an beidem, sei es infolge
Durchstehens der angeborenen Problematik, sei es in der
Nachwirkung von Versäumnissen. Außerdem gibt es kollektiv bedingte sowie Naturereignisse, die außerindividuell
mitprägen; für derartige Außenwirkungen liegen im Kosmogramm nur „Verklammerungen“ vor (vgl. Bd. I, Seite
40/41 ).
Betrifft also zwar das Ereignis den Einzelnen, so gilt als
individuell determiniert nur die Tendenz, so oder so in die
Kausalketten gerade laufender Geschehnisse hineingezogen
zu werden. Zu Beginn der Wissenschaft sagte man: Gott
bedient sich der Kausalität. Jedenfalls erweisen sich die
Dinge im persönlichen Schicksal von Sinnbezug auf den
Betroffenen, hier sprechen wir von Strukturzwang. Bei der
kollektiven Wirklichkeit sehen wir mit Kepler die „irdischen Ursachen“ bewirken, was aus den Tendenzen wird; ist
hier Zündstoff gehäuft, dann „schlägt der Himmel die
Trommel zu den Händeln, welche sonsten nach der Welt
Lauf untern Händen schweben“, denn „die Verhältnisse
(Proportionen), die Schemata haben an sich noch keine
Wirksamkeit“.* In diesem Sinne wurde von „wenn-dann“Aussagen gesprochen (Bd. I, S. 43). Bei Nichtbeachtung der
Aussagegrenzen können Prognosen natürlich daneben treffen, obzwar die Tendenzen sich konstellationsgerecht auswirkten. Der Fehler liegt dann keineswegs im „nichtstimmenden Horoskop“ oder in falscher Berechnung, sondern
im irrigen Gebrauch der Deutungsmittel.
*
Vgl. H. A. Strauß und S. Strauß-Kloebe, „Die Astrologie des Johannes Kepler“, R. Oldenbourg-Verlag 1926.
12
Neben der Mahnung zur Vorsicht in Prognosen überhaupt
sei in diesem Zusammenhang ins Auge gefaßt, wem etwas
gesagt wird. Der tiefsitzende Glaube an ein Fatum, von den
meisten nur aus dem Bewußtsein verdrängt, entstellt häufig
die Aussage durch gezieltes Hinhören, das insgeheim eine
Zensur ausübt und das Gesagte auf ein Erwartungsbild hin
stilisiert. Erwartungsmäßig setzt sich dann anstelle der bekannt gegebenen Tendenz doch die Vorstellung eines konkreten Ereignisses fest. Der Klient bringt dadurch sich
selber in eine Alternative: entweder, damit es stimmt, Erfüllungszwang (Bd. III, S. 530), oder Enttäuschung, wenn
die eintreffende Situation anders ist als gedacht. Täuschenderweise kommen auch Treffer aus falschen Schlußfolgerungen vor. Nur relativ wenige Menschen können mit
Prognosen etwas Ersprießliches anfangen, solche, bei denen
das Bewußtsein einer Lebensrhythmik entwickelt ist und die
aus Prognosen einen Beitrag zur Selbstüberwachung beziehen. Bei fatalistisch anfälligen Menschen jedoch, und das
sind die meisten, wird der Vorausblick besser unterlassen.
Für die Selbstprüfung ist außerdem die Metagnose meist
wichtiger, indem sie zum Ausfindigmachen des Sinns vergangener Ereignisse verhilft.
Ein mehr technisches Problem ist die zeitlich verschobene Auslösung bei richtiger Deutung und richtig berechnetem Zeitpunkt: ein noch zu klärender Inhalt der Schicksalsforschung. Technisch betrifft dies das Ineinanderspielen
verschiedener Zeitschlüssel. Hierüber sich hinwegsetzende
vergröbernde „Faustregeln“, fatalistisch angewandt, haben
trotz divinatorischer Begabung einzelner Astrologen viel
Unheil gestiftet. Sie befriedigen den vulgären Wunsch, einen Blick in die Zukunft zu tun, schaffen das verfänglichste
Warngebiet der Astrologie.
Sicherheit kann erreicht werden in der Charakterdeutung,
wenn man sich immer wieder klar macht, daß das Kosmogramm nur ein Gefüge von Anlagen zeigt. Daraus entwikkelte Eigenschaften sind genau genommen Fertigprodukte
aus dem Zusammenwirken von Erbe, Umwelt und selbstbestimmendem Faktor auf der Grundlage dieses Gefüges. Da13
her muß stets seine Beziehung zum Familienerbe wie zur
sozialen Ausgangslage und Umwelt überhaupt, vor allem
die Selbstgestaltung des Charakters aus eigener Entschlußkraft studiert werden. Wer dies nicht in Rechnung setzt,
kommt bei „stimmendem Horoskop“ zu irrigen Aussagen.
Er liest dann die Partitur unzureichend und verfehlt den
Geist der Komposition.
Die Komposition, das Wesensgefüge, lernen wir verstehen aus dem eigenartigen Verhältnis von:
Theorie und Praxis
Wohl oder übel geben wir täglich Urteile ab über Eigenschaften, Fähigkeiten, Motive der Mitmenschen. Erwünscht
ist es dem Beurteilten, die Perspektive des Beurteilers abzuziehen, möglich durch eine Lehre von den Bausteinen der
Individualisierung. Dies lehrt die revidierte Astrologie. In
den ersten drei Bänden wurden die Deutungselemente abgehandelt und die Methode der Kombination vorgeführt.
Jetzt gilt es, mit diesem Rüstzeug ausgestattet den Menschen in seinem Weh und Ach, seinem Glanz und Niedergang, kurz das lebende Modell zu begreifen. Für manchen
schien das Bisherige etwas viel Theorie gewesen, Schwierigkeiten bereitet ihm der Einstieg in die Praxis. Um dem
aufzuhelfen, verstehe er, daß beides in jedem Punkte ineinandergreift.
Theoretische Entscheidungen haben praktische Folgerungen und Praxis wird geordnet durch Theorie. Als Adler
sich von Freud abwandte, war es nicht nur ein Übergang
von der kausalen zur finalen Methode, sondern die Erklärungsweise vollzog eine Wendung vom passiven Erleiden
der Vater-Mutter-Problematik zur aktiven Bewährung in der
sozialen Umwelt. Mit demgemäßer Behandlung konnte
Adler anderen Patienten helfen als Freud. Die astrologische
Menschenkunde zeigt, daß man stärker zum einen oder anderen veranlagt sein kann, daß der Charakter sowohl durch
Vergangenheit geprägt als auch auf Zukunft hin arrangiert,
14
doch lediglich vorwiegend im Grundbau das eine oder andere ist. Sie faßt beide Betrachtungsarten und Heilweisen zusammen, je nach vorfindlicher Anlagestruktur eingesetzt.
Im Studentenjargon lautet ein Spruch: nichts ist praktischer als eine gute Theorie. Meint man nicht nur die Nützlichkeit für Prüfungen und dergleichen, so berührt dies eine
wichtige Seite des Ineinandergreifens, nämlich die Ableitbarkeit konkreter Erscheinungen aus Prinzipien. So steht
es bei der Astrologie im Verhältnis von Symbol zu Entsprechung. Jenes ist die Wurzel aller Aussagen. Wer daher die
Theorie der astrologischen Symbolik begriffen hat und sich
über die Aussagegrenzen klar ist, wird mit einigen Anhaltspunkten jenseits dieser Grenzen relativ leicht die konkrete
Erscheinung verstehen. Er lernt, das Meßbild richtig zu
deuten, sofern ihm Niveau und Lebensumstände wenigstens
in Stichworten bekannt sind. Unerläßlich ist Intuition, darüber hinweg wird es zur Sache logischer Schlußfolgerung,
die Einzelheit zu treffen. Natürlich muß Denken überhaupt
zur schlußfolgernden Aneinanderreihung von Urteilen gediehen, also über das primitive „schwarz oder weiß“ hinausgelangt sein.
Theoretische Bestimmungsstücke werden mithin für die
praktische Abwandlung der Grundbegriffe gebraucht. Beispielsweise finden wir in Bd. II, im Kapitel „Einzeldarstellungen“ (der Tierkreiszeichen) stets eine Rubrik für Ausdruck. Die Allgemeinaussage über Tierkreis ist darin auf ein
bestimmtes Zeichen spezifiziert. Sagen wir nun „Ausdruck“
in Hinsicht auf eine lebende Person, so umschreiben wir
gewöhnlich etwas Komplexes, in das verschiedene Lebensmomente eingegangen sind. Dies wandelt ab, was jene Rubrik zur Untermalung des Verhaltens gemäß einem Zeichen
sagt. In der Praxis mischen sich nicht nur mehrere Zeichen,
sondern die Ausdrucksqualität jedes einzelnen Zeichens
wird abgewandelt gemäß seinen theoretischen Bestimmungsstücken. Deren Lage im Meßbild und die Rolle der
Person im Leben müssen wir mitkombinieren. Da ist zunächst der planetarische Dispositor, der „Herr“ des Zeichens, sein Standort, seine Aspektierung. Ferner kommt der
15
erdhafte, feurige, wässerige oder luftige Elementarcharakter
des Zeichens und damit das Temperament in Betracht, die
Bedeutung der entsprechenden Seinsebene. Bei der Verwirklichung dieser Anlagen spielen allerlei Umstände, Finanzlage der Eltern, Vorhandensein von Geschwistern,
Schulungsgelegenheit usw. mit, andrerseits „tätige oder leidende Form“. Mancher wird durch die Umstände herausgefordert zu etwas, wofür er anlagemäßig nicht paßt,
dies wirkt auf die Ausdrucksweise des Zeichens zurück,
entwickelt bestimmte Sonderzüge (Verteidigungs- und
Krampfhaltungen, Forcierung, Mimikry usw.). Auch das
Wirken und Werden entsprechend der Dreiheit von kardinal,
fix und labil steht zum Ausdruck in Beziehung sowie begünstigende oder einschränkende Bedingungen in Ausbildung, Beruf, Ehe usw. Schließlich spielen die Lebensund Wertdimensionen der Quadranten mit, ihre kollektive
Gestaltung und der geschichtliche Augenblick, der dies oder
jenes in den Vordergrund bringt, anderes zurücksetzt.
All dies trägt zum effektiven Ausdruck bei, wenn auch
der zusammenfassende Zeichencharakter immer durchschlägt. Berücksichtigen wir diese Unterschiede an Hand
der genannten theoretischen Momente, welche den Ausdruck nach verschiedenen Einflußsphären aufteilen, so entgehen wir der schematischen Auslegung. Das in der Rubrik
für „Ausdruck“ gegebene Verhaltensschema variiert also
nach gewissen Punkten, durch welche wir eine lebensnähere
Aussage bekommen. Durch theoretisches Vorgehen gelangen wir zur abgewandelten Praxis. Umgekehrt fördert die
Beobachtungspraxis, der Vergleich mit dem lebenden Modell, die Weiterbildung der Theorie und merzt Denkfehler
aus.
Nun verlangt der Grundsatz der fortgeschrittenen Deutung, daß keine Einzelaussage ohne Beurteilung des Ganzen
abzugeben sei. Hier beginnt die Deutung als Kunst. Sie betrachtet Einzelheiten in ihrem Stellenwert und berücksichtigt
die Rückwirkung des Ganzen auf das Einzelne. Solcher Gesamtschau muß allerdings genaue Einzeldeutung vorausgegangen sein, damit schreiten wir fort und erreichen mehr als
16
einen skizzenhaften Überblick. Zur Übung sei freilich auch
das „Skizzieren“ empfohlen, wofür die Aufzeichnung des
Aspektgerüsts eine wesentliche Hilfe bietet.
Erneut stellt sich die Frage: wie und wodurch kommt der
Ausdruck zustande? Im fortgeschrittenen Stadium, aus der
Gesamtschau geben wir die Antwort: durch Verarbeitung
von Reizen der Umwelt und reaktives Eingehen darauf.
Hatten wir zwar das Verhaltensschema schon im Zeichen,
ferner seine Abwandlung durch dessen Aufgliederung erkannt, so spricht im Ganzen betrachtet die Reizempfänglichkeit und Aktionsbereitschaft überhaupt mit. Hierfür ist
das Verhältnis der Wesenskräfte „Venus“ und „Mars“ sowie
„Mond“ und „Sonne“ ausschlaggebend, variiert durch das
Geschlecht. Saturndissonanzen können dem jedoch eine
Gehemmtheit, Verhaltenheit aufzwingen, Merkuraspekte
Begrifflichkeit, Rationalisierung hinzugeben, demgegenüber
Jupiteraspekte das sinnsuchende Verlangen expansiv, projektionsfreudig erwecken, zu schweigen von transsaturnischen Planeten. Wir müssen mit anderen Worten die
Spiegelung der Gesamtproblematik im Ausdruck abschätzen.
Genau besehen steckt aber hierin, woraus sich die Rubrik
„Untertypus“ rekrutiert, Selbsterworbenes. Sind wir auf die
beschriebene Weise vorgedrungen zur differenzierten Deutung, so bekommen wir mit den Zwangsläufigkeiten der
Struktur auch den Blick für das Undeterminierte, den
selbstbestimmenden Faktor. Aus ihm ergeben sich diejenigen Abwandlungen, die wir als Hebung und Senkung des
Niveaus bezeichnen, erlangt in stets einmaligen Situationen
der Entscheidungswahl. Nur Verhaltensmuster, typenhafte
Handlungsweisen enthält die Struktur, der spezifische Lebensentscheid ist nicht vorbestimmt. Dieser modus vivendi
bringt die Menschheit weiter, ihn zu unterstützen fördert die
Entwicklung zu Höherem: der eigentliche Sinn der Deutung.
Eine daraufhin abgefaßte Aussage läßt die Wahl offen für
den individuell erreichbaren Wandel der Entsprechungen
innerhalb des Gleichbleibenden.
17
Abwandlung, Entwicklung - dies verlangt noch ein Wort
über das Thema:
Entsprechungen
Einer der wichtigsten Kunstgriffe in der Deutung eines
Kosmogramms besteht im Auffinden der zutreffenden Entsprechungen für die Glieder der individuellen Struktur. Wir
können dazu auch Analogien, Korrespondenzen sagen, zu
definieren ist hier weniger als zu verstehen, inwiefern Prinzip und Konkretum aufeinander bezogen sind. Es gilt aufzusuchen, was dem Gleichbleibenden eines Menschen in der
jeweiligen Lebenslage gemäß sei. Behauptet wird damit,
daß es Grundausrichtungen, Prinzipien des Verhaltens gibt,
die in jeder Lebenslage und ungeachtet der darin bedingten
Verschiedenheit der Entscheidung auf analoge Weise sich
äußern. Das, woran und worin sie sich äußern, macht den
Gehalt disponibler Entsprechungen aus. Außerdem sind uns
solche des Gestaltbaues, der Physiognomie ins Leben mitgegeben. So oder so ist die Entsprechung etwas konkret zur
Erscheinung Gelangendes, das eine bestimmte Bedeutung
aus dem Prinzip empfängt, zu dessen Verwirklichung sie
nötig ist.
Was als Entsprechung benannt werden kann, fällt somit
heraus aus der gewohnten stückweisen Betrachtung von
Gegenständen, deren Verbindung nur in mechanischen Naturgesetzen gesehen wird. Jedoch die zugemessene Bedeutung, von der wir reden, ist wiederum nichts rein Ideelles, sondern ein Lebenserfordernis. Es sind ja Lebensstrukturen, die sich verwirklichen, und damit jedes ihrer Prinzipien zur Geltung komme, braucht es eben Dinge oder formale
Elemente, die seiner inneren Natur gemäß sind, vorgefunden in der jeweiligen Lebenslage bzw. diese daraufhin gewählt.
Je näher wir den Erscheinungen kommen, in die Flexibilität des Lebens geratend, umso mehr müssen wir die großen Zuordnungen unterteilen. Im II. Bd. (S. 162/63) wurden
18
z. B. die Werkelemente der Künste für Musik, Malerei und
Plastik gebracht. Hiermit sind stilistische, also formale Elemente angeführt, welche den Tierkreisprinzipien entsprechen. Das heißt natürlich nicht, daß jeder Künstler sich
seiner Geburtskonstellation gemäß in der betregenden Weise äußert, obzwar dies bei wesensechter Äußerung bevorzugt gilt; es gibt aber auch Nachahmung, Anähnlichung
künstlerischer Gestaltungen sowie den kollektiven Stil der
Epoche, des Kulturkreises. Da es Gestaltungsweisen sind,
keine Verhaltensmechanismen, liegt ein weniger engnotwendiges Vorbestimmtsein zu Grunde. Die Freiheit hat
darin größeren Spielraum, es ist nicht dieselbe Übereinstimmung zu erwarten wie zwischen Geburtsbild und leiblicher Physiognomie.
Hier zweigen nun besondere Entsprechungsreihen ab, zu
verstehen in der Lockerheit des Lebensvollzugs (praktisch
spielen dabei Voreingenommenheiten, fremde Einflüsse und
Zufälle mit). Die Musik etwa verwirklicht sich Instrumental
und der ausübende Musiker neigt seiner Wesensart nach zu
bestimmten Instrumenten. Unter den heute üblichen Instrumenten gilt vorzugsweise die Beziehung: & = Holzbläser,
besonders Oboe, ' = Blechbläser, gestopfte Trompeten, (
= Schlagzeug, Xylophon, Triangel, ) = Harfe, Laute und
andere Zupfinstrumente, * = Klavier, + = Cembalo, Harmonika, Glasharfe, , = Streicherensemble, - = Trommel,
Ratschen, Rasseln, . = Orgel, / = Pauke, Contrabaß, 0 =
Silber- und Bambusflöte, Saxofon, 1 = Äolsharfe, menschliche Stimme. Cum grano salis zu verstehen, kombiniert
sich dies im individuellen Falle; der Sologeiger etwa hat
einiges vom .-Prinzip nötig, zur Fingerfertigkeit braucht er
( oder +, zum singenden Geigenton kommt das 1-Prinzip
in Betracht usw. Die beim letzteren unter die Instrumente
eingereihte menschliche Stimme meint organisch sensibilisierte, dezente und gleichsam aus dem Unendlichen herkommende Klangfarbe, die auch auf verschiedenen
Instrumenten praktiziert werden kann. Die üblichen Gesangsfächer finden wir anlagemäßig vor allem in den fixen
19
Zeichen betont; ' = lyrischer Tenor, * = Koloratur, - =
Hochdramatische, 0 = Kirchengesang oder Tingeltangel.
Ob künstlerische Anlagen überhaupt vorhanden sind, ist
Sache des Familienerbes, darin gilt auch für die Entsprechungen „wenn - dann“. Doch unabhängig vom künstlerischen Wert sind die so zugeordneten Werkelemente anwendbar für den therapeutischen Wert von Beschäftigungen; der psychisch vielleicht verklemmte Ausdruck kann
damit von intellektuell unbewachter Seite aus gelöst werden. Gerade der Tierkreis als Qualitäten-Ordnung bietet in
seinen Entsprechungen ein Betätigungsfeld für unbewußte
Korrekturen. In den Planetenentsprechungen zeigt sich Venus beteiligt an geschmacksmäßigen Hervorbringungen
überhaupt, zur Musik insbesondere tendiert Neptun, Saturn
hat außer seinen sachlichen, materialhaften Bezügen solche
zu Plastik und Baukunst, Sonne gibt dem Augenmenschen
einen Vorrang in der Malerei, ins Literarische geht Merkur,
während Mars und Uranus mehr technische Ambitionen haben, Mond und Jupiter die Gesamtstimmung und kulturelle
Einordnung der Tätigkeit betreffen. So ist jede Konstellation
gleichsam überzogen mit einem Netz von Entsprechungen,
die latente Möglichkeiten darstellen; Andeutungen über Berufseignungen finden sich in Bd. II unter „Einzeldarstellungen“.
Als Materialisation auf der Grundlage der Erbverfassung
gelten die gesundheitlichen Entsprechungen. Die Organzuweisungen zeigen eine enge Wechselwirkung zwischen
Planetensymbolen und Tierkreissymbolen, wir verstehen sie
aus einer Gesamtschau der Körperfunktionen.* Analytische
Aspekte zeigen die anfälligen Stellen an, bis zu einer zusammenfassenden Konstitutionslehre sind aber noch viel
Untersuchungen nötig. Natürlich haben Ernährung, Arbeitsund Wohnbedingungen, Atem, Schlaf usw. großen Einfluß
auf Verhütung oder Herausbildung der Erkrankungen, abgesehen von Ansteckungskrankheiten, für welche das Meßbild
*
Eine Anbahnung wurde versucht in meiner Schrift „Tierkreis und menschlicher
Organismus“ Ebertin Verlag, 3. Aufl., Freiburg im Breisgau 1979.
20
gewisse Dispositionen enthält (vor allem die sog. wässerigen Zeichen, die auch für psychogene Erkrankungen im
Vorrang stehen). Die Verwirklichung von Störtendenzen
wird vorwiegend aus dem Felderkreis beurteilt. Die astrologische Tradition sieht hier einseitig als „Krankheitshaus“
nur das 6.; es betrifft, beeinflußbar aber durch Lebensweise
und Körperübung, die Organarbeit und ihre Störungen. Den
definitiven Abbau der „Arbeitsmaschine“ sehn wir im 8.
Feld (traditionell „Todeshaus“), aber auch schon die Abnutzung durch schädliche Einwirkungen von außen, dispositionell eine hochgradige Ansprechbarkeit auf die Umweltsatmosphäre. Demgegenüber im 2. Feld finden wir Assimilations- und Aufbaustörungen, es geht hier um den Umsatz
zugeführter Stoffe. Dem 6. Feld gegenüber im 12. geht es
um Erkrankungen von Massencharakter, Seuchen, Auswirkungen kollektiver Mißstände auf den Einzelnen. Von den
übrigen gerade bezifferten Feldern gilt das 4. für Erb- und
Lokalkrankheiten (Bodenemanation), das 10. für Berufskrankheiten, im öffentlichen Dienst erlittene Schäden. Unter
den ungerade bezifferten Feldern zählt außer dem 7. (gegnerische Aggression) normalerweise nur das 1. für Schäden,
die zum physiognomischen Gepräge gehören (Deformation)
und Besonderheiten der Leibeskonstitution.
In den Entsprechungen liegt das spezifisch Ausbaufähige
der Deutungstechnik. Wer an der Erfahrung am lebenden
Modell fortschreitet und neue Züge entdeckt, verifiziert die
gemachte Beobachtung am besten so, daß er sich in gleicher
Hinsicht, in Abwandlung des gleichen Gebiets, ein Zweigsystem des Ganzen hinzu erwirbt (wie an den Musikinstrumenten vorgeführt). Er geht dann nicht nur durch Verbuchen von Zufälligkeiten vorwärts; auch die differenzierende
Entwicklung des Menschen überhaupt folgt einem Auszweigungsgesetz mit Beibehalten der Grundordnung. Dasselbe
gilt für das, was wir psychologisch Sublimierung nennen,
wenn es eine echte ist, nämlich die Übersetzung eines Begehrens auf eine höhere Ebene, kein Ausweichen in bloße
Anpassung oder in den „Ersatz“, in eine minderwertige
Kompensation.
21
Wie unser Leben bewegt sich die gesamte Deutung in
Entsprechungen. Jede Wesenskraft kleidet sich gegenständlich, seelisch oder ideell ein. Die Bedeutungshaftigkeit eines
Lebens zeigt sich daran, daß im Umgehen mit konkreten
Dingen aufleuchtet, welcher Platz ihnen im individuellen
Dasein gegeben wird. Veranschaulichen wir uns dies analog
dem Mondstand und seinem Zeichen, aus Gemütsstimmungen in schlichtester Entsprechungsform. Die Seele würde verhungern, wenn etwa das absichtslose Naturerleben,
wie es KREBS in der Intimbetrachtung, FISCHE in der
Weite schimmernder Horizonte sucht, nicht zur Geltung
käme, wenn das Hegen, Pflegen und Wachsenlassen geborener Blumenliebhaber, wie man sie unter STIER findet,
ausbliebe oder unterbunden würde, ebenso wie die für
SCHÜTZE nötige exzessive Bewegung in gefährlichen Lagen, die ein erhöhtes Selbstgefühl verschafft, das mutwillige
Umhertollen, worin LÖWE unbekümmerten Kindern
gleicht, die Anerkennung ernster Realziele, in welche
STEINBOCK seinen Ehrgeiz legt, bei JUNGFRAU wiederum verfeinert und methodisiert, sozusagen ins unendlich
Kleine gerichtet, oder bei WAAGE auch in sachlichen Verrichtungen ein wenig in die Sphäre des Konzerts und Theaters gehoben. Wie damit angedeutet, hat jedes Zeichen sein
eigenes Erlebnisklima, dem andere Fähigkeiten und Interessen gemäß sind. Analog der Mondstellung ernährt sich hiervon das Gemüt. Die Dinge können auswechseln, wenn sie
nur das entsprechende Klima herstellen. In den Marszeichen
WIDDER und SKORPION etwa verlangt man geradezu
Steine auf dem Weg, um seine Energie daran abzuwetzen
oder sich aufzuregen, die Hingabe an das Leben verzagt
nicht, wenn es Knüppel zwischen die Beine wirft. Das ist
anders als bei ZWILLINGE, wo man ein Loch zum Durchschlüpfen oder die Flanke, die elegant umgangen werden
kann, zum Intelligenzbeweis braucht. Anders auch als bei
WASSERMANN, wo die Seele alles erträgt, was im Grundsatz und System seiner Notwendigkeit einsichtig wird.
Das innere Kräftespiel manifestiert sich in Entsprechungen. Kommt es bei Mond auf das gefühlsmäßige Anleuch22
ten von Bedeutungen an, so bei Sonne auf eigenwilliges
Hervorleuchten der Entschlußkraft, einsetzend in dem mit
WIDDER beginnenden Sonnenkreis. Durch Widerstände,
durch Reibung leuchten wir auf wie eine Sternschnuppe, die
ebenso ungesehen durchs All ziehen könnte. Der menschliche Auftrag heißt: in seelischer, willensmäßiger und geistiger Bedeutung zu leuchten. Materielle Reibungslosigkeit
kann nicht zum Sinn unserer Inkarnation gehören.
Im folgenden verlassen wir die Beschreibung der Deutungselemente als solche und untersuchen Beispiele typisch
wiederkehrender Probleme; die sich aus dem Leben stellen.
Wenn ich bei den Erläuterungen öfter auf die vulgäre
Astrologie hinweise, so nicht aus überflüssiger und billiger
Polemik, sondern weil eine revidierte Astrologie den Unterschied gerade in denjenigen Punkten betonen muß, an
denen eingesessene Denkgewohnheiten die Sachlage verwirren.
23
MÄNGEL, FEHLHALTUNGEN
Ich beginne mit Erscheinungen, die wir gemeinhin als
Entgleisungen betrachten, weil etwas mangelt oder fehl
geht. Liegen zwar auch in diesen Fällen unkündbare Grundbedürfnisse vor, so wurden sie doch ungenügend oder übertrieben erfüllt. Auf solche Art schaden sie dem organischen
Ganzen. Wie erkennen wir derartige Erscheinungen im Horoskop? Was wäre zu tun richtig, wo ist zu dämpfen und wo
aufzumuntern, wo einzudämmen und wo zu ergänzen?
Wer Grundbedürfnisse nennt, nimmt einen Sinn an, den
die betreffende Äußerung nur verfehlt, von dem sie abfällt.
Was einem Grundbedürfnis entspringt, ist nie ganz sinnlos,
es enthält vielleicht einen verdrehten Sinn. Darum haben
auch Fehler im Persönlichkeits-Aufbau ihren Sinn, doch
wurde das angestrebte Ziel verfehlt, wir gerieten vielleicht
auf sonst richtigem Wege in eine Sackgasse oder es stauten
sich Abfälle seiner Verwirklichung an. Es war ein Irrgang
oder vom Material, das zum Persönlichkeits-Aufbau nötig
war, blieb etwas übrig. Auch Abfälle haben es in sich. Während andere Sprachen etwa mit „déchets“ oder „refuses“,
„scrops“, „slops“, „shreds“, „waste“, „trash“ mehr in Betracht stellen, was ein Mensch aus irgendeinem subjektiven
Grunde wegwirft, meint unser synonymes Wort "Abfälle"
genau erfaßt etwas beim Zustandekommen sinnvollen Geschehens (nicht unbedingt einer menschlichen Tätigkeit)
objektiv Überflüssiges, unverwertbare Reste.* Aus dem entstandenen Mißbehagen an den Folgen, aus Unzufriedenheit,
heraufbeschworenen Gefahren, dem Gefühl des Sinnlosen
können wir erkennen, was wir verkehrt machten und wovon
wir abzurücken haben. Indem wir die Äußerung auf das
richtige Maß bringen, geben wir der Handlung ihren Sinn
zurück.
*
Allerdings entwickeln wir uns immer mehr zu einer Verbraucher-, das heißt
Wegwerfegesellschaft, mit der Haltung, den Sinn der Dinge nicht mehr so wichtig
zu nehmen. Gleichlaufend mit diesem Prozeß wird sich der hintergründige Beiklang
im Worte „Abfall“ verlieren.
24
Als Bezeichnung für Abweichungen vom gesunden Zusammenwirken der Kräfte sind die Überschriften der folgenden Kapitel zu verstehen. Wir kennzeichnen damit Entgleisungen unter der mannigfachen Ausformung weniger
Prinzipien, Entsprechungen von Symbolen aber, deren sinnvoller Einbau in das Ganze andere Entsprechungen verlangen würde. Die Entdeckung des ursächlichen Prinzips
enthält die Lösung, die wir finden müssen, wenn wir die
Erscheinung, aber nicht den Grund verneinen. Die Kunst der
beratenden Deutung besteht darin, aus den vorgefundenen
Entsprechungen die Entwicklungshöhe des Klienten festzustellen, um die nächsthöheren Entsprechungen derselben
Symbole vorzuschlagen. So helfen wir ihm in seiner Entwicklung weiter. Zwar soll astrologische Menschenkunde
hauptsächlich feststellen und kombinieren. Wer aber nur
Angeborenes feststellt, bestärkt das Bestehende und hilft
leicht eingetretener Stagnation. Der Mensch ist ein zeitlich
gerichtetes, sich entwickelndes Wesen. Wer beraten und
somit entwickelnd in den Menschen eingreifen will, muß
sich daher um die Kenntnisse und Praktiken der modernen
Seelenführung kümmern; nach deren Studium versteht er
erst richtig die eigentümliche Art von Psychotherapie, die
möglich ist, wenn wir das Kosmogramm zugrundelegen
können. Nur darf kein vorgestelltes „Soll“, keine forderungshafte Ideologie, die Bestandsaufnahme verfälschen.
Bei den Störungen, welche durch Mängel und Fehlhaltungen hervorgerufen werden, begegnen wir auch Vorgängen,
die heute unter dem Begriff der Neurose eine umfangreiche
Literatur füllen (zum Teil das Verhältnis umkehrend: Störung als Folge von provozierten Fehlgriffen, der Mensch
nicht Urheber, sondern Opfer). Ein Kongreß von Psychoanalytikern, der über das Thema „Aggression“ oder „Angst“
tagt, wird weitaus mehr dazugehörige Erscheinungen diskutieren als hier gebracht werden. Doch beabsichtige ich keine
teilheitliche Begriffsanalyse, ebensowenig eine Gegenüberstellung der verschiedenen Schulmeinungen, sondern lediglich die Einordnung des Wichtigsten unter astrologische
Deutungsbegriffe. Wenn schon von Neurose gehandelt wird,
25
liegt der Schwerpunkt in dem, was wir Charakterneurose
nennen (fehlerhafte Reaktion auf Lebensforderungen zum
Unterschied vom schwereren Fall charakterogener Kernneurose: Konflikt mit krankhaften Störungen des Charakterkerns).
Anders als alle Methoden der empirischen Charakterdiagnose (die uns fördern können, doch mit ihrer Terminologie uns auf dem eingeschlagenen Wege nicht beirren
dürfen) geht die Astrologie vom angeborenen Wesensgefüge
aus. Wir sehen in den genannten Störungen ein Heraustreten
einzelner Wesenskräfte aus dem Zusammenhang. Dieses
Selbständigwerden des Teils kommt nicht ohne Versagen
des selbstbestimmenden Faktors zustande, es liegt darin beginnende Zersetzung. Die Kräfte wirken sich dann in inferioren (minderwertigen) Entsprechungen aus oder es
ergeben sich Irritationen, sozusagen ein zielloses Umherschlenkern zwischen zusammenhanglosen Dingen. Manchmal täuscht einseitige Überzüchtung anderer, gesund oder
dringlicher erscheinender Anlagen darüber, daß die fraglichen Kräfte sich nicht auf der Höhe ihrer Bestimmung im
Ganzen und nicht dem individuellen Stellenwert gemäß äußern. All dies geschieht oft unabhängig vom „guten Willen“. Affektiv Aufgewirbeltes ist mit einer Ausdrucksenergie antreibender Vorstellungen bepackt, das heißt einer Bedeutung beladen, die ihrem Rang nicht zukommt. Derartiges
betrachten wir als fehlgeleitete Auswirkung einer UrAggression (Mars), Ur-Angst (Saturn) usw., die im Wesensgrunde aller Menschen liegen. Für die Spezifizierung
treten zusätzliche Ursachen hinzu. Diese fallen vorwiegend
in den Bereich tiefenpsychologischer Untersuchungen, wir
schreiben ihnen aber nicht den Entstehungsgrund der Störungen zu. Deshalb genügt es meist, auf Querverbindungen
hinzuweisen.
In den vergleichenden Beobachtungen astrologischer Art
treten anlagemäßige Kräftespannungen hervor, affektiv und
emotional dargelebt zu Konflikten führend. Um eine neurotische Form anzunehmen, ist insbesondere eine Affizierbarkeit der im gesunden Zustande intakten geistigen
26
Ökonomie erforderlich (Merkur = Denkvollzüge mit Anwendung auf praktische Aufgaben des Lebens). Doch liegen
darin nur anlagemdßige Voraussetzungen, nicht unvermeidliche Zwangswirkungen, wonach sich eine Neurose herausbilden müßte. Die Verantwortung für sich und die Selbststeuerung nimmt uns keine Konstellation ab.
Astrologische Menschenkunde ist eine merkwürdige Sache, da sie mit Hilfe der Psychologie (die psychische Wirkungsweise ihrer Elemente erhellend) aus dem Psychologismus herausführt. Sie bleibt nämlich nicht stehen bei der
Erklärung innerer Vorgänge, wie sie eine beliebige Psychologie abgeben könnte, sondern ergreift des Menschen
anlagemäßiges Sobeschaffensein (Charakter) in Einheit mit
seinem Sobeschiedensein (Schicksal). Über diese Determinationen hinweg den disponiblen Teil der Kräfte beachtend,
weist sie ferner. darauf hin, wie man in einer bestimmten
Lage das Disponible zur Verfügung bekommt und damit die
Entwicklung weiter treibt. Statt allgemeiner Ratschläge lehrt
sie, den verändernden Hebel gefügemäßig richtig anzusetzen. Eine so gehandhabte Astrologie verlangt allerdings
nicht nur Aufmerken auf vordergründige Einflüsse und
Verhaltensmotive, man muß vielmehr Strukturen des Eingepaßtseins in den Welthintergrund durchdenken lernen.
Unumgängliche Bedingung hierfür ist, den Unterschied
im Urteil der revidierten Astrologie gegenüber psychologischen Urteilsformen und denen der traditionellen Astrologie begriffen zu haben. Die älteren psychologischen Systeme beruhten großenteils auf einer Verteilung von Grundbegriffen stationärer Art, was sich in der Charakterbeurteilung als eine gewisse Starrheit von zugemessenen Eigenschaften geltend machte. Dementgegen suchten die tiefenpsychologischen Methoden den Hergang aus Prämissen zu
verstehen, die auch außen liegen konnten. Sie leiteten die
Erscheinungen von solchen als Ursachen ab, entdeckten
Symptome daraus hervorgehender Erkrankungen; auf diese
Weise kamen sie zur dynamischen Betrachtung des Charakters mit entwickelbaren Eigenschaften. Auch jede sonstige, Person und Umwelt verbindende, dynamische Psycholo27
gie wird Entstehen und Vergehen in Betracht stellen, macht
Charakteränderung, Heilung von Krankheiten, Fortentwicklung möglich.
Die alte Astrologie nun dachte nicht nur an feststehende
Bauformen des Charakters, demgemäß starre Eigenschaften,
sondern betrachtete ebenso den Ablauf des Menschenlebens
im Grunde stationär, sah Ereignisse im Schicksal fertig vorbestimmt. Das Horoskop war für sie ein Bild stationärer Geschlossenheit. Die revidierte Astrologie behält zwar eine
geschlossene Systematik bei für das Anlagengefüge, versteht dies aber als lebende Struktur, insofern Anlagen sich
erst zu Eigenschaften entwickeln, wobei Faktoren jenseits
der astrologischen Aussagegrenze eine mitgestaltende Bedeutung haben. Hiermit erreichen wir eine Synthese stationärer wie dynamischer Urteilsformen.
Schon Goethes orphische Urworte legen eine solche Auffassung nahe. Gerade am „Gesetz wonach du angetreten“,
der „geprägten Form“, verstehen wir durch kontrollierende
Beobachtung, was „lebend sich entwickelt“. Hierbei sind
Erscheinungen anzutreffen, die man nach einem psychologischen System so oder so als erklärlich einreihen
würde, in denen wir jedoch verglichen mit dem horoskopischen Entwurf eine Fehlentwicklung sehen. Die Zurückführung auf das angeborene Maß weicht dann mitunter ab
von klinischen Methoden aus einer verallgemeinernden
Theorie nach der Gleichung Mensch = Mensch. Eine Menschenbeurteilung wäre wiederum unvollständig, wenn wir
nicht das Ineinanderspielen von Anlage und Erwerbung berücksichtigen würden. Dies geht das Eingreifen des selbstbestimmenden Faktors an, die Freiheit auch zum freiwilligen Untergang. Häufig entschlüpft das Einsehen dessen, was für gesunden Charakteraufbau notwendig sei, den
Ratschlägen, von eingewöhnten Übelständen abzulassen.
Sich selber tut keiner gern weh. Erst wenn wir persönliches
Schicksal in Einheit mit dem Charakter als Strukturzwang
verstehen und zugleich die disponiblen Kräfte erkennen,
welche mit den Entsprechungen auch die Lage ändern kön-
28
nen, entheben wir uns mancher niederziehender Determinationen.
Die revidierte Astrologie führt zu lebensfördernden
Grunderfahrungen. Der Schlüssel zur Lösung aller Probleme liegt in diesen selbst, wenn wir sie aus dem Kosmogramm verstehen, das heißt, ihr mit unserem Wesen verbundenes Prinzip begreifen. Äußerlich läuft das Leben in
Entsprechungen ab. Es kommt nicht darauf an, Konflikte
möglichst schnell aus dem Wege zu räumen, sondern sie an
der charakterlichen Wurzel zu packen. Auch Unglück und
Krankheit können eine heilsame Bedeutung haben, indem
sie zu Bausteinen der Fortentwicklung werden. Angeborenes Wesensgefüge, das besagt: bestimmte Fragen an die
Welt, Aufgabe und Sinn im Dasein haben wir schon grundsätzlich mitbekommen. Was uns akut beschäftigt, ist ihre
existentielle Einkleidung. Darin steht das Sinnliche, stehen
die empirischen Tatsachen naturgemäß im Vordergrund,
doch Tiefe und Hintergründigkeit, Ziele sensiblerer Sehnsüchte, erschließen sich aus dem Bezug der Existenz zum
Wesen. Wir ermitteln es aus dem Kosmogramm als der
Strukturformel, existentiell zu bestehen. Werden uns die
Dinge fragwürdig und rätselhaft, so empfinden wir ihre
vertretende Rolle als Einkleidung und Entsprechung wesenhafter Bedeutungsgewichte. Begreifen wir dies am Kosmogramm und was es ausdrückt als Entwurf unserer Existenz,
dann wird der Sternhimmel zum Richtscheit, wesenhaft zu
existieren.
Wenn meine Änderungsvorschläge mitunter moralisch
klingen, so entspringen sie doch keiner ideologisch gemeinverbindlich festgelegten Norm und Regel, sondern betreffen
die Sozialtauglichkeit der individuellen Selbstverwirklichung. Wir werden im Leben genugsam überzeugt von der
Unwirksamkeit moralischer Maximen, die nicht aus eigener
Erfahrung und durch Anspruch an sich selbst entdeckt wurden, sofern nicht aus sich wenigstens eine Bereitschaft zur
Annahme hervorging. Meist sind es freilich schmerzliche
Erfahrungen und durch Demütigung herausgeforderte Anpassung. Wer die gebrachten Vorschläge als für sich unpas29
send ablehnt, wird aus der Umweltslage und Eigenstruktur
vielleicht zutreffendere Modulationen finden. Ich versuche
jedenfalls, die Tatsachen ohne die meist mitgegebenen moralischen Wertungen, das standpunkthafte gut und schlecht,
sehen zu lehren. Eine Konflikte lösende Wandlung leitet
sich nach meiner Ansicht schon durch die Beschäftigung
mit der Astrologie ein, indem wir erfahren, daß die Menschen nicht willkürlich, in zufälligen Zeitpunkten erzeugt
und geboren werden, sondern diese anscheinende Beliebigkeit Halt macht vor übergreifenden Gesetzen. Das Einzelleben und seine Dialektik in das große Leben eingefügt zu
sehen, läßt manche persönliche Eitelkeiten ablegen.*
An den vorgeführten Beispielen (der erläuternde Text
sieht natürlich ab vom allzu Privaten) wird sich zeigen, daß
die Ordnung der Deutungselemente keine abstrakte und hineingetragene Theorie ist. Sie bildet vielmehr die Grundlage,
die uns den Sinnzusammenhang der Wirklichkeit begreifen
läßt. Hat man die Symbolik der „Planeten“ und die Ableitung der „kreisläufigen Systeme“ sowie ihre formale Übereinstimmung mit dem „Aspektkreis“ begriffen, so wird dies
von Nutzen sein für eine Heuristik (Kunst, zu finden) beim
Aufsuchen der Entsprechungen. Die Dinge werden dann
greifbar aus den Ordnungszeichen, welche Vorgänge und
Sachverhalte zusammenschließen.
Die Seitenhinweise betreffen, wenn nicht anders vermerkt, die vorangegangenen 3 Bände „Astrologische Menschenkunde“.
Unmißverständlich sei am Schluß dieser einführenden
Worte gesagt, daß keineswegs der soziale Anteil am Ent*
Es gibt immer noch philosophische Wörterbücher, welche Dialektik als Kunst
der Überredung bezeichnen. Denken wir bloß an eine Gesprächsform, dann ist es die
Kunst, in Rede und Gegenrede die Widersprüche des Lebens aufzudecken und zu
ihrer Überwindung hinzuleiten. Dialektik ist die gemeinsame Wahrheitsfindung in
jeder echten Diskussion. Als Hegel mit seiner dialektischen Logik die Sackgassen
der formalen Logik zu öffnen und den Erkenntnisgang auszuweiten trachtete, meinte
er widerspruchshaltige allgemeine Bewegungs- und Entwicklungsgesetze der Natur
und Gesellschaft. In diesem Sinne sprechen wir hier von einer „Dialektik der polaren Gegensätze“ (These und Antithese) sowie ihrem Hinstreben auf Vereinigung in
einem „höheren Dritten“ (Synthese) der uns aufbauenden und unsere Entwicklung
bestimmenden Wesenskräfte.
30
stehen von Mißständen geleugnet und zum Verschwinden
gebracht, also auch nicht ein stets einzuschlagender, restlos
befriedigender Lösungsweg behauptet werden soll. Es wird
somit keine bloße Anpassung an das Gegebene empfohlen,
sondern die redliche Auseinandersetzung damit und Entwicklung eines Urteils, das eben auf Grund einer Erkenntnis
der individuellen Lage hinausgreift über anlagebedingte
Ablehnungen oder Zustimmungen. Eine solche Entwicklung
wird auch der kollektiven Behandlung dieser strittigen Fragen dienlich sein.
Veränderungslust
Was wäre einem Unzufriedenen mehr erwünscht, als sein
Leben zu verändern? Freie Sicht durch Beiseiteschaffen lästiger Umgebung, in gleichbleibenden Verhältnissen die
Erwartung des großen Abenteuers, spannungsvolle Anregungen, neue Vorstellungen und Formen der Tätigkeit,
Wegfall unzulänglich gewordener Maßstäbe - für all dies
steht das Zauberwort Veränderung. Wir leben in einer änderungslustigen Zeit. Man verspricht uns eine Bewußtseinsveränderung durch Einnehmen einer Droge. Es gibt
Kunstanschauungen, denen Reste eines Formwillens als reaktionär gelten, andere wiederum, die eine Wiederbelebung
gestaltender Impulse aus dem Anblick überraschender
„Objekte“ erhoffen. Manche politische Bewegungen inszenieren Demonstrationen, Attentate, ohne genau hinzublicken, wofür, durch Schlagworte von „Repression“ angeheizt, Kultur- und Wirtschaftsformen durcheinander werfend. War früher der linke Flügel der Parlamente vorwiegend auf Änderungen sozialer Grundlagen eingestellt, so
schließt „links“ heute oft Pornographie, technischen Fortschritt um jeden Preis, Reduktion des Gemüts auf einen
„seelischen Apparat“, Ablehnung von Familie und privater
Kindererziehung oder was sonst als überholte Einrichtung
gilt, ein. Vielen, die bei jedem Führungsversuch gleich
„autoritär“ schreien, erscheint eine Unumschränktheit der
31
Triebe als Garant der Erneuerung überhaupt. Alle Blickrichtungen seien von da umzuschulen.
Gewiß bringt allermeist das Umstülpen gewohnter Sachverhalte die Entwicklung vorwärts, wenn es nämlich an den
Gelenkpunkten ansetzt. Wo diese liegen und was veränderungswürdig sei, verlangt einigen Überblick. Es gibt
nicht nur aufsteigende Bewegung, sondern auch Rückschritte, die man als solche schwer erkennt. Dem Geschehen
sieht man es ohne Maßstab nicht an. Veränderung im Beiläufigen kann ein Mittel zur Verfremdung dringlicher Anliegen sein. Stets tarnten sich mit solchen Herrschende aber
Gefährdete, um auf Harmloses, Ungefährliches abzulenken.
Eine Stagnation verschleiert sich, sobald Interessen dahinter
stehen. Zumal Zeiten wie die unsere, die neue gesellschaftliche Fundamente verlangen, gebieten Wachsamkeit in dieser Hinsicht. Angesichts der vielen Scheinveränderungen,
die einen faulen Grund bestehen lassen, frage man mitunter
kritisch: worüber will der Wechsel der Situation mich täuschen?
Im Individuellen liegt es nicht anders. Äußere Betriebsamkeit überdeckt oft das Wesentliche da, wo es Anstrengung erfordern würde. Auch hier kann dasjenige, was mit
dem Neuheitsanspruch auftritt, ein fortschrittlich getarntes
Symptom für Beharren von Altem sein, das den Weg verbaut. Immerhin befindet sich der Einzelmensch in stiller
Obhut des Kosmotypus, der, manchmal hindernd, manchmal eine Tür aufstoßend, automatisch die Dinge nach einem
Gesamtzusammenhang ordnet. Erkenntnis der Situation und
bewußtes Planen obliegt dem selbstbestimmenden Faktor.
Je nachdem er diese Aufgabe erfüllt, greifen wir zum Guten
oder Schlechten in die unbewußt hergestellte Ordnung ein.
Vermag Selbstbestimmung etwas im Grunde zu ändern,
dann durch Verfügbarmachen der Wesenskräfte für andersartige Reaktionen als bisher. Diese Kräfte wirken bei gesunder Verfassung immer zum Wohl des Ganzen, obwohl
sie ihre eigenen Aufgabenbereiche haben. Universelle
Kräfte der Gestaltbildung bezeichnend, die Individualität
32
ein Kompositum aus ihnen, ist durch sie in allen Teilfunktionen stets die ganze Person gegenwärtig.
Unter den sieben wichtigsten Wesenskräften des astrologischen Meßbildes benennt „Saturn“ den Widerstand gegen manische Veränderungslust. Eben deswegen fordern
seine Spannungsaspekte oft die Lust heraus, das Vorhandene umzuwälzen. Besonders Aspekte mit Mars und Sonne
tun es, zu schweigen von Uranus, während Jupiter gemeinhin toleranter gegen das Bestehende stimmt und Merkur in
gleichen Aspekten es kritisch benagen läßt, wobei Nervenspannung und Neugier sich verdrängt. Dies gilt, wenn
Saturn in seinen Entsprechungen als Hüter konformistischer
Ansichten und von Gewohnheitsrechten auftritt. Doch eine
Welt ohne Saturn, richtig verstanden, wäre halt- und bodenlos. Ein Organismus ohne dies Element hätte nicht Knochen oder Rinde, weder Schutz noch Standfestigkeit, unser
Geist keine Konsequenz, die Seele keinen Rückhalt. Die
unter Sonne begriffene vitale Mittelpunktskraft, unter Mars
die Angriffslust, unter Jupiter die Expansion und Hebelkraft
des Optimalstrebens gegenüber Bestehendem, sie nehmen
im gesunden Organismus bezug auf Saturn als Macht der
Integration: Einbau des Notwendigen und Gesetzmäßigen,
Abweisung des Flüchtigen und bedrohlich Unstabilen. Insofern wäre echter Konservativismus die Zurückführung auf
das richtige Maß. Es geht bei Saturn insgesamt um Erhaltung unversehrter Existenz. Zum Begreifen der positiven
Züge dieses in der astrologischen Tradition schlecht weggekommenen Planeten müssen wir seine Rolle eines Lebensbeschützers verstehen. Dies auf Saturn zu beziehen, fällt nur
schwer, weil naive Erfahrung vorzugsweise die Hindernisse,
das schleppende Tempo im Saturnalen sieht und negativ
wertet. Doch Einschränkungen können auch eine Ausrichtung auf lange Dauer sein. Leichter einsehbar ist die Abwehr von Störungen, der zum Selbstschutz gehörige
Widerstand gegen Fremdes als saturnisch. Aber das Prinzip
gilt auf richtigen und falschen Wegen, es gibt auch einen
krankhaften Beharrungszwang, paradoxerweise kann sich
33
sogar manische Veränderungslust, wenn einmal herausgebildet, gegen vernünftigen Zuspruch krampfig erhalten.
Beim Gesunden und bei gleichbleibenden Grundlagen hat
Saturn die Form der Tradition, folgerichtiger Weiterführung
des Gewordenen. Innerseelisch bedeutet er das Meditative
sowie eine Voraussetzung der Selbstdisziplin in der Fähigkeit, sich selber Gesetze vorzuschreiben, Grenzen zu setzen,
welche den Fortbestand des Ganzen sichern. Er ist wie jedes
dieser Symbole mehrdeutig, je nach bedingenden Faktoren,
welche die Entsprechungen hervorbringen. Bei völlig veränderten Bedingungen drängt auch diese Wesenskraft zum
Aufsuchen neuer, dann aber dauerhafter Grundlagen der
Fortexistenz. Wird diese Situation nicht begriffen, entsteht
freilich auch negativer, „kranker“ Saturn mit inferioren Entsprechungen: zwangshaftes Beharren in überholten Formalitäten, Normen, Sitten, Einrichtungen, ein nur abwehrender
Konservativismus, stumpfe Akkumulation und Wiederholung gewohnter Tatsachen, Sperrung gegen alles Ungewöhnliche ohne Phantasie für einen Luftwechsel und was er
bewirken könnte. Im Physischen ist es ein Versinken in die
Schwere der Materialität. Dieser sinnlos gewordene Saturn
läßt in die Erfahrung nur eingehen, wofür Präzedenzfälle
vorliegen und was in unverbrüchlich angesehene Grundsätze hineinpaßt.
Innerhalb des Gefüges liegt bei allen Wesenskräften die
Entscheidung über gesund und krank im Zusammenspiel, im
Gebrauch für das lebendige Ganze. Saturn, dieser „Übeltäter“ der vulgären Astrologie, wird tatsächlich zu einem solchen bei Unverständnis oder Störung seiner organischen
Rolle. Kontrollose Lust an Veränderungen ist meistens ein
Zeichen dafür. Was wir geistig Konzentrationsmangel nennen, bereitet sich unbewußt vor im Aushöhlen des Erhaltungsinstinkts, dem Fortfall seiner automatischen Sicherungen; bewußt fehlt die ernste Verpflichtung zum Zusammenhalt. Allzu rascher und unbedenklicher Wechsel der
Ziele, des Schauplatzes, der führenden Idee zehrt an der inneren Substanz. Dies täuscht Lebendigkeit vor, lenkt ab von
brüchigen Stellen und sachlichen Erfordernissen. Verdeckt
34
wird ein Mangel an Ausdauer und Beständigkeit. Der
Mensch solcher Verfassung ist zu „molluskoid“, um komplexen Lebensbedingungen zu genügen, er wehrt sich gegen
notwendige Härten mit dem Hinweis, abtötender Erstarrung
zu begegnen. Sicherlich gibt es solche verurteilbaren Starrheiten, doch als inferiore Saturn-Entsprechungen: hemmender Sand im Getriebe.
Gesundes Zusammenspiel ist im Horoskop nicht ersichtlich, doch erschwerende Voraussetzungen sind es. Alle analytischen Aspekte enthalten die Gefahr, daß die betreffende
Wesenskraft sich von ihrer Koordination im Ganzen absondert, ihr isoliert Eigentümliches zum Selbstzweck wird.
(Dies meine ich, wenn ich diese Aspektgruppe „analytisch“
nenne statt des gewohnten „disharmonisch“; die Äußerung
kann völlig harmonisch erscheinen, dennoch im Verhältnis
zum Ganzen dissonant sein). Bei den kollektiven Entsprechungen des Saturnalen wäre folgendes geltend zu machen. Auch in sozialistischen Staaten liegt die Hauptgefahr
weniger darin, daß die Aufgaben von den tätigen Kräften
nicht bewältigt würden, als darin, daß eine Bürokratie durch
Verregelung sie hindert und starre Doktrin dem Leben
Schlingen legt. Inferiorer Saturn ernüchtert.
Haben wir den polaren Gegensatz der „solaren“ und „saturnalen“ Reihe begriffen (vgl. Bd. I, S. 78), so verstehen
wir ihren wechselbezüglichen Charakter. Es kommt darauf
an, einer manischen Veränderungslust heilsame Schranken
zu setzen. Schranken gehen aus der saturnalen Reihe hervor.
Sie müssen natürlich wirksam sein und das Augenmerk soll
zum Unterschied vom Schicksal, das kommentarlos eintrifft,
auf das „Warum“ gelenkt werden. Manische Veränderungslust sticht ab vom angeborenen Wechselbedürfnis der
antreibenden, steigernden Normalbetätigung der solaren
Reihe, besonders in labilen Zeichen, die auch veränderliche
Zeichen heißen. Manie, eine heitere aber reizbare Verstimmung, hat etwas übertrieben Leidenschaftliches, obzwar sie
sich in festgelegten Bahnen bewegt; die denkmäßige Erregung geht bis zur Ideenflucht und schäumt hinweg über den
Grund der Festlegung, des „Besessenseins“. Nicht erwartet
35
werden darf das „saturnische Ernstmachen mit sich“, es
muß durch geeignete Eingriffe erreicht werden.
Im Einzelfalle sind freilich nicht immer derart drastische
Mittel zu empfehlen, wie ich sie zu Beginn meiner Beraterpraxis bei einer Frau anwandte, die in hektischer Unrast alle
paar Wochen die Möbel umrückte, ohne den Grund in sich
zu begreifen. Dem darüber bekümmerten Ehemann gab ich
den Rat, beim Neuanstrich der Zimmer die Wand hinter den
großen Möbelstücken auszusparen. So geschah es. Die von
einer Reise zurückgekehrte Frau war zuerst begeistert von
der Fürsorglichkeit des Mannes; als sie aber bald darauf die
Möbel wieder verstellen wollte, entdeckte sie die Bescherung. Nach einiger Aufregung war nun aber möglich, was
zuvor nicht in sie einging, nämlich ihr das Ablenkungsmanöver, das sie mit sich getrieben hatte, klar zu machen.
36
Ein einfaches aber gefährliches Mittel, entschuldbar aus
der Überzahl von Marszeichen, wo das Sprichwort gilt: „auf
einen groben Klotz gehört ein grober Keil“. Bei Hochsensiblen kann es gegenteilig ausschlagen und immerhin
war dieser Art der Aszendent in KREBS. Ich kam mir nach
der Heilung vor wie der Reiter überm Bodensee. Es gibt
keine stets wirksamen Rezepte, sondern bei manischer Veränderungslust ist zu untersuchen, welche Stellung der
„Grenzsetzer Saturn“ und welche der „sinngebende Jupiter“
im Kosmogramm haben. Steten sie im Aspekt miteinander,
so besteht eine direkte Beziehung; darin zeichnet sich vor,
wo Halt zu gebieten ist und worauf hinzusteuern wäre. Jupiter gibt die Gipfelung des Expansionsstrebens und Glücksverlangens an, Saturn zeigt den Grund des Mißbehagens
und die Rückenstützen einer Heilung. In schwierigen Fällen
liegen mangelnde Lebenssicherheit, Angst, auszubessernde
Schäden vor. Therapie: persönliche Erfahrungen sind richtig
auszuwerten, falsche Verzichte aufzuheben, manchmal
Schuldgefühle zur Katharsis zu führen, der Schwerpunkt ist
von negativistischem Ballast zu säubern und, je nach der
individuellen Saturnstellung, der Selbstschutz ins Lot zu
bringen.
Jene Frau litt mit einem garnicht so dissonant gestellten
Saturn in SKORPION an sexueller Unerfülltheit und zutiefst dem Wunsch nach einem Kinde. Die Haupt-Lebenssymbole unter dem Horizont bestärkten die beim
KREBS-Aszendenten typische Introversionsneigung und
Schwellenangst. Saturn am Anfang der Häufung im 5. Felde
in SKORPION (vgl. Bd. III, S. 474 u. f.) äußerte sich in
Verweigerungstendenzen, nie erfolgten Orgasmus (Zurückhaltungszwang!); das lange Ausbleiben einer Empfängnis
gab der mitgebrachten Enttäuschungsbereitschaft Nahrung,
die Wirklichkeit malte sich der Horoskopeignerin grau in
grau. Eine so imprägnierte Saturnstellung beeinträchtigt mit
dem nachfolgenden Merkur die weitere Besetzung des 5.
Feldes, das düster gefärbte Gedankenleben legte sich als
Riegel vor die zentrale Wunschkraft analog der Venus-
37
Sonne-Konjunktion, nur Uranus in der Mitte der großen
Häufung ließ einen plötzlichen Umschwung erwarten.
Bei hochgezüchtetem Intellekt, wie vorfindlich, steht
Merkur Quadrat Mond früher Mutterschaft im Wege, Jupiter
im Mondzeichen KREBS zeigt sie wiederum als optimale
Erfüllung, wenn auch analog dem Trigon zu Saturn relativ
spät zu erwarten. Fühlt die Lebens-Ungeduld von KREBS
die Erfüllung nicht gleich in Reichweite, so greift die Jupiterkomponente nach Kompensationen (Ausgleichsvergütungen). Bei solchen ist wichtig was kompensiert wird und
wodurch. Hier war es der Wunsch, ein Kind zu haben, und
Mond in LÖWE, dominant über die Jupiterstellung und den
Aszendenten, verlegt die „sublimierten Nestbau- und Brutpflegeinstinkte“ gemäß dem 2. Felde auf zärtlich gehegte
Besitztümer. Mond drückt zugleich die kindliche Verfassung aus und brachte die rückbezügliche Tendenz von
Jupiter auf eigenartige Weise zur Geltung. LÖWE und das
stark besetzte 5. Feld deuten auf lebhaften Spieltrieb, das
kleine Mädchen war, soweit die Erinnerung zurück reichte,
eine ausgesprochene „Puppenmutter“. Dieses Spiel, das Anund Umkleiden der Puppen, kehrte nun symbolisch wieder
im Umherrücken der Möbel, dem Sinn nach war ein Nest zu
bereiten für das insgeheim erwartete Kind. Jupiter in Aszendentennähe (genau genommen im 12. Felde, sozusagen
„Schuß aus dem Hinterhalt“) schuf einen Ausgleich der Erwartungs-Unruhe in einem launenhaften Dynamismus gegenüber der persönlichen Umgebung, an den Mann gerichtet
eine versteckte Aufforderung.
Auf das drastische Mittel zur Aktivierung verborgener
Strebungen verwies der kulminierende Mars in WIDDER
(im eigenen Zeichen und dominant über die Positionen in
seinem anderen Zeichen SKORPION). Der mit dem Eingriff
erreichte Schock gab freilich nur ein Signal, dem Aufklärung folgen mußte. Doch bei fünffacher SKORPIONBetonung sowie Aszendent und Jupiter in KREBS war auf
eine Umwandlung der Werte und seelische Wiedergeburt zu
rechnen. Die geduldigen Zuspruch erfordernde Regeneration bestand nun im Auflösen der komplexhaften Selbst38
ausstreichung, der an der Wunscherfüllung verzweifelnden
Abwehrhaltung, der mangelnden Lebenszuversicht. Ausschlaggebend ist bei Jupiter am Aszendenten stets der Glaube an den persönlichen Wert; der dem KREBS-Prinzip entsprechende Sinngehalt liegt in einer Mission, die im
weiblichen Fall die Versorgung und Aufzucht des Kindes
sein kann. Zum Wertgefühl gehört die Gewißheit, sein Optimum zu erlangen. Dies konnte hier gestützt werden durch
die aus dem Trigon zwischen Jupiter und Saturn erschlossene Aussage, ein „Spätblüher“ zu sein. Ein fatalistisch denkender Astrologe hätte Merkur Quadrat Mond (und
schwächer ein Saturnquadrat) vermutlich als Verneinung
der Mutterschaft gedeutet. Um die Mitte der dreißiger Lebensjahre bewies die Wirklichkeit das Gegenteil.
Zum Hervorrufen manischer Veränderungslust kommen
allerdings immer mehrere strukturell verknüpfte Momente
zusammen und sie kann Begleiterscheinung einer endogenen Psychose sein. Sorgfältige Beurteilung der Sachlage
ist erforderlich. Der sprichwörtliche Satz, der Mensch sei
ein Gewohnheitstier, hat etwas für sich, denn gemeinhin
verspürt man wenig Lust, die gewohnte Lebensweise zu ändern. Radikale Änderungen der Lage durch unvorhergesehene Ereignisse bewirken manchmal mehr zur Umgestaltung der Persönlichkeit, als gedankliche Reflexion. Indem sich der Mensch dem „Schicksalsschlag“ stellen muß,
werden oft kompensatorische Befriedigungen für empfundene Mängel, eine „Scheinzufriedenheit mit schlechtem
Gewissen“, aufgehoben. Diese mehr durch Uranusaspekte
angezeigten Vorgänge besprechen wir später unter „Krise“.
Eine aus Problematik, angezeigt durch Planetenaspekte,
hervorgehende innere Wandlung ist gar wohl zu unterscheiden vom anlagemäßigen Wechselbedürfnis der labilen
Zeichen; das Neue, bei diesen als gewandelte Situation erfaßt, erfolgt bei jener als Frucht einsichtig gelenkten Strebens.
Wir sprachen von „imprägniertem“ Saturn. Gemeint ist
die jeweils gehäufte Erfahrungssumme und die zum Selbstschutz nötig erachtete Form, daraus Folgerungen zu ziehen.
39
Dies kann also bei gleichem Saturnstand verschieden sein,
je nach den gemachten Erfahrungen. Abänderbar jedoch ist
die Form, Erfahrungen zu sehen, mithin auch, wie man das
Erfahrene weiteren Erwartungen oder Unternehmungen zu
Grunde legt.
Bei der saturnischen Integration geht es darum, ob jemand Grund und Boden in sich findet, ob er die realen und
konstitutiven Grenzen seines Strebens einsieht, ob er
schließlich im Hereinnehmen förderlicher Tatsachen von
sich und seinen Möglichkeiten Besitz ergreift. Sich selbst
als Wirklichkeit annehmen, ist hier das erste Gebot. Schulbeispiele wie das soeben gebrachte sollen und können lediglich die Methode, eine Lösung zu finden, vorführen. Nur
der astrologische Teil steht in unserem Buche zur Diskussion, die angeborenen Strukturen gelten als Rahmen zum
Einbau psychologischen Wissens, das für sich erworben
sein will. Mit jeder Konstellation liegen die Dinge anders,
etwas wie Veränderungslust ist aus dem Bau des Ganzen als
Problem oder als Anlage zu beurteilen.
Angst
Es gibt Neurotiker mit der Angst, Frauen seien strikt zu
meidende Einschläferungsdämonen, vielleicht noch häufiger
stoßen wir auf erotische Zechprellerinnen, die Männer anlocken, doch angstvoll besorgt um den Verlust ihrer Persönlichkeit sich ihnen nicht hingeben. Diesen beiden ist
keckes Wagnis oder vertrauensvolles Geschehenlassen auch
in anderer Hinsicht verriegelt. Klar unterschieden von solchen sexuellen Stauungsängsten (sie hängen zusammen mit
nicht abgeführter genitaler Erregung) untersuchen wir hier
Angst als Allgemeinbefindlichkeit. Gewöhnlich denken wir
an Angst vor Vernichtung und Tod, wenn auch in den ersten
Lebensjahren der Tod nur eine vage Vorstellung, Angst aber
schon da ist. Die Angst, sterben zu müssen, entwickelt sich
allmählich und bei Kriegsfreiwilligen konnte man beobach40
ten, wie erst mit der Feuertaufe ihnen derartiges bewußt
wurde. Dies schließt natürlich eine unbewußte Angst um
sein Leben nicht aus und freilich hat der Tod mit Angst zu
tun, weil er der Engpaß ist, durch den wir alle am Ende unseres Daseins hindurch müssen. Diese Art von Angst betrifft
das schlechthin Kreatürliche. Auf unsere humane Stufe bezogen ist Tod der Preis für die Geburt als Eintritt in die Gelegenheit, durch Persönlichkeitsgestaltung sein Wesen
freizusetzen, es im Werk offenbar zu machen. Hinter der
Todesangst steckt die Angst, sterben zu müssen, ohne seinen
Anspruch als Mensch verwirklicht zu haben. Von der Vorstellung des Menschenwürdigen aus versteht man die verschiedenen Angstsymptome, von hier kann man sie
überwinden. Die Not der Angst zu wenden, ist das Erstnotwendige unserer Existenz.
Angst rührt somit an die Rätsel des Daseins und ist selbst
ein rätselhafter Zustand. Viele fassen die Angst als Geburtstrauma auf: ein Ur-Erlebnis, herstammend vom Ausgestoßensein aus dem Mutterleib in das Unbekannte, Unbegreifliche der Welt. Kausalistisch kann sie aber nicht erklärt
werden und statt der Berufung auf den Geburtsakt nehme
man sie hin als Grundbefindlichkeit des ungeschützten Lebens (wobei also die vornehmste saturnische Aufgabe ungelöst blieb). Empirisch ist sie eine Aktionsstörung, die bei
Nichtüberwindung uns hindert, etwas Neues anzufangen.
Eine solche „Schwellenangst“ gelinder Art veranschaulichen potentielle aber verhinderte Dichter mit der an ihnen
bekannten Angst vor dem weißen Papier. (Die praktische
Colette sagte: da nehme ich einfach blaues!). Wie mehr oder
minder jedem Beginnen stellen sich dem Schreiben gewisse
Hemmungen entgegen, indem die Konzentration auf das,
was zu sagen Wert hat (als wesentlich integrierte Erfahrungen zusamt den eingeborenen Forderungen) schon in die
Anfangsworte eingehen soll. Ein derartiger Mensch hat beim
Verhältnis von Idee und schreibender Hand im Anfangsstadium „sich nicht beisammen“. Astrologisch steht vielleicht
ein Faktor der saturnalen Reihe einem solchen der solaren
Reihe im Spannungsaspekt vorgelagert (vgl. Bd. I, S. 78,
41
sowie 262). Behelfsmäßiger Schutz dessen, was zum Leben
kommen will, verhindert vielleicht durch komplexhafte
Festlegung der Werte den ungezwungenen Anfang; die saturnische Entsprechungsfolge „Konzentration-HemmungAngst“ schraubt sich auf die unterste Entsprechung zurück,
den gehemmten Entschluß, in diesem Dasein Fuß zu fassen.
Der Rückfall auf einen Zustand, der als Aufbaustufe berechtigt ist, hat meist etwas Krankhaftes an sich und dabei
gilt es die Tendenz zum Chronischwerden zu beachten, als
Disposition in analytischen Saturnaspekten enthalten, zumal
in fixen Zeichen. Hieraus resultieren die eigentlichen Leiden. Die Konzentration des verhinderten Dichters sitzt
falsch und will das Pferd vom Schwanz aufzäumen. Er soll
bloß an fangen lernen, nicht sofort sich in Töne des höchsten Werts hinein steigern. Jeder Neubeginn ist „mondhaft“
mit dem Gesicht zur solaren Reihe; im Schreiben, im musischen wie im technischen Tun, in allen natürlichen Funktionen überhaupt kommt es dabei auf Lockerung, Flüssigmachen an. Das universelle Geschehen hat keine Ansatzpunkte, nur die Episode beginnt und endet. Gelingt es mit
dieser Einstellung, unbeschwert loszuschreiben, dann kann
vielleicht nachträglich aus dem Fluß heraus gefunden werden, was sinngemäß am Anfang zu stehen hätte. Schreiben
ist freilich etwas anderes als reden, wo Angst die Form des
„Lampenfiebers“ bekommt: der saturnbepackten Latenzpause, bevor man sich, Einleitung, Gedankenentwicklung, ihre
Brennpunkte und Schlußwort auseinanderhaltend, auf Gedeih und Verderben losläßt. Angebracht ist zu Beginn jene
mondhafte Naivität, die mit Anmut und ohne vorwegnehmende Behauptungen eine Überprüfbarkeit dessen, was man
tut, einbeschließt, dies in jeder Form des Handelns. Die
kernhafte Existenzbejahung, das Sonnenhafte, kann nicht
immer als uranfängliche Reaktion sichtbar werden. Zuerst
muß überhaupt etwas funktionieren. Kann man zwar in großen Entscheidungen nicht auf Probe handeln, so ist es doch
bei peripheren Dingen möglich - und meist auch vor der
entscheidenden Tat -, wartend nach innen zu horchen, bis
das organisch belebte Ganze sich von selbst in Fahrt setzt.
42
In wesentlichen Angelegenheiten sollte dieses „von
selbst“ allerdings eine Kernreaktion sein. Das bedeutet, daß
umgestimmt und um funktioniert nicht dasselbe sind; jenes
betrifft den Entwurf und Grundbau, dieses den ausführenden
Energieumsatz. Machen wir uns solch Zweierlei an der vernützlichten Wasserkraft klar. Die Strömungsenergie wird
wirksam durch gewisse Vorrichtungen (Staudämme, Turbinen, Mühlräder usw.) die sie „umfunktionieren“. Daran veranschaulicht sich ins Seelische übersetzt der Sinn saturnischer Dissonanz mit dem Mondhaften. Auch die Gemütskraft bedarf, um sich lebensdienlich auszuwirken, einer
Stauung und Umlenkung. Gestaut werden unsere Gefühle
durch Erfahrungen, die wir an wirklich existenten Dingen
machen, am deutlichsten da wo sich die Tatsachen unserem
Wunsch versagen. Die richtige Lenkung aber setzt einen
schöpferischen Selbstentwurf voraus, der uns nicht an unerfüllten Wünschen leiden und am Leben verzweifeln läßt,
sondern Erfahrungen wesensgerecht „umstimmt“. Verstopftsein der Wege, Trägheiten der Lebensfunktion, sinnlose Vergeudung von Herzenskräften machen im Verausgaben
der Energie eine Neuordnung des Laufs nötig; sie erfolgt
aus dem Geist und Impuls der Selbstbehauptung, dem Solaren. Solche Selbstorganisation gibt uns spontan den richtigen Griff ein, auch peripher herausgebildete Ängste zu
überwinden. Zuerst muß man die Angst natürlich sich eingestehen, nicht sie abschieben wollen in „falsche Sachlichkeit“, untaugliche materielle Rückversicherungen gegen die
Gefahren der Welt. Dann, es klingt tautologisch, darf man
zur Überwindung der Angst nicht ängstlich sein, sondern
muß herzhaft zupacken. Strömt es innerlich und werden
Widerstände vom Schöpferwillen bewältigt, so vereinigen
sich die drei wichtigsten existentiellen Bereiche: Schicksalsbereich, Begrenzung (Saturn), Gemütsbereich, Ausbreitung
(Mond), Willensbereich, Ursprung (Sonne). (Vgl. Bd. III, S.
69.)
Paradox zugespitzt kann man sagen, daß die Angst des
Menschen mit seiner Freiheit zusammenhängt. In astrologischen Symbolen ausgedrückt klafft darin der existentielle
43
Gegensatz von Sonne und Saturn auf. Eine Synthese ist erreichbar, die Kluft kann geschlossen und die Angst überwunden werden aus dem solaren Daseinsanspruch, wenn er
sich in Funktion übersetzt. Organische Funktion heißt dann:
ich verwirkliche Werte im freien Ergreifen meiner Aufgabe
und Lebens-Leitlinie aus dem Entwurf dessen, wozu ich da
bin. Schwächungen des so im Sinn gegründeten Ichs begünstigen die Angst, seine Stärkung beflügelt das Hoffen mit
jovischer Zuversicht, merkurial aber läßt sich solches Überzeugtsein nicht beweisen und begründen. Das Nichtwagen
der Verwirklichung indes, die Umkehr schon an der untersten saturnalen Entsprechung, dies ist die Angst. Wer sich
nicht selber akzeptiert und dem Wagnis der Existenz nicht
zustimmt, weil er keinen persönlichen Sinn darin findet,
nicht substantiell von sich Besitz ergreift. sperrt sich dem
Einstrom schöpferischer Möglichkeiten, läßt seine Entität
unverwirklicht. Dann rückt das Außen, das Fremde und Unheimliche in seiner Unbestimmtheit, das nicht Geheure,
rückt die Angst an. Bestimmtes erblicken, würde gegebenenfalls Furcht erregen, die Gefahr und was dagegen zu tun
ist, könnte abgeschätzt werden. Dem Unbestimmten der
Angst jedoch entspringt Leere, Lähmung oder kopflose
Flucht. Kierkegaard beschreibt dies ungenaue Hinblicken:
„Angst ist der Schwindel der Freiheit, der entsteht, indem
die Freiheit in ihre eigene Möglichkeit hineinschaut und
dort die Endlichkeit eingreift, um sich daran zu halten. In
diesem Schwindel sinkt die Angst ohnmächtig um. Weiter
kann die Psychologie nicht kommen . . .“ Psychologie versucht aber weiterzukommen. Wir halten uns nicht an die
Beschreibung des Zustandes. Ursache der Angst ist das
Fremde, das nicht integriert wurde. Dies trifft auch auf sekundäre Ängste zu, ableitbar aus psychischen Komplexen.
In solchen gelangte die saturnale Hauptaufgabe, Leben zu
schützen, nur bis zur Primitivform der Verkapselung (vgl.
Bd. I, S. 4-7), die pathologische Behelfsform, Störendes zu
beseitigen, hat aber gleichfalls das Saturnmerkmal der Dauer. Komplexe aufzuschließen, erfordert eine Kenntnis dessen, was verdrängt wurde, wofür Saturnaspekte prinzipielle
44
Hinweise geben. Doch muß man auch den möglichen Erfolg
der Bemühung und die erreichbaren Ziele einschätzen.
Nicht immer ist es therapeutisch richtig, zu sagen, was man
weiß oder zu wissen glaubt. Manche Probleme sind nur
durch Sublimierung und auf keine andere Weise lösbar.
Unter Umständen kann es besser sein, sie nicht anzutasten
und herausgebildete Kompensationen (das Wettmachen des
Versagten) als einen gerade noch lebensfähigen Zustand
bestehen zu lassen.
Als frühestes Auftreten in der Entwicklung des Säuglings
beobachten wir das jeder Mutter bekannte „Fremdeln“ (s.
Untersuchungen von René Spitz). Alleinsein im Gefühl der
Existenzbedrohung, Dunkelheit, Eindrücke die das Kind
nicht bewältigt, vertiefen und bestärken das Erlebnis des
Ausgesetztseins im Unermeßlichen. Dies und die neue
Angstwelle der Vorpubertät, die späteren Sexualängste ergeben Einkleidungen der saturnalen Ur-Angst, des mangelnden Grundvertrauens. Hierher gehört auch die von den
meisten Frauen empfundene „Angst vor dem Einbrecher“,
sowie vor Alleinsein und Verlust gefühlsmäßigen Angenommenseins. (Eigentlich hat man nicht Angst vor etwas,
dies wäre Furcht, nämlich Bewußtwerden des Bedrohenden,
sondern um etwas, um sich oder den Menschen überhaupt.)
Hinzu treten die Zivilisationsängste: Übervölkerung, Unfallund Mordgefahr, Umweltsverschmutzung, Entdeckung von
Gefährlichem beim Versuch, der Herkunft von Krankheiten
nachzuspüren, Bakterien, Viren, alles kann zum Motiv der
Angst werden. Unsere Gesellschaft umbaut uns mit einem
System von Sicherungen, für die wir Verzichte leisten und
unangenehme Tätigkeiten auf uns nehmen. Im ErpresserTerrorismus liegt die Gegenführung des „Geschäfts mit der
Angst“. Fällt die Zuversicht ab, tritt Desorientierung ein, so
ziehen die bestgemeinten Einrichtungen mehr oder minder
verkappte Ängste nach sich: Pensionskrise, Versicherungskomplex, Bestimmungslosigkeit im Altersheim, die tödliche
Langeweile manipulierter Ferien und deren künstliche Rufreizungen. Unabstellbar im Fortschritt lagern sich die Anlässe um. Gar angesichts der Werkzeuge heutiger Massen45
vernichtung, unter kollektiven Haßparolen, vor Degenerationserscheinungen kann schon die Scham, das Menschenbild
entstellt zu sehen, lähmend wirken. Jede Regierung, sagt
man, habe ihre Skelette im Schrank. Auch im Negativum ist
der Hegelsche Gedanke anwendbar, daß der Zeitgeist die
Umweltsbedingungen schafft, unter denen er sich ausbildet
und gedeiht.
Halten wir fest: jedes Mittel der Verbesserung kann zur
Quelle neuer Angst werden. Sie ist nicht von außen überwindbar. Wir müssen das Gegengift innen suchen. Gegenspieler des Saturnischen sind Sonne und Mond. Was soll
nun der machen, der etwa Sonne Opposition Saturn oder
Mond Konjunktion Saturn im Geburtsbild hat? Ist ihm nicht
die Angstneigung angeboren? Gegenfrage: sind denn aber
Entsprechungen angeboren, bedeutet das Angeführte nicht
lediglich einen Widerspruch der beiden existenzbestimmenden Symbole sowie eine Koppelung des lösenden und
hemmenden Faktors? Gegeben sind Anlagen, ihre Verschränkung wird zur Aufgabe. Es könnte auch Saturn Konjunktion Venus oder Mars sein, dann wäre Eros oder Trieb
gehemmt, ihr Erlebnis beeinträchtigt, als schicksalhafte
Stauung bei Frau und Mann verschieden zu deuten. Mit solchen Einsichten beschreiten wir den Weg aus der Angst individuell vorgezeichnet. Es geht um das Annehmen von
Wesenseigenem. Angst ist nur die unterste saturnische Entsprechung, dann eintretend, wenn man nicht überzeugt von
seinem Wert und Werk in sich steht oder durch falsche Konzentration in eine Sackgasse geraten ist. Findet man keinen
Ausweg, dann entsteht panikhafte Fluchtstimmung. Die
nächsthöhere Entsprechung heißt Furcht. Angst in Furcht zu
verwandeln, gebietet dem Unfaßlichen der Regung Einhalt,
denn es macht faßbar, wem sie gilt. Mit der fest ins Auge
gefaßten Bestimmtheit einer Gefahr bekommen die Abwehrkräfte eine Richtung. Wichtig ist daher, wenn schon
das Kleinkind die Ursachen seines Erschreckens benennen
lernt; im Erfassen des Motivs, indem die Objekte als konkrete Dinge gedacht sind, wird Angst zur Furcht. Mit dem
Bewußtmachen traut sich der erweckte Impuls des Wider46
stands leichter eine Überwindung zu oder findet Auswege,
die schöpferische Aktivität von Sonne, Mars und Jupiter
wird herangerufen.
Selbst wenn eine Gefahr unüberwindlich, die Situation
hoffnungslos ist, gibt doch das tragische Bewußtsein ein
„Darüberstehen“. Jede Wahrheit stärkt, so auch das täuschungsfreie Bewußtsein eines Mißverhältnisses eigener
Kraft zur Realität, wenn frei vom Ressentiment, in eine solche Lage gekommen zu sein. Manchmal bleibt nichts übrig
als die stoische Geduld, ein Schicksal geistig überlegen zu
ertragen.
Religiöse Lehren haben die Existenzbedrohung zu objektivieren gesucht, indem sie demgegenüber eine subjektive Macht verkündeten, vor welcher die Furcht sich in Ehrfurcht wandelt. Glaube an Übermächtiges, Ergebung ins
Unvermeidliche (wie bäuerliche Einstellung Regen und
Sonnenschein hinnimmt) kann mit dieser Gottesfurcht die
Angst auslöschen, kann aber nicht verhindern, daß Wünsche
sich einem äußeren Erlöser zuwenden. Nach innen genommen bildet schon die Ehrfurcht vor anderem Leben eine
passive Grundlage, auf welcher die Aktivierung der lebensimmanenten Schöpferkräfte eine souveräne Überwindung
der Angst erreicht.
In der kindlichen Lebensangst steckt eine Unsicherheit,
weil den Ursachen nicht zu Leibe gegangen wird. Ähnlich
ist die Angst des Infantilen, ihm fehlt die sachliche Erprobung seiner Urteile und das Aufsichnehmen der Verantwortung für seinen Entschluß. Von solchen Schwächen unterscheidet sich das schöpferische Meistern der Angst durch
geniale Kindlichkeit. Wie der Anfänger beim Skifahren ungeschickt ist aus Angst, zu stürzen, und darum erst f allen
lernen sollte, lernt man mit der Lebensangst umgehen durch
Erproben des Verhaltens unter der Angst. Edvard Munch
und Alfred Kubin erlebten die Angst intensiv, jeder auf seine Art, und machten ihr Erlebnis künstlerisch anschaulich.
Ihre Gestaltungskraft war nicht gelähmt durch Ichbezüglichkeit und ihre Beengungen; wenn, wie bei diesen
beiden, abgründige Weltangst private Glücksbedürfnisse
47
überwölbt, entsteht sozusagen der Demiurg der Nachtseite.
Der Gestalter ergreift Besitz von der persönlichen Existenzform, die Motive der Angst werden zu Motiven der Darstellung; wenn man will, sind es jene Kompensationen, die
man besser nicht antastet, doch solche in sublimierter Form.
Künstlerische Verantwortung beantwortet die Doppelfrage,
für wen und wem man verantwortlich ist, unprivat, so persönlich die Formsprache sein mag. Hiermit verändern sich
die Symptome. Beim Tier spannt Angst die Kräfte an zur
Verteidigung oder Flucht, Menschsein erfordert andere dynamische Haltungen als Tiersein. Im genialen Falle gilt die
Angst der Sicherheit und dem Bestand des Menschen in
höchster Potenz; dies entbindet eine seelisch-geistige Dynamik, deren Ziele nicht in der Einzelexistenz befangen und
nicht auf deren Schutz bezogen sind. An diesem Punkt beginnt das sakrale Menschenopfer: man ist es nicht, weil man
keine Angst hat, sondern gibt sich trotz Angst dazu hin
durch die Kraft einer höheren Bestimmung.
Solche Konstellationen wie die von Munch und Kubin
wollen anders gedeutet sein als die eines Durchschnittsmenschen, doch dieser kann daraus lernen. Einen klassischen „Angstaspekt“ finden wir bei Alfred Kubin in der engen Konjunktion von Mond und Saturn in FISCHE, dem
Zeichen des Weltverlorenseins. Mond ist außer dem Bezug
auf das Gemüt auch Muttersymbol. Am frischen Grabe der
Mutter hatte Kubin Selbstmord versucht, dann aber seine
bedrohlichen Stimmungen erfolgreich mit der Zeichenfeder
bekämpft. Wesenskern (Sonne), Intelligenz (Merkur) und
visionäre Bildphantasie (Neptun) tendieren dem 8. Felde
gemäß zur Beschäftigung mit dem Transzendenten, Kubin
„sah“ Geisterhaftes, das für andere nur Literatur war. Statt
aber sich in der „anderen Seite“ zu verlieren (Titel seines
Romans), womit man nicht mehr in die normale Welt hineinpaßt, begegnete sein Gestaltungswille dem Sog des Hintergründigen. Als seine Frau ihn zum Psychoanalytiker
bringen wollte, wehrte er ab: „Laßt's mir die Angst, dös is
mei Kapital.“
48
Bei Edvard Munch ist die Stunde nicht zu ermitteln, wir
müssen uns an die Tageskonstellation im Tierkreis halten.
Hier finden wir Saturn „unversehrt“ im Sextil zur Sonne,
diese aber in Konjunktion mit Merkur, der in Opposition zu
Uranus von hochgradiger Sensibilität und Anfälligkeit des
Nervensystems spricht. (Auch bei Nietzsche, Grillparzer,
Voltaire vorhanden.) Ein Aspekt der geistigen Grenzgänger.
Die andere Opposition, die von Pluto zu Jupiter, leuchtet in
die Extreme des hintergründigen, gefahrenumwitterten
SKORPION-Prinzips, besetzt durch Venus, Jupiter, Mars
und Mond; die beiden letzteren umklammern mit dem aufsteigenden Mondknoten das „Tor zur Nachtseite“ (vgl. Bd.
III, S. 433). Anfang und Ende dieser Kette stehen in
Aspekten zu Neptun, dem visionären Element. SKORPION,
als Stilprinzip dem B. Felde analog, bedeutet im Kreislauf
die Krisis durch Zerstückelung der normalen Welt; ein den
„alten Adam“ betreffender, zumindest unbewußt vorhandener Todestrieb erzeugt eine Unruhe, die nach seelischer
Wiedergeburt drängt. Die pathologische Bedrohung brachte
Munde in die Nervenklinik. Doch der Wesenskern enthält,
entsprechend der Sonne in SCHÜTZE, eine „Überstiegstendenz“, sie wird belegt durch seinen Ausspruch: „Ich glaube
nicht an eine Kunst, die nicht dem Drang des Menschen
entwachsen ist, sein Herz zu ofenbaren.“ Munchs Bilder
sind Selbsterforschung durch künstlerische Mittel, sein
Werk ist durchzogen mit Angst in Verbindung von Liebe
und Tod; das Hineinblicken in sich und sich Offenbarenkönnen wurde ihm zur Heilung.
Dieser Fall Munch veranschaulicht, daß Schutzbedürfnis
(Saturn) nicht immer eine Mauer um sich baut und einer
Öffnung des Herzens (Sonne) nicht zu widerstreben braucht.
Munch wie Kubin zogen ein einsames Leben vor, ihr Schaffen behielt eine die egozentrische Enge durchbrechende
Strahlkraft. Darin liegt die aufbauende Bedeutung des Stützungsaspekts zwischen Saturn und Sonne, bei Kubin auf ein
schwaches Halbsextil reduziert, stärker aufgefangen von
Venus.
49
50
Natürlich braucht man zur Auswertung disponibler Kräfte
nicht Künstler zu sein, die Gestaltungskraft kann sich auch
anderer Mittel bemächtigen. Weniger heißt die Lösung,
Versagen durch Vitalität zu überwinden, als Wegfall inferiorer Sicherungsmaßnahmen, mit denen „negativer Saturn“
uns in die Enge treibt (Munch erlag solchen teilweise erst
im Alter). Abgesehen vom epochalen Wert betrachten wir
das Werk dieser beiden Künstler hier aus der Perspektive
erfolgreicher Angstbekämpfung. Der konstellative Ansatz
der Angst ist nicht allein in Saturn zu suchen, dieser betrifft
mehr die Zuständlichkeit; bei Munch lagen die Einfallstore
analog dem SKORPION-Prinzip besonders im gestörten
Grundvertrauen zum anderen Geschlecht. Die meist bei der
Angst gefundene affektive Note (Herzklopfen, Zittern, auch
Erblassen) oder schmerzbegleitete Aggressionen entspringen den aufgerufenen Gegenkräften, die nur nicht durchdrangen gegen Realitätsverlust und extreme Hilflosigkeit.
Das Wort Angst hängt mit Beengung zusammen (angustia),
der freie Atem ist eingeschnürt, gelöstes „Lassen“ ist für die
Überwindung wichtiger als gespanntes „Tun“.
Dies unterstreicht die Wichtigkeit des Mondhaften als
Gegenspieler des Saturnischen. Spätere Symptome bereiten
sich im „mondhaften Zustand“, beim Kinde vor. Grobe Erziehungsfehler wie Drohungen mit dem schwarzen Mann,
den Kleinen in den Schrank sperren, fördern bekanntermaßen die Angstbildung. Leere Sprüche wie „mach keine
Geschichten“, „nimm dich zusammen“ beseitigen nicht, was
ins Kraut schoß. Gerade unselbständige Musterkinder wissen nachher bei Erblicken des Ungewohnten, Unheimlichen
meistens nichts mit sich anzufangen. Ein Irrtum ist es jedoch, daß zivilisatorischer Druck (Reinlichkeitsritual, soziale Anstandsregeln) die Angst hervorriefe; Anlagen wie
starke JUNGFRAU-Betonung enthalten neben Willigkeit
dafür oft eine Ängstlichkeit des Verhaltens zum Unbekannten. Man kann späterer Lebenszuversicht nicht besser vorarbeiten, als wenn man das Kind eigene Entschlüsse erproben läßt, ihm dadurch zur Erfahrung seiner selbst, zur Bewährung im tätigen Umgang mit der Mitwelt verhilft. Ein so
51
„erzogener Saturn“ hindert keineswegs den „solaren Zustrom“, sondern verschafft dem Lebensantrieb ein Fundament. Angst beruht weniger auf einer Einzelursache, als
der Häufung vieler in die Haltung eingegangener Bedingungen; so, wenn man verpaßten Gelegenheiten ewig nachtrauert oder Schuldgefühle züchtet, deren Recht oder Unrecht man im Dunkel läßt statt Greifbares in eine Katharsis
(Reinigung) überzuleiten. Dergleichen überspannt bildet die
„Gewissensangst“. Vielerlei nachklappende Vergangenheit
pflegt sich in der Lebenskrise um 56 (der hippokratischen
Cäsur) in Form von grundlosem Mißbehagen, Unbefriedigung, Todesangst oder in massiven Krankheiten zu melden.
Auch die Regierung des Einzelnen hat ihr Skelett im
Schrank und es folgt ihm heimlich, unterschwellige Ängste
auslösend, mit dem, was C. G. Jung „den Schatten“ nennt.
Hiervon an seiner Stelle. Wer das Aktivum in sich weckt,
öffnet den Schrank und faßt ins Auge, was zu befürchten
wäre, wenn man es heraus ließe. Der ertappte Gegner bietet
die Handhaben, ihn zu besiegen. Einmalige Überwindung
genügt aber nicht, sondern stets wenn die solare Selbstüberzeugung nachläßt, regrediert man auf die Angst als der
primitivsten Saturn-Entsprechung.
Man kann einen Menschen nur eingebettet in seine Epoche und seinen Kulturkanon richtig verstehen. Die Gesamtstimmung färbt auf den Einzelnen ab, das Zeitklima begünstigt oder unterbindet die Ausbildung bestimmter Anlagen. Das, worin Munch und Kubin, auch Kafka und andere
noch Außenseiter waren, hat eine nachfolgende Generation
überschwemmt. Gesprochen wurde allgemein von einer
Angstpsychose. Dies war und ist nicht nur eine begreifliche
Gemütshaltung nach Kriegen und unabsehbaren politischen
Katastrophen. Freilich klingen Hunger- und Bombenjahre in
vielen Überlebenden heute noch nach. Als Bestandteil einer
längst im Gange befindlichen Menschheitskrise kommen
darin Elemente zum Vorschein, die sich im individuellen
Meßbild konstellieren. Kollektive, meist inferiore Entspre52
chungen unterbauen die Äußerungen des Einzelnen, soweit
er im großen Strome schwimmt. Heute darf etwa Jupiter nur
mit Vorbehalt als Symbol religiöser Sinngebung und Hort
des Vertrauens eingesetzt werden, während die Bedeutung
von Saturn für Gewissen, Erfahrung und gesunden Wirklichkeitssinn oft übertönt wird durch seine Geltung als
Angstsymbol. Es sind mit anderen Worten Gestirnstände
anders zu deuten als wenige Generationen zuvor.
Mancherlei Gründe gibt es. Geschichtlich wirkt der naturwissenschaftliche Realismus aber auch unverdaute Romantik des vorigen Jahrhunderts nach, der Geist-Materie-Dualismus, die christliche Trennung von Gott und Welt, soziale
Umschichtungen: Unvereinbares in vielen Kanälen der Einflußnahme. Hochgezüchteter Intellektualismus und Wirtschaftsdenken untergraben eine glaubwürdige Sinngebung.
Kein Wissenschaftler überblickt mehr das rapid anwachsende Gesamtwissen. Technische Entwicklung, wo sie außer
humane Führung geriet, spiegelt das gestörte Verhältnis
zwischen menschlicher Zivilisation und außermenschlicher
Natur. Viel Ratlosigkeit vor den vom Fortschritt aufgedeckten Widersprüchen geht um, Bildungsvorurteile suchen
erklärende Begriffe für das Unbekannte bereit zu halten.
Politische Desillusionierung und Proteste gegen das Bestehende untergraben gültige Maßstäbe. Allgemein ist der
Druck ungelöster Probleme. Manche erwarten Ferien im
Rauschgift, taumeln sozusagen illegal in ausgeweitete Räume, andere packt das Reisefieber, einige beschränken sich
pedantisch auf ein Sachgebiet. Hinter allem lauert die
Weltangst mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit.
In dieser Umgestaltung aller Werte, die sämtliche Beziehungen des Menschen zur Existenz, des Denkens zur Sinneswelt, nicht minder staatliche Zusammenfassungen, einbegreift, sollen wir heute unser Wesen verwirklichen. Unverkennbar enthält die moderne Gesellschaft eine Tendenz,
die lebendige Auseinandersetzung zwischen Persönlichkeiten aufzuheben im Begriff der Funktion. Wenn ich aber nur
das bin, was ich funktionell für das kollektive Ganze darstelle, kann mich jeder ersetzen, der diese Funktion besser
53
erfüllt. Mein übriges ist dann nichtig, zählt nicht, mit Recht
werde ich zum alten Eisen geworfen. Das so geschwächte
Persönlichkeitsganze wird anfälliger für die Angst. Mein
Selbstvertrauen gründet sich ja darin, daß ich in meiner besonderen Artung, mit erworbenen Fähigkeiten, Erfahrung
und Einsicht, einen Platz einnehme, den kein anderer ausfüllen könnte. Dann ist wechselseitige Beziehung mit nicht
austauschbaren Eigenschaften möglich und was geschieht,
wird nicht an der großen Zahl gemessen.
Stoff genug zur Angst ist vorhanden, aber auch Lebensglaube, trotz Ungewißheit, Suchen nach einem Sinnzusammenhang.
Unser Thema der Astrologie verlangt noch ein Wort zur
Schicksalsangst. Sie ist sozusagen die Angst der Ängste und
scheint mit dem Begriff des Schicksals, wenn wir darunter
das unbestimmt Anrückende verstehen, unzertrennlich verknüpft zu sein. Die Sucht, genau wissen zu wollen, was einem beschieden ist, brachte die fatalistische Astrologie hervor. Auch im tragischen Fall kann ein Vorauswissen zur
Peripetie führen, mit der sich ein Knoten auflöst und heroische Entschlußkraft frei wird. So stellten es die großen
Bühnenstücke dar. Hier nun bringt die revidierte Astrologie
eine grundsätzliche Wendung mit dem Begriff des Strukturzwangs. Sehen wir, was persönliches Schicksal genannt
werden kann, in Einklang mit dem Anlagengefüge, so ändert sich die Haltung den Determinationen gegenüber. Wir
sehen dann einen Sinnbezug und werden auch ein widriges
Schicksal annehmen, um den darin verborgenen Auftrag zu
erfüllen. Die Symbole bleiben dieselben, die Wunden und
Beglückungen des Einzelnen werden nicht weggewischt,
aber die daraus entspringenden Probleme sind eigene und
wesentliche, ihre Lösung stellt uns anders in das kollektive
Schicksal, das wir der Geschichte anvertrauen.
54
Aggression
Beim homo ludens Huizingas kann kriegerische Auseinandersetzung ein nobel geregeltes Spiel sein, für Heraklit
war der Krieg der Vater aller Dinge, Machiavelli läßt sogar
die Freiheit dem Parteienkampf entspringen, nach Konrad
Lorenz wandeln lernbegierige Menschen ihre Aggression in
Gestaltung der Umwelt. Diese Autoren meinten allerdings
samt und sonders etwas anderes als rohe Schlächterei und
waren sich darüber klar, daß es um Auswirkungen einer uns
gemeinsamen dynamischen Komponente geht. Die Auswirkungen Fluktuieren in Spruch und Widerspruch, denn auch
auf der Triebebene schlägt der Unruhestifter bisweilen in
den Retter um, nicht infolge aufgepfropfter Moral, sondern
aus dem Spielcharakter einer um Vorrang und Auszeichnung ringenden Dynamik, wechselseitig sich antreibender
Kräfte.
Man wird dem hierauf bezüglichen „Mars“ erst dann gerecht, wenn man ihn aus der Moral heraushebt. Es lassen
sich ebensoviel triftige Gründe herbeibringen dafür, daß der
Mensch gut, als dafür, daß er böse ist. Doch die Grundthesen von Robespierre, Metternich, Bismarck, Hitler,
Gandhi und wie sie heißen mögen betreffen sämtlich das
politische Verhalten. In ihm ist der friedlichste Mann, wenn
er alle anderen von seiner Überzeugung ausschließt, kaum
weniger aggressiv als der bedenkenlose Angreifer.* Politik
im wahren Sinne geht hervor aus der Form, die Dinge, die
mehrere angehen, gemeinsam zu bedenken. Gemeinsame
Betrachtungsart und Koordination ist dem principium individuationis entgegengesetzt, insofern „venushaft“ gegenüber dem „Marsischen“. Damit könnte man dem Clausewitz'schen Satz, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik
mit anderen Mitteln sei, recht geben, nur deckt die kausale
*
Im Absolutheitsanspruch gegenüber anderen Religionen liegt eine aggressive
Note auch des Christentums und Islams, nicht minder als in der Intoleranz wissenschaftlicher und politischer Richtungen. Wo sich dies zum Fanatismus der Weltverbesserung steigert, werden die Auswirkungen einer Überzeugung schonungslos.
Ober den darin steckenden Denkfehler vgl. S. 149.
55
Ableitung nicht völlig die Gegensatzverwandtschaft, also
das dialektische Verhältnis zweier in uns verankerter Prinzipien.
Noch etwas sei zur Klärung der Begriffe vorausgeschickt.
Zuweilen hat man Aggression und Sexualität als Gegensätze
aufgefaßt; untergründig spricht dabei die Spannung von Haß
und Liebe mit, auch diejenige von angriffslustigem und genießerischem Verhalten. Richtiger stellt man Trieb und Eros
einander gegenüber, analog der Verwandtschaft triebmäßiger Angriffskraft mit Aggression, aufschließendem Eros mit
friedlicher Zuwendung und Einigung. Ebenso klingt Platons
„Thymos“, ungestüme Leidenschaftlichkeit, und „Epithymia“, Wunschkraft und Lust, an. Astrologisch wäre dies das
Gegensatzpaar Mars und Venus (in der Antike bekanntlich
der Kriegsgott und die Liebesgöttin); das aggressive, vorwiegend männliche Verhalten im Sexualakt bezeichnet also
das Marsische. Nur muß man unterscheiden zwischen der
feindseligen Note in der Aggression, sowie der Aktivität,
dem alle Organäußerungen und innere Zustände umfassenden Tätigkeitsdrang, dem marsischen Oberbegriff. Wer das
Gewicht auf gehässigen Streit hin schiebt, verfälscht das
Marssymbol, gibt ihm den primitivsten Inhalt.
Wollte man die menschliche Vielschichtigkeit und die
Vielart der Individuen auf „Marsmenschen“ und „Venusmenschen“ vereinfachen, dann würde man damit folgenden
Unterschied hervorkehren. Für den marsischen Menschen
bedeutet das gegenwärtig Vorhandene eine ewige Herausforderung, auf die er aktiv antwortet; auch wenn er nichts zu
sagen weiß, tut er oft etwas um des Tuns willen. Der venusische Mensch hingegen betrachtet das Vorhandene vom
ästhetischen Standpunkt, als Angelegenheit des Geschmacks. Er läßt gewähren, was er schön findet und flieht,
was er verabscheut, wovor ihn ekelt, modelt nur um, was
sich willig formen läßt und so, wie es in seinem Belieben
steht. Jener ist der ständig Aufgereizte und Getriebene, er
sucht und braucht die Arbeit, dieser kultiviert die Muße, genießt den Augenblick und erlebt darin die Ewigkeit.
56
Solche einseitigen Ausformungen mit denen man eine
Typologie aufstellen könnte, kommen natürlich nie rein im
Leben vor. Es sind Faktoren in jedem, die hier zugrunde
liegen. Aus dem Unterschied aber wird verständlich, daß im
Marsischen der Ansporn zu höherem Rang der Leistung
steckt. Er gibt den Ausschlag bei der natürlichen Selektion.
Allerdings kann die Ansprechbarkeit darauf auch Stopsignale auslösen. Bei manchen Tierarten findet kein Auslesekämpf zur Befruchtung statt, vielmehr bewirkt das Vorhandensein eines „Ranghöheren“ bei den jüngeren, weniger
entwickelten Männchen eine bis in den Hormonhaushalt
gehende Uninteressiertheit an der Fortpflanzung. Man hat
dies psychische Kastration genannt; der Ausdruck war
schlecht gewählt, denn Kastration ist etwas Unwiderrufliches, während bei den betreffenden Tierarten der Wegfall
dessen, der als Befruchter bisher den unumstrittenen Vorrang hatte, in den aufrückenden Individuen den Geschlechtstrieb neu erweckt. Analoges findet sich beim
männlichen Menschen zumal in der Primitivverfassung, jedoch stärker ins Seelische und Geistige übersetzt: ein Zurückstehen, sich nicht die Leistung zutrauen angesichts des
Erfolgreichen, Vitalen, Durchsetzungskräftigen, der „abschießt was ihm vor die Flinte kommt“, scheinbar besser
Begabten oder sonstwie „ranghöher“ Abgestempelten. Dies
wird zur Quelle bestimmter Minderwertigkeitsgefühle, für
welche die „angeschlagene“ Marsstellung einigen Anhalt
gibt, sowie für den Gegenschlag eines im Protest sich bekundenden Aufwertungsdrangs.
Wissen wir, daß die Wesenskraft Mars eine unveräußerliche Komponente der Individualisierung ist (auch das
kreisläufige System der Auseinandersetzung mit der Welt,
der Tierkreis, beginnt in einem Marszeichen), dann werden
wir die Beurteilung nicht nur aus Analogien von menschlichem und tierischem Verhalten ziehen, Aggression nicht
gleichbedeutend mit dem Tötungstrieb verstehen oder sie
schlagwortartig als „das Böse“ abtun. Zugrunde liegt einfach der dynamische Ansporn im Guten wie im Bösen. Freilich, gewalttätiger Angriff auf Selbständigkeit und Leben
57
der Mitmenschen, Einmischung zum Zweck der Ausbeutung bedeutet jenes Gift menschlicher Beziehungen, das
Mars in der Vulgärastrologie das Odium eines Übeltäters
eingetragen hat. Doch abgesehen davon, daß hierzu immer
vielerlei zusammentritt, kommt es in der Individual- wie in
der Kollektivgeschichte auf Gerichtetheit und Dosierung an.
Was bei gleicher Richtung in kleiner Dosis kulturfördernd
ist, kann massiv angewandt zerstörend wirken. Große Umwälzungen im Massenmaßstab kommen anscheinend ohne
starke Dosen nicht zustande. Wichtiger als mechanische
Richtung und quantitativer Einsatz ist aber die Qualität der
Antriebe, welche der Entwicklungshöhe entspricht. So kann
Mars im Kosmogramm gleicherweise edlen Wettbewerb
wie eifersüchtige Rivalität oder rücksichtslose Konkurrenz
bedeuten, beim einen ist er Repräsentant geschärften Erkenntnistriebes, beim anderen dienen dieselben Begriffe
(etwa „Kampf um neuen Lebensraum“) zur Beschönigung
der Gewalt. Es gibt sowohl offen gezeigte als auch verschleierte oder verfälschte Triebe. Stagnierende Verhältnisse in Fluß bringen sagt noch nicht, was antreibt und aus
welchen Motiven es geschieht.
Wissenschaftliche Untersuchung stellt also fest, daß und
wie aktive Entäußerung stattfindet. Das Warum ist Sache
der Entwickeltheit. Keineswegs ist diese Wesenskraft deswegen eine motivisch indifferente Bewegungslust. Organische Kräfte sind immer konkret. Jeder Trieb will Bestimmtes, Mars will „verändern“, und die psychische Substanz, die zu Gewalthandlungen der Massen organisierbar
ist, liegt in jedem Einzelnen bereit. Physiognomisch fängt es
klein und unbemerkt an. Man geht impulsiv auf den Angeredeten los, mancher unterstreicht seine Worte durch drohendes Augenrollen ohne bewußt eine Drohung zu beabsichtigen. In der Spielart des Temperaments haben wenige
den Tätigkeitstrieb am Zügel und nach einem russischen
Sprichwort geht der Verstand in die Trompete, wenn die
Fahne flattert. Gerade Mars braucht deshalb Kontrolle und
Disziplin. Es gibt eine Aggression aus Angst: damit man
mir nichts tut, greife ich an (Motto: „Der Angriff ist die be58
ste Verteidigung“). Es gibt auch eine Flucht nach vorn:
Draufgängerei, die sich tapfer dünkt, verbirgt oft ein feiges
„sich um einen Konflikt herumdrücken“, statt ihm standzuhalten.
Elementar gesehen möchte Mars durch Kalorien erledigen, was geistige Einsicht verlangt. Seine hervorgehobene
Stellung macht Menschen, die dem erstbesten Antrieb nachgeben, sozusagen zur Kraftmaschine, bei welcher Wärme in
Arbeit umgesetzt wird. Es entspricht durchaus unserer „Leistungswelt“, nur sind die natürlichen Äußerungen verschieden mit dem Zeichen. Bei Feuerzeichen liegt die Betonung im Fertigwerden mit der Triebsphäre, der Verantwortliche beherrscht sie, der Unberechenbare will durch sie
herrschen, faszinieren. In Wasserzeichen ist Tätigkeit oft
der Rückschlag empfundener oder auch nur vage gefühlter
Verletzungen, Aggression mitunter Reaktion auf eingebildete Gegnerschaft. In Luftzeichen entstehen kämpferische
Impulse aus begrifflichen Diskrepanzen, dem Andrang von
Nervensentationen, manchmal einem leichtherzigen „mal
sehen, was dabei herauskommt“. In Erdzeichen dominieren
materielle Zielsetzung und Vorsorge, mitunter ein sich
selbst aufgedrungener „Streß“, um den schwerblütigen Tätigkeitstrieb anzukurbeln. Dieser dem Tierkreiszeichen gemäße Stil des Ausdrucks lehrt einen sich selbst überwachenden Menschen den Reizmechanismus erkennen, den es an
Kandaren zu halten gilt. Verbissene oder frivole Übergrifflichkeit, sarkastischer Schnitt durch bestehende Beziehungen entsteht aber meist aus Konflikten, deren Lage sich in
Marsaspekten anzeigt.
Hieran bricht die niveaumäßige Verschiedenheit der Entsprechungen auf. Etwa „Mars analytisch zu Jupiter“ greift in
den Unterschied von Trieb und Drang ein (vgl. Bd. III, S.
191). Eigentlich sollte menschliche Sinngebung und Vernunft, Wohlwollen und Rechtlichkeit, insgesamt Jupiterforderungen, die tierischen Instinkte überbieten. Zum Menschen gehört eine andere Form gegenseitiger Hilfe als in
Brutpflege und Herdentrieb vorgegeben. Doch bei der üblichen Sündenbockpsychologie verwandelt sich dies gern in
59
Forderungen an andere, gegen die man, wenn sie der projektiven Erwartung nicht genügen, aggressiv wird. Die
Streitlust setzt also genau da an, wo ein charakterliches
Manko rumort, Unrecht droht verübt zu werden, wo man an
sich selbst zu bessern hätte. Im eigenen Inneren ausgekämpft lösen sich solche Probleme.
Wer angegriffen wurde, unterscheidet gewöhnlich nicht,
ob es aus Böswilligkeit, unter dem Druck von Naturgewalt
oder als engagierte Selbstbehauptung geschah. Er wehrt sich
oder leidet, am Affekt entzünden sich wieder neue Taten, im
überhitzten marsischen Klima wartet man nicht ab, bis Ziel
und angemessene Tätigkeitsform sich aus der Sache entwikkeln, man greift zu, greift vor, greift ein, bis ein Herrschaftsund Unterwerfungsverhältnis hergestellt ist.* Kants Friedensmodell und andere Aufrufe zum ewigen Frieden bleiben wirkungslos, solange wir nicht im Alltag das Trieb- und
Dranghafte lebensfördernd unterbringen lernen. Der persönliche Unruheherd ist schwer erkennbar, auch Doktrinen
mit dem Absolutheitsanspruch verleiten zu streitbarem Verhalten aus dem Ehrgeiz des „Vorkämpfers für eine gute Sache.“
Man kann in Aggressionshandlungen hineingezogen werden ohne sie zu billigen, sich aber dem Problem nicht stellen, sondern es verdrängen. Das heutige Stichwort „unbewältigte Vergangenheit“, auf Gewaltherrschaft und Krieg
gemünzt, schließt auch private Versäumnisse ein. In diesem
Zusammenhang sei an das Aktivum des Vergessens erinnert, das die Reproduktion unangenehmer Inhalte abwehrt
(vgl. Bd. III, S. 154). Vergessen ist kein zufälliges Herausfallen aus dem Gedächtnis. Gerade ein Mensch mit einem
„Rechtsgefühl das einer Goldwage glich“, wie es Kleist dem
Michael Kohlhaas zuschreibt, kann durch psychische Kom*
Das angreiferische Tempo kommt außer im Zeichen in Marsaspekten zum
Ausdruck. Man vergleiche etwa bei Napoleon III. (Bd. III, S. 453-459) die Konjuktion von Mars und Sonne, sowie die Opposition des Uranus, mit der Marsstellung
bei Bismarck. Bei diesem hält Venus Quadrat Mars eine vielleicht ebenso starke
Angriffslust zurück, das Trigon zu Jupiter im Venuszeichen läßt das Zurückgehaltene diplomatisch auf den Erfolg hin einfädeln, die Nähe von Saturn zu Mars verstärkt
die Tendenz, „auf sicher zu gehen“.
60
plexe seinen Lebensglauben schützen. Anderseits gibt es
Situationen, in denen sich das Versäumte auf skurrile Weise
meldet. Hierfür ein Beispiel.
Ein junger Soldat kehrt aus dem Kriege heim, wirft den
Druck der Verpflichtungen ab, findet eine passend scheinende Frau und will heiraten. Beim Hinschreiten mit ihr
zum Altar und während sich sein Gemüt der Feierstunde
öffnet, bestürzt ihn der Einfall: wie war meine Gewehrnummer? Er kommt sich vor wie in der Rekrutenzeit und
erinnert sich an Aussprüche des Vaters, welchen Wert man
im früheren Krieg auf das Wissen darum legte. Unklar ist
ihm, ob es auch diesmal der Fall war. Beruhigend fällt ihm
ein: aber sie muß ja im Soldbuch stehn! Die eingeredete
Gleichgültigkeit, heute nehme man es nicht so genau, stellt
sich trotzdem nicht her. Die ehedem automatisch vorge61
stellte Ziffer ist unauffindlich, scheint völlig dem Gedächtnis entfallen. Der Mann ärgert sich. Immer wieder zieht ihn
heimliches Nachsinnen von den weitergehenden Hochzeitsfeierlichkeiten ab: wie war doch die verdammte Gewehrnummer?
Unser grotesk anmutender Fall bringt als Problem vor
ernstem Hintergrund zum Ausdruck, daß die Erfahrungen
des Krieges nicht verarbeitet wurden. Der „Befehlsnotstand“ hatte diesen Mann in Lagen gebracht und zu Handlungen veranlaßt, die seine FISCHE-Weichherzigkeit verletzten. Wer zwangsweise etwas tun muß, was ihm zuwider
ist, zur offenen Gegenwehr aber weder Entschlußkraft noch
Möglichkeit hat, findet zwar nach einiger Zeit meist einen
Modus, mit den Spannungen fertig zu werden. Vom Grundgefüge geht jedoch eine Unterminierungsarbeit aus, die solche Brücken gelegentlich zum Einsturz bringt.
Gemäß dem STIER-Aszendenten waren die persönlichen
Reaktionen stets privat geblieben. Im selben Zeichen steht
Mars, dies gilt als friedfertigste Art der Aktivität, wenn
nicht aufeinandergesetzte Reize eine richtungslose Panik
hervorrufen. Saturn in SKORPION dem gegenüber bezeichnet eine hochgradige Affizierbarkeit durch grausames,
das Menschenbild entstellendes Umweltsgeschehen. Zwar
können solche Eindrücke sich einkapseln, notgedrungen
entsteht dann stumpfe Kontaktlosigkeit, doch das erweckte
Gefühl für ein „Du“ rührt an diese Komplexe. Als harmonisierenden Punkt der genannten Oppositionsachse treffen
wir nun die Sonne in FISCHE an, im Zeichen der universellen Liebe; zur Wahrung dieses Menschenbildes können
wir uns von da ausgehend eine Verdrängung denken (wofür
auch das 12. Feld spricht), ein das Peinliche abblendendes
Vergessen. Der andere harmonisierende Punkt ist Jupiter in
STEINBOCK, er vertritt im 9. Feld als obersten Wert die
Absolutforderung höherer Gerechtigkeit, befindet sich in
Opposition zu Pluto im 3. Feld, der drastischen Belehrung
vom Gegenteil. Sonne und Jupiter stehen in Quincunxaspekten zum Mond, Symbol des Gemüts, das analog LÖWE emotional in vollen Zügen aufleben möchte, dem 5.
62
Feld und der Neptunkonjunktion entsprechend im Liebesrausch.
Im Augenblick da unser Mann, lange erduldete Härten
abschüttelnd, endlich in sein privates Wunschleben eintreten
will, überfällt ihn das Unerledigte, die kollektiv beherrschte
Vergangenheit, mit einem mahnenden Hinweis. Wir fragen
das Kosmogramm: wie ist er überhaupt mit dem Kollektiv
verbunden? Unter dem Horizont, wo es um Persönlichkeit
und Eigenleben geht, steht außer Pluto und Mars (der ins
Unbewußte gesunkenen eigenen Aggression) nur der Mond
zwischen Neptun und dem aufsteigenden Mondknoten (vgl.
Bd. III, S. 433 = Einstieg in die Welt unbewußter Gefühle
und bildhafter Assoziationen). Traumumwobene schwärmerische Liebeserwartung steht damit dissonant verspannt zur
Achse des Streits und der Härte (Mars-Saturn). Quadraturen
in fixen Zeichen sind von beharrlicher Wiederkehr bis sie
gelöst werden. Das den Seelenfrieden Bedrohende will ausgestoßen sein, bevor das Gefühl zur Hingabe frei wird. Das
schwache Halbsextil von. Mond zu Pluto, als Symbol überwertiger Energie im inneren Zusammenhang mit dem Marsischen; bietet ein maskiertes Bild, die „Gewehrnummer“,
als spannungslösendes Motiv an.
Bei diesem Beispiel wie bei allen übrigen verwechsle
man astrologische Erklärung nicht mit astrologischer Determination. Ein Mann mit demselben Geburtsbild hätte
vielleicht zur gleichen Zeit geheiratet, auch bei ihm kam
vielleicht wie im vorliegenden Fall eine Mutterbindung,
analog den Quadraturen von Mond zu Mars und Saturn,
hemmend hinzu. Doch die Entsprechung des inneren Zustandes war einmalig. Daß die Störung sich so zuspitzte und
im abseitigen Einfall mit der Gewehrnummer ihren Ausdruck fand, war vom Okkupiertsein durch die Soldatenzeit
geprägt und hatte Bezug auf das Kollektivgeschehen. Hiermit griff ein allgemeines Schicksal in das individuelle
Schicksal ein. In den Punkten „Saturn“ und „Jupiter“ war
die Struktur mit der Gemeinschaft verklammert. Die Persönlichkeit mußte nun diesen beiden Faktoren gemäß grausame Umweltserfahrungen und eigene Gerechtigkeitsforde63
rung zusammen verarbeiten. Der Jupiter gegenüberstehende
Pluto, Energie also, die im gestörten Gleichgewichtszustand
nicht mehr unterzubringen war, löste eine radikale Entwicklungskrise aus.
Assoziationen gaben bei dieser seelischen Bereinigung
des Vorfelds der Ehe noch genauere Lotung. Zu „Nummer“
fiel dem Manne ein, daß dies der despektierliche Soldatenausdruck für Koitus war. Das Gewehr ist bekannt als Sexualsymbol; darüber hinaus und hier an erster Stelle symbolisiert es den Krieg, den Hintergrund der letztvergangenen
Jahre. Jene Sexualbedeutung weist hin auf einige der Heirat
vorausgegangene Bedenken, ob es die richtige Frau oder nur
eine Geschlechtsperson sei, ob etwa die Partnerwahl lediglich vom Trieb bestimmt war und der entscheidende Schritt
mit ganzer Überzeugung gewagt werden dürfe. Abgesehen
von der ethischen Frage entsprechen solche rückversichernden Ängste aber auch der mit Saturn am Deszendenten verbundenen Kontaktscheu. Analog der Opposition des Mars
bedurfte es eines gewaltsamen Rucks, sie zu überwinden;
stets bei Spannung von Mars zu Saturn hat der Unternehmungsgeist an derartigen Wendepunkten einen Widerstand
zu brechen, dem Wagnis geht eine Beklemmung voraus,
befreiend wirkt der Durchbruch.
Das Auftauchen eines „Mars“-Symptoms im entscheidenden Augenblick ist von bestimmter Bedeutung. Auch
wenn Mars am Aszendenten steht, strebt schon das marsische Triebbegehren über den Bereich der eigenen Person
hinaus. Dieses „über sich hinaus“ verlangt dem Jupiter-trigon entsprechend in den Auftrieb zu Höherem verwandelt zu werden, im Konflikt mit dem selbstgenüßlichen „den
anderen nur für sich wollen“, wie es bei Mars in STIER
nahe liegt. Der Mann sah den Beginn der Ehe als Einstieg in
eine höhere Lebensform an. Die aktive Entäußerung reißt
am ganzen Gewebe der Marsbeziehungen. Das Sextil zur
Sonne in FISCHE bringt Selbstüberzeugung erst bei Ausweitung ins Selbstlose. Anderseits will Mond in LÖWE
vital leben und leben lassen, gleichzeitig in Mars- und
Saturnaspekten bedeutet er eine von aggressiven Impulsen
64
und depressiven Stimmungen umhergeworfene Seelenlage,
sozusagen pathische Weiblichkeit mit maskulinen Einstreuungen. Noch dazu bei der Neptunkonjunktion, - Wunsch
nach Erlösung im Lebensrausch - ist Maßhalten hier schwer.
Geht vom inferioren Saturn nur ein glattes „Nein“ gegen
die privaten Antriebe und Wünsche aus, so behebt sich dies
mit superioren Entsprechungen bei der Auswertung seiner
Aspekte zu Jupiter und Sonne, dem Erreichen eines Weltstandpunkts, worin sich der Wesenskern bei bescheidenem
äußerem Ehrgeiz innerlich den Vorgängen einer Menschheitswende eingeordnet weiß. Dies verstanden und verwirklicht zu haben war der Sinn des absonderlichen Einfalls.
Dergleichen gibt die Geburtsanlage nur als Problem mit, das
Ergebnis bei so ineinander verschränkten Strebungen hängt
vom selbstbestimmenden Faktor ab. Der Anblick zerstörerischer Folgen des Krieges konnte ebensogut zu Verboten
eigener Tatenlust und zur Askese führen, bei anderem Niveau wieder zu trotzig entfachter Aggression, Haß und Tötungstrieb. Der Heilige und der Verbrecher stehen nicht im
Kosmogramm.
Am besonderen Fall zeigt sich Allgemeines. Ein Schlag
trifft gelegentlich etwas ganz anderes als den Anlaß der Erregung, hier wurde die Braut unschuldigerweise zum Opfer
einer Inkonsequenz des Bräutigams, wenigstens für den Augenblick, der ihr großer Tag war. Das Marsische läuft häufig auf Bahnen psychischer Übertragung, die an sich als
mondhaft gilt (vgl. Bd. I, S. 122). Mit den Umleitungen der
Triebenergie hat uns die Psychoanalyse bekannt gemacht,
obenan steht der Ödipus-Komplex, eine personbezogene
Mond-Entsprechung. Ungeachtet vieler dies bestätigender
Beobachtungen legt sich die Entsprechungslehre nicht fest
auf einen dynamischen Schematismus. Bei Mars- und
Mond-Dissonanzen müssen wir auch andere Entsprechungen in Betracht ziehen. Direkteste Verbindung ist der
Aspekt selber (in der Analyse eher gesteigerte als abgeschwächte Leidenschaftlichkeit), doch nicht die einzige. Es
gibt indirekte Verbindungen, etwa Mars im Mondzeichen
KREBS (dann ist die Stellung des Dispositors Mond mit zu
65
untersuchen), ferner eine Gleichrichtung durch Stellung von
Mars und Mond im selben Feld (auch ohne Konjunktion),
schließlich Mars und Mond jeder an einem Eckpunkt (in
sog. mundaner Quadratur). All dies begünstigt die Übertragung von Affekten oder Antrieben von den Ursprüngen zu
Ersatzzielen.
Wie steht es denn mit der Aggression, wenn Antrieb und
aktives Interesse überhaupt zu mangeln scheinen? Mars
fehlt zwar in keinem Geburtsbild als Anlagenkomponente,
marsisch ist jedes Herangehen an eine Sache, jeder irgendeine Materie bearbeitende Zugriff. Aggression hat aber auch
die Form der Selbstsabotage, dann ist man selber das Objekt
des eigenen zerstörerischen oder drosselnden Griffs (vgl. S.
210). Was die Vulgärastrologie oft als Indolent und Faulheit
beschreibt, sieht in der astrologischen Menschenkunde anders aus, wenn sie zu den Gründen eines Verhaltens vordringt. Freilich gibt es angeborene Neigungen zur Bequemlichkeit, häufiger jedoch Unterbindung der persönlichen
Energie, Mißleitung durch äußeren Zwang oder falsche
Vergleiche, Unklarheit über das, was zu tun förderlich wäre.
Auch im eben gebrachten Beispiel sahen wir diese Gefahr
im dissonanten Aspekt zwischen Mars und Saturn. Bei Saturn ist immer wichtig, welche Entsprechungen dafür sich in
der Individualgeschichte herausgebildet haben. Wozu man
Lust hat, sagt nicht alles, da es Teilreaktion in einem gewordenen Zustand ist, ausweichende Genüsse betreffen oder
auch die makabre Lust der Selbstzerstörung sein kann. Aufbaufähiges steckt jedoch hinter angeborenen oder erworbenen Hemmungen, zuzugreifen, vor allem bei Umleitung
des von außen her gestörten Eigenrhythmus.
Wie eine solche Störung des Eigenrhythmus aussehen
kann, sei vorgeführt am abgebildeten Auszug aus einer Geburtskonstellation. Saturn beim Mars, zumal im fixen Erdzeichen, symbolisiert eine schon angeborene Hemmung, zuzugreifen; die Aktivität kann aber entschieden, fast grob
herauskommen, wenn der Instinkt des persönlichen Soseins
spricht, eine Handlung damit vereinbar ist und persönlichen
Vorteil bringt. Im vorliegenden Fall nun muß sich fast un66
abweislich eine komplexhafte Erschwernis ergeben, wenn
aus der unmittelbaren Lebensgemeinschaft, besonders von
väterlicher Seite her (die beiden Vatersymbole befinden sich
in Quadratur), störend in dies Sosein eingegriffen wird. Dies
kann in bester Absicht geschehen. Die Sonne steht in enger
Konjunktion mit Merkur, beide in WASSERMANN, nahe
dem Deszendenten, was auf eine Stilisierung aus rationalen
Gründen deutet. Außerdem stand der hier nicht aufgezeichnete Mond in Opposition zum Schnittpunkt zwischen dem
angegebenen Uranus und dem in 11 Grad ZWILLINGE
nachfolgenden Jupiter; ein solcher Eingriff konnte in der
Kindheit geschehen sein.
Diese Konstellation fand sich bei einer Sprachlehrerin in
militäramtlicher Stellung (Englisch-Unterricht bei Fliegern),
gut aussehend und in ihrem Beruf nicht ohne Erfolg. Sie
beklagte sich über völligen Mangel an Energie, Gefühl des
Verlorenseins, Leere an produktiven Vorstellungen und dem
Wunsch, irgend etwas anderes zu tun, doch kämpfend um
ihre Freiheit. Hat sie eine freie Stunde und könnte sie über
sich bestimmen, so verfällt sie aber in Depression. All dies
entspricht den konstellativen Voraussetzungen. Die zwangshafte Apathie deutet auf ein Jugendtrauma. Die Anamnese
ergab: von Geburt an Linkshänder, wurde das Mädchen wi67
der Willen gezwungen, rechts schreiben zu lernen und überhaupt „wie alle anderen“ sich zu bewegen. Diese Überwältigung durch gleichmacherische Umwelt, wobei der Vater
wohl eine üble Rolle spielte, hat den Eigenrhythmus grundlegend gestört. Heute kann sie links nicht mehr schreiben.
Doch die Aktivität ist nur eingekapselt, nicht ausgelöscht,
Mars Quadrat Sonne bedeutet eine bleibende Spannung
zwischen zwei Antriebssymbolen. Ihr krankhafter Zustand
betreibt Selbstsabotage. Therapeutischer Vorschlag: mit
beiden Händen in feuchtem Ton oder Plastilin modellieren,
vorbildlos, nur dem eigenen Geschmack und Formgefühl
folgend; damit würde der Eigenrhythmus in einem dem
STIER-Prinzip entsprechenden Material wieder zur Geltung
gebracht. Die Beschäftigung mit Plastik, einer Saturnentsprechung, fördert den gestaltenden Griff, die Marsentsprechung; die Stellung von Uranus am Ende der Dreierkonjunktion läßt einen plötzlichen Umschwung und Ausweg
aus der Krise erhoffen.
Ungeachtet derartiger Spezifizierungen muß man immer
den ganzen Spannungshaushalt überschauen, um zu beurteilen, auf welche Art und mit welcher Wucht sich die aktiven
Impulse am „Mars-Ort“ entladen. Der Spannungshaushalt
geht aus der Gesamtaspektierung hervor (vgl. Bd. I, S. 278
bis 282). Mit spricht natürlich, welchen Abfluß an Energie
die soziale Umwelt ermöglicht oder versperrt, für nicht unterzubringende Überschüsse kommt Pluto in Betracht. Erlebte Ohnmacht steigert entweder Wunschkraft oder
Aggression. Ersehen wir zwar aus Mars eine kämpferische
Tendenz, so besagt dies keineswegs, daß es immer Kampf
um Selbstbehauptung sei; es kann auch selbstschädigende,
aufreibende Verausgabung, eine Pflichtarbeit oder ein
Kampf für Ideale sein. Außer durch Betrachtung von
Aspekten und Tierkreiszeichen vertieft sich das Urteil darüber aus der Feldstellung des Mars, der Frage: woher rührt
die Aktivität und wohin zielt sie? Der bei Nietzsche, Freud
und anderen kulminierende Mars zeigt einen nach außen
sich entladenden inneren Überdruck. Bei mondhafter Liqui68
dität der Gefühle nimmt man es mit den Opfern nicht so genau; dann entsteht etwa der Mann, der zuhause Geschirr
zerschlägt weil er dem Chef, dem Anlaßgeber seines Zorns,
nicht entschieden genug entgegentrat. Solch „Abreagieren
am bequemsten Objekt“ gehört zur Problematik besonders
der Wasserzeichen.
Etwas anderes als die „heißen“ Mars-Sünden ist Sadismus: saturnisch gekühlt, gehärtet und eingeengt, mit verstopften Ventilen, niveaubezogen. Keinesfalls genügt das
Zeichen SKORPION, dem man traditionell eine sadistische
Ader zuschreibt. Die Herausbildung des Sadismus (nicht
ohne masochistischen Gegenschlag in anderer Hinsicht)
wird in diesem Zeichen der Krisis menschlicher Beziehungen zwar insofern gefördert, als darin Fremdanspruch besonders spürbar ist und abgeschüttelt sein will. Diese
Allergie, die typische SKORPION-Verletzlichkeit, steigert
mit beibehaltenem Egoismus die natürlichen Ichtriebe zur
Ichsucht, die Verletzungen rächt. Ist aber das Niveau (Aussagegrenze!) so beschaffen, dann steht etwa STEINBOCK
dem nichts nach. Die Lust am Quälen bekommt bei diesem
Zeichen mehr nachdrückliche Härte als affektive Schärfe,
oft verdeckt, indem man sie einkleidet in Strafpunkte und
Nachweis von Unzulänglichkeiten vom Standpunkt der Kirchenmoral, Amtsgesinnung, Parteidisziplin, STEINBOCK
braucht den rechtfertigenden Schein. Verschiedene Stilformen produzieren also verschiedene Formen des Sadismus.
Spannungsaspekte des Mars, die auf willkürliche Einmischung und aggressive Übergriffe deuten, wollen als Aktionsprobleme begriffen sein. (Die Ausführungen im III.
Band durch eigene Beobachtung ergänzen!). Energie und
Widerstand bei Mars-Saturn kann auch Triebabwehr heißen;
die aktive Entäußerung zielt nicht immer auf einen umweltlichen Tatbestand, gelegentlich katapultiert die Spannung
den Ursprungsherd eigener Wünsche, schlägt Schranken
setzend nach innen (pathologisch: Verdrängung, Komplexbildung). Aktivität und Urteilskraft bei Mars-Merkur kann
Auseinandersetzung zwischen organischem Impuls und Begrifflichkeit sein (bei niederem Niveau: Verbindung von
69
Gewalt und List). Trieb und Eigenwille bei Mars-Sonne ruft
gegebenenfalls den Konflikt zwischen Tatreiz und zentralen
Wert hervor (Problem: nicht einheitlich, ganz und ungestört
dem Wesenswichtigen nachgehen zu können). Gewalt und
Bereitschaft bei Mars-Venus ergibt vielleicht Entschärfung
des Leistungswillens (Ablenkung durch beiläufige Lustmotive). Mut und Leidenschaft bei Mars-Mond kann ein
Schlag ins Wasser werden (psychisch bedingt, die Wellen
wirken sich anderwärts aus). Leistung und Ertrag bei MarsJupiter bringt möglicherweise Zerstörung der Früchte produktiver Arbeit oder spitzt den Meinungskampf zur Frage
der Macht oder des Rechts zu (inferior: eine Sache nicht
ausreifen lassen, Streitlust aus Rechthaberei.
Sowohl Zynismen als Bosheiten beruhen meist auf fehlgeleiteter Aktivität. Bei Marsaspekten ist stets zu ermitteln,
an welchem Punkt die Energie ansetzt und zu suchen, wo
sie richtig am Platz wäre, wohin die Spannung segensreich
abfließt. Darin liegt, wodurch der Antrieb gebremst bzw. ob
er abgebogen, wodurch er korrigiert bzw. gefördert wird.
Genaue Definition der Grundkonflikte hilft, Aggressivität
zu überwinden.
Wie schon der Fall des heimgekehrten Soldaten zeigt, ist
zum Urteil auch immer der Gegensatz von Mars und Venus
heranzuziehen. Im geschilderten Fall faßte sich die direkte
und übertragene Form des Venushaften zusammen, die Eheentscheidung löste eine sozialgeschichtlich begründete Problematik aus. Konstellativer Mars-Ort war die Stellung im
Venuszeichen STIER am Aszendenten: persönliches
Gleichgewicht und seine Störung.
Gesagt wurde ferner, erlebte Ohnmacht steigere entweder
Wunschkraft oder Aggression. Das letztere berührt heutige
Erscheinungen des Terrorismus in der bekannten Erklärung,
daß erziehungsmäßig durch Tabus und Verbote gebändigte
Ur-Aggressivität einen gesellschaftlich legitimierten Ausweg sucht. Der Attentäter kann sich sozialrevolutionär vorkommen, wenn die Spannung unerkannter Härter., Zwänge,
Versagungen sich einkleidet in gesellschaftliche Ideale, die
anscheinend nur mit blutiger Gewalt verwirklicht werden
70
können. Der Mechanismus solcher Vorgänge wird richtig
gesehen, wenn Aggression der Aktivität gleichzusetzen und
diese nicht wandelbar ist. Derartige psychologische Erklärungen werden aber gefährlich bei Verallgemeinerung
sämtlicher Einschränkungen, wenn stereotyp die Ursache
der Gewalttat auf das „reaktionäre Establishment“ geschoben wird. Sieht man in Aggression und Aktivität verschiedengradige Entsprechungen des Marsischen, dann liegt die
Heilung peripherer Mißstände, die immer vom zentralen,
dem Oberbegriff auszugehen hat, in richtiger Auswirkung
der Aktivität.
Privat und sozial bedeutet hier zwei verschiedene Dimensionen. In der unteren Hälfte des Felderkreises markieren sich Marsspannungen als private Verwicklungen und
Ansporne der Aktivität, ihre Auswirkung würde verfälscht,
wenn mit einer sozialen Ideologie zugedeckt. In der oberen
Kreishälfte sind gemeinschaftliche und gesellschaftliche
Aktivität, auch kämpferischer Einsatz, anlageecht. Doch
betrifft dies nur Auswirkungsgebiete, die Gesinnung steht
nicht im Kosmogramm. In den oberen Quadranten kann
ebenso private Gesinnung sich Güter aneignen, wie umgekehrt soziale Gesinnung das Persönliche der unteren Quadranten entstellt, zurechtschneidet, einengt. Nur über Stil
und Grundproblematik der Energie kann etwas gesagt werden, der inhaltliche Einsatz und somit die Anwendungsform
liegen jenseits der Aussagegrenze.
Die verschlingende Mutter
Die Märchen erzählen von der bösen Stiefmutter und der
kinderfressenden Hexe, aus der tiefenpsychologischen Maltherapie kennen wir die Greuelbilder der „Großen Mutter“,
nämlich die Gebärerin in derjenigen Eigenschaft, mit der sie
das Herausgeborene wieder sich einverleiben möchte. In
Urzeitmythen hören wir von grauenhaften Kämpfen, etwa
des Marduk gegen Tiâmat, die ihn verschlingen wollende
71
Urmutter, dem Chaos gleichgesetzt. Psychologen sprechen
etwas lieblos von einem dem weiblichen Geschlecht eigenen Verschlingungstrieb - schon genital begründet -, obzwar
auch ein Mann eine Frau zum Fressen gern haben kann. Das
Spinnenweibchen tut es tatsächlich, der „Vamp“ unserer
Romane und Filme verzehrt mehr symbolisch und mit Nebentönen, die dieser eigentlich urtümlichen Figur zum abgestuften Selbstbewußtsein verhelfen.
Zum Lebensatem gehört der gleichmäßige Wechsel von
Ein und Aus, Spannung und Entspannung. Vereinseitigungen gelten als krankhaft. Die Ansaugetendenz mag vermehrt
auf diejenigen Frauen zutreffen, in. deren Leben die männlich-weibliche Polarität zu ungleichen Rechten besteht, und
wahrscheinlich neigt die Frau leibseelisch bedingt zum Einbehalten des ihr Liebsten. Anstatt nur die egoistische Note
des „Verschlingens“ zu sehen, sollte man auch die seelische
Assimilation begreifen, vor allem im abstandslosen Beteiligtsein an den leiblichen Kindern; es bringt eine Mutter gegebenenfalls über Konflikte hinweg, die ein verinselter
Mensch sich garnicht antun würde. Mutterschaft in allem,
auch in übertragenen Formen - beim künstlerischen Werk
etwa - schließt mehr als einmalige physische Schmerzen
ein. Wenn Mutter und Kind sich nicht mehr verstehen und
dieses sich losreißen will, bereitet ihm der mütterliche Leidenston erhöhte Schwierigkeiten. In astrologischen Symbolen gesehen, macht „Mond“ durch Gefühlsverbundenheit
möglich, was kalte „Saturn“-Pflicht nicht zustande brächte.
Nicht nur werden Negationen dabei seelisch überwunden,
sondern die unmittelbare Zuwendung kann etwas ursprünglich nicht Vorhandenes und außerhalb des intellektuellen
Gesichtskreises Liegendes aufschließen.
Daß wir eine Mutter haben, ist normalerweise unsere erste Erfahrung und wer keine leibliche Mutter im Bewußtsein
weiß, bedurfte als Säugling doch der mütterlichen Umsorgung. Mütterlichkeit ist ein Prinzip. Hier knüpft die
astrologische Bedeutung von Mond an, wobei natürlich der
Geschlechtsunterschied in Rechnung zu ziehen ist. Dies
mütterliche Symbol zeigt bei der Frau eine leiblich bedingte
72
und präformierte Seelenlage an, demgemäß den urweiblichen Wunsch nach Mutterschaft, beim Mann entsprechend
der Herkunft aus dem Mutterschoß das Verhältnis zur „Geburtshöhle“. Abgesehen von Übertragungen (Höhlenvisionen, Unterschlupf) symbolisiert Mond im männlichen Kosmogramm zunächst die Beziehung zur eigenen Mutter und
zur mütterlichen Komponente im weiblichen Seelenleben.
Frobenius stellt Höhlen ausgestaltende Kulturen den phallischen, turmbauenden gegenüber - es ist eine Ursymbolik.
Vieldeutig, wie solche Symbole sind, bedeutet Mond zugleich die Gebärende und das Herausgeborene, dessen von
ihr abhängigen Zustand. Demnach drückt sich in der Mondstellung bei jedem die früheste Kindheit aus, sowie auch
spätere kindliche Lockerung, Aufnahme- und Anregungsbereitschaft, den Geborgenheitswunsch mit seinem Zurückstreben zum Säuglingsparadies. Zu dieser Quelle infantiler
Haltungen gehört der Wunsch nach reibungs- und verantwortungsloser Befriedigung von Bedürfnissen, aber auch
die Furcht vor Übermacht, vor seelischer Beschlagnahme,
Eingeschlucktwerden des Individuellen von undurchschaubaren Strömungen, und wiederum sich Loslassenwollen in
rauschhafte Hingabe an irrationales „bloßes Lebens.
Rein seelisch kann auch die Gruppe, durch die man herangebildet wird, eine Art Mutterfunktion übernehmen (psychoanalytisch erstmals beschrieben von Walter Schindler),
kann jemanden im Selbstverständnis stärken oder krankmachen. Dementsprechend gibt es eine infantile Konfliktlage durch „nicht Angenommensein“. Die häufige Grausamkeit von Mitschülern, Internatszöglingen untereinander,
Stubenkameraden in der Kaserne, Arbeitskollegen usw. hilft
allerdings robusten Außenseitern, solche Schwächen überwinden zu lernen, indem sie „abgebrüht“ werden. Im Verhältnis zur leiblichen Mutter jedoch liegt ein Abhängigkeitsverhältnis schon in der Substanz.
Verständigungen im engeren oder weiteren Mutterbereich
erfolgen mehr in Form emotionalen Austauschs und averbaler Mitteilung, als logisch beschreibend. Lebendige Funktionen werden ja durch Signale ausgelöst, darin gründet die
73
Bildbeziehung des Mondhaften. Bei solchen instinktnahen
Vorgängen liegt Exaktheit, das heißt nicht ersetzt werden
können durch etwas anderes, in dem, was durch ein Bild
oder einen vorgeprägten Vergleich geweckt wird. Der Eigenwert bekundet sich im empfänglich Mondhaften als Gefühlsreaktion, sonnenhaft dagegen ist die Überzeugung,
„das könnte kein anderer an meiner Stelle tun“. Dies passive
Selbstwertgefühl des Mondhaften kommt dem schon erwähnten Bestreben, die Persönlichkeit in Funktionen aufzulösen, entgegen und strudelt den Menschen in Minderwertigkeitsgefühle hinein, statt ihm herauszuhelfen. Zur
Überwindung gelangt er, indem er die prägnant charakterbildenden Wesenskräfte als eigene erkennt. Vom Mondhaften wird dies synthetische Bemühen nur gefühls- und stimmungsmäßig unterstützt, doch die naive Einheit stellt sich
immer wieder her, wie Wasser nach jedem Einwurf erneut
zusammenschlägt.
So viel Bedeutungen, so viel Entsprechungen. Als unerläßliche Wesenskomponente will auch „Mond“ richtig gelebt werden. Wer vor abstrakten Begriffen mit dem Leben
nicht zurecht kommt, rufe wie im Grimm-Märchen „Arwackers herut“ und die Gnomen im Dienst der Erdmutter,
die meist unbeachteten kleinen seelischen Potenzen und
Ausgleichskräfte des Lebens-Untergrundes, werden ihm
helfen. Ähnliches verkörperten die antiken Laren und Kabiren, jedes in seinem Bereich. Dies Prinzip braucht Kontakthalten mit jungem Leben, mit dem Werdenden. Natur,
im schöpferischen Wesen erfaßt, bringt ihm Nahrung, natura naturans in Goethes Worten: „Sie schafft ewig neue
Gestalten; was da ist, war noch nie, was war, kommt nicht
wieder; alles ist neu und doch immer das Alte“. Darin sehe
man jedoch das Umschlungen-, nicht so das Verschlungenwerden. Seelisch Unbeschwertes und vom Rhythmus
Durchschwungenes, mehr vom vegetativen Nervensystem
als zerebral gesteuert, bevorzugt, wenn sportlich eingesetzt,
gesamtorganische Betätigungen in Anpassung an ein Medium (Segeln, Rudern, Schwimmen). Naivität in herzerquickender Frische gibt sich dem Neuen hin auch wo es un74
verständlich ist. Bei Kindern findet sich eine Art von Neugier wie bei Tieren: Eindrucksbereitschaft greift unter die
zweckliche Auslese, das Aufmerken wird auf Erscheinungen gelenkt, die weder nutzbringend noch logisch vorbedacht sind. Darin bedingte unsentimentale Beobachtungsgabe läßt etwa Kinder den Zauberkünstlern scharf auf die
Finger sehen. Das von Zusätzen freie Mondelement repräsentiert eine weltoffene Seelenhaltung, „sich Volltrinken
was die Wimper hält“.
Um jenes unnatürliche, egozentrisch zwangshafte „Verschlingen“ richtig zu verstehen, wird etwas Theorie des Zusammenspiels der Wesenskräfte nötig.
Mond ist dasjenige Element der Individualisierung, das
naiv oder bewußt über den Gegensätzen steht (vgl. Bd. I, S.
78). Die kosmologische Welt- und Lebensschau, wie an der
Elementarordnung vermittelt, bewegt sich in der Betrachtungsart außerhalb des Raumzeitlichen. Dabei geht es
nicht um einen geschichtlichen Anfang, wenn wir vom Primat sprechen, sondern um einen Rang und Stellenwert in
den Gegenseitigkeitsbeziehungen der Grundkräfte, das vermittelnde „Fluidum“. In Anlehnung an frühe Mythen und
Trauminhalte entstand eine psychologische Deutung der
Urmutter, begriffen als archaischer Zustand, bei welchem
das Männliche einen inhärenten Bestandteil des Weiblichen
bildet.* So fragwürdig als Behauptung eines geschichtlichen
Anfangs, steht berechtigend dahinter der androgyne Charakter der reinen Funktion vor der Spaltung in Gegensatz*
Das arché des Johannesevangeliums wird meist als zeitlicher Anfang mißverstanden, nicht als kosmisches Primat gedeutet. Auch Erich Neumann irr „Ursprungsgeschichte des Bewußtseins“ gelingt es nicht, das raumzeitliche Schema
ganz abzuwerfen. Zwar sagt er: „Der Frühzustand des völligen Enthaltenseins meint
nicht einen historischen Zustand der Menschheit (noch Rousseau hat diese seelische
Phase in die Vergangenheit projiziert in den ,Naturzustand‘ der Wilden). Es handelt
sich hier um das Bild eines seelischen Stadiums der Menschheit, das als Grenzbild
gerade noch sichtbar wird.“ Der Vergleich mit der vorgeburtlichen Zeit jedes Kindes
nötigt Neumann jedoch Sätze auf, wie: „Die Zeit des Anfangs, der Vollkommenheit,
vor dem Entstehen der Gegensätze, ist als die Selbstbeschreibung der großen Weltzeit zu verstehen.“ Richtig sieht er im Symbol des Uroboros den ursprünglichen
Kreislauf, das unverletzliche Runde des Geschehens vor dem Auftreten von Leben
und Tod, Tag und Nacht, gestern und morgen.
75
paare (im Schema die alles überdachende, an allem teilhabende Funktion, Oberbegriff des Mondhaften; mythololisch
der Uroboros, die kreisend sich in den Schwanz beißende
Schlange). Das mythisch Erste gilt als Primat der Elementarordnung. Verwechselt man dies mit einem geschichtlichen
Frühzustand, so hebt man das Gewordensein charakterlicher
Verschiedenheiten zwar auf, landet jedoch im indifferenten
„Funktionalismus“. So gegründete matriarchalische Anschauungen wären ebenso unzulänglich wie die patriarchalische Auslegung der Genesis, die eine Erstrangigkeit des
männlichen principium individuationis annimmt.
Man könnte die mit Verschlingungstrieb gemeinte Haltung als Ausdruck der weiblichen Personbezüglichkeit verstehen, in Umkehrung eines gewohnten Spruchs: „Nehmen
ist seliger als Geben“, was jedoch die Kehrseite des lebensverschwenderisch Mondhaften wäre. Dies wird besonders
bei Konjunktion und analytischen Aspekten des saturnischen 'Gegenspielers deutlich: oftmals Besitzangst, seelische Verhärtung, auch komplexhaftes Festhalten existenzgründender Erlebnisse. Derartiges gilt aber unabhängig vom
Geschlecht, obzwar es im Betroffensein leiblicher Existenz
der Frau, wozu auch die Mutterschaft gehört, eine stärkere
Rolle spielen mag. Im mütterlichen Fall ist es manchmal
sozusagen eine Schutzhaltung zu Gunsten des Integrierten,
um ihm gemütsmäßig gerecht zu werden. Bei Mondkonjunktionen verschmilzt die Seelenhaltung mit dem betreffenden Planentensymbol, dessen Eigenheiten differenziert
aufgreifend als Stimmungsfaktor. Auch bei Kubin fanden
wir eine solche Konjunktion des Mondes mit Saturn (vgl. S.
48). Außer der Angst als Stimmung der Bedrohlichkeit alles
Bestehenden bezeichnet dies bei ihm als „mütterlich“ die
Obsorge für sein Werk, das sorgfältige Aufbewahren in einem eigens dafür gebauten Regal.
Auf jede Sache bezogen bedeutet Mond die empfängliche
Passivität des Gemüts, die darin erlangte jugendliche Elastizität, auch das „Kind im Manne“ und die von ihm meist als
feminin abgelehnte seelische Prägsamkeit, die C. G. Jung
als „Anima“, mehr in Projektionsform als in ihrer Matrizen76
haftigkeit, sieht. Zur Abwandlung durch Aspekt und Zeichen kommt die Stellung im Felderkreis hinzu. So kündet
Mond als Symbol der Beeindruckbarkeit am Aszendenten:
was ist nötig und erwünscht zum vollen Persönlichkeitsgefühl? Mond am MC: wie und wodurch fühle ich meine
Mission in der Welt? Mond am Deszendenten: unter welchen gefühlsmäßigen Voraussetzungen erreiche ich Kontakt
mit anderen? Mond im IC: wo wurzle ich gefühlsmäßig, in
welcher Atmosphäre fühle ich mich heimisch? Diese kardinalen Inhalte klingen aus in den mit den Eckpunkten angeschnittenen Quadranten.
In irgend einer Art tendiert das Mondhafte ferner zu Variation und serieller Abwandlung, sei es (je nach Quadrantenstellung) weltweite Öffentlichkeit oder Grundgefühl
des Eigenlebens, ich- oder dubezüglich ausgewirkt. Mit anderen Worten: der Eindruck wird erneut von immer wieder
anderen Seiten aufgegriffen, die Tätigkeit wechselt mit der
Stimmung, im Abfangen von Anregungen kommt die Kindlichkeit in uns zur Geltung. Anderseits ist jeder psychisch
gewissermaßen Mutter seiner selbst, indem er auf keimendes Leben in Obhut nimmt, weshalb man gelegentlich
spontane Äußerungen zurückhält, damit eine noch verborgene Stellungnahme ausreifen kann. Man beachte den
Unterschied zur saturnischen Verdrängung, die mondhafte
Scheu bleibt lebendige Funktion.
Komplexhaftes Beisichbehalten und nicht Freigebenwollen geht also über das Mondhafte hinaus. Es ist keine spezifisch weibliche Eigentümlichkeit, vielmehr eine besondere
Abart des Egozentrismus. Dispositionell kann es verschiedentlich angezeigt sein, etwa durch Sonne am Aszendenten,
Mond Konjunktion Saturn, auch starke JUNGFRAU-Betonung und anderes. Den Ausschlag gibt aber ein Entwicklungsmanko, es ist im Grunde eine typenhafte Rudimentärform, ein „Steckengebliebensein“: die freie Gegenseitigkeit von Mensch zu Mensch blieb unausgebildet, verkümmert ist die gerechte Anerkennung des anderen in seinem
Anderssein. Im weiblichen Falle begünstigt dann vielleicht
die Organverfassung den Rückschlag auf eine matriarchale
77
Lebenseinstellung, der Mann und insbesondere der eigene
Sohn wird in Abhängigkeit gehalten. Dies ergibt die vielberufene Mutterbindung und auch mit dem Ödipuskomplex
hat es beim Mann auf der Triebstufe etwas auf sich, so wenig seine Bedeutung überspannt werden darf.* Hierfür ist die
Stellung des Triebsymbols, Mars, von Belang, besonders
beachtenswert ist seine Konjunktion mit Mond (vgl. die
Konstellation Strindbergs, Bd. III, S. 436).
Nicht alle Mütter besitzen so viel Abstand zum Sohn und
den witzigen Charme jener Wienerin, die am Südbahnhof
ihren Peppi, der wie alle STEINBOCK-Betonten der öffentlichen Zärtlichkeit beim Abschied ausweichen wollte,
ermunterte: „Geh, gib mir halt a Ödi-Busserl!“ Den Gegenfall erlebte ich bei einem anderen Wiener, von Beruf
Sprachlehrer, Mitte 30 und noch unverheiratet. Er reiste
mindestens alle Jahre nach Graz zu seiner Mutter und entfaltete eine Liste: „Da kenn ich jetzt wieder ein Mäderl.
Links habe ich mir die Tugenden, rechts die Untugenden
angemerkt und schau, es geht sich grad aus. Entscheide du,
ob ich sie heiraten soll.“ Dieser STIER-Betonte blieb zeitlebens an seiner Mutter hängen, denn die KREBS-betonte
Mutter hatte stets derart viel an dem Projekt auszusetzen,
daß der Sohn das Risiko nicht einging.
Doch solche Haltungen liegen am Entwicklungsgrad. Individualgeschichtliches bedingte das Auswerten astrologischer Dispositionen, man kann es nicht aus letzteren folgern. Wie die Dinge noch stehen, wird es für die meisten
Mütter zum Konflikt, ihren Liebling abzuhalftern, ihn zu
anderen Frauen zu schicken und überhaupt die Kinder in der
Pubertät sich psychisch abnabeln zu lassen. Nach dem
Flüggewerden, wenn die Kinder fortgegangen sind, entsteht
das bekannte seelische Vakuum; es bekommt einen quälen*
Im griechischen Mythos wird Ödipus von dem durch einen Orakelspruch geängstigten Vater ausgesetzt, zufällig durch einen Hirten gerettet, erwachsen tötet er
unwissentlich den Vater und heiratet die Mutter. In der Psychoanalyse dient dies als
Bild für den geheimen Triebwunsch, sich an die Stelle des Vaters zu setzen. Die
Tochter in der so gesehenen Familienkonstellation setzt sich an die Stelle der Mutter.
78
den Gehalt dadurch, daß der bisherige Sinn des Lebens
verloren ging und ein neuer ausblieb. Was den Kindern zuvor erwünscht war, wird ihnen nun lästig. Oft wäre weitergehende Fürsorge und Aufsicht allzu berechtigt, bei der
versuchten Durchführung mögen die besten Motive vorwalten, die Sorge um das Kind wird keine Mutter los. Aber
auch echte Mutterliebe kann dem Kommenden im Wege
stehen und Gefühle, welche den Heranwachsenden ihre
Selbständigkeit rauben, sind jenes egozentrische ZurückAneignen, das nicht vertragen wird.
Es ist somit ein Problem jeder Frau und Mutter - teils niveaubedingt, teils in der Stilform, dem Zeichen, vorgegeben
-, wieweit „Mond“ in ihrem Geburtsbild ein Symbol der
Teilhabe am universellen Leben oder wieweit er vom Animalischen aus nur Signum für sublimierte Nestbau- und
Brutpflegeinstinkte ist. Für die Tochter geht es innerseelisch
mehr um Identifikation mit der Mutter, deren Inbild (Mond)
ja zugleich die eigene Gemütskomponente versinnbildlicht.
In ihrer Phase des Ungleichgewichts, der Geschlechtsreife,
gibt es häufig unterschwellige Eifersüchte, Rivalität um
Vater und Liebhaber. Das Niveaugefälle in einem und demselben Menschen kann verschiedenartige, sich widersprechende Äußerungen ergeben. Es kommt vor, daß dasselbe
Mädchen, das verstandesmäßig hochbegabt sich bescheiden
in die Aneignung beruflicher Kenntnisse hineinkniet, der
Mutter frech über den Mund fährt, um sich gegen Gefühlsbeeinflussung abzugrenzen. Damit jenes geleistet werden
kann, entschädigt sich der Impuls durch Unbeherrschtheiten
in einer Region, in welcher Vernunft wenig ausrichtet, gerade wenn eigene, der Mutter ähnliche Gefühlsregungen getroffen sind.
Weitaus turbulentere Schicksale entspringen diesem Umkreis und das „Verschlingen“ besteht oft in Handlungen, die
zum Besten des Kindes gedacht sind. Als Beispiel für den
unheilvollen Eingriff einer Mutter in die Entwicklung ihres
Sohnes sei dessen vorgelegte Geburtskonstellation betrachtet. Der für die Mutterbindung katastrophale Aspekt ist
hier Uranus Quadrat Mond. Die harmonische Beziehung
79
(synthetischer Aspekt) von Uranus zur Eroskomponente
Venus zeigt sich abgeriegelt analog der Opposition von Saturn auf Venus, deren Kontakt zum weiblichen Du vernebelt
ist mit Venus Konjunktion Neptun. Letzterer steht gleichfalls in Opposition zu Saturn, hier der hemmenden Einsperrung des Unendlichkeitssymbols FISCHE im eigenen Ich.
Mars Quadrat Sonne bedeutet eher überschärften Antrieb,
die Stellung der Sonne an der Spitze von 6 kommt der Arbeit zu gute, wenn auch körperliche Verwicklungen drohen,
und von KREBS zu WAAGE wiegt ein zu Kompensationen
geneigtes Bedürfnis nach Anlehnung vor. WAAGE als Zeichen der Marsstellung lockert die Energie, bedeutet Ansporn in Verhältnissen, die als angenehm empfunden
werden oder sonstwie eine Zugkraft ausüben, zeigt zugleich
den Sexualtrieb in „Venusfesseln“ gebunden, wobei das
Halbquadrat zwischen diesem Mars im Venuszeichen und
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Venus selber ins Gewicht fällt. Die Opposition des Saturn
trifft genau in den Schnittpunkt zwischen Venus und Neptun, deren Konjunktion ein Du in Vereinigung „irdischer
und himmlischer Liebe“ sucht. Zur Sonne steht Saturn im
Anderthalbquadrat, zu Jupiter trigonal (was befriedigende
Lösungen zur Zeit der Lebensreife in Aussicht stellt),
schwächer zum Merkur (der im 5. Felde Abhängigkeit des
Liebeslebens vom Begrifflichen anzeigt). Die starke Stellung von Saturn im 1. Felde entspricht einer Bereitschaft,
sich Dogmen unterzuordnen; zumal im Neptunzeichen FISCHE wird diese Devotion gestärkt durch Minderwertigkeitsgefühle, wenn analog Neptun mit Venus in JUNGFRAU herausgebildet im Erlebthaben „weiblicher Schliche“.
Es handelte sich um das wertgeschätzte Glied eines
Mönchsordens, einen heiter, gesprächig, intelligent eine
scheinbare Abständigkeit gegenüber allen Triebproblemen
zur Schau tragenden Pater. Nach Einbruch in das Maskenhafte dieser Haltung (Aszendent ist WASSERMANN, hier
im Sinne der Jung'schen Persona, weil anderseits KREBS
im dissonanten Fall häufig einen Nachahmungstrieb zur
Geltung bringt), auf die Frage, wodurch eine anfänglich intensive Mutterbeziehung plötzlich abriß, erfolgte eine aufgeregte Beichte. Der Halbwüchsige wurde von der Mutter
bei der Selbstbefriedigung überrascht. Trotz flehentlicher
Bitte lieferte sie ihn dem Vater aus (in psychoanalytischer
Sicht: Zustimmung Jokastes zur Aussetzung des jungen
Ödipus), der, als er abends heimkam, ein sadistisches Strafgericht veranstaltete.
Doch nicht dies war das Schlimmste und Einschneidende,
denn die väterliche Hand wurde irgendwie akzeptiert, sondern die Nachwirkung des Schocks, das komplexhaft festgelegte Gefühl eines Verrats. Eine das ganze weibliche Geschlecht umfassende Anschuldigung: gerade dann, wenn die
geängstigte Seele Zuspruch und Geborgenheit erwartet, verrät die Frau intime Geheimnisse. Der mit solchen Vorstellungen in die Enge getriebene Junge blieb von zuhause weg,
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ließ sich nachts in Kirchen einsperren, schlief dort auf einer
Bank. Später geriet er in eine homophile Phase unter ständiger Bedrängnis und Furcht vor Strafe, zur Erwartung eines
göttlichen Strafgerichts gesteigert. Endlich fand er Frieden
in einem Kloster, unterwarf sich kirchlicher Pönitenz, ging
zur Mission. Doch die seelische und nervliche Unruhe hielt
an und lebte immer wieder auf, bis Therapie den im Wesensgrund schlummernden Konflikt lösen half.
Verfehlt wäre es indes, stets der Mutter die Seelenprobleme der Kinder anzulasten. Verschlingen setzt ein Verschlungenseinwollen voraus, für das z. B. die Saturnstellung
in FISCHE, Opposition zu Venus in JUNGFRAU, eine Disposition gibt. Im Beispielsfalle wurde das Fehlende in der
„Mutter Kirche“ zu erlangen gesucht:, auch andere Institutionen können als Ausgleich dienen. Die Tiefenpsychologie lehrt, daß alles was sich im seelischen Umkreis als
wahrgenommenes Objekt manifestiert, in subjektivem Bezug zur Einzelseele steht und von da mit Bedeutung aufgeladen wird. Wie oft hört man: „ich bin schon als Kind von
der Mutter frustriert worden.“ Doch das Modewort Frustration, ungeachtet des häufigen Fehlgebrauchs, leitet sich
vom doppelgesichtigen frustra = vergeblich ab. Mißlingen
des Lebenskampfes infolge unterdrückter Anlagen kommt
nicht ohne Versagen des selbstbestimmenden Faktors zustande. Wir nennen es Infantilismus, an kindliche Entwicklungsstufen fixiert sein, wenn mangelnder persönlicher Sinn
nach Ersatzmüttern und Unterschlupf verlangt. Der Infantile
möchte noch im Säuglingsparadies leben, wo Bedürfnis und
Befriedigung kreisläufig aufgehen, ohne daß sich ein NichtIch dazwischen schiebt. Erwachsen wird man durch eigenverantwortliche Auseinandersetzung mit der Welt. Das heißt
freilich weniger ungehemmt seine Impulse äußern, seine
Triebe ausleben. Dem subjektiven Wunsch als These stellt
sich die Objektivität des Andersseins als Antithese entgegen, man wird ausgestoßen in eine unpersönliche Pflichtund Sachwelt. Dem darin Gehärteten, „saturnisch Erfahrenen“, sind die Dinge nicht mehr nur so, wie er sie zu haben
82
wünscht, im Anerkennen ihres Andersseins dringt er zur
Synthese der fundierten Selbstverwirklichung durch.
Sachlichkeit ist allerdings nicht dasselbe wie Mündigkeit.
Auch ein geschäftstüchtiger, technisch intelligenter, selbstbewußt auftretender und somit betont männlich wirkender
Mann kann infantil sein, wenn er nämlich reibungslos seiner
Umwelt angepaßt bleibend keinerlei Urteile äußert, welche
den Umständen, die ihn tragen und ernähren, grundsätzlich
widersprechen. Wir erkennen darin den „Etablierten“, den
„Konformisten“. Er bleibt irgendwie auf kleinkindlicher
Stufe und im Mutterschoß.
Versteht man die weibliche Psyche weitergehend als die
männliche determiniert durch die Leiblichkeit, so tendiert
die darin vorgegebene Haltung zu zweierlei: Begegnung mit
dem männlichen Geschlecht sowie Mutterschaft. Das erste
drückt sich horoskopisch in der Venusstellung, das zweite in
der Mondstellung aus. Was die astrologische Tradition an
fruchtbaren und unfruchtbaren Zeichen angibt, betrifft sowohl eine leibliche Konstitution als auch deren seelische
Spiegelung, hauptsächlich im Mondstand angezeigt. Der
Mensch als erkennendes Wesen wird davon nicht direkt berührt (auch ein Krüppel kann ja geistig; vollständig vorhanden sein), wohl aber die Gemütslager und deren Entfaltung. Als fruchtbare Zeichen gelten KREBS, SKORPION, FISCHE, STIER, als unfruchtbar WIDDER, ZWILLINGE, LÖWE, JUNGFRAU, die übrigen „mittelfruchtbar“, mitunter wird auch WASSERMANN zu den unfruchtbaren Zeichen gerechnet. Diese Einteilung hat einiges für
sich, erweist sich aber im praktischen Fall als ungenügend.
Erstens ist auch der Aszendent (seelisch reaktive Aufnahmefähigkeit), die Venusstellung (erotische Reaktion) sowie
das 5. Feld (Nachkommenschaft) in Betracht zu ziehen,
zweitens kann „Unfruchtbarkeit“ ebenso Ablehnung der
Mutterschaft bedeuten, und drittens ist biologische Artung
als solche besonders erbbedingt, so daß jene Zuordnung relativ zum mütterlichen Erbe zu verstehen sein wird, während das Charakterologische immer durchschlägt. Beispielsweise hat JUNGFRAU wenig günstige Bedingungen für
83
eine Empfängnis, erfolgt sie aber, dann kommt meist eine
nach Regeln vorgehende hygienische Fürsorglichkeit zur
Geltung. Wie hier die narzißtische Neigung, so wirkt bei
LÖWE der starke maskuline Anteil einer Empfängnis entgegen, trotz ausgesprochener Kinderliebe; ist ein Kind aber
da, so ergibt dies eine von Fall zu Fall improvisierte Mütterlichkeit mit herzlicher Zuwendung und Spieltrieb, sowie
spontanes Wissen um organische Bedürfnisse. Umgekehrt
werden diese Bedürfnisse beim fruchtbaren und sensitiven
Zeichen FISCHE oft vernachlässigt, manchmal aus Überängstlichkeit, die alles verkehrt macht, auch gibt es Panikstimmungen, weil die universelle Fülle schwer in das
konkret Mögliche gefaßt werden kann.
Doch die Auswirkung mütterlicher Eigenschaften ist zum
Teil niveaubedingt und eine Verkümmerung eigentlichen
Sinnes hat wiederum soziale Ursachen (Technisierung und
Intellektualisierung der Lebensweise, Fließbandarbeit, aufgezwungener Beruf und andere Impulsbehinderung), stets
kommt es auf Zusammenspiel von Wesensart und Umwelt
an.
Hinzu tritt als ausschlaggebend die Aspektierung des
Mondes. Unter analytischen Aspekten mit Mars und Uranus
verderben oft Energieziele und Voreiligkeiten das Genügen
am Vegetativen, bei solchen von Saturn ist es eher das langsame Zurechtkommen mit realen Bedingungen, das durch
innen oder außen quergeschobene Hemmungen verzögerte
Tempo der Gefühlsäußerung, auch Befangenheit durch
Pflicht und Gewissen, stimmungssenkende Umstände,
Druck der Verhältnisse, was Schwierigkeiten schafft. Im
komplexhaften Fall findet sich mitunter eine Spannung zwischen Lebensabwehr und starrem Festhalten des Angesammelten, Gewordenen. Gegenüber dieser meist depressiven Anlage wirkt Sonne im analytischen Aspekt hochspannend, versperrt die Wege durch Willenskrampf, forcierten
Anspruch im Wechsel mit Schleifenlassen der Zügel. Ähnlich die Aspekte mit Jupiter, nur mehr zum lebensfähigen
Kompromiß zwischen Autorität und Hingabe geneigt, dadurch die Fruchtbarkeit steigernd. Die Dissonanz zu Neptun
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gleitet leicht ins Phantomatische ab, diejenige zu Merkur
ergibt wiederum Beeinträchtigungen durch Begrifflichkeit.
Ist die Überwachung der Vorgänge an sie abgegeben, wird
demgemäß in allem bewußte Reflexion zu Hilfe gerufen,
dann nimmt im analytischen Fall meist die Logik das Gefühl auf den Rücken, im Gegenschlag das Gefühl die Logik.
Denken und Instinkt bevorzugen dann verschiedene Methoden, während sie sich im synthetischen Aspekt ergänzen.
Schließlich geben die Aspekte zwischen Mond und Venus
das Verhältnis zwischen dem Mütterlichen und dem Erotischen in der Frau an, ihre leichte Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit. Beim Manne im analytischen Aspekt besteht
eine Spaltung zwischen diesen beiden hinsichtlich des
Wahltypus. (Vgl. Bd. I, S. 148/49, Bd. III, S. 508).
Wie Mann und Frau ihres Geschlechts erst in der Begegnung richtig inne werden und die Weise, wie dies gelebt
wird, die hierauf bezogenen Seiten der Persönlichkeit formt,
so bringt erst die Realität der Mutterschaft solche Probleme
seelisch zur Entfaltung und real sie in den gestaltenden
Griff. In der Mond-Natur der Frau spielen Kindlichkeit und
Mütterlichkeit ineinander. Sie verkörpern darin das in sich
kreisende, oft die Grenzen der Person überflutende Leben,
das der Mars-Mann, der Liebhaber, in der Tangente streift
und für das der Sonne-Mann, einen Mittelpunkt bilden soll.
Im Manne erlebt - sei er homo sapiens oder homo faber - ist
die Frau der Natur-Hintergrund, von dem sich sein im Prinzip die Grenzen des Natürlichen überschreitendes Wesen
abhebt.
Mutter und Kind stellen im Mondsymbol eine wechselbezügliche Einheit dar. Die Mondstellung deutet auch die
Verhaltensmuster an, die wir in der frühen Kindheit entwickeln. An diesen Entsprechungen ist die auf das Gefühl
einwirkende Umgebung, familiäre Lebensart, das herangetragene Bildungsgut und dergleichen beteiligt, vor allem,
und in der ersten Zeit normalerweise ganz, ist es die Mutter.
Dies schafft nicht die Anlage, modelt aber daran, bewirkt
Haltungen, gibt Vorstellungen, bettet die Seele in bestimmte
Ausdrucksformen ihrer Grundnatur ein. Hier liegen unab85
dingliche Aufgaben der Mutter, welche die erste Prägung
gibt.
Schon da setzt Abstand vom Kind oder seine Okkupation,
Ansichketten des Schutzbedürftigen an. Wo immer er auftritt, rechnet der Verschlingungstrieb zu den inferioren Entsprechungen des Mondhaften. Mit verschobenen Dimensionen kommt er zum Ausdruck bei einem in falsche Bahnen
geleiteten Teilnehmen der Frau am öffentlichen Leben. In
wissenschaftlichen Instituten, Ämtern, Parlamenten finden
wir die Kopistinnen männlicher Logik, die ihren Gesprächspartner mit ad hoc herbeigeholten Argumenten zu verschlingen trachten, Flucht in unpersönliche Korrektheit, um
Gefühle zu verbergen.
Im Frauenleben wird Vergänglichkeit meist stärker zum
tragischen Motiv. Wenn dann im Alter die echt weibliche
Klage angestimmt wird: „niemand braucht mich mehr, niemand will etwas von mir, sterbe ich, so entsteht nirgendwo
eine Lücke“, dann enthüllt sich ein Spätproblem des Mondhaften. Dies Element verlangt nach Aussprache und Anregung, es ist das, worin wir uns am wenigsten verweigern,
aber wir bedürfen eines Schlüssels, um aufgeschlossen zu
werden. Kein durch die Emanzipation der Frau herausgebildeter neuer Lebensstil kann die mondhafte Natur von ihr
nehmen. Die eine hat keine Kinder und empfindet dies als
Mangel. Die andere hat welche, aber sie gehen ihre Wege
und finden unnütz, was die Mutter in Sorge um sie tut, und
der Mann steckt bis über die Ohren in seinem Beruf. Natürlich kommt eine Mehrbetonung des Mondhaften auch bei
Männern vor, inferior bildet sich ein besonderer seniler Typus des Herumhörens und der Geschwätzigkeit aus. Um
sich in einen Altersstil einleben zu können, muß man seine
Eigenwelt ausgebildet haben. Doch die mondeigentümliche
Welt kann nie ganz unabhängig sein, sie bleibt irgendwie
„Mission“, das Handeln geschieht „im Auftrag“ und „für
jemanden“. Dies braucht nun neue, altersangepaßte Entsprechungen. Möglicherweise kommt die traditionelle Einrichtung der „guten Oma“ wieder zu Ehren, für die Kinder
eine mildere Form der leiblichen Mutter, sie setzt weniger
86
strenge Verbote und ist affektfreier. Aktivere Frauen finden
auch geeignete Posten in Gruppen und Vereinigungen. Eine
veränderte soziale Struktur könnte mancher brachliegenden
Hilfsbereitschaft Gelegenheit zur Auswirkung geben.
Wie das Mondelement seinen Platz über den Gegensatzpaaren hat, aber sie alle durchdringend, das Kräftespiel,
verwirklichend, ist es auch der durchgehende Rhythmus in
den Zeichen der tätigen und leidenden Form (vgl. Bd. II, S.
82). Er versinnbildlicht den Wechsel von Spannung und
Entspannung in jeder Handlungsweise, im Lösen der durch
Aspekte ausgedruckten Problematik. Immerwährend in diesem Rhythmus schwingen zu können, ist das Geheimnis der
Jugendlichkeit, des Jungbleibens. Finden die Spannungen
keinen Ausgleich mehr in adäquaten Entspannungen, so
wird das Teilhaben am Leben beeinträchtigt, kein Zustrom
mehr gewonnen. Konstruktives Schaffen bedarf einer zugkräftigen Vereinigung der Gegensatzpaare, des Wechsels
von synthetisch und analytisch; um die im Wesensgefüge
vorgezeichneten Probleme zu bewältigen, braucht man die
vermittelnde Funktion.
Eine mondhafte frauliche Tendenz der Einbeziehung in
ihre Eigenatmosphäre streift das Verschlingungsproblem,
nämlich dasjenige, was man das Melusinenhafte nannte: den
Geliebten in ihren Bannkreis ziehen, sich selber die Freiheit
des Kommens und Gehens wahren, gleichsam als verwandelte Meerfee ein Geheimnis in sich. tragen. (Simone de
Beauvoir bestreitet lebhaft dies Geheimnis, sucht es in Rationalität der Funktionen aufzulösen). In mythischer Darstellung ist es die Verzauberung Merlins durch den an
Niniane ausgelieferten Zauber, die stumme Hingabe des
seines Wirkens in der Welt Überdrüssigen an das von der
Elfin erweckte Unbewußte, den „Zauberwald“, aus dem er
herstammt.
87
Ehezwist
Wir ergreifen ein heißes Eisen, wenden uns einem in
mancher Hinsicht heiklen Thema zu, wenn wir das Wort
„Ehe“ mit dem Klang des Fragwürdigen aussprechen. Inwieweit aber kann man bei einem Ehebruch, der ja meist
einen lange schon verdeckt schwelenden Zwist zum Ausbruch bringt, von Mangel und Fehlhaltung sprechen? Besteht der Mißstand vielleicht nur in unserer Vorstellung?
Gibt es nicht Eheformen, bei denen legalisiert ist, was vielen von uns verwerflich dünkt? Das Dilemma heißt jedoch
nicht nur Heiligkeit der monogamen Ehe oder Promiskuität;
es gibt auch Untreue in einer Ehe, die nicht auf dem Papier
steht, gibt Betrug, Hintergangenwerden wo geschworen
wurde. Mannigfache Erscheinungen gehören hierher und die
Urteile sind heute mehr in Fluß als je.
Lange genug stritt man darüber, wer natürlicherweise
polygam sei, Mann oder Frau. Ganz abgesehen von Moral
und Affekt bei solchen Streitgesprächen bedeuten Liebe und
Ehe astrologisch zwei verschiedene Lebens- und Interessengebiete, das 5. und das 7. Feld. Aspekte., die vom einen
Feld zum anderen gehen, sagen darüber aus, ob sie im individuellen Erleben leicht vereinbar oder im Verhältnis zu
einander konfliktbeladen sind. Besetzungen der Felder sagen aus, wie man individuell gelagert, wo man eines Ausgleichs bedürftig ist und was man sich dafür erwartet. Gewiß kommt zur Anlage die Sitte, die Gesellschaftsmeinung.
In mancher Gesellschaft gilt es unsittlich, treu zu sein. In
Aldous Huxleys „brave new world“ wird von einer utopischen kommenden Menschheit der Satz vertreten: jeder ist
jedermanns Eigentum. Das Besitzverhältnis zum Geschlechtspartner gehört aber astrologisch wieder in ein anderes Feld, in das 2. Mit Mars oder Venus dort kann Trieb
oder Eros eigentumshaft bezogen sein. Im allgemeinen wissen wir genau, was mit Ehe gemeint ist: ein Zusammenleben, in welchem Ich und Du unausweichlich sich auseinandersetzen müssen, oder, wie man in Bayern mit treuherziger Ironie sagt, „sich zamraufn“.
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Greifen wir auf die Theorie des Horizont-MeridianSystems zurück, um die Bedeutung der Felder genau zu unterscheiden. Die trigonale Ordnung besagt einiges, sofern
wir auf den Bedeutungston der Interessen achten. (Vgl. Bd.
II, S. 280.) Im 7. Felde setzt das spirituale Trigon an.* Es
hat seine Basis im Geist der Epoche, auf den sich Freundschaft eigentlichen Sinnes gründet (11), der Ausklang des
Trigons liegt in der lernbeflissenen Wechselseitigkeit nebeneinander gesetzter Einzelmenschen, demgemäß flukturierender persönlicher Entwicklung (3). Das bedeutet
praktisch: wird eine Ehe als Beziehung von Mensch zu
Mensch gelebt, dann gehört dazu Kameradschaft, gleichgeschaltete Basis des Weltblicks, die Dinge sind diskutabel
auf der Ebene gleichberechtigten Urteils. Dann ist auch jene
geschwisterliche Ungezwungenheit erreichbar, die weder
Achtungsverlust noch entwicklungsmäßige Stagnation zu
befürchten braucht, wenn man „sich nicht zusammennimmt“. Zur Klippe einer Ehegemeinschaft wird bekanntlich meist ein Alltag, worin jeder mehr oder minder sich gehen läßt. Stimmt aber das kameradschaftliche und geschwisterliche Verhältnis, dann verhält sich jeder Ehepartner selbstsicher im Nehmen und Geben, beide gehen mitsammen vorwärts in spiritueller Ergänzung. Dies ist im
Prinzip ungeschlechtlich. Das analoge, der Wesenkraft Venus nähergerückte WAAGE-Prinzip versinnbildlicht den
geistigen Eros. Kultiviert man dagegen nur den Geschlechtsgegensatz, so kommt es zum Zusammenprall zweier verschiedener Dimensionen.
Anders das 5. Feld. Es bildet die Basis des personhaften
Trigons, dessen gestaltender Impuls beim Ichtrieb ansetzt
(1) und das im Ausklang einem Über-Ich zustrebt (9). Das
ins 5. Feld gehörige Liebeserlebnis wirbelt uns um, bewegt
*
Spiritualität ist aufzufassen als elementare Geistigkeit, die auch unabhängig
von Verstandesurteilen und logischen Schlüssen intuitiv betätigt werden kann, als
geistiger Lebensvollzug. Sie greift hinweg über den Medianismus einer Funktion der
Sinnesorgane, nervlich in Verbindung gesetzt mit zerebralen Vorgängen. Die Anerkennung dieser geistigen Existenz darf nicht verwechselt werden mit Spiritualismus
als Gegensatz zum Materialismus, wonach „der Geist“ der Seinsgrund überhaupt sei.
89
von sinnlicher Zugkraft der zusammenführenden Geschlechtsspannung, die von Natur vorgesehene Einheit von
Andrang und Erwartung zeugt im gesteigerten Erleben das
Kind, an welchem die Spekulation der Gattungsinstinkte
wirksam wird. (Entwicklungsauftrieb, bei einfachen Gemütern der Wunsch, das Kind „möge es besser haben“.) In dieser Region ankert einerseits der lebenszeugende Trieb der
Paarung, anderseits das „Erzieherische“, schon indem die
von Liebe ergriffene Person sich der geliebten Person im
besten Lichte zeigen möchte, schließlich macht eine an die
Nachkommenschaft geknüpfte Erwartung sogar autoritäre
Erziehungsmaßnahmen verständlich. Doch echt, überzeugend wirkt in diesem unmittelbar lebensschöpferischen Trigon nur Bild und Vorbild; Zwang, introjizierte Tabuformen
setzen im 10. Felde an, dem Beginn des materiellen Trigons,
während demgegenüber die Macht der häuslichen Atmosphäre, analog dem 4. Felde, den Anfang des psychischen
Trigons bildet.
In der Märchensprache kann man einfach sagen „sie
freuten sich aneinander“. Die charakterologische Wirklichkeit folgt der Teilung in eine Hälfte über, eine solche unter
dem Horizont. Bei der unteren Hälfte dominiert, was
zwanglos zustande kommt und in der Introversion (Innenwendung) aufgesucht wird, bei der oberen Hälfte dominiert
die Sicht auf etwas außen Vorhandenes, die Extraversion.
Hier herrscht objektiviertes Bewußtwerden, Oberschwelligkeit, dort das Unterschwellige und subjektiv Bestimmte.
Ständiges Vorhandensein eines Partners im Zusammenleben, analog dem 7. Felde, kann störend einwirken auf dasjenige, was unter der Teilungslinie gemäß dem 5. Felde sich
entfalten will. Es ist schwer, aus sich heraus ganz derselbe
zu bleiben, wenn man immer den anderen in seinem charakterlichen Anderssein, seinen Zielen und Notwendigkeiten, spürt. Lebensrhythmik, Tempo der Gefühlsentfaltung, Gewohnheiten können verschieden sein. Wir kennen
Sexualstörungen, die entstehen, weil eine an Tabuformen
orientierte Vorstellung gebietet, in Hinsicht auf den anderen
etwas zu tun oder zuzulassen, was spontan nicht geschähe.
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So bedarf es schon im Sexualakt eines besonderen Takts,
einer organischen Körper-Kameradschaft, um zwangshafte
Einwirkungen auf die eigene Erwartung und die des anderen, herstammend aus dem Unterschied des bewußten und
des unbewußten Zusammens, auszuschalten, damit sich das
in der geschlechtlichen Polarität enthaltene Verschiedensein
angleiche.
Beruht nun eine Gemeinschaft lediglich auf der Spannung
des Liebesaugenblicks - zumal auf der Grundlage des Sexus, der vereinzelte Akte betrifft -, dann hält im Zusammenleben die Spiritualität nicht Schritt. Darum verkümmern oft
beste Möglichkeiten im Alltag der Ehe. Was in den ersten
Jahren eine kleine Differenz war, wird später zum Scheidungsgrund. Freilich ißt man gewöhnlich nichts so heiß als
man es kocht, im spirituellen Überhang werden momentane
Entzweiungen durch Kompromisse geflickt. Der Ehe auch
in dieser Form geht es um die ganze Kette der Vereinigungen. Bei Kulturen, in denen das Leibliche mehr im Gleichklang mit dem Seelischen schwingt (weitgehend etwa im
alten indischen Kulturkreis), fehlen unsere sexuellen Verkrampfungen, Verdrängungen und Komplexe. Solche Komplizierungen folgern hauptsächlich aus der bei uns stärkeren,
meist nur unausgegorenen Individualisierung, zusammenstoßend mit starren Sitten.
Aber eine Lockerung der Sitten löst die Probleme nicht.
Jene Unterscheidung des 7. und 5. Feldes ist keine äußerliche Trennung. Wenn der Weg der abendländischen Entwicklung aus dem schöpferischen Bewußtsein der Individualseele vorwärts geht, kann eine Ehe, die nur eine ideologisch oder wirtschaftlich gestützte Zusammenlkoppelung
zweier Menschen verschiedenen Geschlechts ist, nicht befriedigen. Wir beobachten es genugsam an der äußerlichen
Anähnlichung vieler Ehepaare, bei Danebenleben im Individuellen. Die Lösung der Problematik fordert. eine Vereinbarkeit des männlichen und weiblichen Menschen, und zwar
auf unserer Bewußtseinsstufe, setzt demnach individuelle
Wahl und Fortbildung des Kontakts, des Austauschs auch
im Geschlecht voraus.
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Soll das Gleichgewicht naiverer Kulturen auf differenzierter Menschenstufe wieder erreicht werden, so muß zunächst der Eros als beseelter leiblicher Austausch der männlichen und weiblichen Qualitäten in seiner einigenden Lebensmacht erkannt und geachtet werden. Dies ist gleich weit
von Pornographie wie von bürokratischer Eugenik entfernt.
Die Dauerbindung bietet die Erfahrung, wie ein Mensch anderen Geschlechts sich und seine Leiblichkeit individuell
erlebt, die Umwelt danach wertet und gestaltet. Der damit
erfahrene andere Modus menschlichen Daseins hat im 5.
wie im 7. Feld seine adäquaten Entsprechungen.
Wie im Kontrapost der Renaissancemalerei betrachten
wir einmal Spielbein und Standbein unterschiedlich. Standbein, das worauf man sich stützt, in unserem Thema das Zusammenleben, die Gemeinschaftlichkeit, verbildlicht die
Ehe als Dauerbeziehung. Du und Ich stehen darin gleichwertig nebeneinander wie Beuger und Strecker der Beinmuskulatur. Ein fruchtbares Zusammen in der Bewegung
duldet kein additives 1 plus 1, die Organik besteht vielmehr
in jeweils auf den Sinn der Bewegung abgestimmter Synthese. Die Fähigkeit zu dieser Angleichung in beweglicher
Korrelation muß sich herausbilden als Hauptbedeutung des
7. Feldes. Geschlechtsverschiedenheit und individuelle Anlagenunterschiede optimal einbauend, strebt dies einer Harmonie essentieller Grundanschauungen wie existentieller
Verhaltensweisen zu, verlangt wenigstens eine übereinstimmende Lebensführung. Hierfür genügen weder die
wohldurchdachten Ratschläge Balzacs und Stendhals, noch
die technischen Anweisungen heutiger Sexbücher. Bei echter Kameradschaft, erlangt durch Einsicht in die individuelle
Struktur des Partners und deren Anerkennung, gibt es keine
Frage, die nicht affektfrei besprochen werden könnte. Hingegen Liebe gleicht dem Spielbein. Man kann sie nicht herbefehlen, sie gedeiht nur in Gelockertheit, frei vom
Stützungszweck, beruht nicht auf Diskutablem, sondern auf
irrationaler Zugehörigkeit. Zusammenleben und Liebe sind
dimensional verschieden. Werden sie eo ipso gekoppelt wie
bei „ehelicher Pflicht“, so entstehen heillose Irrungen und
92
Wirrungen. Vor allem darf man sich, Liebe begehrend, nicht
gegenseitig vorrechnen, auf welche Freiheiten eines jeden
Ich verzichten mußte, um ein Zusammenleben zu ermöglichen.
Trotz Emanzipation und zahlreichen Büchern über „vollkommene Ehe“ ist es nach wie vor ein offenes Problem, wie
die männlich-weibliche Rolle im Dasein, die uns Instinkte
so dezidiert vorschreiben, ihren sozial und gesamtmenschlich richtigen Ausdruck findet. Dies ist primär keine Frage
des Rechts und der Logik, sondern des Herzens, lösbar vom
Einzelnen aus, aber auch der Menschenkenntnis. Fehlurteile
über die eigene Lage in diesem Spannungsfeld führen zu
seelischen Gleichgewichtsstörungen. Wer von einem moralischen Klischee der Geschlechter und ihrer Obliegenheiten
ausgeht, verfälscht mit bestenfalls staatserhaltenden Definitionen das individuelle Empfinden, wie es sich im Kosmogramm begründet.
Greifen wir auf die Feldertheorie zurück, insbesondere
die horizontale Scheidelinie des kreisläufigen Systems,
durch welche das 5, und 7. Feld voneinander geschieden
sind. Die mit dieser Linie gekennzeichnete Trennung von
Privatleben und Öffentlichkeit wird überwindbar, wenn wir
den Menschen als entworfen auf Umwelt verstehen wobei
im Prozeß tatsächlicher Auseinandersetzungen die Charakterwirklichkeit zur Gestalt wird. Der Deszendent bezeichnet
den Punkt, von wo das Gegenüber in seinem Anderssein
einwirkt, während es bei der liebenden Begegnung erst die
sinnlich polare Ergänzungen des Eigenen war. So betrachtet
ist die Ehegemeinschaft das experimentum crucis, ob und
wieweit ich zur überbauenden menschlichen Einheit finde,
indem ich in jedem Augenblick ich selbst und zugleich ein
anderer bin, nicht nur durch äußerliche Anpassung mich
selbst verfremdend anders scheine. Das nur übernommene
Fremde wirkt zwangsläufig auf mich zurück. Bei der Herausbildung einer Synthese kommt es darauf an, entgegen
der aus mir geborenen These das antithetische Anderssein
soweit zu assimilieren, als ihm ein objektives Recht zusteht.
Da ich dasselbe für den Partner bin, muß ich ebenso meine
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subjektiven Gegenargumente auf sichere Grundlagen stellen. Die Ehe hat für alldies einschneidendere Bedeutung als
andere Formen des Zusammens, weil die Kriterien umfassender sind, denn Schritt und Tritt stoßen wir auf Irrtümer,
wenn wir Äußerungen des Ehepartners mit Maßstäben des
eigenen Geschlechts messen.
In den häufigen Ehekrisen zeigt sich die Kehrseite des einen oder anderen Feldes. Das Aussprengen aus dem Geleise
einer Ehegemeinschaft erfolgt aus abweichender Liebeswahl oder aus Ungenügen an der Form des Zusammenlebens. (Inferior gleitet eines in das andere über: Abnahme
des „Geheimnisses“ infolge allzu achtloser Intimität, Reizmangel, abstumpfende Gleichförmigkeit fordert das Wechselbedürfnis heraus.) Das erste ist vorwiegend eine MarsVenus-Angelegenheit, beim zweiten wirkt stärker die
Nichtentwicklung des Gemeinsamen im Sinne des 7. Feldes.
Zwar wird auch vom Gemeinschaftstrieb gesprochen und
als Sinn der Ehe die Fortpflanzung genannt. Solche Auffassungen wären staatlichen Instanzen recht, die einen normierten Nachwuchs brauchen. Von da stammt die Theorie,
die Ehe sei die Aufbauzelle des Staates. Hiermit okkupiert
gesellschaftliches Denken schon den Ansatz einer Gemeinschaft freier Wahl. Was aber öffentlichen Interessen genehm
ist, kann privat konfliktreich sein, hiermit eben sind die erst
zu lösenden Widersprüche zwischen der oberen und unteren
Kreishälfte berührt. Bedenkt man das Mannigfaltige individueller Strukturen, so ist der rein sozialideologisch programmierte Mensch eine inhumane Forderung; das Leben
widersetzt sich ihr. Ein persönlicher Sinn des Ehelebens,
immer wieder anders und täglich neu gestaltet, ergibt sich
aus der Koexistenz von Ich und Du. Wird dieser Sinn versäumt, so springen die Ichtriebe aus. Demgegenüber hätte
ein automatisch zusammenführender Gemeinschaftstrieb
etwas vom Herdengeruch an sich, er befriedigt nur durch
Vervielfachung und wechselseitig ausgeströmte Wärme.
Gewiß gibt es bei übermäßig und einseitig betontem 7. Feld
derartige Kontaktbedürfnisse; Abriegelung von der Gemeinschaft, Alleingelassensein wird als Mangel empfunden. Der
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Entwicklungshöhe nach ist es die Bedürftigkeit der Herdenmenschen und human Anspruchslosen, ebenso bei Zusammenziehung der Konstellation um den Deszendenten
und leer stehender Osthälfte. Doch bei höherer Entwikkeltheit kann in der Einzelbegegnung das ganze Universum
aufgeschlossen erlebt werden. Auch darin zeigt sich die Spiritualität des Gebiets: letzten Endes hängt der Geist einer
Gemeinschaft nicht vom Kosmogramm ab. Mit oder ohne
Planeten im 7. Feld kann man eine gute oder schlechte Ehe
führen, bei Nichtbesetzung sagt der Dispositor des Zeichens
am Deszendenten einiges über die Problematik aus, nicht
jedoch über spirituelle Erwerbungen, die sie lösen.
Mit Mars und Venus symbolisiert sich die Geschlechtsbegegnung, was nicht ohne weiteres auch die Begabung zum
Liebesabenteuer im Sinne des 5. Feldes einbeschließt. Relativ zum faktischen Geschlecht gilt die Bedeutung von
Mars und Venus als eigene Äußerung und als erwarteter
Ausgleich, jenes eine Reaktionsart, dieses ein Suchbild. Hier
spielt die vielberufene Ambivalenz hinein. Dem Inbild der
Partnerwahl entspricht ein Seelenorgan, gegensätzlich zum
eigenen Geschlecht, so daß das von außen Herankommende
etwas Verborgenes in uns anspricht und manifest macht,
was wir latent in uns selber tragen. Dies ist individuell verschieden, allgemeinmenschlich dagegen das Verhältnis von
Äußerungswunsch und Bedürfnis, jener mehr mars-, dieses
mehr venusbezogen. Demgemäß, und nicht nur bei Dissonanzen, ersteht eine Tragik menschlicher Beziehungen gerade in der Liebe: analog dem Marsischen muß man auch
das Liebste erobern und verteidigen, analog dem Venushaften gerät man in Abhängigkeit von dem, was man Liebstes
ersehnt, besonders wenn man es hat. In der Verschränkung
der Gegensätze gelangt das Marsische oft zur Abwehr allzu
großer Nähe, die abhängig machen würde, umgekehrt stört
im Venushaften di.e Eroberung dessen, was man liebt, oft
die unbedingte Hingabe, die im Anlocken bereit schien. Mit
Abbruch der Zielspannung im Erreichthaben verbleibt meistens nur der Reiz der Selbstbestätigung (wie es nach dem
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happy end aussieht, sagt kein Mars-Venus-Drama, hiermit
beginnt eine andere Dimension.)
Einen weiteren Problemkreis schafft ein beträchtlicher
Altersunterschied. Dann sprechen nicht nur Trieb und Eros
mit, beim Aufgreifen einer außerehelichen Beziehung handelt es sich nicht allein um den Ausgleich eines Ungenügens. Außer Mars und Venus kommen vielmehr die väterlichen und mütterlichen Komponenten, also Sonne und
Mond zum Zuge. Das jüngere Mädchen erlebt im älteren
Mann eine geborgene Lebenssicherheit, die es bei Gleichaltrigen nicht findet. Das Verhältnis kann dann eine übertragene Tochterbeziehung sein, häufig begründet im Ausfall des
leiblichen Vaters oder dessen mangelnder „Väterlichkeit“.
Konfliktschaffend wirkt ein vom seelischen Kontakt losgelöster Sexus mit untergründigen Inzestwünschen. Vom
Mann wird Reife und Überblick gefordert, um den sich
stellenden Aufgaben zu genügen, ihm ist eine menschliche
Rolle zuerteilt, die er sonst nicht einnimmt, nämlich zugleich Vater und Liebhaber zu sein. Anderseits kann der
Jüngling, der Scheu oder Abwehr vor dem weiblichen Geschlecht empfindet, unter Umständen leichter durch eine
ältere Frau in die Mysterien des Geschlechts eingeführt
werden. Die Tiefenpsychologie hat als Bezeichnung dieser
Rolle im Umkreis der „Großen Mutter“ den Ausdruck
„Jünglingsgeliebter“ geprägt. Beruht dies, wie meist, auf
einer Mutterbindung des männlichen Partners, so übernehmen die mütterlichen Seelenqualitäten der Frau (also das
Mondhafte) eine übertragene Mutterrolle. Für sie steckt
darin eine erzieherische Mission, nämlich den infantil Gebliebenen liebend zur Selbständigkeit zu führen. Statt als
„Baby“ verhätschelt, soll er zu eigenverantwortlichem Entschluß und Handeln hingeleitet werden, er soll riskieren lernen, sich anders als in mütterlicher Obhut wegzuschenken.
Dies macht eine solche Beziehung im vorhinein zur Episode
in seinem Werdegang, das reife Darüberstehen verlangt von
der Frau ein „Loslassen“ im richtigen Zeitpunkt.
Derartige Probleme können nur mit Takt und Feingefühl
aller Beteiligten, auch außerhalb der Intimsphäre, befriedi96
gend gelöst werden. Anlagen bedingen Verschiedenheiten.
Eine Trennung ist bei luftigen Zeichen leichter aus abstrakten Begriffen durchführbar, bei Feuerzeichen geben häufiger Affekte und souveräne Forderungen den Ausschlag, für
Wasserzeichen ist es schwierig, sich abzuhängen, wenn ein
Gefühl, nicht mehr angenommen zu sein, zurück bleibt,
reale und sachliche Gründe gelten bei Erdzeichen. Aber
natürlich ist bedeutsam, welche Planeten in diesen Zeichen
stehen und wie sie sich zur Struktur des Partners verhalten.
Unterschiede, die im Liebesfalle der „holde Wahn“ verschleiert, werden für die Ehe wichtig.
Ehezwiste entstehen neben der rhythmologischen
Schwierigkeit, die Lebenskurven zweier anlageverschiedener Menschen gleichzuschalten, gemeinhin weniger aus
Mangel an Liebe, als aus ungenügender Einstellung auf die
anlagemäßigen Voraussetzungen des Partners. Eine solche
Einstellung fordert der Ansatz des spirituellen Feldertrigons.
Verstehen wir, in welcher Problematik man selber und in
welcher der Partner steckt, halten wir im Auge, wovon und
auf welche Ziele hin jeder lebt, dann ist der kameradschaftliche Kontakt fraglos da. In bezug auf Worte wäre dagegen
in Rechnung zu setzen, wie oft bewußte Aussagen über unbewußte Motive trügen.
Hier kann das gegenseitige Verhältnis der Kosmogramme
aufhellend wirken. Zum Vergleich folgen die Konstellationen von Frauen, die in Goethes Leben eine entscheidende
Rolle spielten, sowie von Friedrich Schiller, eingezeichnet
in seine eigene. (Goethes Konstellation wurde für sich gebracht in Bd. III, S. 416.) Der Unterscheidung halber wurden die Gestirnstände des Partners jeweils in anderer Farbe
eingetragen, doch nur die gegenseitigen Aspekte aufgezeigt,
nicht die, welche jede Konstellation in sich hat.
Das Datum von Christiane Vulpius entstammt der biographischen Angabe von E. Hartung, wonach Christiane an
ihrem 52. Geburtstag. dem 6. Juni 1816, verstarb. Goethe
feierte mit ihr immer Anfang August den Geburtstag, was
wohl auf einer noch ungeklärten internen Abmachung beruhte. Schiller feierte seinen Geburtstag am 10. November,
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in einigen amtlichen Schriftstücken ist der 11. angegeben;
vermutlich war die Geburt um Mitternacht des 10./11. Die
übrigen Angaben stammen von Studienrat E. Saenger.
Eine detaillierte Deutung dieser sechs Bezugspaare würde
zu weit führen, sie sei als Kombinationsaufgabe empfohlen,
die Tatsachen sind ja biographisch hinreichend bekannt. Nur
stichprobenhaft, vor allem in bezug auf Oppositionen und
Konjunktionen, wird zur Erläuterung der Methode hier darauf eingegangen. Oppositionen im eigenen Gefüge und Oppositionen zwischen Punkten zweier verschiedener Anlagengefüge gelten mit folgendem Unterschied. Im ersten
Fall sind es die „zwei Seelen ach“, man trägt einen Widerspruch in sich allein, will einerseits dies, anderseits jenes erreichen, strebt oft gleichzeitig da- und dorthin. Gerade bei
wertvollen aber unsteten Menschen häufig anzutreffen, geht
es in der Bewältigung solcher Konflikte um Ausmaß und
Bestand der Eigenperson. Die Mühe, eine Synthese der Gegensatzspannung herauszuarbeiten, wird jedoch gewöhnlich
leichter aufgebracht, als wenn man den Widerspruch von
außen vorgesetzt bekommt. Bei größter Liebe zum Partner
täuscht man sich gern über diese Aspekte, sucht den ganzen
Umfang der Verschiedenheit zu vertuschen, meidet die zur
Überwindung nötige Anstrengung, das krasse Wort, die
Selbstkritik. Man sieht ja den anderen zunächst aus der Perspektive harmonischen Zusammenstimmens, bevorzugt
praktisch, was als „günstig“ wechselseitig aus synthetischen
Aspekten hervorgeht. Erst später pflegt eine Diskrepanz der
Anlagen überhaupt bemerkt zu werden. Dies überfällt dann
einen Unvorbereiteten, er ist enttäuscht, vom Andersseins
des Partners befremdet und darum meist zur ungerechten
Kritik aufgelegt. Kurz, es stellt hohe Anforderungen und
verlangt ehrliche Einsicht in die eigene Standpunktsbeschränkung, jeweils zum Ausgleich der Verschiedenheiten
hinzufinden.
Das Kombinationsschema heißt in jedem Fall: Wesenskraft a bei X steht in dieser oder jener Beziehung zu Wesenskraft b bei Y (vgl. auch Bd. III, S. 511). Damit nähern
wir uns den anlagebedingten Ursachen für Anfang, Verlauf
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und Ende einer Personverbindung, wenn das Geschehen X
und Y zusammenführt. In der Aussage aber hüte man sich
vor dem vulgären Deutungsschema, das fertige Ergebnisse
angibt. Gewiß bedroht Saturn bei solchen Oppositionen den
Bestand der Verbindung. Er ist in dieser Hinsicht das Symbol der Endlichkeit, doch, wie jedes dieser Symbole ambivalent, auch der unverbrüchlichen Dauer. Saturn bedeutet
kein Endenmüssen, im analytischen Aspekt hat es die Integrationskraft nur schwer, befremdende Erfahrungen zu verarbeiten. Gewisse Äußerungen des anderen wollen dann
nicht nur ertragen, sondern als notwendig für die Entwicklung des eigenen Formats eingesehen werden, dies verlangt
ein selbstkritisches Urteil, die vor Negationen nicht zurückschreckende Selbstanalyse. Verstehen wir Saturn wiederum
als Alterssymbol, so machen sich im Alter häufig eingesessene Vorurteile, Befürchtungen, Zwangsvorstellungen und
sonstige lebensverneinende Tendenzen geltend, oft frühkindliche Eingravierungen, die von der Triebkraft der „vollsaftigen“ Jahre zurückgedrängt wurden. Die vorhandenen
Negationen und Ermüdungsgifte kommen nun zum Vorschein, es zeigt sich deutlich, was integriert und was nur
verdrängt wurde. Im ohnehin anfälligen Zustand kann die
vulgäre „Schicksalsaussage“ aus „schlechten“ Aspekten des
„Übeltäters“ verheerend wirken, da sie den abbauenden
Tendenzen durch den hineingetragenen Erfüllungszwung
einen Vorschub leistet. Geht die Verbindung auseinander,
dann ist ein „Treffer“ erzielt und der orthodoxe Fatalist hat
recht.
In Goethes Fall sehen wir Saturn am Aszendenten in
SKORPION: eine suchende und zweiflerisch versuchende
Integrationskraft, der mephistophelische Anteil seines Faust,
abweisende Tendenzen des persönlichen Erfahrener- und
Älterwerdens. Diesen Punkt finden wir in Opposition zu
Merkur im STIER bei Friederike Brion, zur Venus ebenda
bei Lili Schönemann. Trotz sonstiger Übereinstimmungen
darf man daraus schließen, daß Friederikes naiv bildhafter
Realverstand, Lilis sinnlich genießerischer Eros seinem
hintergründig orientierten Schwerpunkt auf die Dauer unan102
nehmbar waren. Umgekehrt steht Saturn-FISCHE bei Lili
Schönemann in Opposition zu Goethes Sonne in JUNGFRAU: ihr schwankender, „fischig schweifender“ Realsinn
konnte seinen präzisen wenn auch vorsichtigen Unternehmungsgeist, die wesenhafte persönliche Differenzierung der
zentralen Aufgabe, nicht integrieren, anders als Schillers
geniale Menschenerfassung bei derselben Opposition.
Eine Konjunktion von Saturn und Mars mit Goethes Sonnenstand finden wir bei Charlotte von Stein. Dies, und umgekehrt Goethes Mars in Konjunktion mit Charlottes
Sonnenstand zeigt die starke Verklammerung beider. Bei
Charlotte gibt diese Saturnstellung der Verbindung etwas
schicksalträchtig Zwanghaftes, wodurch die Opposition zu
Goethes auf Lockerheit gestimmter Mondstellung fühlbarer
wird. Ihre Integrationskraft war eng personbestimmt, widersprüchlich zur schweifenden Weite seiner Seelenregungen
(Mond) und immerwährenden Horizontverschiebung seines
Optimalstrebens (Jupiter; bei der gegensätzlichen Jupiterstellung wird in der Streberichtung auch ohne genaue Opposition die Polarität der Zeichen FISCHE und JUNGFRAU
wirksam). Was Charlotte in dieser Hinsicht verschlossen
blieb, steigerte ihr Empfinden analog Venus in SCHÜTZE
zwischen Merkur und Sonne ins Idolhafte. Eine Konjunktion bedeutet die Koppelung von Kräften und so war Goethes
Gesamt-Lebensantrieb (Sonne) zunächst aufgesogen, sozusagen „verschluckt“ durch Charlottes physische Existenz
und Initiative. Außerdem machte ja ihre Erfahrenheit, ihr
Formschliff, ihre fürsorgliche Kritik den Dichter erst „hoffähig“. Doch seine seelische Reifeentwicklung konnte sie
nicht mitleben, sie war ihr fremd, unheimlich, den Tatsachen seines Lebens abseits ihres Bannkreises entnahm sie
persönliche Kränkung. Dies rührt einen Widerpruch in ihm
selber auf (Venus Opposition Jupiter), wir erkennen darin
die problematische Verwicklung und Auslösung der italienischen Reise.*
*
Nicht ohne Absicht wird gerade diese Aspektierung herausgegriffen, die in einer für astrologische Denkgewohnheiten typischen neueren Veröffentlichung
103
Dasselbe Kombinationsschema ist anwendbar auf andere
Wesenskräfte und Aspekte, nur muß man sie richtig verstehen. Mars kann Aggression bedeuten und Quadratur nannte
ich den Sisyphusaspekt. Finden wir nun den Mars bei Christiane Vulpius (oppositionell zu ihrem Sonnenstand eine
hochgespannte Aktivität) in Quadratur zur Opposition von
Sonne und Mond bei Goethe, so wird man keinen ununterbrochenen häuslichen Frieden erwarten. Die Vulgärastrologie nimmt an, daß bei so „schlechten“ Aspekten des „Übeltäters“ der Zusammenhalt gesprengt würde durch Streitlust,
Haß und Feindschaft, auch Christianes Sonnenstand quadrierte Goethes Mondstellung, sein Mars wiederum befand
sich in Opposition zu ihrem Merkur. Nach dem unten angeführten Autor bedeutet schon eine Marsdissonanz „die rasche, die schmerzliche, letztlich aber immer notwendige
Trennung. Ihr entgehen zu wollen, ist nicht klug, gegen sie
anzukämpfen kann Wahnsinn sein.“ Nun, die Begegnung
Goethes mit Christiane wird man rangmäßig nicht in eine
Reihe stellen mit Marianne von Willemers und Charlotte
von Steins Bedeutung. Aber schließlich war sie nach dem
Ausdruck der alten Frau Rat sein „Bettschatz“ und dies zum
Ärgernis des offiziellen Weimar in illegaler Form, wurde
Mutter durch ihn und wenn er sie dann heiratete, war es
wohl nicht nur ein Akt der Dankbarkeit, wie manche Biographen meinen, weil sie ihm in der Franzosenzeit das Leben gerettet hatte. (Übrigens Aggression zu seinen
Gunsten!) Mars will hier einfach als Aktivitäts- und Triebsymbol verstanden werden, die genannten Aspekte als solschlecht wegkommt. Was dort für Saturn des einen in Konjunktion mit Venus des
anderen beurteilt wird als „schier unglaubliche Verschlimmerung dieses Zustandes“,
nämlich der bei Venus in JUNGFRAU ohnehin „reduzierten“ venusischen „Fähigkeit, den Augenblick in seiner Ganzheit harmonisch zu erleben“, müßte verstärkt
zutreffen bei so „reduzierter“ Venus und, im selben Zeichen, dem Kern des Ganzheitserlebens, Sonne, in Konjunktion mit Saturn des Partners. Behauptet wird, bei
einer engen Verbindung mit dem Saturn des Partners „ist immer alles unbefriedigend, man kann tun und lassen, was man will, es kommt niemals zu einem beglükkenden Erlebnis.“ Hätte das Goethe vorher gewußt, ehe er sich mit Frau von Stein
einließ! Ich billige dem Autor zwar konkrete Erfahrungen zu, doch machte er sie
wohl an Menschen, welche dem Aspekt keine entwickelnde Änderung entnahmen,
sowie unter der Voraussetzung, das Horoskop enthalte unveränderliche Eigenschaften und fertige Schicksale.
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che der Spannung und Hochsteigerung und Goethe selbst als
Lebenskünstler, der alles Beiläufige einer Sendung unterordnete. Er ging nicht von idealen Forderungen aus wie
Schiller, sondern blieb auf Realitäten eingestellt. Hierbei
konnte von Bedeutung sein, daß Saturn des einen zu Saturn
des anderen und Mond des einen zu Mond des anderen in
Opposition stand: Trennung zweier Wirklichkeits- und
Seelensphären, durchführbar, wenn jeder das Niveau des
anderen berücksichtigt und ihm gerecht wird. Hinzu kommt,
weshalb wir die Ineinanderzeichnung der Konstellationen
benötigen, der Gesichtspunkt der Gesamtstruktur. Wir überblicken so das ganze Gewebe der Beziehungen sowie die
Ausfüllung der leeren Felder. Die Einzeichnung Christianes
in Goethes Kosmogramm zeigt, daß ihre lebensfrischen, variablen Anlagen ausfüllen, was dort unbesetzt war, insbesondere das „Ehehaus“.
Um zu zeigen, wie dasselbe Vergleichsverfahren auch auf
außereheliche und geschlechtsgleiche Gemeinschaften anwendbar ist, lege ich die Einzeichnung der Gestirnstände
Schillers (Stunde unbekannt, vermutlich gegen Mitternacht)
in Goethes Kosmogramm vor. Wieder greifen wir die in der
vulgären Deutung schlecht wegkommenden Konjunktionen
mit Saturn und Mars heraus. Goethes Saturn auf Schillers
Sonne, Schillers Saturn auf Goethes Mond, das wären für
die vulgäre Auffassung bedenkliche Aspekte. Die negativen
Tendenzen dieser Aspekte äußerten sich bekanntlich zuerst
in gegenseitiger Ablehnung. Doch mit der denkwürdigen
Begegnung in Jena Ende Juli 1794, dem anschließenden
Gespräch über die Urpflanze und Schillers Wagnis seines
ersten Briefes, von dem Goethe sagte, er habe die Summe
seiner Existenz gezogen, trat ein Umschwung ein: der Beginn einer beispiellosen freundschaftlichen Auseinandersetzung und geistigen Zusammenarbeit. Die lebensaktiven
Elemente auf Seiten Schillers ließen von ihm die werbende
Initiative ausgehen (Sonne), gaben seiner brieflichen Analyse die aufschlußbringende Schärfe (Mars), während die beseelte Flexibilität Goethes die Mauer von Schillers
Verfestigung in kantischen Begriffen überwand (Goethes
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Mond in Konjunktion mit Schillers Saturn). Goethe hat stets
die Ergänzung seiner „weiblichen“ Natur in der Männlichkeit Schillers gesehen, wenn er auch erst bei dessen Tod die
ganze Größe des Verlustes verspürte.
So gesehen bezeichnen analytische Saturnaspekte die Demarkationslinien einer Beziehung, die nur bei Minderwertigen zu Druckmitteln, Entfremdungen und unlösbaren
Härten führen. Nicht Aspekte lassen Menschen auseinandergehen, sondern das Nichtlösenkönnen der in ihnen angegebenen Probleme.
Zu den mißbräuchlichen, verflachenden Anwendungen
der Astrologie zählen die beliebten Bücher „Wer paßt zu
wem“ mit ihren schematischen Urteilen „Steinbock paßt zu
Jungfrau“ usw. Die Auswahl nach Trigonalbeziehungen
spricht den Wunsch problemloser Harmonie an. Schon das
Sprichwort sagt aber, daß Gegensätze sich anziehen. Das
heißt in astrologischer Sprache: ein Bedürfnis nach Ausgleich von Einseitigkeiten greift in der Partnerwahl mit
Vorliebe nach gegenüberliegenden Zeichen und spannenden
Aspekten der Planetencharaktere. Auch finden wir häufig
eine Betonung der Osthälfte beim einen, der Westhälfte
beim anderen, oder den Gegensatz synthetischer und analytischer Strukturen. Dies ist als Wahlmotiv so richtig, als
wenn ein femininer Mann eine maskuline Frau wählt und
umgekehrt. Verstehen wir die Konstruktion des kreisläufigen Systems, so wird begreiflich, daß jeder Punkt darin
die Streberichtung zu seinem Gegenpunkt einschlägt. Beim
Studium der Frauenbeziehungen Goethes wird man gerade
bei den intensivsten Bindungen Oppositionen von Anlagekomponenten antreffen. Quadraturen sind schwieriger. Immerhin, der schöpferische Mensch braucht starke Spannungen mehr als erschlagende Übereinstimmungen, die
Wechselseitigkeit seines Umgangs kann weniger auf privates Glück abgestimmt sein als beim Durchschnitt. Was im
vulgären Fall nur Schwierigkeiten bedeutet, heißt einem anderen Paar willkommene Anregung, über sich hinaus zu
wachsen.
106
Aus der Erfahrung könnte ein Künstler-Ehepaar angeführt
werden, bei welchem der Mann den Aszendenten SKORPION mit Mars, die Frau den Aszendenten LÖWE mit Venus
im Geburtsbild hatte. Das besagt also eine Quadratur der
Aszendentenzeichen, betont durch Gegensatz der Planetencharaktere, allerdings der wechselseitigen Anziehungskraft
des „klassischen Paars“, doch eben darum den Unterschied
der Geschlechtsdimensionen verschärfend, was besonders
die schaffende Frau in eine Konfliktlage versetzt. Das Zusammenleben war spannungsreich, es ermangelte nicht der
aufregenden Zwischenfälle. Doch keiner von ihnen hätte
sich einen „bequemeren“ Partner gewünscht. Genau diese
Zusammensetzung ermöglichte jedem ein eigenständiges
Schaffen, in der persongetragenen Kunst garnicht so leicht
erreichbar bei täglicher Einwirkung aufeinander. Auch aus
den übrigen Widersprüchen der Anlagen ging die gegenseitige Bestätigung hervor.
Es hängt also in der Ehe alles am überbrückenden Verständnis, anders als in der Liebeswahl, die ein Ineinanderpassen triebmäßiger Regungen braucht. Hat man sich einen
Partner mit Diskrepanzen und starkem Spannungsgefäll zugetraut, so kann dies unmöglich verarbeitet werden, wenn
jeder egozentrisch in sich bleibt. Freilich ist es oft schwierig. Strebe ich etwa aus überwiegender SCHÜTZEBetonung stets auf das Einigende unter dem Blickpunkt der
letzten Dinge hin, komme ich durch die Verfolgung hochgesteckter, oft unrealisierbarer Ziele und das auflodernde
Temperament zu einem abwechselnden Hoch und Tief der
Lebenskurve, so setzt mir ein Partner mit überwiegender
ZWILLINGE-Betonung ein nervöses oder sensationslustiges Hin und Her von Urteilen vor, deren Superlativform
nicht zur Bedingtheit der Motive zu passen scheint. Ich muß
darin aber meine Ergänzung und einen anders gelagerten
Fortschrittsgeist sehen, dem meinen gleichberechtigt, auf
Gemeinsamkeiten und stützende Aspekte achten. Das
Schema „Hammer oder Ambos“ ist weder wünschenswert,
noch immer anwendbar. Gewiß findet man es häufig in
durchschnittlichen Ehen, bei denen auch sonst ein Zurück107
drängen des Individuellen zu Gunsten einer standardhaften
Typenform als beste Lösung gilt. Dann stehen keine Werte
individueller Entwicklung über den vegetativen Bedürfnissen und der Sozialanpassung gemäß dem Typus. Dies und
die Zufriedenheit damit sind Sache der Einstellung, in solchen Fällen allerdings kann man eher nach den vulgären
Regeln des Zusammenstimmens gehen.
Wie Ehe und Liebe zweierlei Lebensgebiete mit verschiedenen Anforderungen bzw. Voraussetzungen sind, ist die
Entwicklungshöhe und damit der in einer Gemeinschaft gesuchte Sinn unabhängig von der gegenseitigen Harmonie
der Anlagen.
Ein Thema für sich ist die Eifersucht, vielfach an der
Auslösung von Ehekrisen beteiligt; doch als affektives Verhalten keineswegs auf die Forderung sexueller Ausschließlichkeit beschränkt. Schon Kinder sind eifersüchtig auf den,
der vorgezogen wird. Lassen wir Besitzanspruch, Sicherungsgründe und dergleichen beiseite, so reduziert sich die
Eifersucht nicht etwa auf Mißgunst gegen einen Dritten,
sondern auf ein Bedrohtwähnen des ganz persönlichen Eigenwertgefühls. Dies trifft auch zu beim oft berechtigten
Ehe-Argument, der Dritte, der keine Verantwortung einer
lebenslangen sachlichen Gemeinschaft trägt, habe es in
puncto Liebe leichter. Hieraus gehen gewisse Unterschiede
bei Mann und Frau hervor. Das weibliche Geschlecht empfindet stärker die Einheit von Person- und Körpergefühl, es
geht der Weiblichkeit mehr um die Selbstbehauptung, instinktiv werden die eigenen Vorzüge ausgespielt. Beim
männlichen Geschlecht drängt sich instinktiv das kämpferische Verhältnis zum Rivalen vor (Nachklang tierischer
Brunstkämpfe), es unterläuft daher stärker die Eitelkeit des
überlegen sein Wollenden, sei es in körperlicher, sei es in
geistiger Potenz.
Auch die individuellen Unterschiede ermesse man aus der
Rolle des Eigenwerts bei den meist betonten Zeichen, mit
äußerer Vorherrschaft des Zeichens am Aszendenten als der
unmittelbaren Reaktionsart. Abgesehen von der Aspektierung der Sonne, die problematische Bedrohungen der inne108
ren Selbstsicherheit angibt, haben wir uns zu fragen, bei
welchen Zeichen der Eigenwert am ausgeprägtesten ist.
Zweifellos sind damit die Feuerzeichen im Vorrang, sie stehen analog dem personhaften Trigon der Felder. Besonders
bei LÖWE herrschen Stolz, Macht- und Geltungstrieb vor,
daher die eifersüchtigen Affekte, wenn dies durch Beziehung des Partners zu einem Dritten in Frage gestellt wird.
Bei WIDDER ist es mehr spontane Ichreaktion, bei
SCHÜTZE spielt ein Vergleich der Entwicklungshöhe mit,
das „Gemeinwerden“ des Partners mit „niedrigeren Kreaturen“. Ist im Feuertrigon die „blinde“ Eifersucht mit Naturtrieben verquickt und Ausdruck einer Vitalität, die bis
zum Selbstgefühl reicht, so liegt die Verletzlichkeit im
Lufttrigon beim Selbstbewußtsein. Es steht analog dem spirituellen Feldertrigon, doch spirituelle Erwerbungen werden
durch entsprechende Anlagen nur begünstigt, nicht schon
gegeben (Aussagegrenze!). Fehlt das Bewußtsein des eigenen Wertes, das eine gerechte Würdigung des Fremdwerts
ermöglicht, so entsteht Eifersucht auch bei dem für Enthebung vom Blutsmäßigen günstigsten Zeichen, bei WASSERMANN. Bei WAAGE handelt es sich mehr um eine
Störung des eingewöhnten Gleichgewichts zur Umwelt;
vieles hängt vom Kontakt zum Dritten ab, bei der pragmatischen Labilität von ZWILLINGE mit seinen schwankenden
Urteilen ist es gelegentlicher Neid auf den Begünstigten,
ideologisch zu bekämpfen.
Wie schon aus dem Gesagten hervorgeht, wird Eifersucht
bei fixen Zeichen oft zu einem langwierigen Problem, so
nun im erdhaften Trigon bei STIER, wo der Besitztrieb mitspricht und der Eigenwert sich auf gewohnte feste Tatsachen stützt. Bei STEINBOCK geht es mehr um Grundsätze
und formell nachweisliche Tatsachen in den Augen anderer,
gemessen am Üblichen, bei JUNGFRAU spielen Nützlichkeitserwägungen mit, die Affekte können, wenn persönliche
Verkümmerungen vorliegen, etwas Kleinliches und Verklemmtes bekommen. In diesen erdhaften Zeichen ist der
Eigenwert von der Tatsachenlage, im wässerigen Trigon ist
er von der Gefühlslage abhängig, darum unberechenbarer.
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Die bei SKORPION gefundenen Heftigkeiten gehen hervor
aus einem, mangelnde Sicherheit übertäubenden, Autoritätsanspruch, doch kann Bedrohlichkeit und Risiko, manchmal
sexueller Ehrgeiz im vorhinein die Haltung mitbestimmen.
Bei KREBS geht Eifersucht zurück auf Kränkung eines
langsam anwachsenden, in der Bekundung meist schüchtern
zum Vorschein kommenden Selbstwerts, bei FISCHE stülpt
sich gefühlsüberschwemmtes Selbstgefühl um in Minderwertigkeitsgefühle, oft auch eine sich anklammernde Überschätzung des Partners in sorglose Nichtachtung seiner
Eigenheiten.
Summarisch kann man sagen, daß Eifersucht bei Feuerzeichen affektiv fordernd, bei Luftzeichen durch die Betrachungsweise bedingt, bei Wasserzeichen eine unberechenbare und oft ambivalente Gefühlsangelegenheit, bei
Erdzeichen mit materiellen Interessen durchsetzt ist. Erst
freies Darüberstehen über seinen eigenen Anlagen macht
Toleranz gegenüber den Bedingnissen des Partners möglich.
Der Selbstsichere verbucht dann höchstens mit Bedauern,
daß der andere sich von ihm wendet, „es nötig hat“. Freilich
verhindert nicht die bloße Bewußtmachung, eher schon der
uneigennützige Wunsch, den Partner glücklich zu sehen, die
Regungen unterer Seelenschichten. Alles Inferiore wird aber
überwindbar, wenn man seine Motive erkennt.
Zusammenleben ist Entscheidung in uns und um uns selber, tägliche, im Ausgleich der Anlagen. Nur sich aneinander gewöhnen stumpft ab. Die Überwindung von Schwierigkeiten ergibt sich nicht allein aus gutem Herzen, hinzutreten muß vielmehr ein Gespür für das Anderssein des
anderen. Querköpfiges „so bin ich, so müßt ihr mich nehmen“ geht dies Experiment garnicht ein, dann wäre Scheidung besser. (Als trennender Faktor dieser Art tritt häufig
Uranus in analytischen Aspekten im 7. Felde auf.) Analog
dem kindlichen Trotzalter bezeichnet das 4., 5. Jahr die Phase der häufigsten Ehekrisen: die Anfangsvoraussetzungen
sind verbraucht, nun steht Ich gegen Ich und es muß sich
zeigen, ob tiefere Bindungen auf Dauer zusammenhalten. In
110
dieser Situation kann der Vergleich der Konstellationen
über Klippen des Alltags hinweghelfen.
Die heutige Einstellung zum Leben stellt in Abrede, daß
es einen einmaligen „Fall Eva“ und hinterher seine Folgen
gegeben habe. Es gibt ihn immerwährend, immer wieder
anders, nur darf man den Modellfall der Genesis nicht einseitig patriarchalisch lesen. Schon die Bewertung als Sündenfall legt einen Sündenbock nahe, wofür die Weiblichkeit
gern der Schlange synonym gesehen wird. Dies teilt die
Zwei-Einheit moralisch auf. „Sünde“ kommt von „sichAbsondern“ her. Am Baum der Erkenntnis verabschiedete
sich der Wissende von naiver Naturnähe, drängte die Triebnatur ins ungeteilt gebliebene Leben des Unbewußten. Luthers Intuition übersetzte richtig: er erkannte sein Weib. Wir
stolpern meist über das Nichterkannte, wenn wir den Partner
des Geschlechts wegen bezichtigen. Auf das unterschiedliche Naturverhalten von Mann und Frau trifft das Wort der
gescheiten Freundin einer betrübten Gattin zu: „Männer
sind verführbar und Frauen raffiniert.“ Doch ihr Ratschlag,
deshalb den Gatten nicht zu lange mit einer anderen Frau
allein zu lassen, löst das Eheproblem keineswegs. Solche
gattungsmäßige Lebensklugheit, in welche die sublimierten
Nestbau- und Brutpflegeinstinkte hineinpassen, redet um die
Einsicht herum, daß eine Ehe auf solcher Grundlage unhaltbar wäre, wenn in puncto Liebe, und nicht nur von außen
her, auf die Probe gestellt.
Jedes Ehepaar wird in ein Prüffeld versetzt, wenn Kinder
da sind und ins Pubertätsalter kommen. Dies ist erfahrungsgemäß die Zeit, in welcher nach einer Phase der Anähnlichung zwischen den Ehegatten alles aufbricht, was
nicht stimmt. Ohne die Schwierigkeiten, welche die Kinder
in ihrem Ungleichgewicht den Eltern vorsetzen, bliebe vieles vertuscht. Diese Krise hat mit individuellem Versagen
wenig zu tun, alle müssen sie durchmachen. Die durch einen
Fehltritt des Kindes hervorgerufenen Gereiztheiten führen
meist zum primitiven Vorwurf: das hat er von Dir! Von Segen kann es sein, an den Geburtsbildern sich den Gang der
Vererbung klar zu machen: in der astrologischen Version
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kehren ungelöste Probleme der Konzeptionszeit im seelischen Gefüge des Kindes wieder. Solche Bewußtmachung
hebt die Sündenbockpsychologie schon im Entstehen auf,
wenn das Verhalten des „Halbstarken“ bereitliegende Zündkapseln durchschlägt und das Pulver entzündet, das sich
zwischen den Ehegatten angesammelt hat. Explosionen
schaden dem Kind in seinem Ringen um Selbständigkeit
wie der elterlichen Beziehung. Noch schlimmer, wenn jenes
zum Blitzableiter wird, um diese sich zu erhalten, ebenso
wie umgekehrt, wenn man unbeherrscht auf den Partner
losgeht, um dem Kinde nichts anzutun. Anderseits sollten
Aufwallungen nicht um jeden Preis unterdrückt werden,
denn das puberile Kind will keine verkalkte Elternattrappe,
sondern gerechte Anteilnahme an seinem Tun und Lassen.
Schweigen wird als Zustimmung aufgefaßt.
Die Stärke und Art der Äußerung muß aber dem Anlaß
entsprechen und die Aufregung sich an die richtige Adresse
wenden.
Bequeme und unbequeme Kinder
Wenn die Mutterbereitschaft so aussieht wie bei jener
jungen Frau, die mir sagte: „Ein Kind bekommen - dann
kann ich ja ein Vierteljahr nicht ins Kino gehen“, wird wohl
jedes Kind unbequem sein. Aber auch im Gegenfall der
Mutter, die sich auf ein ideales Wesen mit allen erdenklichen Vorzügen einstellt und freut, bereitet das wirklich eintreffende Kind oftmals Enttäuschungen. Ein Kind ist
eben unweigerlich ein Kind und das heißt: jenseits von gut
und böse sein, fern den Konventionen, mit denen wir uns im
Dasein halten, im Frühzustand des Bewußtseins befindlich,
wo Subjekt und Objekt noch ungeschieden sind. Aber ob es
wimmert oder lacht, plärrt oder plappert, quengelig oder
stillvergnügt sich verhält: es ist aufnahmefähig und wird mit
zunehmendem Alter bildsamer. Mehr als Erwachsene ahnen, setzt sich im Kinde fest.
112
Dies ist das ungeteilte, geöffnete Leben, das wir mit
„Mond“ umschreiben und das in der saturnalen Welt, bestehend aus stückweiser. Dingen im gesetzmäßigen Bezug
aufeinander, allmählich Fuß faßt. Zuerst schwingt es noch
vegetativ mit der Mutter verbunden in seinem Eigenrhythmus, genährt im Säuglingsparadies, seelisch sozusagen ohne
Haut und daher prägsam durch mütterliche Gemütsqualitäten. Fehlt diese Lebensunmittelbarkeit, sei es in hygienisch noch so einwandfreien Umständen, so setzt ein
Manko an, das später nur der Abstraktion zu statten kommt.
Gelegentlich kommt es sogar vor, daß ein Kind von Anbeginn die dargebotene Brust anzunehmen verweigert (ein
konkreter Fall: Mond Quadrat Merkur und Anderthalbquadrat Uranus, sonst aspektlos), doch im Zusammensein
mit der Mutter die zur Gemütsbildung notwendige akustische Speise aufnimmt. Bekannt ist das Experiment des
Hohenstaufenkaisers Friedrich II., der eine Anzahl Kinder
unter besten physischen Bedingungen aufwachsen ließ, den
betreuenden Nonnen aber verbot, zu sprechen. An der
Stummheit der Welt sind diese Kinder gestorben. Das logisch vielleicht sinnlos erscheinende Blabla der Mutter oder
Amme, der tönende Gefühlszustrom, gehört zu den Anfangsbedürfnissen.
Unterschiede, die in der angeborenen Veranlagung, in
Rasse, Familientypus und Individualstruktur begründet sind,
geraten unter Provokationen der Außenwelt. Man hat beobachtet, daß ein auf das Gesicht gelegtes Tuch von chinesischen Babies gelassen ertragen, von europäischen durchweg
abgeschüttelt wird. Die Gewöhnung an äußere Reize, Temperament, Anpassung und Ablenkbarkeit, Aktivität, Dauer
der Aufmerksamkeit, Beharren in einer begonnenen Bewegung, allgemeine Stimmungstendenz sind verschieden (Untersuchungen von H. G. Bich, A. Thomas, Steven Chese,
dem Forscherpaar Freedman und anderen). Schon beim
Übergang zur Breinahrung nimmt sie der eine bereitwillig,
der andere spuckt den Brei aus und stößt den Löffel weg.
Erwähnt wurde bereits das „Fremdeln“, das Erkennen des
Ungewohnten (vgl. S. 45), die Angstreaktion ist aber ver113
schieden. Je älter das Kind wird, umso mehr kommt die eigene Persönlichkeit durch, für den beobachtend Hinhörenden bereits im ersten Schrei erkenntlich.
Sogenannte Umfragen sind mitunter gedankenlos angelegt. Man hat Angaben von berufstätigen und hausgebundenen Frauen gesammelt und unkritisch hingenommen, wobei jene in der Mehrzahl ihre Kinder als „leicht“, diese sie
als „schwer“ bezeichneten. Solche Angaben sind wenig
stichhaltig. Wer den lieben langen Tag mit seinem Kinde
zubringt, entdeckt natürlich mehr Schwierigkeiten, als wer
es an einen Kindergarten abgibt und abends ein von anderen
zugerichtetes Etwas in relativ lustloser Passivität vor den
Fernsehkasten setzt. Die ständig alle Regungen überwachende Mutter kann für das Kind zweifellos lästiger sein
als die Leiterin einer Spielgemeinschaft, in welcher die
Kinder einander selbst korrigieren. Aus den Schäden familiärer Bevormundung, dem sozial bedingten Mangel an
Nestwärme, dem immer häufigeren Zerfall der Geborgenheit im Elternhaus ist aber ein viel diskutiertes Problem entstanden.
Gemeinschaft von Kindern ohne Erwachsenenführung
(antiautoritäre Schulung, Kibbutz) kann im lebhaften Spiel
zwischenmenschliche Kontakte fördern, primäre Erfahrungen der lebenden Mitwelt vermitteln. Gewiß ist dies
dem „frustrierten Alleinsein in der elterlichen Wohnung“
oder den Zufällen der Straßenbekanntschaften vorzuziehen.
Auch der Versuch der „Kinderläden“ hat gezeigt, daß darauf
eingestellte Initiative und einfühlsames Verständnis einer
Leitperson viel vermag. Freilich spricht dabei auch das Zueinander der Konstellationen auslesend mit. Grundsätzlich
hat sich die Auffassung bewährt, daß eine Bildung des Charakters von außen herein nicht genügt. Er formt sich in persönlicher Auseinandersetzung mit der Umwelt, wobei
bestimmte Strukturelemente hervortreten, die geeignet sind,
die optimale Entwicklung des betreffenden Charakters zu
sichern. Der Selbständigkeitswille macht hierbei Halt an
einer Grenze, ab welcher Anpassung geboten ist. Doch die
neuen Methoden lösten noch nicht das Problem, wie weit
114
Kinder einander selbst steuern können. Gemeinhin führen
die „Selbstschulungen“ zur Rückbildung auf „animalische
Gesundheit“, wobei angeborene Macht- und Unterwerfungstendenzen florieren. Die lautesten Schreier, diejenigen mit
den stärksten Ellenbogen pflegen sich durchzusetzen gegen
feinere Regungen und humane Maßstäbe. Damit würde das
Gegenteil des Herausführens aus einer auf den Kampf aller
gegen alle gestimmten Gesellschaft erreicht. Wie steht es
dann mit menschlicher Fortentwicklung? Meist verstehen ja
auch die Eltern „Auseinandersetzung“ als erfolgreiches
sich-Durchsetzen, vor allem im Beruf. Charakter wird damit
zu einem sozialen Begriff, denn durch setzt sich, was den
herrschenden Tendenzen am besten angepaßt ist, es kommt
bei dieser Ansicht nur darauf an, die Umwelt zu verändern,
womit sich auch der Charakter ändern müsse.
Keine Angst bei Schlagwörtern wie antiautoritär! Solche
entstellen nicht unbedingt einen Inhalt, sie vereinfachen,
vergröbern ihn nur, bringen in Umlauf, was meistens auf ein
wahres Bedürfnis hinweist. Infolge der oftmaligen Wiederholung wird man der Schlagwörter überdrüssig, sollte aber
bereits vorher hinter den Klischeegebrauch blicken. Wenn
man ehedem in der freideutschen Jugend das Wort „wesentlich“ schon nicht mehr hören konnte, so lag es an eben dieser Verwässerung eines echten Strebens: sich fern zu halten
von überfremdenden Einflüssen, sich nicht einfangen zu lassen durch hohle Autoritäten und ihre Tabus, die „strammen“
Verhaltensregeln derer, die man heute „Etablierte“ nennt.
Doch Erziehung ohne lebendiges und nachahmenswertes
Vorbild wäre ein Messer ohne Griff. Nur handelt es sich bei
einer reifen Autorität, möglichst selbstgewählter, um etwas
völlig anderes als die Karikaturen, den niederknüppelnden
Zwang, dem berechtigte Auflehnung gilt.
Kinder ohne Anregung durch Erzieher, welche ein Nacheinander natürlicher Altersstufen, ihrer Aufgaben und Ausdrucksweisen, begriffen haben, können dem zeitlichen
Kontinuum des Lebens nicht gerecht werden. Gleichaltrige
untereinander sehen kein Vorwärts außer Verbesserung äußerer Tüchtigkeiten; bei wahlloser Mischung verschieden
115
Fortgeschrittener verlachen ältere Jahrgänge, was sie für
Unbeholfenheit bei den jüngeren halten, diese müssen sich
intellektuell künstlich hinaufstilisieren um dem Hohn zu
begegnen. Das Sublimste braucht Bestätigung, Vertrauen.
Anderseits wäre eine isolierte Charakterentwicklung ebenso
unmöglich. Die Bildung eigener Urteile hat gewisse Voraussetzungen, nicht überspringbar, wie eine Pflanze keine
Blüte vor den Keimblättern entfalten kann.
Bei unserer im folgenden gebrachten Staffelung der ersten Lebensjahre erkennen wir die ansteigende Gezeitenfolge kosmischer Symbole wieder (vgl. Bd. I, S. 90/91). Hat
man einmal die astrologischen „Planeten“ erkannt als Organe, die zur Vollständigkeit des Wesens ausgebildet werden
müssen, so ist es nur ein weiterer Schritt auf dem eingeschlagenen Wege, zu sehen, wie bei der Reifung der Seele
sinngemäß ihr Vorrang sich überstuft.
1. Lebensjahr, Mondstufe =
Mutter-Geborgenheit, Säuglingsalter, erste Befremdung
2. Lebensjahr, Merkurstufe =
selbst gesteuerte Motorik, Orientierung, Sprache
3. Lebensjahr, Venusstufe =
Einpassung in die Umwelt, Gemeinschaftsspiele, Lustgewinn
4. Lebensjahr, Sonnenstufe =
souveräner Ichtrieb, Trotzalter
5. Lebensjahr, Marsstufe =
energiemäßige Betätigung seiner Eigenwelt
6. Lebensjahr, Jupiterstufe =
Ausdehnungsdrang, Herumstreunen, Märchen und Mythos
7. Lebensjahr, Saturnstufe =
Gründung der Sachwelt, Überwindung der Lebensangst
So steigt das Leben aus Anlehnungsbedürfnis, Unfähigkeit, ohne mütterliche Hilfe aufzuwachsen, über den Drehpunkt der Ichwerdung zur Stütze in sich hinauf, gefunden
durch Bewährung in der Vaterwelt.
116
Stets tritt das Gemeinsame in Varianten auf. An Hand
dieser Liste sagt uns das Geburtsbild etwas über die individuellen Betonungen, die leichtere oder schwerere Abwicklung der einzelnen Jahre, über das zu Stärkende oder Zurückzudämmende. Allerdings sprechen Zeitklima und soziale Üblichkeit mit. Ist schon die extrauterine Geborgenheit
bei der Mutter heute fraglich geworden, so fällt bei Großstadtkindern die bildliche Symbolik des Märchenalters fast
ganz weg, obzwar die Mythologisierung in der Geistesverfassung unverkennbar wirksam bleibt und sich inferioren
Eindrücken preisgibt. Es gewinnt dafür die Intellektualisierung in technischen Kenntnissen und Verhaltensmustern,
wenigstens im Herrschaftsbereich der weißen Rasse auf
dem heutigen Entwicklungsstand. Oft werden die natürlichen Reifestufen verkitscht in den Micky-Mäusen, Comic
strips und dem Märchenersatz des Fernsehens, das außerdem die Entwicklung bildschöpferischer Phantasie unterbindet oder wenigstens empfindlich stört, die Bewegungslust wird übertragen auf mechanische Spielzeuge,
handliche Objekte zum mühelosen Sensationsgewinn. Die
allgemeine Fortentwicklung von den natürlichen Grundlagen weg verdeckt darin das kosmisch-Ordnungshafte,
vermag es aber nicht zu beseitigen. Nach einem Bonmot des
Verhaltensforschers Otto König kann die triebmäßige Verfassung von Jägern der Steinzeit sich moderner Explosionsmotore bedienen, den Bau der Autos und den Massenverkehr in unvernünftige Richtung lenken. Kulturell geschieht
eher den Steinzeitmenschen Unrecht mit diesem Vergleich.
„Bequem“ ist jedenfalls ein Kriterium, das nur über Eltern und Erzieher aussagt. Man „macht“ sich Kinder bequem durch Beeinflussung, Anähnlichung. Schon viel ist es,
wenn die Mutter im Mondjahr organisch stimmende Handlungen anbietet, dem animalisch Zappelnden den Rücken
streichelt und auf den Popo klopft, wenn sie später, im Merkurjahr, nicht nur das Gehenlernen unterstützt, sondern
beim Sprechenlernen den seelischen Ton der Begriffe zu
Gehör bringt (es hat etwas auf sich mit der „Muttersprache“), und noch später, im Venusjahr, wenn Kontakte
117
und Gemeinschaftsspiele an der Reihe sind, den Reim, die
Wiederholung trotz bunten Wechsels, die musische Lust
und Geschmackswahl kultiviert, statt dies als verlorene Zeit
zu betrachten. Die Auseinandersetzung mit der Vaterwelt
beginnt richtig erst im Sonnenjahr, als selbständige Ichperson mit eigenem Impuls und Entscheid, also keineswegs in
vorbehaltloser Anpassung, sondern oft in trotziger Gebärde.
Die Aktivitätswelle des Marsjahres führt zu selbstwilligem
Umhertollen, zur Übung von Mut und Übermut, wobei die
regelnden Maßstäbe in persönlicher Verantwortung zu
gründen sind (Aufräumen von Spielsachen und Handwerkzeug, Fairneß im Raufen, Leistungsansporn bei körperlicher
Übung). Basteln, selbstgefertigte Dinge sind erzieherischer
als glänzendste Fertigprodukte der Industrie, die zuvor an
Bauklötzen gemachten Erfahrungen der Statik, die unterschiedliche Verwendbarkeit der Materialien und dergleichen
wollen in den Griff gebracht werden. Nun, im Jupiterjahr
öffnet sich der Raum für den Umtrieb, die große Unternehmung, die Heldentat und Entdeckungsreise nach eigenem
Plan, es ist die Zeit der Robinsonaden oder des mythischen
Erfassens eines Weltganzen in Märchen, Sage, auch für
abenteuerliche Episoden der Geschichte, für das Durchforschen von Lebens- und Naturgeheimnissen. Wenn dann die
Schulzeit, sinngemäß im Saturnjahr, dem Jahr des Zahnwechsels, ein Wissen heranträgt, mit dem man später sich in
Staat und Gesellschaft sowohl einpassen als auch durchsetzen lernt, sollte auf diese Weise bereits ein persönliches Eigenreich vorhanden sein, um durch phantasievolles Lernen
ausgebaut zu werden.
Auf jeder dieser Stufen des elementaren Charakteraufbaues können traumatische Erlebnisse, Versagungen oder
sprunghafte Vorwärtsentwicklungen stattfinden. Solche Erlebnisschübe rollen sich gleichsam als Engramme ein, um,
verwandelt oder nicht, zu gegebener Zeit an die Bewußtseinswand projiziert zu werden; natürlich meist in eingekleideter Form. Für eine organismische Betrachtung steckt
„Zeit“ im Organismus als „seine“ Zeit und kosmologisch
klingt das Kleinere im Größeren an. Dies Größere besteht
118
hier darin, daß das Kontinuum unseres Seelenorganismus
weiterhin der siebenstufigen Periodizität folgt, mit nunmehrigem Übergreifen der Symbole in derselben Reihenfolge über Phasen von 7 Jahren. Es folgt also eine Mondphase, eine Merkurphase usw. und in diesen siebenjährigen
Phasen vollzieht sich erneut, der Tendenz nach, was der elementare Aufbau im Kleinen, auf den Jahresstufen, anskizzierte. In den entsprechenden, jetzt als geschlossene Phase
betrachteten Siebenjahresstufen taucht die Projektion dessen
auf, was das betreffende Jahr frühkindlich anschlug. Kriseneinbrüche, Erkrankungen folgen gegebenenfalls einem Wiederholungszwang, doch auch Umwandlung, Umwertung in
künstlerische und gedankliche Schöpfung kann auf diese
Art ein verdichteter Niederschlag von längst Vergangenem
sein. Es handelt sich um eine Auslösung ehemals aufgezogener Spannungen, man darf behaupten: verarbeitete Reflexe der beim Kinde noch naiven Eindrucksbereitschaft.
Wüßten die Eltern und Erzieher, wie sehr die innere
Grundlegung der menschlichen Existenz sich in dieser Elementarphase entscheidet, dann ginge die Stufenfolge der
Wesenskräfte mehr als bisher in die Anweisungen ein. Die
ersten Lebensjahre sind den Keimblättern der Pflanze vergleichbar. Wenn in diesen Jahren das Spiel, die Phantasie,
das Selbst-Erfinden zu kurz kommen, wenn man dem Kinde
etwa schon vor der Zeit Lesen und Schreiben beibringt und
es mit perfekten Spielzeugen überschüttet, leidet später die
Lernaktivität und Kraft des eigenen Urteils. Die wenigsten
Eltern halten ihren Erwachsenenverstand zurück und lassen
einfach gedeihen, was da ist. Die meisten tun zu viel, und
zwar Ausgedachtes, unterstützen nicht die Natur. Bedenklich spielt der Schatten einer Spätzeit hinein: untergehende
Zivilisationen differenzieren sich im Überflüssigen, sind
hilflos und unschöpferisch im Grundwichtigen. Der Zauber
aller Frühzustände beruht auf der Nähe zum Elementaren;
richtig und falsch, gut und böse soll aus eigenen Entscheidungen gewonnen, die Lebensleitlinie will erst gefunden
werden. Darum ist für das Kind die Ausbildung der Ent-
119
scheidungskraft wichtiger, als das Hineintragen eines fertigen Wertungsschemas.
Gewohnt, Zeit und Raum a priori hinzunehmen, verkennen wir, was es schon gestaltpsychologisch bedeutet, die
Anschauungsdimensionen zu meistern, so daß unsere organisch-seelisch bedingte Normalwelt entsteht (Umkehr des
Netzhautbildes, Einschätzungen der Entfernungen). Das
Kleinkind schafft im Umfassen der Dinge und in Übertragung des Raumgefühls den Anschauungsraum mit seinen
Abständen, vorher greift es nach dem Mond wie nach seiner
Klapper; mit dem physischen Nichterreichen beginnt die
Abstraktion. Dies und die Tempi gehören zur Personwerdung, für welche der Strukturelle Rahmen angeboren ist.
Die spätere Adoleszenz-Phantasie und der Sturz der Elterngötter bereiten sich aus diesen Anlagen vor mit individuellen Zügen, die man besser ausbilden, beizeiten steuern
hilft, als sie zu den Unbequemlichkeiten zu rechnen. Die
fleischgewordene Magna Mater, der über den Wolken thronende Demiurg, sie müssen einmal gestürzt werden, wenn
das Kind zur Selbständigkeit kommen soll. Sinnvollerweise
baut man diesem Akt vor, statt ihn den Überraschungen und
Orientierungskrisen, den Kämpfen, dem Gewissens-Widerstreit des Pubertätsalters zu überlassen.
An Kinderzeichnungen, Zwerg und Riese, kann man ermessen, wie bedeutsam bei produktiven Kindern die Auseinandersetzung mit der Übermacht der Erwachsenen ist.
Die Eltern stehen naturgemäß im Vordergrund. Zur interstrukturellen Problematik des Kindes, ausgedrückt in
Aspekten der Vater- und Muttersymbole, kommt das Verhältnis der väterlichen und mütterlichen Geburtskonstellation zu seiner eigenen. Zeichnen wir sie in diese ein, so gelten im Vergleich dieselben Regeln wie bei der Partnerschaft
(vgl. voriges Kapitel S. 101), doch mit gewichtigen Unterschieden. Das Stärkeverhältnis ist ungleich, die Zuneigung
hat mit Angst und Minderwertigkeitsgefühlen zu kämpfen,
beurteilt werden muß hauptsächlich, welche Wesenszüge
der Eltern assimiliert werden können und was Kontakt- oder
Funktionsstörungen hervorruft. Diese Gegenseitigkeits120
Aspekte wirken unabhängig von gutem Willen und Verwandtschaft. Will man keine Dressur sondern Erziehung zur
Selbständigkeit, so,muß man mit Einbedenken dieser Wirkungen auf die Anlagen des Kindes eingehen. Bei STIERBetonung etwa wirkt nur Freundlichkeit und Geduld sowie
Anspannung durch Lustmotive; Anschreien, uneinsehbare
Forderungen, Plötzlichkeiten wären Gift. Bei überwiegender
KREBS-Betonung hat man mit schüchterner Entfaltung des
Wesenseigenen, psychischer Verletzlichkeit und Schwellenängsten zu rechnen, wogegen WIDDER-Betonungen
härter anzupacken sind usw. Kurz, eine erzieherisch angewandte Deutungskunst muß die eigene Ausdrucksweise abstimmen auf den Zögling. Langfristige Ziele und
Konsequenz sind nur innerhalb dieses Rahmens und der periodischen Abwicklung erreichbar.
Nach dem Abschluß des elementaren Aufbaues (mehr ein
lockeres Hintereinander als eine geschlossene Phase) begibt
sich immer wieder dieselbe Folge und das konkret Gewordene setzt sozusagen Jahresringe ab. Doch nun fassen sich
Phasen zusammen mit einer Gesamttönung, wie in den
Symbolen des Kosmogramms enthalten, also entsprechend
Standort und Aspektierung der betreffenden Planeten. Dadurch bekommen die Wesenskräfte eine temporäre Geltung
und für den Astrologen ergibt sich ein überschlägiges Urteil
über den Werdegang. Die Stufenfolge im Großen übergreift
die weitergehende Abwandlung der einzelnen Jahre bis zur
hippokratischen Cäsur um 56 (vgl. Bd. I, S. 92-94).
Dies ist die Haupt-Lebensphase von 7 Siebenjahresstufen.
Zuerst folgen die matrizenhaften Jahre 7-14, in welchen die
anfänglich fraglose Autorität der Eltern dem lebendigen
Vorbild zur Nachahmung weichen sollte, auch die Konstellation des Lehrers als einflußgebend hinzukommt. Doch
selbst schwierige und spannungsreiche Gegenseitigkeit von
Lehrer und Schüler bietet immerhin Auseinandersetzung mit
einem lebenden Menschen, schädlich nur bei allzulanger
Einwirkung, meistens ist es der technisierten Ausbildung
oder gar Prüfung durch Computer vorzuziehen. Kommen
121
pathologische Verklemmungen vor, so wird es Aufgabe der
Eltern, einzugreifen. Lerneifer oder Unaufmerksamkeit in
der Schule, Einordnung oder Unverträglichkeit zuhause, all
das Launische und die durchgehende Phantasiebewegtheit
schließt ein, daß „übergreifend Mondhaftes“ nun die Einzelheiten des im elementaren Aufbau Gewordenen zusammenfaßt. Als Funktion der Prägsamkeit und Nachahmung
holt das Mondhafte ferner den assimilierten Stoff heran für
eine sowohl eigenwillige als auch sozialtaugliche Persönlichkeit. Zum Erlernen von Sprachen, Formeln, für naive
Aneignung von Wissensstoff überhaupt ist dies bekanntermaßen die geeignetste Zeit. Aktivere Seiten der Eigenperson
und damit Kritik, Selbstdurchsetzung erwachen um die als
Vorpubertät bezeichnete Mitte (Sonne- und Mars-Unterstufe). „Schlimm sein“, „Streiche verüben“ sind dann oft
Voranmeldung eines selbständigen Profils.
In diesem Stadium wird die Schulatmosphäre wichtig zur
Überwindung der Angst. Die Stufenfolge der Wesenskräfte
ist nicht so zu verstehen, daß, weil Saturn auf Jupiter folgt,
erst das Nichterreichen seines Optimums, die Erfolglosigkeit, eine Lebensangst erzeugt. Zurückbleiben, Versagen in
der Schule trägt höchstens bei zur Festsetzung gravierender
Formen der schon uranfänglich vorhandenen Angst. Natürlich kann ein Lehrer, der sich von dissonanten Aspekten
zum Schüler leiten läßt und ihn als „unsympathisch“ behandelt, zusätzliche Ängste erzeugen bzw. einer Bereitschaft
dazu Motive liefern. Im allgemeinen ist bei Positionen im 7.
Feld die Gestalt des Lehrers ausschlaggebender als sonst,
während für Heranbildung, Lernfortschritte oder -mängel,
subjektive Entwicklungsschwierigkeiten das 3. Feld gilt.
Auch Anlagen zu Kontaktwilligkeit oder -störungen sind in
diesem Zusammenbange wichtig. Akute Lebensangst beim
Heranwachsenden deutet oft auf zurückliegende Elementarstufen; sie besagt, daß damals nicht riskiert wurde, was zu
Erfolgen geführt hätte, wenn es richtig ergriffen worden wäre. Umgekehrt enthält die nun persönlichere Auswertung
seiner Begabungen eine Angstüberwindung. Gut, wenn das
Kind begreift und es ihm durch die Lehrmethode eingeht,
122
daß soziale Umwelt die Mittel dazu beisteuert und eines davon die Schule ist, nicht nur Plage und Zwang. Bei pädagogisch richtiger Einwirkung verliert die Schulatmosphäre den
befremdenden Akzent, den für manche Kinder schon das
erstmalige Betreten des Klassenraumes hat. Immer und
überall will der Mensch sich angenommen fühlen, zumal
wenn das Eigene noch so schwankend ist wie beim Kind.
Erziehung durch die Schule fordert primär kein Hineinstopfen von Wissensinhalten, seien sie objektiv noch so wertvoll, sie sollte vielmehr die Urteilsbildung fördern; wo die
Normschule dies nicht gibt, liegt die Ergänzung bei den Eltern in verständnisvoller Anleitung zur Orientierung in der
Welt, in welcher der Halbwüchsige seinen sozialen Standort
ausloten wird.
Einblicke in den inneren Zustand geben die Träume. Wer
angstvoll von Feuersgefahren träumt, unterband vermutlich
die Impulse seiner eigenen Feuernatur. Geängstigt in auf
gewähltem Wasser umherschwimmen bedeutet, Stürme der
Seele und Weggeschwemmtwerden des festen Bodens zu
fürchten. In materiellen Gütern schlemmen kann feststellen,
daß Grenzen der Menschlichkeit aus Eigennutz überschritten wurden. Ein geplatzter Luftballon signalisiert unter Umständen die Befürchtung geistiger Überheblichkeit. An der
elementaren Zugehörigkeit der meist betonten Zeichen kontrollierbar sind dies Selbstanalysen, erfinderisch in den Bildern, die einem Atemholen des ins Unbewußte hinein
Horchenden gleichen, der von sich Besitz ergreifen will.
Nun folgt die Zeitspanne, in welcher unbequem sein fast
zur Tugend wird als Kehrseite des Suchens nach sich, die
Merkurstufe 14-21. Sie umfaßt die eigentliche Pubertät und
die Adoleszenz bis zum Vollerwachsensein. Zwar rücken
die meisten die Geschlechtsreife in den Vordergrund, doch
gehört die damit erfahrene Zweiteilung der Menschen zum
entstandenen Ungleichgewicht, dem Verstörtsein der Identität, der Fähigkeit, sich als einheitlichen und selbstgenügsamen Zusammenhalt der Weiterentwicklung zu erleben. Es
gilt, auf neuer Basis sich zu finden, womit sich die bisher
aufgetretenen Ziele deutlicher zu einem Leitbild vereinigen.
123
Das ist der Inhalt aller Orientierungskrisen, der Diskussionen, in welchen außer Gleichaltrigen auch die Erwachsenen
Rede und Antwort stehen müssen. Mancher spaltet sich in
einen Menschen mit realen Bedürfnissen und eine gemäß
dem Leitbild stilisierte Idealperson. Nicht nur sein Geschlecht hat man in diesem Alter zu akzeptieren, sondern
auch die soziale Rolle und erwerbbare Tüchtigkeit, den
Entwurf von Stand und Geltung, zur Welt überhaupt soll
man Stellung beziehen. Darum das Schwanken zwischen
überspannten gemeinschaftlichen Idealen und narzißtischem
Rückzug. Wurde man in Unwissenheit über das Herankommende gelassen und wird man davon überfallen, so
steigert sich die Angstreaktion. Ohne Extreme, ohne Übertreibungen geht es kaum. Man glaubt alles sein zu können
und hat blutwenig Nachweisliches in der Hand. Mancher
geht mit seiner Besonderheit hausieren und hebt sie kraß
gegen die Herkunft hervor, nimmt aber vielleicht insgeheim
den elterlichen Standpunkt ein. Der eine bestraft sich im
aufkeimenden Geschlecht mit Askese, der andere gelangt zu
blindwütigen Triebausbrüchen. Wieder andere suchen mit
mehr oder minder schlechtem Gewissen in der Onanie verborgene Lustquellen. Die heutige offenherzigere Kollektivmeinung deckt für die Jugend durchaus nicht nur
sensationell auf, was früher unter die Schamschranke geschoben wurde. Auch das geschlechtsspezifische sichErkennen als Mann oder Frau zehrt vom übergeordneten
Menschlichen. Die Sexwelle von heute ist mehr das Erzeugnis einer Generation, die Geschlecht unter dem Druck
des Verbotenen, der Abstempelung als sündhaft oder gar
schmutzig erlebte, und der Reflexe darauf. Heranwachsende
sind demgegenüber eher mißtrauisch, viele wittern manipuliertes Ablenken von unzulänglichen Sozialzuständen. Pubertät ist eine Zeit rasanter Entwicklung auf ganzer Linie,
aus merkurischen Zweideutigkeiten und Zweischneidigkeiten erlöst es, im Vorhandenen sich bewähren zu lernen.
In der Verhaltensweise der Tiere zeigt sich die zentrale
Rolle des zu verteidigenden Reviers. Für primitive menschliche Gemeinschaften ist die Fremde das schutzlose Elend,
124
der Fremde der gefürchtete Eindringling. Im persönlichen
Anspruch des Heranwachsenden geht es um ein Revier der
Einzelgeltung. Der im Elternhaus meist zu Gunsten der Familienatmosphäre unterdrückte, im eigenen Heim manifestierte Wesensgrund ist gleichbedeutend mit dem „Nest“
Das Sicherwerden im Eigenen hat seine Vorstufen. Durch
das erste Erkennen eines Andersseins des anderen wird die
Verinselung im Säuglingsparadies gestört, mit dem angstweckenden Fremden bricht „das Böse“ in die Harmonie ein.
Die Auflehnung gegen die Eltern im Trotzalter bringt nun
gleichsam das eigene Böse, das Anderswollen zum Vorschein, die Identifizierung mit seinem Ich äußert sich als
Dämonie, als Dissonanz. Darin gründen sich These und Antithese des ethischen Wertproblems, die Pubertät und Adoleszenz soll nun eine Synthese herausbilden. Allerdings liegt
in der Aufsässigkeit dieser Jahre häufig ein nachgeholtes
Trotzalter, weil dies nicht sinngemäß durchgestanden wurde; gerade ehemals sanfte, ordentliche und nachgiebige Musterkinder müssen erst zur Antithese hinfinden. Doch das
unangezweifelte „nein“ des trotzigen Kindes ist in nunmehr
gewandelter Form weniger Abwehr, als beweissuchende
Dynamik. Sie steckt in der vielgerügten „Unbelehrbarkeit
der Jugend“, die ihr Gutes darin hat, daß sie zum Ausprobieren radikal neu gebildeter Anschauungen führt. Ohne diesen
Kampf gegen fertige, wenn auch vielleicht richtige Meinungen käme kein geistiger Umschwung zustande. Überschwänglichen erscheint auch Selbstdisziplin als autoritäre
Verhärtung, angemessener klingt ihnen das napoleonische
„on s'engage et puis l'on voit“.* So reibt sich der Puberile
mit präpotenten Urteilen am Althergebrachten, um seinen
Platz in Welt und Gesellschaft zu finden.
Jetzt heißt es ihn einzunehmen, diesen Platz, ohne am eigenen Revier hängen zu bleiben. Fähigmachen zur Koexistenz mit anderen bei Wahrung des Eigenen, darin liegt
Sinn und Wert aller Erziehung. Der vollerwachsene Mensch
wird entlassen in die Venusphase, 21-28. Sie soll harmo*
„Man läßt sich ein und dann sieht man`s.“
125
nische Einordnung und Aufblühen sinnlicher Gegenwärtigkeit bringen, von ihr hebt sich dann die solare Phase 28-35
ab, das eigentliche Mündigwerden durch die persönliche
Lebensaufgabe.
Gibt es auch anlagemäßige „Frühblüher“ und „Spätblüher“, können Rasse und Klima die Zeiten etwas verschieben, so liegt doch in diesen Siebenjahresstufen ein gesamtmenschlicher Kanon. In Aufbaustufen denken, heißt
Tatsachen zusammenhängend als notwendig für den Verlauf
einer Entwicklung sehen. Das Geschehen wird so gruppiert
begriffen, daß ein Vorgang dem anderen nicht nur kausal,
sondern sinngemäß folgt; im vorangegangenen Geschehen
wurde schon vorbereitet, was jetzt geschieht, und im gegenwärtigen steckt, was geschehen wird. Das einzelne ist
ein Glied im organischen Kontinuum, in dem „Jugend“ auf
„Alter“ hin lebt. Im gleichen Sinne sprach man früher von
Kinderkrankheiten, wo die heutige Medizin ursachenmäßig
Beschreibungen wie Virusinfektion, vegetative Störungen
und dergleichen bevorzugt, Beschreibungen, bei denen der
Zeitpunkt des Auftretens gleichgültig ist. Übergeht man so
die Frage, ob etwa Masern mit ihrem kurzen und heftigen
Fieberanfall eine für die organische Entwicklung unersetzliche Rolle spielen, dann erscheint die sofortige Eingabe fiebersenkender Mittel richtig. Diese Fragen müssen wir aber
in der Charakterbildung dezidiert stellen, da es altersmäßig
zu bestimmter Zeit auftretende Erscheinungen gibt, die sich
einem Ausschlag, einer spontanen Wärmeregulierung usw.
vergleichen lassen; man denke an das Trotzalter. Bejaht
man Phasen von seelischem Aufbauwert, auch notwendige
Krisen wie etwa die Pubertät, die sich übrigens auch im
Leib-seelischen Zusammenhang darstellen läßt, dann wird
man im „Bequemmachen“, in vorbeugenden und verdekkenden Maßnahmen hauptsächlich Verhinderungen der
sinngemäßen Entfaltung sehen. Nicht Verdecken, sondern
Durchstehen kritischer Phasen heißt das Gebot, die Befähigung hierfür zu unterstützen, ist Aufgabe der Erziehung.
126
Die Unbehausten des Fortschritts
Zwischen Banken, Warenhäusern und Versicherungspalästen irren Tausende umher, die ohne Obhut, ohne Glauben, ohne Verpflichtung dahinleben, die keinen Sinn ihres
Daseins wissen. Man hört gelegentlich im Vorübergehen:
warum bin ich denn überhaupt da? Was soll ich im Leben,
gehts nicht genausogut ohne mich? Seelisches Unbehaustsein hängt nicht nur vom Materiellen ab, doch die Stofflichkeit der Existenz hat ihre Folgen. Die so reden, sind
irgendwo im Hinterhof, in der Kellerwohnung, vielleicht in
der „Beletage“ einer Mietskaserne aus dem vorigen Jahrhundert oder in einer modernen Wohnmaschine aus Beton
und Glas aufgewachsen - das ist nicht allein entscheidend,
spricht aber mit. In der Schule hat man ihnen etwas, das sie
nicht interessierte - wenig geeignet, eine Lebens-Leitlinie zu
entwerfen - in den Kopf gestopft. Nachher war es schwer,
wenn der Vater kein Geld zu etwas „Besserem“, nämlich
zum Studium hatte, eine Lehrstelle zu finden. Da trat nun
ein gravierenderer Umstand heran: das durch den technischen Fortschritt und das Verkaufenmüssen seiner Arbeitskraft veränderte, unpersönlicher gewordene Verhältnis zum
Arbeitsgegenstand. Das allgemeine Vertuschen dieser Frage, die stumme Übereinkunft, nicht darüber zu reden, verstärkt die institutionierte Panik. Den Betroffenen scheint
alles gleichgültig zu sein. Irgendein Job ist eines Tages fällig, dann kann man sich genügend Zigaretten beschaffen, ins
Kino gehen, möglicherweise ein Motorrad kaufen und am
Wochenende in die Gegend brausen, mit oder ohne Mädchenfracht auf dem Hintersitz.
Wie das mit dem anderen Geschlecht geht, hat man längst
ausprobiert. Im Moment spannend - ihr kennt ja die GlasWasser-Theorie und den Durst -, auf die Dauer langweilig.
Immer dasselbe, mit der und jener, umgekehrt von ihr aus:
mit dem und jenem. Viele sind schon mit zwanzig Jahren
blasiert. Na ja, man wird eines Tages zu zweien leben, das
ist praktischer, und man hat seinen Sex im Hause. Da gibt es
aber noch Fußball, Popmusik, irgendein „Fan“ zu sein be127
deutet etwas. Auch Rauschgift ist interessant, schon in der
Schule trat einer an dich heran: was, du hast noch nicht gefixt? Zwar teuer, das Zeug, und wenn man es mal versucht
hat, schwer davon loszukommen. Soll gefährlich sein, das
gehört zum Spaß und steigert den Reiz. Wenn man aber den
Stoff genommen hat und er zu wirken anfängt, fühlt man
sich in einer anderen Welt und ist ein Kerl. „Bewußtseinsänderung“ nennen es manche. So etwas kann einem die
Bierflasche nicht bieten.
Dort in der Ecke sitzt ein Romantiker, quatsch ihn doch
an. Ja, ich habe auch einmal geträumt und mir vieles ausgedacht, was nicht ist. Als Kind bereits, sobald die Spiele aus
waren. In einen Winkel haben wir uns verkrochen und
wenns zwischen Mülltonnen war. In eine „Höhle“, wie wir
es nannten. Da tat man nicht nur, was man so in einer Höhle
macht. Auch später gabs Augenblicke, allein mit seinen Gedanken. Es leben ja tatsächlich Leute, die behaupten, dies
alles könnte ganz anders aussehen und dahinter wäre noch
eine Welt, schöner als alles, was sich ausdenken läßt. Nichts
von dem, was Lehrer und Pfarrer sagen und keine Pflicht,
wie man sie uns im Rekrutenunterricht andrehen will. In den
Buchläden sieht man Bücher, die schreiben, daß jeder
Mensch schon einmal dagewesen sei und wiederkommen
wird. „Wiederverkörperung“ nennen sie es. Das ist eine Sache ungefähr wie der Humbug mit Joga und dergleichen.
Vielleicht ist etwas dran, und es kommt mal besser. Die
Astrologen wollen es genau wissen und sagen dir aus den
Sternen, wer du bist und was mit dir passiert. Möglich ist
viel, aber man weiß es nie sicher.
Was antworten wir jemandem, der so daherredet? Bequemer ist es immer, sich aufs hohe Roß zu setzen, das
Wort „Niveau“ zwischen den Zähnen zu zerquetschen und
so zu tun, als ginge uns dies nichts an. Doch eine Kultur ermißt sich nicht allein an den Pyramidenspitzen, sondern
auch an ihrer Basis, der Grundlage in den sogenannten „unteren Volksschichten“. Bestenfalls sickert etwas bis da hinunter durch, was oben gelehrt wird. Wie aber das Volk mit
128
oder ohne solche Lehren lebt, macht das Tragende einer
solchen Kultur aus.
Wie gesagt hängt seelisches Unbehaustsein nicht allein
vom Materiellen ab. Auch in wirtschaftlich guten und „anständigen“ Verhältnissen können die Bedingungen dafür
gegeben sein. Oft ist es schon die elterliche Situation, anders gemeint wie in der orthodoxen Psychoanalyse, das
fehlende „Nest“. Nach einem Worte Mitscherlichs wäre
heute öfter von einem „Kaspar Hauser-Komplex“ statt von
einem Ödipus-Komplex zu reden. Er meint freilich etwas
anderes als eine Vernachlässigung wie beim historischen
Kaspar Hauser.
Streit und Trennung der Eltern sind in jedem Fall ein
Einbruch in das Gleichgewicht der Kindesseele. Wächst das
Kind ausschließlich beim Vater oder, wie im Gefolge des
letzten Krieges allzu häufig, bei der Mutter heran, so wird
das nach beidem verlangende Anlehnungsbedürfnis in der
Entwicklungszeit gestört. Es entsteht ein Vakuum, worin
das Fehlende, herbeigewünscht, sich oft wunderliche Kompensationen verschafft, natürlich unbewußt. Nimmt das
Kind im Falle erlebter Uneinigkeit Partei für den einen, verhärtet sich dies durch gewisse Umstände, dann ist dies von
Rückwirkung auf die Entsprechungen einer Wesenskraft in
ihm selber, sie verkümmert oder bekommt eine bezweifelte,
angestrittene Rolle.
Im folgend gebrachten Beispielfall kam es gar nicht zu
diesem Erlebnis. Der Vater blieb bis in die Pubertät des
Knaben hinein ihm eine imaginäre Figur, weil er infolge
entstandener Zwistigkeiten, ihnen ausweichend, von seiner
Frau fortgegangen war, als das Kind eben sein erstes Lebensjahr vollendete. Die Mutter hatte reichlich Gelegenheit,
ihren Zorn über diesen Weggang in die Schilderungen des
Vaters einfließen zu lassen, so daß sich dem Knaben ein
entstelltes Vaterbild eingrub. Da der Sonnenstand ein Vatersymbol ist und zugleich das Eigenwertgefühl andeutet, war
dies von verheerender Rückwirkung auf alles, was dieser
Sonnenstand im 6. Feld im Zeichen FISCHE bedeutet. Die
Kernanlage wurde negativ „imprägniert“. Auch der Aszen129
dent WAAGE ist in Rechnung zu ziehen, er trägt nicht zur
Stärkung des Gesamtantriebes bei, sondern Weltoffenheit
und sinnliche Beeindruckbarkeit verbinden sich mit dem an
sich schwachen Eigenwillen entsprechend dem ichlosesten
Prinzip, nämlich FISCHE. Analog der Gegensatzspannung
von Sonne zu Pluto - leicht Zurückweichen vor einer Übermacht oder panikartiger Gegenschlag - wandeln sich häufig
die zentralen Vorhaben. Am höchsten über dem Horizont
steht die Konjunktion des Muttersymbols Mond mit Mars;
die muttergebundene Triebhaftigkeit befindet sich analog
LÖWE in leidenschaftlicher Bestimmtheit oppositionell
zum friedesuchenden, geistig beschwingten weiblichen
Erosbild, Venus. Die Mutter hat es in ihrer Alleinherrschaft
leicht, den resolut vom Vater ferngehaltenen Jungen an
Kandaren zu halten, wenigstens im vorpubertären Zustand,
denn mit erlangter Reife müßte die erotische und ästhetische
Wahl andere Wege gehen.
130
Die unmittelbaren Folgen: Der Siebzehnjährige versagt in
der Schule sowie gegenüber Gleichaltrigen. Er ist gutmütig
und ängstlich, läßt sich von jedem ausnützen. Sein Eigenantrieb ist gestört, zumal der ältere Bruder nach einem Ausbrechversuch bereits Selbstmord begangen hat. Es fand sich
ein teilnehmender, verständnisvoller Lehrer, der nach dem
„Sitzenbleiben“ vorschlug, der Junge solle doch zeitweise
zum Vater gehen und eine Weile bei ihm bleiben. Strikt,
gestützt auf das Gesetz, lehnte dies die Mutter ab. Zu einem
„übertragenen Vaterbild“ reichte die Persönlichkeit des Lehrers nicht aus; dergleichen hätte das Grundvertrauen stärken
können. Der leibliche Vater wollte, daß der Junge aus der
Schule genommen wurde, um ein Handwerk zu lernen. Dabei spielte wohl die heimliche Erwartung mit, sein Sohn
könne langsam der mütterlichen Bevormundung entwachsen. Die Mutter blieb auch in diesem Punkte hart und unnachgiebig. Rechtlich hat sie die Vorhand. Daß der Junge
Feuerwehrmann werden wollte, war ihr als Akademikerin
„nicht fein genug“; er solle in der Schule aushalten bis zum
Abitur.
So bleibt alles beim alten. Wenn der Junge dann mit 18
Jahren selbst über sich bestimmen kann, wird er bei solchem
„Verschlucktsein von der Mutter“ kaum andere Wege zu
gehen sich trauen. Auch ist noch das Gespenst des drei Jahre älteren Bruders und seines Geschickes da.
Wenn ein vaterlos Heranwachsender ohne lebendiges
Vorbild sich eine Vorstellung selbstbewußter Männlichkeit
verschaffen soll, sind außer dem Sonnenstand das andere
Vatersymbol Saturn und das Triebsymbol Mars wichtig.
Betrachten wir das Kosmogramm des drei Jahre älteren
Bruders. Mars im Saturnzeichen zeigt Trieb und Drang gebunden analog der Konjunktion mit Saturn selber; die Sonne
steht als fast einziges Symbol über dem Horizont, wo die
Außenbezüglichkeit beginnt. Merkur daneben steht noch
unter der Klammer des Saturn im Zeichen STEINBOCK.
Bei Sonne am Deszendenten empfängt man seinen Eigenwert vom Du, bestätigt ihn durch Wirkung auf andere, insbesondere den Partner vor Augen. Unter diesen Voraus131
setzungen und bei Sonne in WASSERMANN wäre der Vater der gegebene Mentor und Führer zur geistigen Selbstgewißheit gewesen, vor allem in der Pubertät, der Schwelle
zur Mannbarkeit des Jungen und Anpassung an die Erwachsenen-Norm. Das Uranuszeichen des Sonnenstands weist
auf Uranus, in Quadratur zum Mond einen Abstand zur
Mutter suchend. Ein kontakterwartender Außenseiter findet
Anerkennung in der Klasse durch Clownerien, die zum Lachen reizen, vorgeführtes Aufbegehren gegen den Lehrer
oder, wie hier, die gemütvolle Weichheit des KREBSAszendenten unter harter Schale verbergend, als gefürchteter „Schläger“. Da solche Ventile nicht ausreichten, ging der
Junge von zu Hause fort und verschwand, bis ihn die Polizei
irgendwo auffand. Der zwangsmäßig zur Mutter heimgebrachte, als entehrt behandelt, gelangte an den Punkt, wo
einem das Leben nicht mehr lebenswert ist.
132
Das Optimumsymbol im freiheitsliebenden Prinzip
SCHÜTZE, zog er selber den Schlußstrich.
Dergleichen Dramen könnten sich schwerlich auf diese
Weise abspielen, wenn nicht der Geburtskonstellation gemäße Anlagen vorlägen. Doch das Meßbild der Konstellation, das Horoskop oder Kosmogramm, enthält keine
unbedingt so oder so vorbestimmten Ereignisse. Die eintretenden Entsprechungen der berechenbar mitgegebenen Tendenzen sind großenteils erb- und umweltgeprägt, und die
Entscheidungen des selbstbestimmenden Faktors, der den
letzten Ausschlag gibt, brauchen ein erlangtes Eigenwertgefühl. An dessen Festigung und Legalität können und sollen Eltern mitwirken. Die Konjunktion Mars-Saturn im
Saturnzeichen kann zwangshaft eingesperrte Aggresion,
muß aber nicht Selbstausstreichung bedeuten, der Quincunxaspekt Merkur-Sonne zu Pluto, der in ebendiesem Fall
vielleicht die Versetzung in eine andere Welt durch Kurzschluß auslöste, wäre als geistiges Entwicklungsmotiv die
Sehnsucht, die Verwandlungen des Seins zu begreifen. Ein
seelisch Unbehauster findet schwerer zu sich selbst. Auf
jeden Fall leichter, wenn positiv aus elterlicher Obhut entlassen, hat man sein Geschick analog der in Aspekten ausgedruckten endogenen Problematik, auch in Konfliktform,
auf sich zu nehmen. Dies nimmt uns niemand ab. Aber es
sind schöpferische Aufgaben der Selbstgestaltung, auch in
der Nötigung, durch Schwierigkeiten hindurch zur Identität
mit sich zu finden.
Der Sündenbock
Vom Werdegang unterscheidet sich, auf jeder erreichten
Stufe wiederholt, die Manifestation des ausgebildeten Charakters. Ihre Gefahren sind andere, die Entgleisungen weniger auffällig, wenigstens erscheinen sie einem selbst so.
Sinnvoll oder nicht, man muß den Existenzkampf bestehen
und „wo gehobelt wird, da fliegen Späne“ sagt ein Unge133
rechtigkeiten gutheißendes Sprichwort. Meist entschuldigt
man damit eine Haltung, die grobe Verstöße gegen das Anrecht anderer oder Vergröberungen eigener Charakterzüge
als ebenso geringfügig wie notwendig hinstellt. Geht dies
vorwiegend die marsische Durchsetzung an, so sanktionieren ähnliche Redensarten die venushaften Bedürfnisse zur
Erhaltung der Eigenharmonie.
Eine der fragwürdigsten Gewohnheiten macht für inneres
Ungenügen einen äußeren Sündenbock haftbar. Auch dazu
müssen Sterne herhalten, wenn wir den Transittanten glauben, die aus den Ephemeriden herauslesen, was die Übeltäter da oben uns zuschicken. Näher liegt natürlich die
Beschuldigung eines Mitmenschen, möglichst auf der Stelle.
In diesem Punkte sind fast alle bei einem Fehlschlag rasch
mit einer Anschuldigung bei der Hand: „weil du . . .“, oder
„weil mir in den Weg kam . . .“. In jeder Verteufelung steckt
eine umgestülpte Theologie und durch das, was man für
teuflisch hält, lugt ein verkappter Glaube hervor, hier die
Selbstvergottung. Man kann von der Kehrseite aller Idealisierung seiner selbst sprechen und damit kommen wir zu
dem, was Carl Gustav Jung den Schatten nannte (vgl. Bd.
III, S. 162, Anmerkung). Um richtig zu verstehen was er
meinte, müssen wir aus der geheimnisvollen Vieldeutigkeit
mythologischer Schattensymbolik dasjenige nehmen, was
moralischen Bezug hat. Jung meint den Gegensatz zum
Wertgeschätzten als der schattenwerfenden Lichtquelle, die
Summe des im Lauf des Lebens Verdrängten und meint
mithin Ungelebtes, das gern zum Leben gekommen wäre.
Unsere von der Vernunft ins Dunkle verstoßene inferiore
Persönlichkeit wird zum Gespenst, zur symbolischen Teufelsfigur. Sie enthält die persönlichen und kollektiven Dispositionen, die mit unserem Ideal des Guten und Wertvollen
unvereinbar wären. Die Teufelsfigur ist der Widersacher
dieser Idealbildung, aus untergründigen Quellen meistens
lebensvoller, als die blasse Idee der Tugend. Obzwar glaubhaft nach außen projiziert, ist sie doch ein Teil unserer eigenen Seele, ihre Nachtseite, und die verunsichernde Rückwirkung des Bezichtigens Fremder auf den Bezichtiger stellt
134
sozusagen die geheime Rache von Angedichtetem aber
nicht Wirklichem dar. Genau genommen ist der Sündenbock
ein Bumerang. Lernen wir ihn aufzufangen.
Wie immer werden äußere Erklärungen gegeben. Die Anschuldigung, daß andere uns im Stich lassen, mag zurückgehen auf einen empfundenen Mangel elterlicher Betreuung. Die Erzeuger hätten uns vernachlässigt, nicht objektiv
ihre Elternrolle erfüllt. Ist es aber so? Mancher stilisiert sich
zum Kaspar Hauser aus dem unbefriedigten Wunsch nach
Verwöhnung. Etwas Unechtes liegt in subjektiver Mißbewertung unschuldiger Tatsachen. Echte Gefühle spielen
vielleicht mit. Ärzte, Fürsorgestellen und private Hilfe
übermäßig für sich in Anspruch nehmen bietet möglicherweise Ersatz für den andernorts mißglückten Versuch, Liebe
zu gewinnen. Dies wäre immerhin der menschliche Mantel
des Schattens und etwas anderes als Schuld, Peinlichkeit,
Verdrängung, woraus sich seine Kernschwärze rekrutiert.
Wer infolge der Finsternis in sich das Unrechtmäßige einer
schäbigen Handlung nicht einsieht, pflegt festzuhalten an
widrigen Umständen, die seine guten Absichten hintertrieben. In der Bedingtheit von allem durch alles gibt es immer
Ausreden. Die Mehrzahl der Kriminellen glaubt sich zu
kurz gekommen, verführt, sieht sich als Wiedergutmacher
eines an ihnen verübten Unrechts. Für kranken Rechtssinn
und feinschmeckerischen Selbstgenuß sind Probleme zuständig, die in Jupiter- und Venusaspekten verschlüsselt liegen. Das „Sünden anrechnen“ ist eine besondere saturnisdie
Entgleisung, falsch verstandene Selbsterhaltung widersetzt
sich dabei besserer Einsicht.
Es wäre die eingangs abgewiesene Verteufelung des
Himmels, einen Stern haftbar zu machen für nicht geglückte
Selbstverwirklichung. Freilich darf man, solange die Atmosphäre der Umwelt durchsetzt ist von Haßbildern, nicht alles
dem Einzelnen anlasten. Doch liegt hier der Punkt, in dem
wir für die Beteiligung an Massenaggressionen empfänglich
werden. Wer persönliches Ressentiment (schmerzliche
Nachempfindung, Groll, Rachegefühl) bestehen läßt, ist
darin ansteckbar. Vorbereitend wirkt auch rückgratloses
135
Übereinstimmen mit dem Meinungsdurchschnitt, Konformismus der Geisteshaltung; Abstützung durch das „allgemein Anerkannte“ wird unversehens zum Feind der Kritik
an sich selber.
Alle Wesenkräfte können entstellt, ihr Bestes kann unentwickelt bleiben. Was wir Inviduation nennen, strebt eine
Vollständigkeit an, die negative Tendenzen in positive verwandelt einbezieht. Der Sündenbock-Affekt ergreift also die
nicht Belebte Seite eigener Möglichkeiten geschwärzt; damit andere anschwärzend, verschreien wir das Bessere.
Dies, die Heilung, sollten wir in uns suchen. Wie steht es
mit dem Anlaß? Erwünschte wie unliebsame Vorkommnisse
im menschlichen Zusammenleben sind außer den Trieben
und Gefühlsmotiven, die sie herbeiführen, Rechnungen, die
aufgehen oder nicht. Im Streitfall lege man sich kühl die
Frage vor: warum stimmt die Rechnung nicht? Welche
Faktoren wurden übersehen und welche falsch eingesetzt?
Die ranghöhere Stufe setzt immer die Erfüllung der vorangegangenen voraus; die uranische Erhöhung, der Sprung
über seinen Schatten, gelingt erst, wenn die saturnische Integration redlich durchgeführt wurde. Das heißt im geistigen
Feld, affektfrei die Begriffe auf Tatsachen einzugrenzen,
damit der Inhalt den richtigen Stellenwert im Ganzen bekommt. Quälerei infolge Denkfaulheit ist der saturnisch
vollendeten, der voll integrierten Persönlichkeit unbekannt.
Zu ihr gehört das Einigsein mit seinem Gewissen. Dessen
gerechtfertigt mahnende Kraft ist schattenlos (ohne Selbstquälerei) und enthält keine Niederschläge von bloß aufgedrungenem, keine eingeimpften Verbote und lästigen
Pflichten, weder angestauten Haß noch Strafangstprodukte.†
Dies wäre „inferiorer Saturn“. Hierzu gehören auch verdrängte Übelstände und das Belasten Fremder damit. Ein
intaktes Gewissen ist das souverän anerkannte Baugerüst
†
Vgl. Bd. III, S. 93 Anmerkung. Dort ist die Rede vom introjizierten Über-Ich,
in dessen Perspektive dasjenige, was den Menschen autonom über seine Ichtriebe
hinausführen könnte und sollte, als eine regressive Instanz betrachtet wird. Das
introjizierte Über-Ich kann seiner Herkunft nach Lebensantriebe nur unterdrücken,
nicht aufschließen. Vgl. demgegenüber das Kapitel „Gewissenlosigkeit“.
136
dir Grundsätze, an die sich unser Lebensstil in Hinsicht auf
das Menschenwürdige hält. Wer in dieser Beziehung lax ist,
einen Scheinbau aufführt, handelt gewissenlos, sobald die
äußeren Schranken fortfallen.
Bei der Verwandlung von Angst in Furcht sahen wir, daß,
wer den inferioren Saturn in sich zum Gegner macht, die
Handgriffe findet, ihn anzupacken. Dies erzeugt aus Mars
die gerichtete Aktivität und bezieht aus Sonne die Potenz,
zu obsiegen. Dasselbe gilt für die Auseinandersetzung mit
dem Schatten. Es ist durchaus kein „Schattenboxen“ im gewohnten Wortgebrauch, als solches wird vielmehr der äußerlich gespornte Anlauf gegen Sündenböcke erkannt
werden: Don Quixote in uns kämpft mit Hammelherden und
Windmühlen. Statt sich aber auf die Seite des Sancho Pansa
zu schlagen, folgert als sinngemäße Selbstreinigung das
Aushungern des Inferioren überhaupt, indem wir die Zufuhr
für die Todsünden sperren, wie sie mittelalterliche Seelenkunde in Umkehr der positiven Siebenzahl sah:
Mond
= Lauheit
= flaue Seelenfunktion, teilnahmsloses
Dahinvegetieren
Merkur = Neid
= Abseitigkeit des überzüchteten Intellekts
vom Leben
Venus = Wollust
= Genuß um des Genusses willen,
Harmonieverlust durch Überreizung
Sonne = Hochmut
= Überspannung der Entität,
Selbstgerechtigkeit, Überheblichkeit
Mars
= Haß und Übermut,
blinde Leidenschaft
= Zorn
Jupiter = Völlerei
= überschrittenes Optimum,
Verfehlen des Gesamtzuträglichen,
Saturn = Geiz
= nicht durchgeführte Integration,
zwangshaftes Einbehalten von
Unwesentlichem
Es sind dies Entgleisungen derselben Wesenskräfte, die
im reinen Ausdruck und bei organischem Zusammenspiel
zu Tugenden werden. Alle kosmischen Symbole haben eine
137
helle und eine dunkle Seite, die man später als das Göttliche
und das Dämonische von einander schied. Ursprünglich
wurden sie in ihrer ambivalenten Einheit verstanden, heilig
und verflucht flossen ineinander, der Daimon war zugleich
eine sakrale Macht. Dies hat seinen Grund in sich selbst.
Die seelischen Anlagewurzeln sind doppelwertig und entziehen sich moralischen Satzungen, nur die Auswirkung
kann unter diese gebracht werden. Auch das Kind lebt anfänglich seine Anlagen ambivalent dar, „sündlos“, obzwar
bereits der kindliche Egoismus seine Sündenböcke schafft auch tote, der Tisch, an dem es sich stößt, wird beschimpft
und geschlagen -; die Erziehung zur Sozialtauglichkeit führt
die Moral ein und die Selbsterziehung muß bereits vorhandene Sündenböcke abschaffen. Das Wort „Sünde“ hat unser
Sprachgeist aus Sondern, sich Abschnüren vom heilem
Ganzen, entwickelt. Im Sündenbock eitert ein bedrohlich
Fremdes, mehr empfunden als bewußt gemacht, aus uns
heraus, wir setzen damit das Verachtete, Bekämpfte nach
außen, die Anziehpuppe findet sich leicht.
Ein Gesetz der unterlassenen Individuation heißt: alle
nicht positiv gelebten Anlagen kehren wieder als Unarten
und Laster. Wie im äußeren Schicksal häufig das Ungetane
auf uns zukommt, nistet sich im inneren dies als „Selbsthenker“ ein. Daher der gereizte, unduldsame Ton, der Affekt beim Bezichtigen. Man negiert den wahren Tatbestand,
will dennoch den positiven Gehalt, wähnt ihn in sich und
schreibt deshalb das Inferiore anderen zu. So ergibt sich die
Sündenbockpsychologie, es entsteht der nationale Erbfeind,
der Klassenfeind, der Jude oder Neger oder die gelbe Gefahr
als kollektives Haßbild, je nach Einstellung der abgewertete
Materialist oder Idealist, die herabgewürdigte Weiblichkeit
oder angeprangerte männliche Anmaßung, auch eine erdichtete anonyme Gruppe wie die „fünfte Kolonne“. Alles
Befremdende kann als Aufhänger dienen, auf Menschen ist
der Satz Heraklits gemünzt: „Hunde bellen an, wen sie nicht
kennen“. Sündenböcke sind die Gegenspieler der Götzen,
die man auf ein Postament stellt, um untätig in Anbetung zu
138
verharren. Heuchlerische Verehrung möchte Nutznießer
sein von Maximen, die nichts kosten.
Allgemeines Merkmal: die Sündenbockpsychologie betrachtet das Übel als etwas Äußeres, arbeitet mit verstellten
Vorzeichen und groben Vereinfachungen. Das Abgewertete
wird ins Zerrbild hinein gesteigert, der sachliche Hemmschuh zum bösen Intriganten gestempelt. Auf dieser animistischen Grundlage regiert das jus talionis, „Auge um Auge,
Zahn um Zahn“; eine archaische Form der Verlegung des
Bösen in die äußere Handlung und des Beseitigens von Störungen durch rächende Gewalt. All dies entstammt der zurückgedrängten Primitivpersönlichkeit im Menschen, die
abgewertet werden mußte, damit er in einem kultivierten
Sinn gesellschaftsfähig würde.
Insgesamt besteht also der Schatten aus inferioren Regungen, die wir losgeworden glauben obzwar sie uns, aus
dem Bewußtsein nur verdrängt, auf Schritt und Tritt begleiten. Düsterkeiten in uns auf Mitmenschen übertragen
schaffen den Sündenbock. Was an die Primitivpersönlichkeit rührt, zeugt Flammenwerfer gegen andere, umso heftiger, je entschiedener wir das Unterrangige, das unseren
Idealen, den angebeteten Götzen widerspricht, nicht wahrhaben wollen. Der primitive Kämpfer machte sich mit
Schmähungen heiß. Unser Anleuchten von Dingen, Personen, Verhältnissen mit aufgesetzten Wertforderungen, um
sie abzuwerten, das Sturmlaufen dabei ist ein Zeichen, daß
wir etwas bekämpfen aber noch nicht überwunden haben,
sogar verleugnen, wo es zu fassen wäre, um superiore, höhere, überlegene Äußerungen der betreffenden Wesenskraft
zu entwickeln.
Wie gesagt können wir keinen Stern haftbar machen für
die Umstülpung eigener Sünden in die Bezichtigung anderer. Es ist eine der verbreitesten üblen Neigungen. Sehen
wir aber die Wurzel dazu in einem Egozentrismus, der objektive Ursachen eines Mißstands von sich wegdrängt, so
kommen gewisse Anlagen wie Sonne am Aszendenten, Vorherrschen projektionsfreudiger Zeichen usw. erhöht in Betracht, sofern inferior ausgewirkt.
139
Wir wählen als historisches Beispiel den schlecht beleumundeten, als Ungeheuer in Menschengestalt dargestellten
Kaiser Nero. Setzen wir für jede Äußerung dieser Anlagestruktur inferiore Entsprechungen ein, so sehen wir den
Mörder zweier Gattinnen und der eigenen Mutter (Mond
dissonant im 8. Felde), den Wüterich und gewalttätigen Tyrannen (Mars am Aszendenten Quadrat Saturn), wie ihn uns
Suetonius schildert. Dann pflichten wir der allgemeinen
Auffassung bei, daß er den neuntägigen Brand von Rom
verursacht und hinterher die Christen als Sündenbock beschuldigt habe, was die grausame Christenverfolgung einleitete. Es soll hier keine Ehrenrettung vorgenommen
werden; die Sitten der ersten römischen Kaiser zeigen oft
140
einen kaum vorstellbaren Tiefstand, Verwandtenmorde waren fast die Regel, selbst der „Friedenskaiser“ Augustus
bahnte sich als Octavian mit Morden seinen Weg zur Macht
(Konjunktion von Saturn und Mars im 8. Felde). Die Pax
Romana, aus der Erschöpfung durch Bürgerkriege hervorgegangen, das den Frieden sichernde Organisationssystem
des ausgedehnten Reiches wurden durch den Cäsarenwahn
nicht berührt. Den Gipfel des Psychopathischen und Komödiantenhaften scheint tatsächlich Nero gebildet zu haben.
Aber wieweit war auch er späteren Geschichtsschreibern ein
willkommener Sündenbock? Hat der Mann, der sich beim
Ausbruch des Brandes in Neapel befand und dessen Palast
mit allen Kostbarkeiten niederbrannte, Rom angezündet
bzw. anzünden lassen? War seine Überraschung beim Erhalten der Nachricht, der schnelle Ritt um das Ereignis zu
sehen, gespielt? Wieweit war er selbst das Ziel böswillig
ausgestreuter Gerüchte, einer Art Gegenpropaganda? Wer
schob die Urheberschaft am Brand auf die Christen und
machte sie zum Opfer der altrömischen Vergeltungsjustiz?
Durch die Wirrnis der Berichte ist schwer durchzublicken.
Der Schüler Senecas auf dem Kaiserthron als Befürworter
griechischer Poesieform, selbst darin posierend und sich mit
dem Siegeskranz umwindend, war für die Römer eine lächerliche und unbeliebte Figur. Jedenfalls verdichten sich
inferiore Entsprechungen dieser Konjunktion von Sonne
und Mars in Spannung zu Saturn, auch der Aszendent im
kentaurischen Zeichen SCHÜTZE zum legendären Scheusal, als welches Nero in die Geschichte einging, zum Gemisch aus Verstiegenheit, hochfliegender Begeisterung und
affektiver Brutalität, Eitelkeit und Griff nach dem Abenteuer.
Gewiß ist es schwierig, den Sündenbock aus dem Spiel zu
lassen, wenn jemand anderer an der Kausalität eines Geschehens beteiligt war. Manchmal jedoch wird das Hinfällige einer solchen Bezichtigung durch Alibi offenkundig.
Uneinsichtige sperren sich zwar auch dann, für sie bleibt etwas daran, auch wenn der potentielle Verbrecher „diesmal
nicht dabei war“. Der Traum kann gegebenenfalls Zeugnis
141
von der Unschuld eines Beschuldigten zusamt den psychischen Gründen ablegen. Hierfür ein Beispiel. Ein Mann
wiederholte im Traum einen wirklich stattgefundenen Umzug. Am neuen Wohnort kam ein Fahrrad mit versperrter
Sicherheitskette an, der Schlüssel war nicht zu finden. Heftig beschuldigte der Träumende seine Frau, sie habe den
Schlüssel in der alten Wohnung verschlampt. Beim Erwachen fiel ihm jedoch ein, daß das Fahrrad, von dem er lebhaft geträumt hatte, erst nach dem Umzug gekauft worden
war. Es wurde ihm bewußt, daß die oft gerügte Vergeßlichkeit seiner Frau Pate gestanden hatte beim Traumbild.
Mit dieser Einsicht einer Fälschung war das Problem
nicht erledigt. Die Anamnese ergab, daß ein analoges Ereignis mit verhängnisvollen Folgen bei Kriegsende stattgefunden hatte. Die Flucht vor feindlichen Invasoren scheiterte an einer solchen Sicherheitskette mit abgesperrtem
Schloß, der Mann konnte nicht rechtzeitig abfahren und geriet in Gefangenschaft. Verursacher war aber der Sohn aus
erster Ehe, er hatte das Fahrrad benutzt und den Schlüssel
verloren. Hieran wurde klar: ein Vorurteil gegen Partnerschaft überhaupt hatte stets das Augenmerk auf Vergeßlichkeit und andere Unvollkommenheiten der Frau gelenkt,
hinter alledem stand der infantile Wunsch, Obliegenheiten,
für welche der Mann verantwortlich war, auf die Frau abzuwälzen.
Untersuchen wir unsere untergründigen Affekte auf diese
Weise, so rehabilitiert sich mancher Sündenbock als Projektion eigener Versäumnisse und manches Scheinrecht,
abzuwerten oder gar zu hassen, wird entlarvt werden.
Gewissenlosigkeit
Der Mensch wird zur tragischen Gestalt der Schöpfung,
wenn er nicht sicher in seiner Humanität ruht. Um sicher zu
stehen, braucht er eine innere Ortsbestimmung.
142
Kosmos und Chaos bezeichnen einen Gegensatz hinsichtlich der Anordnung von Bestandteilen, das für beide
geltende formalästhetische Prinzip sagt aber nicht, ob lebendiger oder erstarrter Kosmos, schaffendes Chaos oder
Zersetzungsvorgang gemeint wurde. Darum, und weil wir
der Zusammenfassung in einem kulturellen Kosmos bedürfen, ist das Urteil über eine Jugend im Aufbruch so schwierig. Was ihrem Selbstlob lebendig und schöpferisch erscheint, bedeutet im Blickwinkel der alten Generation, wenn
sie, erstarrt, nur ihre Ordnung umgestoßen sieht, Abbau und
Auflösung von Werten. In der Beurteilung eines Verhaltens
überhaupt fehlt selten der wertende Beiklang.
Ein Gedanke Hegels war es, die innere Ortsbestimmung,
das Gewissen, nicht als etwas ewig und unumstößlich in uns
Gesenktes, sondern geschichtlich zu sehen. Im politischen
Gebrauch sagte man sich anschließend, alles Gewordene ist
veränderlich, also ermöglicht eine Geschichtsbetrachtung
des Verhaltens den Revolutionär mit gutem Gewissen. Dies
kann natürlich in gewissenlose Auslegungen münden, als
Auftakt zur Relativierung aller Grundsätze verstanden werden. Was humanitär richtig ist, in welcher Hinsicht es moralische Werte gibt und wie sie zu benennen seien, wird zur
ständigen offenen Gewissensfrage. In der astrologischen
Stufung der Wesenkräfte geht es insbesondere den Übergang von Saturn zu Uranus an, wenn wir aus der Befolgung
gleichbleibender Vorschriften heraustreten; die logische und
vernünftige Bewußtmachung dieser Situation liegt im Verhältnis von Merkur und Jupiter hierzu.
Freilich sei uns immer gegenwärtig, daß derartige Gestirnnamen in der revidierten Astrologie lebensimmanente
Kräfte bezeichnen. Sie symbolisieren Ordnungsbegriffe des
Schöpferischen. Wollte man bildliche Redewendungen wie
„von allen guten Geistern verlassen“ oder „vom Bösen besessen sein“ als handgreifliche äußere Tatsache verstehen,
so geriete man in eine Dämonologie. Nicht anders steht es
mit „Gestirneinflüssen“. Demgegenüber sprechen wir von
wirkenden Potenzen des lebenden Ganzen, die zu seinem
Aufbau, seiner Erhaltung und seiner Verwirklichung im Ge143
schehenswandel denknotwendig sind. Dies erfassen wir unter den Gestirnnamen, ungeschichtlich in Wesen und Elementarordnung. In der Geschichte aber laufen ihre Entsprechungen ab, so daß also die geschichtlich entstehenden
und vergehenden Sozialordnungen, einschließlich ihrer Gewissenssätze, nach Gruppenbedürfnissen ausgerichtete Umstellungen der „großen Ordnung“ sind. Das elementar Kosmische steht unwandelbar im Hintergrund des oft chaotisch
erscheinenden Geschehens.
Auf die kosmische Elementarordnung gründet sich nun
ausschnitthaft die Individualisierung. Sie demonstriert die
besondere Rolle und Befähigung des Menschen in der Naturfolge, auch in der eigenen Entwicklung das, wodurch er
den Säugetiertypus überhöht, bildet die Basis der Urteile
und der weiterschaffenden Impulse, welche Kultur hervorbringen. Von gruppenhaften Normen, ihnen aber verpflichtet bleibend, hebt sich immer deutlicher die individuelle
Sclbstbestimmung ab. Was forderungshaft das Wesen des
Menschen angeht, gleich in welcher geschichtlichen Lage
und welcher konkreten Abart es verwirklicht ist (Rasse,
Hautfarbe, Gesellschaftsklasse), steht in Fühlung mit dem
kosmischen All-eins-Sein als humanes Gewissen. Insofern
wir den Menschen als eine werdende Gestalt denken müssen, bezeichnet die von Hegel beschriebene Gewissensprüfung und -rechtfertigung bei Sokrates einen geschichtlichen
Umbruch der Menschwerdung. Mit ihm kehrte sich die individuelle Bewußtseinsseele ab von bloßer Befolgung kollektiver Sitte.
Was es leisten, was man von ihm verlangen kann, suchen
die Vorstellungen über die Natur des Gewissens auszumachen, obzwar seine Regungen unabhängig von den einkleidenden Vorstellungen sind. Die Auffassungen schwanken
von der religiösen Betrachtung als Stimme Gottes und der
idealen Forderung „man habe es“ bis zur klinischen Forterklärung als Niederschlag kindlicher Strafangstgefühle.
Jenseits solcher Extreme gesehen bedeutet, was humanes
Gewissen genannt wurde, den Hüter und Sachwalter der
Menschlichkeit. Gleichzeitig aber geraten wir aneinander in
144
geschichtlich und situativ bedingten Werturteilen, nicht zu
vergessen die Gruppen-Egoismen, deren manche geradezu
die Verletzung des humanen Gewissens heiligen. Jeder „Ismus“, jedes Berufsfach, jede politische Partei, jeder Sportclub und jede Verbrecherbande haben ihr eigenes Gewissen.
Ideologisch berufen sich ihrer aller Urteile irgendwie auf
das, was der Mensch sollte. Strittig können also nur die
Auslegungen sein, durch welche der Einzelne sich vor immer neue umweltliche Entsprechungen gestellt sieht und
damit die Zukunft des Menschen ihm andere Gestalt bekommt. Dringlich ist ihm, sofern kulturelles Streben in ihm
lebt, daß die genauen Unterscheidungen im überindividuellen Ganzen aufgehen sollen, wie der Orchestermusiker im
gespielten Werk.
Wenn wir von inferioren Auswirkungen der Wesenskräfte
sprechen, bewegen wir uns innerhalb solcher relativer
Wertungen. Doch jedes dieser Symbole enthält ein zu ereichendes „Soll“, eine Forderung, an die das Gewissen mahnt.
Vom Gewissen aus gesehen sind Entgleisungen ein Abfallen von diesem Soll in strafwürdige Kümmerformen
menschlicher Potenz, „Todsünden“ gegen die Menschlichkeit (vgl. S. 137). „Sünden“, weil sie die Weiterentwicklung
versperren. Auch andere inferiore Entsprechungen wie
Angst und Aggressivität erweisen sich in dieser Hinsicht als
unfruchtbar. Dies könnte die astrologische Übeltätertheorie
stützen, wenn Saturn und Mars nur Angst und Aggressivität
wären. Setzen wir als Heilmittel dagegen ein, die Dinge, die
uns im Herzen angehen, mit Überzeugung und Liebe zu tun,
so rufen wir Gegenkräfte derselben Elementarordnung auf.
Verwirklichen können wir es nur in geschichtlichen Entsprechungen: die nie aussetzende Gewissensproblematik.
Durchdringt dies nicht alle Schichten des Seins, so bleiben wir im ideologischen „Überbau“. Die letztvergangenen
Jahrzehnte haben uns gelehrt, daß ein Gewissensersatz mit
unbrechbar geglaubten moralischen Werttafeln gelegentlich
einstürzt. Im Konzentrationslager konnte man die Erfahrung
machen, daß normalerweise rechtschaffene Menschen nach
einer Hungerperiode einen unschuldigen Kameraden für
145
zwei Teller Suppe in die Folterkammer verkauften. Man
bekam Angst um den Menschen überhaupt. Ist der Mensch
also doch, wenn es ans Letzte geht, gewissenlos? Wenn
hingegen andere sich foltern ließen ohne über einen wirklich
Schuldigen auszusagen, waren dies dann arme Narren, die
einer Fiktion erlagen?
Über das Individuelle hinausgehend bezweifeln viele
Empiriker eine konstitutive Bestandfestigkeit des Gewissens. Man führt an und sucht zu beweisen, daß die Menschen von heute immer materialistischer, egoistischer und
damit gewissenloser würden. Die Gegenmeinung nennt dies
leichtfertige Schlagworte und gibt nur ein begreifliches Zusammenbrechen künstlicher Schranken zu. In astrologischer
Sicht werden hierbei vorzugsweise minderwertige marsische Äußerungen, Zerstörungslust, Rohheiten und Triebexzesse freigesetzt, Fehlentwicklungen analog rücksichtsloser
Dynamik im Verkehr, aufgehobene Tabus im Geschäftsund Privatleben oder dergleichen. Sie werden begünstigt
durch infiltriertes Wegräumen humaner Hemmungen (pornographische Aufklärung, Gewöhnung an Kriminal- und
Schauderfilme, aufreizende Schlagzeilen der Zeitungen
usw.). Wer darin etwas unserer Kulturstufe Fremdes sieht,
nimmt den Ausbruch einer Art von neurotischem Beserkertum an. Das unleugbare Anwachsen derartiger chaotischer
Erscheinungen kann aber auch so verstanden werden, daß,
indem mit der veränderten globalen Lage eine erhöhte Verantwortlichkeit der individuellen Bewußtseinsseele herausgefordert wird, auch alles was die nötig gewordene
Entwicklung zur überpersönlichen Einsicht nicht mitmachen
will, auf den Plan gerufen wird. Das unvollkommene Verständnis der Lage stützt ein intellektualisiertes Ich, das sich
frei wähnt, wenn es von Fall zu Fall nach Zweckgutdünken
entscheidet, im Handeln jedoch anderseits manipuliert wird
durch Sensationen, welche die unbewußte Massenseele ansprechen.
Traditionshüter, welche Geschichte rückblickend mit
ewigen Werten verschönen, klagen über ein Absinken der
Religiosität, der Selbstdisziplin, sehen einen korrumpie146
renden Einfluß der Demokratie auf das Alltagsverhalten und
suchen den so benannten Ursachen der Gewissenlosigkeit
von oben her zu begegnen. Bei den Zeitgenossen bleibt dies
ziemlich erfolglos; kein Wunder, denn den Theoretikern gerät Prinzip und Konkretum leicht durcheinander. Auch wird
Gewissen oft verwechselt mit ethischen Bleigewichten, die
einem beschwingten Fuß angehängt werden, als sei es in
echter Form nicht die entwicklungsfördernde innere Ortsbestimmung des Vorwärtsschreitenden. Das Erschwerende
gehört zu seiner Schattenseite, dem, was aus früheren Konflikten dumpf zurückblieb, zur Sonnenseite dagegen die
Ausrichtung auf Künftiges.
Greifen wir wieder persönliche Erfahrungen im Konzentrationslager auf. Nur einen kleinen Prozentsatz von Lagerinsassen, die bei peinlichen Verhören standhielten,
könnte ich nennen. Sprach man mit ihnen, so gingen ihre
Anschauungen oft diametral auseinander: diese Kategorie
von „Menschen mit Gewissen“ vereinigte überzeugte Kommunisten, Nationalsozialisten, Jesuiten, Lebensreformer. Ich
darf behaupten, daß Gewissen, was die Haltung betrifft, indifferent ist gegen die Ideologie, durch die es gestützt wird.
Natürlich sind die Argumente ausschlaggebend für Weg und
Ziel, das Vorgefundene zu verändern; doch für die Unbestechlichkeit der Haltung ist nur wichtig, daß überhaupt eine
prinzipielle Ausrichtung der Neigungen besteht.
Immer wird die eigenverantwortliche Individualität eine
relativ junge Erwerbung - bedroht von unpersönlichen
Normen, die ein Pseudogewissen ausbilden helfen. Genügt
dies zwar für durchschnittliche Sozialanpassung, so entlarvt
es sich vor außergewöhnlichen Anforderungen, in Verhören
der genannten Art und bei massiver Bestechung. Die am
„Umfallen“ gemachten Beobachtungen dürfen wir aber
leicht als Merkmale des Gewissens überhaupt verbuchen.
Auch hängt uns noch zu sehr die Wertung aus der Dekadenzzeit am Ende des vorigen Jahrhunderts an, die in Gewissen und Schuldgefühl eine die Lebenstriebe schwächende Einrichtung sah. Die Umfaller-Beobachtungen lehren
etwas anderes. Eine intakt geglaubte, in normalen Verhält147
nissen funktionierende Humanität kann nämlich dennoch
einem Pseudogewissen aufruhen und zur Selbsttäuschung
verleiten, wenn sie nicht, der Entwicklungsstufe gemäß zum
Bestandglied des persönlichen Gewissens wird. Damit erwerben wir uns dem Saturnstand des Kosmogramms angemessen diejenigen Entsprechungen, die bei der Erprobung
ein Integrierthaben humaner Gebote anzeigen. Eingedenk
der Wechselbezüglichkeit aller Komponenten unseres Wesengefüges erreicht dies aber kein „isolierter Saturn“. Die
innerseelische Wahrheit ist komplex. Vor allem erweist sich
am Herausbilden jener Haltung das unter Jupiter verstandene Optimalstreben beteiligt, der hoffnungsvolle Aufschwung und Drang über sich hinaus, der alle menschenwürdigen Ideale einbeschließt.
Hier zeigen sich selbst psychologische Schulen, welche
den Gewissensbegriff aus dogmatischer Starre herauslösen
wollten, als unzureichend. Zugegeben, daß beim Begründer
der Psychoanalyse, bei Sigmund Freud, die gewissensmäßige Verantwortung für den Mitmenschen, besonders für
Menschen in Sexualnot, seinen forschenden Drang und
Wahrheitswillen entscheidend mitbestimmte. Die in beharrlicher Seelendiagnostik ausgebildete Lehre hat aber in der
Definition des Gewissens ihren schwächsten Punkt. Freilich
hängt eine Therapie in der Durchführung mehr von der Person, und damit vom vielberufenen „ärztlichen Ethos“, als
von Definitionen ab. Definitionen entscheiden nicht die
Handhabung, sondern den Ansatz einer des Gefühls entkleideten Methode. Um diesen Ansatz jedoch geht es in der
Wissenschaftlichkeit, darin sollte ins theoretische Bewußtsein treten, was man praktisch tut. Eine an den empirischen Befund sich haltende Kausalbetrachtung, die mit
Unwägbarem nicht paktieren möchte, sieht Gewissen als
Produkt von Angstgefühlen, hervorgerufen durch Verbote
und Strafen, mit welchen ursprüngliche Grundtriebe unterdrückt wurden. Damit nun die mit solchen Verboten verknüpften oder nur vorgegebenen Ideale vom Ich, dessen
Unbedingtheit ja negiert wird, angenommen werden können, ist ein Über-Ich nötig (bei Freud sozusagen ein Mittel,
148
dessen sich die Kultur mit ihrem Moralkodex zur Erreichung ihrer Ziele bedient). Erkennen wir aber kein angeborenes Streben des Menschen über sich hinaus (vom strengen Realisten verworfen, da er die Natur gegen Suggestivwirkungen der herrschenden Moral zu schützen sucht), dann
ist, was spätere Vermittler als autonome Sittlichkeit einführten, nur eine nachträgliche Anerkennung von anfänglich
Unerwünschtem, es hat keine von Haus aus gestaltende
Kraft.
Ähnlich wie Saturn in der Vulgärastrologie bleibt Gewissen auf diese Weise betrachtet eine regressive Instanz,
auch wenn die Lebenstriebe sich aus Gründen der Sozialanpassung damit abfinden. Manche Schüler Freuds gehen
weiter und machen eine Repression daraus, sehen eine Rache des abgerungenen Verzichts und lassen das Negativum
selbst zum unterdrückenden Trieb werden. Ein Trieb mit
sittlichen Vorzeichen wäre die Perversion eines gesunden
Triebes, denn jeder Trieb sucht sittlich indifferent lediglich
seine Befriedigung. Derartige Umkehr gibt es freilich. Doch
ihre Verallgemeinerung würde Gewissen zu etwas Krankhaften stempeln. Der Mehrzahl scheint ein Pseudogewissen
zu genügen; fühlt ein solcher Mensch sich niemandem mehr
verantwortlich, so fallen die aufgedrungenen Pflichten ab
und die unveränderten Grundtriebe kommen zum Vorschein, wie Umfaller-Erfahrungen zeigen.
Gewissen meldet sich allerdings als Neinsager vor Handlungen, die unvereinbar wären mit der sittlichen Tektonik, es
sagt, was wir nicht tun dürfen, wenn dieser Bau intakt bleiben soll. Darin spricht der gesunde saturnische Anteil: Hüter
der ethischen Unversehrtheit, der Selbstachtung. Nur bei
konformistischer Moral sind die Pfeiler dieses Baues eingeimpfte Verbote. An derartigen sozialen Normen, wenn
erklärungslos nahe gebracht und als Verbot verstanden,
bricht sich zunächst der vitale Ansturm des Kindes, seine
Triebe werden dadurch unterdrückt, zumindest verbogen,
entstellt. Bei vernünftiger Interpretation und richtigem Verstandenwerden jedoch helfen überpersönliche Grundsätze
mit zum eigenen Format; ihr Erlernen lehrt die Umwelt ver149
stehen, auf welche der Mensch entworfen ist. Dies kennzeichnet den jupiterhaften Anteil an der Gewissensbildung,
den Zug zum menschlichen Optimum, die vorausgreifende
Forderung. Somit unterscheiden sich Schuldgefühle nach
Übertretungen als saturnisch vom schlechten Gewissen bei
Unterlassung dessen, was man von sich verlangt, als jupiterhaft; jene bedrücken, pressen, bringen in Engpässe, dieses
wird als hohl und heuchlerisch, als etwas Unerfülltes empfunden. Das Jupiterhafte bildet dann sozusagen ein ansaugendes Vakuum, gemahnt uns etwa „das zu tun hast du
versäumt!“. Je nach den Zeichen und Aspekten der Jupiterstellung führt dies zu Handlungen, die nachträglich das Geschehene gutmachen sollen, oder es wird zur Selbstanklage
und führt zu Betrachtungen der Unfähigkeit, die aber doch
einen Ansporn zur Besserung enthalten. Das Gewissen wird
jedenfalls als „nicht im Lot befindlich“ empfunden. Anderseits können hinzutretende Schuldgefühle den Weg zur
Wiederherstellung des Gleichgewichts blockieren durch
Vorstellungen einer strafenden Macht, können Angstneurosen hervorrufen.
Im gesunden Fall enthält das Gewissen frei entworfene,
als bindend anerkannte Richtlinien, stetig sich durchsetzend
gegen verführerische Augenblicksreize. Launen und sabotierende Neigungen gelten ihm als Ablenkungen vom inneren Schwerpunkt. Die mörderischen beiden Weltkriege haben auch folgende Erfahrung gebracht: liegt ein verwundeter Feind im Drahtverhau unter Beschuß, so finden
sich fast immer solche, die spontan, mit Gefahr des eigenen
Lebens, ihn in Deckung hereinholen. Das sind die Handlungen, von denen man wenig spricht. Es gibt viele Arten
unbefohlener Menschlichkeit. Sie als Zwangshandlung aus
einem introjizierten Über-Ich erklären, verkennt das autonome Über-Ich, das Kultur, Wohlfahrt, Rechtsordnung hervorgebracht hat und oft genug gegen Paragraphierungen
weiterbildet. Nicht deren Brüchigkeit darf möglichem Wiederaufleben als absolute Verneinung entgegengehalten werden. Wohl bemühen sich Kräfte des Niedergangs, die „totalen“ Methoden der Kriegführung, durch Propaganda und
150
Drogen angeheizt, aber auch der konkurrenzgetriebenen
Friedenswirtschaft, eine Rückentwicklung zu erzielen. Dennoch wächst die Identifizierung mit anderem Leben, der
über Brutpflege und Herdentrieb hinausgehend aufbauende
Sinn des Menschseins, als forderungshafter Anspruch verankert in der Jupiterkomponente des individuellen Gefüges.
Sprechen wir bei Planetensymbolen von universalen
Prinzipien der organischen Gestaltung, so meinen wir natürlich keineswegs den Sittenkodex einer bestimmten Epoche, eines Volkes, einer Religionsgemeinschaft, Klasse oder
sonstigen Gruppe. Alle überlieferten Sittengebote sind geschichtlich geworden und darum abänderbar. Lebendiges
Gewissen hat sich mit formal eingefrorenen Regeln auseinanderzusetzen, der Einzelne muß es tun aus der ihm eigenen
Problematik. Die Problematik von Einzelnen vervielfacht
zum geschichtlichen Umformungsprozeß ergibt manchmal
das Paradoxon, daß Gewissenlosigkeit im alten Sinne eine
Gewissenhaftigkeit in neuem Sinne bedeuten kann; was an
überlieferten Regeln gemessen im einzelnen Entgleisung
und im Gesamtbild eine „chaotische Zersetzung“ zu sein
scheint, mag vielleicht durch neu orientierte Aufbaukräfte
ein „schaffendes Chaos“ sein. Der Einzelne freilich steht
immer in der Entscheidung, ob er aus seinem inneren
Schwerpunkt handelt oder sich von äußeren Reizen forttragen läßt.
Anstreitbar ist der Satz: „Das Gewissen als ethische Instanz reicht nur so weit wie das Bewußtsein“. Dies wäre
ethischer oder richtiger moralischer Wissensinhalt (Angelegenheit des vorerwähnten ideologischen Überbaues), ein
Wissen, kein Ge-Wissen, in die Tiefe der Gesamtexistenz
hineinreichendes Gewißsein. Auch Sokrates benötigte seinen Daimon, dessen Weisung entschiedener und überzeugender war als Verstandesurteile. Später meinte man daraus
die Vox Dei, die Stimme Gottes zu hören, zum Unterschied
von Einflüsterungen des Teufels. Man kann dies echtes und
falsches Gewissen nennen, denn wenn es erst zu rechnen
anfängt, werden auch mephistophelische Argumente eingeworfen. Im übrigen tun wir gut daran, Ethik und Moral trotz
151
übereinstimmendem Wortstamm als zweierlei zu betrachten,
nämlich darin, daß Ethik spontane Entscheidungen über gut
und schlecht abgibt, Moral dagegen kasuistische Verhaltensmuster der Sozialtauglichkeit befolgt. In jener richtet
sich der Einzelne auf das ihm faßbare Menschenbild aus,
mit dieser bekommt er sein Verhältnis zum Mitmenschen
kodifiziert in fertigen Sitten, nach denen er sich richten
kann. In beiden steckt der Doppelsinn von Gericht und
Richtung.
Eine alte Regel behauptet, bei der Geburt eines Religionsstifters sei die Konjunktion von Jupiter und Saturn anzutreffen; Kepler korrigierte das Geburtsjahr Christi auf die
Konjunktion im Zeichen FISCHE, die Geburt Mohammeds
auf eine solche in SKORPION. Wie wenig derartige Regeln
umkehrbar und im fatalistischen Sinne allgemeingültig sind,
so daß wir einem Menschen mit Jupiter Konjunktion Saturn
152
bei der Geburt eine besondere Religiosität zusprechen können, sei erläutert am Geburtsbild Wallensteins. Diese Konstellation wurde schon andernorts besprochen*, weshalb ich
mich hier auf das zum Thema „Gewissenlosigkeit“ Gehörige beschränken darf. Der junge Wallenstein kommt uns
ethisch wenig taktfest vor, wenn wir von den Duellen und
dem Randalieren des Studenten, der Geldheirat, vom Raubzug an eingezogenen Gütern nach der Schlacht am Weißen
Berge hören; der Heerführer scheint höchstens die Religion
des totalen Krieges eingeführt zu haben und in den diplomatischen Schachzügen, die auf seine Exekution abzielten,
galt Wallenstein dem Kaiser als Verräter, den Jesuiten am
Wiener Hofe als Urbild der Gewissenlosigkeit. Was an den
Anlagen dieses vielgeschmähten zwielichtigen Mannes als
bedenklich auszusetzen ist, hat niemand krasser als Kepler
im ersten seiner beiden Horoskope geschildert, doch ebenso
auch die mögliche Wandlung:
„Es ist aber das Beste an dieser Geburt, daß Jupiter darauf
folget und Hoffnung machet, mit reifem Alter werden sich
die meisten Untugenden abwetzen und also diese seine ungewöhnliche Natur zu hohen, wichtigen Sachen zu verrichten tauglich machen.“
Mag vieles an Wallensteins Handlungen als gewissenlos
erscheinen, was übrigens dem Zeitstil der damaligen Machthaber entspricht, das Gewissensproblem als persönliches
Unruhemotiv können wir dieser Konjunktion im 1. Felde
nicht absprechen. Im vielleicht langsamen Bewußtwerden
kam die genaue Opposition von Merkur auf Jupiter zur
Geltung, die Verstand und höhere Vernunft in Widerstreit
zeigt. Das Verstandessymbol (Merkur im 7. Felde in JUNGFRAU) ist dabei an die Partnerschaft gebunden, also auch
an die intriganten Winkelzüge um die Person des Kaisers,
mit dem Wallenstein als seinem obersten Auftraggeber
„verheiratet“ war. Jede Gemeinschaft ist bei solcher Stel*
„Astrologie ohne Aberglauben“, Econ Verlag Düsseldorf 1972. Die Texte der
beiden Wallensteinhoroskope von Kepler in H. A. Strauß und S. Strauß-Koebe „Die
Astrologie des Johannes Kepler“, Verlag Oldenbourg München 1926.
153
lung durch Zweckrücksichten bestimmt. Hingegen der optimale Vernunftentscheid lag in der eigenen Person (Jupiter
im 1. Feld in FISCHE), für die Öffentlichkeit undurchsichtig, da Wallenstein sein Persönliches entsprechend der
Saturnkonjunktion mit einer Mauer des Schweigens umzog,
aus der analog Uranus in Aszendentennähe das jäh reizbare
Temperament unberechenbar mit Paroxysmen hervorbrach.
Die neuere Geschichtsschreibung sieht den „Verrat“ anders
als die Feindpartei, die früher Geschichte schrieb, um den
Mord zu rechtfertigen. Was für diese nur planende Ehrsucht
und Machthunger war, enthüllen uns die Dokumente als
groß angelegten Versuch zur Beendigung des Religionskrieges: gegen einen zum Handeln ums Gemeinwohl unfähigen Kaiser zwei oder drei bisher sich bekämpfende Heere
zusammenzufassen, der Glaubensrichtung nicht achtend, um
den Boden des Reiches von Eindringlingen zu säubern und
einen Religionsfrieden zu diktieren. Bei solcher Absicht erklären sich das Doppelspiel der Unterhandlungen, die Pilsener Vorgänge und Wallensteins Zug nach Eger anders als
bisher. Der Entschluß war dann hervorgegangen aus einem
Gewissenskonflikt, der ein offenbares Unrecht auszuüben
sich genötigt sieht um des höheren Rechtes willen. Mochten
andere Motive wie die vermutlich angestrebte Krone Böhmens mitgespielt haben, der Konflikt lag in der Sache. Daß
der Plan mißlang, begründet sich horoskopisch in den Entsprechungen der Merkuropposition zum internen Konfliktherd; das übermäßig langsame Bedenken und ängstliche
Zögern lieferte immer mehr Stoff für die tatsächliche Bespitzelung Wallensteins durch nächst Vertraute, ihm zu
Dank Verpflichtete. Neben Piccolomini wirkte nachweislich
der Astrologe Zeno (Schillers „Seni“) am Sturz seines Brotgebers mit.
Abgesehen vom geschichtlichen Fall, der das Kollektivgewissen im Handelnden berührt, hält sich der einzelne in
seinen privaten Konflikten zwar meist an „Sündenböcke“,
aber auch individuell hat Gewissen mit Geschichte zu tun.
Es gibt eine Individualgeschichte, der Werdegang jedes einzelnen ist handelnd ablaufende Zeit, die nicht mehr rück154
gängig zu machende Tatsachen im Gedächtnis hinterläßt.
Schuldkomplexe sind ein Hängenbleiben in individualgeschichtlich Vergangenem, das in den Folgen nicht mehr aus
der Welt geschafft werden kann und mit dem man gewissensmäßig nicht fertig wurde. Sie sind das Eingeständnis
von Fehlern bis zur Reue, die Tat begangen zu haben, doch
ohne die umwandelnde Katharsis (Reinigung, Entsühnung).
Es ist im Grunde ein finsteres Beharren: ich identifiziere
mich im Schuldgefühl mit einem vergangenen Ich, betrachte
die Schuld aber als unheilbar, „heillos“, denn ich bin gegenwärtig noch kein anderer und würde in ähnlichen Fällen
ebenso handeln, vielleicht nur zweckmäßiger. Aus der so in
Wirkung gebrachten saturnalen Reihe (vgl. Bd. I, S. 78) allein kann keine Befreiung vom Übel erreicht werden, auch
wenn man es äußerlich „wieder gutmacht“. Für seine Tat
mit radikaler Gesinnungsänderung einstehen geht aus der
solaren Reihe hervor; dies meinte man stets mit „gewandeltem Herzen“. Katharsis entspringt dem solaren Kern und
entwirft eine neue Art zu handeln, strahlt auf das Marsische
aus, während das Jupiterhafte im Rückbezug auf den Kern
die Gesamtregelung der Psyche in neuem Geist vollzieht.
Auflichtung des Schattens
Befassen wir uns intensiver mit dem eigenen Schuldkonto, dann entdecken wir, daß falsche Bezichtigungen anderer, affektiv begangene Bosheiten, auch Lieblosigkeit,
Verdrängung peinlicher Situationen, Versäumnisse, Unterlassung lebensfördernder Äußerungen, wo sie erwartet wurden, zusammengezogen sind zu einer dem Bewußtsein
dunklen, antriebshemmenden seelischen Substanz. In der
Jungschen Denksprache heißt dies der Schatten. Psychologisch deckt er sich weitgehend mit dem „Hüter der Schwelle“ in alten Mysterien. Nur geht es der Psychotherapie um
eine aufzulockernde persönliche Belastung, während im
Blickfeld überpersönlicher Einweihungsstufen eine Schran155
ke vor das Erreichen letzter Grade gesetzt ist. Dieses auf
dem Weg höherer Selbst-Erkenntnis einschneidende Erlebnis verdichtet sich, wenn es personifiziert als Halluzination
vor Augen tritt, eine Gestalt abweisender Härte. Für die
astrologische Sicht sind dies beides Entsprechungen des
Saturnsymbols; sie gehören zu seinen „bleiernen“ und tödlichen Entsprechungsformen:
Die Untersuchung der relativen Bedeutung - relativ zum
Entwicklungszustand - trägt dazu bei, Saturn das vulgäre
Odium des „großen Übeltäters“ abzunehmen. Darüber hinaus wird uns die Beziehung zwischen Symbol und Entsprechung verständlicher. Der konstellative Standort dieses
Schwerpunkts im Individualgefüge, besonders seine Aspektierung, sagt einiges über die angeborenen Neigungen zu
positiven oder negativen Auswirkungen dieser Wesenskraft.
Nie jedoch ziehe man wertende Behauptungen heraus, und
ganz absurd wäre es, im Kosmogramm den selbstbestimmenden Faktor zu suchen, der oberflächlichen Regungen
nachgibt oder, ihren Flachgang überwindend, gehaltvollere
Bedeutungsträger erwirbt.
Entsprechungen eines und desselben Symbols können
sehr verschieden ausfallen, sachlich je nachdem, was die
Umwelt uns darbietet, bedeutungsmäßig in Beziehung zur
eigenen Entwicklungshöhe. Angenommen, mein Charakter
enthielte ein genießerisches Verlangen von starker Zugkraft.
In der Wüste oder im Gefangenenlager finde ich dann andere Entsprechungen dafür als im normalen bürgerlichen Leben, in wohlhabender oder gar üppiger Umgebung. Das ist
der sachliche Unterschied. Ob ich mit dem Vorhandenen
zufrieden bin und Genüsse daraus ziehe oder sogar am Annehmbaren herumnörgle, ist eine andere Sache, nur teilweise auf Aspekte oder Zeichen zurückgehend. Aber das
Eigentliche, die Glücksfähigkeit, beruht im Wesentlichen
darauf, zu sehen, was man hat und nicht auf das zu blicken,
was man nicht hat, höchstens fordern kann. Die außenweltliche Situation bietet die Dinge an, zwischen denen ich zu
wählen habe, und hier bedingt eines das andere, denn es gibt
Verwöhnung und Zukurzgekommensein, gibt „Milieufälle“;
156
das ich wähle, ist nämlich in der Rückwirkung von Einfluß
auf die Fertigprägung von Eigenschaften. Die Wahl ist Entwicklungssache vor allem in der kulturellen Wertordnung.
Man kann Genüsse suchen in Werken der Kunst, in der
Gemeinschaftsatmosphäre, an vollbesetzter Tafel oder im
Sexualleben. Was den Vorrang hat und in welchem Verfeinerungsgrad es sich mit anderen Dingen verbindet, hängt
mit dem Niveau zusammen; dies etwa in Venus- oder Jupiteraspekten suchen zu wollen, ist ein Irrtum vieler Astrologen.
Zu solchen Schlüssen könnte auch der Bezug von Anlagen
zu den verschiedenen Seinsebenen verleiten - materiell, organisch, seelisch, geistig analog erdhaften, feurigen, wässerigen, luftigen Zeichen, wenn man „höhere“ und „niedere“
Ebenen annimmt. Dies wäre unstatthaft; die Aussagen geben keine Wertunterschiede an. Auf jeder Ebene kann eine
Anlage je nach der Art, sie zu verwirklichen, „belichtet“
oder „beschattet“ sein.
In der Vulgärastrologie wird von Jupiter und von Venus
als von Wohltätern geredet, und es stimmt annähernd, wenn
man nur Erfolg, Behagen und Genuß im Auge hat. Auf höherer Stufe gehören weiterhin Religion und Kunst dazu. Jedes Planetensymbol hat mehrere wertunterschiedliche
Entsprechungen. Das Prinzip einer Wesenskraft konkretisiert sich auf vielerlei Art, und das „Wie“ der Werthöhe
hängt vom Menschen ab, der es darlebt. Das Venusprinzip
heißt „Harmonie“, das Jupiterprinzip heißt „Optimum“, darauf bezieht sich die Bedeutung einer Sache, einer Person
oder einer emotionalen Regung.
Venus beschränkt sich also keineswegs auf beglückende
Empfindungen, insbesondere auf Liebeslust, wie es naheläge, wenn man nur an die Göttin Aphrodite dächte; ferner
unterschied schon die Mythologie Jupiter tonans und Jupiter
pluvius, den gewitternden und den befruchtenden, Regen
bringenden Zeus. Nicht nur begehrende Gefühle, auch absichtslose wie Bewunderung und Ehrfurcht reihen sich unter
diese Prinzipien. Äußere Entsprechungen können sich inneren zugesellen, zusammenhängend im selben Planetensym157
bol, die Wendung nach außen will eine innere Wertwelt
verwirklichen. Ganzheitlich gehören alle Wesenskräfte zusammen, die Harmonie des Wesensganzen braucht das ihm
Bestmögliche und -zuträgliche, das Optimum. Ist aber das
Maß des gesunden Ausgleichs überschritten, so beginnt die
überreizte Wollust, hysterische Lustigkeit, Vergnügungssucht, die Völlerei und der sinnlose Luxus. Nicht minder
reichhaltig und ebensowenig nur aus dem Kosmogramm
ermittelbar sind die Saturnentsprechungen.
Stehen denn aber nicht handgreifliche Dinge vorbestimmt
im Horoskop? Die meisten Astrologen sind stolz auf „Treffer“, und die Mehrheit der Anfrager will nur wissen, „was
geschieht, denn“, so sagen sie, „mich kenne ich sowieso.“
Welch Irrtum! Aber hier sind wir bei der oft überforderten
Häuserfrage, der Frage nach der Gegenständlichkeit. Die
Häuser geben die Richtung der Kräfte an, die Interessen in
bezug auf die individuelle Struktur; die Verwirklichung
müssen wir schätzen und dabei die erreichte Höhe der Entwicklung berücksichtigen. Was persönlich von Wert ist,
steht nicht im Horoskop, die Dinge sind in diesem Rahmen
vertauschbar, und der wählend Entscheidende gibt den Ausschlag.
Soweit unter Saturnentsprechungen ein angeborenes Niveau mit in Betracht kommt, ist es zwar nicht in der Qualität erkenntlich, aber im persönlichen Rückzug zum Erbe.
Nehmen wir das 2. Haus, vulgär das „Geldhaus“. Freilich,
wenn wir Durchschnittsmenschen nach der Grundlage ihrer
persönlichen Existenz befragen, herrscht bei Saturn darin
von Haus aus ein Interesse an materiellem Erwerb und Besitz. Auf diese Lebensregion wird dann besonderes Gewicht
gelegt, das Ererbte und Erworbene wird zäh festgehalten.
Doch diese Entsprechungen gelten nicht für alle. Für Friedrich Nietzsche waren die ererbte Gedächtniskraft und der
erworbene geistige Fundus wahrscheinlich wichtiger als die
pünktlich ausbezahlte Pension als ehemaliger Basler Professor. Natürlich brauchte er sie als materielle Grundlage, besonders zur Zeit der Augenerkrankung und des Entstehens
seiner Hauptwerke. Saturn steht im 2. Haus, die wesens158
eigene Bedeutung des Schwerpunkts war anders. Daß es die
geistige Grundlage war, auf die sich Nietzsche stützte, daß
nicht umgekehrt der Organisationsverstand dem materiellen
Erwerb diente, lag am Niveau in Rückbezug zur Herkunft;
dokumentarisch bestätigt ist diese Vorprägung durch das
Erbe. Das luftige Zeichen WASSERMANN, als dessen planetarisches Äquivalent außer Saturn auch Uranus gilt, ist
auf eigentümliche Weise in das Aspektgerüst eingebunden.
Saturn steht darin im Sextil zu Uranus und im Trigon zu
Merkur, deren Opposition eine Hochspannung der geistigen
159
Anlagen ausdrückt. Er stand, wie ich es nenne, im harmonisierenden Punkt und gibt darin die Fähigkeit an, die paradoxistischen Gedankenblitze an Erfahrung und Tradition zu
überprüfen. Eine andere Saturnentsprechung, die vom Niveau abhängt, ist das Gewissen. Hierher gehört die gesinnungsmäßige Redlichkeit, mit der es geschah. Der uranische
Neuerer, an saturnale Tradition gebunden, sucht in merkurialer Gedankenarbeit den Wendepunkt auszuloten.
Unterwerfen wir Nietzsche als Kritiker seiner Epoche
selbst der Kritik, kommt auch zur Geltung, was C. G. Jung
dem „Schatten“ beimaß: Die Summe aller Verdrängungen,
das in der Vergangenheit Abgewertete und Verneinte, entweder komplexhaft eingekapselt oder ein auf Sündenböcke
bezogenes Feindbild. Daraus bezog der kulminierende Mars
seine Nahrung. Nietzsche war keineswegs von Affekten dieser Art frei. Seine zeitkritische Mission, in welcher der
zweiflerische SKORPION-Aszendent sich ausgab, bedurfte
zum Absprung vom Bisherigen, dessen geistesgeschichtlicher Erbe er war, einer Negation des elterlichen Pfarrhauses.
Ebenso enthält seine Wendung im „Falle Wagner“ eine
schroffe Abkehr von dem, was er früher anbetete. Solche
jähe und radikale Verneinung dessen, was tiefinnen wurzelt,
rechtfertigt Uranus als revolutionäres Element im 4. Haus.
Hinsichtlich des Christentums leuchtete die Rebellion gegen
das im Kindergemüt Eingezogene - bei überhöhter Forderung nach Ernstmachen mit der Grundidee - um so schärfer
die Schäden an, die er durch Mißverstand und Heuchelei
eingeschlichen sah. In seiner affektiven Beteiligung unterlag
er aber dem von ihm selbst verteufelten „Ressentiment“.
Eine seiner Hauptkomponenten, Jupiter in FISCHE, vergewaltigte er, indem er den Kult des Mitleidens härter als alles
andere bekämpfte. Der opponierende Mars im nüchternen
JUNGFRAU-Zeichen drängte sein Optimum in eine Sackgasse. Als beim unerwarteten Anblick eines mißhandelten
Pferdes diese Mitleidsanlage durchbrach, riß auch die Ratio
durch. Die Überflutung mit teilnehmendem Gefühl führte
die Umnachtung herbei.
160
Selbstverständlich war der Schock nicht die Ursache der
Geisteskrankheit. Etwas schon Bereitliegendes wurde nur
akut, und die zusammenbrechende saturnale Stütze der Persönlichkeit enthemmte die selbstzerstörerischen Kräfte des
Marszeichens SKORPION. Man darf behaupten, daß diese
Stütze eine gläserne Konstruktion war, die der Realität nicht
standhalten konnte, weil ihre Idealität einen nicht aufgelösten Schatten überformte. Die durchaus „harmonische“ Saturnstellung hatte die übergipfelnde Forderung affektiver
Urteile begünstigt. Die nur abschirmende Härtung des weichen, im Begreifen alles begütigenden Wesensgrundes erwies sich als zerbrechlich, als die hochgespielte Idee des
Übermenschen sich der rohen Wirklichkeit des Kutschers
gegenübergestellt sah. Auch paranoische Selbsterhöhung
verbarg sich in Nietzsches Höhenflug. Das letzte Werk vor
dem Zusammenbruch, „Ecce Homo“, ist das erschütternde
Zeugnis eines Großen, dem vor der Wand angetroffenen
Unverständnisses der Mitwelt die Zügel aus der Hand glitten, als er sie zu straff anzog. Kein Dionysos, sondern ein
Phaeton . . .
Kein Grund, die reifen Werke Nietzsches deshalb negativ
zu werten. Jeder hat seinen psychischen Schatten umgekehrt
dem Körperschatten, den wir nach außen werfen. Zur völligen Umwertung der Werte muß man diese seine Negationen
- auch wenn man in der Auseinandersetzung mit ihnen sich
ins eigene Fleisch schneidet - als unwiederholbar annehmen. Dies ist die Hegelsche „Negation der Negation“ auf
sich bezogen, und zur Tragik Nietzsches gehört es, daß er
sie aufgriff, als es dafür zu spät war.
In überpersönlicher Sicht steht nicht einer gegen alle wie
beim persönlichen Verletztsein. Im gesamtverbindlichen
Ausmaß gilt es, über erlebte Feindseligkeit und Tücke hinweg das Leid der Welt mitzutragen und umzuwandeln. Dafür war in Nietzsches Geburtsbild der Neptun im harmonisierenden Punkt zur Opposition von Sonne und Pluto berufen, eine verfängliche Anlage, wenn sie zur Selbsttäuschung
durch Ästhetisierung der Grundfragen aktiver Stellungnahme verführt. Dem tritt der menschheitsgeschichtliche Hüter
161
der Schwelle als die zur Gegenwart komprimierte menschliche Vergangenheit in ihren lebensverneinenden Zügen gegenüber. Der Kutscher in Turin war Symbol. Wer vor der
fordernden, unverstellten Tatsächlichkeit, „daß es das noch
gibt“, bestehen will, muß eine Umkehr aus der Erwartung
eines anderen, nur erahnbaren Gesichts erzwingen. Dies
vermochte Nietzsches „Übermensch“ nicht. In diesem Zusammenhang ist Saturn der alte römische Janus, der Doppelgesichtige, nach rückwärts blickt er ins Vergangene,
nach vorwärts ins Künftige. Nietzsches vorwärtige Vision
hatte nicht seinen Schatten ausgelöscht. Ungetrübten Glaubens muß man sein, um die Schwelle zu überschreiten, muß
Bedingungen schaffen für das, was werden könnte. Vielleicht aber war in dieser Epoche nur eine geniale Behauptung fähig, über die Schattenseiten der Geschichte zu
springen.
Carus nennt in seinem Werk „Psyche“ die Vorahnung des
Kommenden das Prometheische, das Bewahren des Vergangenen das Epimetheische im Menschen. Im kreisläufigen
System des Tierkreises liegt hier die Cäsur zwischen den
Zeichen STEINBOCK und WASSERMANN. Saturn gibt
sein Reich dem Geist einer neuen Epoche, gibt es Uranus
frei, hält die Hand nur auf Erhaltungswürdigem innerhalb
der neuen Ära. Von saturnischer Schwere althergebrachter
Dinge tritt man in das erhellende Bewußtsein uranischer
Neugestaltung. Falsch wäre es natürlich, dies aus der Geburt
im einen oder anderen Zeichen einem Menschen zu deuten!
Es handelt sich vielmehr um den Kreis als Stufengang der
Entwicklung.
Zuweilen mag es einem Menschen notwendig sein, im
Heraufdämmern seiner besten Möglichkeiten anzuhalten,
ohne den Gipfel des Parnaß zu erreichen. Hierbei spricht
mehr als ein persönliches Schuldkonto mit, auch Familienschicksal und Zeitlage sind beteiligt, ihm die volle Freisetzung seiner optimalen Fähigkeiten verweigernd. Um dies
begreiflich zu machen, sei auf die Aspektfigur von Franz
Grillparzer eingegangen. Er mußte zeitweilig geradezu als
Lehrbeispiel für psychopathologische Untersuchungen her162
halten. Übersehen wurde dabei der zähe Kampf um ein Loskommen von der saturnalen Klammer, in die sich Erbe und
Umwelt einzeichneten. Immer wieder glomm der Brennpunkt seiner dramatischen Begabung auf, ehe das Alter erstickte, was in der Jugend blühte.
Dem am Aszendenten befindlichen Saturn - Signum des
Rückbezugs zur Herkunft - entsprachen schwere Belastungen. Die Mutter und ein Bruder begingen Selbstmord, der
frühe Tod des Vaters an Lungenkrankheit unterbrach die
vorgesehenen Studien, aus materiellen Gründen mußte eine
mindere Amtsstellung angenommen werden. Persönlich
quälten Grillparzer körperliche Mängel: stark kurzsichtig,
163
leichter Sprachfehler, ansetzender Buckel. Mit seinen Dramen frühzeitig erfolgreich, sah er sich der schikanösen Zensur der Metternichzeit ausgesetzt. Dennoch ein Beamter von
loyaler Gesinnung, stand er als Bewunderer der josefinischen Reformen im Widerspruch zur zeitgenössischen Reaktion und konnte auch dem achtundvierziger Liberalismus
keinen Geschmack abgewinnen.
Einerseits litt Grillparzer unter der „Abnormität“, wie er
seine Wunderlichkeiten nannte, andererseits unter der Angst
vor Selbsthingabe. Er blieb ehelos ungeachtet triebstarker
Anlage und unbestreitbarem Kontaktbedürfnis, bei jahrelanger Nähe der geliebten Frau, seiner Verlobten - Tragödie
einer nie vollzogenen und doch als jahrelange Bindung beständigen Ehe -, als Untermieter in einer und derselben
Wohnung. Nicht organische Schäden hielten ihn zurück,
sondern selbstquälerische Reflexionen, eine intellektuell
raffinierte Zergliederung seiner Seelenlage mit ständig wiederkehrender Depression als Orgelpunkt, bis dies Für und
Wider einer grämlichen, verbitterten Resignation wich. In
der Jugendphase wortgewandtes Theaterblut und äußerst
fruchtbar, schrieb er in den letzten dreißig Jahren seines Lebens kein größeres Werk mehr.
Auch Goethe hatte Saturn am Aszendenten, auch sein
Familienerbe trug belastende Züge. Bei ihm war es das
„Geheimrätliche“, eine nach außen abgrenzende Haltung,
überhaupt das Fernhalten widriger Eindrücke und störender
Beeinflussung. Im Falle Grillparzers erlaubte das Aspektgerüst keine so lebenskluge Einschaltung des Saturnischen.
Saturn nämlich stand im ichbetonten Zeichen WIDDER als
Kopf einer Drachenfigur am Aszendenten. Ein „Drache“
besteht aus einer Längsachse - hier der Opposition von Saturn und Jupiter - und am einen Pol ansetzend, einem
durchgehenden Trigon - Jupiter, Mond, Venus, bei dieser
Sonne und Mars -, so daß zwei harmonisierende Punkte entstehen, indem der andere Pol, der Kopf - hier Saturn - umflügelt wird von zwei Sextilen zu Mond und zu Venus. Eine
solche Drachenfigur ist transponierbar auf verschiedene
Zeichen, sie überformt deren Verhaltenscharakter und die
164
dazugehörigen Seinsebenen. Die Haupt-Eigentümlichkeit
dieser in sich geschlossenen Figur liegt in der Richtungstendenz zum Kopf des Drachens. Die Lage im Häuserschema
ist individuell verschieden. Im Kräftegefüge Grillparzers
fällt auf, daß der harmonisierende Punkt „Venus“ zwischen
zwei Planetensymbolen sich innerhalb der mit dem Kernsymbol „Sonne“ beginnenden Kette befindet, die, von
STEINBOCK zu WASSERMANN überleitend, im 11. Felde steht, bezogen also auf den Geist der Epoche.
Meist wird ein Mann wie Grillparzer leichtfertig abgeurteilt: Sein Verhalten käme aus der typischen Stimmungslage des Enttäuschten, der zur Sonne strebte und in
den Schatten weichen mußte. Wir sprechen hier von einem
anderen Schatten, dem der lichtlosen seelischen Haltung,
gewichtig in der Anlagestruktur verankert. Diese Haltung
verdichtete sich von Jahr zu Jahr, natürlich unter Vermerk
enttäuschender Außengeschehnisse, doch das eigentlich
Hemmende lag in ihm. Dieser leibseelischen Physiognomie
konnte Grillparzer auf direktem Wege schwerlich Herr werden. Das Ankämpfen dagegen schuf jedoch den Dramatiker,
und er hielt seine Kunst rein, nie trug er subjektive Schwächen auf die Bühne, hat nie die Kunst mit „den geheimen
Gebrechen seiner Individualität befleckt“. Venus, das Symbol künstlerischer Gestaltung der Eindrücke weltzugewandter Sinne, finden wir flankiert von den Symbolen eines
strengen Grundantriebes - Sonne-STEINBOCK - sowie der
geistig aktiven Entäußerung - Mars-WASSERMANN -, und
hier erblickte er beide Janusgesichter. Die kettenartige
Kräfteverbindung endet mit Merkur-WASSERMANN, der
in seiner Opposition zu Uranus-LÖWE die Hochspannung
von Verstand und Intuition einströmen läßt.
Eigenes und fremdes Tun wie Unterlassen vertieften die
Kluft zwischen Ich und Welt, zugleich Bannkreis um das
Allerheiligste, die Eigenperson. Die Aushebelung der
Aspektfigur gelang nicht trotz Zartgefühl und Güte gegenüber dem Herantretenden. Das Ventil dichterischer Äußerung - Übertragung der Leidenschaften, Wünsche, Hoffnungen in Höherbewertetes, künstlerische Form wurde ver165
stopft. Oft hat man dem Hagestolz mit seinem Zwang zur
Selbstzergliederung geraten zu heiraten, dies aber rührte gerade an die führende Spannung, die Mittelachse des Drachens, die Saturn Jupiter-Opposition.
Eine Wendung analog Jupiter am Deszendenten schien
sich längst angebahnt zu haben durch die Verlobung. Doch
Hingabe an ein Du verlangt, die Grenzen des Ichs zu öffnen.
Grillparzer floh die Verwirklichung seines Herzenswunsches, die sich ihm in einer von allen bewunderten, ihm ergebenen Frau anbot. Katharina Fröhlich, angelobt und nie
geheiratet, brachte die überwindende Geduld auf, daß sie
nach einem Wort von Carl J. Burckhardt sich „schützend
vor seine Einsamkeit stellte“. Es war der seltene, vielleicht
einmalige Fall, daß die Auflichtung des Schattens übernommen und bewirkt wurde von einem Du. Obzwar eine
vitale Frau, die seinem Triebbegehren entsprochen hätte,
verlangte sie nichts als anwesend, helfend da zu sein. Das
Sprichwort, daß Liebe blind und Haß sehend macht, kehrte
sich hier um: verstehende Liebe sah scharf, was vorlag.
In Grillparzers Partnerschaftsfeld stand, die Wahl bestimmend, auch Neptun beim aufsteigenden Mondknoten,
dem Zugang zum unbewußt-vegetativen Leben. Neptun läßt
vieles in der Schwebe, schwankend vom Ich zum Du und
wieder zurück. Sensibles Zugehörigkeitsempfinden kennt
visionär die Wesenheit des Geliebten, die sich manifestieren
möchte, auch deren Hindernisse, weibliches Gespür reinigt
vom Entstellenden, entwirrt die Schlingen, löst die Knoten.
Manchmal liegt der eigene Sinn im Wirken am anderen in
seinem Anderssein.
Jupiter als Heiler und Helfer verkörperte sich somit durch
eine Frau, die in hellwacher Naivität, mit mädchenhaftem
Stolz und gelegentlich auch unwirschen Zurechtweisungen
den therapeutischen Vorgang steuerte, den C. G. Jung beschreibt: »Die dialektische Auseinandersetzung im Prozeß
einer analytischen Behandlung führt konsequenterweise zur
Konfrontation des Patienten mit seinem Schatten, jener
dunklen Hälfte der Seele, deren man sich je und je durch
Projektionen entledigt hat; entweder dadurch, daß man sei166
nen Nachbarn im engeren und weiteren Sinne mit all den
Untugenden belastet, die man offenkundigerweise selber
hat, oder daß man seine Sünden mittels „contritio“ oder sanfter - der „attritio“ einem göttlichen Mittler überläßt.
In der Anmerkung hierzu erklärt Jung contritio als die
vollkommene, attritio als die unvollkommene Reue; erstere
betrachtet die Sünde als Gegensatz zum höchsten Gut, letztere verwirft sie wegen ihrer Bosheit und Häßlichkeit und
wegen der Furcht vor Strafe. Bei Grillparzer lag der Fall so,
daß eine Mauer von Selbstbezichtigungen ihn meistens davon abhielt, Projektionen auf andere zu richten, und daß er
mit auf sich selbst gerichtetem Katapult das dort entdeckte
„Feindbild“ als Person in die Bühnenhandlung hinein versetzte. Hier lebte sich in leuchtenden Farben dar, was er
grau in grau in seiner Erzählung „Der arme Spielmann“ mit
selbstbiographischem Akzent als Kehrseite umschrieb. Dies
war ein Verstörtsein vom Übermaß erfahrener Widrigkeiten
und, um nicht darin unterzugehn, die vom Amtseinerlei enthebende Ersatzwelt. Am Ende erfolgten nur noch die demütig gewährenlassenden Reaktionen des Aszendentenzeichens FISCHE. Nach bitter vorgetragenen Beschwerden
pflegte er wehmütig lächelnd zu schließen „Sei's“. Zum
Thema Partnerschaft äußerte er sich einmal Marie von Ebner-Eschenbach gegenüber: „Ich habe schon deshalb nicht
heiraten können, weil ich den Gedanken nicht ertragen hätte, daß es einen Menschen gibt, der das Recht hat, wenn
immer es ihm beliebt, in mein Zimmer zu kommen.“ Es war
die Abschließung eines überspannten Idols, denn „mein
Zimmer“ bedeutet in Wahrheit das höchste Gut, das es für
ihn gab: die Dichtung.
Wo Vergötzung herrscht, zeigt Janus nur das rückwärts
gewandte Gesicht, das düstere, belastende, blockierende. Er
ist dann das Abgründige, das Grauen schlechthin. So wurde
von den Astrologen meistens Saturn abgewertet als Bringer
aller Übel des Daseins, der Unglücksfälle, Stürze, Hemmungen, als Herr über Alter, Krankheit und Tod. Dies heißt,
die Grenzen des vergötzten Ichs negativ zu beurteilen, den
Blick auf das ihm Wertwidrige und Unvollkommene zu
167
richten. In das Herannahende, Werdende trägt man so den
Nachhall früherer Nackenschläge hinein und wundert sich,
daß das Leben nicht aufmacht, wenn man beim Tode anklopft. Die Katharsis oder Reinigung liegt in der Negation
der Negation, sie wendet den Januskopf und lichtet den
Schatten auf. Der positive Saturn stützt sich auf Einsicht in
die Grenzen des Möglichen, nur zügelnd widerstreitet dies
dem solaren Lebensantrieb. Aufschwung, Wagnis, Unternehmungslust bekommen damit ihre richtige Fassung, und
an den Grenzen der Eigenmacht, die uns das Geschick zeigt,
wird die Gestaltetheit der Individualität erkennbar. Saturn
ist so gesehen das Gesetz der realisierten Form. Meister der
Form finden wir gerade in Männern, bei deren Geburt Saturn in Konjunktion mit der Sonne, dem zentralen InhaltsSymbol stand: Dante, Dürer, Haydn, Mozart, Schopenhauer,
Baudelaire. Aber nicht der Aspekt machts, sondern der solare Kern nahm die saturnale Aufgabe in vollem Ernste an.
Überhaupt Aspekte. Man untersuche die sogenannten
„Dissonanzen“ in charakterlicher Bedeutung. Es sind Aufforderungsaspekte, sie fordern auf, je zwei Wesenskräfte,
die aus dem Ganzen herausstreben, miteinander zu vereinen
und ihre teilheitliche Tendenz dem Ganzen gefügig zu machen, auch wenn es durch Zerreißproben hindurchgeht. Eine
so zustandegebrachte Synthese ist im Sinne kontrastreicher
Persönlichkeit gehaltvoller, als was aus der Gunst „harmonischer“ Aspekte meistens hervorgeht.
Denken wir uns eine Quadratur Saturn zu Venus. Nach
vulgärer Auffassung ist es dann schlecht bestellt mit Liebe,
Kunst, Geschmack, alles wäre behindert, verklemmt, bösen
Schicksalsschlägen ausgesetzt. Der Lebensgenuß wäre getrübt bis zu dem Punkt, an dem einem das ganze Dasein
nicht mehr schmeckt. In der mit solchen Definitionen verknüpften Erwartung, dies läge unabstellbar fest, liegt eine
fatalistische Verneinung der Freiheit. Freilich ist es so, daß
eine Entscheidungswahl von Fall zu Fall nicht unverpflichtet und leichter Hand gelingt; Verzicht und zeitweise Verunsicherung müssen in Kauf genommen werden. Was der
Aspekt in Frage stellt, ist unbeschwerte Harmonie und
168
schrankenloses Genießen, weil die Aufforderung zu ernsten
und gewichtigen Gehalten verbietet, sein Leben zu vertändeln. Man wünscht sich auch nicht weich gebettet, selbst
wenn die Herkunft es ermöglichen würde. Keinesfalls aber
sind deswegen die Empfindungen verarmt und musische
Betätigung versperrt. Die momentane Unmittelbarkeit der
Empfindungen wird nur oft gestört durch den Wunsch nach
Dauer, zuweilen die Angst, der Kontakt könnte abbrechen;
in der Liebeswahl tut man sich schwerer als andere, weil es
das Fremde in allen Konsequenzen zu assimilieren oder abzuwehren gilt und die Gewinnung von Harmonie den Einbau in das Grundgesetz des eigenen Seins zu beachten
verlangt.
169
Diesen Aspekt finden wir bei Michelangelo Buonarotti,
Venus in WIDDER am unteren Meridian, Saturn in KREBS
am Deszendenten. Beachtenswert ist diese Stellung des Saturn im „Dupunkt“, während der „Ichpunkt“, der Aszendent,
im Saturnzeichen STEINBOCK liegt. Vom jeweiligen Gegenüber wird also das Ich an Kandaren gehalten, und Saturn
am Deszendenten bezeichnet ohnehin eine kontaktscheue
Anlage. Das Problem des Schattens stellt sich von vornherein als ein Fertigwerdenmüssen mit feindlichen Mächten dementsprechend Abwehr durch bissige Bemerkungen -,
mit Rivalität in Fragen des Ehrgeizes, Verschleppungstaktik, Hinterhältigkeit fremder Interessen und der Tücke des
Objekts. Dies bei einer durch Sonne, Mond und Mars in FISCHE gekennzeichneten sensiblen, feinfühligen, das Letztmögliche verlangenden, nur leicht verängstigten und in
Flucht geschlagenen Kernanlage, Gemütsart und Tatkraft!
Tragisch können Geschehnisse jenseits der Aussagegrenze in den Werdegang eingreifen. Daß Torrigiano dem
jungen Michelangelo durch einen Faustschlag das Nasenbein zerschmetterte, war - ungeachtet nachträglich aufweisbarer Aspektbezüglichkeit - als Brutalität eines halb
wüchsigen Mitschülers, auch wenn er gereizt wurde, nicht
vorauszusehen. Das Bewußtsein eines entstellten Gesichts
aber erschwerte dem so Gezeichneten den Zugang zum
weiblichen Eros; dem Aspekt des Saturn zum anderen
weiblichen Symbol, dem Anderthalbquadrat zum Mond,
entsprach die späte Begegnung mit Vittoria Colonna.
„Trotzdem“ zu sagen, veranlassen uns Marsaspekte. In seinem Trigon zu Mars gibt Saturn hinzu, was er im Quadrat
zu Venus abknappt. Saturn und Mars zusammen bilden ein
gleichschenkliges Dreieck zu Uranus und Neptun im Marszeichen SKORPION. Doch das eigentliche „Trotzdem“
bringt kein Aspekt, auch nicht das Eingefügtsein in eine
Drachenfigur mit Pluto als Kopf, der zu den letzten Dingen
vorstößt. Dies Eigentliche des Aspekts war bei Michelangelo, daß sein universell gearteter Wille die schicksalhafte
Beschränkung annahm und sich verwirklichte im sprödesten
Material, in Marmorblöcken und auf Wandflächen, zuletzt
170
in der Kuppelwölbung der Kirche, die ein sakraler Mittelpunkt auf Dauer sein sollte. Trotz der empfangenen Leidwesen entstand das Unversehrte. Er vermochte dies nicht, ohne
der Aufforderung des Saturn-Venus-Quadrats nachzukommen, nämlich, indem die in ihm tobenden Leidenschaften in
strenger Zucht gehalten waren, wenn es um ein künstlerisches Vorhaben ging. Der Ursprung des Musischen im Wesensgrund formte sich aus in Kelchblättern, die Blüten von
herber und ernster Schönheit schützten.
Die Eintopfmethode
Man macht sichs im Gewissen leicht, wenn man alles in
einen Topf wirft. Das Komplizierte zu bedenken erscheint
vielen so, als ob damit das Urteil an Klarheit abnähme. Zumal bei geistiger Massenware ist dergleichen nicht zu gebrauchen. Es wurde einmal vermerkt, eine für die Massen
zugkräftige Lehre müsse so einfach sein, daß man ihren Inhalt auf einem Bein stehend in drei Minuten hersagen könne. Schlichte Gemüter wollen nichts als eine Richtschnur
des Handelns. Dem genügt ein vereinfachendes Denken, das
die ganze Mannigfaltigkeit der Erscheinungen auf einen
einzigen Begriff bringt, sämtliche Konflikte aus einer Grundursache herleitet. So bekommt das Belebte Leben einen
plausiblen Ursprung, die Mühe ein Ziel und das Versagen
eine Entschuldigung.
Ein Großteil der Gewissensnot unserer Zeit beruht auf
solchen Vereinfachungen. Vielerlei Fanatismen wachsen daraus. Mit souveränen Behauptungen lehnt einer die ganze
Gegenwart ab, weil sie nicht bietet, was er wünscht, attakkiert jeden, der die Dinge anders sieht und erklärt. Geistige
Enge kann im Handumdrehen anmaßend sein und der Einspurige hortet Beispielfälle für die Richtigkeit seiner These.
Gesagt wird etwa: Der Mensch ist „nichts als“ ein Säugetier,
unsere Kultur „nur“ sublimierte Sexualität, Kunst „bloß“ ein
Rummel, Religion „lediglich“ etwas was die Weltangst uns
171
einredete. Gegensätzlich zum Herunterreißen werden überwertige Ideen hochgestochen: das Vorhandene gilt als
„nichtig“ vor dem und jenem, was sein sollte, als ein „Abglanz“ des Möglichen, Lebenswerten, Ewigen. Denken ist
auf diese Weise ein Vereinheitlichungsprozeß auf Kosten
des nicht Mitgedachten. Sowohl die immer wieder gehörte
Altersklage „ich bin zu nichts mehr nütze“ als auch der jugendliche Aufruhr mit seinen „Alles-oder-nichts-Programmen“ bedienen sich phantasielos der kleingärtnerischen Beschränkung des Geistes. Sie stammt nicht aus einem bloßen
Denkfehler, sondern Wertungsüberschwang, Bequemlichkeit, Geltungsbedürfnis, Entscheidungsdruck augenblicklicher Forderungen und vieles mehr sind zumindest mitsprechende Motive, um das vorstellungsmäßig gerade Zuhandene in einen Topf zu werfen, den man im Bekehrungseifer kochen läßt.
„Gemach“, wird man einer darin rührenden Kassandra,
die wieder mal einen Weltuntergang prophezeit, zurufen,
„es ist halb so schlimm“. Schlimm ist kein Denkfehler, aber
die Kräfte nehmen schlimme Formen der Auswirkung an,
wenn sie mit seiner Hilfe das lebendige Gewebe zersetzen.
Diese Entgleisungen müssen wir zu packen suchen wo sie
entspringen, nämlich in der Nichtbeachtung des Vieldimensionalen. Für seelische Inflationen, panikhafte Aufregungen gibt es außer dem Holzhammer, der sie gewaltsam
dämpft, kein anderes Beruhigungsmittel als Denken in Gemäßheit des Mannigfaltigen.
Rang und Ordnung, Stellenwert des Einzelnen im Ganzen, ein Beziehungs-, kein Substanzbegriff ist der Kosmos.
Ein Warenhaus des Wissens wäre kein solcher. Hier liegt
die Ursache des Mißbrauchs kosmologischer Symbole,
wenn sie in den vulgären Gebrauch geraten. Der akosmisch
Denkende will mit totalisierten Vereinfachungen in Bausch
und Bogen ergreifen, was in seinen vielen Bestandteilen
immer wieder anders angefaßt werden müßte. Dies ist statthaft in praktischen Entscheidungen, bei denen Kleinigkeiten
links liegen bleiben. Im Weltblick jedoch, im Wesen geht es
172
um die Einheit des Mannigfaltigen, hierfür hält das kosmologische Denken synthetische Formeln bereit. Hingegen jeder analytische Begriff wird falsch, wenn als alleserklärender Generalnenner gebraucht. Falsche Verallgemeinerung
tötet das im Besonderen der Unterscheidung Gültige. Ein in
richtiger Anwendung aufbauender Begriff wie „Realismus“
wirkt lebensabtötend, wenn man etwa Kindergärtnerinnen
sagen hört: „Phantasie muß man dem Kinde austreiben, das
Spiel hat nur den Zweck, etwas für den Ernst des Lebens zu
lernen.“ Nichts sei deswegen gegen Wahrheitsbehauptungen
und erklärende Begriffe gesagt, Gewichtiges aber gegen die
Sucht der Ausschließlichkeit. Wir sprechen nicht vom
krankhaften Bewußtseinsverlust, von Vorkommnissen in der
Ekstase und anderen Ausnahmezuständen, auch nicht vom
„abaissement mental“ des Massenwahns, sondern vom normalen Denken unter der Macht der Etikettierungen. Monothematisches Richten der Aufmerksamkeit wirkt selektiv
auf den vorhandenen Gedankenvorrat sowie alles, was die
Umwelt heranträgt. Auch weit gefaßte und scharfgedachte
Urteile, wenn man ihre Relativität vergißt, wandeln sich
dann zur philiströsen Enge einer Meinung, die andere Meinungen ausschließt.
An ausschließlichen Behauptungen ist wie gesagt die Aufmerksamkeit beteiligt. Hier wird nun praktisch auswertbar,
für die Selbstkontrolle wie für die Deutung anderer, was bei
der Beschreibung der zwölf Tierkreiszeichen (Bd. II, „Einzeldarstellungen“) jeweils in der betreffenden Rubrik über
die Auffassungsweise gesagt wurde. Jede Stilform des Erlebens enthält eine eigene Art des Aufmerkens, sei es im Herausfinden führender Gesichtspunkte (kardinal), der weiter
verfolgenden Beharrlichkeit in bestimmten Anschauungen
(fix), des frische Anregungen bevorzugenden Wechselbedürfnisses (labil). Mit spielt dann die im Zeichen berührte
Seinsebene (erdhaft, feurig, wässerig, luftig, vgl. Bd. II, S.
61 u.f., besonders S. 77) und anderes. Allen Ingredienzen
gemäß` bestimmen die vorherrschenden Zeichen die Meinungsbildung mit.
173
Auch die zwölf Felder, die „Häuserstellungen“, sind beteiligt. Sie bezeichnen ja diejenigen Dispositionen, nach denen wir in jeder Umgebung bestimmte Dinge wahrnehmen
und auswählen als „von Interesse“, weil sie einem uns eingeborenen Bedeutungsschema entsprechen. Sind zwar die
Gegenstände innerhalb dieses Schemas vertauschbar, so legt
doch der gleichbleibende Bezug bzw. die Rolle, welche die
Dinge im Bedeutungsschema spielen, auch geistige Anschauungsrichtungen fest. Diese Schematisierung gilt mehr
für die Verstandesstruktur, während die Zeichen mehr die
Gefühlshaltung beeinflussen.
Entscheidend ist natürlich immer die Entwicklungshöhe
bzw. die Tiefe der Verankerung dessen, was die Selbstbehauptung in der Welt, die darin gesehene Aufgabe und die
optimale Leistung gründet. Hiervon hängt der Gehalt der
vorerwähnten Vereinfachung ab. Die Felderbesetzungen
enthalten in der gegenständlichen Richtung, die betonten
Zeichen im Verhaltensstil gewisse Voraussetzungen.
Es ist kein Sakrileg, sei vielmehr als Beitrag zur Untersuchung geistiger Strukturen aufgefaßt, wenn als Beispiel
die Geburtskonstellationen von Karl Marx und Sigmund
Freud gebracht werden. (Bei Marx stammt die Zeit aus dem
Geburtsregister, bei Freud wurde in der ersten Ausgabe dieses Bandes die von A. Turel angegebene Zeit, zurückgehend
auf eine Selbstangabe Freuds, genommen. Inzwischen veröffentlichte der Suhrkamp Verlag im Bildband „Sigmund
Freud“ eine Eintragung des Vaters in der Familienbibel, um
1½ Stunden verschieden.) Bewußt sei uns von Anfang an
der Unterschied zwischen dem Initiator einer Lehre und
seinen Anhängern. Diese nehmen mit Vorliebe Vereinfachungen vor, wo jener, meist weitherziger und toleranter,
Handhaben dafür bietet. Stets kommt es darauf an, wer sich
einer Lehre bedient. Marx war ebensowenig Marxist wie
Freud Freudianer. Lehren, wie beide sie brachten, sind zu
verstehen als Querschnitte durch den Bereich des Denkbaren. Die Schnittschärfe des Blicks, die ihr Verdienst ist, sowie das damit Erreichbare rechtfertigt nicht ohne weiteres
die Ausschließlichkeit, mit der sie vertreten werden.
174
175
Um Konstellationen wie die von Marx und Freud und
überhaupt den ungewöhnlichen* Menschen im Rahmen seiner Anlagen richtig zu verstehen, greifen wir das Ehekapitel
wieder auf und erweitern die Sicht hinsichtlich entstehender
Kontakte. Während die vulgäre Astrologie an ein konkret
vorbestimmtes Schicksal und damit an die real begegnenden
Personen denkt, führen wir den Begriff der Bezugsperson
ein. Sie ist ungefähr dasjenige, was man in der heutigen Literatensprache „Aufhänger“ nennt, eine Person, an die sich
subjektive Gefühle heften oder die zur erklärenden Verdeutlichung solcher dient. Die Besetzung der sog. Häuser
sagt dem Astrologen, welche Inbilder dafür der unter einer
bestimmten Konstellation Geborene mitbringt.
Es war nun eine geniale Lösung Freuds, seine Kräfteballung am Deszendenten nicht aufgehen zu lassen in den Tatsachen einer bürgerlichen Ehe, sondern im Klienten den jeweiligen Modellfall zur Ermittlung menschheitswichtiger
Untergründe des Verhaltens zu sehen. Eine Familiengeschichte kann bedeutsam sein für den Werdegang des einzelnen, für die Menschheit wäre sie uninteressant, bei ihr
gilt nur das Werk, das aufgrund persönlicher Leistung Herausgestellte. Ein Durchschnittsmensch mit derartiger Betonung des 7. Feldes und darin STIER wäre vielleicht bei
annehmlichen Gewohnheiten des Ehelebens hängen geblieben oder er wäre des Partners überdrüssig geworden und
analog Sonne, Uranus, Merkur in diesem Felde sowie Pluto
nahe am Deszendenten auf andere Partnerbeziehungen umgesprungen. Freuds forschende Intuition ergriff statt dessen
den Wechsel des Patienten, der Bezugsperson, als Gelegenheit. Sein genialer Griff war Intimität mit einem Du bei
gleichzeitiger Distanz. Die analytisch aufschließende Spürkraft des SKORPION-Aszendenten inspirierte sich immer
*
Nach meinen Ausführungen in „Genius und Dämon“ (Aurum Verlag, Freiburg/Br. 1980) findet in jedem Menschen ein Kampf zwischen diesen beiden
Mächten charakterlicher Äußerung statt, wobei einmal die eine, einmal die andere
die Oberhand bekommt. Es kann daher von „genialen“ oder „dämonischen“ Einfällen bzw. Handlungen eines Menschen gesprochen werden, ohne daß damit - wie im
üblichen verallgemeinernden Sprachgebrauch - gesagt wird, der Betreffende als
Ganzer sei ein „Genie“ oder „Dämon“.
176
neu an den Rätseln des Seelenlebens, allerdings kausalmechanisch betrachtet mit dem Schlüssel - analog der Rezeption von Mars und Venus mit umgekehrten Vorzeichen des Libidobegriffs, zur Demaskierung von Vorgängen unterhalb der Bewußtseinsschwelle.
Ein und dieselbe Konstellation muß demnach verschieden
gedeutet werden. Für den Außergewöhnlichen ist das kreisläufige System (Tierkreis, Häuserkreis) nicht nur ein Arsenal mitbekommener Anlagen zur Auseinandersetzung mit
der Welt, er dringt vielmehr auf schöpferische Aktualisierung solcher Auseinandersetzungen, so daß etwa derselbe
vorzeichnende Rahmen der Intimität- mit einem Du andere
Erscheinungen hervorbringt. Der größere Abstand zum Augenschein entlarvte im konkreten Fall aufgepfropfte Unnatur in der Herkunft des Krankhaften. Was andere von einem
denken, ist damit nicht gesagt. Anderseits braucht man,
wenn so konstelliert, Bezugspersonen, Umgang, um die entsprechenden Wesenskräfte zur Wirkung zu bringen. Ein
Mensch mit Sonne am Deszendenten entwickelt seine
Kernanlage erst in der Auseinandersetzung mit anderen, bei
Mond lebt das Gemüt im Gefühlskontakt auf, bei Mars wird
man erst im Verhältnis zu einem Gegenüber aktiv usw., bis
zum imaginativen Du bei Neptun im 7. Felde. Wenn die
vulgäre Deutungsweise aus mehreren Planeten im 7. Felde
auf mehrere Ehen schließt, so liegt die häufige Bewahrheitung an der ungenialen Art, Beziehungen zu leben. Das Augenmerk richtet sich dann statt auf den Sinn der
Gemeinsamkeit auf Nebensächlichkeiten der Realperson,
die aus einem der Bezüge gewählt wurde; bei enttäuschten
Erwartungen treten andere Komponenten in 7 als abweichendes Wahlmotiv ein, die Problematik wird nicht gelöst,
sondern umgelagert. Aber auch den Gegenfall zu solcher
Mehrzahl von Gemeinschaftsbeziehungen, zum wechselnden Gesicht, findet man, daß nämlich auf einem monogam
erlebten Partner unterschiedliche Eigenschäften und Ansprüche projiziert werden, was ebenso zu Unausgefülltheiten führt. Richtig verstanden gibt die Besetzung des 7.
Feldes die Gaben des personalen Bezogenseins auf das
177
Fremde, Andersartige an. Die Bezugsperson erhält demgemäß etwas perspektivisch Bedingtes, Genialität aber hat den
aperspektivischen Blick für das Menschliche in seiner Bedingtheit.
Auch sich selber kann man in seiner Bedingtheit sehen,
doch zum Modellfall menschheitswichtiger Erlebnisse ausweiten. Dies ist die geniale Lösung bei Planeten im 1. Felde,
dem 7. gegenüber. Dann fallen Eigenperson und Bezugsperson zusammen. Beim Durchschnittsmenschen, und sei er
noch so hoch gestellt wie Kaiser Nero mit Sonne und Mars
am Aszendenten, wirken sich die betreffenden Wesenskräfte
egozentrisch aus, sie nehmen die Eigenperson als Maßstab
aller Dinge und das Herantretende in bezug auf sich. Bei
Marx mit Saturn im 1. Felde, dominant über das Zeichen
STEINBOCK, worin Jupiter im 11. Felde steht, lag die Genialisierung darin, daß er die persönliche Erfahrungssumme
zum Schlüssel des produktiven Erfassens seiner Epoche
machte. Erinnern wir uns der gleichen Saturnstellung in FISCHE bei Wallenstein, mit Jupiterkonjunktion und dominant über den Mond im 11. Felde, so können wir eine dämonische Genialität dieses Mannes in einem das Gemüt beunruhigenden, doch das Reifesymbol Jupiter nicht zum Zug
bringenden Gewissens-Widerstreit sehen.
Beachten wir die Tierkreiszeichen, so ist auffällig im
Vergleich der Meßbilder von Marx und Freud eine zentrale
STIER-Betonung. Diese Kernhaltung des empirischen Realisten bevorzugt eine Anschaulichkeit der zur festen
Grundlage der Lehre genommenen Tatsachen. Hierin liegt
für eine Anhängerschaft die Brauchbarkeit zur „Eintopfmethode“. Diese Kernhaltung sieht bei Marx, entsprechend
der Sonne im z. Felde, den Angelpunkt im Eigentum, rückt
bei Freud, entsprechend der Sonne in Nähe des Deszendenten, den Gesprächspartner in die Mitte der Untersuchung*.
*
Einen annähernden Gegenfall zu Freud hätten wir bei Hans Driesch mit
STIER-Aszendent sowie Mond in SKORPION am Deszendenten, flankiert von
Venus und Sonne unter, sowie Mars, Saturn und Merkur über dem Horizont im
selben Zeichen. Der hintergründige Charakter des SKORPION-Prinzips duldet keine
empirischen Vereinfachungen, die „Bezugsperson“ ist ein transzendentales Agens,
178
Die Quadranten unterstreichen diese Bezugsrichtung. Bei
Marx ist fast ausschließlich Einzelperson und Gesellschaft
betont (I. und IV. Qu.), bei Freud familiäre Bindung bzw.
Fortpflanzung und Gemeinschaft (II. und III. Qu.). Nur der
Planet Mars steht bei beiden abseits, analog dem hervorgehobenen kämpferischen Motiv und Angestrittenwerden der Äußerung (zumal in Opposition zu Jupiter, die wir
auch bei Nietzsche finden). Ferner steht bei jedem das umschwungbewirkende Symbol, Uranus in einem Eckfeld. Im
Falle Marxens kulminiert er und macht die Revolution zum
führenden Thema einer Gesellschaftslehre, im Falle Freuds
steht er mit Sonne in 7 und bringt umstürzende Entdeckungen betreffend die Person des Mitmenschen. Wissenschaftlichkeit ist mit STIER noch nicht gegeben, diese müssen wir
bei Marx der systematisierenden Tendenz des WASSERMANN-Aszendenten, bei Freud der forschenden Tendenz
des SKORPION-Aszendenten zuschreiben. Ist Wissenschaftlichkeit vorhanden, so äußert sich der fixe Charakter
von STIER häufig in einer dogmatisierenden Tendenz.
Redliche Tatsachenfeststellung, Verbuchen konkreter Inhalte analog der STIER-Betonung kann sich aber auf ganz
anderem Gebiet äußern, wie wir uns an der Konstellation
von Novalis klarmachen wollen. Bei ihm standen Mond,
Sonne und Uranus in diesem Zeichen im 10. Felde, das im
engeren Bezug den Beruf betrifft. Seinem Beruf als Bergbauingenieur wird er damit auf gediegene Weise genügt haben. In diesem Feld geht es nicht um eine Bezugsperson,
sondern den Bezug zu einer Sache. Doch auch aus Konfliktspannungen kann Genialisierung hervorgehen, als Berufung. Die Quadratur zwischen Uranus und dem im 2. Feld
auf Erwerb bezogenen Saturn bedeutet eine Spannung, ein
Nichtgenügen an Berufsroutine und ein Verlangen nach
von Driesch in der Entelechie gesucht. Auch im Gespräch ging es ihm mehr um die
seelische und geistige Potenz, als um das Erscheinungsbild; hingegen bei STIERBetonung um den Deszendenten braucht man gerade dieses in massiver Gegenwärtigkeit. Positionen im 7. Feld zeigen primär das eigene Verhalten zum Mitmenschen,
die Bevorzugungen und das Gemiedene an, über dieses Wahlmotiv dann sekundär
auch die Personen schicksalhafter Partnerschaft.
179
radikaler Änderung; ob sie aber zum „Sprung über den
Schatten“ führte, hängt an der genialen Abständigkeit, aus
dem Kosmogramm nicht ersichtlich. Dieses gestattet nur
„wenn-dann“-Aussagen. Die dichterische Berufung können
wir ihm also nicht entnehmen, wohl aber im Falle der Genialität die Abflußrichtung gemäß dem Trigon von SonneMond-Uranus zu Neptun im 3. Felde, dem der schreibenden
Hand, dessen Analogiezeichen ZWILLINGE durch Merkur
und Venus betont ist (Auch bei Marx finden wir Merkur in
diesem Zeichen, zusammen mit Venus in STIER im 3. Feld;
daß er in der Jugend Gedichte schrieb, wird meist übersehen, der in Uranus ausgedrückte „dimensionale Sprung“
weist ebenfalls auf Saturn, das Musische weicht den nüchternen Tatsachen). Neptun als visionäres Element, das einer
Grenzüberschreitung normaler Äußerungsformen, kann man
180
bei Novalis den unbewußten Untergrund des STIERPrinzips aufschließen sehen: hier ankert die vom Altersmäßigen her unerklärliche Weisheit des Verfassers der „Fragmente“.
Ausschlaggebend für die Reaktion auf die Umwelt ist
schließlich der Aszendent: bei Novalis mit LÖWE die impulsive Reaktion des Augenmenschen, bei Marx mit WASSERMANN die Wendung zum Abstrakten, zur begrifflichen Einteilung, bei Freud mit SKORPION die in Verdecktes enthüllend eindringende Reaktion des Zweiflers am
Augenschein. Die Kombination sei nur in Beziehung zum
Thema weitergeführt. Ich setze wenigstens die Hauptgedanken des historischen Materialismus und der Psychoanalyse als bekannt voraus, hier geht es uns um die charakterlichen Bedingungen ihrer Entstehung. Die dogmatisierende
Neigung von STIER, beim Romantiker Novalis die Rückwendung zur gottgeborgenen Welt des Mittelalters bestimmend, ernennt bei Marx und Freud einen empirischen Tatbestand zur Grundursache der untersuchten Erscheinungen.
Dieser als Prämisse eines daraus abgeleiteten Systems erlaubt ihren Anhängern die Eintopf-Schematisierung. Im
Weitergang offenbart SKORPION seine phasenbetonte
Natur, sowohl Freuds Anschauungen als auch seine Lehre
wandeln sich ab in der fortschreitenden Forschung, durch
Neuentdeckungen. Dagegen WASSERMANN (auch Aszendentenzeichen von Robespierre) bleibt bei der Ausführung einer einmal gefaßten Grundidee, angereichert
durch historisches Material, das als Beleg dient, läßt Änderungen nur in der Durchführung der Idee zu, wenn nicht eine Mutation der Idee selbst erfolgt.
Bei der Erläuterung des kreisläufigen Systems (Bd. II, S.
113-116) wurde die Grundstimmung des IV. Quadranten
organisch kontaktlos genannt. Dies heißt praktisch und nun
absehend von persönlichen Beispielen, daß das einmal gesprochene und mit Massenmedien verbreitete Wort sich
fortpflanzt unabhängig von Motiv, Gesinnung, Wollen und
Fühlen dessen, der es aussprach. Der wirkliche Verlauf
kann von tragischer Ironie sein. Ein motivischer Ansatz bei
181
Marx im Entwurf seiner Gesellschaftslehre war, was er die
Entfremdung des Industriearbeiters nannte, der Verlust des
vollen, natürlichen und uneingeschränkten Menschentums
im klassenbedingten Dasein. Durch wachgerufenes Bewußtsein dieser Lage, Klassenkampf und revolutionären Umbau
der Gesellschaft sollte die Menschlichkeit wieder hergestellt
werden. Wie sich inzwischen gezeigt hat, kann man mit Gebrauch marxistischer Formulierungen ein repressives
Staatsgebilde aufbauen, das diesem Motiv nicht weniger
feindlich gegenübersteht als kapitalistische Gesellschaften,
die im Fortgang industrieller Entwicklung die Entfremdung
weiter trieben. „Machtergreifung“ ist ein leeres Wort, wenn
die Träger der Macht durch die Angst, sie zu verlieren, korrumpiert werden. Für die Menschenbeobachtung Freuds
wiederum bestanden kulturelle Gefahren darin, daß natürliche Triebe durch die moralische Repression der Gesellschaft entstellt, unterdrückt und auf Irrwege geleitet wurden.
Anderseits beruht ihm zufolge Kultur überhaupt und unsere
abendländische insbesondere auf Einschränkungen der Ichtriebe, ein Wort wie „Realitätsanpassung“ setzt den Anpassungsprozeß des Ichs als Ziel. Freuds Leben ging auf im
gewissenhaften Bemühen, Einzelnen aus der Notlage zu helfen und die Mittel dazu in eine Lehre zu fassen. Soll aber
der psychisch Kranke zu seiner Heilung sich nicht wieder
anpassen müssen an das, was ihn krank machte, so muß eine
Erneuerung der Gesellschaft erzielt werden, deren Kulturforderungen den Einzelnen nicht mehr in Konflikt mit seiner
Natur bringen. Inzwischen hat die vulgäre Verbreitung psychoanalytischer Gedanken in puncto sozialer Erneuerung
ein remis erzielt. Den summativen Bedürfnissen des IV.
Quadranten, am Alten bis zur Einsicht des Besseren hängend, kommt alles entgegen, was in schlagwortartigen Vereinfachungen wie „Trieblockerung“, „Abreagieren“ usw.
einen vorhandenen Zustand stützt, indem es Verhaltensweisen ändert ohne an den sozialen Fundamenten zu rütteln.
So hat die ideologische Verpackung einer Lehre unvermeidliche Folgen, wenn sie Gemeingut wird. Angesichts der
Denkgewohnheiten, die auf ehemaligen Annahmen grün182
den, stünde auch zu befürchten, daß die revidierte Astrologie immer wieder den alten Sternglauben weckt, wenn wir
nicht in „Einflüssen“, „Aussagegrenzen“, „selbstbestimmendem Faktor“ klare Unterscheidungen durchführen. Beobachtung der Wirklichkeit ist nie durch Schlagworte zu ersetzen, braucht den unvoreingenommenen Beobachter.
Die Lebenslüge
Dies um die letzte Jahrhundertwende viel gebrauchte
Wort hört man heute nur noch selten. Der Inhalt hat aber
deswegen an Aktualität nichts eingebüßt. Die Lebenslüge ist
nur undurchsichtiger, glänzender, gleichsam metallener verchromt und blankpoliert - geworden. Sie schließt die
„bessere Lebenshaltung“ ein, die Perfektion des angeblich
allen erreichbaren Wohlstandes, die Überschwemmung mit
Waren, welche das Leben annehmlicher machen. Zur Schau
Gestelltes erzeugt wieder neue Bedürfnisse und so mündet
die Verbesserung in einem Teufelskreis. Ein Wohlbehagen
im Sog dieses Kreislaufes wird zur Lüge, solange man sich
darüber täuscht, daß bei anderen Menschen fundamentale
Notwendigkeiten im argen liegen. Worte wie „Entwicklungshilfe“, „Sozialfürsorge“ stellen sich einem zur rechten
Zeit ein, um im Überfluß weiter schwimmen zu können. Der
Besonnene, Zurückhaltende, sparsam in Rücksicht auf den
Sinn seiner persönlichen Existenz innerhalb der Gemeinschaft, kommt nur noch vereinzelt vor. So wenigstens erscheint es, denn die heimlichen Bedenken zählen nicht im
Getriebe, ebensowenig wie Proteste gegen einzelne, auffällige Korruptionen und Bereicherungs-Skandale. Elementare
Ausbrüche ob des herrschenden Tons, der Mehrheit aller
Parteien und Klassen unbequem, gehen leicht als asozial
abzuwerten.
Wir wollen keine Jeremiade anstimmen. Die Frage erhebt
sich jedoch: kann etwas Lügenhaftes den allgemeinen
Grundton bilden? Zur Zeit der Währungsreform nach dem
183
letzten Kriege zog mich in einem Irrenhaus eine Katatonikerin, die Tag für Tag ihre paar Habseligkeiten von einem
Koffer in den andern packte, leise am Ärmel in eine Ecke
und flüsterte mir erregt ihr Geheimnis zu: „Wissen Sie
nicht, daß die Erdachse jetzt umgelagert wird?“ Vom Leben
geschlagen, ausgestoßen, gewöhnlich stumm in sich versunken, hat sie deutlicher den Umbruch der Epoche verspürt
als mancher dem Erfolg Nachjagende. Sie wurde „verrückt“, weil sie den Dreh nicht mitmachte.
Selbstgerecht sich in die Brust werfende Pharisäer hat es
schon immer gegeben, sagt man. Astrologisch handelt es
sich um das Element, das vulgär das große Glück heißt, um
Jupiter. Man könnte Hemingway recht geben: „Glück, das
ist einfach eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis“, und Tolstoi sagt einmal, daß nicht glücklich sein
könne, wer irgendetwas - er spricht von Talenten - im Überfluß besäße. Symbol des Optimums und seiner Verfehlungen, wird das Jupiterhafte in seinen inferioren Entsprechungen zur Lebenslüge. Die Heuchelei ist offenkundig,
wenn banalen Verrichtungen und Genüssen eine höhere
Rechtfertigung angedichtet wird, profane Absichten sich mit
einem Heiligenschein tarnen. Aber ganz unbeabsichtigt
werden Sinnglaube und Wohlwollen oft nur vorgespiegelt.
Schon lauert die unheilige Lüge im gern geglaubten übertriebenen Wert eines beiläufigen Dings, dem für nötig gehaltenen Hochschrauben eines Ausdrucks, in großen Titeln
für sein Tun sowie im interessierten Gutsein, der „arrangierten“ Wärme. Jupiter in der Entgleisung schafft Fülle, die
einen Leerlauf zu verdecken hat. Die subjektiv beigelegte
Bedeutung stapelt stets höher, als der objektive Rang des
wertgeschätzten Dings liegt.
Jupiterhaftes begreifen wir in polarer Wechselbeziehung
zum Merkurischen, das als Generalpächter der Lüge gilt.
Doch lassen wir uns nicht von Denkgewohnheiten leiten.
Was ist Lüge überhaupt?
Kinder reagieren oft ihre Angst ab durch Erzählen lustiger oder schrecklicher Geschichten, die rasch zu diesem
184
Zweck erdacht werden. Die Beliebtheit von Anekdoten,
Witzen und anderseits von Gruselromanen, von Schlagern
und Krimis mag in dieselbe Kategorie gehören. Die improvisierte Selbsttäuschung dabei gestattet ebensowenig wie
die Ausrede aus Furcht vor Vergeltung eine Probe auf den
Wahrheitswillen; selbst Adam im Paradiese versteckte sich
vor dem göttlichen Anruf, als ihm das Herz pochte. Es gibt
phantastisch klingende Berichte und eine Phantasie frei erfundener Tatsachen, die anregsam auf Widerhall zielen und
nicht wie Zwecklügen einen Vorteil beabsichtigen. Zweck
ist außerdem nicht immer bewußt im Spiel. Denken wir an
die bekannte Erscheinung, daß aufdringliche Neugier, wenn
zurückgewiesen, sich in Verbreitung von Lügen über den
Angehimmelten entschädigt. Oft arbeitet kindliche Funktionslust der Sensation und Nervenspannung halber mit merkurischen Tricks. Überspielt auch das Wort den nackten
Tatbestand: „ist es nicht wahr, ist es doch gut erfunden!“
Ein wenig Schaumschlägerei süßt den tierischen Ernst.
Natürlich gibt es außer solchem „Flunkern“ und den entwicklungsbedingten „Kinderlügen“ die absichtliche Entstellung der Wahrheit, um Nutzen daraus zu ziehen. Bei
schwankendem Niveau greift manchmal eines in das andere
über. Zwischen merkurialer Gewinnsucht aber, teilheitlich
gerichtet, und jupiterhaften Entgleisungen besteht der Unterschied von frivol verfolgten Zwecken dort, verratenem
Gesamtsinn hier. Jupiter in archaischer Zeit vertrat eine magische Gläubigkeit vereint mit priesterlicher Segnung (beibehalten noch in der Wandlung bei der Messe), worin der
Mensch als Ganzer sich mit dem Sinn der Weihehandlung
eins fühlte. Auch bei geändertem Lebensinhalt besteht die
Forderung einheitlicher Ausrichtung auf einen höchsten
Wert, er gibt dem Handeln etwas Getragenes, der Kultur ein
Ritual. Verfall greift zum Ersatz, doch mit Pseudowerten
kann man auf die Sinnfrage keine Antwort geben. Der inferiore Jupiter durchdringt die Gesamthaltung, bläht sie auf :
Religion wird zur Bigotterie, Bildung zum beziehungslosen
185
Überbau, Wirtschaft zur Erfolgsjagd. Das Unechte ihrer
Leitsätze nennen wir Lebenslüge.
Wo bleibt der Weihnachtsfrieden, das Glück des Schenkens, wenn die Menschen durch Anpreisungen hindurchrennend ihre Einkäufe „tätigen?“ Verkäufer und Käufer
stöhnen heimlich: wäre es nur schon vorüber! Der hektische
Trubel ist aber sozialgeschichtlich bedingt. Man sucht das
Neueste. Dem Kinderherzen wird durch eine Puppe mit eingebautem Bandgerät weniger gedient als der Konsumgesellschaft. Käufer wie Verkäufer sind vom Verteilernetz dieser Gesellschaft eingefangen. Unbemerkt machen
sich hierbei kosmische Prinzipien geltend. Gelangt in der
Dreiheit von Produktion, Distribution, Konsumation oder
von Hervorbringung, Verteilung, Verbrauch das letzte Glied
zur Herrschaft, dann ist die Dreiheit von kardinal, fix und
labil gestört.* Wie im Theater: die Aufführung ist eine
Kunst für sich und freilich müssen Zuschauer angesprochen
werden. Doch ohne schöpferische Inhalte geht es nicht. Im
gesunden Zustand liegt die Führung nicht beim Zuschauer
sondern in der dramatischen Dichtung. Stirbt die Bühne,
weil bedeutsame Stücke fehlen oder ihre Erzeuger nicht an
die Rampe kommen, so kann dem weder durch Plakatierung, Platzanweisung und Preisgestaltung, noch durch spannende Regie und perfekte Schauspielkunst aufgeholfen
werden. Stehen nur Klassiker auf dem Programm, bedeutet
es, daß die dramatische Wahrheit der Gegenwart ferngehalten ist, holt man aber lediglich aus Aktualitätsgründen die
Straße auf die Bretter, bleibt deren Realität draußen.
Astrologisch gelten Jupiter und Merkur, dienende Organe
im Großen wie im Kleinen, als Dispositoren der labilen Zeichen, denen die Durchf ührung und der Umsatz im Vorhandenen obliegt. Mit einer durch die Verhältnisse eingewöhn*
Immer wieder muß erinnert werden, daß wir mit den Begriffen der Deutungselemente keine der umlaufenden Wertungen verbinden. So verstehn wir „phlegmatisch“ wertfrei im Sinn der alten Temperaemntenlehre, „labil“ im Wortsinne als
beweglich, veränderlich, nicht wie oft vulgär gebraucht als schwach und unsicher
oder hinfällig.
186
ten Parteinahme verliert die Relativität dieser Zeichen ihren
Fußpunkt. Die Bezüglichkeit zu einem Kulturkanon mit
zwingenden Aufgaben hinkt, wo die entfesselte Wirtschaft
das große Wort führt. Werte, um derentwillen der Mensch
auf der Erde ist, gehen unter im Marktgeschrei, Diskussionen über Zweckmäßigkeit wollen den Sinn ersetzen, „Bedürfnisbefriedigung“ wird zum Hauptwort der Zivilisation
erhoben. Dies Merkurische hat es mit dem Beweisbaren zu
tun, gegen welches jupiterhafter Glaube als „nur“ forderungshaft, als absurd absticht. Wird diesem durch jenes
Herrschaft die Echtheit genommen, dann schwelgt das Jupiterhafte im Verzehr von Überflüssigem.
Normalerweise soll die Gesellschaft dem Individuum fertige Maßstäbe für die richtige Einschaltung des Kardinalen
(führender Gehalte), des Fixen (ausharrender Festigkeit),
und des Labilen (beweglicher Durchführung) anbieten.
Wohl gleichen sich Einseitigkeiten mit den geschichtlichen
Schwenkungen aus. Doch die Individuen sind ungleich, jedes Individuum ist zu einem eigenen Sinn seines Daseins
berufen und kann daher nicht immer eine Änderung der Gesamthaltung abwarten. Seinen individualen Sinn erkennend
muß man manchmal gegen den Strom schwimmen. Es gilt
dann, wenigstens den eigenen Urteilsstandpunkt zu erkämpfen, sich damit durchzusetzen. Die äußere Durchsetzung erfordert Einbeziehung der Marskomponente, gerechtfertigt, wenn das Urteil innerlich einwandfrei errungen ist.
Im Jupiterhaften geht es um das Bestmögliche und dies
schließt das Entworfensein auf Umwelt, auch wenn sie
manchmal große Anstrengungen nicht zu verdienen scheint,
in sich. Den Erfolg im Gegebenen suchend, greift man nach
Ausgleichsvergütungen (Kompensationen) für Verlust und
Versagen. Das mit lebensfähigem Kompromiß sich ergebende „Einerseits-Anderseits“ begegnet jeder kühnen Forderung mit abschwächenden Argumenten, sieht Verbrechen
unter mildernden Umständen, verniedlicht überdimensionierte Leitbilder und dämpft, wo es geht, bevorzugt eine
Welt mit gepolsterten Wänden, um nicht anzuecken. Dies ist
„inferiorer Jupiter“, noch nicht lügenhaft. Die Lebenslüge
187
entsteht erst, wenn man seine Schwächen nicht wahrhaben
will, sich eine höhere Gesinnung vortäuscht und ein mahnendes „Soll“ für ein „Ist“ hält.
Bei positiven Jupiter-Entsprechungen geht es um Fruchtbarkeit und Gedeihen. Da das unproduktive Negativum
nicht in der Geburtskonstellation steht, nur Begünstigung
oder Erschwernis der optimalen Auswirkung, zögere ich,
Beispiele zu bringen. Wenn es doch geschieht, müssen sie
in der niveauabhängigen Flexibilität der Entsprechungen
verstanden werden. In diesen Entsprechungen liegt aber
auch eine Möglichkeit der Umwandlung, so daß gegebenenfalls mit Einsicht in den strukturellen Sachverhalt die Produktivität aufgeschlossen werden kann.
Im einfacheren Fall A (Abb. 23) lag bei Sonne in LÖWE
in Opposition zu Mond in WASSERMANN, mit Jupiter in
SKORPION im Quadrat zu beiden, unverkennbar eine
Selbststilisierung durch eine fixe Idee vor. Solange die betreffende Frau in Gegensatz zu ihrer vitalen Kernanlage sich
fanatisch auf ein ideologisches Postament stellte, war ihr
Schöpferisches, das sie in künstlerischer Richtung suchte,
gesperrt. Sie gebärdete sich als Märtyrerin ihrer Ideale,
suchte ihr Heil in asketischer Lebensweise, vorgeschrieben
von der Sekte, der sie aus Gemütsbedürfnissen anhing. Mit
weltanschaulich eingefärbter Spannung zwischen WASSERMANN und SKORPION reduzierte sie so die organische Gegenwärtigkeit von LÖWE; um so mehr suchte
dessen Macht- und Geltungstrieb nach Achtungserfolgen,
strebte sie doch nach dem Posten des Vorsitzenden ihrer
Anschauungsgemeinschaft.
Als ich die Betreffende einmal unangemeldet in ihrem
Heim aufsuchte, überraschte ich sie in einer wenig zu den
Ikonen an der Wand passenden Situation, nämlich vor einem übervoll mit Leckerbissen besetzten Tisch. Fassungslos
stotterte sie als Quasi-Entschuldigung hervor: „Wenn niemand zu mir gut ist, muß ich doch wenigstens selber gut zu
mir sein.“ Dies war aber der richtige Augenblick, ihr klar zu
machen, daß die ausgleichsuchende Kompensation ein Zeichen der Gesundung, ein Durchbruch der vor überwertigen
188
189
Ideen abgeschnürten Lebenstriebe sei. Seitdem ihre Kunst
nicht mehr auf Neinsagen zur sinnlichen Gegenwart beruht,
sondern in sublimierter Form Ja sagt zu den Erscheinungen,
bekamen die Bilder Blut und Farbe, mit der vitalen Selbstüberzeugung wuchs die Gestaltungskraft. Allerdings wird
bei fixen Zeichen der Umschwung nicht mit einem Schlag
erzielt, ihr Beharrungscharakter setzt als Bedingung, daß
alles „Wenn“ und „Aber“ der Probleme durchgestanden
wird.
Fall B (Abb. 24) liegt komplizierter, schon infolge der
Nervenanfälligkeit analog Merkur Quadrat Uranus. Es handelt sich um eine Lehrerin, unverheiratet. Merkur im ganz
von seinem Zeichen ZWILLINGE beherrschten 5. Felde
entspricht einer pädagogischen Anlage, raschem Urteil,
wendiger Anpassung. Trotzdem wird der Beruf als eine Last
empfunden. Außer dem Spannungsaspekt des Uranus hat
Merkur vor allem eine Opposition zu Jupiter in SCHÜTZE;
dies Gegensatzpaar von Zweckdienlichkeit und Sinnstreben,
Intelligenz im praktischen Tagesbedarf und großen Entwürfen mit sakralem Grundton, jeder Planet im eigenen Zeichen, schafft im Zusammenstoß von These und Antithese
ein Gefühl des Unausgefülltseins. Hinzu kamen die Nachwirkungen einer schwierigen Kindheit, gestörten Verhältnisses zu den Eltern, die ihrerseits nicht zusammenstimmten
(Sonne Quadrat Mond, Parteinahme eher für den Vater), der
Nichterfüllung weiblicher Erwartungen, wofür der Vulgärastrologe außer den Merkurdissonanzen die Konjunktion
der Venus mit dem „Übeltäter“ Pluto sowie diese beiden
unter Dominanz des „schlecht“ aspektierten Mondes haftbar
machen würde.
Beläßt man eine Opposition im Entweder-Oder, statt eine
Synthese ihres Gegensatzes herauszubilden, so tendiert sie
zur Aufspaltung der Persönlichkeit; besonders nahe liegt
eine solche Gefahr beim Beteiligtsein des Verstandessymbols Merkur und des Zeichens ZWILLINGE. Im vorliegenden Fall stehen die maskulinen Komponenten Sonne und
Mars in Trigon zu Saturn, wobei die Zeichen WASSERMANN und WAAGE eine Neigung, wenn nicht Be190
gabung zur theoretischen Intelligenz und Kombinatorik anzeigen. Aus der Überzüchtung dieser „harmonischen“
Komponenten schichtete sich über den eigentlich weichen,
anlehnungsbedürftigen, seelisch zartfühligen Wesensgrund
(Sonne-KREBS, der Dispositor Mond im 4. Felde) eine
weltgewandt scheinende, geistig aktive „Durchsetzungsperson“, an philosophischen und psychologischen Spitzenwerken orientiert. Die damit nur verdeckte innere Hilflosigkeit entschädigte sich in aggressiver Zurechtweisung
Nahestehender aus angelesenem Ideenvorrat, kalt, nüchtern,
der Situation unangemessen, hart, womit auch das Aszendentenzeichen STEINBOCK zur Geltung kam. Hinter großen Worten war oft die kleine Rationalität zu spüren, die
Selbstbestätigung: „habe ich's ihm nicht wieder mal fein
gegeben?“ Dies war natürlich unbefriedigend, Merkurisches
und Jupiterhaftes blieben getrennt bei hochgradiger Empfindlichkeit analog der KREBS-Sonne und, wenn man sie
selbst kritisch beurteilte, Rückzug in die Introversion, eine
Flucht in die Krankheit.
Es ist die typische Unruhe- und Kampfsituation eines
zwiespältigen Menschen - zur Zeit noch nicht entschieden -,
der nach einer sinngemäßen Erfüllung sucht. Während der
geistige Aneignungsprozeß der Lehrerin hastig fortschreitet,
in vielem sich versuchend unter der Überzeugung, zu etwas
Besserem geboren zu sein, halten die ausfälligen Impulse
an, abgelöst von zeitweisen Depressionen und Unsicherheiten. Dies ist bedingt im Wesenskern, dem Drehpunkt, der
nicht zum einigenden Zusammenschluß findet. Begreiflicherweise herrscht noch in vorgerückten Jahren die Vorstellung, daß ein Mann, der alles verstehend die
Erwartungen des Herzens befriedigt, die Lösung bringen
würde.
Eine grundsätzliche Änderung in der so skizzierten Seelenlage setzt voraus, daß die ideologische Panzerung durchbrochen wurde. Angesichts der Konjunktion von Venus und
Pluto am Deszendenten, auch der Orientierung der Sonne
darauf und Neptun im 7. Felde, sei erinnert an das, was unter „Bezugsperson“ über Sigmund Freud gesagt wurde (S.
191
176 f.), die Ersetzung des einmaligen Partners durch einen
Wechsel personaler Fälle, in Obhut genommen und zugleich
Gegenstand der Forschung. Psychotherapie wird angesteuert. Wie die Form beratender Einwirkung auf Mitmenschen auch heißen mag, ist dies als Ziel richtig. Nur
hätte KREBS bei einer als Kopie männlichen Intellekts
mißverstandenen Emanzipation keine Wirkkraft. Statt belehrenden Darüberstehenwollens muß das Ziel, um echt zu
sein, umgewandelt werden in ein Gefühlsmotiv, Dienst am
Mitmenschen. Der kardinale Charakter von KREBS liegt im
Psychagogischen, der mit Sonne nahe dem Deszendenten
sowie Neptun im Sonnenzeichen LÖWE gegebene Machtanspruch könnte sich bewähren im mütterlichen Verständnis
von Schutzbefohlenen. Wenn nicht, löst Neptun als „imaginative Bezugsperson“ eine inflatorische Phantasie aus, welche die als Partner in Betracht Kommenden auf das
Babyhafte stilisiert, um Gouvernante zu spielen. Ein so orientierter Wesenskern wird erst durch helfenden Kontakt
aufgeschlossen. Selbstsicherheit verlangt redliche Auseinandersetzung mit dem „Du“, die synthetische Saturnstellung
weist auf eine Spätlösung.
Mitunter kann also, was sich wie eine Lebenslüge anläßt
und verfestigt zu einer solchen würde, ein zur Lösung führender Behelf sein.
Zu den inferioren Jupiter-Entsprechungen zählt die
Wertüberschwemmung, der inflatorische Gebrauch von gut
und böse, schön und häßlich. Auch ganz sachliche Angelegenheiten bringt man unter moralische oder ästhetische Kategorien, die Natur bekommt im Umkreis dieser Personen
gleichsam andere Gesetze. Hier kann eine unbewältigte Dissonanz zu Saturn das Schuldmotiv einflechten; nimmt dieses
an der Lebenslüge teil, dann wird die Umgebung gewöhnlich mit Sündenböcken besetzt. Besonders in Wasserzeichen
blüht diese Übertragungsmanie; unter offenbaren Fehlleistungen bezichtigt sie den Nächststehenden, oder wenn einem anderen etwas Unangenehmes passiert, fühlt man sich
selber irgendwie mitschuldig. Verbindet sich dies gar mit
inferioren Äußerungen von Neptun (Nebenregent in FI192
SCHE), so können sich alle Sachverhalte durch Bewertungen und Illusionen rauschhaft verschleiern. Nicht ohne Grund spricht Jaspers schon von „schlemmen“, wenn der
Mensch die ihm gesetzten Grenzen überschreitet. Die Griechen nannten es Hybris, Frevel. Unter solchen Voraussetzungen kann Neptun, das grenzenüberschreitende Symbol, die realen Gewichte aufheben oder, gestützt auf transzendentale Ahnungen, ins Gegenteil umkehren. Doch Fälschung, Schwindel, Korruption, wenngleich unter analytischen Aspekten häufig angetroffen, gehören nicht zur elementaren Bedeutung von Neptun. Diese ist Transparenz,
Durchscheinendwerden der Dinge für eine außerrationale
Sicht. Infolge mangelnder Entwickeltheit wird dies in unterbelichteten Fällen nur unvollkommen ausgeschöpft, Neptun
bekommt dann auflösende Wirkungen und selbst Sublimierungen verhalten sich zu Venus, der unteren Oktave, wie
Kitsch zu Kunst.
Ebensowenig wie dies in Neptun, darf man Sinn oder Unsinn der Lebensabsicht in Jupiter und seinen Aspekten begründet glauben. Man findet seine Leitlinie oder verfehlt
sie. Ein analytischer Merkuraspekt zu Jupiter, Symbol der
Gesamtregulation und optimalen Erfüllung, bezeichnet häufig einen ständig auf anderleuts Sinnlosigkeiten und Unvollkommenheiten herumhackenden Intellekt. Ein damit
Beanlagter kann aber auch im Bedingten sich nützlich machen und mit vorsichtigen Schritten expandieren lernen, indem der Verstand als innerer Gegenspieler ein geltungshungriges Streben zügelt. Niveau ist hier eine Frage des
Selbstverständnisses, das sich in Letztzielen, im Erwerben
der Mittel dazu und in der Durchführung offenbart, um jupiterhafte Vollendung unter Kontrolle der Bewußtheit zu
erreichen. (Vgl. Bd. III, S. 304.)
193
Persönlichkeitsschwund
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Kategorie der
„displaced persons“ geschaffen. Es waren Flüchtlinge, Meuterer an irgend einer Front, Ausgebombte, Entlassene aus
Konzentrationslägern und allgemein diejenigen, die man in
den neu entstandenen staatlichen Grenzen und politischen
Ordnungen nicht unterzubringen wußte. Die behelfsmäßigen
Unterkünfte und Beschäftigungen wurden zur Qual für die
nun Heimatlosen, herausgerissen aus dem bisherigen Sinnzusammenhang. Doch von Hause aus ohne Heimat tieferer
Bedeutung ist, wer überhaupt in keinen Sinnzusammenhang
hineinfindet, und wer einen solchen aufgeben mußte, dem
mangelt die innere Heimat. Wenn Goethes Wort vom
„höchsten Glück der Erdenkinder“, der Persönlichkeit, einen
Sinn hat, dann in diesem Sinnzusammenhang.
Man kann also von außen und von innen fehl am Platze
sein, kann auch einen im Dasein schon innegehabten Wurzelpunkt verlieren. Persönlichkeit darf angesehen werden
als dasjenige, was unserem Tun und Treiben einen Sinnzusammenhang gibt, an welchem Ort wir uns auch befinden
mögen.
Astrologisch kommt hierbei das Verhältnis der beiden
kreisläufigen Systeme, Tierkreis und Häuser, in Betracht.
Die Beachtung von Tierkreisqualitäten zieht uns stärker in
binnenseelische, die Beachtung von Häuserbedeutungen
stärker in gegenständliche Probleme hinein. Demnach haben die Planeten für die Deutung zweierlei Grundton, da
sich bei jeder entsprechenden Wesenskraft mit Ausdruck
und Richtung die beiden kreisläufigen Systeme überschneiden. Gegenstände kann man verlieren, innere Haltungen, die
auf Qualitäten gründen, nicht, und der Tierkreis oder Zodiak
ist, wie schon früher gesagt (vgl. Bd. II, S. 131), dem qualitativen Wesen und seinen Kräften einen Schritt näher.
Versuchen wir uns dies konkret vorzustellen. Venus im
praktischen Beispiel, bezogen auf das Feld in dem sie steht,
bedeutet Lust oder Unlust zu bestimmten Dingen, Personen
und Lebensgebieten. Doch bezogen auf das Zeichen, in dem
194
sie steht, bedeutet sie Freude als Frucht eines überdinglichen Harmoniegefühls. Wir sagen Gefühl in bezug auf
die Stellung der Venus im Zodiak, wo es um eine harmonische Grundhaltung geht, dagegen in den Feldern symbolisiert sie ausschließlich Empfindung des anziehenden
oder abstoßenden Reizes. Für beides bildet sinnlicher Kontakt das Bindeglied. Gefühlsmäßig sind natürlich Gleichmaß
und Freude gefärbt durch das Zeichen. Harmonie hat demgemäß mehrerlei Entsprechungen. Mit SKORPION etwa
liebt man graue Stimmungen, gedämpftes oder kaltes Licht,
auch Zwielichtigkeit, Zerrissenheitseffekte, kann keine
schummerige und spannungslose Harmonie vertragen, für
STEINBOCK gilt das Sprichwort „sauer macht lustig“. Diese beiden Zeichen schließen den schwarzen Humor ein, ungleich dem harmlos Heiteren oder Traurigen, unzersetzt
Aufbauenden bei den Gegenzeichen STIER und KREBS.
Aber diese SKORPION-Freude an sowohl dezenten als
auch rauhen Tönen und starken Spannungen ist etwas anderes als die am Gegenstand des venusbesetzten Feldes empfundene, wenn auch „skorpionöse“, daher manchmal etwas
makabre Lust. Im Erleben färbt nämlich die hintergründige
Natur des SKORPION-Prinzips auf den Gegenstand ab, läßt
ihn sozusagen von der auszufüllenden Lücke und vom Hintergrund her empfinden, infolge der zweiflerischen Einstellung oft im Negativum. Das Hineinlegen einer solchen
Grundstimmung in die gleichwohl isoliert gesehene Sache
gewährt selten restlose Befriedigung wie die naiv anschauliche Lust am Besitz eines kompakten Dings bei STIER. Bei
diesem endet aber auch die Harmonie mit dem Verlust eines
solchen Dings, bei SKORPION hingegen löst sein Verschwinden, die an ihm erlebte Vergängnis, mitunter umso
intensivere innere Zugehörigkeit aus.
Persönliches Vollständigsein vereinigt die in den beiden
Kreissystemen vorgezeichneten äußeren und inneren Beziehungen. Mit jeder Art Venusstellung lebt man sich (dem
Feld nach) an Personen und Dingen dar, interessiert eingehend auf sie und liebend ihnen verbunden, manchmal instinktiv an sie gekettet. Doch im Wesen (angenähert dem
195
Tierkreiszeichen nach) ist man nicht absolut verhaftet; wenn
auch im Gefühl empirisch bedingt, sind die erlebten Qualitäten ablösbar. Auch der eigene Tod, bzw. die Beschäftigung mit Todesgedanken, gehören besonders bei
SKORPION höheren Niveaus hinzu als Ablassen von den
Existenzbedingungen und Eintreten in sein Wesentliches.
Was dem sinnenhaft gegenständlich Fixierten eine Quelle
der Angst und Sorge bedeutet, kann in qualitativer Sicht als
Voraussetzung einer übergreifenden, umspannenderen
Harmonie erlebt werden. Darin sind die Zeichen ungleich.
SKORPION bezieht solche Zusammenhänge leichter in das
Erleben ein als STIER. Freilich hängt dies von der Entwicklungshöhe ab. Auf minderem Niveau siegt auch bei
SKORPION die Gegenständlichkeit und dies äußert sich
dann in Unlust, Negativismus, Zersetzung oder krampfhaftem Festhalten. Wer aber im Durchdenken binnenseelischer
Problematik geistig unabhängig wurde, verspürt schon mitten im Leben die hintergründige Bedeutung des Herantretenden, richtet seine Selbstverwirklichung auf das
Unvergängliche aus.
An diesen beiden fixen Zeichen wird im Extrem besonders deutlich, wie notwendig es für den Zusammenhalt ist,
daß wir Ausdruck und -Richtung der Kräfte vereinigen, daß
unser Leben gemäß der Anlagen-Doppelung von Tierkreis
und Feldersystem verläuft. Bei Venus als Harmoniesymbol
wird dies entscheidend. Wer sein Erleben auf körperhafte
Empfindungen beschränkt, also vorwiegend „Häuserbedeutungen“ lebt, befindet sich auf dem Wege zur Depersonalisation (Auflösung des Persönlichkeitszusammenhalts,
nicht die Entpersönlichung der Mystiker). Man schwimmt
dann auf der Oberfläche des für die eigene Person Bedeutsamen, verliert die tieferen und wesenhaften Bezüge, Sinri
und innere Heimat, wird von überfremdenden Klischees gestempelt. So etwas vollzieht sich langsam und oft unmerklich.
Doch abgesehen von wohl verspürten Warnsignalen: wer
kann denn heute persönlich leben? Ein naheliegender Einwand. Die überfremdende Gesellschaft veräußerlicht, ver196
sachlicht uns zwangsweise, sagt man, vernachlässigt die Innenwelt. Jedenfalls: wer sein Persönliches im Äußeren
sucht, gibt den Verhältnissen die Vorhand. Auch wenn wir
die Ausdrucksfärbung der Zeichen in die Gegenstände hineintragen, kann ihre eigentliche Bedeutung dennoch leerlaufen. Wir sind dann „frustriert“ und fühlen uns zurückgesetzt, zukurzgekommen, enttäuscht, unzufrieden, auch
zweckvollste Verrichtungen bleiben ohne Sinn. Wie wir im
Bezug zum Außengesicht der Gegenwart sagten: auch im
perfekten Wohlstand kommt das Bewußtsein persönlichen
Lebens abhanden. Schließlich werden wir „displaced persons“ in der normalen Umwelt.
Eine Psychologie, die von der Lust als letzter Triebfeder
des Handelns ausgeht, hilft uns dabei wenig. Wir gelangen
durch sie bestenfalls zur „Realitätsanpassung“, erreichen
zweckdienliche Umlagerungen der Gegenstandsinteressen,
seelisches „Umfunktionieren“. Wollten wir dagegen ein
ausschließliches Innenleben führen, so wäre dies der umgekehrte Leerlauf. Wir stünden außerhalb der Gesellschaft,
in der wir notgedrungen doch leben müssen, und wären den
Dingen, die unseren Anlagen genehm sind, nicht im vollen
Maß verpflichtet. Persönlich unumschränkte Macht über
Dinge, welche die Gesellschaft hervorbringt, führt zu ihrem
Mißbrauch, der schicksalhaft auf uns zurückfällt. Soldren
individualistischen Konstruktionen gegenüber zeigt die
astrologische Menschenkunde das individuelle Gefüge auf
Umwelt hin entworfen. In dieser Hinsicht ist die Quadrantenordnung wichtig (vgl. Bd. II, S. 103 u. f., sowie Bd.
III, S. 374 u. f.). Auch wenn die vorgefundene Gesellschaft
nicht den persönlichen Wünschen entgegenkommt, sondern
unser Ureigenes verneint, unterdrückt, setzt doch dies
strukturelle Verankertsein darin uns bestimmte Aufgaben,
die bei aller Sachlichkeit persönliche sind. Freilich wäre zu
fordern, eine Gesellschaftsordnung solle so beschaffen sein,
daß sie dem Einzelnen ohne lange zu suchen Stellenwert
und Aufgabe gibt: Gesellschaft im kulturellen Gleichgewicht. Wir müssen aber vom Vorhandenen ausgehen und
keinesfalls, gerade in Umbruchszeiten nicht, können wir aus
197
sozial gebräuchlichen Begriffen unseren persönlichen Sinn
beziehen. Er kann in freiwilliger Bejahung dieser Begriffe,
aber auch im Umschaffen der Einrichtungen und Lebensformen liegen. Vollständiges Leben des Anlagengefüges
schließt immer auch eigene Aufgaben ein.
Von hier sei eine aktuelle Erscheinung angeleuchtet, die
Flucht in das Rauschgift. Befragen wir die Befallenen, meist
Jugendliche, nach den Gründen, so hören wir: „Nur aus
Langeweile“, „Neugier“, „Um mich anderen anzupassen
und das Glücksgefühl zu erleben, von dem so viele reden“,
„Sehnsucht nach einer Welt, in der alles stimmt“, „Um eine
Rolle vor meinen Kameraden zu spielen, mir ein Image zu
geben“. Viele sind erst durch alarmierende Artikel der Zeitungen darauf aufmerksam geworden. Immer ist das eigentliche Motiv ein Herauswollen aus sozialen Bedingungen,
während das „wohin“ imaginär bleibt. Weil das Optimum in
der Gegenstandswelt gesucht wird, greift man zum stofflichen Mittel, das eine bessere Welt herzaubern soll. Über die
Neben- und Nachwirkungen des Mittels täuscht man sich
gern. „Es schadet ja nicht“ (Haschisch im Propagandamund,
entgegen neueren Untersuchungen), „Ich bin gar nicht abhängig von der Droge, kann immer noch aufhören, wenn ich
will“, oder im Händlerslogan: „Gewöhnliche Zigaretten und
Alkohol sind viel schlimmer.“
Unfähigkeit zur Beurteilung der eigenen Situation gehört
aber schon zu den medizinisch markanten Folgewirkungen:
Gedächtnisstörung, Kritiklosigkeit, Mangel an geistiger
Wendigkeit, Leistungsabfall, infantiles Benehmen, fehlender Aufstiegs- und Verbesserungsdrang. Da dies Erscheinungen sind, die allgemeine Merkmale des Persönlichkeitsschwunds nur verstärkt zeigen, darf angenommen werden,
daß eine Anfälligkeit oft schon vor dem Versuch mit dem
vielgepriesenen „Mittel zur Bewußtseinserweiterung“ (nebenbei: die Sinneswelt wird erweitert, das Bewußtsein bestenfalls, wenn es Schritt hält) bestand. Als Anlage nennen
Mißgünstige häufig Faulheit und Desinteressierung, verkennen aber, wieweit eine freudlose, nicht interessierende Um198
welt und Tätigkeit mitwirkt, ferner, was Ursache und Wirkung ist, etwa Schädigung durch wiederholten Drogengebrauch. Die kennzeichnende Abwendung von einer als
sinnlos empfundenen Gegenwart finden wir anderseits auch
ohne Droge bei einem Teil der Hippies, die bewußt aus der
Verdienstgesellschaft aussteigen und denen apostolische
Bedürfnislosigkeit eine Überzeugungssache ist. Doch Sammelbezeichnungen sagen da nichts. Stets liegt ein Konflikt
zwischen Individuum und Gesellschaft vor. Für das persönliche Intaktbleiben dreht es sich besonders in der Marskomponente darum, ob man durch Lebensweise oder Rauschgift
sozialem Druck nur ausweicht, statt um eine Umgestaltung
zu kämpfen.
Nutznießer bestehender Verhältnisse, „Etablierte“, könnten geradezu dankbar sein, wenn revolutionäre Gesinnung
sich aufweicht durch ablenkende Lustreize. Indem sie kriegerischen Impulsen ein Capua bereitet, führt Venus mit inferioren Entsprechungen zum Verfall der Werte und hilft
beim Verlust des persönlichen Zusammenhalts. Nicht ohne
Grund ist der Rauschgiftgenuß eine Massenerscheinung
heutiger Jugend. Wer ins gesellschaftliche Leben einsteigen
will, braucht Anregung und Befriedigung auf einem ihm
gemäßen Platz, wenn er sie nicht findet und ehrlich ist,
steigt er aus. Wie man das Vorhandene ändern könnte ist
unklar nach einer Desillusionierung durch frühere geschichtliche Versuche. Der verspürten Dringlichkeit sozialer
Umgestaltung begegnen die meisten mit verschwommenen
Zielen. Wer zur „Lebenslüge“ hält, ist an alledem mitschuldig und wenig berechtigt zum unduldsamen, ablehnenden
Verhalten der Mehrheit gegen den saloppen Stil in Benehmen und Kleidung der Jugend, zumal gegen die an die
„harten“ Drogen geratenen Außenseiter. Diese kamen meist
dazu, weil sie sich in der Wohlstandsgesellschaft nicht angenommen fühlten, doch Kameradschaft in einer Gruppe
Gleichgesinnter fanden, zu deren Ritual der „Schuß“ gehört.
Der „Stoff“ ist aber teuer und schwer zu beschaffen; mancher entlaufene Lehrling, dem die Arbeit keinen Spaß
machte, verbraucht nun die gesamte ihm verfügbare Energie
199
für Gelegenheiten, zu besorgen, wovon er abhängig wurde.
Gewiß gibt es Auflehnung dagegen, Entziehungskuren
(meist in trostlos empfundenen Anstalten), aber die Wiedereingliederung in die Gesellschaft muß vom Heimkehrer
selbst geleistet werden gegen eine Mauer von Mißtrauen
und sachlichen Erschwernissen. Nur völlig neue Methoden,
persönlicher Kontakt, Verständnis mit Ansprechen der Freiwilligkeit, Milieuwechsel und vor allem Ermunterung des
Glaubens an sich als Einzelperson können ändern, daß die
Rate des Rückfälligwerdens fast 100 Prozent erreicht.
Solche Probleme, abgesehen von sozialen Mißständen,
entstehen aus der Fortsetzung veräußerlichter Interessen
analog einer Vorherrschaft von „Häuserfragen“. Damit beginnt die Auflösung des Zusammenhalts. Es entscheidet sich
in jedem von uns, ob wir den Sinn des persönlichen Daseins
verwechseln mit erstrebten Dingen, die vielleicht zweckmäßig sind, doch auf Dauer nie befriedigen können. Das Wesen
des Menschen verkauft sich damit an die Existenz. Wie das
Beispiel des Drogengebrauchs zeigt, kann eine stofflich geweckte euphorische Stimmung in Orgasmus umschlagen,
doch das Abklingen erzeugt wieder den angstähnlichen Zustand der Leere und Bestimmungslosigkeit. Mit Beschränkung auf die Außenseite reduzieren sich die Wesenskräfte
zu Faktoren, die uns an die Verkörperung und ihre Vergänglichkeit binden. In dieser leistungsfunktionellen Betrachtung werden wir zur Nummer Soundso zwangsläufiger
Sozietät. Erst die wertmäßige Betrachtung, wofür die zodiakalen Planetenstellungen die Ansätze bieten, schließt sich
zusammen zum Bewußtsein des Eigenwerts, den wir als
Zelle eines umfassenderen Organismus haben. Im kollektiven Austausch gibt es nicht nur Ansteckung durch Krankheitsträger, sondern auch eine umsichgreifende gesunde
Ausstrahlung der wertmäßig in sich Gefestigten, allerdings
weniger auffällig. Derartige „Mana-Persönlichkeiten“ setzen ihre Kräfte zur wesenhaften Wertverwirklichung ein.
200
Wahrnehmung und Gefühlsreaktion
Begriffsbildung und Logik
Daseinsgenuß und Gewohnheiten
Leidenschaften und Triebe
Wünsche und Streben
Schicksalserfahrung und Grundsätze
Wertverwirklichung aus dem Wesenskern
(Mondsymbol)
(Merkursymbol)
(Venussymbol)
(Marssymbol)
(Jupitersymbol)
(Saturnsymbol)
(Sonnensymbol)
Jeder ist als Kompositum dieser Kräfte geboren und dazu
befähigt, aus ihnen seine Persönlichkeit zu formen. Die Wesenskräfte sind sowohl selbständig, jede für sich genommen,
als auch in gegenseitiger Abhängigkeit befindlich. Für ihren
vom Kern aus geschaffenen Wertzusammenhang, die reife
Menschlichkeit, gibt es im mitmenschlichen Umkreis keine
Wellenlänge, auf die man nicht abstimmbar wäre. Setzt aber
dieser Wille zum Zusammenhalt aus, was mit der Fixierung
des Bewußtseins an äußere Dinge, die Schwierigkeit sie zu
erwerben, dem Blick auf ihre Mängel beginnt, so leitet dies
einen Zersetzungsvorgang ein. Die gleichfalls in jedem liegende Anfälligkeit wird verfänglich, wenn zur normalen
Belastung ein außergewöhnlicher Druck hinzukommt.
Meint der Ausdruck „displaced persons“ Menschen, die fehl
am Platze sind, so ist zu achten auf die Scheinpersönlichkeit, getragen von Verhältnissen, welche der wahren Natur
unangemessen sind und die mit Änderung dieser Verhältnisse zusammenbricht.
Eine andere Version des Verlusts persönlicher Einheit ist
die „Verkehrtnagelung“, sind Aufspaltungen infolge Verdammung dessen, was man früher angebetet hat. Das eine
der entstehenden Extreme stellt der Nihilist dar, der alles,
was er heimlich noch bewundert, kraß verneint (etwa in
Abwertung von Sentimentalität, schon damit nicht jemand
glauben oder sagen könne, er sei sentimental). Dieser hat
die Enttäuschung ob seiner Ideale vielleicht vergessen und
sich umfunktioniert auf ein intellektuelles Freisein davon,
seine aufklärerische Tendenz verbreitet radikalisierte Gescheitheit. Das andere Extrem ist der gemütskranke Zyniker,
201
sozusagen die Ruine eines ehemaligen Leitbildes. Bei ihm
schimmern gewisse edle Formen des einstigen Entwurfs
durch, infolge Zerissenheit durch Enttäuschungen reißt er
seinerseits herunter, was ihm wohlgestaltet entgegentritt
(kein anderer soll auf seine Art vollkommen sein). Dies beides sind aber nicht etwa aufgelöste oder zusammenhanglos
werdende, sondern vom ehemaligen Kurs zurückgestoßene
und nun einseitig verkrampfte Persönlichkeiten, Karikaturen
von solchen.
Um den Ausweg aus einem anhebenden Persönlichkeitszerfall zu finden, muß man sich in die Mitte seiner Welt
versetzen. Dies ist weder die Mitte einer vom Stande der
Forschung abhängigen Welt, noch heißt es egozentrisch die
Umgebung für sich beanspruchen, solche Befriedigung subjektiver Absichten würde wieder zu äußeren Dingen führen.
Es geht um Selbstverwirklichung im bestmöglichen Auswerten seiner Anlagen, mit Bescheidung auf sie das Eigene
ausschöpfend. Nur wer sein eigenes Wesen erfüllt, kann anderen etwas von Wert geben. Objektive Leistung ist also
darin enthalten, doch existentieller Erfolg oder Mißerfolg
gibt im Wesenhaften nicht den Ausschlag. Hier kommen
wir zur Aufgabe des Menschenberaters. Sie besteht hauptsächlich darin, einem anderen mit angekränkelter Überzeugung von seiner Person den ihm innewohnenden Sinn
aufzuschließen, indem er ihn über genaue Analyse hinweg
zur Psychosynthese führt. Diesen Sinn zeigt das Kosmogramm, das die einzelnen Wesenszüge zusammengefaßt
enthält. Auch jede „tote“ Sache, herausgelöst aus ihrem Fürsichsein, erfüllt eine lebendige Funktion wie im Gefüge
vorgezeichnet vermittels seelischer und geistiger Anteilnahme, die geweckt werden soll. Der Wert der Dinge ist
freilich relativ. Was dem einen der globus intellectualis, bedeutet dem anderen ein Fußball und dem dritten eine schillernde Seifenblase. Doch eben aus dem persönlichen Bezug
zu den Dingen geht ihr lebendiger Wert und dessen Erhöhung hervor, im „Entworfensein auf Umwelt“ ist es zugleich ein sozialer Wert. Er wird vielmehr ein solcher durch
vollständige Selbstverwirklichung. Die Bedeutung des Ein202
zelnen im Ganzen, dies ist der individuale Sinn, den Sinnzusammenhang gibt die pulsierende, geistig durchgeprägte
Persönlichkeit.
Und die Unkosten? Die Enttäuschungen? Die einzustekkenden Ungerechtigkeiten? Erinnern wir uns an den Satz
von Nietzsche: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast
jedes Wie“.
Ist bei den Süchtigen der Rückgang des Persönlichkeitszusammenhangs umweltsbedingt im Absprung, der eine
nicht annehmbare Wirklichkeit durch künstliche Paradiese
zu ersetzen sucht, so führt die Flucht vor sich und seinem
„Warum“, der verantwortlichen Aufgabe, zur Abhängigkeit
von äußeren Dingen. Im veränderten Verhältnis zu den Dingen, zur Umwelt liegt die Möglichkeit, herauszukommen.
Nihilistische Einstellung endet stets bei der resignierten
Klage „alles ist wertlos“ und tatsächlich wird eine Unzahl
entwerteter und entwertender Gegenwartserscheinungen
nachzuweisen sein, wo die Anerkennung eines obersten
Wertes fehlt. Die Gegenrechnung liegt in Minderwertigkeitsgefühlen und es müßte heißen: „mir in meiner
Wertlosigkeit erscheint nichts wert, anzustreben“. Dies Urteil trifft in den Kern, von dem eine Wandlung ausgehen
kann. Aber rügen wir bloß Verantwortungslosigkeit, mangelndes Pflichtgefühl, Scheu vor Anstrengung und andere
Fehler, so werden wir bald von der Unwirksamkeit eines
moralischen Appells überzeugt. Statt dessen wäre der gesunde Egoismus anzusprechen, nämlich dasjenige wachzurufen, was jeder sich selbst schuldig zu sein glaubt.
Etwas wie der mit Drogen ausgelöste imaginäre Wert, jede Rauschphantasie und illusionistische Vorspiegelung,
überstuft den Genuß, das Venushafte, als inferiore Entsprechung des Neptunischen. Auch hier ist es unzulänglich, mit
Hinweis auf die Schädlichkeit des Mittels eine Änderung
bewirken zu wollen. Aufklärung, Warnung und Strafe, Unterdrückung beseitigen bestenfalls den „Aufhänger“, es geht
jedoch um den Grund des Gebrauchs. Illusionsbedürftigkeit
wird auch andere Mittel finden, derer sie sich bedient. Wenn
203
wir als Gegengift zur leeren Einbildung die Überkompensation gebrauchen, so treiben wir den Teufel mit Beelzebub
aus. Eine an überschätzten äußeren Gegenständen, Namen,
Titeln, Leistungszielen haftende Geltungssucht bleibt im
gleichen Teufelskreis, überspannt nur das darin mögliche
Optimum: eine inferiore Jupiter-Entsprechung. Es besagt
etwas, wenn derselbe soziale Zustand sowohl den Rauschgiftsüchtigen als auch den mit Herzinfarkt endenden Manager hervorbringt; dieser nimmt auf sich und übersteigert
krampfhaft die Anforderungen, denen sich jener entzieht,
Hybris und Chaos bilden zwei Extreme des Persönlichkeitsschwunds.
In der Elementarbedeutung ist Neptun die höhere Oktave
von Venus insofern, als diese die gesunde Harmonie im geschlossenen organischen Ganzen, Neptun das universelle
Gleichgewicht symbolisiert. Die neptunische „Harmonie der
Sphären“ zieht uns aus der raumzeitlichen Geschlossenheit
heraus ins geöffnete Universum, ihre höchste Entsprechung
ist das visionäre Erfassen von Zusammenhängen und dem
echten Mystiker gilt die Entpersönlichung als legales Bestandglied seines Weges zur „Unio Mystica“. Die sinnliche
Liebe des Venushaften überstuft sich in der transzendentalen All-Liebe des Neptunischen. Inferior, den Zusammenhang störend und zerlösend ist es nur, die Welt dinglicher
Kompaktheit statt durch Verinnerlichung mit äußeren Mitteln aufheben und so die Transparenz des Gegenständlichen
erreichen zu wollen.
Unverkennbar liegt bei vielen Rauschgiftsüchtigen ein
„Hineinschlittern durch Verhältnisse und Umgang“ vor. Bei
einigen wirkt aber ein untergründiger Trieb Zur Selbstzerstörung mit, die Pervertierung des Aufbauwillens. Das
gleichzeitige Anwachsen der Selbstmordziffern, der Kriminalität und Korruption zeigt einen Zusammenhang in der
Kollektivstimmung, als solche zu Neptun, der transsaturnischen Empfindungskomponente, gehörig. Im Einzelfalle
genügt zum Selbstzerstörungstrieb keine aus Neptun, auch
nicht in analytischen Aspekten, zu schließende persönliche
204
Anfälligkeit. Vielmehr sind Marsaspekte, das 8. Feld, starke
Betonung des Zeichens SKORPION und andere inferior
gelebte „destruktive“ Komponenten zu untersuchen in Verbindung mit Niveau, Gemüts- und Umweltslage. Hiermit
und aus der Anamnese ist die Frage zu beantworten, wieweit ein bloßes Ausweichen, eine Flucht, eine Infiltrierung
zersetzender Umweltseinflüsse oder aber eine gegen sich
selbst gekehrte Aggression die Führung hat. Mehr affektiv
kann auch SCHÜTZE mit beteiligt sein als jäher Fall aus
idealer Höhe in Verhältnisse, die als nicht lebenswürdig
empfunden werden. Derartiges erschließt sich nur aus dem
Gesamtbild der Konstellation, wie überhaupt stets erinnert
sei, daß jede Einzelaussage eine Zusammenschau voraussetzt. Nie darf man eine Erscheinung aus einem einzelnen
Anzeichen erklärt glauben. In unserem Buche können natürlich jeweils nur überwiegend in Betracht kommende
Komponenten genannt werden.
Krise, Verwirrung, Umbau
Mit Krise bezeichnen wir einen Zustand, bei dem man in
gewohnter Weise nicht mehr leben kann und auf neue Art
noch nicht zu leben weiß. Alles ist ungewiß, nur eines sicher, daß es nicht mehr so weitergeht. Insofern stellt die
Krise einen Übergang dar und lebt von der Möglichkeit, ein
Wendepunkt, eine Umschaltung, eine Drehscheibe zu sein.
Welche Ausfahrtrichtung ist aber richtig? Diese brennende
Frage wird zum Hauptthema während der Drehung. Fragwürdigkeit bestimmt vor allem jene tiefgreifenden Wirrnisse, die wir als Existenzkrise bezeichnen und eigentlich
Wesenskrise nennen müßten in dem Sinne, daß das sich
wandelnde Wesen zu einer neuen Form seiner Manifestation
drängt. Jede Krise dringt auf Beantwortung angerührter Fragen. Es ist nicht einmal in politischen Krisen so, daß sie
überwunden werden, wenn man aufhört, davon zu sprechen.
Die Antwort gefunden zu haben, verwirklicht sich spontan
205
im Durchstoß. Der fraglos richtige Durchstoß aber setzt
voraus, daß man zum Tief der Krise vordrang. Erst wenn wir
das Bisherige und Gewohnte bis zum Bodensatz seiner Anwendbarkeit ausgekostet und daran das Unmögliche, es
weiter anzuwenden, erfahren haben, ändern wir mit voller
Überzeugung den Kurs und wissen zugleich, in welcher
Richtung wir weiterfahren, welcher Mittel wir uns bedienen
müssen.
Das astrologische Element der Krise heißt Uranus, das
Umschwungbewirkende. Hieran wird seine Stellung in der
Elementarordnung einsichtig. Er ist der erste Transsaturnier
und gilt als höhere Oktave von Merkur. Transsaturnier sind
Wesenskräfte jenseits von Saturn, der Abschlußkraft eines
in sich genormten Systems, begreiflich als Baugesetz der
Existenzform, als Integration aller Lebensgewohnheiten und
Mittel, die zur Erhaltung des lebensfähigen Ganzen notwendig sind. Der meist depressive Anlaß zur Krise bzw. ein Depressionen auslösender Vorfall rührt an das Unzulängliche
der Konstruktion, diese zieht sich aber im aufgedrängten
Selbstschutz krampfartig zusammen. Die Verfassung will
sich im alten Zustand erhalten, alles schon Bekannte erweist
sich als ausgeschöpft, zur neuen Lage nicht mehr passend.
Der saturnische Beharrungszwang, die zählebige Summe
früherer Erfahrung geleitet zum Tief, das vor dem Umschwung liegt. Was in der neuen, real noch weitgehend unbekannten Lage richtig sein könnte, erscheint an bisherigen
Maßstäben gemessen zuweilen absurd. Die Erschütterung
von Brauch und Sitte, Gewohnheit, das Dringliche unerhörter Forderungen aber sagt uns, daß diese Maßstäbe nicht
die einzig möglichen sind. Krisenfähigkeit überhaupt setzt
zum Sprung über die Schatten der Vergangenheit an, heißt
Bereitsein für etwas völlig anderes.
Als Äußerung einer für sich genommenen Anlage finden
wir unter Uranus explosive Reizbeantwortung. Es kriselt
dabei, doch die eigentliche Krise entsteht erst aus dem Bezug auf das Lebensganze: ein außergewöhnlicher Zeitpunkt
im biologischen Kontinuum, der unser Wesen als ganzes zur
Entscheidung aufruft. Jede Krise hat somit ihre Vorge206
schichte. Geschichtlich verfolgt knackt es längst im Gebälk,
bevor der Riß sichtbar wird. Im bewußten Nachzeichnen
dieser Vorgänge liegt die Beziehung des Merkurischen zum
Uranischen. Jenes vollzieht sich in kontinuierlicher Punktfür-Punkt-Logik, die von Prämissen zu Schlußfolgerungen
fortschreitet, dieses landet als Intuition mit kühnem Satz im
springenden Punkt des Zusammenhangs. Dem Uranischen
eignet also das spontane Finden gegenüber dem regelhaften
Erschließen des Merkurischen. Bewegungsmäßig ergibt sich
das Verhältnis von merkurisch stetiger, schrittweiser gegenüber uranisch plötzlicher, schubweiser Veränderung.
Jene ist überschaubar, nachberechenbar für den empirisch
gebundenen Verstand, während ein empirischer Befund für
die Intuition nur Auslöser zur Deutung eines Gesamtvorganges sein kann, einschließlich transzendentaler,
sinnlich nicht wahrnehmbarer Zusammenhänge. Wie die
geistigen Entsprechungen von Merkur ihren Stoff aus Venushaftem, aus der Empirie beziehen, schöpfen die Funde
von Uranus aus Neptunischem, aus der außersinnlichen
Wahrnehmung. Dies macht das Unberechenbare des Uranischen aus. Im sozialen Leben heißt es das Verhältnis evolutionellen Fortschritts zum revolutionären Umbruch. Dieser wälzt die Konstitution um, die jener nicht antastet. Ja,
unter Umständen erhalten evolutionelle Verbesserungen eine Verfassung aufrecht durch den geweckten Optimismus,
daß es in gewohnter Weise weiterginge, „besser und besser“, obzwar die Grundverfassung zur Lösung der Gesamtfragen bereits untauglich wurde.
Wie immer äußert sich dies auf verschiedenen Entwicklungsstufen. Der Ausdruck „höhere Oktave“ enthält keine
Höherwertung des Uranischen, sondern bezeichnet die Wiederkehr desselben in anderer Dimension. Die uranische Methode geistiger Erhellung ist verschieden von der merkurischen. Das Merkurische bleibt in der geschlossenen Ganzheit als deren Informator eingebaut, es betrifft lediglich darauf bezügliche Einzelheiten, das Uranische jedoch greift
darüber hinweg und leuchtet das Systemganze aus einem
umfassenderen Blickkreis an. Wird die merkurische Intelli207
genz nicht ausgebildet, so ergibt dies meistens „Blender“,
„Irrlichter“. Uranus in höchster Potenz meint Kant im intellectus archetypus (dem urbildlichen Verstand), der von
Ganzen zu den Teilen denkt, während unser normaler
menschlicher Verstand nur zum analytisch Allgemeinen
taugt (nachträgliche Wiederherstellung des Ganzen, aus
dem zuerst die Teile herausgelöst wurden, an Hand der an
diesen ermittelten Gesetze). Als Geisteskräfte können Normalverstand und Intuition (diese im Sinne Kants und
Bergsons) aufeinander bezogen werden, insofern Intuitionen
erhöhte Aussagekraft bekommen, wenn vorbereitet durch
eine Gedankenarbeit, die kritisch klarlegt, was empirischlogisch nicht wißbar ist; doch der Umsprung muß gelingen.
In dieser aufwärtssteigenden Tendenz kann man von „überwertiger Intelligenz“ sprechen, einer Geistesart, die in logischen Prozeduren nicht unterzubringen wäre. Auch
physiologisch, wenn wir die Störtendenzen von Merkur und
Uranus betrachten, besteht ein Zusammenhang zwischen
informativ weitergeleiteten Nervenreizungen sowie einer
Nervenkrise, die das Gesamtsystem ergreift.
Überwertig heißt natürlich keineswegs, daß alle uranischen Äußerungen auf höchster Stufe lägen, daß sie notwendig aus merkurisch nicht verarbeiteter Empirie hervorgingen, die Intuition also aus dem Verstand folgert. Wo Erklärungen nicht ausreichen, ist noch lange kein lösender
Einfall da. Dementsprechend gibt es auch bei hochgradiger
Intelligenz (mitunter eben darum, Intellekt als Intuitionssperre) inferiore Äußerungen des Uranischen, die nur Verwirrung stiften statt eine Neuerung anzubahnen. Spontane
Funde gehen oft unter in Wirrköpfigkeit. Gemeinhin ist dies
häufiger der Fall, wenn die Regungen auf der Gefühlsebene
bleiben und dort festsitzende Gewöhnungen einen Umbruch
verhindern. Alle uranischen Äußerungen haben etwas Stichflammenartiges in Tempo und Eindringlichkeit, etwas Absurdes gegenüber dem Vorhandenen, und Paradoxa bekommen eine Überzeugungskraft. Dies will freilich geistig und
anschauungsmäßig gebändigt sein, um fruchtbar zu werden.
Man steigt ja mit den Transsaturniern in eine weitere Di208
mension ein. Bei anlagemäßiger Überbetonung des Uranfischen und unzulänglichem Entwicklungszustand kann es
dauernd kriseln, ohne daß eine entscheidende Krise zum
Durchbruch käme. Unausgegorene Probleme zeitigen nur
inferiore Entsprechungen. Echte Intuition ist nicht erlernbar,
man muß als Ganzer Instrumental dafür bereit sein. Unechte
Intuitionen ähneln den biologischen Blendlingen (unfruchtbares Kreuzungsprodukt verschiedener Arten), indem sie
Unvereinbares durcheinanderwerfen. Doch auch leere Täuschungen (inferiore neptunische Grundlagen) können vom
Evidenzerlebnis begleitet sein, wenn die Grundlage wahnhaft ist; sie wären vielleicht logisch zu entlarven, brächte
man Geduld und Genauigkeit auf. Gerade diese sichere Erfahrungsgrundlage, saturnische Intaktheit, fehlt aber bei
minderem Niveau. Auf der Willensebene entstehen dann
lauthals aufmuckende Rebellen, voreilig, unstet in den Zielen, unberechenbar in ihren souveränen Behauptungen,
Menschen mit Kurzschlußhandlungen, denen sozusagen
leicht die Naht platzt, weil sie die schlußfolgernde Vernähung der Diskrepanzen nicht bewältigen.
Spannungsaspekte zwischen Merkur und Uranus gestatten darum keinen Schluß auf derartige Äußerungen, alles ist
hier Sache der Entwicklungshöhe und geistig-instrumentalen Bereitschaft. Auch der umgesetzte Wissensstoff darf
nicht vergessen werden. Beispielsweise finden wir Oppositionen bei Nietzsche, Voltaire, Goethe, Grillparzer und
anderen, hingegen geistigen Kurzatem und oberflächliche
Spritzigkeit häufig unter synthetischen Aspekten.
Im Dissonanzfall ist die Vulgärastrologie rasch mit „Irrsinn“ bei der Hand. Bei allen Transsaturniern, die freilich
zum Außernormalen tendieren, darf man aber höchstens von
Gefährdungen sprechen. Genie und Irrsinn stehen außerhalb
exakter astrologischer Aussagemöglichkeit. In diesem Zusammenhang gilt gegebenenfalls, was sich mehr oder weniger auf psychogene Erkrankungen und sogar „Schicksalsschläge“ als Manipulationen des Unbewußten bezieht:
unbewußt stellt die Seele sich Aufgaben, die sie ohne äußere
Nötigung nicht erfüllen könnte, und sie verschafft sich diese
209
Nötigungen. Es gibt Krankheits- und Schicksalsfälle, die auf
eine innerlich schwebende Problematik „zugeschnitten“
sind, sich an Sperrungen der Einsicht oder Blockierungen
des Willens „entwickeln“ und schließlich Ereignis werden.
Unzutreffend wäre es, von Absicht zu sprechen, denn bewußt liegt eine solche gewiß nicht vor. Das Ereignis kann
aber den Anstoß zu einer Wandlung geben. Es wird von der
Tiefenperson so verstanden, als ob es eine Weisung in diesem Sinne sei. Dies ist besonders bei solchen Menschen der
Fall, die man analog extrem gestellten Transsaturniern, bzw.
damit gekennzeichneter Einstellung, als „Menschen an der
Grenze“ bezeichnet. Geht, wie es vorkommt, die Handlungsweise den Absichten oder Anschauungen verquer, so
entsteht die psychologisch nicht unbekannte „Selbstsabotage“.
Uranus ist in dieser Beziehung das Element der Als-obLogik und dies kann, besonders bei Aspekten zu Faktoren
der „solaren Reihe“, insbesondere Mars, unmittelbar zur Tat
werden. (Über Uranus-Jupiter-Oppositionen vgl. Bd. III, ab
S. 390).
Als instruktives Beispiel einer Uranus-Mars-Opposition
und ihrer Auswirkung unter den genannten Umständen sei
ein Ingenieur vorgeführt, der sich in seiner Lust am Autofahren gestoppt sah durch das plötzliche Versagen eines neu
überholten Motors. Er ließ den Wagen abschleppen, der
Automechaniker sagte nach der Untersuchung, es müsse Sabotage vorliegen: völlig verfilzt mit Schaumgummi. Nun
wurde dem Ingenieur bewußt, daß er selbst dies angestiftet
habe, indem er vor der Abfahrt, gegen jede technische Vernunft, wie verträumt, eine Schaumgummimatratze so hingelegt hatte, daß sie sich hineindrehen mußte. Die Selbstprüfung steckte ihm noch ein anderes Licht auf. Im Grunde
wollte er garnicht mehr fahren und war dabei, den extraversiven Lebensstil abzubrechen zu Gunsten einer inneren
Einkehr und neuer Zielsetzungen.
Es sei nichts gegen Autofahren gesagt. Auch soll nicht
der ganze Charakter durchleuchtet, sondern nur das an der
Lebenskrise Beteiligte angeführt werden. Ein Jugendtrauma
210
war der Tod der Mutter, ihm folgte die Verpflanzung aus
dem Osten in die Verhältnisse der Bundesrepublik. Die
Sonne nahe der Spitze des 8. Feldes, in Quadrat zur Konjunktion von Mond und Saturn, sagt einiges über schicksalhafte Bedingungen dieser Art. Sonne im Saturnzeichen, im
Quadrat damit verspannt Saturn im Marszeichen und Mars
selbst in seinem anderen Zeichen SKORPION, im Sextil zur
Sonne, deutet eine zähe Durchsetzungskraft an. Das hohe
Intelligenzniveau hat analog der Stellung von Merkur (sog.
Geburtsgebieter) in SCHÜTZE einen idealistischen Aufschwung mit philosophischen Einschlag, was sich aber gut
mit dem praktisch positiven Aszendentenzeichen ZWILLINGE verträgt, sofern das exakte Trigon von Merkur zu
Mond in WIDDER zur Geltung kommt, das heißt, wenn eine emotional bejahte tätige Anwendung der Gedanken
möglich ist. Anderseits entspricht dem Saturn beim Mond
eine zeitweise Gehemmtheit, auch Verdüsterung des Ge211
müts, jäher Sturz in Depressionen sowie ein gegen oberflächlichen Umgang nicht gerade gefälliges Benehmen.
Nach durchgebissenem Studium und vorübergehender
Lehrtätigkeit ergab sich ein amtlicher Auftrag, Körperbeschädigte wieder in den normalen Poduktionsprozeß einzureihen. Zur Zeit beschäftigten den Mann die Mißleitung
Behinderter durch bürokratische Stellen, menschliche Probleme in diesem Zusammenhang. Gegenüber seinen
schwerblütigen Zügen boten sich extraversive Ablenkungen,
die Motorik konnte seelisch entlastend wirken. Derartigen
„leichteren Lösungen“ widerstrebte aber der Ernst des saturnisch eingefärbten Wesenskerns. Was in einem derartigen Charakter langsam ausreift, findet nicht ohne weiteres
zum radikalen Entschluß, zu dem Verstand und Gefühl
drängen, denn die Komponenten der Existenzachse, Sonne
und Saturn, sperren sich gegenseitig. Von Sonne leitet nun
ein schwaches Trigon zu Uranus, der in seiner Opposition
zu Mars die Höchstspannung in diesem Gefüge angibt. Das
im Venuszeichen STIER zwar zum Genuß extensiver Bewegung bei innerem Stillhalten und Abwarten neigende
Umschwungssymbol trieb dennoch zur Krise, untergründig.
Die aktive Entäußerung vollführte Mars, spontan, entsprechend SKORPION, mit der Tendenz zum brüsken Phasenwechsel. Die beschriebene Selbstsabotage dokumentierte
eine schon eingeleitete Wendung des inneren Zustandes.
Fast minutengenau steht bei Uranus der absteigende
Mondknoten. Das damit hinzukommende Motiv rührt an ein
allgemeines und den meisten dunkles Problem der Deutung.
Die Tradition weiß über die Mondknoten wenig zu sagen
(vgl. Bd. III, S. 433). Machen wir uns klar, daß der Tierkreis
als „Sonnenbahn“ gilt und seine Einteilung (Zeichen) als
Modifikationen aktiv gestaltender Kraft zu werten sind.
Diese Sphäre wird durchschnitten von einem Kreis mit anderen Einteilungen, der als „Mondbahn“ gilt. Haltungsmäßig liegt darin der Unterschied, den die Chinesen mit
Yang und Yin bezeichnen, etwa die Einstellung „das tue
ich“ gegenüber der Einstellung „das ist mir gegeben“. Beim
212
passiv Gestaltbaren ist das Eingangstor im aufsteigenden,
das Ausgangstor im absteigenden Mondknoten symbolisiert.
Was das „nächtige“ mehr unbewußt vegetative und stärker
somatisch gebundene Leben hervorbringt, verknüpft sich im
absteigenden Mondknoten wieder mit der „Tageswelt“.
Auch dies kann Inhalt einer Wandlung sein. Wenn wir nun
hier das Umschwungsymbol Uranus finden, noch dazu im
Zeichen STIER, so ist anzunehmen, daß krisenhafte Erscheinungen zum Vorschein bringen, was sich auf heimlichen Wegen des imprägnierten und traumbildnahen
Gefühlslebens herausgebildet hat.
In ähnlicher Weise verdient der absteigende Mondknoten
der Geburtsbilder von Strindberg (bei Venus und Saturn),
van Gogh (zwischen Mond und Jupiter), Bismarck (beim
Mond), Mozart (bei Uranus am Deszendenten) biographisch
untersucht und deutungsmäßig beachtet zu werden (vgl. die
Strukturzeichnungen Bd. III, S. 436, 434, 459, 416). Die
Partnerwahl bei Mozart war demnach Ausdruck einer Krisensituation, analog dem Zeichen FISCHE in aufgelöster
Stimmung der Nachgiebigkeit gegen zufällige Eindrücke.
Ein Fall der Selbstsabotage läßt sich natürlich kausallogisch schwer beweisen. Als Robert Schumann sich den dritten Finger der rechten Hand festband, um die freie Bewegung der übrigen Finger besser üben zu können (vgl. Bd.
III, S. 442/43), kann die verhängnisvolle Folgewirkung,
Lähmung der ganzen Hand, als unbeabsichtigter Zufall abgetan werden. Man darf jedoch fragen, ob nicht eine unbewußte Bereitschaft zum Komponisten stärker war als die
Zielsetzung des reproduktiven Musikers, ein „Paganini des
Klaviers“ zu werden.
Jeder Durchstoß durch die echte Krise bringt eine umwälzende Strukturverlagerung bzw. Umlegung auf eine andere Äußerungsebene. Das Ich ersteht auf der Basis neuer
Entsprechungen wieder, indem es ein bisher vielleicht nicht
beachtetes oder berücksichtigtes Nicht-Ich in sein Leben
und Streben einbezieht. In diesem schöpferischen Akt erweist sich das autonome Über-Ich. Das individuelle Gefüge
213
ist damit nicht aufgehoben, man bleibt mit neuen Entsprechungen innerhalb seiner Konstellation. Aber auch ursprünglich Unbetontes kann als Erwerbung aus dem allgemeinmenschlichen Arsenal (der astrologischen Elementarordnung) hinzukommen. Die zuvor mehr egoistisch beengte
Ichheit geht in das Arbeitsfeld eines erweiterten, human
vollständigeren Strebens ein. Die Zusammengehörigkeit von
Uranus und Merkur kommt im Zustand nach dem Umbruch
nun andersläufig zum Ausdruck. Es ist gewiß nicht leicht,
was man geistig mit einem Sprung erreichte, in den kleinen
Schritten des täglichen Lebens zu verwirklichen, im Verstand seine Intuitionen einzuholen. Viele scheitern daran,
daß die weitere evolutionelle Entwicklung dem revolutionären Krisendurchstoß nicht gerecht wird. Sie bestehen nicht
die Charakterprobe des Durchhaltens ihrer blitzartigen Eingebungen, womit sie geändert wieder zur saturnalen Geschlossenheit zurückkehren müßten, sondern erliegen
früheren Gewohnheiten. Dies meint der alte Spruch, der
Geist sei willig aber das Fleisch sei schwach.
Im Zeichen der Uranusstellung berührten wir die qualitative Verschiedenheit einer Krisenbewältigung. Bei allen
Wesenskräften gilt ja das Zeichen als „Stilform des Verhaltens“, als „Ausdruck“. Der langsame Umlauf von Saturn
(rund 30 Jahre) und der noch langsamere von Uranus (84
Jahre) macht beider Zusammenkunft zu einem Generationsaspekt. Natürlich ist dabei das Augenmerk auf durchschnittliche Äußerungen zu richten. Vergleichen wir die
Generation der zwischen Herbst 1896 und Ende 1897 Geborenen, mit der engeren oder weiteren Konjunktion in
SKORPION, sowie anderseits die Generation vom Sommer
1941 bis Anfang 1942, mit derselben Konjunktion in
STIER, so zeigt sich im Gesamtton ein verschiedenes Verhalten im planetaren Inhalt, der Verwandlung von Tradition
in Neugestalt (vgl. Bd. III, S. 356-59). Bei SKORPION tritt
eine Bezweifelung der Traditionswerte hervor, der revolutionäre Schwung will alle Verhältnisse umstürzen, die Dinge werden Zielscheibe von Affekten oder bekommen
symbolischen Bezug zu einer Neuordnung. Bei Uranus in
214
STIER hingegen hält man sich an das empirisch Gegebene,
möglichst in modernster Form, benutzt das Vorhandene
nach Gutdünken und Bedürfnissen persönlicher Harmonie,
nimmt unbedenklich das technisch Bessere und Angenehmere, ob neu oder überliefert, zur Hand; das Revolutionäre
liegt weniger im Theoretischen, als im geänderten Lebensstil. Der Übergang in das Zeichen ZWILLINGE, womit die
Konjunktion vom Mai 1942 bis in den Vorfrühling 1943
hineinreichte, brachte den revolutionären Schwung wieder
ideologisch stärker zur Geltung (Lehrer erinnern sich auch
einer wacheren Aufmerksamkeit des betreffenden Kinderjahrgangs), doch mit mehr pragmatischen Zielen gegenüber
dem Übergang der Konjunktion von 96/97 in das Zeichen
SCHÜTZE, die (Vorausgriffe und Rückläufigkeiten ausgeklammert) vom Dezember 1897 bis in die ersten Monate
1898 reichte und einer Verstärkung des idealistischen Aufschwungs entsprach.
Natürlich sind dies nur Allgemeintendenzen, sozusagen
Untermalungen der Charakterbilder, jeweils modifiziert aus
der Beziehung zur Gesamtkonstellation. Außerdem dämpft
die Saturnnähe ein wenig das Sprunghafte und Extremistische, das Uranus in Spannungsaspekten oder Konjunktionen mit anderen Faktoren hat. Oft ist bei Saturn
Konjunktion Uranus nur eine untergründige, sich über das
ganze Leben erstreckende Dauerkrise bemerkbar.
Fordert die Krise einen raschen und radikalen Umbau, als
dessen Inspirator sich Uranus erweist, so kennzeichnet
Neptun, auch kollektiv gesehen, eine weitaus langsamere
und sublime Umstimmung, die gelegentlich als Stimmungsgrund einer Krise einschaltet. Seltsame Vorfälle, schubartige Entwicklungen mit Ausweitung des Horizonts, wunderbare Wandlung von der Art des Damaskus-Erlebnisses
kommen in der Kombination aller Transsaturnier vor, wenn
sie im Geburtsbild eine hervorgehobene Bedeutung hat. Anderseits bilden diese Planeten Generationsaspekte gemäß
ihrem langsamen Umlauf. Die massenmäßige Streuung wird
damit größer, doch die Fälle positiven Heraustretens aus der
Norm, die wir Genialität nennen, reduzieren sich auf weni215
ge. Bei „Unterbelichteten“ sind es mehr Abseitigkeiten oder
Vorfälle, die sie aus dem Sattel werfen, im Ergebnis nur
verwirrend. Die Einbrüche des Außernormalen stehen stets
in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand.
Wie Transsaturnier geistig und seelisch sich auslösen, ermißt die vorsichtige Deutung an dem, was erfahrungsmäßig
integriert wurde, also am Saturnischen, das sie überschreiten. Mit Saturn bekommen die Lebensinhalte einen
tektonisch sicheren Stellenwert im Ganzen. Sieht man die
gelt nicht dogmatisch darin beschlossen, so werden die
Transsaturnier zu Organen der Erweiterung, wenn auch die
betreffenden Erlebnisse nicht ohne kritische Geistesschulung den passenden Begriff liefern. Die meisten begnügen sich mit Andeutungen, wie die überraschende Sache
liegen könnte, manche lassen sich vom Unerwarteten forttreiben, viele bleiben vor dem Rätselhaften stehen und starr
beim Alten Verharrende verdorren oder werden zerbrochen.
Interessant ist das Studium der zwischen 1906 und 1913
Geborenen, bei deren Geburt enger oder weiter Uranus in
STEINBOCK in Opposition zu Neptun in KREBS stand,
zuletzt Uranus in WASSERMANN in einem plaktischen
Aspekt (s. Bd. I, S. 251 ). Es ist ein Generationsaspekt und
natürlich kann man der ganzen Generation weder Wirrköpfigkeit noch Genialität nachsagen. Individuell kommt es
darauf an, wie die Opposition zu den anderen Faktoren des
Geburtsbildes steht, der stark kollektive Bezug der Transsaturnier macht die geschichtliche Situation wichtig, ob der
Betreffende in einem Brennpunkt des Allgemeingeschehens
lebt und wieweit er hineingezogen wird. Bei uns ist es die
Generation, die besonders intensiv an den Umwälzungen
der 30er und 40er Jahre teil hatte, am zweiten Weltkrieg und
seinen Vorstufen, in anderen Erdteilen stand der Abbau des
Kolonialismus an der Tagesordnung. Im Zeitgeschehen
vollzog sich ein Umbau aller Verhältnisse. Die individuellen
Abwandlungen des Erlebens Illusion, Berauschung, Voreiligkeiten, verstiegene Ziele oder realistische Deutung und
sinngemäßes Erfassen des Außerordentlichen - bestimmen
sich aus dem Niveau, auf dem die Spannung gelebt wurde,
216
schicksalhafte Verflechtungen aus der individuellen Struktur. In jedem Falle der genannten Opposition befindet sich
das umschwungbewirkende Symbol in Gegensatzspannung
zum visionären oder gefühlsromantischen Überschreiten
bisheriger Grundsätze und Grenzen.
Selten, wie gesagt, kommt es zum Oktavensprung weltweiter Sicht gegenüber der egozentrischen Enge des Nahblicks auf die Ereignisse. In diesem, dem häufigeren Fall,
drängt sich Ausdrucks- und Temperamentsform der Zeichen
vor, hier die harte Tatsächlichkeit von STEINBOCK gegen
psychische Uferlosigkeiten aus KREBS. Generationsaspekte
bezeichnen daher oftmals nur die verdeckten Spannungen
eines Umbaues, an dem der Einzelne teil hat ohne daß er
weiß, warum, und wohin der geschichtliche Kurs geht.
Die längsten uns bekannten Umlaufsperioden haben
Neptun und Pluto. Werfen wir einen Blick auf die letzte der
seltenen Konjunktionen, 1889-1893, im Zeichen ZWILLINGE. Darin signalisiert sich ein merkwürdiger Umschaltepunkt der Geistesgeschichte. Rimbaud starb im Spital, van
Gogh erschoß sich, Nietzsche wurde wahnsinnig, auch bei
anderen Außenseitern des Jahrhunderts riß der Faden ab.
Gleichzeitig wurden Chagall, Kokoschka, Dix und viele andere geboren, welche das ästhetische Gesicht der Zeit veränderten, wenn wir die Spanne größer nehmen die ganze
Generation der Neuformer, viele Erfinder und Baumeister,
Philosophen wie Heidegger, auch Hitler, Himmler, de
Gaulle, Mao-tse-tung, Tito, Franco, Mussolini, die politisch,
oder Soldaten wie Eisenhower, Rommel, die militärisch die
Weichen umzustellen versuchten. Plutonische Umgestaltung
mit drastischen Mitteln realisierte neptunischen Atmosphärenwandel, man kann auch sagen die geistbeschwingte Illusion des Zeitalters. Solche mit weiter Streuung zu
verstehende Umschaltpunkte, deren völliges Begreifen eine
rhythmologische Geschichtsbetrachtung verlangt, verwirklichen sich bei den Wissenden wie bei den Mitgezogenen mit
ihnen angemessenen Entsprechungen, stärker oder schwächer spürbar.
217
VORZÜGE, ERGÄNZUNGEN
Wenn ich hiermit den ersten, Verfehlungen und Mängeln
nachgehenden Teil meiner Darlegungen beende, heißt dies
keineswegs, daß sämtliche Übelstände aufgezählt wurden.
Etwas Prinzipielles zum astrologischen Thema ist aber wohl
am Bisherigen klar geworden. Geht unser gewohntes, empirisch verhaftetes Denken an solche Übelstände heran, dann
bringt es sie auf ein paar Ursachen, deren Behebung auch
die Beseitigung der Mißlichkeiten verspricht. Diese in der
äußeren Leistungswelt anwendbare Regel versagt im Menscheninneren. Hier handelt es sich um dispositionelle Ursachen und die Astrologie erklärt uns, daß sie im konstellativen Verhältnis der Wesenskräfte begründet lägen.
Nicht aber einzelne Komponenten der Geburtskonstellation
können für das Übel haftbar gemacht werden, sondern ihr
Gebrauch, eigentlich der Gebrauch aller. Das Übel jeder Art
steckt in den Entsprechungen, mit denen die Kräfte ausgewirkt werden. Das individuelle Kräfteverhältnis können wir
nicht ändern, wohl aber die Auswirkung und darin hängen
alle Kräfte zusammen. Die mit der Geburtskonstellation
vorgezeichneten Probleme müssen gelebt werden, doch ihre
Lösungen haben wir in der Hand bezüglich selbst eingesetzter Entsprechungen und damit können wir Mängel in
Vorzüge umwandeln. Wollen wir den Tatbestand der Welt
ändern, so beginnen wir füglich bei uns selbst. Erst so erhalten wir einen Maßstab, auch andere richtig zu beurteilen
und zu beraten. Richtig oder falsch heißt in diesem Zusammenhang, die Kräfte auf Dinge zu richten, welche der wesensgemäßen Forderung standhalten oder nicht.
Warum sollen wir uns auf diese Weise anstrengen? Um
unserer selbst willen. Was Kollektiv, Partner, erreichte
Machtstellung und die Resonanz auf unsere Ausstrahlung
bewirken, ist die eine Seite, und das, was man sich selbst
verdankt, was den Sinn einer Aufgabe ausmacht, die andere.
Dieses innerste Anliegen, der modus vivendi der Persönlichkeit, spiegelt sich freilich normalerweise am Äußeren. Der Vergleich mit anderen, der Rang den wir uns geben
218
im Wettbewerb, kann anspornen, aber auch seelisch krankmachende Bazillen züchten. Die Rangfrage der Persönlichkeit kann sogar zur Neurosenursache werden: wer einigermaßen persönlichen Ehrgeiz hat und in seiner Besonderheit
anerkannt sein will, beschränkt sich schwer auf unpersönliche Arbeit, die lediglich an Nutzen und Brauchbarkeit gemessen wird wie eine Autobahn. Ist man irgendwie
auf ein Werk eingestellt und will sich darin fortsetzen, dann
beruhigt sich diese Zielvorstellung nicht an Titel und Lohnsätzen, sondern am Verspüren des Sinnvollen und Richtigen. Man gerät daher in einen neurotischen Konflikt, wenn
man durch Zwang auf ein „nichts an Persönlichkeit“ gedrückt und darin niedergehalten wird.
Freilich liegen dann auch äußere Ursachen im Tätigkeitsbereich. Die gesellschaftlichen Verhältnisse unserer Zivilisation steuern mehr und mehr auf ein Auslöschen der
Persönlichkeit hin. Dies und der Fortfall einer Glaubwürdigkeit jenseitiger Heilsversprechungen kennzeichnen den
herrschenden Nihilismus. Er herrscht aber durch Menschen,
die ihn leben, nämlich die Zugkraft von Dingen, deren im
Verbessern der Lebenstechnik übermäßig hochgespielter
Wert ein negativ er für den inneren Aufbau ist. Was Bestand
hat, wird am höchsten Wert gemessen, den man sich gibt.
Wir entkommen diesem Teufelskreis durch Ernstmachers
mit dem, was uns wert und würdig ist zu tun, wofür wir allerdings weder Anerkennung durch die Mitwelt, noch vollkommene Befriedigung in sozial nützlicher Tätigkeit
erwarten dürfen. Kommt das Glück der Resonanz hinzu,
dann ist es Begnadung, doch im Streben darf es nicht den
erwartungsmäßigen Vorspann bilden.
Damit soll keine neue Moral verkündet werden, am wenigsten eine individualistische. Zur Individualität gehört der
revidierten Astrologie zufolge ein Entworfensein auf Umwelt. Das von innen gespeiste individuelle Bewußtsein wird
damit zum Träger der sozialen Weiterentwicklung. Doch
betreiben wir Astrologie weder als Soziologie-, Psychologie- noch Religionsersatz. Geboten ist vielmehr im
jetzigen Stand der Untersuchung die Frage nach den Auf219
triebsmöglichkeiten derselben Elemente, die mißleitet, wie
wir sahen, am Abgleiten mitwirken. Gibt es disponible
Kräfte, dann für jeden in anderer Wesensart, so daß schon
aus Gründen der Selbstverwirklichung das Verlangen entsteht, sie aufzuschließen. Wir fügen hinzu: zur besseren
Selbstverwirklichung, denn dies umschreibt das unkündbare
Positivum der menschlichen Unruhe.
Ein heute gebräuchlicher, noch zu erklärender Ausdruck
besagt: zur weitergeführten Individuation. Dies Wort enthält
eine Abkehr von Massenvertröstungen, legt die Verantwortung in den Einzelnen. Wir müssen aber zuerst erfassen, daß Individuation etwas anderes bedeutet, als nur
„sich leben“. Sich individuell ausleben heißt noch lange
nicht, aus sich leben im Vorzug und Sinn des eigentlichen
Selbst. Im kosmischen Geborgensein aller Individuen ist der
Einzelne ein Sonderfall des Verhältnisses zwischen Ich und
Du, das Selbst das Zünglein an der Waage dieser Koexistenz oder in umfassenderer Ausdrucksweise: ein Ausschnitt der Weltseele. Indem ich mein Wesen aus den Wurzeln meines Hineingeborenseins in diese meine Existenzform verwirkliche, bin ich zugleich Sachwalter von Tendenzen, die weit über mich hinausstreben. Mein Bestes
schöpfe ich aus mir, verwirkliche es aber auf vorgezeichneten Linien der Konstellation. Die determinierte „andere
Seite“ meiner Existenz kommt auch unfreiwillig als Schicksal auf mich zu. Freiwillig ergriffen und sozusagen das Befremdende am Schicksal aushebelnd, wird es dasjenige, was
mir sinnvolle humane Aufgaben steckt, über naturgeschöpfliches Hinvegetieren hinaus.
Wesenhaft die Dinge sehend bekommen wir ein Verhältnis zur Konstellation, worin wir nicht mehr ein Äußeres
erblicken das auf ein Inneres determinierend einwirkt, auch
kein Inneres, das gehorchend und duldend sich in ein Äußeres hinein begibt. Wir sehen ein Gleichnis der Wirklichkeit,
die beides umfaßt. Die Entwicklungshöhe, auf der wir es
verwirklichen, steht uns frei. Was wir aber daraus machen,
bleibt prinzipiell im Rahmen, der uns konstellativ gegeben
ist. So verstehn wir also die Deutungselemente in einem an220
deren Licht, als wenn dort Gegebenheiten lägen, die wir
hier so oder so deuten. Wir sehen unser Selbsteigenes gespiegelt und die ins Stoffliche projizierten Inhalte treten uns
von außen entgegen. In den Häusern und Tierkreisbildern
überschneiden sich zwei kreisläufige Systeme, welche den
Mittelpunkt gemeinsam haben, und dieser Mittelpunkt ist
unser Selbst. Somit lagern sich zwei Systeme über dieser
Selbst-Mitte, von denen das eine die Interessenverwirklichung in der gegenständlichen Welt betrifft, das sind die
Häuser, das andere die Art und Weise des Ausdrucks uns
allen gemeinsamer, zur individuellen Struktur gefügter
Kräfte, das sind die Tierkreisbilder. Unser Individuelles besteht darin, daß bestimmte Abschnitte mehr betont sind als
andere und aus der Anordnung sich Verwicklungen oder
Begünstigungen ergeben. Latent aber haben wir alle Richtungs- und Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen, ja der
lebendigen Natur überhaupt, in uns. Aus dem gemeinsamen
Mittelpunkt der beiden kreisläufigen Systeme erschließt sich
ein überindividueller Weg; da es sich bei den individuellen
Eigenheiten um Differenzierungen einer Gemeinsamkeit
handelt, führt die Konzentration auf die Mitte - und das bedeutet stetiges Aufmerken auf das Wesentliche - zum Einswerden mit dem Schöpfungsursprung alles Lebenden.
Das ist der Sinn der Selbstbeobachtung zur Lösung der
Frage, wie die Individuation weiterzubringen sei. Die Anleitung dazu verlangt von uns eine Verfeinerung der Deutungstechnik durch vertiefte Kenntnis der Elemente.
Physiognomische Außenseite und Wesenskern
Zur groben Verbreitung astrologischer Begriffe rechnet
die häufig gehörte Aussage „ich bin ein Schütze“, oder „ein
Krebs“, „ein Steinbock“ usw., beurteilt allein nach dem Geburtsstand der Sonne in einem der 12 Tierkreiszeichen. Man
glaubt damit hinreichend eine Wesensart bezeichnet zu haben. Auf dem einseitigen Gebrauch dieser ältesten Typologie gründet sich oft zu Unrecht die Meinung, daß an der
221
Astrologie etwas daran sei. Die Charakterwirklichkeit erbringt aber genügend abweichende und manchmal gegenteilige Beobachtungen. Die hauptsächliche Unterlassung
besteht im Nichtberücksichtigen des Aszendenten. Dies ist
bekanntlich der Einsatzpunkt der 12 Felder oder Häuser, der
Tierkreisgrad, der bei der Geburt am Osthorizont aufsteigt
(vgl. Bd. II, S. 259). Natürlich benennt auch dies nur einen
Faktor im Gesamtgefüge. Hat man jedoch den Unterschied
der beiden kreisläufigen Systeme im Auge (Tierkreis als
unmittelbarer Ausdruck der Wesenskräfte, Felderkreis als
ihre Ausrichtung auf die Gegenständlichkeit der Welt), so
kommt dem Aszendenten eine besondere Geltung zu. Dieser
Schnittpunkt der beiden Systeme bezeichnet gleichsam die
„Haut“ vom Menscheninneren her gesehen, die Abgrenzung
der Person gegen die Welt.
Gemäß dem Aszendenten tritt der Mensch physiognomisch in Erscheinung. Physiognomik als Lehre behauptet
eine merkmalsmäßige Beziehung des äußeren Erscheinungsbildes zu inneren Eigenschaften, sie sucht die Wesensart aus Wuchs und Gestaltbau, insbesondere den
Gesichtszügen zu erschließen. In diesem engeren Bezug beschränkt sie sich auf anatomische Dauerbildungen wie Knochen, Muskulatur, Fettpolster usw., in einer weiteren Sicht
beurteilt sie die Dinge ganz allgemein aus ihrer Signatur.
Auch die Handschrift ist eine solche Signatur, hängt doch
schon dies Wort damit zusammen in Kennzeichnung eines
bestimmten Gehalts und Zustandes. Das Äußere wird im
Physiognomischen als Anzeichen des Inneren genommen.
Über die statische Betrachtung hinaus betrifft der Aszendent
auch die Ausdrucksdynamik und zwar weniger die abgeleitete, etwa Handschrift, als die Mimik oder wechselnde Gesichtsbewegung in ihrer persönlichen Eigenart, ferner
Gangart, Gebärde, Sprechweise. Es gehören dazu psychophysische Zusammenhänge, Ansprechen auf Reize in der
Empfindung, durch Bewegung kundgegebene Gefühle, insgesamt die unreflektierte Reaktion auf die Außenwelt.
Ziehen wir alles in Betracht, was schon in Bd. II, S. 80,
145ff., 165/66, 259/60, 318/19, vom Aszendenten gesagt
222
wurde, so gibt uns das Zeichen am Aszendenten in seinen
physiognomischen Entsprechungen darüber Auskunft. Dies
bildet allerdings erst die Untermalung der Erscheinungswirklichkeit, abwandelnd treten Planeten an den Eckpunkten hinzu, besonders am Aszendenten und im Medium Coeli. Einiges darüber wurde in Bd. I, in dem S. 96 beginnenden Kapitel „Planeten-Signaturen“ angeführt, weiteres
folgt später. Zunächst aber sei die Bedeutung des Sonnenstandes gegen den Aszendenten herausgehoben.
Sprechen wir in diesem Zusammenhang vom Sonnenstand als dem Wesenskern, so meinen wir denselben Menschen im schöpferischen Ursprung seiner Existenz. Im Gesamtgefüge ist dies dasjenige, was die einzelnen Wesenskräfte zusammenfaßt, so daß damit das Gesamt-Potential in
Kraft tritt. Von der Mitte des Wesens aus ergreifen wir die
Fülle des Daseins, gestalten es in souveräner Haltung und
Wertrichtung. Wir folgen dann unserer ursprünglichen Erregung unbekümmert um abwarnende Eindrücke und die
daraus aktualisierten Veränderungen. Nicht also das äußere
Gehabe ist gemeint, analog dem mitbekommenen Körperbau, seine Gestik, nicht akzentuiertes Unterstreichen
oder auch Begrenzen des Verhaltens analog dem Aszendentenzeichen, auch nicht der Niederschlag gehirnlich festgesetzter Erfahrungen, sondern das, was letzthin die Art zu
handeln von innen heraus bestimmt, was uns wert und würdig ist zu tun. Diese Kernhaltung zeigt sich in der aktiven
Begegnung mit der Umwelt, absehend von Modifikationen.
(Fr. Krueger bezieht Gemüt und Gewissen in die Kernschicht ein, dies wäre in astrologischer Sprache ein Hinzutreten von „Mond“ und „Saturn“ in ihren obersten
Entsprechungen). „Sonne“ bedeutet als Willensbereich mehr
das wertgerichtete als das intellektuelle Wollen (von F.
Tönnies als Wesenswille und Kurwille unterschieden), den
Lebens-Grundantrieb, aus dem man sich selbst etwas schuldig zu sein glaubt und dafür die Verantwortung übernimmt.
Mit Aszendent und Sonne stehen sich somit das persönlich zwanglose aber in gewissem Sinne der Umwelt ausgelieferte Gehabe, sowie anderseits der selbstverantwortlich
223
gesteuerte Lebensstil gegenüber. Wir sprachen von den
Tierkreiszeichen als von Stilformen, nun bekommt dies erst
seine richtige Bedeutung: im Aszendenten haben wir den
Stil der ungezwungenen Reaktion auf die Außenwelt, im
Zeichen des Sonnenstandes den von innen kommenden wesenhafteren, weil im Kern und letzten Seinsgrund „gewollten“ Ausdruck. Beides spielt natürlich ineinander. Kann
zwar das im Aszendenten verankerte Temperament kaum
verändert werden, so geht doch die Reaktionsweise in diesem Rahmen durch Steuerung von innen her auf äußere Tatsachen ein.
Beispielsweise besteht beim Aszendenten WAAGE eine
Verletzlichkeit, sobald das Gleichgewicht gestört wird und
oft genügt dafür schon etwas ästhetisch Unerwünschtes.
Durch die Frage, was dagegen zu tun sei, wird das Zeichen
des Sonnenstands aufgerufen, diese Antwort der vitalen
Wesensart bekommt man ferner analog der Marsstellung
sozusagen in den Griff. Zur zwanglosen Reaktionsweise
(eigentlich paradox: daß der Mensch sich ungeniert so oder
so äußert, ist ja festgelegt im Aszendentenzeichen) tritt also
gezwungenermaßen eine Gegenwehr hinzu, die unter Umständen anders aussieht als das sanfte Gleichmaß und die
beschwingte Anpassung, die man im ungestörten Fall unter
WAAGE antrifft. Die Gegenwehr wird bei anderem Sonnenzeichen für den Aszendenten untypisch, wenn dieser
auch die Bekundung des Kerns mitbestimmt; denn WAAGE
bleibt WAAGE. Wie der Eindruck gedanklich verarbeitet
wird, hängt wiederum von der Merkurstellung ab. Bei ständigem Gestörtsein (etwa langfristig beschränkte Freizügigkeit, bedrückte Umweltsatmosphäre) spricht Saturn mit,
seine harmonische oder dissonante Stellung macht sich bei
dieser Geduldsprobe bemerkbar, usw., kurz, im reagiblen
Subjektsein des Aszendenten wird sukzessive das Gesamtgefüge zum Einsatz gebracht. Mit dem gestaffelten
Einsatz verändert sich die Reaktion, umso mehr also, je tiefer ein Ereignis in den Kern der Person dringt oder an andere Faktoren des Gefüges rührt. Bei Ansammlung vieler
Planeten in einem andersartigen Zeichen verfärbt sich auch
224
das Aszendenten-Temperament. Welche Maßnahmen bei
totaler Erregung ergriffen werden, entscheidet sich letztendlich aus dem Wesenskern, das heißt es erfolgt gemäß
den im Sonnenstand zusammengefaßten Stellenwert der
psychophysischen Organe.
An diesem Beispiel ist die Problematik zu ermessen, die
ein aspektmäßig isolierter Sonnenstand mit sich bringt; die
zentrale Steuerung findet dann schwer Handhaben, einzugreifen, und was der so beschaffenen Persönlichkeit zustößt,
zerfällt gar leicht in Teilerregungen ohne Zusammenhang.
Bei Sonne in sensiblen aber passiven Zeichen wie KREBS
und JUNGFRAU rettet sich die Abwehr in verstärkte Introversion, um angestaute Fremdreize besser zu verarbeiten.
Derselbe WAAGE-Aszendent bekommt dann ein anderes
Gesicht als bei voll aspektierter Sonne in SCHÜTZE oder
WASSERMANN. Aber dies bezeichnet natürlich nur die
Erscheinungsseite, nicht etwa darf bei „unaspektierter Sonne“ ohne weiteres auf einen kranken Wesenskern (eine
Kernneurose) geschlossen werden.
Für die vom Mittelpunkt zum peripheren Leben drängenden Gefühle ist der Mondstand samt Aspekten bedeutsam. Versagt beispielsweise bei inaktivem und isoliertem
Wesenskern die zentrale Steuerung, so kann durch anpassende Auflockerung analog dem Zeichen der Mondstellung
sozusagen immer wieder das Ventil abgelassen werden, bevor der Kessel platzt. Wir erhalten einen Einstieg in die zusammenhängende Deutung, wenn wir auf diese Weise den
Aszendenten mit den beiden Haupt-Lebenssymbolen vergleichen, wobei für Entsprechungen von Sonne und Mond
immer auch das Geschlecht ausschlaggebend ist (Sonne
beim Mann, Mond bei der Frau primär).
Wie liegt es nun, wenn die Sonne sich am Aszendenten
befindet (Geburt bei Sonnenaufgang) und, um die Fragestellung zu komplizieren, auch der Mond im selben Zeichen
steht? (Neumond). Die Stellung der Sonne am Aszendenten
hatten wir schon gedeutet (Bd. III, S. 34) als Identifizierung
des Wesenskerns mit der Eigenperson. Die Eigenperson
wurde im empirischen Äußeren verstanden, analog der Son225
ne geht damit auch der innere Antrieb konform. Naturgemäß fällt es dem so Konstellierten infolge Gleichheit des
Ausdrucksprinzips schwer, einen Abstand der inneren Antriebe gegenüber Augenblicksreaktionen zu erreichen. Erschwerend kommt hinzu, daß die Gemütsart in gleiche
Richtung weist. Sprechen wir aber summarisch von „Egozentrismus“, so führt die Ähnlichkeit des Wortes mit „Egoismus“ leicht irre, dies widerspräche der weltoffenen
Haltung von Zeichen wie WAAGE oder FISCHE. Der
Sachverhalt birgt begrifflich mehrerlei.
Wieder sei als Beispiel der Aszendent WAAGE genommen. Der Sonnenstand im selben Zeichen fordert bei Störungen des Gleichgewichts einen totaleren Ausgleich, verlangt, daß Harmonie in gleichmäßiger Ausbildung des ganzen Persönlichseins begriffen und realisiert wird. Dies hieße
totale Anspannung des Willens, um Ausgleiche nach allen
Richtungen zu erzielen. Voraussetzung ist zuerst die Entschlossenheit dazu und der Wille (Wesenswille!), persönliche und überpersönliche Ausgewogenheit im gesamten
Leben zu erreichen. Was davon schon verwirklicht wurde,
ist astrologisch unberechenbar, hier liegt eine Aussagegrenze. Die meisten unter dem Aszendenten WAAGE Geborenen warten einfach ab, bis sie wieder in Einklang mit
der Umgebung stehen, was dieser einen gewissen Vorrang
gibt. Dann ist der Vorwurf der Oberflächlichkeit gerechtfertigt. Doch der Wesenskern will nicht nur von außen getragen sein, die sinnliche Ansprechbarkeit soll mit dem, was
als Herzenssache gilt, konform gehen. Introversion, Zurückziehen bei Konflikten subjektiver Wünsche mit der vorgefundenen Situation wären für WAAGE eine unechte
Haltung, die nur Minderwertigkeitsgefühle ernährt. Der gesuchten Übereinstimmung genügt bloße Anpassung an äußere Tatbestände ebensowenig als solches Ausweichen, zumal der Mondstand im selben Zeichen nur Lösungen aus
emotionaler Stellungnahme zuläßt. Einem derartigen Konflikt kommt die Volksweisheit aus dem Reich der Mitte zu
Hilfe. Nach einem chinesischen Sprichwort bleibt immer
etwas zu tun: man kann die Lage ändern oder, wenn dies
226
nicht geht, seine Einstellung dazu. Da es sich um ein luftiges Zeichen handelt, Geistbeschwingtheit der sinnlich angeregten Reaktion, bekommt das Intelligenzsymbol hierfür
eine erhöhte Bedeutung (Merkur kann in Anbetracht der
Elongation in JUNGFRAU, WAAGE oder SKORPION stehen). Das heißt: die kritische oder kombinative Urteilskraft
sollte dahin entwickelt und stets aufs neue angespannt werden, auch in unerwünschter Lage zum Überblick und damit
zum Gleichgewicht zu finden. Dann erhebt sich die Persönlichkeit vom Kern aus über die Tatsachen und kann sie benutzen, statt ihnen zu erliegen.
Bei jedem Zeichen liegt es anders. Das gebrachte Beispiel
der Übereinstimmung von Sonne und Aszendent betrifft nur
einen aus 12 Fällen, bei Sonnenstand in einem anderen Zeichen mutipliziert sich dies mit 11 = 122 Fälle, diese kommen hinzu. Beispiele dienen lediglich zur Erläuterung der in
der Kombination einzuschlagenden Methode. Inneres mit
Äußerem verbindend gestaltet sich der Aszendent zur Persona um (vgl. Bd. II, S. 318), die aber nicht etwas Gemachtes und bloß Aufgesetztes ist, nicht C. G. Jung gemäß
ausschließlich auf das Verhältnis zu den Objekten bezogen.
Zwar dem Äußeren zugewendet, handelt es sich nicht um
einen „mehr oder weniger zufälligen oder willkürlichen
Ausschnitt aus der Kollektivpsyche“, eine Maske, „die Individualität vortäuscht“*. Vielmehr geht dabei Angeborenes in
das Charakterbild ein zusammen mit verarbeiteten Eindrükken, durch die so erworbene Stellungnahme tönt die Kernhaltung merklich hindurch.
Je nach Zeichen und Aspektierung stellt sich also bei jedem Sonnenstand immer wieder anders die Frage: wo liegt
das Zentrum der schöpferischen Lebensgestaltung und wie
verhält es sich zur ungezwungenen Reaktionsweise analog
dem Aszendenten? Bei Stellung am Aszendenten geht dies
am engsten zusammen und man kann von Kernreaktionen
sprechen. Ähnlich liegt es bei den anderen Wesenskräften.
*
Citate aus C. G. jung „Die Beziehung zwischen dem Ich und dem Unbewußten“, 1928, Otto Reichl Verlag Darmstadt.
227
Ist der Aszendent durch Planetenbesetzung betont, so wirkt
sich die betreffende Wesenskraft in ihrer Eigentümlichkeit
unmittelbar aus. Sogar Saturn bekommt etwas Spontanes.
Einschließlich dieser „Erstreaktion“ steckt nun im Gehabe
dasjenige, was über die personale Bezüglichkeit des 1. Feldes gesagt wurde (bei Abstand des Planeten vom Aszendenten getrennt zu beobachten). Hier ist man sich selbst
Bezugsperson. Dies führt besonders bei Sonne zur besagten
egozentrischen Grundeinstellung, bei Mond zum Egozentrismus der Gefühle usw. Jedoch mit wachsender Verfügung
über die Wesenskräfte kann man darüber hinaus dringen,
indem man sich als Modellfall der Menschheit erlebt, bezogen auf das betreffende Symbol; bei Saturn etwa macht man
dann nicht nur „seine persönlichen Erfahrungen“, sondern
die Persönlichkeit wird sozusagen zum Prüffeld des Erfahrbaren überhaupt. Diese „Genialisierung“, welche die Gesamtheit des Wesens aufruft, ist freilich nicht aus dem
Kosmogramm ersichtlich; sie muß jedoch bei der Aussage
als „Chance“, als Möglichkeit, offen gelassen werden. Sonne am Aszendenten bedeutet dann, daß jemand in Beobachtung und Ausprobung seiner Kernreaktionen zu
wesenhaften Unternehmungen kommt.
Hinsichtlich des Verhältnisses von Introversion und Extraversion, wie vorhin im Beispiel der Sonne in KREBS
oder JUNGFRAU bei Aszendent WAAGE berührt, entstehen Komplizierungen, aber keine unlösbaren. Man vergegenwärtige sich die vorkommenden Kombinationen und
denke sie durch. Soll beispielsweise die lebenspendende
Mannigfaltigkeit des zentral betonten KREBS-Prinzips, so
anregsam wie sensibel, unverkümmert hervorkommen und
sich in seiner Zartheit durchsetzen, so scheint dies schwierig
zu sein bei einem Aszendenten in WIDDER. Der nach außen gerichtete Aktivismus dieses Zeichens verliert aber etwas von seiner Tendenz zu Angeberei und Imponiergehabe
und begnügt sich mit der lebensfrischen Äußerung. Vor allem ist das kombinatorische Verhältnis der Zeichen und
Felder zu beachten. Eine KREBS-Sonne steht bei Aszendent
WIDDER nahe dem unteren Meridian, meist im 4. Felde.
228
Die passiv-empfängliche Kernhaltung gibt sich sinngemäß
als stilles Wirken im häuslichen Umkreise aus, unbeschadet
spontaner Äußerungslust in herausgeforderten Reaktionen.
Während so die Stellung am unteren Meridian der Introversionsneigung entgegenkommt, ist es anders am oberen Meridian und im Fall des Aszendenten WAAGE. Mystische
Neigungen, Naturliebe sind beruflich schwer unterzubringen, die Weichheit und Nachgiebigkeit von KREBS zieht
den Kürzeren, wo es auf Ellenbogen ankommt. Das Psychagogische und Fürsorgliche aber, die einfühlsame Personbehandlung, auch das Haushälterische des KREBS-Prinzips
läßt sich in mannigfachen Aufgaben vereinigen mit der
empfänglichen Reagibilität von WAAGE. Ob der Unterhaltung, dem Vertrieb, der Pflege bedürftiger Familienglieder oder einer ernsten sozialen Mission dienlich, braucht
dies sensitive Prinzip öftere Wendungen, wechselnde Gesichter, führt außerdem seine „kardinalen“ Zielsetzungen
auf dem Wege des geringsten Widerstands durch. Bei aller
Preisgabe an äußere Dinge soll die Eigenatmosphäre gewahrt bleiben. Die selbstverzärtelnde Rückzugsbereitschaft
des Zeichens aber verbietet sich, will man dem hervorgehobenen Ort des Wirkens gerecht werden. Im öffentlichen
Wirkungskreis des 10. Feldes ist also Introversion etwas
anderes als im 12. Felde, wohin die Sonne in JUNGFRAU
bei Aszendent WAAGE meist zu stehen kommt, hier fordert
die Selbstbewahrung eine gewisse Zurückgezogenheit.
Wie auch der Aszendent heißen mag, kulminiert die Sonne, so will der Eigenwert sich im äußeren Wirken kundtun,
wenn er nicht übertragen wird auf den Gatten, einen angebeteten Führer oder verehrten Chef, um Bestätigung aus
zweiter Hand zu erreichen. Gegenläufig zu solcher Übertragung und anderen Ablösungen mangelnden Selbstvertrauens
verhält sich der Charakterprotest. Der haltungsmäßige Unterschied zwischen Aszendent und Sonnenstand kann nach
langer Zurücksetzung und Anpassung, welche das Charakterganze verfälschten, plötzlich unausgewirkte Züge zum
Vorschein bringen. Dies kommt besonders bei einer Quadratur der Sonne zum Aszendenten vor (anders als bei
229
Aspekten zwischen Planeten ist der Aszendent nur Empfänger, nicht Aussender), die ja meist Zeichen leidender und
tätiger Form (vgl. Bd. II, S. 83/84) in Beziehung bringt.
Unterlassungssünden schlagen in krasse Gegenschläge um,
zurückgestaute Impulse der Selbständigkeit durchbrechen
das gewöhnlich zur Schau getragene Verhalten.
Ein Beispiel aus der Intimsphäre. Ein Mann beschwerte
sich empört über die Gefühlskälte seiner Frau in einer Situation der Annäherung, da sie mit einem Blick auf die Uhr
ihn aufforderte: „mach rasch, in einer Viertelstunde müssen
wir ins Kino“. Meine ebenso unerwartete Antwortfrage
„und wie machen Sie es?“ brachte ihm zu Bewußtsein, was
in unserer sexuellen Kulturlosigkeit zum Leidwesen vieler
Frauen gehört, daß der Mann an der Frau „sich abreagiert“
und dann sie sich selbst überläßt. Die Frau war jahrelang die
sanft sich Unterwerfende, gemäß dem Aszendenten
KREBS, ein aufgedrungener Leerlauf, gegen den sich die
robustere Kernhaltung endlich mit einer Provokation entlud.
Natürlich liegt der Schwerpunkt solcher Beziehungen
zwischen Aszendent und Sonnenstand nicht in der Intimsphäre. Bei van Gogh (vgl. Bd. III, S. 434) brachten dieselben Zeichen einen Durchbruch des „rustre Hollandais“,
wie die Pariser ihn nannten, durch den Versuch geschmeidiger Anpassung und Nachahmung, sowie die Wachrufung
230
des Tatmenschen durch den Mitfühlenden. Im Charakterlichen und in der Malerei kehrte sich der ungestüme Eigenrhythmus hervor in aller Wucht, mit groben Konturen. Bei
umgekehrtem Verhältnis, Aszendent in WIDDER und Sonne in KREBS, geht es um das Geltendmachen beschaulicher
Stille gegen aktiven Äußerungsdrang, wofür uns Marcel
Proust (vgl. Bd. III, S. 430) ein Beispiel liefert.
Insoweit der Aszendent die körperliche Physiognomie
bezeichnet, machen sich darin auch die Planeten-Signaturen
bemerkbar. Die Stellung eines Planeten am Aszendenten
gibt also nicht nur eine Bezogenheit der betreffenden Wesenskraft auf die Eigenperson an, sondern bezeichnet als
Ausdruck Leib-seelischer Einheit auch eine zusätzliche Prägung der Gestalt sowie funktioneller Eigenheiten. Erinnern
wir uns, daß wir den Eckfeldern 1, 4, 7, 10 eine Formungsintensität zusprachen (vgl. Bd. II, S. 283), so ist uns eine
formprägende Eigenschaft analog dem Gestirn an Aszendent, Himmelshöhe, Deszendent, Himmelstiefe plausibel.
Diese Erwartung bestätigt sich, aber nicht gleichförmig. Der
Aszendent gilt wie gesagt für sichtbare Gestalt, planetare
Stellungen hier nehmen den ersten Rang in der Körperphysiognomie ein. Den zweiten formprägenden Rang hat
das MC oder die Himmelshöhe als Gipfelung individuell
bezogener Kräfte, es gibt je nach Niveau ein „Berufsgesicht“ und ein „Berufungsgebaren“. Hingegen der Deszendent, zwar auch physiognomisch mitspielend, gilt stärker
für die Ausdrucksdynamik in Richtung des unmittelbaren
Gegenübers als für die ruhende Körperlichkeit. Das IC oder
die Himmelstiefe repräsentiert die angeerbte innere Gestalt,
die am wenigsten in der Körperbildung enthalten zu sein
braucht, oft den im Elternhaus vorherrschenden Lebensstil
und seine Untergründe angibt oder den „bei sich selbst“ bevorzugten Stil formt, mitunter Traumgestalt und Illusion.
„Irgendwie“ geht freilich jeder Faktor in die Erscheinung
ein. Wie im Graphologischen die Interessenfelder die Ausrichtung auf der Schreibfläche, die Aspekte das Spannungshafte angeben (vgl. Bd. I, S. 100), hat auch der Aufriß der
Aspektfigur - schlank und differenziert, klotzig und breit,
231
zerrissen oder einheitlich usw. - einige Beziehung zur Gesamterscheinung. Man sehe sich die Strukturbilder daraufhin an, Figuration als Abwandlung oder Verstärkung der
Zeichen-Charakteristika.
Unter den Feldern der Durchführungsintensität kommt
naturgemäß am meisten das 6. in Betracht, das Feld der
Körperfunktionen, und zwar in bezug auf Abänderungen die
aus der Lebensweise hervorgehen. Ernährungsart, Atemregulierung, Folgen von Bequemlichkeit oder sportlicher
Übung usw. machen sich geltend in Einklang mit der Besetzung dieses Feldes. Aussagen darüber sind Sache der fortgeschrittenen Kombination.
Planeten-Signaturen versteht man am besten aus einem
künstlerischen Blick für die Formprägung, erweitert ins
Funktionale.
Das Saturnische ist von rechtwinkligem Bau, mit
Sparsamkeit des Materials (mehr Gerüst als Füllsel), ein
wenig steif, manchmal bewegungsbehindert. Träge innerorganische Funktionen, Massendichtigkeit, dauerhafte Tektonik, in den Bauträgern zur Erhaltung der organischen Existenz reduziert auf den härtesten Widerstand, vorkommende
Kümmerformen. Konzentrierter Lebensstil, Unnötiges verneinend.
Das Jupiterhafte ist ausladend, vollmassig ohne deswegen die expansive Bewegung zu behindern, bei zu bequemer und genüßlicher Lebensweise allerdings Verfettung,
die aber meist beim Gesamtzuträglichen innehält. Der Lebensstil liebt großen Schwung wo Sinn-Projektionen wirksam sind, in Einklang mit ruhigem Genuß der Früchte.
Haltung durchschnittlich gemäßigt, unterbrochen von produktivem Aufschwung.
Das Marsische ist sozusagen eine Leistungsmaschine
(nur in Tätigkeit ganz zu begreifen), wenig Ruhe in sich, die
meiste Zeit zielgerichtet, stark in Tonus und Energieausdruck. Der Bau hat etwas Apparathaftes, aber kurvig, oft
formal zusammengedrängt auf Bewegungserfordernisse,
selten übergroß. Wachsam und wehrhaft, aggressiv gegen
Bedrohliches, aktive Maßnahmen triebhaft unterstrichen.
232
Das Sonnenhafte hat etwas in sich Zentriertes, man
merkt ihm das Zusammenhaltenkönnen eines mannigfaltigen Ganzen an, sozusagen Umtrieb auf einen Punkt gebracht worin Informationen zusammenlaufen und von wo
Befehle ausgehen. Im Auftreten meist gewichtig, würdevoll,
wenn unbeeinträchtigt etwas Strahlendes, Lebensbejahendes, impulsiv unternehmend in wesenhaften Angelegenheiten.
Das Venushafte ist wohlproportioniert, gefällig abgerundet, die Formteile und Bewegungen stehen organisch
zueinander in Harmonie, weniger markant in den Einzelheiten. Der Lebensstil (mehr Lassen als Tun) ist maßvoll
aufbauend, verbindend und verbindlich, genießerisch wo
Lustmotive locken, mit Liebe zu wiederholten Reizverkettungen und Bevorzugung dessen, was der Erhaltung
dient.
Das Merkurische ist von grazilem Bau, obzwar fest im
Zweckmäßigen, meist beweglich und etwas dünn, nervös.
Die meist hastigen Bewegungen gehen eilfertig den Absichten nach, sparsam im Aufwand, oft arhythmisch vom
Kopf her bestimmt. Ein Lebensstil von informationshungriger Unruhe und Neugier, auch echte Wißbegier mit der
Tendenz, das Gelernte nützlich einzubauen.
Das Mondhafte hat etwas Verschwommenes und Unbestimmtes, Unpersönliches, doch zumeist mit beseeltem
und hingebungsvollem Ausdruck. Ein veränderlicher, den
umweltlichen Verhältnissen angepaßter Lebensstil, im materielles Aufwand verschwenderisch oder aber zaghaftvorsichtig, wie die Anregungen und Einflüsse kommen,
auch durch Launen und Stimmungen hervorgerufener
Wechsel. Bei Begünstigung der angeborenen Neigungen ihr
Wachsen und Wuchern, das manchmal ungeahnte Talente
zum Vorschein bringt, anderseits Vertändeln oder Unentschlossenheit bei Mißgunst.
Über die transsaturnischen Planeten kann nichts
Abschließendes hinsichtlich des Körperbaues gesagt werden, da das Instrumentale und das Berufensein stark mitspielen. Uranus rechnet wie Saturn und Jupiter gemeinhin
233
zu den „Streckern“ (obzwar die Körpergröße von Rasse,
Familie und generationsmäßiger Acceleration abhängt), zuweilen aber ausgesprochene Kleinformen. Oft wird etwas
Bizarres, Drahtiges, im Blick Stechendes, in der Bewegungsweise Abruptes gefunden. - Demgegenüber bekundet
sich Neptun in unbestimmterem Auftreten, locker und gelöst; manchmal schwammiges Fleisch und fast immer transparente Haut. Bewegungen in abgemilderter Form. Die
Haltung ist mehr die eines Menschen in phantomatisch belebter Atmosphäre als eines auf festem Boden Gehenden.
Meistens in ferne Horizonte gerichteter oder verschleierter
Blick. - Energiegeballter und durchsetzungskräftiger erweist
sich Pluto, sonst in der Signatur wenig hervorstechend außer
markanter Durchmodellierung, häufig kugelige Kopfform,
gedrängte Züge.
Dies gilt allerdings auf der Basis des Rassen-, Stammesund Familientypus, als dessen Abwandlung. Ferner ist es in
Kombination mit dem Zeichen anzuwenden; z. B. wird die
notorische Schlankheit von ZWILLINGE selten bei Jupiter
am Aszendenten beeinträchtigt, doch das mehr Verkniffene
und Winklige des Merkurzeichens durch ausladende Formen aufgehoben, auch weicht das oft Grazile einer kräftigeren Konstitution, blutvoller und vitaler, weniger intellektuell.
Gegenüber dem Aszendenten sind die anderen beiden
Überschneidungen, der Widderpunkt und der aufsteigende
Mondknoten, physiognomisch unauffällig. Ihre Lage im
Felderkreis verdient aber Beachtung.
Widderpunkt und aufsteigender Mondknoten sind insofern gegensätzlich, als jener den Einstieg in die empirische Verwirklichung, die Konfrontation mit anschaulichen
Dingen angibt, dieser den Umstieg ins vegetative und unterschwellige Leben, den Mondknoten könnte man das Steigrohr des Unbewußten nennen. Im seltenen Fall ihres Zusammentreffens (aufsteigender Mondknoten 0 Grad Widder) hält sich das Gewicht des empirischen Seins und das
Gegengewicht des Transzendenten in der Schwebe. Auch
wenn WIDDER individuell unbetont ist (kein Planet darin
234
steht), liegt in seinem Beginn, dem Anfang des Tierkreises,
doch der Punkt, von dem sich der ganze Lebensstil willkürhaft aktivieren läßt; wichtig daher die Aspektierung und
Lage im Felderkreis. In den Aspekten sind dynamisierende
Spannungen, im Feld ist das Lebensgebiet bezeichnet, auf
dem eine überindividuelle Wertverwirklichung ansetzen
kann. Demgegenüber benennt der aufsteigende Mondknoten
die unwillkürliche Kontaktaufnahme und unbewußte Selbstaufschlüsselung, welche den Lebensgang von innen her leiten, weniger vernehmlich, doch um so bestimmender für die
Gemütsverfassung.
Freiheit - Lenker des Schicksals
Wieviel Prozent Freiheit hat der Mensch? Diese Frage,
die mir angesichts der am Kosmogramm aufgewiesenen
Determinationen gestellt wurde, enthält die unstatthafte
Vermengung einer menschlichen Qualität mit quantitativen
Verhältnissen. Zwar betrachten wir die Zahl als Bindeglied
von Quantität und Qualität, auf der Handhabung ihrer Brükkenfunktion beruht die Astrologie. Doch um diesen Übergang zu verstehen, seien die Bereiche auseinandergehalten.
Das eine ist nicht ausdrückbar durch das andere. Astronomie als Messung und Astrologie als Deutung unterscheiden
sich daran. Die Größe, die Menge, der meßbare Betrag, angegeben durch die Zahl als Maßeinheit, ist etwas anderes als
die eigenschaftliche Beschaffenheit eines Dings in Farbe,
Form, Geruch, Geschmack usw., noch mehr die qualitas occulta, die verborgene, sinnlich nicht wahrnehmbare Eigenschaft, die wir Kraft nennen. Freilids, und nicht nur weil wir
an Energie zu denken gewohnt sind, wird das Urteil hier
strittig. Sprechen wir von Wesens- oder Bildekräften, so
ziehen wir ihre Wirkungsart aus unmittelbarem Erleben unserer selbst, während wir sie in anderen Lebewesen - als Ursache der Veränderung von Körperform und Bewegungszustand - lediglich voraussetzen dürfen. Des Schöpferischen
sind wir im tiefsten Wesensgrunde gewiß, aber, so fragt un235
ser Verstand, ist diese Überzeugung nicht vielleicht ein
Wahn, eine Täuschung?
Die Ausmessung von Konstellationen führt an Seinszustände, individuelle Gefüge, die ihnen entsprechen. Sie wären restlos determiniert anzusehen, wenn wir nur an physikalische Energie dächten. Der berühmte Satz „die Sterne
machen geneigt, sie zwingen nicht“ klammert aus, ob nicht
etwa eine andere Zwangsläufigkeit den Weisen bestimmt,
den Sternen nicht zu gehorchen. Wer an absolute Freiheit
denkt und sie verneint, ist um Argumente nie verlegen.
Schon die Vergesellschaftung, die technische Organisation
unseres Daseins, die Herrschaft des Maschinen- und Zweckdenkens beschränkt persönliche Spontaneität dermaßen, daß
der Mechanist uns nicht einen Funken Freiheit beläßt. Das
Problem des Schöpferischen löst sich aus einer vom Physikalischen abweichenden Auffassung des Lebens. Man mag
dies als Metaphysik bezeichnen, Worte tun nichts zur Sache.
Indem wir ein Analogieverhältnis zur Konstellation sehen,
dem Leben in diesem Gleichnis eine Autonomie der Gestaltbildung zubilligen und seine Fortpflanzung eingeordnet in
materielle Proportionen astronomischen Ausmaßes verstehen, bekommt die Zahl ein anderes Gesicht. Es sind dann
Ordnungszahlen, die unsere Strukturiertheit determinieren,
wobei aber zu ermitteln bleibt, ob es Wesenskräfte gibt und
welche, die eine solche Struktur verwirklichen, erfüllen und
gegebenenfalls umbilden. In der kosmologischen Betrachtung ist dies Ordnungshafte zugleich materielle Tatsache
wie deutbare Signatur; Astrologie stellt einen Unterbezirk
dar, welcher die Beziehung zwischen Mensch und Gestirn
behandelt.
Freiheit und Zwangsläufigkeit sind Korrelatbegriffe, einer ist ohne den anderen nicht denkbar. Dies schließt Absolutheit eines jeden aus, wir sind weder absolut frei, noch
absolut gebunden, es kommt auf die Relation, die Wechselbeziehung an. Frei steht mir gegebenenfalls die Wahl in einer Zwangslage. Wenn mein Haus brennt, kann ich durch
die Tür gehen oder aus dem Fenster springen, nicht durch
die Wände hindurch steigen. Brennt auch das Stiegenhaus,
236
dann bleibt nur der Ausweg durchs Fenster, ob unten ein
Sprungtuch bereit gehalten wird, ist Glückssache. Die Entscheidung des Augenblicks hat zwangsläufige Folgen. „Im
ersten bist du frei, im zweiten bist du Knecht“ lautet ein
mephistophelischer Satz. Demnach wäre Freiheit definierbar
als Umsprung aus einer Gruppe von Kausalreihen in eine
andere. Freiheit an sich, ein für allemal sicher, wäre ein
Unding. Organische Wirklichkeit bezeichnet den „actus“,
worin jeder in jedem Moment, doch immer wieder anders,
sowohl frei als auch determiniert ist. Statt uns immer wieder
auf die logistische Alternative „frei oder zwangsläufig“
festzulegen, gültig auf der materiellen Ebene, sagen wir auf
der organischen Seinsebene richtiger: das Lebewesen hat
einen autonomen Spielraum mit verschiebbaren Grenzen
und der Mensch ist in puncto „Verschiebung“ von allen uns
bekannten Wesen am besten daran. Dichterisch gebrauchte
Bilder, „frei wie ein Vogel“, der „unbeschränkte Wildwuchs
im Walde“, die Trauer um „Pan“, die zurückgedrängte
„freie Natur“, beruhen auf romantischen Vergleichen, relativ wahr gegen die Verregelungen unserer Zivilisation. Dieser metaphorische Gebrauch deckt keineswegs eine absolute
Freiheit, gerade: außermenschliche Natur gehorcht überwiegend einem Zwangslauf.
In weiterer Sicht umschreiben wir mit der Korrelation
von Freiheit und Zwangslauf das Novum, durch welches die
organische Seinsschicht sich abhebt von der materiellen, die
auf das Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit beschränkt
gilt. Die Entstehung neuer Lebensformen kann vom Materiellen her nur als Zufall dargestellt werden (meisterhaft interpretiert von Jacques Monod in „hazard et necessité“*),
vom Organischen aus ist sie Zufallsbeherrschung und dies
bedeutet Auswertung des Vorhandenen nach organischen
Kategorien. An dieser kleinen aber wichtigen Nuance hängt,
was uns Freiheit heißt. Es ist die ontologisch neue und in
den materiellen Seinsgesetzen nicht vorgesehene Wendung,
*
Deutsch unter dem Titel „Zufall und Notwendigkeit“ bei Piper & Co, München
1971.
237
eine „Gelegenheit“ in organische Gestalt und Lebensfunktion einzubeziehen. Dafür setzen wir die genannten Bildekräfte voraus. Solche Gelegenheiten sind Wertfakten, denn
in allem Organischen steckt Subjektivität, für die etwas besteht und qualitative Zugkraft hat. Organische Schöpfung ist
Wertschöpfung und das „Füreinander“ geschaffener Werte
vereinigt sich zur Lebenstotalität. Wertmaßstäbe begründen
die Rangordnung der Naturreiche, worin der Mensch sich
einen höheren Rang als Pflanze und Tier zuschreibt, weil
diese, trotz oftmals besserer Sinnesleistungen, im großen
ganzen Fertigformen vergangener Lebensschöpfung sind, zu
jenem Gleichgewicht gediehen, das wir Stagnation nennen,
während im Menschen die Schöpfung weitergeht. Wir werten die Entwicklungsdynamik, die unsere Kultur geschaffen
hat und weiterschafft, höher als stationäres Beharren, begreifen uns als unfertige, als werdende Gestalt. Eine Anmaßung, sofern der Mensch mehr wünscht, als er hat, eine
Verheißung, insofern er mehr werden kann, als er ist! Den
Grenzsetzer in diesem „Drang, mehr Leben zu haben“ (auch
Simmel denkt hier quantitativ) erfährt er im Schicksal. Die
astrologische Menschenkunde versteht es als Strukturzwang,
wobei individuelle Strukturen überbaut zu denken sind von
kollektiven Strukturen. Darin sind Grenzen gesetzt gegen
den Wahn der Unumschränktheit, zugleich aber besitzen wir
im Weiterentwickelnkönnen der geprägten Form, in der Hebung des Niveaus, die Freiheit, Entsprechungen der angeborenen Struktur umzubilden.
Wir können demnach das Schicksal begreifen als
Zwangslauf von Umständen, an denen sich die freie Entscheidung entzündet. Im Schicksal faßt sich das persönliche
Leben in allen Facetten zusammen, aber seine Entsprechungen können wir zum Teil ändern, nur die Prinzipien sind
strukturell festgelegt. Der Satz „so mußt du sein, dir kannst
du nicht entfliehn“ bezieht sich auf die prinzipielle Strukturprägung mit gleichbleibenden Tendenzen, nicht auf das Niveau. Dem Konkretum gegenüber, aus dem wir die Entsprechung herausbilden, heißt Freiheit des Bewußtseins:
wissen, wo die Verstrickungen beginnen und wo sie enden.
238
Zum Begriff der Freiheit wäre aus astrologischen Elementen
und Beobachtungen noch folgendes zu sagen. In bezug auf
Tun und Lassen neigt unsere gewöhnliche Auffassung von
freier Verantwortung unverkennbar zur Hervorhebung des
handelnden Entscheidens. Beachten wir den Unterschied
von tätiger und leidender Form der Stilprinzipien (vgl. Bd.
II, S. 82), so bedeutet dies den menschlichen Anlagen gegenüber eine Vereinseitigung, als ob Freiheit nur auf der
aktiven Seite läge. Das Ergebnis dieser spezifisch westlichen Auffassung - unpersönliche Technik, unschöpferisches Maschinendenken, Pressur des Staatsapparats führte
zum Gegensatz persönlicher Spontaneität. Wir brauchen uns
nicht zu wundern, daß breite Schichten der heutigen Jugend
sich die Freiheit des Lassens nehmen. Es liegt ein Ausgleich
in diesem Pendelschlag. Was beim Durchschnitt als Nachlässigkeit gerügt werden kann, ist bei mehr Besonnenen ein
echtes Suchen nach dem Sinn im Gegensatz zu herrschenden Meinungen. Statt aber dies als Protesthaltung weiter als
nötig zu aktivieren, bloße Antithesen gegen Thesen zu setzen, bringt es uns einer kulturellen Synthese näher, wenn
wir die verfemten passiv aufnehmenden Qualitäten sehen
und kultivieren. Vielleicht wurden überhaupt die Tierkreis(Sonnenkreis-) Qualitäten überspannt gegen die Qualitäten
des Mondkreises (s. Mondknoten). Dieser negiert, was wir
zur Befriedigung von Wissensgier und Gewinnung von
Macht tun, hebt analytisches Bewußtsein und überschüssigen Aktionsdrang auf. Er hebt es auf, sofern wir unter seiner
Intention, der Nöte des Einzelseins enthoben, dem Puls des
universellen Lebens folgen, wo Freiheit sowohl Tun als
auch Lassen in überpersönlicher Entscheidung ist.
Auch die negative Freiheit, die des Selbstmords, hat der
Mensch den übrigen Naturreichen voraus. Leben erscheint
uns möglicherweise nicht mehr lebenswert. Einem schroffen
und freiwilligen Abschluß verwandt sind die mehr unbewußten und langsam sich auswirkenden Selbstausstreichungen. Es gibt „Frustrationen“ im Doppelsinne von Fremdund
Selbstverschuldetem, die offene Gelegenheiten nicht ergreifen lassen. Die fatalistische Weltbetrachtung bietet will239
kommene Entschuldigungen für Versagen in Dingen, auf
die es ankäme. Unglück, Hemmungen, Mangelerscheinungen werden dann zu Schreckgespenstern aufgebauscht, welche den Lebensmut herabdämpfen. Nennen wir dies saturnische Negation gegenüber solarem Antrieb, dem Herd der
schöpferischen Zufallsbemeisterung und Freiheit, so heißt
dies natürlich nicht, daß im Sonnenstand der Geburtskonstellation die Freiheit determiniert sei. Determiniert ist nur
der Einsatzpunkt und die mit Saturn bezeichneten Grenzen
sind verschiebbar, zumindest in der Einstellung zu den Tatsachen.
Menschenwürdige Freiheit gebietet, von inferioren Formen des Strukturzwangs freizukommen. Dies ist kein abstraktes „über dem Schicksal stehen“, auch nicht das ideologisch oft gepriesene „aus dem Horoskop aussteigen“;
vielmehr nehmen wir dann den determinierten Einsatzpunkt
des Persönlichseins zum Ansatz der Selbstgestaltung. Voraussetzung dessen ist die Einsicht in das determinierte Sosein. Anlagemäßig umschreibt Freiheit die günstigste Version, aus dem Gegebenen etwas zu machen, was innerlich
weiterbringt. Nur in dieser Hinsicht ist sie „Tun“, als „Lassen“ betrifft sie den Abstand zum Schadenstiftenden. Die
Entscheidungskraft liegt bei uns, sie ist der selbstbestimmende Faktor und eigentliche Lenker des Schicksals. Im
Wahlakt vereinigt sich Selbstverantwortung mit Verantwortung gegen die Mitwelt; unsere optimale Lebensform
geht hervor aus diesem Kompromiß zwischen eigener Wertschöpfung (einbeschlossen Wunschphantasie und Projektionen) sowie den Ansprüchen anderer (Sozialgesetz einschließlich Naturgesetz). Darin ist Freiheit keineswegs das
vulgäre „tun und lassen können was ich will“, sondern das
Willenssubjekt braucht Objektivation von sich und den
Mitteln, um frei zu werden vom Mechanismus der Reizfolgen.
In bezug der Reaktion auf äußere Reize leuchtet ein, daß
das Bewältigen der Spannung zwischen Sonne und Saturn
im Geburtsbild den hauptsächlichen Hebel bildet, dem
Strukturzwang höherwertige Entsprechungen abzuringen.
240
Bei den sog. feurigen Zeichen, der organischen Ebene verwandt, wird der aktive Freiheitsdrang zum stärksten Motiv,
während das vielbespöttelte Phlegma der Wasserzeichen aus
den passiven Freiheiten der seelischen Ebene folgt. Cholerisches Aufbrausen gegen Zwang bedeutet allerdings kein
Prozent mehr Freiheit, wie uns mittlerweile klar geworden
ist (ein auf determinierte Tatmenschen gemünztes Paradoxon Kierkegaards besagt: Napoleon hört erst auf dem
Faulbett auf, träge zu sein). Die Objektivation des Verhaltens gelingt normalerweise besser bei erdhaften Zeichen, die
Beseelung der Vorgänge bei wässerigen, der Überblick über
die Bedingungen bei luftigen Zeichen. Keine Konstellation
nimmt uns die Entscheidung ab, wir haben darin bestenfalls
anlagemäßige Begünstigungen dieser oder jener Seite der
Entscheidungswahl.
Als Beispiel einer Entscheidung fürs Leben diene die vorgelegte Geburtskonstellation (Abb. 27). Es handelt sich um
eine Psychologiestudentin, die bereits einen schizophrenen
Schub hinter sich hatte und in einem Anfall von Depressionen zu mir geschickt wurde. Das Gespräch mit dem störrischen jungen Mädchen ergab, daß sie fixiert war an einen
intelligenten, aber zynischen, täglich ihr die Minderwertigkeit der Frau vorbetenden Mann und ihrem Leben ein Ende
machen wollte. Auch nachdem es gelang, den Rückschlag
aus der unglücklichen Verbindung - einen Wall von Negationen - zu durchbrechen, ihr ein Gefühl des Eigenwerts
aufzubauen, beharrte sie unnachgiebig auf ihrem Suizidentschluß. Die Frage, womit sie ihren Entschluß ausführen
wolle, beantwortete die Studentin schroff mit „Gift“. Sie
habe es schon bereit. Ich bat sie, das Gift am anderen Tage
mitzubringen, um zu beurteilen, ob es auch wirksam sei.
Anderen Tages brachte sie ein Kästchen mit Zyankali, das
für 6 Personen gereicht hätte. Statt ihr dies wegzunehmen,
was nur zur Beschaffung eines anderen Mittels gereizt hätte,
wagte ich ein Vabanque-Spiel. Ich stellte das Kästchen in
den offen gelassenen Aktenschrank, schärfte der Studentin
den Platz ein und zeigte ihr ein Versteck, worin ich den
Schlüssel des Zimmers, von der Treppe her zugänglich, in
241
der Nacht deponieren werde. Sie hätte so die Freiheit, zu tun
und zu lassen, was sie wolle, könne nachts in das Haus gehen dessen Schlüssel ich ihr übergab - und sich das Gift
holen oder, wenn sie anderen Sinnes würde, es auch unterlassen. Was sie tun werde, sei mir gleichgültig, sie müsse
nur versprechen, allein zu entscheiden und ihrem Partner
fernzubleiben. Nach drei Tagen, an denen ich mich überzeugte, daß das Kästchen noch auf seinem Platze stand, erschien die Studentin wieder, mit offenem Gesicht, und
gestand, sie habe jede Nacht nachgeprüft, ob der Zugang ihr
frei stünde, nun sei es nicht mehr nötig.
Man erlasse mir die Schilderung, unter welchen Zweifeln
ich diese Tage verbrachte. Die Geburtskonstellation sagte
mir folgendes. Saturn im Merkurzeichen, am Deszendenten
gewöhnlich ein Merkmal für Kontaktscheu (im Fall des
242
heimkehrenden Soldaten war es die Gefährlichkeit der Umwelt), in JUNGFRAU umso mehr aus dem Motiv der
Selbstbewahrung, blockiert die Opposition zwischen Merkur und Mond, die Spannung zwischen Gedanken- und Gefühlsleben. Diese Saturnstellung am Deszendenten besagt
zugleich, daß der Mitmensch im Guten wie im Bösen zum
Schicksal werden kann. Ohnehin zeigt sich die ganze Konstellation mit Ausnahme von Uranus - Eigenbrödelei, Trotz,
Hang zum Absurden andeutend - auf den Deszendenten
ausgerichtet, auf Gemeinschaft und Bezugsperson, „dugebunden“. Insbesondere das 7. Feld ist weiterhin besetzt
durch Mars und Venus, die Trieb- und Eroskomponente.
Vom Trieb- oder Liebhabersymbol geht einer der wenigen
synthetischen Aspekte zur Sonne im Marszeichen: die Inkarnation des Marsischen beeinflußt also den Wesenskern.
Sind hier Leitbild und Eigenwertgefühl gestört, so ist die
Kernhaltung entsprechend dem Sonnenstand im 8. Felde, in
Quadratur zu Jupiter und Neptun, anfällig für das, was
Freud den Todestrieb nannte.
Mit diesen negativen Anzeichen befand sich die Studentin in einer akuten Wert- und Entscheidungskrise. Konnten
die positiven Kräfte gegen die zersetzenden Tendenzen aufkommen? Vom Partner unter Druck gesetzt, war sie, beeinflußbar und seelisch labil, aus ihren verschiedenen, miteinander verspannten Anlagen in einen Hexenkessel von
Mißtrauen und Hörigkeit, Daseinsanspruch und Selbstverschwendung, Herrschdrang und Dienstwilligkeit geworfen.
Mit dem abseitigen Uranus in Aszendentennähe paßte sie
schwer in eine normale Welt, ausbrechende Paroxysmen
bekundeten sich hie und da in zerschellenden Gläsern, zuknallenden Türen. Die Quadraturen des Saturn zu Merkur
und Mond brachten Verstand und Gefühl durcheinander.
Eine zentrale SKORPION-Stellung im 8. Felde wird oft gefährlich bei falscher Auslegung transzendentaler Gedanken,
es lag aber auch eine Wandlungsbereitschaft vor, lebensverneinende Radikalismen konnten in Wiedergeburt umschlagen. In solchem Fall bedeutet die Krise ein Signal des
Gesundungswillens, ohne sie durchzustehen, wäre der
243
Mensch nicht lebensfähig. Eine der Voraussetzungen für
einen derartigen Umbruch mochte sein, daß der Mann, der
das Mädchen mit Haut und Haar zu okkupieren trachtete,
für seine Beweisführung sozusagen stets alte Platten auflegte. Saturn in JUNGFRAU am Deszendenten imprägniert
eine Frau zwar haltungsmäßig bei Intimität mit der Bezugsperson, kann aber auch Abschirmung des Eigenen bedeuten,
wenn es standhält, zumal bei längerer verunsichernder Einflußnahme. Als Figur im Feld der Partnerschaft symbolisiert
er den Älteren, Erfahrenen, analog dem Sextil zur Sonne
repräsentiert er das Vaterbild (der leibliche Vater war tot).
Dies aber konnte zum Ansatzpunkt einer Therapie werden,
wenn die Studentin sich durch einen Älteren angenommen
und mündig gesprochen fühlte. Die gelingende Stärkung des
Grundvertrauens war für sie, nach ihrer späteren Erklärung,
das „Wunder“, das über alle intellektuelle Beweiskraft hinausgeht.
Kein Astrologe hätte den Ausgang der Entscheidung vorausberechnen können, das in die Waagschale gelegte Motiv
der Freiheit wurde zum persönlichen Schlüsselwort.
Abgesehen von Beispielen und anlagemäßigen Begünstigungen sei uns bewußt, daß Freiheit eben deshalb zum so
viel strapazierten und doch immer wieder zugkräftigen Wort
werden konnte, weil es für jeden Menschen das kostbarste
Gut bedeutet. Der Sinn des Menschendaseins ist damit berührt. Im freien Handeln steht die Subjektivität, Schöpfer
ihrer selbst, außerhalb objektiver Berechenbarkeit. In der
Schwebe vor der Entscheidung liegt, ob sie Heil oder Unheil
bringt. Wir sind Instrument einer Urkraft in der Doppelung
alles Göttlichen, so wie es der Inder in der Shakti-Kraft Shivas sieht, die sowohl Erleuchtung und Wahrheit, als auch
Verblendung und Lüge heißt. Schwarz oder Weiß steht in
der Stunde der Wahl frei, die Folgen erfahren wir nachher,
das ist das Paradoxon der Freiheit.
Wie aber gelangen wir zum richtigen Entschluß? Außer
dem Fernhalten einseitiger Einflüsse, Bevorzugungen aus
Liebe oder Haß und anderen Sackgassen gibt es therapeutische Griffe. Aus geistigem Oberflächenklima führt die
244
Frage nach der personalen Instanz: wer trifft die Entscheidung? Meist werden Umstände vorgeschoben, die sich als
inferiore Blendformen des individuellen Gefüges enthüllen
lassen. Durch den überdauernden seelischen Funktionalismus gilt es zum entscheidungsfähigen Kern vorzudringen.
Bei seiner Freilegung oder Verhüllung sprechen die Reserven des Unbewußten mit und die letzten Alternativen entscheiden sich tatsächlich in der Wesenstiefe, unabhängig
von diskutablen Zielvorstellungen. Das intuitive „Finden“
setzt alles Erklären, Beweisen, Ermuntern, Verpflichten vor
die Tür des Templums, in welchem der Mensch mit sich
allein ist. Zweitwichtig, wenigstens für uns mit unserem
abendländischen Erbe, daß er etwas dafür tut, nicht im bloßen Betrachten und Argumentieren stecken bleibt. Der Daseinswille begnügt sich nicht mit rhetorischen Akten, er
muß sich gestaltend äußern in der raumzeitlichen Welt.
Hierbei können unbedeutend scheinende Handlungen wie
der nächtliche Gang jener Studentin von Wichtigkeit sein,
indem sie gegen Kurzschlußhandlungen zu einem Handeln
mit Grund auffordern. In kritischen Fällen ist also die Begleiterscheinung eines sinnsuchenden Prozesses zu finden,
der Fluchtreaktionen aussticht.
Hegel Voraussetzung zur Dialektik als Entwicklungsmodus r das Ungenügen an der Aussagekraft der formalen L
gik: „Was allein die Schwierigkeit macht, ist immer das
Denken, weil es die in Wirklichkeit verbundenen Momente
eines Gegenstandes in ihrer Unterscheidung auseinanderhält.“ Irrtümlicherweise wird das Verhältnis von Freiheit
und Zwangslauf meist so gesehen, daß ausschließlich das
eine oder andere gälte. Es sind jedoch wie gesagt Korrelatbegriffe. Jenseits der begrifflichen Alternative stehn wir,
wenn wir uns fragen: wieweit geht hier mein Spielraum,
wieweit gehn seine legalen Grenzen, kann und soll ich sie
verrücken? Immer hat der schöpferische Lebensprozeß gegen Determinationen anzukämpfen, in jeder Handlung
steckt sowohl das eine als auch das andere. Bei Entscheidungen sucht das Schöpferische, Nichtdeterminierte in uns
die Oberhand über Zwangsläufigkeiten zu gewinnen. Ver245
sagt der Mensch in diesen Augenblicken der Wahl zwischen
Kausalreihen, so kann es freilich eintreten, daß er zum
Spielball determinierter Abläufe wird. Ob er es wird, ist das
Unberechenbare. Sein Verhalten, nicht sein Angelegtsein,
nicht also konstitutiv festgelegter, sondern operativer Gebrauch der Wesenskräfte und ihrer Widersprüche führt die
eingangs erfragten Miniprozente ein. Je mehr er seine Möglichkeiten verscherzt, umso mehr unterliegt er vorbestimmten Wirklichkeiten. Versagt der Mensch gänzlich und
immerwährend, dann hat der Fatalist recht, ein schon „fertiges“ Schicksal rollt ab, er ist sozusagen „tot bei lebendem
Leibe“, erhält sich nur noch als Maschine, verbraucht aber
regeneriert sich nicht. Das Maschinendenken hat ihn dazu
geprägt, das Unschöpferische griff am Leben vorbei. Auch
im Denken liegt Entscheidung.
Von der Relativität des Glücks und der Harmonie
Wie schon angeführt sagte Tolstoi einmal, es könne nicht
glücklich sein, wer irgendetwas - er sprach von Talenten im Überfluß besäße. An einer anderen Stelle sagte er, um
glücklich zu sein, müsse man an das Glück glauben. Dies
unterstellt, daß nur ein harmonisch ausgeglichener und an
sein Glück glaubender Mensch glücklich sein kann. Was
aber ist Glück, was Harmonie, sind sie überhaupt als Dauerzustand möglich?
Sicherlich hat die Hoffnung auf Glück und Harmonie zur
Abfassung der alten astrologischen Regeln beitragen. Diejenigen Planeten, die Glück und Harmonie versprachen,
nannte man Wohltäter, diejenigen, die es störten, Übeltäter.
Das Gut und Böse der Aspekte ist außer seinem moralischen
Klang darauf abgestimmt, Glück und Harmonie in Aussicht
zu stellen oder ihr Eintreffen zu verneinen.
Ein romantischer Zug sehnt sich zurück in einen angeblich glücklichen Urzustand, bedürfnislos, unpersönlich und
darum harmonisch; umherwandernde Heilige suchten ihn
wieder zu erreichen. Überdruß an der Zivilisation bringt
246
solche unbehausten Büßergestalten oder aber Rebellen hervor. Anfangs galt kindlicher Naivität von Griechenland bis
Tahiti der schöne Mensch zugleich als gut. Für die paradiesische Wiege des Menschen ist das Schöne, Wahre,
Gute vereinigt mit Glück und Harmonie. Aber dazu darf
man keine Individualität sein. Wer ist heute ohne solche,
wer hat keine Probleme und Sorgen?
Sind darum Glück und Harmonie unerreichbar?
Zunächst besteht ein Unterschied darin, daß Glück etwas
Erstrebtes, hingegen Harmonie ein Zustand, eine zwanglos
sich herstellende Grundbefindlichkeit ist. Der zweifelnd,
unschlüssig, unzufrieden zu uns kommende Mensch will
beraten sein, etwas gesagt bekommen, was ihm aus Notlagen und Unzulänglichkeiten heraushilft. Er befindet sich
nicht in Harmonie und sucht ein Rezept dafür. Im gezielten
Anspruch des Fragers liegt stets etwas, wovon er Glück erhofft. Hat er es erreicht, dann ist er vielleicht glücklich - für
den Augenblick, dies mag ein harmonisch empfundener Zustand sein. Eine Dauerharmonie könnte es werden, wenn er
mit dem Ziel tatsächlich getroffen hätte, was ihm zu seinem
Glück noch fehlte, und wenn die Welt nun gerundet, der
Mensch ohne weitere Zielsetzung wäre. Solche Kopplungen
von Glück und Harmonie kennt aber lediglich relative Augenblicke, in denen sie zusammen aufblitzen. Es gibt eine
Ethik, die darin ihre Richtschnur sieht, Glückseligkeit als
Motiv und Ziel alles Strebens betrachtet; wir finden diese,
den Eudämonismus, in die Fundamente der Wohlstandsgesellschaft eingebaut.
Von alters her und mit gutem Recht gilt astrologisch Jupiter als Glückssymbol, Venus als Harmoniesymbol. Wenn
nun Jupiter und Venus bei der Geburt eines Menschen einen
analytischen Aspekt bilden, dann gehört die trennende
Spannung zwischen beiden zur individuellen Eigenheit. In
vulgärer Betrachtung wäre zu folgern, daß, weil das Harmoniesymbol disharmonisch zum Glückssymbol steht, bei so
„schlechtem Aspekt der traditionellen Wohltäter“ der betreff
ende Mensch unglücklich und harmonielos sein müsse.
247
Genau diese Kräfteverbindung finden wir bei Tolstoi und
Goethe, bei jenem eine Quadratur, bei diesem eine Opposition zwischen Venus und Jupiter. Nun begreifen wir, was
es heißt, ein Talent im Überfluß zu haben und der Möglichkeit des Glückes skeptisch gegenüberzustehen. Schlagen
wir nach, was Bd. III, S. 320 über diese Kombination gesagt
wurde, so finden wir Genuß und Bedeutung als Stichworte.
Im analytischen Aspekt stört also eines das andere, das Talent des Genießens und das Talent, Bedeutung zu sehen, gehen gesonderte Wege. Kombinieren wir diese Stichworte
mit den Grundbegriffen, so heißt es, daß letzthin das Glück
nicht im Genuß liegen und Harmonie nicht als letztbedeutsam gelten könne. Worin das Glück bzw. das Bestmögliche,
Optimale gesucht wird, sagt uns kein Aspekt; es ist jedenfalls vergänglich, denn immer wieder wird venushaftes
Gleichgewicht, wenn einmal erreicht, aufgehoben werden
durch ein Streben darüber hinaus, die expansive Tendenz
des Jupiterhaften. Daß dies z. B. für die Ehe schlechte Aussichten gibt, liegt schon in der bei Dissonanz vorhandenen
Schwervereinbarkeit von Liebe und Vernunft.
Wir können den gleichen Aspekt auch so sehen. Bei einer
Jupiterdissonanz ist man selten zufrieden mit dem Vorhandenen, mag es noch so genußreich sein, man sucht das Bessere, Vollkommene. Dies Streben hat uns ehedem aus
Höhlen und anderem naturgegebenem Unterschlupf herausgebracht, hat Kulturgüter geschaffen, dem Menschen ein
Bewußtsein seiner selbst unter Anerkennung höherer
Mächte gegeben. Der niveaubedingte Unterschied ist nur,
ob jemand das Bessere fertig von außen erwartet, um es anzueignen, ob er etwas Vollkommenes selbst sich erarbeiten
will, ob er schließlich das, womit das Jupiterhafte im eigenen Inneren in Streit liegt, auf eine höhere Ebene zu verlegen trachtet. Hier gilt nicht, wer mit fertigen Weisheiten
glänzt, sondern „wer immer strebend sich bemüht“. So gesehen wird man kaum bedauern, daß Tolstoi und Goethe am
leiblichen Eros, der sie zeitlebens anreizte, kein Genüge
fanden, dagegen sich mit anderen Entsprechungen des Venushaften, wir nennen es heute Sublimierungen in ästheti248
scher Form, verausgabten. Dem Genie geht es nicht darum,
lediglich ein stürmischer Liebhaber und guter Ehemann zu
sein, der in der Freizeit Gedichte und Romane schreibt. Genialität betreibt keine leere Formkunst, sondern heißt Lösung ureigener Probleme, um der Mitwelt eine Synthese
durchlebter und bewältigter Konflikte anzubieten. Die oft
bemerkte Spaltung zwischen dem Epiker und dem Moralisten in Tolstoi erhält von hier eine bestimmte Beleuchtung.
Sein Aspekt konnte auch zu anderen Ergebnissen führen
und wir finden ihn überhäufig bei solchen, die sich um das
Verhältnis von sinnlicher Form und Inhalt mühten; erwähnt
seien Rimbaud, Grabbe, Büchner, Jean Paul, Möricke, Platen, Cocteau, C. D. Friedrich, Pergolesi, Schelling, C. G.
Jung, Champollion, Guyau.
Natürlich konnten die meisten von ihnen zeitweise auch
in den Armen einer Frau glücklich sein, war es gestört, so
hing dies kaum vom Aspekt ab, denn Kant mit Jupiter Trigon Venus verspürte anscheinend wenig Lust dafür. Ein anderes Glück jedoch kam mit dem Bewältigen der Spannung
hinzu: das Glück des Schaffens von Werken, die neben ästhetisch ausgefeilter Form eine Bedeutung in sich tragen.
Dies macht nicht der Aspekt, aber gerade die Dissonanz der
Anlage war bei Tolstoi und Goethe die Voraussetzung einer
errungenen Harmonie, der wir das Prädikat „ewig bedeutsam und schön“ zusprechen. Der heute selber Schaffende
hebt allerdings eine starre Mustergültigkeit ihrer Werke auf
und sucht andere Synthesen. In Betrachtung der analytischen Aspekte überhaupt, insbesondere eben der Jupiteraspekte, kann man von einem Ansporn zur Genialisierung des Daseins sprechen, selten freilich in diesem Sinne
verspürt, da das Gesetz der Trägheit beim Durchschnitt der
Menschen stärker zu sein scheint. Richtig verstanden jedoch
ergibt sich im Erleben der Konflikte des täglichen Lebens
eine Möglichkeit, über sinnloses Beklagen von Unglück
hinauszuwachsen, etwas gegen das Abstellbare zu tun und
gegenüber Unabänderlichem seine Einstellung zu ändern.
Diesen Sinn der Aspekte soll der astrologische Berater vermitteln und damit etwas geben, was dem durchschnittlichen
249
Anfrager fehlt. Erst dann können auch synthetische Aspekte
als mitbekommene Begünstigungen richtig ausgewertet, die
Spannung in trennender wie in bindender Form als eigentlicher Lebensodem erkannt werden.
Glück wird in vielem gesucht. Wollte man es definieren
als problemloses Zusammentreffen von Trieb und sinnlicher
Erfüllung, so wäre Anette von Droste-Hülshoff arm daran
gewesen mit ihrer Quadratur von Mars und Venus*, auch
George Sand, Heinrich von Kleist, Rodin, Schubert. Doch in
der Alchimie des Herzens verrechnet sich die Glückskomponente anders als beim momentanen Spannungsausgleich
des klassischen Paars der Mythologie. Nehmen wir Bd. III,
S. 317 zur Hand, so finden wir Bereitschaft und Gewalt als
Stichworte. Kleist projizierte dies in zwei Frauengestalten,
Kätchen und Penthesilea. Doch die Spannung zwischen beiden Elementen löst sich in direkter oder übertragener Weise
im Erfassen des Kairos, der glücklichen Minute. Es geht
darum, wieweit das Venusthema des Bereitseins zur Harmonie, auch im Dissonanzerlebnis, vereinigt werden kann
mit dem Marsthema, Einsatz der Aktivität im selektiv richtigen Punkt. Daß dies bei Johann Sebastian Bach oder bei
Hemingway, hinzukommend zu den unter diesem Aspekt
schon Genannten, anders aussieht als bei der Droste, begründet sich in der Verschiedenheit von Individualität und
Zeitalter. Kairos ist das situativ und individuell Besondere
und darum niemals Gleichartige, dies gilt für jeden lebenszeugenden Augenblick.
Könnte Glück nicht einfach ein Leben und Wirken nach
eigenem Gutdünken bis an den Rand des optimal Möglichen
sein? Dergleichen wäre vielleicht überschäumend von einer
Konjunktion des Jupiter mit der Sonne zu erwarten und
Delacroix, Daumier, Toulouse-Lautrec scheinen dem recht
zu geben, schwieriger schon ist die Übertragung ins Ge*
Wie schon im III. Bd. erwähnt, ist bei Anette v. Droste-Hülshoff nicht einmal
der Geburtstag sicher. Nach Mitteilungen des Familienarchivs steht nicht fest, ob sie
am 10., 12. oder 14. Januar geboren wurde, wenngleich auf dem Grabstein in
Meersburg der 12. steht. Doch die Quadratur zwischen Mars und Venus war durchlaufend an den in Betracht kommenden Tagen.
250
dankliche bei Leibniz. Fast unmöglich erscheint es gegenüber den Düsterkeiten eines Kafka anwendbar, wenn wir
bei diesem nicht den Stand der Konjunktion im 12. Felde
beachten, nicht seine unter Negativismen verborgene heimliche Forderung einer „besten aller Welten“ sehen. Sucht
man aber mit dem Maßstab „harmonische und dissonante
Aspekte“ ein ablesbares Resultat, so lege man sich die Frage
vor: waren E. Th. A. Hoffmann, Courbet, Spengler glücklicher als Lessing, Voltaire, Heidegger, Haydn, J. S. Bach,
Albert Schweitzer, Eichendorff, Schelling und andere?
Wieder tritt bei den Zweitgenannten ein Vollendungsstreben
als angelegte Spannung auf (die traditionellen Aussagen
über Heuchelei, Bigotterie usw. bei „schlechten“ Aspekten
prinzipiell richtigstellend), wobei der Wesenskern mehr
zentrale Probleme herausfordert und das Optimum auch
Wohlbeschaffensein des Ganzen, Gerechtigkeit, Primat des
Vernünftigen in Betracht stellt. Beim friedlichen Bürger
heißt es: nicht mehr vom Leben verlangen, als es geben
kann. In Bd. III, S. 263 finden wir Potenz und Ausbreitung
als Stichworte; wieweit die erstere vorhanden, sagt uns keine Konstellation. Auch Impotenz kann sich ausbreiten, wie
wir wissen, und der Aspekt die vulgäre Gleichsetzung von
Glück und Erfolg bestätigen. Bei solchen Niveaufragen wird
verständlich, daß mitunter die Dissonanz mehr hergibt.
Wer wollte fernerhin das Glück des Kämpfers für eine
von ihm hochgeschätzte Sache bestreiten, analog der Verbindung von Mars und Jupiter, für die Bd. III, S. 333 die
Stichworte Leistung und Ertrag angibt? Diesbezüglich finden wir ebenfalls dissonante Spannungen bei Sigmund
Freud, Karl Marx, Nietzsche, Kandinsky, Driesch, Hahnemann, Dacqué, Hindemith, Feininger, Hemingway, Georg
Kaiser, Richard Wagner, Käthe Kollwitz, Madame Curie,
Röntgen, Piccard, Zeppelin und anderen, wobei die durchgesetzte Sache so fragwürdig sein kann wie bei Cesare Borgia. Der gute Kampf verleiht bei dieser Verbindung das
Adelsprädikat. Sie bezeichnet jedenfalls einen anderen
„Glückstypus“ als die Kombination von Mond und Jupiter,
Stichworte Wachstum und Reife (Bd. III, S. 285) oder Jupi251
ter und Neptun, Stichworte Entfaltung und Weite (Bd. III, S.
352), wobei das Glück mehr ein Geschenk, eine tatenlos
zufallende Gnade ist. Unter härtester Kontrolle schließlich
liegt das Glücksverlangen bei der Verbindung von Jupiter
und Saturn, für welche Bd. III, S. 346 die Stichworte Ausdehnung und Zusammenziehung gibt. Damit sind die massivsten Figuren im Schicksalsschach aufs Brett gebracht, am
Ende entdeckt man vielleicht, daß der Spielverlauf interessanter war als Sieg oder Niederlage. Der Schicksalsdruck kann den letzten Aufschwung der Spätjahre unterbinden, wenn nicht Erfahrungen, auch enttäuschende, das
Vertrauenswürdige fester hämmerten; nichts wird einem
von außen geschenkt und mancher baut sich selbst einen
Turm der Prüfung. Unter den Dissonanzen finden wir Hölderlin, Novalis, Shelley, Mombert, Champollion, Montaigne, Grillparzer, Storm, Schubert, Hermann Hesse, Freud,
Driesch; bemerkenswert sind die Konjunktionen bei Dostojewski, Grabbe, Victor Hugo, Lenau, Baudelaire, Nansen,
Flaubert. Wenige synthetische Aspekte wie bei Kepler,
Millet, Marx stehen demgegenüber, symbolisieren aber alles
andere als ein leichtes Schicksal.
Solche Aufzählungen dienen natürlich nicht zur theoretischen Rechtfertigung einer „Trotzdem-Methode“ und
gegenteiligen Wertung. Sie sollen vielmehr zeigen, wie wenig erarbeitetes Glück als erfüllte Selbstverwirklichung sich
deckt mit dem glatten Durchschlängeln der sogenannten
Glückskinder, deren Glück mehr in den neidischen Augen
anderer besteht, während der seelische Wohlstand von der
Glücksfähigkeit abhängt. Diese aber kann sich auch in wenig beneidenswerter Lage äußern und ist keineswegs durch
eine Harmonie der Anlagen gesichert, ja, für höheren Anspruch bildet Dissonanz eine Voraussetzung erworbener
Harmonie. Die substantielle Voraussetzung dafür ist freilich, daß Jupiter tatsächlich als Streben nach dem Guten,
Bestmöglichen, als Symbol für Produktivität und beglükkende Abrundung gelebt wird. Eine damit erreichte Harmonie begleitet dasjenige, was uns Entwicklung heißt. Entwicklung darf geradezu die Harmonisierung gestörten
252
Gleichgewichts genannt werden, nur bedeutet freie Entwicklung eine solche aus innerer Nötigung gegenüber der
zwangsläufigen durch widerwilliges Beheben von äußeren
Notlagen. Daß es Entwicklung gibt, ist vielen selbstverständlich geworden, ihnen scheint, sie mache sich von selbst
ohne innere Anstrengung. Dies verabsolutiert einen menschlichen Urtrieb und die Konsequenz unserer Stellung in der
Natur zur starren Idee. Der Vorgang lebt erst aus den Relationen täglicher Entscheidungen von Individuen. O6 man
Entwicklung als Selbstentfaltung Gottes oder als eine dem
Fortschritt nützliche Fiktion versteht, wichtig ist für den
mitergriffenen Einzelnen, daß sie geschieht und nicht als
Verlegenheitsbegriff zur Tarnung des Wohlbehagens in
Gewohnheiten herhalten muß.
Kosmologisch gesehen stellt sich der Sachverhalt wie
folgt dar. In Hinsicht der saturnalen Reihe entspringt einem
gestörten Gleichgewichtszustand die reaktive Tendenz, das
Gleichgewicht wieder herzustellen. Geschieht dies mit Eingehen auf die Ursachen der Störung, so kommt der Organismus zu verbessernden Maßnahmen. Daß es Verbesserungen sind, liegt wieder in der Äußerungstendenz der
solaren Reihe, die in Reinheit getätigt über die bloße Selbstbehauptung hinausgehend auf solche hinstrebt. Natürlich
muß jeder Vorgang, an welchem somit alle Gegensatzpaare
der Wesenskräfte beteiligt sind, funktionell zustandekommen. Ein Entwicklungsprinzip aber an und für sich zu
setzen, wäre eine abstrakte Konstruktion, unnötig, solange
die Kräfte disponibel sind und nicht ein starres Gleichgewicht eingetreten ist.
Alles Dynamische hat einen Zukunftsaspekt. Wir beschreiben damit das Fortschreiten von einem Zustand zum
anderen. Früheres gilt hierbei als Vorstufe für Nachfolgendes. Entwicklung ist der Extraktbegriff dieses Weiterschreitens, der Verbesserung offen, wenn wir nicht Herauswickelung von Vorgegebenen meinen. Bei fortgeschrittener Individualisierung liegt sie im Beheben des mit dem
Einzelnen geborenen Ungleichgewichts, der Lösung seiner
Problematik in allen Ängsten, Wünschen, Behelfen, den da253
zu nötigen Trieben und ihren Hemmungen. Um aus dieser
Dissonanz zur übergeordneten Harmonie zu finden, das
Glück im Guten, Wahren, Schönen des vollkommenen
Menschen zu erreichen oder wenigstens anzustreben, zeigte
die Kosmogonie der alten Welt einen gestuften Weg. Sieben
Tore hatte das ägyptische Theben, sieben Tore die sumerische Unterwelt, als Inanna sie durchschritt um den geraubten Sohn zu suchen, sieben Götter gebar Urmutter Aiti der
Veden. Die großen Mythen faßten polytheistische Wucherungen in der Siebenzahl zusammen; es sind die Planetensphären, die Ptolemaios im räumlichen Bild gleich Zwiebelschalen um die Erde legte und Dante als Stufen zum
Empyreum pries.
Nach unserer heutigen Kenntnis der Wesenskräfte fassen
wir ihren entwickelnden Gehalt in die Gebote:
Mondstufe =
Verstehe Ungeschick und Mißgriffe als Lernfehler
in deiner Entwicklung, dann bist du nie am Ende;
vertraue dich fühlend dem Leben an und laß
dich von ihm tragen.
Merkurstufe =
Es ist zur Einsicht nie zu spät, nur geschehene
Tatsachen lassen sich nicht mehr ändern,
also gehe vom Gegebenen aus und mache es
bewußt.
Venusstufe =
Schenke mehr Liebe als du glaubst, daß die
Menschen verdienen, denn jeder Maßstab
ist durch Eigenliebe verfälscht.
Sonnenstufe = Nur wer sein eigenes Wesen ganz erfüllt,
kann anderen etwas von Wert geben,
Herz und Gesicht sollen beim Sprecher sein.
Marsstufe =
Besser eine konkrete Wirklichkeit schaffen,
als abstrakt recht zu haben und die Dinge laufen
zu lassen wie du sie vorfindest, aber nicht billigst.
Jupiterstufe =
Jeder befindet sich gleich nahe seinem
Bestmöglichen, strebe es an und dein Leben
hat einen Sinn.
254
Saturnstufe =
Konzentriere Widerstand und Schutz auf dein
Allerheiligstes, dein Templum, dann bleibt auch
die Haut unversehrt.
Uranusstufe = Stürze um, was abbruchreif ist, wisse aber,
was du an dessen Stelle setzen kannst.
Neptunstufe = Möglichkeiten übersteigen Wirklichkeiten,
mache das wertvoll Mögliche wirklich.
Plutostufe =
In allen Dingen steckt maskiert die große
Wandlung, blicke hinter die Masken.
Wer die sieben Wesenskräfte des engeren Bezugssystems
(vgl. Bd. I, S. 60) in derselben Stufenfolge meditativ weckt
und nach außen darlebt, bekommt die innere Kräftestruktur
entwicklungsmäßig zur Verfügung. Das weitere Bezugssystem reiht sich dem an mit der Wendung zur kollektiven
Ganzheit. Die so vergegenwärtigte Elementarordnung des
Aufbaues übersteigt die Entsprechungen der persönlichen
Geburtskonstellation. Wir entheben uns damit der individuellen Bedingtheiten und dringen durch Übung zum unbedingten Seinsgrund vor. Eine solche Kosmologie ist keine
Altertumspflege in der okkulten Nische zur Bewahrung der
Scheu vor Dingen, die unsere Schulweisheit vernachlässigt.
Sie behandelt vielmehr Ordnungen, die jeder an sich und in
seinem Leben erfahren kann, wirkend als Wirklichkeit.
In den Relationen sind wir alle Menschen des Übergangs,
korrelativ jedoch zu einem Absolutum, das uns Richtung
gibt. Wer täuschungsfrei die Bedingungen erkennt, aus dem
Gegebenen das Beste zu machen, wird enttäuschungslos
tun, was er kann. Er vergeudet sich dann nicht in unerfüllbaren Forderungen an die Welt, sondern dient ihr, indem er
seine ureigensten Angelegenheiten in Ordnung bringt. Dies
heißt, akosmische Zufallsbildungen auszumerzen, das Ausgelesene aber erlesen zu machen, so vollkommen als möglich in Bestandglieder seines Mikrokosmos umzuschaffen.
Kosmos ist die einzige Harmonie von Dauer, die Entsprechungen sind entwickelbar, also veränderlich. Freilich geht
mit jedem herausentwickeltem Zug ein anderer verloren.
Das himmlische Lächeln des befriedigten Säuglings kehrt
255
nicht mehr wieder und unaufhörlich könnte François Villon
seine Klage anstimmen: wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr? Doch in der Individualentwicklung wie in der
Menschheitsentwicklung kommt nur zum Vorschein, was
im Kosmos keimhaft angelegt ruht. Die veränderlichen Entsprechungen immer wiederkehrender Prinzipien bilden den
Spielraum unserer Freiheit. Halten wir uns daran, so begreifen wir uns als Glied der fortlaufenden Kette „Manifestation
des Menschen“ und ergreifen mit jedem Glied die ganze
Kette.
Wandlung, Sinn, Selbstgestaltung
Wir alle, gerade wenn wir in Welt und Gesellschaft, geschichtliche Gegenwart hineinpassen, sind ständig der
Wandlung bedürftig. Sonst müßten wir den Zustand, in dem
wir uns befinden, für vollkommen halten. Des Menschen
Eigentliches, sein Vorzug vor den übrigen Lebewesen, ist
die Fähigkeit, nicht nur instinktmäßig sich dem Vorhandenen anzupassen, sondern einen davon abweichenden Sinn,
Aufgaben auf Zukunft hin, zu entdecken und demgemäß
sich zu wandeln. Woraus entspringt dies und wieweit können wir es? Wo steckt die Wurzel, es zu vermögen? Mit
Wandlung meinen wir mehr als bloße Änderung der Tätigkeit, des Schauplatzes, kein Umfunktionieren der Äußerung.
Wir meinen ein grundsätzliches Anderswerden. Was aber
heißt hier grundsätzlich? Können wir uns denn eine völlig
andersartige Wesensstruktur anschaffen?
Dies eben können wir nicht, wohin wir uns auch begeben
und welchen Prozeduren wir uns unterziehen. Hinsichtlich
der Anlagen und deren gleichbleibender Struktur wird aber
jetzt deutlich, weshalb die astrologische Menschenkunde in
jeder Manifestation das Verhältnis von Prinzip und Konkretum, von Symbol und Entsprechung zu bestimmen sucht.
Rekapitulieren wir zum Schluß ihre Hauptthesen.
Ein angeborenes Grundverhältnis der Lebenssymbole
überdauert im individuellen Dasein, die Entsprechungen
256
dieser Symbole sind unendlich wandlungsfähig. Wandlung
einer Persönlichkeit heißt mithin, den grundsätzlichen Bestand des eigenen Wesens aufzuschließen, auf die kosmischen Wurzeln seiner Kraft sich besinnend etwas Neues zu
gestalten. Hieraus entspringt der schöpferische Umschwung
zum Bisherigen.
Dieses der Geburtskonstellation entnommene gegenseitige Verhältnis der Wesenskräfte enthält in Ausdruck und
Richtung gewisse Mehrbetonungen, die wir erst in der Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickeln können. Darin
formt sich der Charakter, bilden sich seine Eigenschaften
aus. Hierbei treten die individuellen Strukturelemente hervor, nach denen sich die Entwicklung der Eigenart vollzieht.
Wir finden die Ordnung dieser Strukturelemente im kreisläufigen System in zwiefacher Form, als Ausdrucksqualitäten und als gegenständliche Richtung der Interessen.
Wandlung ist eine solche im Verhalten zur Welt, der durch
die Auseinandersetzung angeregten, in ihr manifestierten
Umgestaltung von Ausdruck und Richtung, was aber nicht
die Struktur der Wesenskräfte, ihr gegenseitiges Verhältnis,
ändert, sondern je nach der eingenommenen Entwicklungshöhe die Entsprechungen ihres symbolischen Gehalts betrifft. Das Grundsätzliche der Wandlung, die Neuerung und
Umgestaltung, geht aus dem Niveau hervor, das Wandelnde
selbst sind die Kräfte.
Es stehen mithin den äußeren Wandlern (den Planeten, zu
denen geozentrisch auch Sonne und Mond rechnen) die inneren Wurzeln unserer Wandlungsfähigkeit analog. Im
Kosmogramm haben wir ein Gleichnis. Müssen wir auch
das Leben auf der Erde in immerwährendem Konnex mit
den Bewegungen im Sonnensystem denken, so betrifft der
physikalische Anteil, das Energetische, nur Allgemeinwirkungen auf schon geprägte Gestalt. Die individuelle Wesensstruktur ist kein Abdruck der Konstellation. Vielmehr
haben organische Bildekräfte, beim Menschen zur Individualisierung fortgeschritten, sich zu Zeugung und Geburt
zusammengefunden und gemäß der Abschlußkonstellation
des Bildeprozesses strukturell geordnet. Als individuelles
257
Gefüge sind wir Ergebnis vorangegangenen Lebens, sind im
Prinzip zu dem geworden, was analog der Geburtskonstellation zur Erscheinung kommt. In der inneren Konstellation der Kräfte jedoch liegen die Ursprünge des Weiterwerdens.
Hier ist eine Abgrenzung geboten gegen die vulgäre Einflußtheorie. Sie sieht dies Gewordensein in den Gestirnen
begründet, ebenso das Weiterwerden, das sie als Ablauf eines vorbestimmten Schicksals in konkreten Ereignisformen
versteht. Nach dieser Auffassung wäre streng genommen
keine Wandlung aus eigener Kraft möglich, auch keine solche im Schlepptau äußerer Verhältnisse. Solchem Schicksal
gegenüber sind uns keine radikal abändernden Kräfte verfügbar. Höchstens könnte man ihm vom Verstand her entgehen wollen, charakterliche Eigenschaften zu verbessern
trachten, wogegen der Fatalist den Nachweis einer absoluten
Zwangsläufigkeit zu erbringen versucht. Eine gemilderte
Auffassung spricht von Neigung statt von unabwendbarem
Zwang, läßt aber die Änderungsmöglichkeiten im Unklaren,
verwischt die Konsequenz der Einflußtheorie.
Wandlung kann nur aus gewandelter Auffassung der
Sachverhalte begriffen werden, strukturell ist sie vorgeprägt
aber nicht niveaumäßig. Organisch kosmologisch sehen wir
keine fertigen Eigenschaften, sondern Anlagen, keine Ereignisse, sondern Tendenzen des Zeitkontinuums vorbestimmt.
Anlagen sind ausbildbar, Tendenzen steuerbar, schon von
der Umwelt her verändern sich die einkleidenden Entsprechungen der angeborenen Struktur. Freiheit oder Zwangslauf als abstrakte Fragestellung hebt sich auf im „Sowohl als
Auch“ des Satzes, daß jeder Organismus einen Spielraum
der Existenzbetätigung mit elastischen Grenzen hat. Im
menschlichen Schicksal insbesondere sind die Grenzen
nicht nur durch Zufälligkeiten der Umwelt, sondern durch
Vorgänge der Innenwelt verschiebbar.
Freiwillig verschieben wir zufolge dem Gesetz der Trägheit allerdings die Grenzen selten. Äußere Nötigung aber
wäre unwirksam, erweckte sie nicht eine angeborene, die
258
endogene Problematik. Damit sind wir astrologisch im Bereich der Aspekte, gedeutet als Aufgabestellungen der Innenwelt. Die uns von da fühlbar werdenden Probleme und
vor allem die Konflikte, die Krisen, bilden die Hebel unserer Wandlungsfähigkeit. Mit ihnen treten ja die Kräfte in
akute Beziehung, wir müssen uns entscheiden und so wird
der Anlaß, die äußere Nötigung, gegebenenfalls zum
Sprungbrett der Freiheit. Ob wir springen, steht nicht im
Kosmogramm. Das „so oder so“ in der Handhabung der
Wesenskräfte liegt am selbstbestimmenden Faktor. Wird
eine Wandlung zwar volbracht aus den organisch gesteuerten Bildekräften der Lebensgestalt, erlebt als Seelenkräfte
(wenn uns die Zügel entgleiten, liefern wir uns mechanischem Wirken aus, dann hat der Fatalist recht), so ist sie
doch keine bloße Angelegenheit der Innenwelt. Auch stummes Insichgehen braucht eine vorangegangene Auseinandersetzung mit der Außenwelt. Nur durch diesen Austausch
kommen Ausdrucksqualitäten und gegenständliche Richtungen analog dem kreisläufigen System zustande, aus ihm
sind sie entwickelbar. Je nachdem unsere Anlagestruktur auf
Umwelt hin entworfen ist, sind es ganz bestimmte Personen
und Dinge, die entsprechend den darin verankerten Bedeutungen von außen her die Problematik aufrollen. An ihnen
bringen wir im Maßstab der erreichten Entwicklungshöhe
unseren Vorrat angeborener Verhaltensweisen an.
Bietet uns das umweltlich verflochtene Geschehen die
Gelegenheit zur Wandlung, so bleibt natürlich noch offenes
Problem, ob und woraus sie zustande kommt. Der Ausdruck
„Wurzeln“ trifft auf die Wesenskräfte insofern zu, als sie
wurzelgleich ihre Arbeit im Dunkeln verrichten. „Luftwurzeln“ - in der Symbolik des Pneumas bewußte Ursprünge sind der seltene Ausnahmefall, normalerweise entspringt die
Wandlung unterhalb der Bewußtseinsschwelle. Oft ist dem
Bewußtsein dasjenige was uns grundsätzlich ändert garnicht
zugänglich. Am Verhältnis von „Tierkreiszeichen“ und
„Häusern“ zeigten wir Irrtumsquellen. Die Gebiete gegenständlicher Interessen werden gewöhlich mehr durch den
Verstand bewirtschaftet; er gebietet uns, einen unangeneh259
men Schauplatz zu verlassen, eine unbequeme Person abzuschaffen, die Luft zu wechseln. Solche Richtungsänderung,
anders als die intuitiv aus innerer Notwendigkeit hervorgehende, kann uns eine Wandlung vortäuschen, wobei die
Schwerpunktsverlagerung auf das Gegenständliche schon
ein Schritt zur Depersonalisation ist. Näher den Wesenskräften stehen die Tierkreisprinzipien, doch die konkrete Art
und Weise des Bekundens hängt ab von der Entwicklungshöhe. Es sind Stilformen, aber ihr Gebrauch, der ausgedrückte Gehalt, liegt im Niveau. Gelingt uns darin eine
Änderung, dann kann von eigentlicher Wandlung die Rede
sein, sie ist Niveauverlagerung, unabhängig von auslösenden Personen und Dingen, wenn auch angeregt durch sie.
Daß für eine Wandlung kein bewußtes Wohlmeinen genügt, sondern tatsächlicher Kräftegebrauch in Ausdruck
und Richtung sich erweisen muß, gibt unser Sprichwort zu
bedenken: „der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“. Die weitergelebte Auseinandersetzung mit der
Welt bildet das Kriterium ihrer Echtheit. Personen und Dinge sind Gegenstände der Bewährung wie auch auslösende
Faktoren nochmaliger Wandlungen. Der Kreislauf geht
weiter. In bezug auf das Niveau gibt es Wandlungen aufwärts und abwärts. Für die Auslösung gilt keine gleichmachende Norm. Wer anlagemäßig auf Bezugspersonen
eingestellt ist, kann durch Wetteifer mit anderen Lernenden
(3), durch eine große Liebe (5), durch Lebensgemeinschaft
(7), im Geleit von Vorbildern (9), durch Aussprache mit einem Freund (11), aber auch durch Konfrontation mit sich
allein (1) zur Wandlung kommen. Undurchsichtiger und
weniger akut ist gemeinhin die Auslösung durch Sachwerte,
den anerkannten Wert eines Besitzes (2), des Wurzelbodens
(4), der werkgerechten Arbeitsleistung (6), der transzendentalen Atmosphäre (8), des sozialen Standes in der Welt
(10) oder des Abseitsstehens vom ruhmreichen Posten und
Futterkrippen (12). Die Lebensgebiete werden also Kriterium und Auslöser im Maßstab ihrer Bedeutung, in deren
grundsätzlichem Erfassen sie zum kosmischen Bestand regnen.
260
Ein Berater und Therapeut, der Wandlungen auslösen
will, sollte Anleitungen aus diesen Zusammenhängen geben.
Die astrologische Menschenkunde überwacht die Praxis und
erstellt einen theoretischen Rahmen zur Zusammenfassung
der in der Einleitung unseres Buches gestreiften Methoden,
unter die Selbstbeurteilung des Klienten zu greifen. Damit
gelangen wir zur differenzierten Praxis, die natürlich verarbeitete Theorie voraussetzt. Dem Hilfsbedürftigen hülfe abstrakte Belehrung wenig, er braucht ein Gegenwärtigsein
aller Seelenkräfte des Mitmenschen seines Vertrauens,
(Schweigepflicht des Beraters ist selbstverständlich), zumal
an den schwachen Punkten, braucht die Teilnahme an seiner
Problematik, so, wie sie sich ihm stellt.
Wandelnwollen ist die Triebkraft aller Psychotherapie denn Heilen bedeutet Verwandlung eines Zustandes -, der
Religionen und Lebenslehren. Die praktische Absicht verhält sich dabei zur Theorie wie Predigen zum Forschen. Der
Grundsatz des Vorgehens darf nicht in Frage gestellt werden. Wer auf den Mitmenschen einwirkt, muß dessen gewiß
sein, was für diesen sinnvoll ist. In der Praxis hat man sich
vor allem mit den Widrigkeiten, mit dem „Bösen“ auseinanderzusetzen. Außer dem Gebrauch als negatives Argument einer subjektiven Entscheidung, im übergeordneten
Blickpunkt, ist böse das Nichtganze, das Desintegrierte.
Sich aussondern von etwas, das ganz sein sollte, gilt als
Sünde. Gelingt nach einem kritischen Vorfall, welcher die
Einheitlichkeit der Welt durch seine Penetranz zerriß, die
Eingliederung des daran Erfahrenen, die Reintegration, ist
also das personale Ganze wieder heil, so verschwindet das
Böse von selbst. Dem Spalter ist nur teilheitliche Gewalt
gegeben, das wußten alle großen Religionen.
Sie wußten auch, daß das Böse unabtrennbar zum Leben
und seiner Erneuerung gehört, daß ohne Widersacher kein
Gott bestehen könnte. Die individuellen Erscheinungsformen dessen sind uns angeboren in den analytischen Aspekten, Bahnen des Bewältigenkönnens sind es mit den synthetischen Aspekten. Von da rührt das Gut und Böse der
261
alten Astrologie her. Sie rückte aber den Sachverhalt in ein
falsches Licht, indem sie dem Menschen ein gottgewolltes
Gut und Böse aufstempelte und als Fatum verewigte. Statt
dessen sprechen wir von Anlagen mit der Neigung, sich
vom Wesensganzen auszusondern. Doch das desintegrierte
Ganze, in seinem Ganzseinwollen provoziert, kann gerade
aus dieser Spannung, wenn es an den Gefahrstellen versagte, Alarm schlagen, um aus Mängeln, aufklaffenden Rissen, verschärften Widersprüchen durch erworbene Synthesen zur Wesensharmonie zurückzufinden. Dies, das Vernehmen des Anrufs, steht nicht im Kosmogramm. Als Anreger zur Wandlung kann das Böse zuweilen das potentiell
Gute sein. Der mithilfe seiner Konflikte sich selbst Heilende
ist allerdings kein Heiliger, der Böses im vorhinein vermied.
Insofern gehören, wie naivere Kulturen es sahen, das Böse und Kranke als negative Heiligkeit mit zum sakralen Bezirk. Nur sind sie kein Ziel, sondern Warnzeichen des
Templums im Inneren. Den analytischen Aspekten entspricht die analytische Denkweise, sie spaltet, kann jedoch
ein höheres Bewußtsein des Ganzen stiften. Dies muß in der
Umstülpung gekonnt sein. Unmöglich wäre es, die Zukunft
eines kulturellen Ganzen auf analytische Weise sicher zu
stellen, wie wir es in der Politik immer wieder versuchen;
nur Teilverbesserungen werden damit gelingen. Erinnern
wir uns angesichts unserer heutigen Verstandeskultur an die
Einsicht Kants, daß der Verstand nur bis zum analytisch
Allgemeinen gelangt, die Intuition aber von Ganzen zu den
Teilen denkt. Diese, der urbildliche Verstand, erfaßt den
springenden Punkt, wo der alltägliche Menschenverstand,
der Intellektualismus, ein klug geknüpftes Netz über die
Übel der Gegenwart breitet. Doch scharfes Durchdenken der
Möglichkeiten und Unmöglichkeiten bildet die Voraussetzung für Intuitionen von Rang.
Ein heute viel gebrauchtes Wort für weiterentwickelte
Eigenart, um dessen Klärung sich C. G. Jung sehr bemüht
hat, ist Individuation. Natürlich darf dies nicht mißverstanden werden als Individualismus, so daß man sich um
262
andere nur soweit zu kümmern hätte, als der eigenen Entwicklung dienlich. Die Individuen haben auch darin ihr Eigentümliches, daß sie in verschiedener Weise auf Umwelt
angewiesen und angelegt, ihrer bedürftig und ihr verpflichtet, auf sie entworfen sind. Diese Koordination besonders im
Mitmenschlichen holen Martin Buber und andere in den
Vordergrund, stellen das kommunikative Geschehen zwischen Ich und Du in den Brennpunkt. Noch mehr sehen soziologische Lehren ab von Wünschen, Zielen, Absichten des
Einzelnen. Ihre Betrachtung des Menschen als Exponenten
der Gesellschaftsordnung vernachlässigt allerdings meistens
die Bedeutung des Unbewußten, versteht irrational schlechthin als vernunftswidrig. In allen unterschiedlichen Auffassungen geht es um das Warum und Wohin des Lebens, den
Sinn und Inhalt des Daseins.
Ohne einen neuen Sinn wäre Wandlung inhaltslos. Wenn
sie auch mehr aus unbewußten Kräften des Ganzen zustandekommt, gibt sie, wenn vollzogen, doch ein Zeugnis seiner
Gesamtausrichtung und ist zumindest nachträglich diskutabel. Die genannten Auffassungen differieren im Ansatz der
Frage nach einem gemeinverbindlichen Sinn oder individuell gestellt, dem Sinn meines Lebens. Die organisch kosmologische Blickweise enthält beides in ihrer Gegensatzführung, welche die Ordnung der Kreislaufelemente bestimmt.
Im Aufdecken der Widersprüche und ihrer Überwindung
liegen praktische Aufgaben.
Nennen wir den Sinn des Erdenlebens, die Pole des Gegensatzes verbindend, Entwicklung, so ist das Besondere der
fortschreitenden Vollendung ein individuell zu gehender
Weg. Die einzelnen Schritte geschehen konkret, in jedem
Gegenwartspunkt halten wir ein Glied der ganzen Kette.
Stellten wir abstrakte Regeln und Maßstäbe auf, sehn wir im
Gut und Böse mehr als relative Wendemarken an den Gabelungen dieses Weges, Begriffe die zur richtigen Entscheidung verhelfen sollen, so geraten wir in eine Ideologie. Eine
Ideologie - was wortwörtlich Ideenlehre hieße - entsteht
gewöhnlich dadurch, daß irgendein Gedanke aus einer zu263
sammenhängenden und abgeschlossenen Weltansicht herausgenommen und als Oberbegriff für Folgerungen eingesetzt wird. Dies ergibt das Täuschende einer theoretisch
begründet erscheinenden Praxis. Solche Oberbegriffe, obzwar als unumstößlich hingestellt, leihen aber nur die Perspektiven her, unter welchen die Tatsachen zu betrachten
seien. Folgerungen aus den Tatsachen selbst sind etwas anderes. Deshalb die für den Realisten abschätzige Bedeutung
des Wortes „Ideologie“ als einer weltfremden, wirklichkeitsfernen und deshalb illusionistischen, genau genommen
untauglichen Lehre. Im Sinne solcher Zergliederung von
oben her gibt es religiöse, politische, psychologische Ideologien. Doch der Realist, wenn er Naturwissenschaft betreibt, kann ebensowenig einer Ideologie entraten, indem er
konkrete Tatsachen oder daran gefundene Eigenschaften
unter Oberbegriffe wie kausal und mechanisch, teleologisch,
organismisch einreiht, wenn auch lediglich der Methode des
Vorgehens nach.
Zum Unterschied von Anschauungen über die Schöpfung, was nur ideologisch möglich ist, versucht der organisch kosmologische Weltblick, der die Revision der
Astrologie durchformt, in Elementen des Schöpferischen zu
denken. Dies sind die Bildekräfte der Lebensgestalt, zusammengefaßt die organische Ganzheit bewirkend, im Menschen spezifiziert als Wesenskräfte. Anders als die Begrifflichkeit einer ideologischen Ordnung drücken sie das
Lebensganze durch Symbole im Stellenwert zueinander aus.
Analoges taucht auf in den großen Mythologien, in der
Bildschöpfung jedes Traumes, aber auch, was zur Vorsicht
in den Formulierungen gemahnt, in Wahnphantasien. Wichtig daher die ständige Beobachtung am lebenden Modell, da
die Konstellation eine dem Anthropomorphen enthobene
Kontrolle gestattet.
Die Deutung der individuellen Geburtskonstellation übersetzt ins Bewußtsein, was als gegliedertes Ganzes aus dem
Schoß der Natur hervorging. Dies müssen wir im Beurteilen
der konkreten Selbstverwirklichung immer vor Augen ha264
ben. Die Verwirklichung bedient sich wandelbarer Entsprechungen, durch die ein Mikrokosmos in Erscheinung tritt.
An ihnen ist nun Selbstgestaltung möglich. Es erfolgt eine
Sinngebung des Sinnlosen, wenn der selbstbestimmende
Faktor zu Aufgabe und Entwicklungsziel findet. Indem er,
die Sinnbildhaftigkeit der Entsprechungen erkennend, die
Konkretionen auf ihr Prinzip im Weltzusammenhang zurückführt, stößt er zu höherwertigen Entsprechungen vor.
Trotz Verlust und Zusammenbruch von bisher Erstrebtem,
im abgründigen Schmerz noch vernimmt er den Ruf
Brahmas an den durch Shaktis Tod verwundeten Shiva:
„von Maya verzaubert siehst du nicht, was dir im innersten
Herzen wohnt!“ Der Durchgedrungene wird dessen ansichtig, was der akosmische Blick auf die Dinge entstellt und
verschleiert.
Ob mit oder ohne Kontrolle am Geburtsbild heißt sinnvolle Selbstverwirklichung, Mitte und Umfang seines Wesens in richtiger Proportion zu haben, heißt ferner, Mensch
als individuelles Zeitkontinuum gesehen, der jeweiligen Lebensstufe und ihren Problemen angemessen zu leben. Gestaltung ist zunächst ein Prozeß der Verwirklichung und
Reife des ureigenen Sonderseins im Entworfensein auf Umwelt. Sehn wir die Individualität als Ausschnitt und ungleiche Betonung der kosmischen Elementarordnung, so hat
das Streben nach Vollständigkeit und Harmonie auf diese
Sonderheiten des Kosmogramms einzugehen. Nur wer sich
darin akzeptiert, kann in gesunder Form weiterstreben. Es
verbieten sich aber Tugendlehren, die anlagemäßig schon
Mitbekommenes hinaufloben als stäke darin ein Verdienst,
oder Ideologien, die Anlagen abwerten. Wert hat nur, was
aus Anlagen erworben wurde. In der Fertigprägung von Eigenschaften wirkt die mitmenschliche Korrektur durch
Aufmerksammachen auf Lücken und Mängel und regt an,
auch das individuell Unbetonte zu verwirklichen oder wenigstens anzuerkennen. Diese gestaltende Verwirklichung
bedeutet also keineswegs, seine Anlagen nur so unumschränkt als möglich auszubilden. Sich ausleben heißt noch
265
lange nicht, aus sich leben. Es mag einigermaßen für die erste Lebenshälfte genügen, in der zweiten aber zieht dringlicher die Problemschraube an: was ist meine Rolle als Einzelner in der allgemeinmenschlichen Bestimmung? Vor dieser Kernfrage des humanen Sinns im Dasein versagen, bedeutet Altersrückgang. Zum sinnvollen Altern gehört die
Menschlichkeit, in der jeder Individuationsprozeß ein übergeordnetes Ziel in sich trägt. Mitunter führen uns Träume
oder intuitive Einfälle auf die Spur.
Ein Mann stand vor der Wiederbegegnung mit einer geliebten, ihn einstmals durch Schönheit faszinierenden Frau.
Am Tage zuvor las er einen Bericht über Entdeckungen auf
der Insel Santorin, von der ein Teil infolge Vulkanausbruchs
ins Meer gesunken. Zeugnisse einer alten, unbekannten
Kultur wurden da ausgegraben. Wie lange schon bin ich von
jener Frau getrennt, schoß es ihm dabei durch den Kopf, wer
weiß, was inzwischen alles geschehen ist. In der Nacht
träumte er von einem hochgetürmten Berg häßlicher
Schränke und Koffer, unter denen er einen Tempel begraben
wußte. Die Schränke und Koffer saßen fest und ließen sich
erst entfernen, wenn man sie einzeln aufschloß und leerte.
Dies war eine mühselige Arbeit wegen der rostigen Schlösser und zum Teil fehlenden Schlüssel, an deren Stelle man
andere probieren mußte. Unverzagt aber machte sich der
Mann an die Arbeit, weil er wußte, was darunter verborgen.
Ist es nötig, diesen Traum zu deuten? Wer eine Schönheit
sakraler Art anstrebt, kann auf den sinnlichen Reiz der Jugend verzichten.
Zweifellos gibt es verborgene Ziele, zweifellos Zielverfehlungen. Schon in der Individualisierung des Menschen
liegt der Grund erlebter Unvereinbarkeiten, von einander
abweichender Standpunkte, erbitterter Kämpfe um Mein
und Dein. Das Gutmachen, zu einem Ganzen führen, das
Böse teilheitlicher Blickpunkte aufheben, sie entgiften, erfordert mancherlei Selbstüberwindung. Es verlangt den
Überblick über anstachelndes Entweder-Oder, das davon
ausgeschlossene Dritte in den Blickkreis ziehend. Was theoretisch als logischer Fehler erscheint, kann in der intuitiven
266
Praxis richtiges Ergreifen des Punktes über den Gegensätzen sein. Das Paradoxon der Freiheit setzt auf diesen springenden Punkt und wenn es nicht alle, auch die absurdesten
Möglichkeiten Inbegriffe, höbe es sich selbst auf. Nur der
Irrsinnige vermag autistisch zu leben, ihm wurde mit dem
Zugang zur Außenwelt ein Denken und Handeln außerhalb
seines Zwangslaufs versperrt. Das Anderssein des anderen
nicht anzuerkennen führt zum Automatismus. Dies, wie
pathologische Erscheinungen lehren, sind die internen
Zwangssysteme, meist weniger spürbar als die vielberufenen
sozialen Zwänge. Ihr Anlaß und die vorstellungsmäßige
Einkleidung stammt aus persönlichen Verletzungen, Erfahrungen, die nicht positiv integriert werden konnten; der eigene Konzentrations-Schwerpunkt wurde dem Fremden,
Beängstigenden überantwortet und im internen Zwangssystem schuf sich der Selbstschutz eine künstliche Harmonie,
eine notgedrungen geschlossene Welt, besetzt mit Abwehrsignalen gegen weitere Gefährdung.
Begreifen wir die logistische Gegensätzlichkeit von Freiheit und Zwangslauf als Entsprechung des Solaren und Saturnalen dialektisch, so verlagern wir den allgemeinen Existenzbezug auf die Ebene organischer Wesenskräfte. Im
Zwangssystem des Irrsinns geht die Rechnung immer auf,
weil Nichtintegrierbares vom Bewußtsein ferngehalten wird.
Gesundes Erleben dagegen bedeutet Offenhalten der Gegensatzspannung, Kampf der selbstüberzeugten Seinsmächtigkeit in bedrohter Existenz. Hierbei enthüllt das „Fremde“,
die erfahrbare Außenwelt, eine Zwiegesichtigkeit, mythologisch im Januskopf dargestellt. Das Bild drückt sowohl das
Zwangsläufige von Abwehr- und Schutzhaltungen in der
soeben beschriebenen geschlossenen Welt aus, als auch den
offenen Weltblick mit innerem Zwang einer Gesetzlichkeit,
welche das Nicht-Ich integriert enthält. In der ersten Form
stützt Janus gewordenes Leben behelfsmäßig oder negiert
es, in der zweiten Form bietet er einen Halt für weitergehendes Leben. Die Geltung als „Randelement“ gibt Saturn
diese zwei Gesichter, die auch das Verhältnis zum Schicksal
bestimmen. Das eine, das registrierende Gesicht des Janus
267
blickt ins Vergangene, haftet am Alten, sieht äußere Notwendigkeiten, kettet uns an dic Tradition, impft aber auch
Ermüdungsgifte ein, indem es uns die materielle Schwere
des Erfahrbaren auflastet. Dieser „Hüter der Schwelle“ alter
Mysterien tritt vor der Wandlung auf. Nach der Wandlung,
bei integrierter Erfahrung, zeigt sich das andere, das voraussorgende Gesicht des Janus. Es ist auf Künftiges gerichtet,
plant geistig konstruktiv in der Bedeutung von WASSERMANN gegenüber STEINBOCK, unnachgiebig auf Sicherungen bedacht, das Herantretende dem Strukturnotwendigen unterwerfend.
Wie alle Widersprüche in der Auseinandersetzung mit der
Umwelt löst sich das Freiheit-Zwangslauf-Problem dialektisch, indem wir aus These und Antithese eine Synthese
herausarbeiten. Um uns selbst zu verwirklichen, verlassen
wir die Verinselung des Ichs, werfen dessen Thesen, die
Absichten und apodiktischen Behauptungen, gegen das antithetische Anderssein der Umwelt; das hiervon Annehmbare
fordert Synthese im Erkennen und Handeln heraus, wenn
wir nicht ins pathologische „Ich bleibe Ich“ abwandern
wollen. Auf diese Weise durchlaufen wir Kreis um Kreis
und konfrontierten uns jeweils geändert den eigenen Ausgangsvorstellungen.
Dieser Kreislauf stammt nicht vom Himmel, dem wir die
Abschnitte individueller Mehrbetonungen und das Spektrum
darin eingelagerter Wesenskräfte entnehmen. Was die vulgäre Auffassung äußeren Einwirkungen, „Schicksalsmächten des Tierkreises“ oder „Erdraumfeldern“, zuschreibt,
begründet sich im Urmodell umweltbezogenen Lebens. Das
Hervorgehen aus dem principium individuationis setzt sinngemäß ein Marsprinzip an den Anfang, gegenübergestellt
einem Venusprinzip. Dem Tun und aktiven „Machen“ steht
ein Gewähren, ein passives „Zulassen“ gegenüber. Jeder
Schritt ist durch die Gegensatzverwandtschaften in Stilform
und Bedeutung bedingt, ein Schritt ruft den anderen hervor,
ein in jeder Wendung doppelwertiges Leben und im zeugenden „Kairos“ liegt der Übergang vom Unendlichen zum
268
Endlichen. Was als dieses zur Erscheinung kommt, wird im
fortlaufenden Prozeß jenem wieder anheimgegeben.
Seit je beschäftigt den auf sich selber reflektierten Menschengeist die Frage, wie es möglich sei, täglich ein anderer
zu werden und doch derselbe zu bleiben. Wir beantworten
dies mit dem Gedanken der überdauernden Struktur. Sie läßt
Wandlungen zu in Entsprechungen gleichbleibender Komponenten auf verschiedenem Niveau. Selbstverwirklichung
im Ablauf wird Geschichte. Die Entfaltung des Wesens ist
dabei zugleich Verlarvung im Ereignis. Immer wieder
drängt uns das Leben zu vorher unbekannten Rollen, setzt
uns neue Dinge vor, wirft uns in nicht geplante Situationen.
Verständlich der Wunsch nach Vorherwissen, stimmenden
Orakeln, und ein eigensinniges Streben sucht die weißen
Flecken der Landkarte verschwinden zu machen. Gelänge
die Vorausschau ganz, so würde sie das Abenteuer ausrotten, es lebt ja vom zufällig Herantretenden und nach ihm
giert, wen die bloße Abwicklung vorher gewußter Ereignisse ernüchtert. Im Klima abenteuerlicher Welt wurden die
antiken Priesterorakel von Fall zu Fall gegeben. Sie übertrumpfend behauptete dann die Astrologie ein berechenbares Schicksal, gedacht in vorbestimmten Ereignissen. An so
verhafteten Denkgewohnheiten krankend liegt die ,heutige
Schicksalsforschung noch im argen. Die revidierte Astrologie führt zum Abenteuer des Lebens zurück, sieht es aber
innen. Die Berechenbarkeit von Rhythmen und Tendenzen
ist aufzufassen nach Art von Strömungsgesetzen, wobei das
Gewordene das Werdende bedingt. Äußere Umstände modulieren die Verwirklichung, dem Betroffenen verbleibt im
Entscheidungsfall eine gewisse Wahl des künftigen Strombettes.
Die rechnerische Aufschlüsselung und Kombination der
Zeitfaktoren - progressiver Horoskope, direktionaler und
transitärer Tendenzen - bedarf einer gesonderten Darstellung. Damit würde die Selbstverwirklichung als Prozeß,
das phasenmäßig individuell gegliederte Kontinuum, rational durchleuchtet. Berechenbar ist so eine determinierte
Zeitgestalt als Ablaufsschema des autonomen Willens zum
269
Dasein, der darin seinen Spielraum zu erweitern sucht. Für
heutige Computergläubigkeit wäre allerdings ein starrer
Schicksalsautomat, der fertige Ereignisse ausspeit, bequemer denkbar. Mechanistisches Denken läuft strenger nach
logischen Regeln, ihm zufolge macht die Natur keine
Sprünge und besteht keine schöpferische Möglichkeit, mithin auch keine Selbstgestaltung. Um etwas wie einen Spielraum mit elastischen Grenzen zu verstehen, dürfen wir uns
nicht „hier“ einen so oder so beschaffenen Charakter vorstellen, der „dann und dort“, wie es zufällig kommt oder
notwendig vorbestimmt ist, diese oder jene Züge offenbart.
Dies schlösse organische Reife und eigentliche Wandlung
aus. Vielmehr treten Wesenskräfte zu einer anlagemäßigen
Struktur zusammen, drängen in diesem Rahmen mit wechselnden Überblendungen weiter, und diese schöpferische
Wirklichkeit geschieht nicht im sozial leeren Raum, sondern
ist Teilprozeß kollektiver Entwicklungen. Berechenbar sind
Knotenpunkte, die Alternativen stellen, also Entscheidungen
herausfordern. Unberechenbar ist deren Ausfall. Hier nämlich greift der selbstbestimmende Faktor ein und wählt dem
Entwicklungsstand angemessene Entsprechungen. Gegebenenfalls können wir Wahrscheinlichkeiten abschätzen. An
der Oberfläche sind die Ereignisse Produkte aus Umständen
und intellektueller Entscheidung, in der Tiefe gehen sie aus
Manipulationen des Unbewußten in seinen vielen Schichten
hervor. Was wir Strukturzwang nannten, betrifft diese dem
Bewußtsein verborgene Seite des Wesens, die in der „Anziehung des Bezüglichen“ von außen her uns nötigt, so zu
werden, wie wir dem Entwurf nach werden können und sollen. Ob wir diese Nötigung verstehen und meistern, liegt bei
uns.
270
Das neue Menschenbild der revidierten Astrologie
Zeitgenossen, die positiv zur Astrologie stehen, ohne tiefer in ihr Wesen eingedrungen zu sein, genügen sich meist
an der Konzession, man müsse das Horoskop in unser Menschenbild einbeziehen. Das heißt also, daß wir Charakter
und Verhalten des Menschen in der Hauptsache schon mit
gebräuchlichen Mitteln verstünden; zusätzlich mag dann
etwas hinzukommen, was die Astrologie - auf den heutigen
Stand der Forschung gebracht - zu sagen habe. Denkgewohnheiten sind mächtig. Es handelt sich nach dieser Auffassung um eine Fortsetzung von bisher Bekanntem in das
Unbekannte hinein, eine Art von kosmischer Umwelttheorie.
Was dagegen die revidierte Astrologie, aus ihren Grundlagen begriffen, bringt, ist eine völlig neue Konzeption des
Menschen. Hierin wird sie zum Diskussionspunkt des geistigen Umbruchs unserer Gegenwart.
Wohl kaum ein Mitlebender nimmt die Gegenwart als
unproblematisch hin. Er entdeckt eine Menge von Übelständen. Ist von den Ursachen die Rede, so werden Ichsucht,
Materialismus, Machtstreben, anwachsende Aggressivität
und anderes genannt, dem man moralisch beizukommen
sucht. Die Ergebnislosigkeit solcher Bemühungen rührt aber
nicht zuletzt daher, daß die gerügten Übelstände oft die
gleiche Wurzel haben wie die vielgepriesenen Errungenschaften der Neuzeit. Wir können konkret verschiedenartige und verschiedenwertige Erscheinungen als symptomatisch für eine bestimmte Denkweise betrachten. Obzwar
entgöttert und in Religionsfragen nihilistisch, ist es doch
keine glaubenslose Zeit, in der wir leben. Allerdings vertauschen sich alle paar Jahre die Stichworte dafür, und dies ist
nicht nur der Schnellebigkeit anzurechnen, sondern Ausdruck einer Krise. Die meisten glauben und hoffen, daß es
vorwärts gehen wird, wissen nur nicht wie, aber keineswegs
herrscht mehr der unbedingte Fortschrittsglaube wie wenige
Jahrzehnte zuvor, als zu hoffen schien, daß man damit dem
Menschen helfen und sein Leben verbessern könne. Nur
271
Aufklärungsfanatiker, Fachwissenschaftler mit Scheuklappen, Unternehmer absatzfähiger Güter und Technokraten geben sich unentwegt fortschrittsgläubig, um an ihrer
Produktionsweise festzuhalten. In menschlichen Angelegenheiten gehen wir durch einen ausgeholzten Forst - die
von früheren Tabus gereinigte Gesellschaftsmeinung -, befinden uns aber in einem Urwald offener Fragen. Es bewahrheitet sich, was Adalbert Stifter bereits im vorigen
Jahrhundert vorhersagte, daß der Gewinn des Fortschritts
zum Eigentum einzelner würde; was aber an Menschlichkeit
verloren ginge, verlören alle.
Unserer Zivilisation liegt eine rein lineare Denkweise zugrunde, eine unendliche Gerade, in der das Spätere schlechthin Folge von Früherem und nichts weiter ist.
Zugegebenermaßen gibt es Irrwege, doch abgesehen von
solchen „Sackgassen der Entwicklung“ bewirken ständige
Verbesserungen im kleinen den Vorwärtsgang im großen,
sagt man. Der Mensch, fortschreitend die Dinge rationeller
gestaltend, ernennt sich in Selbstvergottung zum Herren der
Natur. Der hierauf abgestimmten Phrasen gibt es viele:
„Stillstand ist Rückschritt“, „Wissen ist Macht“ usw. Die
neuesten Atombrüter sollen diese Herrschaft dokumentieren. Wer die geradlinig vorschwebenden Ziele verfehlt,
kann daraus lernen, wie er es ein andermal besser macht.
Lernt er nicht, dann bleibt er auf der Strecke. Die Überlebenden gehen vorwärts. Schreitet man logisch voran, von
gegebenen Prämissen zu klaren Schlußfolgerungen, so kann
es gar nicht anders sein, meint man, denn da die Prämissen,
die Vordersätze der Logik, durch Wissensanreicherung immer richtiger werden, müssen auch die darauf fußenden Absichten unfehlbar besser sein. Aus dieser Denkweise entsteht ein Menschenbild, das zwischen Anfang und Ende des
persönlichen Lebens auf Leistung gestellt ist - und das bedeutet Rivalität, denn es tobt der Ausscheidungskampf von
Gleichstrebenden. „Krieg aller gegen alle“ verkündete Hobbes am Beginn der Neuzeit. Die eingangs genannten vermeintlichen Ursachen der Übelstände enthüllen sich als
Symptome einer fortschrittsbesessenen Wirklichkeit, als
272
Anreize mit der Zuversicht, auf dem eingeschlagenen Wege
besser vorwärts zu kommen zum Wohle der Menschheit.
Astrologen sollten hellhörig sein dafür, daß die Gerade
nicht das einzig gültige Denkmodell abgibt. Sie haben im
Tierkreis ein Mandala alter Kulturen, einer zyklischen
Denkweise, zu hüten. Abgesehen vom Inhalt, der weltanschaulichen Bedeutung dieses Symbols, ist ein Denkmodell
nicht nur wichtig für den Stil des Denkens, sondern für die
gesamte Einstellung zur Welt. Was im Kreis sich gegenüber
liegt, bezeichnet keine sich ausschließenden Gegensätze,
sondern polaristische Aufrundung einer Einseitigkeit. Denken wir in Zyklen als einer sich wiederholenden Abfolge
von Stufen, deren eine aus der anderen hervorgeht und die
sich zu einem Ganzen zusammenschließen, als Ablauf, worin jede Phase zum Ausgangspunkt zurückstrebt, so kann
das Frühere in einem Zyklus gar wohl die Folge von Späterem in einem vorangegangenen Zyklus sein. An „frühere“
und „spätere“ Zeichen im Tierkreis gedacht: welche Urteile
ich gemäß dem geistig beweglichen Zeichen ZWILLINGE
abgebe, hängt daran, wie ich entsprechend der SKORPIONStufe in vorangegangenen Kreisläufen negative Erfahrungen
seelisch verarbeitet und in positive Stellungnahmen umgemünzt habe. Es kann mir dabei auch die Überwinderkraft
von Vorfahren zugute kommen. Dergleichen ist aber nur
dann unstreitbar der Fall, wenn die Urteilsform nicht von
Einflußzonen am Himmel (den „Sternbildern“) herstammt
und mechanisch bewirkt wird, sondern der Kreis ein Zusammenschluß organischer Prinzipien existentiell wichtiger
Verhaltensweisen ist, die sich im Auseinandersetzen mit den
Dingen der Welt verändern können. So die Auffassung der
revidierten Astrologie.
Tierkreisprinzipien sind gestufte Formen der Auseinandersetzung des Organismus mit seiner Umwelt. Von Auseinandersetzung kann die Rede sein, wenn Erfahrungen
gegebenenfalls das Verhalten ändern in der Tendenz, es zu
verbessern. Für das Ergebnis bei ZWILLINGE ist demnach
mit ausschlaggebend, wie und mit welcher Gründlichkeit
das zweiflerische Prinzip SKORPION in der Vergangenheit
273
an die Objekte herangetragen wurde: abfällig, herunterreißend, indem einem Zerstörungstrieb nachgegeben wurde,
oder Erkenntnis suchend, indem das zweiflerische Vorgehen
tiefer schürfend zum Grund der Erscheinungen vordrang,
lediglich Unhaltbares und Ungesundes ausmerzend.
Während im Leben als gerade Strecke verstanden der Tod
das befürchtete Ende ist, der Stillstand der Leistungsmaschine, läßt das Kreislaufdenken ein „Stirb und Werde“ zu - die
Umpolung der organischen Zeit -, Regeneration, Wiederholungswert. Dasjenige nämlich, was geradlinig gedacht nur
Verbrauch, Ermüdung, Sinken der Lebensenergie, Entkräftung brächte, wurde aufgearbeitet zu wiedergewonnener Befähigung, zur Voraussetzung eines neuen Anfangs. Dies ist
etwas spezifisch Organisches, das uns kein Mechanismus
erklärt, von praktischem Wert für die astrologische Deutung: Wenn zwei mit gleicher Geburtskonstellation schicksalhafte Enttäuschungen einheimsen, wird der eine niedergeschlagen die Hände in den Schoß legen, der andere die
Tatsache akzeptieren und zu einem Neubeginn finden. Der
Fatalist sagt: dies hat er ja aus dem Horoskop! Er leugnet
das Selbstgeschaffene, weil er nur Determinationen sehen
will und verwechselt dadurch das sich regenerierende und
weiterschaffende Leben mit dem mechanischen Ablauf.
Starre Deutungsregeln, die das lebendige Handeln von
der Gestirnstellung ableiten wollen, sind als verfängliche
Vorprogrammierungen und im prognostischen Fall einen
„Erfüllungszwang“ setzend lebensfeindlich. Eine die organische Wandlungsfähigkeit beobachtende Astrologie bleibt
hingegen elastisch, ihre Aussagen meinen abwandelbare
Entsprechungen fest bleibender Prinzipien. Im Kosmogramm finden wir abwandelbare Anlagen, die als Niederschlag einer Erbvergangenheit betrachtet werden können.
Wir wissen aus diesen Anlagenprinzipien nicht, welchen
Gebrauch der Erbe dieser Vergangenheit von den ihm verliehenen Gaben in der Fertigprägung zu Eigenschaften
macht. Wir wissen mit anderen Worten gesagt nicht, welche
Entsprechungen die Selbstverwirklichung des Menschen in
seinem Werdegang durchläuft und zu welchen seine Ent274
scheidung sich wendet. Unbekannt ist uns schon die erbmäßig vorauszusetzende Entwicklungshöhe und wie die Verwirklichung durch Umwelteinflüsse modifiziert wurde. Dies
erfahren wir erst durch eine der Deutung vorausgehende
Anamnese. Der Vulgärastrologe hingegen glaubt, in der
Handhabung schematischer Regeln alles und jedes der Konstellation entnehmen zu können.
So wird das „Ungenaue“, richtiger Symbolhafte der astrologischen Aussagen, die aus einer Blinddiagnose (Meßbild
ohne Anamnese) möglich sind, verständlich. SKORPION
zum Beispiel ist ein Zeichen der Krisis im Sozialverhalten
mit ungewissem Ausgang; es gibt darunter sowohl Ausbrüche extremer Ichsucht, von Sadismen, Zerstörungslust, des
Abschneidens organischer Bindungen, als auch der Selbstaufopferung, der Askese oder des tätigen Wirkens zu Gunsten anderer mit Zurücksetzung der eigenen Person. Mancher ist ambivalent und pendelt zwischen beidem. Niveaumäßig steht der Mensch bei jedem Tierkreisprinzip an einer
Wasserscheide, die Entscheidung und das Gefälle gibt kein
Horoskop an. Welche Seite er wählt, liegt bei ihm, auch
wenn es Begünstigungen dahin oder dorthin gibt. Der Tierkreis ist kein Auskunftskatalog äußerer Endprodukte, sondern ein zyklisches Denkmodell innerer Vorgänge, wobei
eines aus dem anderen folgt.
Zum Verhalten bei SKORPION - das vorausgehende
Prinzip in Rechnung gestellt - ist etwa ausschlaggebend,
wieweit das kontaktnehmende Zeichen WAAGE gelebt
wurde als Vereinbarung mit dem Anderssein des anderen.
Der Weitergang vom SKORPION-Prinzip liegt dann bei
SCHÜTZE im Ansteuern überpersönlicher Ziele, in denen
sich Verschiedenheiten zusammenfassen, aus Zweifel umschlagend in Glauben. Die Überspitzung des Freiheitsimpulses im bejahenden Wollen weicht sodann bei STEINBOCK der abwartenden Geduld gemäß der Tatsachenlage
und ihrem Gesetz, das Fordernde schlägt um in Sach-Erfüllung, die bei WASSERMANN Breite und ideale Höhe erlangt, zu System und Ritual allgemeingültigen Verhaltens
wird, bevor in FISCHE das Ablassen von allem Ichbezoge275
nen möglich ist. Im Umsatz gemachter Erfahrung oder primitivem Wiederanfang beginnt mit WIDDER der neue
Kreis, sei es durch subjektiven Tatimpuls, sei es in ethischer
Verpflichtetheit des Jetzt und Hier im persönlichen Daseinsanspruch.
Nur das Anlageprinzip steht fest. Wenn die vulgäre Deutungsweise niveaubedingte Erscheinungen in ihre Regeln
aufnimmt, von guten und bösen Zeichen oder Aspekten oder
gar bei Planeten von Wohltätern und Übeltätern spricht, läßt
sie außer acht, daß Eigenschaften erst geprägt und Tugenden aus Angelegtem erworben sein wollen. Dies sind „Entsprechungen“ des im Kosmogramm niedergelegten Gefüges, und Höherentwicklung ist die „spiralige Tendenz“ bei
der Wiederkehr des Prinzipiellen.
Kreis und Kreis bedeutet nicht dasselbe. Betrachten wir
mit hausbackenem Verstand einen fertig gezogenen Kreis
als stationäres Gebilde, dann betrifft er das so oder so Vorfindliche. In ideologischer Verwendung kann er etwas
„Ewiggültiges“ meinen, mit variablen Gegenübersetzungen
beschriftet, die Inhalte brauchten wir nur abzulesen. Auf
solche Weise betrachten viele Astrologen den Tierkreis und
bedienen sich seiner als Aussageschema. Dies ist nicht der
dynamische Kreis, der Ablauf im Werden und Vergehen,
Sein und Nichtsein, der Lebenskreis. Im Leben treffen keine
endgültigen Formulierungen zu. Leben heißt Verwandlung,
das Prinzip ist genau, das Konkretum fließend.
Wer vermöchte stets aus dem Verhaltensprinzip das Genie vom Irrsinnigen zu unterscheiden, wo haben wir astrologisch das sichere Merkmal für einen Heiligen oder einen
Verbrecher? Ist die freie Entscheidungswahl nur eine psychische Selbsttäuschung, wie die Fatalisten behaupten?
Greifen wir noch einmal SKORPION auf: wer kann bei
starker Besetzung dieses Zeichens sagen, ob es einen ausbeuterischen Menschenverächter, einen aggressiven Störenfried und Zyniker oder einen opferbereiten Sendboten
höherer Mission darstellt? Wer dies aus „guten“ oder „bösen“ Aspekten herauslesen will: weiß er nicht, daß kräftige
Konflikte oft die Voraussetzung seelischer Neugeburt sind?
276
Gemeinsam ist beim Auftauchen dieses Prinzips höchstens,
daß es zu mehr oder minder radikaler Umwertung der Werte
treibt, wofür erlittene Unvollkommenheiten nötig waren.
Entwicklungshöhe und Methode sind aber verschieden: der
eine wühlt in Negativismen herum, die der andere als „Totengräberei“ verachtet und ein „Trotzdem“ sucht. Dies ist
nicht Sache des Prinzips, das bei SKORPION an Abgründe
heranfährt, sondern der gewählten Entsprechung auf dem
Wege der Selbstverwirklichung.
Blind gegen diesen Umstand erfand man eine Einteilung
nach gut und schlecht, die gerade bei selbstverantwortlichen
Menschen daneben trifft. Die sogenannten bösen Aspekte
haben für den Verantwortlichen einen Aufforderungswert.
Das Problem ist offenbar Kriterium und Höhenstaffelung
des Menschenwürdigen, die nicht im Kosmogramm stehen.
(Ich erinnere an das unbequeme Wort „Aussagegrenze“ in
meinen Büchern). Einsichtigere relativieren das Gut und
Schlecht und stellen die Sache so dar, daß der höher Entwickelte empfänglicher sei für feinere Strahlen desselben
Gestirns, von dem der minder Entwickelte die Grobwirkungen abbekäme. Dabei werden die Verursachen dessen,
was aus dem Horoskop gesagt wird, außen gesucht. Uneinsichtige bleiben bei der fatalistischen Auffassung und behelfen sich bei „Ungerechtigkeiten des Schicksals“ mit der Erklärung aus dem „Karma“. Man denkt sich den Tierkreis als
starres Band von Einflußzonen, symmetrisch abgegrenzter
Stücke als Ursprung menschlicher Qualitäten.
Die Suche nach äußeren Ursachen verträgt sich einigermaßen mit Anschauungen - in psychologischen Gemeinplätzen verbreitet -, welche den Charakter von außen her
bestimmt sehen. Es gibt ja kaum eine moderne Mutter ohne
Schuldgefühle wegen mißratener Kinder, weil behauptet
wird, „antiautoritäre Erziehung“ oder aber „Frustrationen“
verursachen, ob das Kind den neuen sozialen Anforderungen und Umgangsformen angepaßt oder ein rückständiger
Spießbürger sein wird.
Charakter wird nach solchen Anschauungen „gemacht“
und kann durch gezielte Einwirkungen verbessert oder ge277
schädigt werden. Astrologie brächte dann nur eine auf Einflüsse aus dem Weltraum erweiterte Umweltlehre. Manche,
die eine Begründung des Sternglaubens suchen, richten den
Blick hoffnungsvoll auf Ergebnisse der Bioklimatik, als
könnte die weitergehende Forschung das Beibehalten verstaubter Deutungsregeln rechtfertigen. Einige spekulieren
schon: Vielleicht würde man Geburten so steuern lernen,
daß sie unter günstige Konstellationen fallen! Die Lebensgestalten entstehen jedoch von innen heraus und nicht von
außen herein. Es liegt grundsätzlich anders, wenn wir die
organischen Gesetze der Gestaltbildung erforschen oder
wenn wir das natürlich Herangebildete durch Umwelt mitgeprägt sehen. Dies gilt auch für die Anlagestruktur der
menschlichen Individualität. Sie ist nicht Produkt beliebiger
Umweltverhältnisse und gezielter Einwirkungen, sondern
ihre Proportionen entstammen der Eigengesetzlichkeit des
Lebens. In der umweltlichen Beeinflussung verändert sich
das so Gestaltete dann als Antwort auf die Bedingungen,
unter denen sich das Wesensganze verwirklicht.
Wir befinden uns vor einer Antinomie der biologischen
Forschung: einerseits Wachstum und Entwicklung, anderseits bleibende Form. Jede Lebensgestalt ist empirisch eine
fließende, andauernd sich verändernde Bildung, zugleich
aber als Formtypus festgelegt. Derartiges offenbart sich
auch im Wesen des Tierkreises. Dynamisch, als Kreislauf,
stellt er eine Stufenfolge dar, die, abgewandelt nach der organischen Art, prinzipiell in jeder Auseinandersetzung lebender Wesen mit der Welt wiederkehrt. Aus solchen
Stufen sind die Prinzipien menschlichen Verhaltens, die wir
Tierkreiszeichen nennen, zu begreifen. Statisch gedacht, als
Kreisordnung, sehn wir diese Prinzipien in einem bleibenden, streng symmetrischen Verhältnis zueinander. Dieselbe
Antinomie - ordnungshaft übereinstimmend, individuell
mehr gegen den Tierkreis verschoben - finden wir im anderen kreisläufigen System, den sogenannten Häusern, wieder.
Beider Ordnung ergibt sich aus der Kreisgeometrie, der fernerhin die Aspekte gehorchen. Zeichnen wir die letzteren,
die Kräftebeziehungen, als Aspektfigur zusammen, so be278
kommen wir die Gestalt des individuellen Kräftegefüges
und seiner Wirkformen.
Um auf dieser Grundlage das neue Menschenbild der revidierten Astrologie ganz zu begreifen, müssen wir uns erst
darüber klar werden, was eine Antinomie ist: ein Gesetzeswiderstreit, der Widerspruch zweier als These und Antithese gegeneinander gesetzter Grundbegriffe. Problem ist,
wie sie zusammengehen, ihre Synthese. Die Astrologie stellt
uns vor die Frage, wie der individuelle Mensch, wo er geht
und steht und was immer er tut, zu vereinbaren sei mit einem zusammenhaltenden, also irgendwie geordneten Ganzen der Welt, dem Kosmos. Dem Einwand Kants, daß das
Weltganze uns empirisch ja nicht gegeben, sondern nur eine
Idee sei, wird begegnet, indem wir als konkrete Ganzheit pars pro toto - das Sonnensystem, dem die astrologischen
Messungsdaten entnommen sind, einsetzen. Die Astrologie
zeigt nun das Menschenindividuum in seiner angeborenen
Ordnung, exakt dem Verhältnis der Erde zum übergreifenden Ganzen entnommen, und hat die im empirischen Leben
eintretende Veränderung der konkreten Verwirklichung dieser Ordnungskonstanten zu begreifen, Sie muß bei jedem
Menschen zur Synthese gelangen, die vernunftmäßige Einheit zweier an sich unvereinbarer Verstandesbegriffe finden.
Mit dem Dreischritt der Hegelschen Dialektik sind uns in
bezug auf die polaristischen Inhalte des Kosmogramms
methodische Erleichterungen zur Lösung dieser Aufgabe in
die Hand gegeben. Das Hinzutreten gediegener psychologischer Kenntnisse läßt psychische Wandlungen, Sublimationen, Äußerungen des Unbewußten und dergleichen verstehen. Hauptbeachtung verdient der biologische Unterbau,
sofern wir die gestaltschöpferischen Kräfte ins Blickfeld
nehmen.
Obzwar wir physikalisch in ständigem Konnex mit außerirdischen Vorgängen leben, dürfen wir nicht - gleich der
Einflußtheorie - physikalischen Ursachen zuschreiben, was
aus dem astrologischen Meßbild deutbar ist. Alle deutbaren
Erscheinungen sind Lebensvorgänge und charakterliche
Haltungen. Da die Erde, der Lebensschauplatz, ein mit279
bewegtes Glied des uns umgreifenden Ganzen, des Sonnensystems, ist, nehmen wir eine elementare Einordnung in
dieses an. Dies bedeutet gegenüber der Einflußtheorie - und
damit auch der fatalistischen Auffassung - eine Schwenkung
um 180 Grad: die Elemente der Deutung sind Elemente der
Lebensgestaltung. Für die Fortpflanzungszeiten einer Reihe
von Lebewesen, hauptsächlich niederer Meerestiere, bestätigt sich eine kosmische Einordnung über die Gattungsinstinkte. Ziehen wir in Betracht, daß bei ihnen der Arttypus
sich fortpflanzt, hingegen der Mensch, bei dem die Zeugungen und Geburten über das ganze Jahr verteilt liegen, sich
als Individualität von allen anderen uns bekannten Lebewesen durch eine persönliche Anlagestruktur abhebt, so fragt
sich, ob darin die kosmische Einpassung der menschlichen
Fortpflanzung zum Ausdruck kommt. Die Astrologie erhält
mit der sie bejahenden Hypothese, durch welche das Kosmogramm mit dem wahren Charakter und Lebenslauf in
Deckung kommt, ein neues Gesicht.
Wir suchen also die Ursachen astrologischer Erscheinungen nicht in den Sternen, sondern in der Lebenserneuerung.
Indem wir die astrologischen Deutungselemente als die eigentlichen Kategorien des Organischen erkennen, werden
uns die gestaltschöpferischen Fähigkeiten auch im Menschen bewußt. Die determinierte Durchführung - die
Zwangsläufigkeiten im Horoskop, auf die gemeinhin so viel
Wert gelegt wird - haben dem Lebendigen gegenüber dieselbe Rangordnung, wie physikalische und chemische Gesetze beim Zustandekommen der organischen Gestalt.
Es ergibt sich ein neues Menschenbild sowohl gegenüber
der sterngläubigen, schicksalsgeängsteten Kreatur der alten
Astrologie, als auch dem kausalistisch-linear denkenden,
fortschrittsgläubigen Menschen der Jetztzeit. Mein Charakter wurde nicht von oben her bestimmt, durch Sterne aufgezeigt, wurde weder durch Erziehung und andere Umweltwirkungen „gemacht“, noch ist er lediglich „herausgemendeltes Erbe“. Was ich bin, ist überhaupt nicht durch etwas
meiner einmaligen Wesenheit absolut Fremdes determiniert,
vielmehr verfügt meine Entität, das Organisationszentrum
280
der mich mitbestimmenden Determinationen, über gestaltschöpferische Überschüsse - den selbstbestimmenden Faktor - worin ich mich eigenverantwortlich darlebe. Dies geschieht allerdings aufgrund einer angeborenen Struktur dem
im Kosmogramm niedergelegten Baugesetz, das die Einzelheiten als Strukturglieder enthält -, in welcher vorgeburtliche gestaltbildende Tendenzen zu einer mir eigentümlichen Ordnung zusammengefaßt sind. Determinationen aus
Erbe und Umwelt kleiden in Form von Entsprechungen dies
Individualgefüge ein. Dies mag, wie alles zur Erscheinung
kommende, als „trügerischer Schein“ beurteilt werden. Das
Wort „phaino“, von dem sich unser „Phänomen“ ableitet,
setzt etwas zugrunde liegendes voraus, das ans Licht gebracht werden, zum Vorschein kommen kann. Dies ist die
verborgene Ordnung unserer Gedanken, Gefühle und Taten.
Als Zusammenbau der in Planetenaspekten dargestellten
Kräftebeziehungen hat diese Ordnung eine bestimmte Gestalt, worin die Anlagen sich als zusammenhängende eingeborene Problematik erweisen. In ihrer Lösbarkeit liegen
unbewußt ansetzende Aufgaben der Selbstverwirklichung.
Beachten wir: das individuelle Wesensgefüge ist unterhalb der geistigen und seelischen Schicht beheimatet. Zum
„Sobeschaffensein“, der eingeborenen Problematik, gehören
außerdem gewisse äußere Ereignistendenzen, die zu gegebener organischer Zeit - in Rhythmen und Lebensphasen gedacht - sich nach dem Prinzip der „gegenseitigen Anziehung
des Bezüglichen“ verwirklichen. Verwirklicht nennen wir
sie gemeinhin „schicksalhafte Ereignisse“, haben jedoch zu
unterscheiden zwischen individuellem und kollektivem
Schicksal; letzteres kann im Kosmogramm nicht angezeigt
sein.
Wir kommen mit einem Wort gesagt keineswegs als „unbeschriebenes Blatt“ zur Welt. Unsere Individualstruktur ist
analog dem Kosmogramm der großen Ordnung, die für den
Schauplatz des Erdenlebens gilt, eingefügt. Finden wir zur
Identität, dann mit einem Ausschnitt aus dieser Ordnung.
Die Mittlerstellung des Kosmogramms zwischen Erbe und
Umwelt zeigt uns zum Teil determiniert in der persönlichen
281
Existenz, aber auch entworfen auf eine bestimmte Haltung
zur und Rolle in der menschlichen Gemeinschaft. All diese
Determinationen legen aber nicht unsere Entscheidungen
fest, es sind eingrenzende Spielregeln unserer Souveränität:
Ziel und Leitlinie stehen uns frei.
Blicken wir auf die äußeren Formen der heutigen Gegenwart, so scheint dies neue Menschenbild unzeitgemäß zu
sein. Unbegreiflich ist es gewiß der kausalistisch-linearen,
fortschrittsgläubigen Denkweise. Seit der Renaissance
brachte sie unsere Wissenschaft und Technik hoch aufgrund
der Bevorzugung des Quantitativen, der Scheidung in ausgedehnte und denkbare Substanz, der experimentellen Methoden und allgültig behaupteter Urteile aus Resultaten
empirischer Messungen, unter Zurückstellung der Fragen
nach Sinn und Zusammenhang des Wissens und der Eigengesetzlichkeit des Lebens. Geschichtlich befinden wir uns
vielleicht am Gipfelpunkt einer Epoche, die uns unerhörte
Entdeckungen und industriellen Aufschwung bescherte,
aber auch den Abfallhaufen brachte.
„Wirf es weg, kauf dir ein neues“, sagt die Konsumgesellschaft von jedem Ding. Die Produktion geht rastlos vorwärts, züchtet bisher unbekannte Bedürfnisse, macht uns
anspruchsvoller. Schon allerdings ertönen Alarmrufe, daß
unser Weiterleben bedroht sei, einerseits durch Rohstoffmangel, anderseits durch verschmutzte Umwelt. Lassen wir
die statistischen Ziffern der benötigten Mineralien und vorhandenen Reserven über den Bevölkerungszuwachs auf der
Erde und die Ernährungsmöglichkeiten auf uns einwirken,
so werden wir überzeugt, daß wir zwangsläufig einer Katastrophe zusteuern. Doch wir produzieren in gleicher Weise
weiter, das Evangelium heißt „Angebot und Nachfrage“.
Wer sich im Getriebe halten will, muß zu intensivieren
trachten. Die Gegenstände des täglichen Gebrauchs absolvieren den Weg von der Erzeugungsstätte zum Abfallplatz,
wo sich Stoffe häufen, die zum Teil von der Natur chemisch
nicht mehr umgewandelt werden können. Kaufte ich früher
etwa Terpentin, ließ ich mir eine geeignete Flasche vom
Drogisten füllen; heute bekomme ich Terpentin fertig abge282
zapft in einer Plastikflasche, die mir nach dem Ausleeren
niemand mehr abnimmt. Was ist dies kleine Beispiel aber
gegenüber dem, wofür das Wort „Einwegflasche“ geprägt
wurde! In der Bundesrepublik werden davon nach überholtem Stand der Dinge jährlich 300 Millionen hergestellt und
weggeworfen; „Rücknahmeflasche“ oder „Pfandflasche“ bei
anderen Getränken ist als Besonderheit vermerkt. Die Herstellung vieler komplizierter Geräte durch Fließbandarbeit,
rationelle Aufteilung der Handgriffe ist billiger als eine Reparatur, so daß wir das Gerät bei Störungen durch ein neues
ersetzen. Hat eine angelieferte Waschmaschine einen Fehler, dann schickt die Firma lieber eine neue, statt einen ausbessernden Mechaniker. Für sich betrachtet hat sie recht, sie
kann das fehlerhafte Stück der Herstellerfirma zurückgeben,
was nach der Reparatur unmöglich wäre. Fehlprodukte und
kaum genützte Sachen - die Werbung sorgt dafür, daß Gebrauch kein völliger Verbrauch werde - kommen auf den
Müllhaufen. In der Wegwerfgesellschaft verliert das Ding
sein eigenes Gesicht, und dies überträgt sich auf die Haltung zum Mitmenschen; manche Psychologen preisen es als
Zeichen jugendlicher Unbekümmertheit.
Alarmierender noch ist es beim Atommüll, entstehend bei
der Gewinnung von Kernenergie, die aus der Energiekrise
herauszuhelfen versprach. Die radioaktiven Stoffe von lebensschädigender Wirkung wurden vorläufig in Salzbergwerken untergebracht, in den USA wurden eigens dafür
Betonbunker gebaut. Da es Jahrhunderte und -tausende dauert, bis diese Stoffe unschädlich sind, liegt in solchen Ablagerungen eine Belastung für kommende Generationen:
Leichtsinnig wird vorausgesetzt, daß es keine verrückte oder
politische Gruppe geben könne, welche den Atommüll zerstörerisch mit der Biospähre in Berührung brächte. Dies zu
einer Zeit, die uns vorführt, wie kleine Terrorgruppen ganze
Staaten in Schach halten!
Wollten wir alle dieser Denkweise entspringenden Inkonsequenzen aufzählen, so würden wir bei gegebenen Bedingungen vor dem Eintreten der Katastrophe nicht fertig.
Die Wirtschaftsführer und Politiker sind sich darüber im
283
klaren, auch sei nicht verkannt, daß neuerdings Bestrebungen zur Wiederverwertung abgelegter Stoffe in Gang
sind. Unter dem Stichwort „recycling“ wird in manchen
Ländern versucht, aus dem Abfall wieder Energie und Rohstoffe zu gewinnen. Ferner gibt es den Meinungsstreit zwischen den Befürwortern „weicher“ und „harter“ Energie und
ihren Methoden. Doch bleibt es bei der Denkweise gradlinig, wie man eine Autobahn durch die Landschaft
zieht -, entsprechender Produktionsart. Ein neuer Industriezweig ist noch keine Denk- und Gesinnungsänderung. Die
Warenproduzenten können nicht aussteigen aus dem Teufelskreis. Wir sagen Teufelskreis, weil er den Kreisläufen
der Natur zuwider läuft. In der Natur gibt es keinen Abfall,
der ungewandelt und ungenutzt liegen bliebe. Alles Hervorgebrachte, wenn abgestorben, geht wieder in den Verzehr
ein. Unser eigener Organismus, sofern gesund, regeneriert
sich auf diese Weise; was ausgeschieden wird als unverwertbar, ist Aufbaustoff für andere Organismen. Die außermenschliche Natur reinigt sich von selbst. Unsere Seele aber
kann bei eingetretenen Schäden nicht neu geliefert werden
wie eine Waschmaschine und hat sich selbst zu „reparieren“. Wir erhalten uns seelisch gesund vermöge einer
Selbstregulation: Unbewußte Natur in uns steuert Vorgänge, arbeitet den „inneren Abfallhaufen“ auf. Gelingt dies
nicht mehr, so tritt der pathologische Fall ein.
Mit unbesonnenen Entäußerungen seines Machtdrangs
durchkreuzt der Mensch, seit er sich zum „Herren“ aufgeworfen hat, die Selbstregulation der Natur. Das Unorganische in unserer Wirtschaft folgt daraus, daß sie, angetrieben
vom Fortschrittsgeist, einseitig an Herstellung und Konsum,
Absatz und Umsatz und nicht an Menschenwürde denkt,
notgedrungen in unserem Gesellschaftssystem denken muß.
Erst in Katastrophennähe aus Weigerungen der „beherrschten Natur“, am Rande der Rohstoff- und Energiereserven,
werden Änderungen in Betracht gezogen.
Auf demselben Geleise läuft eine „Geistindustrie“, deren
Erzeugnisse sich ebenfalls nach Breitenwirkung und Gewinn ausrichten müssen. Man befriedigt das Sensationsbe284
dürfnis, schlägt die Langeweile tot - rasch gelesen, rasch
verdaut, rasch vergessen - mit massivsten Reizungen wird
Sex und Kriminalität gefördert. Der weibliche Körper dient
Illustrierten als Anreizware, bei Einspruch geben die Gerichte dem Verleger recht. Neben der Unterhaltung dominiert der Gemeinplatz „Wissen ist Macht“, ein makabres
Motiv, das zur Ausrottung vieler Arten von Lebewesen verhalf und auch im menschlichen Bereich Leben abtötet,
Schöpferisches ausmerzt. Die Wissenschaft, soweit sie „Betrieb“ ist, kann nicht freigesprochen werden vom Rückgang
des schon Erreichten. Der Wissenschaftsbetrieb unterscheidet sich vom technischen Betrieb nur dadurch, daß er abstrakte Ware liefert, die, von der Technik übernommen,
dann eigene Wege geht. Betrieb ist eine Tätigkeitsform, in
der man nicht über Grundlage, Berechtigung und Sinn des
Tuns nachdenkt, sondern lediglich die herzustellenden
Fakten im Auge hat.
Die von der herrschenden Hektik Ergriffenen huldigen
der Utopie, es ginge unverdrossen so weiter, denn die Welt
reguliere sich von selbst. Unstimmigkeiten würden auf jeden Fall behoben. Die Tiefenpsychologie hat uns gelehrt:
Wenn jemand nicht die Verantwortung für sein Tun übernimmt, pflegt ein infantiler Glaube ihm zum Schein eines
Gleichgewichts zu verhelfen. Doch es ist übertäubte Angst.
Als Symptom mangelnden Grundvertrauens schleicht sie
umher neben sturer Gleichgültigkeit. Der Eigenwert sinkt
wie der Sinn des Tätigseins. Ich brauche nicht die Verflechtung mit dem Fortschritt in den einzelnen Berufen aufzuzählen, um die Entfremdung des Arbeiters vom Werk seiner
Hände zu schildern. Wenn Handarbeit für den Unternehmer
nur Mehrkosten gegenüber maschineller Produktion bedeutet, so braucht er sich über sinkende Arbeitsmoral nicht zu
wundern. Arbeit wird zum teilnahmslos betätigten „Job“.
Auch die Beschäftigung in der Freizeit, die „Hobbies“, die
Urlaube unterliegen geschäftstüchtigem Zugriff. Die von
Massenmedien Belehrten bleiben sich selber das unbekannte
Wesen, wenige Abwehrkräftige ruhen noch in sich.
285
Schuld am zunehmenden Unbehagen kann berechtigterweise nicht allein den Politikern, der Bürokratie, der um
sich greifenden Bestechlichkeit, dem hie und da ausbrechenden Terror zugeschrieben werden. Eine Produktionsweise, in welcher der Arbeiter nur Teile des Fertigprodukts
zu Gesicht bekommt, ein Staat, bei welchem Gleichberechtigung in allgemeinen Wahlen vernebelt, daß das Entscheidende in die Hand weniger Experten gelegt ist, befindet sich
trotz sozialem Wohlstand auf dem Wege zur Sklavengesellschaft.
Was tun? Der Fortschrittsideologie, Sinneseindruck und
Begehrnisse ansprechend, ist nichts so leicht Verständliches
entgegenzusetzen. Keinen Massenstrom kann man aufhalten
außer im Umbiegen der Gesinnung einzelner durch Eröffnen von Einsichten, die alle angehen. Einen großen strukturellen Umbruch aus vernünftigen Überlegungen, die von
Symptomen der Stromrichtung ausgehen, zu erwarten, wäre
illusorisch. Einzelheiten verfeinden. Völliges Aussteigen
aus der Gesellschaft gibt es nicht, auch Einsiedler, asketische Lebensreformer, sind durch sie bedingt. Wir gerieten
in hoffnungslose Kassandrastimmung, würden wir nicht die
heilenden Gegenkräfte bemerken. Daß sie in der Minderheit
sind, tut in Fragen der Lebenserneuerung nichts zur Sache.
Auch Gesundheit steckt an. Bei jedem Auszug zu neuen
geistigen Ufern läuft allerdings Mode und Halbheit mit.
Unter den vielen Versuchen, das Steuer herumzureißen,
tauchte weltanschaulich eine erneute Zuwendung zum
astrologischen Geisteserbe auf. Auch hier Halbheiten, Geschwätz von kosmischer Sehnsucht, Oberflächenbetrieb und
Geschäft, bis zum Manipuliertwerden geistig Stellungsloser
durch Zeitungen. Auf der Gegnerseite erbittertes Sichanklammern an Vorurteile, als ginge es um ein Wiederaufleben der Wahrsagerei. Das tiefere Anliegen unserer Zeit
heißt jedoch Überblick über das Gesamtwissen, sein Sinn
für uns, Verankerung der menschlichen Existenz im Welthintergrund. Der revidierten Astrologie kommt dabei die
Aufgabe zu, die aufgerissene Kluft zwischen Mensch und
Natur geistig zu schließen, indem sie unser Sinnen und
286
Trachten schon im individuellen Ansatz kosmisch eingeordnet zeigt.
Tradition in Ehren, doch nach 350-jährigem Stillstand organisch kosmologischen Denkens - seit Kepler - will jeder
Baustein kritisch geprüft sein, ob und wie er für einen Neubau verwendungsfähig ist.
Eine Revision des astrologischen Gedankens, die diese
beiden Aufgaben übernimmt, wird in Einklang mit dem
heutigen Weltbild stehen oder einen weitergreifenden neuen
Wissenschaftsbegriff begründen müssen. Die schon genannte Schwenkung um 180 Grad gegenüber der Einflußtheorie - Einordnung von Zeugungen und Geburten in die
Umlaufs-Rhythmik des Sonnensystems und die Erdbewegungen - führt bisherige Methoden widerspruchslos fort und
entspricht im Ergebnis den psychologischen Tatbeständen.
Daß die Einordnung ein mathematisch verifizierbares Wesensgefüge der menschlichen Individualität ergibt, setzt vor
allem bezüglich der Winkelverhältnisse - der Aspekte voraus, was Kepler den geometrischen Instinkt nannte. Ist
dies eine dem Lebewesen eingeborene Fähigkeit, so ergeben
sich daraus Anknüpfungspunkte zur Überprüfung der Zahlensymbolik archaischer Weltbilder.
Das kosmisch gegründete Menschenbild unterstützt die
schon immer als erstrebenswert nahegelegte Umstellung
vom Haben zum Sein. Dies erfolgt ohne moralische Argumente aus der Sache. Sie ermöglicht ein „Zu- sich- selberstehen“ sub specie aeternitatis. Nicht der Mensch, der, um
im herrschenden Getriebe zu gelten, dies oder jenes
„braucht“, um etwas zu „sein“, ist angezeigt, sondern derjenige, der mit sich identifiziert sagen kann „ich bin“. Dies in
jeder Lage des Verhaltens zu Anderheiten, jedem Du gegenüber. Dergleichen läuft natürlich den durchschnittlichen Anfragen verquer. Die meisten dem Astrologen gestellten Fragen betreffen gewünschte oder verlorene Dinge, gefühlsmäßig an sich gezogene oder suggestiv dominierende Personen, Vermögen, soziale Stellung, die „zu haben“ oder „nicht
zu haben“ nötig scheint. Genau genommen sind es aber
meistens Deckworte einer geheimen Frage nach den
287
Grundlagen der eigenen Existenz und dem Sinn des individuellen Lebens. Dies hat der Berater - durch oberflächliche
Erwartungen hindurchblickend - aufzuschließen. Der gewissenhafte Astrologe antwortet mit dem, was die angeführten
Personen und Sachen bedeuten. Er kann es, weil nicht
gleichgültige Tatsachen, sondern Bedeutungswerte des individuellen Werdens und Seins im Kosmogramm stehen. Die
mit den Dingen verquickten Probleme sind die Hebel, mit
denen Dunkelheiten des Charakters ans Licht gehoben werden können.
Angesichts des fragenden Menschen reicht die Wissenschaft des lebenden Modells nicht hin, es beginnt die Deutung als Kunst.
288
PERSONENVERZEICHNIS
Adler, Alfred;2;14
Bach, Johann
Sebastian;250;251
Balzac, Honoré;92
Baudelaire;168;252
Beauvoir, Simone de;87
Bergson;208
Bich, H. G.;113
Bismarck;55;60;213
Bohm;1
Borgia, Cesare;251
Brion, Friederike;102
Buber, Martin;263
Büchner, Georg;249
Chagall, Marc;217
Champollion;249;252
Chese, Steven;113
Clausewitz;55
Cocteau;249
Colette;41
Courbet;251
Curie, Madame;251
Dacqué, Edgar;251
Dante;168;254
Daumier;250
de Gaulle;217
Delacroix;250
Dix, Otto;217
Dostojewski;252
Driesch, Hans;
178;179;251;252
Droste-Hülshoff, Anette v.;250
Eichendorff;251
Eisenhower;217
Flaubert;252
Franco;217
Freedman;113
Freud, Sigmund;
II;5;14;68;148;149;174;176;
178;179;181;182;191;243;
251;252
Friedrich II, Kaiser;113
Friedrich, Caspar David;249
Frobenius;73
Gandhi;55
Goethe;28;74;97;102;103;104;
105;106;164;194;209;248;
249
Gogh, Vincent van;
213;217;230
Grabbe;249;252
Grillparzer;49;162;163;164;
165;166;167;209;252
Guyau;249
Hahnemann;251
Haydn;168;251
Hegel;30;46;143;144;161;245
Heraklit;55;138
Hesse, Hermann;252
Himmler;217
Hitler;55;217
Hoffmann, E. Th. A.;251
Hugo, Victor;252
Huizinga;55
Huxley, Aldous;88
Hölderlin;252
Jaspers;193
Jonas;11
Jung, C. G.;
II;5;52;76;81;134;160;166;
167;227;249;262
Kafka;52;251
Kaiser, Georg;251
Kandinsky;251
Kant, Immanuel;
60;208;249;262;279
Kepler, Johannes;
12;152;153;252;287
Kierkegaard, Sören;44;241
Kleist, Heinrich v.;60;250
Koch (Baumzeichentest);1;8
Kokoschka, Oskar;217
289
Kollwitz, Käthe;251
Krueger, Fr.;223
Kubin, Alfred;47;48;49;52;76
König, Otto;117
Leibniz;251
Lenau;252
Lessing;251
Lorenz, Konrad;55
Lüscher (-test);8
Machiavelli;55
Mao-tse-tung;217
Marx, Karl;
174;176;178;179;180;181;
182;251;252
Metternich;55
Millet;252
Mombert;252
Monod, Jacques;237
Montaigne;252
Mozart, W. A.;168;213
Munch, Edvard;47;48;49;51;52
Mussolini;217
Möricke;249
Nansen, Fritjof;252
Napoleon I;125;241
Napoleon III;60
Nero, Kaiser;140;141;178
Neumann, Erich;75
Nietzsche;49;68;158;159;160;
161;162;179;203;209;217;
251
Novalis;179;181;252
Paracelsus;3
Paul, Jean;249
Pergolesi;249
Piccard;251
Piccolomini, Octavio;154
Platen;249
Platon;56
Proust, Marcel;231
Ptolemaios;254
Rimbaud, Arthur;217;249
Robespierre;55;181
Rodin, Auguste;250
Rommel;217
Rorschach (-test);8
Röntgen;251
Sand, George;250
Schelling;249;251
Schiller, Friedrich;97;105
Schindler, Walter;73
Schubert, Franz;250;252
Schumann, Robert;213
Schweitzer, Albert;251
Schönemann, Lili;102
Shelley;252
Simmel;238
Sokrates;144;151
Spengler;251
Spitz, René;45
Stein, Charlotte v.;103;104
Stendhal;92
Storm;252
Strindberg, August;78;213
Szondi (-test);4;8
Thomas, A.;113
Tito;217
Tolstoi;184;246;248;249
Toulouse-Lautrec;250
Turel, A.;174
Tönnies, F.;223
Villon, François;256
Voltaire;49;209;251
Vulpius, Christiane;97;104
Wagner, Richard;160;251
Wallenstein;153;154;178
Wartegg (-test);8
Willemer, Marianne v.;104
Zeno, Gianbattista;154
Zeppelin;251
Zulliger;1
290