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Auf Zeitreise mit dem Rad (Archäologie in Deutschland 04 2024)

2024, Archäologie in Deutschland

"Sportarchäologie - Bei diesem Begriff denkt man wohl zunächst an antike Arenen, Wagenrennen oder das griechische Olympia. Doch was halten Sie von brüchigen Betonfundamenten und rostigen Eisenrohren auf überwucherten Brachlandschaften in der unmittelbaren Nähe?" Der Aufsatz thematisiert anhand des Beispiels ehemaliger Radrennbahnen im nördlichen Rheinland den Umgang mit den Überresten moderner Sportanlagen aus (boden-)denkmalpflegerischer Sicht.

ARCHÄOLOGIE aid- magazin.de NDEUTSCHLANDA Spate Kelten Bevor die Römer kamen € (D) 12,95 GESUNDHEIT IM MITTELALTER Anthropologische Untersuchungen im Kloster Dalheim Seite 8 SALZAUSNORDAFRIKA Traditioneller Bergbau im Hohen Atlas in Marokko Seite 12 SEHNSUCHTSORT WIKINGERZEIT Faszination und Eigenleben einer ungewöhnlichen Kultur Seite 46 Report Sportarchäologie Auf Zeitreise mit dem Rad G aststätten und w aren m eist p er T ram erreich b ar. Ih r au g en fällig stes M erkm al sin d d ie ü b erh ö h ten S teilk u rv en zum H alten h o h er R en n g esch w in d ig k eiten . Sportarchäologie - bei diesem Begriff denkt man wohl zunächst anLKJIHGFEDCBA D ie h ierzu au fg esch ü tteten E rdw älle sind h eu te zum T eil als letzte R elikte in d er antike Arenen, Wagenrennen oder das griechische Olympia. Doch was L andschaft erh alten . G enorm te B ahnlän ­ halten Sie von brüchigen Betonfundamenten und rostigen Eisenrohren gen von 166,6 6, 200, 250, 333,33,400 und auf überwucherten Brachlandschaften in der unmittelbaren Nähe? 500 m erg ab en je nach gefahrenen R unden im m er g an ze K ilom eter. D ie B auausfüh ­ rung v ariierte je nach A nspruch zw ischen Von Jost Mergen einfachen E rd b ah n en , B eton- o d er H olz ­ bahnen. E ine große S itzplatztribüne säum ­ b er eine rätselhafte ovale S truktur, B erliner O lym piade 1936 Z usam m enhän ­ te m eist eine d er L angseiten, w äh ren d die die A rchäologen auf einem digita ­ gen. E ine B estandsaufnahm e im A rbeits ­ um liegenden W älle als günstige S tehplät ­ len G eländem odell identifizierten, gebiet des L V R -A m tes für B odendenkm al ­ ze dienten. U gab eine längst ungültige K atasterkartepflege d er im R heinland erb rach te m eh r als 65 igöoer-Jahre A uskunft: Im S üden d er S tadt ehem alige R adrennbahnen. Idole, Show und Nervenkitzel Mensch und Maschine den ersten S portidolen des 20. Jh., sow ie die A nkündigung sp o rtlich er S tädte- und V iersen am N iederrhein lag einst eine R ad ­ rennbahn. D ie 200 m lange B etonbahn m it D ie V erpflichtung n am h after R ennfahrer, S teilk u rv en von etw a 40° ist h eu te v o ll ­ D as F ahrrad, eine technische E ntw icklung stän d ig von D ickicht und W ald bedeckt. d es In d u striezeitalters, revo lu tio n ierte L änderkäm pfe v ersp rach den B ahnbesit ­ N ur v erein zelt d eu ten B etonbrocken und nicht n u r die individuelle M obilität im letz ­ zern h o h e Z u sch au erein n ah m en . A m eri ­ M etallstangen oberirdisch die E xistenz des ten D rittel des 19. Jh. A ls S p o rtg erät v er ­ kanische F ah rerto u rten durch E uropa und B auw erks an. N äh ere In fo rm atio nen zu k ö rp ert es w ie kaum ein zw eites die V er ­ um gekehrt. S tars w ie d er afro am erik an i ­ D atierung, B au, B etrieb und A ufgabe w a ­ sch m elzu n g von M ensch u n d M aschine. sche S printw eltm eister von 1899, M arshall ren extrem dürftig und schnell w u rd e klar, N ach d en ersten , m eist illegal d u rch g e ­ »M ayor« T ay lo r [1 8 7 8 -1 9 3 2 ] zogen das dass d er B efund selb st b edeu ten d es Q uel ­ fü h rten S traß en ren n en etab lierten sich P ublikum in ih ren B ann. M usikkapellen lenpotenzial als archäologischer F undplatz B ahnrennen als sp ek taku läre und vor al ­ u n d R ah m enp ro g ram m b eg leiteten die besitzt. lem lukrative V eranstaltungen. Im P ariser R ennen, S p eisen u n d G eträn k e stan d en P are de S aint-C loud fand 1868 das erste be ­ zum K aufund auch die B uchm acher m ach ­ k alzeitu ng en und sozialen M edien erg a ­ legte B ah nren n en statt, u n d im letzten ten sicher gute G eschäfte. G roße R ad- und ben, dass die B ahn im Juli 1935 erö ffn et V iertel des 19. Jh. boom te d er B au von R ad ­ R eifenhersteller w arben als S ponsoren m it und bis in die 1 9 4 o er-Jah re vom R ad ­ renn b ah nen in d en u rb an en Z entren sp o rtv erein B litz 02 V iersen g en u tzt w u r ­ E u ro p as u n d N o rd am erik as. D ie erste A usgedehnte R echerchen in alten L o ­ de. N ach kurzzeitiger W iederbenutzung in deutsche R adrennbahn öffnete ih re P for ­ den 1950er-Jahren w u rd e die R ennbahn ten 1880 in M ünchen. b ek an n ten R ennfahrern fü r ihre P ro d u k ­ Im digitalen Gelände­ te. B erü h m t b erüch tigt w u rd en die S echs ­ modell konnte bei Vier­ tag eren n en o d er »six days« im N ew Y or ­ sen eine Radrennbahn entdeckt werden. aufgegeben. D ie vergleichsw eise sp äte E r ­ S trategisch günstig lagen die B ahnen im rich tu n g m ag m it ein er v erstärk ten F ör ­ N aherholungsbereich d er Industriestädte, derung des A m ateursports im V orfeld d er in Z oos, P arks und dem A ußenbereich von A rennbahn sichtbar. 50 AID 4 | 2024 Rechts: Im Gelände sind noch Spuren der Rad­ k er M adison S quare G arden, im B erliner S p o rtp alast und an d eren M etropolen als soziale E vents d er S tadtgesellschaft zw i ­ schen d en W eltkriegen. D och alles h atte seinen P reis: D ie L iste tödlich verunglückter S portler ist lang. B e ­ so n d ers bei den b elieb ten S teherrennen, Profi und Weltklasse­ fahrer Walter Rütt (1883—1964) dreht 1902 Sportstätten als Kulturerbe? d er id en titätsstiften d e A spekt des alteh r ­ A m B eispiel d er R ad ren n b ah n en w ird w ü rd ig en S p ielo rtes so d eu tlich w ie im das P otenzial m o d ern er S p o rtstätten als F ußball, w o d en k m alp fleg erisch e M aß ­ bei denen ein M otorrad den R adfahrer im rauchenden Schloten bislang kaum beachtetes T hem enfeld d er nahm en in d er R egel aus F ankreisen kom ­ W indschatten »zog«, kam es zu schlim m en auf dem Duisburger A rchäologie d er M oderne d eutlich. D ie m en. F unde u n d B efunde au s b ritisch en U nfällen. In B erlin schleuderte 1909 ein sol ­ Sportplatz an der R echerchen zu r V iersener B ahn legten den F ußballstadien u n terstreich en dieses P o ­ d ü rftigen Q u ellen b estan d ex em p larisch tenzial und b ieten spannende E inblicke in cher S chrittm acher ins P ublikum und ging eine Trainingsrunde vor Mercatorstraße. in F lam m en auf. N eun M enschen starb en offen. D ie A nlage selbst ist w ichtigste Q uel ­ die S port- u n d S o zialg esch ich te des In ­ und über 40 w urden teils schw er verletzt. le und rech tfertig t ihren S chutz als einge ­ d u striezeitalters. D och genau dieser N ervenkitzel zog - und trag en es B odendenkm al. V iele S p o rtstät ­ zieht - die M assen m agisch an. D er B ahn ­ ten sind b ereits B au- o d er K u ltu rd en k ­ rad sp o rt ist w ohl als erster R ennsport auf m al. So w ird etw a die F ußballikone des P aris zurück. 190 T eilnehm er w erd en im in tern atio n alem N iveau an zu sehen , d er M ailänder G iuseppe-M eazza-S tadions nun V elodrom e national de S aint-Q uentin-en- sinnbildlich die industrielle M oderne m it doch nicht abgerissen. N irgends zeigt sich Y velines um E delm etall radeln. ■ D ieses Jahr k eh rt d er seit 1896 olym pi ­ sche B ah n rad sp o rt an seinen G eburtsort all ihren A spekten im S port repräsentiert. O bw ohl die ig zo er-Jah re die H ochzeit des S tadionbaus in D eutschland sind und die R ad ren n b ah n nach w ie vor fest zum baulichen K anon eines S portparks g eh ö r ­ te, schw and die P o p u larität d er B ahnren ­ nen zunehm end. N ach dem E rsten W elt ­ krieg w u rd e F ußball in D eutschland zum V olkssport und dom inierte zunehm end die S chlagzeilen. V ergleichsw eise hohe W ar ­ tu n g sk o sten d er B ahnen ren tierten sich, gerade fü r k lein ere A nlagen, n ich t m eh r und sp ätesten s die W eltw irtsch aftsk rise Ansichtskarte eines 1929 setze den R ennveranstaltungen ein Steherrennens um 1910 E nde. E in sp äteres W iederaufleben in den 1 9 3 0 er-Jah ren u n d n ach dem Z w eiten im ehemaligen Barmer Stadion bei Wuppertal, von dem heute nur W eltkrieg erreich te nie w ied er das N iveau noch wenige Überreste des beginnenden Jahrhunderts. A erhalten sind. AID 4 I 2024 51