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Andrea Hampel 50 Jahre Charta von Venedig - aktuell oder veraltet? k 3/2014- 1 Andrea Hampel 50 Jahre Charta von Venedig – aktuell oder veraltet? Ein Blick auf die Arbeit einer kommunalen Denkmalbehörde In der Charta von Venedig aus dem Jahr 1964 sind international anerkannte Richtlinien für die Denkmalpflege formuliert (Vgl. die Fassung in der deutschen Übersetzung von 1989 auf der Grundlage des französischen und englischen Originaltextes. Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, Arbeitsblatt 1). Diese Grundsätze sind als Grundlage in die nationalen Denkmalschutzgesetze eingeflossen. Am Beispiel einer Unteren Denkmalschutzbehörde soll dargestellt werden, inwieweit das Grundsatzpapier im Rahmen einer großstädtischen Denkmalpflege von Bedeutung ist. Denkmalschutz und -pflege in Frankfurt am Main Frankfurt hat als größte Stadt Hessens ein entsprechendes Bauvolumen und steht unter einem hohen Veränderungsdruck (Abb. 1). Gleichzeitig bekennt sich die Stadt ausdrücklich zu Schutz und Pflege ihres Denkmalbestandes (www.denkmalpflege-hessen.de). Die Stadt Frankfurt am Main hat als eine der wenigen Gemeinden in Hessen mit dem Denkmalamt eine Geschäftsstelle der Unteren Denkmalschutzbehörde, die mit spezialisierten Fachleuten besetzt ist. Das Denkmalamt ist im Planungsdezernat als eigenständiges Amt mit 15 Mitarbeitern die Geschäftsstelle der Unteren Denkmalschutzbehörde. Damit liegt die gesamte Exekutive zu Schutz und Pflege der Kulturdenkmale in den Händen der Mitarbeiter des Denkmalamtes. Denkmäler in Frankfurt am Main Im Frankfurter Stadtgebiet, das rund 250 km² umfasst, sind zurzeit rund 8.500 Bau-, Garten- und Kunstdenkmäler bekannt, wovon etwa 4.000 in Gesamtanlagen geschützt sind. Weiterhin kennen wir ca. 1.600 archäologische Denkmäler, die meist oberirdisch unsichtbar sind, sich aber zum Teil über mehrere Hektar Fläche ausdehnen. 152 Objekte, ausschließlich Einzelkulturdenkmale, sind im Stadtgebiet zusätzlich gemäß Haager Konvention geschützt. Alle Denkmalwerte gemäß Artikel 1-3 der Charta sind im Frankfurter Stadtgebiet vorhanden. Denkmallisten und Topografien In Hessen wurde 1969 das letzte große Denkmalinventar erstellt. 1980 wurde als Beschluss der Kultusministerkonferenz die Inventarisation von Kulturdenkmälern und deren Veröffentlichung als Denkmaltopografie Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Der Band Frankfurt am Main erschien als 1. Auflage 1986 als 5. Topografie in Hessen, die 2. überarbeitete Auflage 1990, der Hauptfriedhof als Teilband 1999 und ein grundsätzlicher Ergänzungsband 2000. Danach wurde im Jahr 2005 der Band Eisenbahnen in Hessen, der auch die Objekte auf Frankfurter Gebiet beinhaltet, veröffentlicht und im Jahr 2008 der Teilband Stadtteilfriedhöfe. Ebenfalls bearbeitet sind seit 2012 die Denkmalgattungen «Hochbunker der Stadt Frankfurt am Main» und 2013 «Nachkriegskirchen in Frankfurt am Main 19451976». Erklärtes Ziel des Landesamtes für Denkmalpflege und der Stadt Frankfurt war auch die digitale Bereitstellung der Bau-, Garten- und Kunstdenkmale im landesweiten DenkXweb; dieses Großprojekt konnte im Oktober 2014 vollendet werden. Dadurch stehen alle eingetragenen Kulturdenkmale auch im Internet mit ihren wertgebenden Elementen und in Abbildungen zur Verfügung. Die archäologischen Denkmäler sind im Ortsarchiv erfasst, hier ist der Stand aktuell; eine digitale Bereitstellung dieser Daten ist nicht vorgesehen. Aufgrund der Ausstattung des Denkmalamtes mit Fachpersonal, gilt eine Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Landesamt für Denkmalpflege Hessen, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Stadt Frankfurt. Dadurch wird der Unteren Denkmalschutzbehörde eine abschließende Entscheidungshoheit bei nichtstädtischen Baumaßnahmen gewährt. Es können so die Verfahrenswege und -zeiten zugunsten der Antragsteller und Bürger deutlich verkürzt werden. In allen anderen Fällen muss in den Entscheidungen zwischen der Unteren Denkmalschutzbehörde und der Denkmalfachbehörde, dem Landesamt für Denkmalpflege, das gesetzliche Einvernehmen hergestellt werden. Sollte keine einvernehmliche Stellungnahme Andrea Hampel 50 Jahre Charta von Venedig - aktuell oder veraltet? k 3/2014 - 2 Abb.1: Frankfurter Skyline mit zahlreichen Baukränen (Foto: A. Hampel, Denkmalamt). gefunden werden, so liegt die abschließende Entscheidung beim zuständigen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. In Frankfurt werden jedes Jahr Baumaßnahmen in Milliardenhöhe realisiert. Die städtische Denkmalpflege ist mit denkmalrechtlichen Maßnahmen an Planungen im Wert von jährlich rund 350 Mio Euro beteiligt, d. h. bei rund jedem 5. Bauantrag greift die Denkmalpflege gemäß der Artikel 4-6 der Charta ein. Die Denkmallisten müssen stets aktualisiert und ergänzt werden. Sowohl die wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten als auch die Ansprüche an Denkmalschutz und Denkmalpflege sind einer stetigen Weiterentwicklung unterworfen. Erklärtes Oberziel ist und bleibt der Erhalt der Originalsubstanz im Jetztzustand, Stilreinheit wurde und wird nicht abgestrebt, die Minimierung von Eingriffen steht an erster Stelle, wie es auch in Artikel 7 und 8 der Charta gefordert wird. Grundsätzlich sollen und müssen archäologische Voruntersuchungen und Ausgrabungen auf das notwendige Maß beschränkt werden, um Denkmäler für die folgenden Generationen zu erhalten. Die Stellungnahmen der Denkmalpflege sind in der Mehrzahl im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens notwendig. Baugenehmigungsfreie Maßnahmen werden durch eine isolierte denkmalschutzrechtliche Genehmigung beschieden. Eine besondere Bedeutung kommt den archäologischen Stellungnahmen in der Bauleitplanung zu, da hier häufig bisher unbebautes Gelände großflächig städtebaulich überplant wird und dadurch in der Regel zahlreiche bekannte archäologische Denkmäler bedroht werden. Weitere Maßnahmen sind im Rahmen landesweiter Planungen, wie z. B. Autobahnbau, Überlandleitungen, Versorgungstrassen oder Windkraftanlagen zu bescheiden. Restaurierung Restaurierungen und dabei regelhaft restauratorischen Voruntersuchungen wird ein hoher Stellenwert eingeräumt, Ziel ist eine sachgerechte Konservierung, wie es in den Artikeln 9 bis 12 der Charta ausgeführt ist. Wissenschaftliche, interdisziplinäre Methoden und Materialgerechtigkeit, beides kombiniert mit bauphysikalischen Vorgaben müssen erarbeitet werden. Selten kann eine Überlegenheit moderner Materialien erkannt werden. Allerdings wird verstärkt eine Kostenersparnis durch Technik auf Kosten von Handarbeit betont. Wir beobachten jedoch einen langsamen Wandel zum Bekenntnis von «Wertigkeit» und «Nachhaltigkeit». Dem Einsatz und der Anwendung neuester (natur-) wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden kommt im Andrea Hampel 50 Jahre Charta von Venedig - aktuell oder veraltet? k 3/2014- 3 Abb.2: Blick auf die Gesamtanlage der Altstadt Frankfurt-Höchst (Foto: G. Heidenfelder, Denkmalamt). Abb.3: Römisches Steinkistengrab vor den Toren der römischen Stadt NIDA (Foto: H.-J. Semmler, Denkmalamt). Bereich der Bodendenkmalpflege besondere Bedeutung zu, da Art und Umfang von Ausgrabung und Bergung Grundlage für die weiterführenden Untersuchungen sind. Rekonstruktionen sind die Ausnahme in der praktischen Arbeit, sie werden ganz im Sinn der Charta Artikel 13 nur ausnahmsweise als untergeordnete Ergänzungen zum Bestand erfolgen. als denkmalgeschützte Wallanlagen auch oberirdisch im Stadtbild erkennbar sind. Da archäologische Maßnahmen grundsätzlich nicht zeitlich eingegrenzt sind, sondern in erster Linie durch die Methodik des Ausgrabens charakterisiert werden, befinden sich auch neuzeitliche und moderne Fundstellen im Arbeitsgebiet, die den Zeitrahmen bis in das 20. Jahrhundert spannen. Die archäologische Denkmalpflege betreut auch paläontologische Denkmäler, die allerdings nur selten im Rahmen von Baumaßnahmen erfasst werden. Auch im Frankfurter Stadtgebiet kommt die Luftbildarchäologie zum Einsatz, ebenso wie geophysikalische Methoden. Besonders nördlich des Mains sind große landwirtschaftlich genutzte Areale vorhanden und bieten für beide Methoden Einsatzmöglichkeiten. Relativ neu ist der Einsatz der Laserscan-Aufnahmen für archäologische Denkmäler, die die Erfassung von Denkmälern mit einer Reliefveränderung möglich machen. Dank dieser Methode sind besonders die Grabhügelfelder im Frankfurter Stadtwald und im BergenEnkheimer Wald deutlich sichtbar, wodurch einerseits eine Kontrolle des erfassten Bestands möglich ist und andererseits ein umfassender Schutz der Denkmäler gewährleistet wird. Trotz des Zeitdrucks, unter dem fast alle Ausgrabungen durchgeführt werden, kann und muss die archäologische Denkmalpflege eine ganze Palette von Untersuchungsmethoden zum Einsatz bringen. Hier ist eine konstante Anpassung der Arbeitsweise der Bodendenkmalpflege an die Möglichkeiten durch neue Methoden, oder solche, die immer weiter verfeinert werden, im Sinn des Artikels 15 der Charta notwendig. Denkmalgeschützte Gesamtanlagen, Denkmalbereiche nach Artikel 14 der Charta, werden durch Erhaltungssatzungen und Milieuschutzsatzungen der Stadtplanung ergänzend in ihrem Erscheinungsbild geschützt (Abb. 2). Denkmalfachlich geeignete Stadtteilarchitekten werden durch die Bauaufsicht im Beratungsgespräch mit Besitzern und Eigentümern vorgeschlagen und finanziert; leider stehen noch nicht in allen Gebieten Stadtteilarchitekten zur Verfügung. Grabungen Zeitlich gehören die Fundstellen in die Zeit ab dem Paläolithikum, was jedoch in Frankfurt ebenso wie das folgende Mesolithikum nur an wenigen Fundstellen nachgewiesen ist. Herausragendes Fundstück aus dieser Zeit ist der Faustkeil aus der Gemarkung Bergen Enkheim aus dem Acheuléen. Ab der Jungsteinzeit, d. h. dem 6. Jahrtausend v. Chr. können zahlreiche Fundstellen als Nachweis der sesshaften Lebensweise dokumentiert werden. Im Stadtgebiet können in der Folge alle vor- und frühgeschichtlichen Zeitabschnitte nachgewiesen werden, häufig durch Fundstellen, die auch überregional von Bedeutung sind (Abb. 3). Zahlreiche Fundstellen des Früh-, Hoch- und Spätmittelalters sind archäologisch erfasst und zeigen Einblicke in die Stadtgeschichte seit der Merowingerzeit und betonen nachdrücklich die besondere Bedeutung des Ortes. Hierbei sind besonders die Frankfurter Befestigungsanlagen seit der Karolingerzeit zu nennen, die bis in die Ausbauphase des 17. Jahrhunderts archäologisch fassbar und in Teilen, d. h. für das 17. Jahrhundert Dokumentation und Veröffentlichung (Artikel 16) Die Maßnahmen der Unteren Denkmalschutzbehörde werden jedes Jahr in einem «Jahresrückblick» allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern in einem öffentlichen Vortrag vorgestellt. Kostenlos vergeben wir eine Andrea Hampel 50 Jahre Charta von Venedig - aktuell oder veraltet? k 3/2014 - 4 Fazit Bis heute bildet das Grundsatzpapier die verbindliche Grundlage für das Handeln der Denkmalschutzbehörden, da alle Elemente der Charta von Venedig in den Denkmalschutzgesetzen Eingang gefunden haben. Im Rahmen einer funktionierenden Denkmalpflege und in Zeiten einer immer größer werdenden Klagebereitschaft ist für uns das Hessische Denkmalschutzgesetz die Arbeitsgrundlage in der Praxis. Aus diesem Grund spielt der Verweis auf die Charta von Venedig in der täglichen Denkmalpflege keine Rolle. Ihr Wert liegt aber gerade in dem umfassenden Wortlaut als internationale Richtschnur und ist daher unverändert aktuell. Autorin Andrea Hampel, 1979 bis 1983 Studium der Vorund Frühgeschichte, Nebenfächer Historische Ethnologie und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main. Magisterarbeit über die linienbandkeramische Siedlung im Frankfurter Osthafen. 1987 Promotion über die mittelneolithische Hausentwicklung in Zentraleuropa. Ab 1991 Leitung der Abb.4: Kostenlose Broschüre des Frankfurter Denkmalamtes (Foto: A. Hampel, Denkmalamt). kurze Einführung in die Frankfurter Denkmalpflege (Abb. 4) an Antragsteller und Interessierte. Dabei werden seit 1980 die Ergebnisse der Bodendenkmalpflege alle 5 Jahre unter dem Titel «Archäologie in Frankfurt am Main» publiziert und damit einerseits den interessierten Bürgerinnen und Bürger andererseits aber auch der Wissenschaft zugänglich gemacht. Mit dem ersten Band 2010/2011 erscheint jährlich, herausgegeben zusammen mit dem Archäologischen Museum Frankfurt, einmal im Jahr eine Veröffentlichung, die zeitnah besondere Grabungsprojekte, aber auch die weitere wissenschaftliche und restauratorische Bearbeitung der Funde und Befunde für den Berichtszeitraum eines Jahres vorstellt. Alle Fundstücke werden, soweit keine Ansprüche Dritter vorliegen, im Archäologischen Museum der Stadt Frankfurt inventarisiert und stehen für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung bereit. Erstmals im Jahr 2014 wird mit der neuen Reihe «Denkmalpflege in Frankfurt am Main» der 1. Band zum Jahresrückblick 2008-2009 und damit die bisher fehlende Publikation zur Arbeit der Bau-, Garten- und Kunstdenkmalpflege in Buchform abgebildet. Abteilung Archäologische Denkmalpflege im Denkmalamt Frankfurt, seit 2007 Amtsleitung. Titel Andrea Hampel, 50 Jahre Charta von Venedig aktuell oder veraltet?, in: kunsttexte.de, Nr. 3, 2014 (4 Seiten). www.kunsttexte.de.