Archäologie der Moderne –
eine junge Wissenschaft mit
großem Potential
Claudia Theune
Einleitung
E
INE ARCHÄOLOGIE der Moderne, im Folgenden in erster Linie die Beschäftigung
mit der materiellen Kultur des 19. und 20.
Jahrhunderts, rückt seit rund drei Dekaden in den
Fokus (Theune 2020, 11–22, zum Begriff der Moderne vgl. Beitrag Reckwitz, S. 47). Schon seit etlichen Jahrzehnten hat die Archäologie immer jüngere Zeiten im Blick und beschränkt sich nicht nur
auf Epochen, zu denen nur beschränkt schriftliche
Quellen vorliegen. Nach Untersuchungen zum gesamten Mittelalter widmete man sich zunächst der
frühen Neuzeit mit bedeutenden Wenden der Reformation, der Gegenreformation, dem 30-jährigen Krieg. Aber auch Kriege der Moderne wurden
und werden untersucht, etwa solche aus napoleonischer Zeit. Einen weiteren Schwerpunkt bildet
die Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert, wo
einerseits der technische Aspekt und die Technikbzw. Industriegeschichte im Vordergrund stehen,
andererseits aber industrialisierte Regionen, wie
etwa das Ruhrgebiet, als Kulturlandschaften wahrgenommen werden und die Kulturgeschichte der
Industrialisierung und eine damit verbundene regionale Identität in den Blickpunkt rückt (Theune
et al. 2019, 470–471).
Schließlich erfolgten Ausgrabungen zum 20. Jahrhundert (Theune 2020), Schlachtfelder der beiden
Weltkriege, Kriegsgefangenenlager und die nationalsozialistische Willkür in den Zwangslagern
wurden und werden unter verschiedenen Gesichtspunkten und Fragestellungen erforscht. Strukturen des 20. Jahrhunderts und insbesondere die
nationalsozialistische Zeit sind auch weiterhin
Schwerpunkte bei archäologischen Arbeiten; diese Phase von Terror und Unterdrückung ist nicht
zuletzt durch Erinnerungen von Eltern, Großeltern
und zahlreiche noch vorhandene Relikte mit der
Gegenwart weiterhin stark verknüpft. Bislang wurden häufig die Struktur der Lager selbst, die Baracken und Funktionsgebäude, gegebenenfalls die
Tötungsanlagen oder große Gruben mit den in der
Kriegs- und Nachkriegszeit entsorgten Objekten
untersucht. Inzwischen richtet sich der Blick auch
auf andere zu den Lagern gehörende Bereiche, beispielsweise Orte, an denen die Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten, – oder die gesamte zum
Lager zugehörige Versorgung und Infrastruktur
und die Rüstungsbetriebe. Zudem geben Analysen
von bestimmten Objekten und Strukturen, bzw.
die Mensch-Ding-Beziehungen (vgl. Beitrag Lebek/
Schreiber, S. 37) Einblicke etwa in Überlebens- und
Bewältigungsstrategien der Inhaftierten bzw. in
die Praxis des Terrors durch die Machthaber.
Dinge und andere historische Quellen
Diese Entwicklung trägt auch dem Grundsatz
Rechnung, dass uns durch wortbasierte Quellen
nur ein Ausschnitt aus vergangenen Zeiten überliefert ist, nämlich das, was für Wert befunden wurde,
aufgeschrieben oder mündlich berichtet zu werden.
Wir kommunizieren und agieren aber nicht nur
mit und durch Worte, sondern immer auch mit und
durch optische Zeichen und ganz stark und höchst
vielfältig mit und durch Objekte. Gegenstände aller Art gehören zu unserem täglichen Leben; ohne
sie, wie auch ohne Worte, visuelle Zeichen oder Gefühle, Gerüche etc. ist ein Austausch mit anderen
Menschen, ein soziales Leben nicht möglich. Wir
kommunizieren aber mit diesen unterschiedlichen
Medien nicht immer gleich und übereinstimmend,
senden nicht immer die gleichen Botschaften, sondern betonen mal diesen, mal jenen Aspekt, setzen
gegebenenfalls andere Schwerpunkte oder lassen
manches bewusst unter den Tisch fallen.
f 1 Rückwärtige
Umzäunung und Wachturm des ehemaligen
Kontentrationslagers
Mauthausen.
Archäologie der Moderne – eine junge Wissenschaft mit großem Potential // 29
Wichtig ist zu betonen, dass alle Quellengattungen
in unterschiedlichen Quantitäten und Qualitäten
vorliegen. Vieles – sowohl schriftliche oder bildliche Dokumente wie auch Objekte – ist nicht aufbewahrt worden. Ferner gibt es etliche Bereiche, zu
denen schriftliche Dokumente oder Zeitzeug:innenberichte keine oder kaum Angaben machen. Gleichsam banal erscheinende Alltagsroutinen fanden selten Eingang etwa in Gerichtsprotokolle, Tagebücher
oder Erinnerungsberichte, sie wurden und werden
in der schriftlichen Überlieferung kaum erwähnt.
Hierin liegt aber die besondere Stärke der archäologischen – auf Objekte bezogene – Forschung.
Objekte spielen in unserem Alltag eine essentielle
Rolle, sei es die Kleidung mit allen Bestandteilen
und Accessoires, die wir tragen, sei es das Koch-,
Ess- und Trinkgeschirr für unsere tägliche Ernährung, seien es Gegenstände, die wir bei der Arbeit
oder in der Freizeit etwa bei Spielen verwenden,
oder auch unzählige andere Dinge, mit denen wir
täglich (inter)agieren. Solche bei archäologischen
Ausgrabungen geborgene Funde geben daher einen
detaillierten Aufschluss über die Verfügbarkeit
und den Gebrauch von Gegenständen aller Art und
das Agieren der Menschen mit diesen Dingen, die
zweckrationale Beziehungen zwischen Mensch und
Ding (vgl. Beitrag Lebek/Schreiber, S. 37).
Es ist also wesentlich zu bedenken, dass die genannten unterschiedlichen Kommunikationsmedien, die
wir nutzen, in ihrer Botschaft und Bedeutung kongruent sein können, sich aber auch ergänzen und
Lücken füllen oder einander widersprechen können. Hierin liegt meiner Meinung nach das große
Potential der Archäologie der Moderne. Wir können spezifische Perspektiven von vergangenen Ereignissen und Strukturen und damit Interaktionen
von Menschen anhand von und mit Dingen, die wir
alltäglich nutzen, aufzeigen – Interaktionen, die
durch andere Quellen anders oder auch gar nicht
überliefert sind.
Diese enge Verschränkung der unterschiedlichen
Quellengattungen hat auch zu einem intensiven
und notwendigen Austausch mit Nachbarwissenschaften geführt. Um diese Quellenvielfalt erfassen
zu können, ist eine enge Kooperation etwa mit der
Zeitgeschichte, der Kulturwissenschaft oder auch
bildwissenschaftlichen Disziplinen unerlässlich.
Die wissenschaftlichen Fächer rücken also näher
zusammen. Die traditionell historischen Wissenschaften wissen um die Lücken in den schriftlichen
und bildlichen Quellen und sie wissen um die hohe
Bedeutsamkeit der Dinge für Erkenntnisse zu Zusammenhängen und Bedingtheiten, zu Taten und
Wirken der Menschen in der Vergangenheit.
30 // Claudia Theune
Archäologische Kontexte sagen insbesondere sehr
viel über das tägliche Leben der Menschen aus.
Wenn dieser Alltag selbstbestimmt ist, können die
Dinge einen Einblick in die Identität der Menschen
geben, weil die Objekte persönlich ausgewählt
wurden – sei es die Unterkunft mit der gesamten
Einrichtung, sei es die Farbe und der Schnitt von
Kleidung, sei es die Auswahl von Geschirr und Besteck, Arbeitsgeräte oder Dinge der Freizeitgestaltung und vieles mehr. In den großen Fabriken des
19. und frühen 20. Jahrhunderts kann studiert werden, wie der Arbeitsalltag ausgesehen hat und wie
die Arbeitsbedingungen gewesen sind.
In Zwangslagern, in denen die Menschen für eine
gewisse Zeit eingesperrt wurden, ist der Alltag
durch die Lagerverwaltung und die Machthaber
bestimmt, die Objekte zuteilen oder auch verwehren, etwa die Häftlingskleidung, die Schlafmöglichkeiten, Hygieneeinrichtungen, Werkzeuge für
die zwangsweise auszuführende Arbeit u. a. m. Nur
wenig Raum bleibt für eigene Dinge oder für Dinge, die man sich aneignet, indem man sie verändert
und modifiziert, indem man z. B. den eigenen Namen oder dekorative Motive auf den Objekten anbringt oder für Dinge, die die Häftlinge selbst herstellten. Genannt seien Dinge wie selbstgemachte
Löffel, Kämme, Schuhe oder anderes mehr. Das
Bewahren der eigenen Identität durch die Vergewisserung des eigenen Namens; der Versuch Mindesthygienestandards zu wahren durch den Besitz
eines (selbstgemachten) Kammes und einer Zahnbürste, das Flicken der Häftlingskleidung und das
Anfertigen von Schuhen, um den Körper zu schützen; der lebensnotwendige Besitz eines Löffels und
eines Gefäßes um Nahrung aufzunehmen, waren
essentiell für das Überleben. Gerade diese Objekte
belegen den Überlebenswillen der Menschen, die in
den Zwangslagern eingesperrt waren. Hinzu kommen Objekte, die Erinnerungen an das Leben vor
der Haft ermöglichen, sei es das Fabrizieren eines
kleinen Herzens aus Holz, das Aufschreiben eines
Namens einer nahestehenden Person, die Herstellung von Spielsteinen, die Möglichkeit Musik zu
machen. Diese Objekte zeigen das Bemühen, an das
Leben vor der Haft anzuknüpfen, den Versuch alte
durch den Habitus inkorporierte Routinen – auch
gemeinsam mit Mithäftlingen – zumindest ein wenig weiterführen zu können. Das soziale Leben,
ein (Inter)Agieren mit Worten und Objekten kann
also auch unter extremen Haftbedingungen festgestellt werden (Suderland 2009; Bourdieu 1982).
Solche Überlebensstrategien können für Konzentrationslager und deren Außenlager bzw. auch für
Zwangsarbeitslager erkannt werden, nicht aber für
Vernichtungszentren, in denen es keine Chance auf
ein Überleben gab, sondern die Menschen direkt
ermordet wurden (Theune, im Druck).
Archäologische Objekte, seien es die kleinen alltäglichen Dinge oder auch Gebäude, Lager, Industrieanlagen oder ganze Landschaften, sind also ganz
essentielle historische Quellen, die zahlreiche Erkenntnisse über vergangene oder bis heute nachwirkende Strukturen und Verhältnisse und damit
zu den Menschen und den Gesellschaften der Vergangenheit ermöglichen.
Die archäologische Erforschung
des 19. und 20. Jahrhunderts
Die Entwicklungen in Bezug auf archäologische
Forschungen des 19. und 20. Jahrhunderts in
Deutschland bzw. dem deutschsprachigen Raum
verlaufen in vielen Aspekten ähnlich wie im europäischen Ausland (Mehler 2013), aber es gibt auch
unterschiedliche Schwerpunkte, die in den Ländern gesetzt wurden.
Untersuchungen zum 19. Jahrhundert – und d a mit
diesem Abschnitt der Moderne (vgl. Beitrag Reckwitz, S. 47) – können eine Vielzahl von Ursachen
und Grundlagen für unsere heutige Gesellschaft
aufzeigen. Globalisierung, Industrialisierung und
der Nationalismus begannen im 19. Jahrhundert
und haben Auswirkungen bis weit in das 20. und
auch ins 21. Jahrhundert hinein. Damit einher gingen Veränderungen in sozialen Gefügen der Gesellschaften und es bildete sich eine Arbeiter:innenschicht heraus. Zudem ist eine erhöhte Produktion
von in den Fabriken gefertigten Konsumgütern
und ein internationaler, weltweiter Austausch von
Produkten aller Art zu konstatieren (Theune et al.
2019).
Solche Forschungen, insbesondere in Bezug auf die
Industrialisierung, haben in Großbritannien eine
längere Tradition als auf dem Kontinent (Cossons
2000). Industriedenkmale, alte Standorte der Fabriken, der Infrastruktur wie auch frühe Produkte
der ersten Industrialisierung werden auf den britischen Inseln schon seit rund 70 Jahren untersucht.
Diese Forschungen begannen auf dem Kontinent
bzw. im deutschsprachigen Raum später. Wegweisend sind etwa die archäologischen Dokumentationen im Ruhrgebiet, etwa der Steinhauser Hütte in
Witten (vgl. Beitrag Rind, S. 57; vgl. Kat.-Nr. 103) oder
in Essen auf dem Gelände der Firma Krupp (Hopp/
Vollmer-König 2018). Zwar wird noch häufig vieles,
was Erkenntnisse zur Technikgeschichte oder Industriekultur erbringen könnte, unbesehen abgerissen und zerstört; inzwischen nehmen die Unter-
suchungen aber zu, steckt doch auch viel regionale
identitätsstiftende Geschichte in diesen Anlagen,
die für die örtliche und überregionale Bevölkerung
von großem Interesse ist. Die archäologischen Herausforderungen sind enorm, müssen doch riesige
Flächen mit allen Fabrikhallen und Maschinen sowie der zugehörigen Infrastruktur dokumentiert
werden.
In Essen wurde 1811 die Friedrich-Krupp-Gussstahlfabrik (vgl. Katalog-Nr. 216) gegründet und im
Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem der größten
Industriestandorte in Europa mit einer Fläche von
360 Hektar ausgebaut. Während der NS-Zeit wurden hier auch unter massivem Einsatz von Zwangsarbeitenden Waffen produziert. Viele der Gebäude wurden im Kriegsverlauf zerstört und modern
überformt. Die archäologischen Dokumentationen
konzentrierten sich auf die Frühphase der Firmengeschichte, das sogenannte Stammhaus Krupp und
das sogenannte Turmhaus, ein Verwaltungsgebäude, aber auch technische Anlagen wie eine große
Halle mit fünf Siemens-Martin-Öfen im »Probirhaus H« wurden untersucht. Solche Forschungen
zeigen einerseits Phasen der Industrialisierung
über einen längeren Zeitraum hinweg, aber ebenso
die sich verändernden Arbeitsbedingungen.
Zudem sollten kleinere Handwerksbetriebe aus der
Moderne verstärkt archäologisch untersucht werden. Metzgereiabfälle, Flickschustereiabfälle und
andere Funde geben Einblicke in die Arbeitswelt,
aber auch in Essgewohnheiten, das Haushalten mit
begrenzten Ressourcen und viele andere Aspekte.
Viel Wissen um traditionelle Handwerkstechniken
aus der Neuzeit geht verloren, wenn wir uns nicht
mit diesen Orten befassen. Eine proaktive Beschäftigung kann vielfältiges altes Wissen bewahren.
Der steigende Konsum im 19. Jahrhundert kann
leicht etwa anhand von Herstellungsmarken weltweit verfolgt werden. Steingutwasserflaschen mit
an verschiedenen Standorten in Deutschland abgefülltem Mineralwasser oder andere Keramikwaren
finden sich auf der ganzen Welt, umgekehrt entdeckt man viele in anderen Kontinenten produzierte Waren etwa bei Ausgrabungen in Deutschland.
Hier ist aber auch noch ein Desiderat der Forschung
anzusprechen. Der weltweite Konsum im 19. und
frühen 20. Jahrhundert hängt nicht zuletzt direkt
mit Imperialismus und Kolonialismus zusammen.
Diese Perspektive ist in der Archäologie bislang
kaum thematisiert worden, ist aber sehr gut auch
in Deutschland oder in Westfalen erforschbar. Der
Handel mit Tabak und die Zigarrenproduktion hat
in Westfalen eine lange Tradition, die im 19. Jahrhundert begründet ist und bei der Tabakrohstoffe
Archäologie der Moderne – eine junge Wissenschaft mit großem Potential // 31
etwa aus der deutschen Kolonie Kamerun verarbeitet wurden. Etliche Firmen, aber auch Haushalte
mit Endverbraucher:innen als Nutznießer:innen
dieser Genussmittel könnten untersucht werden.
Umgekehrt wurden aus Deutschland zahlreiche
Waren in die kolonisierten Gebiete exportiert;
auch Alkohol in großen Mengen, was zu großen
sozialen Problemen führte, die von deutschen Produzent:innen und Händler:innen mit verursacht
worden sind. Thematisiert worden sind bislang von
Politik und Gesellschaft Provenienzforschungen
und inzwischen werden etliche Dinge, die zu Unrecht nach Deutschland verbracht wurden, wieder
in die Herkunftsregionen und Nachfolgestaaten der
ehemaligen Kolonien zurückgegeben. Aber auch in
Deutschland trifft man viele koloniale Welten, die
von archäologischer Seite erforscht werden sollten.
Elementar sind ferner archäologische Recherchen
zu Entwicklungen im urbanen und ruralen Umfeld,
wie sie seit längerer Zeit auf den britischen Inseln
(Courtney et al. 2009) und in einigen Fällen auch
im deutschsprachigen Raum durchgeführt werden.
Erwähnt seien jüngere archäologische Untersuchungen ganzer Ortschaften in einem chronologischen Längsschnitt, etwa wenn diese im Zuge des
Braunkohletageabbaus devastiert wurden. Auch
hier geht es darum, neben allgemeinen Entwicklungen einer Ortschaft seit dem Mittelalter und
der ökonomischen Einbindung in die weitere Region, die lokale Geschichte und die Geschichten der
Menschen und ihre Lebens- und Arbeitsumwelt zu
fassen. So haben die archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen in solchen aufgegebenen
Dörfern in Sachsen wichtige Veränderungen im 19.
Jahrhundert aufgezeigt (Scholz 1998). Die lange Zeit
vorherrschende Annahme, dass die Zeit zwischen
Spätmittelalter und Moderne von wenig Dynamik,
Innovationen und Entwicklungen geprägt gewesen sei und man häufig eine Rückschreibung von
Dorfstrukturen des frühen 20. Jahrhunderts bis ins
Mittelalter vornahm, ist nicht korrekt. Gerade im
19. Jahrhundert hat es starke Veränderungen in der
Agrarwirtschaft gegeben, die zu Umstrukturierungen der Gehöfte führten. Der intensivierte Anbau
von Getreide mit deutlich erhöhten Ernten führte
zum Bau von Scheunen; die intensivierte Viehhaltung auch im Winter bedingte den Bau von Ställen, ebenfalls eine Erscheinung der Moderne (vgl.
Beitrag Reckwitz, S. 47). Das traditionelle Wohnstallhaus wurde zum reinen Wohnhaus, die Wirtschaftsgebäude waren separiert. Das Beispiel zeigt
die Wichtigkeit von umfassenden archäologischen
Untersuchungen auch im ländlichen Raum. Gerade das Wissen um die angesprochenen Lebens- und
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Arbeitswelten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
droht durch einen massiven Wandel im ruralen wie
im städtischen Bereich seit der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts verloren zu gehen. In diesem Zusammenhang sei zumindest auch noch auf zu intensivierende Forschungen zu Geschlechterrollen der
letzten 200 Jahre hingewiesen.
Die Beispiele zeigen vielfältige Erkenntnismöglichkeiten zu gesellschaftlichen und ökonomischen
Entwicklungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Aber auch der Aspekt der Erinnerung ist bedeutend
bei diesen Untersuchungen, seien es Erinnerungen
an wirtschaftlich prägende Zentren oder einfach
Erinnerungen an heute zerstörte, aber vertraute
Orte, die es zu bewahren lohnt.
Differierende archäologische Forschungen zu den
Konflikten des 20. Jahrhunderts sind ebenfalls in
verschiedenen Teilen Europas zu konstatieren. Insbesondere der Rückblick auf den Ausbruch, den
Verlauf und das Ende des Ersten Weltkrieges führte
in Frankreich und Belgien mit breiter internationaler Unterstützung an der ehemaligen Westfront zu
umfangreichen Ausgrabungen der materiellen Hinterlassenschaften auf Schlachtfeldern, Schützengräben, Stellungen, Massengräbern, aber auch in
Kriegsgefangenenlagern. Große Aufmerksamkeit
erhielten insbesondere geglückte Identifizierungen
der getöteten Soldaten auf den Schlachtfeldern und
in Massengräbern. War es doch möglich, Nachkommen Näheres über den Tod der bislang vermissten
Angehörigen zu berichten und gegebenenfalls noch
persönliche Gegenstände zu übergeben (Stichelbaut 2018).
Der Zweite Weltkrieg ist untrennbar mit der nationalsozialistischen Diktatur verknüpft, dies gilt
auch für archäologische Forschungen. So standen und stehen in Bezug auf eine Archäologie der
1930er und 1940er Jahre seit rund 30 Jahren in
erster Linie die Spuren von Unterdrückung, Terror
und Massenmord sowie der Holocaust in ehemaligen Zwangslagern und Vernichtungszentren im
Fokus der Untersuchungen (Theune 2020, 11–22).
1991 fand die erste Ausgrabung in einem ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager in
Deutschland statt. In Witten-Annen, wo sich ein
Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald
befand, wurden im Auftrag der LWL-Archäologie
für Westfalen u. a. verschiedene Fundamentreste und Mauerreste von Barackengrundrissen, ein
Feuerlöschteich sowie Betonpfeiler freigelegt und
zahlreiche Funde geborgen (Isenberg 1995; Poggel
2020/2021; vgl. Kat.-Nr. 511). In den folgenden Jahren folgten dann weitere Ausgrabungen an unterschiedlichen NS-Zwangslagern in ganz Europa,
etwa in den Konzentrationslagern Sachsenhausen,
Buchenwald, Mauthausen und zahlreichen anderen Nebenlagern und Zwangsarbeitslagern sowie
NS-Euthansieanstalten (z. B. Hartheim; vgl. Kat.Nr. 510) und Vernichtungszentren des Holocaust
im heutigen Polen und Weißrussland, in denen
die Menschen sofort ermordet worden sind. Auch
Kriegsgefangenenlager der Nationalsozialisten sowie der Alliierten und andere global existierende
Internierungslager wurden ausgegraben. Heute
ist eine Vielzahl von internationalen Ausgrabungen zu sehr unterschiedlichen Internierungslagern
bekannt, die in vielfältiger Weise mit der Inhaftierung und Unterdrückung im Zusammenhang mit
unzähligen (bewaffneten) Konflikten und Kriegen
auf der ganzen Welt oder mit totalitären Regimen
in Zusammenhang stehen. Jedoch sei auch eine Einschränkung erwähnt. Solche Ausgrabungen und
Forschungen zu einer eigenen Vergangenheit, in
der Menschen ausgegrenzt und unterdrückt wurden, werden in der Regel nur in einem nun toleranten demokratischen Staat geduldet, zugelassen
oder gefördert, einem Staat, der sich aktiv mit der
eigenen, gegebenenfalls belastenden Vergangenheit auseinandersetzt. In heute noch totalitären
Staaten, etwa Russland, in dem lange Jahre dem
stalinistischen Gulag-System unzählige Menschen
zum Opfer fielen – sind solche Forschungen kaum
möglich.
Viele der archäologischen Ausgrabungen in den
1990er und frühen 2000er Jahren – so auch in Witten-Annen – fanden auf zivilgesellschaftliche Initiativen statt. In Witten-Annen gaben Nachforschungen von Schüler:innen den Anstoß, sich mit dieser,
in den 1990er Jahren weitgehend unbekannten
bzw. vergessenen, Geschichte der Region auseinanderzusetzen und ein Zeichen gegen das Vergessen
und für das Erinnern zu setzen. Bezogen auf den
Nationalsozialismus im Deutschen Reich zwischen
1933 und 1945 sind diese Untersuchungen auch
mit einer erneuten intensiven Auseinandersetzung
zum Nationalsozialismus zu sehen. Solche zivilgesellschaftlichen Forderungen nach einer kritischen
Beschäftigung mit der deutschen Geschichte sind
schon seit Mitte der 1980er Jahre deutlich zu erkennen, als bei Freilegungen in der Mitte Berlins Teile
des ehemaligen Gefängnisses der GESTAPO (Geheime Staatspolizei) sichtbar wurden und schnell
klar war, dass die materiellen Überreste direkt
unter dem Straßenpflaster liegen und nicht komplett verschwunden sind (Topographie des Terrors
2010, 422). Zudem erlaubte die vielbeachtete Rede
des damaligen Bundespräsidenten Richard von
Weizsäcker am 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag der
Beendigung des Zweiten Weltkrieges einen neuen
Zugang zur deutschen Geschichte. Nicht mehr die
eigene Niederlage stand im Blickpunkt, sondern die
Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
(https://www.bundespraesident.de/
SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/
Reden/1985/05/19850508_Rede.html).
Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur erfährt seitdem eine immense
Intensivierung in etlichen historischen und kulturhistorischen Disziplinen, einschließlich der Archäologie. Hier stehen die Zwangslager besonders
im Fokus, aber auch andere Strukturen und Fragestellungen werden in den letzten Jahren erforscht.
Wie schier unfassbar groß die Zahl der Zwangslager ist, zeigt eine Erhebung des United States
Holocaust Memorial Museum (https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/nazi-camps),
wo man von rund 44.000 nationalsozialistischen
Zwangslagern im Deutschen Reich und in von Nationalsozialisten okkupierten Regionen in Europa
ausgeht. Viele davon sind heute komplett überbaut
und stehen für die archäologische Forschung nicht
mehr zur Verfügung, aber an etlichen Stellen liegen die Überreste noch unter der Grasnarbe und
können erforscht werden. Die Ausgrabungen in
den ehemaligen Zwangslagern deckten lange verborgene und damit lange vergessene Geschichte im
sprichwörtlichen Sinne direkt unter der Grasnarbe
oder dem Asphalt auf. Terrororte, Barackengrundrisse, Zäune, Arrestzellen, Tötungsanlagen sind
wieder für alle sichtbar und damit vor weiterem
Vergessen bewahrt; die oftmals vergessenen Standorte der Lager werden bekannt, eine Erinnerung an
die Opfer ist nun leichter möglich.
Hier ist auch das besondere Engagement der
Denkmalpflege und die aktuelle Gesetzeslage zu
beachten, die seit einiger Zeit für die archäologische Denkmalpflege keine Beschränkung mehr auf
schriftlose oder schriftarme Zeiten hat, sondern
ihren archäologisch-denkmalpflegerischen Auftrag
für die materiellen Hinterlassenschaften aller Zeiten und Epochen gleichermaßen – den gesetzlichen
Vorgaben entsprechend – erfüllt (vgl. Beitrag Rind,
S. 53). Hinzu kommen Ausstellungen wie diese in
Herne oder schon 2020 in Berlin (Haubold-Stolle et al. 2020). Nicht zuletzt aufgrund der politischen Wende nach 1989/90 wurden Ausstellungen
und Präsentationen in vielen Gedenkstätten neu
konzipiert oder auch neue Gedenkstätten an nationalsozialistischen Tatorten errichtet und die
Ausgrabungsergebnisse mit in die Ausstellungen
einbezogen. So werden einerseits die wieder aufgedeckten Lagerstrukturen für die Besucher:in-
Archäologie der Moderne – eine junge Wissenschaft mit großem Potential // 33
nen gezeigt und andererseits die Aussagekraft und
Wirkmächtigkeit der unzähligen Funde in den Vordergrund gerückt. Damit wird eine alte Prämisse,
dass in den schriftlichen Quellen (oder Zeitzeug:innenberichten) allumfassende Informationen zur
Ereignisgeschichte, dem Terror, zu Aspekten des
täglichen (Über-)lebens der Häftlinge vorhanden
sind, revidiert und – wie oben erwähnt – die große
Aussagekraft der Objekte kann wirksam werden.
Geschichte hört nicht auf – auch archäologische
Forschungen zu den dinglichen Überresten schreiten zeitlich weiter voran und nehmen weitere Zeiträume in den Blick. Das Ende des Kalten Krieges
1989/1990 veranlasste Kolleg:innen, die Überreste des sogenannten Eisernen Vorhangs zwischen
Finnland und Griechenland in den Blick zu nehmen,
einschließlich der zugehörigen Berliner Mauer, die
die Stadt 40 Jahre lang teilte (Theune 2020, 110–
113). Diese Forschungen waren von Wichtigkeit, da
doch nach der politischen Wende vom Herbst 1989
überall die Grenzanlagen schnell abgetragen worden sind. Dies geschah sicherlich mit der positiven
Absicht, alle Barrieren zwischen den ehemaligen
politischen Blöcken schnell abzubauen und so die
Symbole der Trennung zu beseitigen; nur an wenigen Stellen blieben originale Mauerteile erhalten.
Aber schon schnell tauchten etwa in Berlin Fragen
von Touristen oder der jüngeren Bevölkerung auf,
wo denn der Verlauf der Berliner Mauer gewesen sei
und man markierte in der Stadt den Mauerverlauf
und führte etliche Ausgrabungen durch und legte
dabei auch Fluchttunnel frei. Andere weltweite Untersuchungen befassen sich mit der Popkultur oder
Protestbewegungen etwa im deutschen Gorleben,
wo Atommüll gelagert werden sollte oder nehmen
Militärlager der Alliierten in den Blick.
Inzwischen ist nun fast ein Viertel des 21. Jahrhunderts vergangen. Archäologische Forschungen
sollten nicht stehenbleiben und die dingliche Kultur der letzten Jahre ebenfalls in den Blick nehmen.
Dies kann unter unterschiedlichen Fragestellungen
geschehen, sei es zu Untersuchungen zu den Auswirkungen des Klimawandels oder zu den zum
Plastikmüll, den wir massenhaft hinterlassen. Materielle Hinterlassenschaften des Menschen und
damit Kulturgut gibt es auch im Weltall, beispielsweise frühe Satelliten.
Der Umgang mit menschlichen Opfern –
eine ethisch-moralische Aufgabe
Bei Freilegungen an Orten von Konflikten der jüngeren Vergangenheit werden häufig auch Verstorbene gefunden, die im Krieg getötet oder die in den
34 // Claudia Theune
Zwangslagern und Vernichtungszentren der Nationalsozialisten ermordet wurden. Gerade die ehemaligen Konzentrationslager mit angeschlossenen Tötungseinrichtungen und Krematorien müssen auch
als Friedhöfe bezeichnet werden. Immer wieder
finden sich an solchen Orten Knochenreste, Asche
oder auch Prothesen der Opfer. Aber auch Einzelgräber und Massengräber sind zu nennen. Unter
das Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (https://www.
gesetze-im-internet.de/gr_bg/BJNR005890965.
html) fallen nicht nur Kriegstote, sondern auch explizit sehr unterschiedliche Opfergruppen der nationalsozialistischen und (für die Gebiete der ehemaligen DDR) kommunistischen Zeit. In Deutschland
sind beim Auffinden von Kriegstoten oder Opfern
der Gewaltherrschaft kommunale Behörden und
der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
einzubinden, diese stellt auch sogenannte »Umbetter«, die die Verstorbenen bergen und auf festgelegte Friedhöfe verlegt (https://www.volksbund.
de/aktuell/mediathek/detail/grafik-verfahren-beispontanfunden). In der Regel ist davon auszugehen, dass diese Umbetter:innen keine archäologische Ausbildung besitzen. Bei der Bergung fehlt
also oftmals eine archäologischen Standards entsprechende Dokumentation, die detaillierte Informationen zur Sterbeart und den Sterbeumständen
geben könnte. Dies ist bedauerlich. Wünschenswert wäre eine enge Kooperation zwischen archäologischen Institutionen und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. und die regelhafte
Bergung durch archäologisch geschulte Personen,
wie es in Österreich langsam Praxis wird oder auch
bei bestimmten Kontexten schon etwa in Bremen
durchgeführt wird (Hähn/Halle, im Druck). Das
Bremer Beispiel zeigt auch deutlich die lückenhafte
Bergung Ende der 1940er Jahre und die sorgfältige
Arbeit durch die Archäologie.
Grundsätzlich ist eine respektvolle Behandlung von
Toten auch unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten ein Gebot. Das Handeln nach ethischen
Grundsätzen sind essentielle Aspekte in allen Lebensbereichen – das schließt auch die Archäologie
mit ein (Mahringer 2022). Zwar geht es in der Ethik
in erster Linie um einen moralisch-reflektierten
Umgang mit Lebenden, aber auch mit verstorbenen
Menschen oder Tieren. Archäologisch relevant ist
zweierlei, einerseits der respektvolle Umgang mit
Menschen der Vergangenheit und unser heutiges
Handeln als Archäolog:innen. Andererseits können
wir auch unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten das Handeln der Menschen in der Vergangenheit
betrachten. Für die Moderne erscheint uns diese
Prämisse leicht verständlich, sie sollte aber gleichermaßen auch für ältere Zeiten und Epochen gelten.
Gerade in Zeiten von Diktaturen ist ethisch-unmoralisches Handeln evident, wie wir es auf den Ausgrabungen von Orten der Unterdrückung und des
Terrors her kennen, insbesondere, wenn Menschen
zu Schaden kommen. Der Respekt vor den Toten ist
essentiell und sollte stets höchste Priorität haben.
Gräberfelder sind eines der zentralen Forschungsfelder der Archäologie. Vielfach werden dort an
den Verstorbenen weitreichende anthropologische
und archäogenetische Analysen durchgeführt, die
sicherlich auch interessante Erkenntnisse erbringen. Aber solche Analysen können auch gegen religiöse Grundsätze verstoßen und nicht dem Willen
der Angehörigen oder Nachfahren entsprechen. So
soll nach jüdischen Glaubensgrundsätzen nie die
Totenruhe gestört werden, es sollten also keine anthropologischen Proben entnommen oder sonstige
naturwissenschaftliche Analysen an den menschlichen Überresten durchgeführt werden, wenn es
sich um jüdische Opfer handeln könnte. Wir sollten in Zukunft bedachtvoller überlegen, welche
anthropologischen Analysen wir vornehmen. Aber
auch die ethisch-unmoralischen Taten gegen die
Identität, die gezielte Zerstörung von Eigentum,
von Häusern und landwirtschaftlichen Flächen und
Vernichtung der Lebensgrundlage können mitberücksichtigt werden.
Eine wichtige Aufgabe für die Archäolog:innen ist
die Einbeziehung von verschiedenen Interessensgruppen bei Untersuchungen insbesondere zur
jüngeren Vergangenheit. Deren Ziele und Wünsche
sind mit in Überlegungen zu historischen und archäologischen Forschungen einzubeziehen. Möglicherweise haben Nachkommen, Angehörige und
Betroffene andere Anliegen als archäologische Institutionen, gegebenenfalls sind sie aber elementarer als unsere wissenschaftlichen Interessen. Und
wir sollten dann mit unseren Grundsätzen zurückstehen.
re Bauvorhaben ziehen archäologische Ausgrabungen von beträchtlichem Ausmaß nach sich. Vielfach
befinden sich im Boden noch umfangreiche Reste
der ehemaligen großen Gebäude, der Infrastruktur
und anderer baulicher Elemente oder der Boden ist
durch ältere Verseuchungen mit giftigen Stoffen
kontaminiert. Ähnlich wie in älteren Zeiten sind
diese Strukturen mehrfach verändert und überformt worden. Die Dokumentation, auch mit modernen digitalen Methoden, ist sehr aufwändig. Hinzu
kommt eine immense Masse an Funden, seien es
tausende Nägel, Bestandteile der Bauten selbst, unzählige Kleinfunde wie Geschirr, Werkzeuge, Produkte aller Art bzw. persönliche Gegenstände oder
schwere und massive Maschinen aus den Fabriken,
Waffen und Fahrzeuge aller Art oder auch im Krieg
abgestürzte und zerschellte Flugzeuge, Panzer oder
– unter Wasser – Schiffswracks und U-Boote und
vieles andere mehr. Während man in der Archäologie früher immer alle Funde bewahrte, laufen nun
Diskussionen, ob man nicht nach einer umfassenden Dokumentation eine Auswahl nach bestimmten
Kriterien treffen sollte (Müller 2016; vgl. auch Beitrag Rind, S. 53). Die Einmaligkeit eines Objektes,
der besondere historische Wert, aber auch Beispiele
der vertretenden industriell gefertigten Typen oder
spezielle industrielle oder auch persönliche Kennzeichnungen können relevant sein. In Bezug auf
Zeiten von Unterdrückung und Terror sind sicherlich alle Objekte der Opfer zu erhalten. Die Vielzahl
der archäologischen Quellen und zeitgleiche weitere historische Dokumente wie Fotografien, Luftbilder, Pläne, verschiedene schriftliche Dokumente
oder Zeitzeug:innenberichte bieten aber auch – wie
schon ausgeführt – die große Chance, vielfältige
Facetten der Geschichte miteinander zu verknüpfen und durch die Objekte mit Unterstützung anderer Quellen die Vergangenheit zu beleuchten und in
unser Bewusstsein rücken.
Bourdieu 1982; Cossons 2000; Courtney et al. 2009; Hähn/
Halle, im Druck; Haubold-Stolle et al. 2020; Hopp/Vollmer-
Archäologie der Moderne –
Herausforderungen und Chancen
Die Ausgrabungen zum 19. und 20. Jahrhundert
bringen, wie schon teilweise angedeutet, immense praktische und logistische Herausforderungen
mit sich. Grundsätzlich sind die zu untersuchenden
Areale wesentlich größer als bei Ausgrabungen zu
prähistorischen Zeiten; sei es, dass ganze Fabrikanlagen und Industriekomplexe erfasst werden müssen oder dass mehrere Hektar große Zwangslager
zu untersuchen sind. Auch großflächige oder linea-
König 2018; Isenberg 1995; Mahringer 2022; Mehler 2013;
Müller 2016; Poggel 2020/2021; Scholz 1998; Stichelbaut
2018; Suderland 2009; Theune et al. 2019; Theune 2020;
Theune, im Druck; Topographie des Terrors 2010
Archäologie der Moderne – eine junge Wissenschaft mit großem Potential // 35