NEUE KONZEPTE
Vorreiter in Energie, Mobilität und Abfall
Transformationspioniere für eine
klimafreundliche Stadt
In sozial-ökologischen Transformationsprozessen
nehmen Pioniere des Wandels eine Schlüsselrolle ein. Auf Basis qualitativer Interviews wird
analysiert, welche förderlichen und hinderlichen
Bedingungen auf das Wirken und die Verbreitung von Pionieraktivitäten Einfluss nehmen.
Von Toya Engel, Katharina Klindworth und
Jörg Knieling
1 Einführung
Eine umfassende Transformation der Gesellschaft erscheint
vor dem Hintergrund der veränderten und absehbaren Umweltbedingungen unausweichlich (Welzer et al. 2014; WBGU
2011).Für die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen
in Transformationsprozessen wird Pionieren des Wandels eine
Schlüsselrolle zugeschrieben (WBGU 2011; Kristof 2010). Sie
können mit ihren Aktivitäten als Individuen, Gruppen, Vereine,
NGO s oder Unternehmen besondere Wirkung in Richtung der
für eine gesamtgesellschaftliche Transformation zur Nachhaltigkeit erforderlichen Innovationen entfalten (Gibbs et al. 2014;
WBGU 2011; 2016).
Im Rahmen einer qualitativen Fallstudienanalyse zu Transformationspionieren wurden in den drei Handlungsfeldern
des Klimaschutzes Energie, Mobilität und Abfall in Hamburg
mittels Desktoprecherche und Experteninterviews mehr als 120
Transformationspioniere identifiziert und 20 leitfadengestützte
Interviews qualitativ interpretiert (Fenzl/Mayring 2014). Das
Erkenntnisinteresse der Analyse lag auf den Motiven für die
Aktivitäten der Pioniere, ihren Zielen sowie den förderlichen
und hemmenden Faktoren für die Entstehung, Durchführung
und Verbreitung innovativer Ansätze. Der vorliegende Beitrag
konzentriert sich auf die Fragestellung, welche förderlichen Bedingungen und Hemmnisse auf das Wirken und die Verbreitung der Transformationspioniere Einfluss nehmen.
2 Konzept der Transformationspioniere
Zur Untersuchung systemischer und gesamtgesellschaftlicher Veränderungsprozesse eröffnet die Transition Theory (Geels 2005; Geels et al. 2007) einen geeigneten Rahmen. Das Modell beschreibt den Einfluss innovativer Nischen auf etablierte
Strukturen und Prozesse (Geels et al. 2007). Die Politik-, Orga-
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ÖkologischesWirtschaften 1.2019 (34) | DOI 10.14512/OEW340130
ÖkologischesWirtschaften 1.2019 (34)
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nisations- und Raumwissenschaften bieten mit Change Agents
oder Promotor/innen (Kristof 2010), Schlüsselakteuren (Kilper
et al. 2016) oder Leadership (Nerdinger et al. 2012) akteursorientierte Zugänge für die innovativen Nischen. Diese Ansätze liefern Erkenntnisse über Einfluss und Eigenschaften innovativer Akteure, welche unter dem Begriff „Pioniere des Wandels“
(WBGU 2011) zusammengefasst werden können. Diesen Pionieren wird die Eigenschaft als Initiator/innen oder auch als
Treiber/innen gesellschaftlicher Veränderungsprozesse zugesprochen (WBGU 2011). Pioniere können diese Prozesse interaktiv und diskursiv gestalten und begleiten sowie Veränderungen von Lebensstilen oder eine Verschiebung von Werten und
kulturellen Normen bewirken (Kilper et al. 2016).
Für den Untersuchungsansatz in dem Forschungsvorhaben
Climate Smart City Hamburg | Lokstedt (FKZ 01UR1608B )wurde
auf Basis der genannten Diskussionsstränge der Ansatz der
Transformationspioniere zugrunde gelegt (Engel et al. 2018).
Danach werden Transformationspioniere als Individuen oder
kleine Gruppen definiert, die mit ihrem Handeln in Richtung
eines gesamtgesellschaftlichen Wandels zur Nachhaltigkeit
wirken. Sie haben ihren Lebensstil bereits am Klimaschutz ausgerichtet und entwickeln und realisieren neue Ideen und Ansätze, die auf eine Transformation hinwirken (Engel et al. 2018).
Dies bedeutet, dass ihre Projekte und Aktivitäten zur Zielvorstellung einer nachhaltigen Gesellschaft beitragen. Pioniere
wirken über einen inkrementellen Wandel hinaus in Richtung
einer tief greifenden Transformation, indem sie bestehende
Werte, Normen und Handlungsweisen herausfordern. In ihren Aktivitäten wird eine Abkehr von einem „Weiter-wie-bisher“ erkennbar (Kristof 2010; WBGU 2011).
3 Transformationspioniere in Hamburg
Das Forschungsvorhaben Climate Smart City Hamburg | Lokstedt identifizierte Transformationspioniere aus den drei Handlungsfeldern Energie, Mobilität und Abfall im Stadtteil Lokstedt,
im Bezirk Eimsbüttel sowie im Stadtgebiet Hamburg. Als Klimaschutzpioniere können dabei diejenigen Akteure beschrieben werden, die einen Beitrag zu den Zielen des Klimaschutzes
in den drei Handlungsfeldern leisten und gleichzeitig über die
in Kapitel 2 genannten transformativen Eigenschaften verfügen.
Grundlage des Wirkens vieler der identifizierten Pioniere
ist ihre Kritik an der Wegwerfkultur sowie der Energie- und
Ressourcenverschwendung, weshalb sie mit ihren Projekten
Alternativen zu etablierten Handlungsmustern anbieten. Im
Themenfeld Energie beziehen sich die Aktivitäten der Pioniere
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zum Beispiel auf die Thematik energiereduzierter Lebensstile
(etwa Fahrraddiscos zur Sensibilisierung des eigenen Umgangs
mit der unsichtbaren Ressource Energie), die Finanzierung von
Energieeffizienzmaßnahmen in Clubs oder im Einzelhandel,
zur Vermietung von Solaranlagen oder zur energetischen Gebäudesanierung in kooperativen Sanierungsgemeinschaften.
Mobilitätspioniere bieten zum Beispiel Selbstbauworkshops
für Lastenräder an oder verkaufen und vermieten diese, produzieren und vertreiben elektrifizierte Fahrradanhänger und
Elektrofahrzeuge (E-Scooter, E-Lieferantenroller, E-Räder) oder
bieten einen umweltfreundlichen Logistikservice wie auch umweltfreundliche innerstädtische Last-Mile-Konzepte an. Im Bereich Abfall finden sich Pionieraktivitäten bei Themen wie verpackungslosen Supermärkten, Partys und Netzwerken zum Teilen, Tauschen und Verschenken von Produkten, Vorträgen und
Infoabenden zur Lebensstiländerung (etwa „plastikfrei leben“
oder Zero Waste), Repair-Cafés und Co-Working-Spaces oder
auch kommerziellen Angeboten von Schmuck, Möbeln und
Kleidung aus Reststoffen und Fehlproduktionen.
Die Pioniere sind mit ihren Projekten in unterschiedlichen
Organisationsformen aktiv. Diese reichen von innovativen Einzelpersonen über temporäre Gruppierungen und Initiativen,
die Keimzellen von Nischeninnovationen sein können, aber
eine (noch) relativ geringe Sichtbarkeit haben, bis hin zu einer
stärkeren Formalisierung, etwa die Organisation über einen
Verein, eine Genossenschaft oder ein Unternehmen. Letztere
verändern die Handlungsorientierung und die Handlungsmöglichkeiten der Akteure, da handlungsfähigere Arbeitsformen
entstehen und Finanzressourcen Möglichkeitsräume eröffnen,
zugleich aber auch arbeitsteilige und teils hierarchische Strukturen als organisatorische Herausforderungen entstehen können. Die Formalisierung kann einen Übergang von der Nische
in den Mainstream bedeuten, führt allerdings nicht zwangsläufig zu einer breiteren Diffusion oder erfolgreichen Etablierung
des Pioniers beziehungsweise der Pionierinnovation.
4 Einflussfaktoren auf das Wirken
von Transformationspionieren
Das Wirken von Individuen auf (gesellschaftliche) Veränderungsprozesse wird mit Konzepten wie Change Agent oder
Promotor/innen (z. B. Kristof 2010), Schlüsselakteur (z. B. Kilper et al. 2016) oder Leadership (Nerdinger et al. 2012) diskutiert. Die verschiedenen Ansätze haben gemein, dass davon
ausgegangen wird, dass Einzelpersonen niemals alleine und
unabhängig agieren und wirken, sondern immer eingebettet
sind in „soziale Beziehungsgefüge“ (Kilper et al. 2016) und in
Abhängigkeit von strukturellen Rahmenbedingungen stehen
(Kilper et al. 2016; WBGU 2011).
Auf individueller Ebene werden Transformationspioniere
dadurch charakterisiert, dass sie mit ihrem Handeln eine Zielvorstellung einer zukünftigen Gesellschaft verfolgen (Kristof
2010). Sie agieren wert- und zielgeleitet, sind intrinsisch motiviert und haben Freude an Veränderung und dem Meistern
von Herausforderungen (Nerdinger et al. 2012; Kristof 2010;
Maier et al. 2007). Gleichzeitig verfügen sie über „ausreichend
Macht, Ressourcen, Kreativität und Innovations- und Reformbereitschaft“ (WBGU 2011) und erkennen und nutzen existierende Gelegenheitsstrukturen (Hoffmann 2013; WBGU 2011).
Ihnen wird eine strategische Kompetenz zugesprochen, die es
ihnen ermöglicht, sich mit weiteren Pionieren zusammenzuschließen und gezielt Transformationsprozesse zu initiieren
und voranzutreiben (WBGU 2011). Als drei zentrale Eigenschaften beschreibt der WBGU (2011) die „innovative Kapazität“, eine „Gemeinwohlorientierung“ und eine hohe „Fähigkeit,
‚Neues‘ zu kommunizieren“ (WBGU 2011). Um Wirkung entfalten zu können, müssen Pioniere den Kontakt und die Zusammenarbeit mit anderen Menschen gestalten (Kristof 2010)
und „Identität und das Bewusstsein von Wirkungsmächtigkeit“
(WBGU 2011) schaffen können. Sie benötigen dabei relevantes Fach- und Prozesswissen, um in verschiedenen Handlungsfeldern Veränderungs- und Kooperationsprozesse gestalten zu
können (Kristof 2010). Dies ermöglicht es ihnen, vielfältige Lösungsideen für Themenfelder zu entwickeln und abzuschätzen,
welche Ideen erfolgsversprechend sind und daher weiterverfolgt werden sollten (Maier et al. 2007). Darüber hinaus spielt
auf individueller Ebene insbesondere der Glaube an die eigene
Selbstwirksamkeit für die Entwicklung und Umsetzung neuer
Ideen eine Rolle (Maier et al. 2007). Diese Selbstwirksamkeit in
Kombination mit intrinsischer Motivation, Fach- und Prozesswissen können somit einen Wandel in der Handlungsweise eines Individuums hervorrufen und dieses dazu bewegen, Transformationsprozesse anzustoßen.
Transformationspioniere agieren nicht alleine; sie sind vielmehr in vielfältige soziale Beziehungsgefüge und Netzwerke
eingebunden, die sie selbst initiieren beziehungsweise prägen.
Innerhalb dieser Gruppen und auch von anderen im selben Bereich werden Pioniere oft als „herausragend“ und „bedeutend“
wahrgenommen (Kilper et al. 2016). In ihren Projekten kann
es vor allem die Begeisterungsfähigkeit, ihr fachspezifisches
Wissen oder die führende Rolle sein, die sie zu „herausragenden“ Persönlichkeiten und damit zu Transformationspionieren
macht (Gailing et al. 2016). Diese Fähigkeiten versetzen sie in
die Lage, andere von ihrer Idee überzeugen zu können (Kristof
2010). Durch ihr Handeln schaffen sie es nicht nur, Menschen
von ihrer Idee zu begeistern, sondern auch Einfluss auf deren
individuelle Lebensstile beziehungsweise kulturelle Werte und
Normen zu nehmen, um so im nächsten Schritt Veränderungen zu bewirken (Kilper et al. 2016).
Die Zusammenarbeit in Netzwerken ermöglicht darüber hinaus, individuelle Kompetenzen und Ressourcen verschiedener Personen zu kombinieren, um auch über einen längeren
Zeitraum hinweg und gegen Widerstände auf ein Ziel hinarbeiten zu können (Kristof 2010). Das Fach- und Prozesswissen
sowie die Beziehungen und Machtfunktionen verschiedener
Personen können genutzt werden, um lokale oder regionale
Akteursnetzwerke aufzubauen. Innerhalb dieser Netze können in gruppendynamischen Prozessen Herausforderungen
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gemeinsam bearbeitet und voneinander gelernt werden (Bendrien et al. 2000). Durch soziale Lernprozesse und den Austausch zwischen den beteiligten Personen werden Ideen und
Inhalte weiterentwickelt. Es entstehen geteilte Normen und es
kann zu einer Diffusion nachhaltiger Verhaltensmuster kommen (Bendrien et al. 2000). Die Zusammenarbeit in Gruppen
und Netzwerken macht Transformationspioniere wirkungsmächtiger (Kilper et al. 2016).
Institutionelle, politische, ökonomische, historische und
geografische Rahmenbedingungen beeinflussen die Aktivitäten von Transformationspionieren positiv wie negativ, können
stellenweise aber auch von diesen beeinflusst und (mit-)gestaltet werden (Gailing et al. 2016; Kilper et al. 2016). Innovative
Projekte und Ideen stehen immer im Wechselspiel mit exogenen Prozessen und Strukturen (Hoffman 2013).
5 Förderliche und hemmende Faktoren
für Transformationspioniere
Die nachfolgenden empirischen Befunde basieren auf 20
qualitativen, leitfadengestützten Interviews und sind nach zwei
Ebenen gegliedert: Auf der individuellen Ebene der Transformationspioniere finden sich deren persönliche und als förderlich befundene Eigenschaften und Kompetenzen sowie die
dazu komplementär zu verstehenden Bedarfe und Barrieren.
Auf der Ebene der sozialen Beziehungen werden Aussagen zu
Kooperationen, Allianzen und Netzwerken getroffen, die Pionieraktivitäten befördern, aber auch Hemmnisse und Barrieren darstellen können. Bei einigen Aspekten konnten in Bezug auf die Pionieraktivitäten sektorale Unterschiede festgestellt werden, welche im letzten Teilkapitel beschrieben werden.
5.1 Individuelle Eigenschaften und Kompetenzen
Die Pioniere wurden nach der Motivation für ihre Vorhaben und dem Entstehungshintergrund, nach ihren als besonders hilfreich empfundenen persönlichen Fähigkeiten sowie
Schwierigkeiten in der Projektumsetzung befragt, aber auch
nach den Strategien, über die Verbündete und Partner/innen
gefunden wurden.
Transformationspioniere verfügen über eine hohe Kommunikationsfähigkeit zur Ansprache und Werbung von Mitstreitenden. Dies zeigt sich darin, dass Pioniere oftmals ein breites
persönliches Netzwerk pflegen und Engagierte zu Beginn ihrer Projekte über ihr persönliches Umfeld einbeziehen. In einigen Fällen sind Impulse und Anregungen für Pionierprojekte
aus dem persönlichen Netzwerk hervorgegangen. Bei fortgeschrittenen Aktivitäten hat es sich als hilfreich erwiesen, wenn
die Pioniere Gruppenprozesse leiten und moderieren können,
aber auch über motivierende Eigenschaften und Durchhaltevermögen verfügen, welches sich besonders in Konfliktsituationen und bei Ressourcenknappheit auszahlt. Als Hemmnis
zeigt sich, dass die Pioniere teilweise aufwendige Überzeugungsarbeit leisten müssen, wenn sich ihre Projekte und Aktivitäten einer komplexen Thematik widmen und deshalb ei-
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ner Erklärung bedürfen. Auch nehmen potenziell Engagierte
den Problemdruck durch den Klimawandel bisher nicht ausreichend wahr, sodass dieses Argument noch wenig engagementfördernd wirkt.
Die Pioniere zeigen eine besondere Sensibilität für Gelegenheitsfenster und die Fähigkeiten, diese auch zu nutzen. So besteht seit einiger Zeit beispielsweise eine breite öffentliche
und mediale Aufmerksamkeit für die Themen Energiewende
und Sharing-Economy. Den Pionieren bietet dies eine Basis,
ihre Ideen zu platzieren und diese offensiv und kompetent
nach außen zu vermitteln. Ein technisches Grundverständnis
oder auch handwerkliche Fähigkeiten zeigen sich als förderlich, wenn es darum geht, Mitstreiter/innen oder Sponsor/innen zu motivieren, aber auch bei der Umsetzung der Aktivitäten. Defizite bei persönlichen Kompetenzen beschreiben die
Pioniere im Bereich der Rechtsberatung zu den Themen des
Steuer-, Arbeits-, Internetrechts sowie des Gründungs- oder
Vereinsrechts, die sich zu projektgefährdenden Hindernissen
entwickeln können. In der Startphase der Aktivitäten besteht
ein Hemmnis darin, für das Innovationsvorhaben die geeignete Rechtsform zu finden.
5.2 Soziale Beziehungen und Netzwerke
In diesem Bereich wurden die Pioniere nach ihren Verbündeten gefragt, nach Kompetenzen, die von außen eingeholt
werden, der Zusammenarbeit mit weiteren Institutionen und
Akteuren, aber auch nach Schwierigkeiten, die durch eine gemeinschaftliche Projektumsetzung entstehen.
Pionierprojekte werden oft von besonders engagierten Einzelpersonen und ehrenamtlich Tätigen getragen, die sich den
Projekten oder der Sache sehr verpflichtet fühlen. Bei Bedarf
können auch kurzfristig Engagierte aus dem persönlichen
Netzwerk heraus gewonnen werden. In einigen Fällen sind
die Netzwerke organisch aus den Aktionen heraus entstanden,
worüber Referenzen und Vertrauen aufgebaut werden konnten. Allerdings zeigt sich bei verschiedenen Pionieraktivitäten
unstetes Engagement und eine mangelnde Bindungsfähigkeit
von Personen als Hemmnis. Oft sind Engagierte im Ehrenamt aktiv oder während besonderer Lebensphasen, zum Beispiel während eines freiwilligen ökologischen Jahres oder eines
Sabbatjahres. Um ehrenamtliches Engagement in feste Personalstellen zu überführen, fehlen in vielen Fällen die finanziellen Ressourcen. Diese ökonomische Barriere wirkt sich negativ auf die Professionalisierung der Aktivitäten aus und beeinflusst die Entwicklung und ein eventuelles Mainstreaming der
Pionierprojekte. Aus fortgeschrittenen Pionierprojekten wurde
allerdings teilweise von Missstimmungen unter den Engagierten berichtet, die sich über die Ablösung ehrenamtlicher Aufgaben durch Professionalisierung (z. B. Mini- oder Medi-Jobs)
ergeben können. Gefahren liegen darin, die Ehrenamtlichen
zu demotivieren, wenn andere Personen für vergleichbare oder
benachbarte Aufgaben ein Gehalt beziehen, sich Veränderungen in der Intensität des Engagements oder auch in projekthemmenden Gruppenprozessen ergeben (z. B. Spaltung von
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Beschäftigung und Ehrenamt). Die finanziellen Ressourcen für
diese Aufgabenüberführung werden überwiegend aus öffentlichen Fördermitteln getragen. Schwierigkeiten zeigten sich teils
bei der Fortführung von Aufgaben nach Auslaufen dieser Fördermittel. In dieser Phase sind individuelle Kompetenzen der
Pioniere hilfreich, etwa eine hohe Sensibilität für Gruppenprozesse und die Fähigkeit, motivierend auf das Team zu wirken.
Förderlich für die Pionieraktivitäten ist der Anschluss an ein
übergreifendes, meist bundesweites Netzwerk. Hierüber können beispielweise ideelle Unterstützung oder erste Kundschaft
angesprochen werden, die mit ihrem Namen Vertrauen schaffen, sodass darüber weitere Mitglieder, Engagierte, Sponsor/innen oder Kunden/innen geworben werden können. Während
die Werbung für die Pionieraktionen in der Regel über das persönliche Netzwerk, Flyer, Plakate und Events erfolgt, konnten
vor allem die Abfall- und Mobilitätspioniere über Netzwerke
Wettbewerbe und Stipendien erschließen. Diese brachten mediale Aufmerksamkeit und Marketing für die Pioniervorhaben.
In wenigen Fällen gab es eine Kompetenzvermittlung (Coaching) oder auch Geldpreise. Insgesamt berichten die Pioniere,
dass Öffentlichkeitsarbeit und Marketing die Bereiche sind, die
aus finanziellen wie personellen Gründen immer wieder als
Erstes in den Hintergrund rücken.
Alle Pioniere haben Engpässe bei passenden Räumlichkeiten zum Austausch und zur Durchführung ihrer Aktivitäten
als Hemmnis erlebt. Nur in wenigen Fällen konnten entsprechende Räumlichkeiten über Kooperationspartner/innen oder
das eigene Netzwerk erschlossen werden.
5.3 Sektorale Unterschiede
Bei einigen Aspekten unterschieden sich die Einschätzungen der Pioniere je nach Themenfeld, sodass sich sektorspezifische Befunde beschreiben lassen. Bei den Mobilitäts- und
Abfallpionieren zeigen sich beispielsweise Kooperationen mit
verwandten Projekten und mit Wirtschaftsunternehmen als besonders förderlich. Hierüber können günstig oder auch kostenfrei Materialressourcen erschlossen und auch Unterstützung durch spezifische Fachexpertise eingeholt werden. Bei
den Energie- und Abfallpionieren ist der Kontakt zu Fachleuten, die bei technischen Fragen zur Verfügung stehen, hilfreich
für den Erfolg und das Vorankommen der Projekte.
Das Thema Konkurrenz wird bei den Mobilitäts- und Abfallpionieren teilweise positiv angesprochen beziehungsweise
nicht als negativer Wettbewerb verstanden. Mehr als die Hälfte
der interviewten Pioniere betonen, dass sie es als motivierend
und positiv empfinden würden, wenn in anderen Stadtteilen
ihre Projektideen oder Aktionen gleich oder ähnlich durchgeführt würden. Die Pioniere unterstreichen die positive Kraft
einer gesellschaftlichen Bewegung, die sich über die Verbreitung ihrer Aktionen äußert. Bei den Energiepionieren wird das
Thema Konkurrenz differenziert gesehen, da bei der Umsetzung der Energiewende die Flächenverfügbarkeit eine wesentliche Rolle spielt und diese Ressource in der Stadt Hamburg
knapp ist. Die Konkurrenz um Flächen spielt jedoch vorran-
gig bei den eher etablierten Akteuren im Pfad der Energieerzeugung eine Rolle und weniger in den drei anderen Pfaden
der Energiewende (Energiesuffizienz, Energieeffizienz, Sektorkopplung) oder bei den Akteuren, die weniger formalisiert sind.
Der Kontakt zu Macht- und Fachpromotor/innen stellt sich
in der Wichtigkeit unterschiedlich dar. Während bei den Energie- und Mobilitätspionieren der Kontakt zu Machtpromotor/
innen für das Gelingen einiger Projekte wesentlich war, spielen diese bei den Abfallpionieren eine geringere Rolle. Dagegen
erwiesen sich hier die Kontakte zu Fachpromotor/innen mit
speziellem Know-how als besonders förderlich. Hintergrund
könnte sein, dass die Energie- und Mobilitätswende mit entsprechenden formalen Regelungen differenzierter ausgestaltet und bereits weiter fortgeschritten ist. Aus diesem Grund
kommt den Machtpromotor/innen beim Vorankommen der
Energie- und Mobilitätspioniere eine wichtigere Rolle zu als
den Fachpromotor/innen.
6 Beiträge der Pioniere zu einer
klimafreundlichen Stadtgesellschaft
Die in Hamburg identifizierten Transformationspioniere
zeigen verschiedenste innovative Lösungsansätze für den Klimaschutz in Städten. Einige der Pioniere fordern etablierte
Werte und Normen heraus, indem sie zum Beispiel über suffizienzorientierte Lebensweisen oder zum bewussten Umgang
mit Ressourcen aufklären. Mit ihren experimentellen Projekten
und knappen Ressourcen gehen die Pioniere oftmals ein hohes
Risiko des Scheiterns ein. Ihr Erfolg hängt von ihren persönlichen Eigenschaften, ihren individuellen Kompetenzen und
dem besonderen Engagement ab, aber auch davon, die richtigen Verbündeten und Partner/innen (Fach- und Machtpromotor/innen) zu finden. Für eine Transformation zu einer klimafreundlichen Stadtgesellschaft geben die Pioniere wertvolle
Impulse, benötigen aber eine besondere Art der Innovationsförderung, um in ihrem Wirken unterstützt zu werden. Die
Transformation könnte befördert werden, indem zum Beispiel
die Risiken der Pioniere reduziert und durchlässigere Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, den Status quo
in den jeweiligen Handlungsbereichen des Klimaschutzes zu
verändern. Dazu könnte beispielsweise ein gezielter Austausch
zwischen Pionieren und Institutionen beitragen, um innovative Ideen zu platzieren und zu testen, aber auch um die Zugänglichkeit zu erforderlichen Ressourcen und Schlüsselpersonen zu erleichtern.
Die empirischen Ergebnisse haben einen hohen Bedarf an
niedrigschwelligen Beratungsangeboten angedeutet. Hierfür
könnten Angebote einer (möglichst kostenfreien) Beratung
für Organisationsfragen (Vereinsrecht, Betriebsrecht) oder für
Versicherungsfragen bereitgestellt werden. Auch könnten Beratung und Workshops für die Beantragung von öffentlichen
Fördermitteln helfen. Hilfreich wäre es für die Pionierprojekte,
wenn zum Beispiel die Stadt flexible Räumlichkeiten (auch mit
Werkstattoption) zu günstigen Konditionen für die Startphase
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der Pionierprojekte bereitstellen würde. Gerade Orte, an denen
ungezwungen Zusammenarbeit möglich ist, um eine Gruppe
zu bilden, gemeinsam Ideen reifen zu lassen und diese auch
ausprobieren zu können, wird von den Pionieren als Bedarf
beschrieben.
Die Fallstudie zu den Transformationspionieren weist auch
auf das Defizit hin, dass die öffentlichen Strukturen zur Innovationsförderung vorrangig auf Finanzierungshilfen ausgerichtet sind, welche die Transformationspioniere kaum erreichen,
da spezifische Voraussetzungen und Bedingungen gefordert
werden. Eine kommunale Förderung, die auf die spezifischen
Bedarfe der Transformationspioniere ausgerichtet ist, könnte
sowohl die Startphase als auch die Etablierung der Pionieraktivitäten erleichtern. Der Mehrwert der Projekte für den Klimaschutz und für das Gemeinwohl könnte als Kriterium herangezogen werden.
Die finanzielle Unterstützung stellt allerdings nur einen Aspekt möglicher förderlicher Rahmenbedingungen für Transformationspioniere dar. Weiterer Forschungsbedarf bezieht sich
auf Fragen der sozialen, institutionellen und räumlichen Einbettung und Verflechtung der Pionierprojekte. Eine Analyse
der Entwicklung der Pionierinnovationen könnte – unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der klassischen Innovationsforschung – Aufschluss darüber geben, wie der Übergang vom
Nischenprojekt in den gesellschaftlichen beziehungsweise ökonomischen Mainstream gelingt und welche Strategien und Anforderungen damit verbunden sind. Darüber hinaus sollte die
Wirkung der Pionierprojekte vertiefend untersucht werden, um
herauszuarbeiten, inwiefern und wie diese zu einem Wandel
von kulturellen Normen und Werten in Richtung einer klimafreundlichen und nachhaltigen Stadtgesellschaft beitragen können.
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Toya Engel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
und Dr. Jörg Knieling ist Professor im Fachgebiet
Stadtplanung und Regionalentwicklung
an der HafenCity Universität Hamburg.
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E-Mail:
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Katharina Klindworth ist Mitarbeiterin bei
„Our Common Future Consulting“.
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