Wie überall, treten auch in der EU seltene Krankheiten auf, darunter solche genetischen Ursprungs, die lebensbedrohlich oder chronisch sind, zu Invalidität führen und eine geringe Prävalenz aufweisen.
„Geringe Prävalenz“ bedeutet, dass die jeweiligen seltenen Krankheiten nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betreffen – „wenn sie nach allgemeiner Erkenntnis in der Gemeinschaft unter 5 von 10 000 liegt“. (Beschluss Nr. 1295/1999/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 1999). In der EU:
- leben 27 bis 36 Millionen Menschen mit einer seltenen Krankheit,
- gibt es Schätzungen zufolge derzeit 6000 bis 8000 verschiedene seltene Krankheiten.
- Während einige davon nur eine Handvoll Patient*innen betreffen, sind es bei anderen 250 000.
- Etwa 80 % der seltenen Krankheiten sind genetischen Ursprungs.
- 70 % der seltenen Krankheiten beginnen in der Kindheit.
Was unternimmt die EU?
Das strategische Ziel der EU im Bereich der seltenen Krankheiten besteht darin, den Zugang der Patientinnen und Patienten zu Diagnose, Information und Versorgung zu verbessern. Die Strategie soll dazu beitragen, die in der gesamten EU verteilten, knappen Ressourcen zu bündeln und Patient*innen und Fachkräfte in die Lage zu versetzen, Wissen und Informationen auszutauschen.
Der europäische Ansatz zielt darauf ab,
- Europäische Referenznetzwerke (ERN) einzurichten und zu unterstützen,
- die Europäische Plattform für die Registrierung seltener Krankheiten (EU-RD-Plattform) weiterzuentwickeln und zu verwalten,
- die Definition, Kodifizierung und Bestandsaufnahme seltener Krankheiten zu fördern,
- die Ausweisung und Zulassung von Arzneimitteln für seltene Leiden („orphan drugs“) zu unterstützen.
- die Wissensbasis auch durch Forschung und Innovation zu erweitern,
- neue Therapien und Diagnoseinstrumente für seltene Krankheiten zu entwickeln,
- Register und Datenbanken für seltene Krankheiten fairer zu gestalten,
- die Anerkennung und Sichtbarkeit seltener Krankheiten zu verbessern, auf globaler Ebene auch über das Internationale Forschungskonsortium für seltene Krankheiten (IRDiRC),
- Patientenorganisationen zu stärken,
- die Entwicklung nationaler Pläne und Strategien für seltene Krankheiten zu fördern.
Forschung und Entwicklung
Die Erforschung seltener Krankheiten ist bereits seit zwei Jahrzehnten eine Priorität der EU.
In den Jahren 2007 bis 2020 wurden mehr als 3,2 Mrd. Euro in 550 gemeinsame Forschungs- und Innovationsprojekte im Zusammenhang mit seltenen Krankheiten investiert, und zwar durch:
- das Siebte Forschungsrahmenprogramm (RP7),
- Horizont 2020, die Rahmenprogramme der Europäischen Kommission für Forschung und Innovation,
- Horizont Europa (2021–2027), das neue Finanzierungsprogramm, das diese Bemühungen weiterhin unterstützen wird.
Mehrere von der EU finanzierte Forschungsprojekte befassen sich mit seltenen Krankheiten.
Die EU unterstützt die Koordinierung zwischen Forschungsförderern in Europa und darüber hinaus.
Der Start des Gemeinsamen Europäischen Programms für seltene Krankheiten (EJP RD-Kofinanzierung) im Jahr 2019 war ein wichtiger Meilenstein in Europa.
- Mit dem EJP RD wird ein umfassendes, nachhaltiges System eingerichtet, in dem Forschung, Pflege und medizinische Innovation harmonisch interagieren können.
- Das EJP RD bündelt Ressourcen auf nationaler und europäischer Ebene in einer nie erreichten Größenordnung. Es vereint Forschungsförderer, Universitäten, Forschungseinrichtungen und -infrastrukturen, Krankenhäuser (einschließlich ERN) und Patientenorganisationen aus mehr als 135 Institutionen in 35 Ländern, darunter 26 der 27 EU-Länder.
- Die EU trägt zu den Gesamtinvestitionen von über 100 Mio. Euro 55 Mio. Euro bei.
Das ERICA-Konsortium (European Rare Disease Research Coordination and Support Action) hat im Jahr 2021 seine Arbeit aufgenommen, um die klinischen Forschungstätigkeiten der ERN zu koordinieren.
Im ERICA-Konsortium sind das Fachwissen der 24 ERN und anderer Partner zusammengefasst, darunter Eurordis, Orphanet und verschiedene Forschungsinfrastrukturen. Durch die Zusammenführung interdisziplinärer Forschungsgruppen in verschiedenen medizinischen Bereichen schafft es eine Kooperationsplattform für den Austausch von Wissen und bewährten Verfahren.
Auch das Forschungsprojekt Solve-RD bringt Sachverständige aus mehreren ERN zusammen und trägt zur Lösung und Diagnose „nicht gelöster seltener Krankheiten“ (unsolved rare diseases) bei und wird weiter ausgebaut.
Öffentlich-private Projekte wie Conect4Children oder Screen4Care sind ebenfalls von großer Bedeutung, um Lösungen für Patient*innen mit seltenen Krankheiten zu finden.
Im Herbst 2024 wird eine Europäische Partnerschaft für seltene Krankheiten (ERDERA), die von den Mitgliedstaaten und der Kommission im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont Europa kofinanziert wird (EU-Mittel in Höhe von bis zu 150 Mio. Euro) ihre Arbeit aufnehmen.
Die Ziele von ERDERA sind:
- Entwicklung neuer Diagnosemethoden und -pfade,
- bessere Prävention, Diagnose und Behandlung mit konkretem Nutzen für die Gesundheit von Patientinnen und Patienten mit seltenen Krankheiten,
- gründliche Abstimmung der Strategien für die Erforschung seltener Krankheiten in allen Ländern und Regionen.
Nationale Pläne für seltene Krankheiten
In der Empfehlung des Rates von 2009 für Maßnahmen im Bereich seltener Krankheiten hieß es unter anderem, dass die Mitgliedstaaten Pläne oder Strategien für seltene Krankheiten erstellen und umsetzen, damit Patient*innen mit seltenen Krankheiten Zugang zu hochwertiger Versorgung haben.
Diese nationalen Pläne oder Strategien können auch dazu beitragen, die ERN auf nationaler Ebene zu fördern und den Austausch bewährter Verfahren zwischen den EU-Ländern zu erleichtern. Die Gemeinsame Aktion JARDIN zur Integration der ERN in die nationalen Gesundheitssysteme soll auch der Nachhaltigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen und Umsetzungen dienen, indem sie in aktualisierte nationale Pläne und Strategien für seltene Krankheiten integriert werden.
Europäische Plattform für die Registrierung seltener Krankheiten
Die Gemeinsame Forschungsstelle hat in Zusammenarbeit mit der GD SANTE die Europäische Plattform für die Registrierung seltener Krankheiten (EU-RD-Plattform) eingerichtet und verwaltet sie, um einen einheitlichen Zugangspunkt zu verschiedenen Registern seltener Krankheiten und Datenquellen in Europa bereitzustellen.
Die Plattform:
- geht gegen die Fragmentierung der Daten über seltene Krankheiten vor und fördert die Interoperabilität zwischen bestehenden und neuen Registern,
- macht die Daten der Register anhand der europäischen Infrastruktur des Registers für seltene Krankheiten (ERDRI – ERDRI User Access Guide) sichtbar, durchsuchbar und auffindbar.
- legt auf EU-Ebene Standards für die Erhebung und den Austausch von Daten über seltene Krankheiten fest,
- bietet für Registerverwaltungen Schulungen und Unterstützung betreffend die Nutzung der angebotenen Instrumente und Dienste an,
- betreibt das Zentralregister des Europäischen Netzes für angeborene Anomalien (EUROCAT).
Zu der Plattform gehören:
- das Europäische Registerverzeichnis (ERDRI.dor – ERDRI.dor-Handbuch)
- der zentrale Metadatenspeicher (ERDRI.mdr – ERDRI.mdr-Handbuch),
- die Suchmaschine (ERDRI.sebro), die über ihre Pseudonymisierung (ERDRI.spider) die Verknüpfung und Übertragung von Patientendaten zwischen Registern ermöglicht und Patientengruppen (Kohorten) für Studien und Forschung erstellt, ohne die Datensicherheit der Patient*innen zu gefährden.
Alle zentralen und lokalen Register und Datenquellen der ERN sind aufgefordert, sich der EU-RD-Plattform anzuschließen und dazu beizutragen, dass die Daten von Registern für seltene Krankheiten auffindbar sind.
Im Laufe dieses Jahres wird eine Europäische Partnerschaft für seltene Krankheiten (ERDERA), die von den Mitgliedstaaten und der Kommission im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont Europa kofinanziert wird (EU-Mittel in Höhe von bis zu 150 Mio. Euro) ihre Arbeit aufnehmen.
Ziel dieser Partnerschaft ist es, neue Diagnosemethoden und -pfade zu entwickeln und durch bessere Prävention, Diagnose und Behandlung einen konkreten Nutzen für Patient*innen mit seltenen Krankheiten zu erreichen. Gleichzeitig soll eine gründliche länder- und regionenübergreifende Abstimmung der Strategien für die Erforschung seltener Krankheiten gewährleistet werden.
Orphanet
Seit dem Start des Aktionsprogramms der Gemeinschaft betreffend seltene Krankheiten (1999–2003) unterstützt die EU die Entwicklung und Arbeit von Orphanet, dem Portal für seltene Krankheiten und Arzneimittel für seltene Leiden.
Ziele von Orphanet:
- Bereitstellung hochwertiger Informationen über seltene Krankheiten und Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs zu Wissen für alle Interessenträger,
- Beibehaltung des ORPHA-Codes für seltene Krankheiten:
- dieses Kodifizierungssystem wurde von der Lenkungsgruppe für Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention und Management von nicht übertragbaren Krankheiten (SGPP) als bewährtes Verfahren ermittelt und im Rahmen des Projekts „RD Code“ (2019–2021) unterstützt.
- ORPHAcode ist ein international gültiges Klassifizierungssystem für seltene Krankheiten, mit dem Patient*innen mit seltenen Krankheiten identifiziert werden können.
Orphanet ist außerdem an zahlreichen EU-finanzierten Forschungsprojekten zu seltenen Krankheiten beteiligt (z. B. ERICA, EJP RD usw.).
Rechtsrahmen
Alle Rechtstexte betreffend seltene Krankheiten auf EU-Ebene