Elektromotorische Kraft
Die elektromotorische Kraft (EMK, engl. Electromotive Force EMF) ist die Energie pro Ladungselement, gemessen in Volt, welche ihm in elektrochemischen Zellen, in magnetfeldbasierten elektrischen Generatoren oder Motoren, in Photozellen und in Thermoelementen zugeführt wird. Sie beschreibt die Wandlung von nichtelektrischer in elektrische Energie, treibt in geschlossenen Stromkreisen einen elektrischen Strom an und hängt nicht von der Strombelastung ab. Die EMK ist im stromlosen Fall an den Klemmen messbar. Die Quellenspannung ist mit ihr betragsgleich. In Widerständen existiert keine EMK.
Synonyme für die EMK sind je nach Autor Urspannung, innere Spannung, innere Urspannung, eingeprägte Spannung oder induzierte Spannung. Diese Begriffe werden überwiegend in der Physik und theoretischen Elektrotechnik gebraucht. In der Netzwerktheorie wird die EMK nicht benötigt und gilt als veraltet. Für die dortigen Methoden genügt die betragsgleiche Quellenspannung.
Bezeichnung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Begriff „elektromotorische Kraft“ beschreibt trotz seiner Bezeichnung keine Kraft im physikalischen Sinn, sondern eine elektrische Spannung. Der Begriff kommt in der Liste physikalischer Größen sowie in Übersichts-Normen wie DIN[1] und EN[2] nicht vor; im Internationalen Elektrotechnischen Wörterbuch (IEV) der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC)[3] wird die EMK als „abgelehnte“ und „veraltete“ Bezeichnung aufgeführt; verwendet werden soll allein „Quellenspannung“ (engl. source voltage oder source tension).
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der grundsätzliche Zusammenhang von chemisch geleisteter Arbeit in galvanischen Elementen zu Stromenergie, EMK und Kraft wurde durch Arbeiten von Hermann von Helmholtz und Josiah Willard Gibbs geleistet. Max Le Blanc nutzte zur Standardisierung der elektromotorischen Kraft von galvanischen Elementen die Normallösungen. Le Blanc fand weiter, dass platinierte Platinelektroden reversible Elektroden sind und zur präzisen Messung von Normalpotentialen genutzt werden können, er schlug die mit Wasserstoffgas umspülte Platinelektrode als Standardelektrode vor. Walther Nernst stellte eine Theorie zur EMK-Bestimmung bei verschiedenen Elektrolytkonzentrationen und Temperaturen auf.
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Galvanische Zelle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Daniell-Element ist ein historisches Beispiel für eine elektrochemische Zelle. Es wird aus einem Zinkstab gebildet, der in die wässrige Lösung eines Zinksalzes taucht, und einem Kupferstab, der in die wässrige Lösung eines Kupfersalzes taucht. Beide Halbzellen werden mit Hilfe eines Stromschlüssels, der die Lösung eines Elektrolyten – KCl (Kaliumchlorid) oder NH4NO3 (Ammoniumnitrat) – enthält, oder durch ein Diaphragma zu einer galvanischen Zelle kombiniert.
Werden die beiden Metalle durch einen metallischen Leiter verbunden, fließt ein elektrischer Strom durch das System. Dabei erwärmt sich der Draht. Zink löst sich an der Zink-Elektrode auf, Kupferionen aus der Lösung scheiden sich an der Kupfer-Elektrode ab. Zur Bestimmung der EMK zerteilt man den Draht und schaltet ein Spannungsmessgerät zwischen die Drahtenden.
Im Daniell-Element findet an der Anode die Oxidation des Zinks statt.
An der Kathode wird Kupfer reduziert.
Für jede Halbzelle berechnen sich die Halbzellenpotentiale nach der Nernst-Gleichung.
Potentialdifferenz bzw. elektrische Spannung gegen eine Referenzelektrode; [] = V | |
Standard-Potential (nachzuschlagen unter Spannungsreihe); [] = V | |
Temperatur; [] = K | |
Aktivität der Metallionen in der Lösung | |
Faraday-Konstante, = 96485,33 C/mol | |
Universelle oder molare Gaskonstante, = 8,314460 J/(mol K) | |
Anzahl der bei dem Potentialausgleich übertragenen Elektronen pro Atom oder Ion |
Zur Berechnung der EMK für die Gesamtreaktion bildet man die Differenz der beiden Halbzellenpotentiale nach
Für das Daniell-Element erhält man für Metallionenkonzentrationen von jeweils 1 mol/l
- ,
da unter Standardbedingungen (Temperatur 25 °C, Konzentration 1 mol/l, Druck 1013 mbar) das Halbzellenpotential dem Standard-Potential entspricht.
Jede Halbzelle ist dabei getrennt zu betrachten. Man kann auch eine Halbzelle aus Zinkblech in Zinklösung nutzen, um auf elektrochemische Weise Wasserstoff herzustellen. Das Zinkblech wird mit einem Draht verbunden und in Kontakt mit einer Platinelektrode gebracht. Nun taucht man die Platinelektrode in Salzsäure. Es bildet sich Wasserstoffgas.
Zur Kalibrierung bzw. zur richtigen Einstellung von genau 1,000 V wurde in früherer Zeit das Clarkelement (Zink/Zinkpaste/Quecksilbersulfat/Quecksilber) oder das Westonelement benutzt.
Anwendungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aus der EMK lässt sich die molare freie Enthalpie einer Redox-Reaktion berechnen.
Hat man die EMK unter Standard-Bedingungen bestimmt, lässt sich so die freie Standard-Reaktionsenthalpie berechnen.
Weiterhin kann mit einer Referenz-Wasserstoffelektrode der pH-Wert bestimmt werden, indem die EMK dazu entwickelter Sonden gemessen wird, wenn sie in die zu messende Flüssigkeit eintauchen. Siehe hierzu zum Beispiel pH-Elektrode. Die EMK ändert sich dabei um 59,16 mV je pH-Änderung um 1, d. h. je Zehnerpotenz der Wasserstoff-Ionenkonzentration, wenn die Messtemperatur von 25 °C eingehalten wird (Nernst-Neigung).[4] Andere Elektrodensysteme umgehen die schwierige Handhabung der Wasserstoffelektrode zur pH-Wert-Messung.[5]
Elektromotoren und Generatoren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bewegt sich ein elektrischer Leiter quer durch ein Magnetfeld, wird in ihm eine elektrische Spannung induziert; sie ist umso höher, je schneller die Bewegung ist. Dementsprechend induziert der sich im Stator-Magnetfeld drehende Läufer eines Elektromotors oder der magnetische Läufer eines Generators in seinen Wicklungen eine Spannung. Diese induzierte Spannung wird bei Motoren Gegen-EMK genannt. Dabei ist es unerheblich, welche Spannung tatsächlich am Motor bzw. Generator anliegt – die Differenz der beiden Spannungen fällt am ohmschen Widerstand der Wicklungen ab oder wird durch Leckströme verursacht.
Steigt die Drehzahl eines Gleichstrommotors so weit an, dass die EMK sich der anliegenden Spannung nähert, sinkt die Stromaufnahme und die Drehzahl erhöht sich nicht weiter. Mit Kenntnis der Gegen-EMK eines Gleichstrommotors kann man somit dessen Grenzdrehzahl für eine bestimmte Spannung errechnen.
Die Gegen-EMK eines Gleichstrommotors und auch anderer Motoren kann zu deren Steuerung und Geschwindigkeitsregelung herangezogen werden. Davon wird zum Beispiel bei kleinen permanenterregten Motoren zum Antrieb von Kassetten-Tonbandgeräten Gebrauch gemacht, aber auch bei elektronisch kommutierten Motoren sowie bei modernen Frequenzumrichtern für Asynchronmotoren.
Fremderregte Gleichstrommotoren können durch Feldschwächung in ihrer Drehzahl erhöht werden – die Gegen-EMK erfordert nun eine höhere Drehzahl, um den Wert der Betriebsspannung zu erreichen.
Auch Asynchronmotoren induzieren eine Gegen-EMK – hier induziert das mit dem Kurzschlussläufer umlaufende Magnetfeld in den Statorwicklungen eine Wechselspannung, die der Stromaufnahme entgegenwirkt, wenn der Läufer die Nenndrehzahl erreicht hat.
Die EMK von Schrittmotoren begrenzt deren Dynamik bzw. das Drehmoment bei großen Drehzahlen.[6]
Die elektromotorische Kraft ist bei Generatoren nahezu gleich der Leerlaufspannung. Die erzeugte Spannung beziehungsweise die EMK von Generatoren kann durch Verändern der Drehzahl oder des Erregerfeldes verändert werden.
Galvanometer-Antriebe und Lautsprecher
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei Galvanometer-Antrieben und elektrodynamischen Lautsprechern spielt die Gegen-EMK ebenfalls eine Rolle: sie wirken durch die Massenträgheit ihrer Spulen auf die speisende Spannungsquelle zurück. Ihre EMK wird in der Regel durch den geringen Innenwiderstand der sie treibenden Spannungsquellen kurzgeschlossen, dadurch werden sie bedämpft – ein Nachschwingen oder Überschwinger werden verringert.
Feldtheoretische Einordnung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die stromtreibende elektromotorische Kraft (EMK, eingepräge Spannung, Urspannung) ist nach ihrer Entstehung nichtelektrischer Natur (z. B. in elektrochemischen Zellen, in Photozellen, in Thermoelementen, bei Diffusionsvorgängen, in magnetfeldbasierten elektrischen Generatoren oder Motoren). Sie kann formal auf eine eingeprägte (innere, nichtelektrische) Feldstärke zurückgeführt werden, die nur innerhalb der Quelle existiert. ist unabhängig von der Belastung der Quelle, so dass auch die EMK[7][8][9][10][11][12][13]
wie die Quellenspannung unabhängig von der Belastung ist. Der Integrationsweg verläuft ganz innerhalb der Quelle von einem Pol zum anderen. ergibt sich positiv, wenn der Weg vom Minus- zum Pluspol führt ().
Im Gebiet elektromotorischer Kräfte gilt das erweiterte Ohmsche Gesetz . Die eine Ladung verschiebende Kraft ist dort gleich . In der Akkumulatorzelle rechts, dargestellt ist der Entladefall, kompensieren sich im Leerlauf () die eingeprägte elektrische Feldstärke und die von den Polladungen erregte elektrische Feldstärke gemäß , so dass keine Ladung in der Zelle transportiert wird. Die EMK
ist dann an den Anschlüssen als Quellenspannung messbar.
In der zusammenfassenden Gleichungskette für die rechts skizzierte elektrochemische Zelle
bedeutet den Umlaufwiderstand des Stromkreises, also die Summe aus Innen- und Außenwiderstand, den ortsabhängigen Querschnittsflächeninhalt und den ortsabhängigen spezifischen elektrischen Widerstand. Der Umlaufsinn der Integrale ist wie der Weg vom Minus- zum Pluspol in der Quelle orientiert.
Wenn sich der Leiterkreis in einem Magnetfeld bewegt (, z. B. in elektrischen Maschinen), ist die Feldstärke der Lorentzkraft als eingeprägte elektrische Feldstärke zu rechnen. Der Leiterkreis wird dadurch insgesamt zur Quelle. Wenn das Magnetfeld zeitveränderlich ist (), ist die Zirkulation der elektrischen Feldstärke nicht mehr gleich null, wie in der Gleichungskette oben vorausgesetzt. Es gilt vielmehr
nach dem Induktionsgesetz. Die induzierte Spannung
bildet einen Teil der elektromotorischen Kraft.
Wenn man die stromtreibende Wirkung der Quellen nicht durch ihre Quellenspannung, sondern durch ihre EMK berücksichtigt, nimmt der Kirchhoffsche Maschensatz statt die Form an. Die anschaulichere Form mit , die „Motor“ und „Fahrwerk“ unterscheidet, ist weniger üblich.
Die Aussage, EMK sei eine veraltete Bezeichnung für Quellenspannung, suggeriert, es handele sich um Synonyme für dieselbe physikalische Größe. Das ist nur soweit richtig, als EMK und Quellenspannung betragsgleich sind. Ihre Richtungen sind entgegengesetzt und ihre Definitionen fußen, wie oben dargestellt, auf verschiedenen Feldgrößen. In einer hydraulischen Analogie entspricht die EMK der Druckerzeugung einer Pumpe und die Quellenspannung dem (vermeintlichen) Druckabfall, den man an der Pumpe von der Druck- zur Saugseite misst.
Die EMK treibt einen elektrischen Strom in ihrer Richtung an, die Quellenspannung entgegen ihrer Richtung.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ DIN 1304-1:1994 Formelzeichen – Allgemeine Formelzeichen; Kap. 3.4.
- ↑ EN 80000-6:2008 Größen und Einheiten − Teil 6: Elektromagnetismus; Eintrag 6-11.3.
- ↑ IEC 60050, deutschsprachige Ausgabe bei DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE: Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch, IEV-Nummer 131-12-22
- ↑ http://www.orbisphere.com/index.php/hachultra/content/download/1396/10505/file/HUA%208362_al_i%20A5.pdf pH-Messung.
- ↑ physik.uni-greifswald.de ( des vom 27. Juni 2006 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ http://www.goetz-automation.de/Schrittmotor/SchrittmotorEMK.htm EMK bei Schrittmotoren.
- ↑ Richard Becker, Fritz Sauter: Theorie der Elektrizität. Band 1, 21., völlig neubearb. Auflage. B. G. Teubner, Stuttgart 1973, ISBN 3-519-23006-2, Abschn. 4.3 Eingeprägte Kräfte
- ↑ Adalbert Prechtl: Vorlesungen über die Grundlagen der Elektrotechnik. Band 1, 2. Auflage. Springer, Wien / New York 1994, ISBN 3-211-82553-3, S. 113, Abb. 8.11.
- ↑ Horst Clausert, Gunther Wiesemann: Grundgebiete der Elektrotechnik. Band 1, 9. Auflage. Oldenbourg Verlag, München / Wien 2002, ISBN 3-486-27220-9, S. 33, Abb. 2.8.
- ↑ Richard Feynman: Lectures on Physics. Vol. II, Chpt. 16. In: feynmanlectures.caltech.edu. Abgerufen am 25. Nov. 2024.
- ↑ Richard Feynman: Lectures on Physics. Vol. II, Chpt. 17. In: feynmanlectures.caltech.edu. Abgerufen am 25. Nov. 2024.
- ↑ Richard Feynman: Lectures on Physics. Vol. II, Chpt. 22. In: feynmanlectures.caltech.edu. Abgerufen am 25. Nov. 2024.
- ↑ Richard Feynman: Lectures on Physics. Vol. II, Chpt. 22. In: feynmanlectures.caltech.edu. Abgerufen am 03. Dez. 2024, Fig. 22.8 Electrochemica Cell.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Paul B. Arthur Linker: Elektrotechnische Meßkunde. 3., völlig umgearbeitete und erweiterte Auflage. Julius Springer, Berlin 1920.
- Max Le Blanc: Lehrbuch der Elektrochemie. 9. und 10. Auflage. Oskar Leiner, Leipzig 1922.