Deutsches Kaiserreich
Deutsches Reich 1871-1918 | |||||
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Wahlspruch: „Gott mit Uns“ | |||||
Verfassung | Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 | ||||
Amtssprache | Deutsch | ||||
Hauptstadt | Berlin | ||||
Regierungsform | Konstitutionelle Monarchie | ||||
Kaiser - 1871 bis 1888 - 1888 - 1888 bis 1918 |
Wilhelm I. Friedrich III. Wilhelm II. | ||||
Fläche | 540.766 km² | ||||
Einwohnerzahl - 1871 - 1890 - 1910 |
41.058.792 Ew. 49.428.470 Ew. 64.925.993 Ew. | ||||
Bevölkerungsdichte - 1871 - 1890 - 1910 |
76 Ew. pro km² 91 Ew. pro km² 120 Ew. pro km² | ||||
Staatsgründung - 1. Januar 1871 - 18. Januar 1871 |
Inkrafttreten der Novemberverträge Proklamation | ||||
Nationalhymne | Keine. Kaiserhymne: Heil dir im Siegerkranz | ||||
Nationalfeiertag | inoffiziell 2. September (Sedanstag) | ||||
Währung | 1 Mark = 100 Pfennig | ||||
Zeitzone | UTC+1 MEZ | ||||
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Das Deutsche Kaiserreich bezeichnet die am 18. Januar 1871 durch die Ausrufung des preußischen Königs Wilhelm I. in Versailles zum Deutschen Kaiser begründete und am 9. November 1918 durch die Abdankung Wilhelms II. erloschene konstitutionelle Monarchie. Die offizielle Staatsbezeichnung, die auch nach 1918 noch bestehen blieb, war Deutsches Reich.
Staatliche Organisation
Die Bismarcksche Reichsverfassung
- Hauptartikel: Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871
Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 ging aus der 1866 ausgearbeiteten Verfassung des Norddeutschen Bundes hervor; Otto von Bismarck hatte sie maßgeblich geprägt und auf sich zugeschnitten. Sie war zum einen ein Organisationsstatus, welches die Kompetenzen der Staatsorgane, durch die das Reich handelte, und sonstiger Einrichtungen des Reiches gegenseitig nach innen abgrenzte. Sie legte anderseits die Zuständigkeit des Reiches gegenüber den Bundesstaaten fest. Hier folgte sie dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Das Reich durfte nur für diejenigen Angelegenheiten tätig werden, die dem Reich in der Verfassung ausdrücklich als Zuständigkeit zugewiesen wurden. Im übrigen waren die Bundesstaaten zuständig.
Die Verfassung verfügt über keinen Grundrechtsteil, der die Beziehung zwischen Untertan (Bürger) Staat mit Verfassungsrang rechtlich näher ausgestaltet hätte. Lediglich ein Benachteiligungsverbot auf Grund der Staatsbürgerschaft eines Bundesstaates (Inländergleichbehandlung) war normiert. Der fehlende Grundrechtsteil musste sich nicht zwangsläufig nachteilig auswirken. Weil die Bundesstaaten in der Regel die Reichsgesetze vollzogen, wurden nur sie rechtseingreifend gegenüber dem Bürger tätig. Maßgeblich war daher, ob und welche Grundrechte die Landesverfassungen vorsahen. So enthielt z.B. die für das Königreich Preußen geltenden Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 einen Grundrechtskatalog.
Die Verfassung verstand das Deutsche Reich als eine Stiftung der Bundesfürsten. Dem entsprach, dass das Deutsche Reich ein Bundesstaat war. Die Bundesstaaten hatten ausgeprägte Eigenzuständigkeiten, wobei ihnen zusätzlich über den Bundesrat eine bedeutende Gestaltungsfunktion auf Reichsebene zufiel. Der Bundesrat war von Verfassungs wegen als der eigentliche Souverän des Reiches gedacht. Der König von Preußen bildete das Präsidium des Bundes. Um den Kaiser-Titel gab es kurz vor der Reichsgründung eine Kontroverse zwischen dem preußischen König und Otto von Bismarck. Der preußische König beanspruchte für sich die Bezeichnung Kaiser von Deutschland, weil er sich mehr als Preuße denn als Deutscher verstand. Bismarck trat für die, von den süddeutschen Staaten bevorzugte und als Kompromisslösung ausgelotete, Bezeichnung Deutscher Kaiser ein.
Dem Kaiser standen beachtliche Kompetenzen zu, die weit über das hinausgingen, was die Bezeichnung "Präsidium des Bundes" vermuten ließ. Er ernannte und entließ den Reichskanzler und die Reichsbeamten (insbesondere die Staatssekretäre). Er bestimmte mit dem Reichskanzler, der in der Regel auch noch preußischer Ministerpräsident und preußischer Außenminister war, die Außenpolitik des Reiches. Der Kaiser führte den Oberbefehl über die Kriegsmarine und über das deutsche Heer (über das bayerische Heer nur in Kriegszeiten). Insbesondere sah die Verfassung vor, dass der Kaiser, falls erforderlich, mittels des Heeres die innere Sicherheit wieder herstellen konnte. Dieser Ausfluss der Kommandogewalt wurde oftmals in der Innenpolitik als Druckmittel eingesetzt. Die süddeutschen Königreiche Württemberg und Bayern behielten sich bei den Verfassungsverhandlungen Reservatrechte vor.
Neben dem Bundesrat gab es den Reichstag. Die Wahlen waren allgemein (alle Männer ab 25 Jahren), gleich (in Form des Mehrheitswahlrechts) und geheim. Der Reichstag war neben dem Bundesrat gleichberechtigte Kammer bei der Verabschiedung von Gesetzen. Auch der Haushalt musste durch den Reichstag in Form eines Gesetzes beschlossen werden. Damit war die politische Leitung des Reiches auf die Zusammenarbeit mit dem Reichstag angewiesen. Die verfassungsrechtliche Fiktion des Fürstenbundes entsprach somit nicht der Wirklichkeit. Vielmehr stellte die Verfassung einen Kompromiss zwischen den nationalen und demokratischen Forderungen des aufstrebenden Wirtschafts- und Bildungsbürgertums und den überkommenen dynastischen Herrschaftsstrukturen dar (konstitutionelle Monarchie).
Der Reichskanzler war in diesem Machtgefüge der oberste Regierungsbeamte, der den Vorsitz des Bundesrates innehatte und der Reichsverwaltung vorstand. Er war in der Regel zugleich preußischer Ministerpräsident und Außenminister. Das demokratische Defizit dieser Verfassung lag vor allem in der fehlenden parlamentarischen Verantwortlichkeit des Reichskanzler begründet, den der Reichstag weder wählen noch stürzen konnte. Erst im Oktober 1918 wurde die parlamentarische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers im Rahmen der "Oktoberverfassung" eingeführt.
Reichskanzler des Deutschen Kaiserreiches waren:
Name | Amtsantritt | Ende der Amtszeit |
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Fürst Otto von Bismarck | 21. März 1871 | 20. März 1890 |
Graf Leo von Caprivi | 20. März 1890 | 26. Oktober 1894 |
Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst | 29. Oktober 1894 | 17. Oktober 1900 |
Fürst Bernhard von Bülow | 17. Oktober 1900 | 14. Juli 1909 |
Theobald von Bethmann Hollweg | 14. Juli 1909 | 13. Juli 1917 |
Georg Michaelis | 14. Juli 1917 | 1. November 1917 |
Georg Graf von Hertling | 1. November 1917 | 30. September 1918 |
Prinz Max von Baden | 3. Oktober 1918 | 9. November 1918 |
Symbole des Reiches
Das Deutsche Reich hatte zunächst weder eine Nationalhymne noch eine Nationalflagge. Schwarz-Weiß-Rot waren die Marineflagge und die Kauffarteiflagge. Erst 1892 wurde durch Allerhöchsten Erlass schwarz-weiß-rot zur Nationalflagge bestimmt. Schwarz-weiß-rot war bereits die Bundesflagge des Norddeutschen Bundes. Sie setzt sich aus den Farben Preußens (schwarz und weiß) und aus den Farben der Freien und Hansestädte (rot und weiß) zusammen. Bismarck stand der Frage der nationalen Symbole gleichmütig gegenüber. So ist ein Zitat von ihm aus dem Jahre 1871 überliefert, das sein prinzipielles Desinteresse bekundet: "Sonst ist mir das Farbenspiel einerlei. Meinetwegen grün und gelb und Tanzvergnügen, oder auch die Fahne von Mecklenburg-Strelitz". Eine Nationalhymne bestand nicht. Das Deutschlandlied wurde erst in der Weimarer Republik eingeführt. Als Nationalhymnenersatz galten die Lieder Heil Dir im Siegerkranz, dessen Melodie mit der britischen Nationalhymne identisch ist und Die Wacht am Rhein.
Gliederung des Deutschen Reiches
Dem Kaiserreich gehörten 25 Bundesstaaten (darunter die 3 republikanisch verfassten Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck) sowie das Reichsland Elsaß-Lothringen an. Bayern, Württemberg und Baden sowie die Hansestädte besaßen in unterschiedlichem Umfang Reservatrechte.
Bundesstaat | Staatsform | Hauptstadt | Fläche in km² 1910 |
Einwohner 1910 |
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Preußen Bayern Württemberg Sachsen Baden Mecklenburg-Schwerin Hessen Oldenburg Sachsen(-Weimar-Eisenach) Mecklenburg-Strelitz Braunschweig Sachsen-Meiningen Anhalt Sachsen-Coburg und Gotha Sachsen-Altenburg Lippe Waldeck Schwarzburg-Rudolstadt Schwarzburg-Sondershausen Reuß jüngere Linie Schaumburg-Lippe Reuß ältere Linie Hamburg Lübeck Bremen Elsaß-Lothringen |
Königreich Königreich Königreich Königreich Großherzogtum Großherzogtum Großherzogtum Großherzogtum Großherzogtum Großherzogtum Herzogtum Herzogtum Herzogtum Herzogtum Herzogtum Fürstentum Fürstentum Fürstentum Fürstentum Fürstentum Fürstentum Fürstentum Freie Stadt Freie Stadt Freie Stadt Reichsland |
Berlin München Stuttgart Dresden Karlsruhe Schwerin Darmstadt Oldenburg (Oldb) Weimar Neustrelitz Braunschweig Meiningen Dessau Coburg/Gotha Altenburg Detmold Arolsen Rudolstadt Sondershausen Gera Bückeburg Greiz Hamburg Lübeck Bremen Straßburg |
348.780 75.870 19.507 14.993 15.070 13.127 7.688 6.429 3.610 2.929 3.672 2.468 2.299 1.977 1.324 1.215 1.121 941 862 827 340 316 414 298 256 14.522 |
40.165.219 6.887.291 2.437.574 4.806.661 2.142.833 639.958 1.282.051 483.042 417.149 106.442 494.339 278.762 331.128 257.177 216.128 150.937 61.707 100.702 89.917 152.752 46.652 72.769 1.014.664 116.599 299.526 1.874.014 |
Deutsches Reich | Kaiserreich | Berlin | 540.858 | 64.925.993[1] |
Rechtspolitik
In der Zeit zwischen 1871 und 1918 wurden zahlreiche maßgebliche Gesetze erlassen, die zum Teil heute noch gelten. Zu nennen ist zunächst das heute noch geltende, vielfach novellierte Reichsstrafgesetzbuch von 1871. Dieses wurde mit nur geringen Änderungen gegenüber dem Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes übernommen. Meilensteine waren die Reichsjustizgesetze von 1877, namentlich das Gerichtsverfassungsgesetz, die Strafprozessordnung, die Zivilprozessordnung, die sämtlich heute noch in Kraft sind, sowie der Konkursordnung, die 1994 durch die Insolvenzordnung abgelöst wurde. Durch das Gerichtsverfassungsgesetz wurde 1878 das Reichsgericht als höchstes deutsches Straf- und Zivilgericht eingeführt. Ein einheitlicher oberster deutscher Gerichtshof, der auch das bestehende Reichsoberhandelsgericht ablöste, war ein wichtiges nationales Identifikationssymbol. 1896 wurde schließlich das Bürgerliche Gesetzbuch nach langjähriger Arbeit beschlossen, welches das bis dahin zersplitterte bürgerliche Recht auf dem Gebiet des Reiches vereinheitlichte und weltweit Maßstäbe setzte. Um dem Reich die Kompetenz für das bürgerliche Recht einzuräumen, wurde 1873 auf Antrag der nationalliberalen Abgeordneten Miquel und Lasker die Reichsverfassung geändert. Gültig ist auch noch das Versicherungsvertragsgesetz von 1908. In der Reichsversicherungsordnung wurde 1911 das bereits durch Bismarck geschaffene Sozialrecht systematisiert und erweitert.
Die Gesamtheit dieser Rechtsbücher begründete weit mehr als die Verfassung den rechtsstaatlichen und liberalen Rechtszustand.
Kolonien
- Hauptartikel: Deutsche Kolonien
Die Kolonialpolitik spielte im Kaiserreich zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Erst unter Kaiser Wilhelm II. versuchte Deutschland verstärkt, seinen Einfluss als Kolonialmacht auszubauen.
Folgende Kolonien wurden vom Deutschen Reich erworben:
- Deutsch-Neuguinea 1885–1914, erworben durch Otto Finsch
- Kaiser-Wilhelms-Land (heute nördliches Papua-Neuguinea)
- Bismarck-Archipel (Papua-Neuguinea)
- Bougainville-Insel (Papua-Neuguinea, siehe auch Salomonen)
- Nördliche Salomon-Inseln 1885–1899 (Salomonen (Choiseul und Santa Isabel))
- Marianen 1899–1919
- Marshallinseln 1885–1919
- Palau 1899–1919
- Karolinen (Mikronesien) 1899–1919
- Nauru 1888–1919
- Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Ruanda, Burundi, Mocambique-Ruvuma-Dreieck) 1885–1919, erworben durch Carl Peters
- Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia, Botswana-Südrand des Caprivi-Zipfels) 1884–1918, erworben durch Franz Adolf Eduard Lüderitz
- Deutsch-Witu (heute südliches Kenia), 1885–1890, erworben durch die Gebrüder Denhardt aus Zeitz
- Kiautschou 1898–1914 (China, für 99 Jahre gepachtet)
- Kamerun 1884–1919, (heute Kamerun, Nigeria-Ostteil, Tschad-Südwestteil, Zentralafrikanische Republik-Westteil, Republik Kongo-Nordostteil, Gabun-Nordteil) erworben durch Dr. Gustav Nachtigal
- Samoa 1899–1919, heute unabhängiger Staat Samoa
- Togoland 1884–1919, (heute Togo, Ghana-Westteil) erworben durch Dr. Gustav Nachtigal
Geschichte
Vorgeschichte
Die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts war bis dahin geprägt von ständigen politischen und territorialen Veränderungen, die nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 einsetzten. Jenes Reich, schon seit dem Dreißigjährigen Krieg im Niedergang begriffen, zerbrach durch die Napoleonischen Kriege und die von Frankreich unterstützte Gründung des Rheinbundes.
In der Folgezeit verstärkte sich, beeinflusst durch das Vorbild der französischen Revolution und der Befreiungskriege gegen Napoleon, im deutschen Sprachraum (Deutschland) die Nationalstaatsbewegung mit der Vorstellung der Nation als Grundlage der Staatenbildung. Vor allem von bürgerlicher Seite wurden diese Ansichten vertreten; als großdeutsche Lösung wurde dabei ein Reich unter Einbeziehung Österreichs, als kleindeutsche Lösung ein Reich ohne Österreich bezeichnet; die deutsche Schweiz und auch die Niederlande wurden dabei außer acht gelassen.
Nachdem jedoch Napoleon besiegt war, hatten die deutschen Fürsten nur geringes Interesse an einer zentralen Macht, die ihre Autonomie beschneiden würde. Auf dem Wiener Kongress wurde 1815 daher lediglich der Deutsche Bund gegründet, ein lockerer Zusammenschluss jener Gebiete, die vor 1806 zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehört hatten.
Nationalstaatliche und bürgerlich-demokratische Bewegungen führten im Jahre 1848 zu zahlreichen Erhebungen in ganz Europa, zu denen auch die Märzrevolution in Deutschland zählt. Abgeordnete der neu entstandenen Frankfurter Nationalversammlung boten dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone an (im Rahmen einer kleindeutschen Lösung). Weil dieser aber mit Berufung auf sein Gottesgnadentum ablehnte, scheiterte der Versuch, den Großteil der deutschen Staaten auf konstitutioneller Basis zu vereinigen.
Der Deutsche Bund existierte unter österreichischer Führung nach der Märzrevolution weiter. Im Jahre 1864 gelangte er zu größerer Bedeutung, als sich an der Schleswig-Holsteinischen Frage der Deutsch-Dänische Krieg entzündete, in dem Preußen und Österreich aufgrund einer Bundesexekution Seite an Seite kämpften. Durch den Streit um Schleswig-Holstein brach 1866 der Deutsche Krieg Preußens gegen Österreich aus, in dem Preußen mit einigen norddeutschen Staaten und gemeinsam mit Italien gegen Österreich und süddeutsche Staaten kämpften. Nach der Niederlage Österreichs, eigentlich des Deutschen Bundes, wurde der Norddeutsche Bund unter preußischer Führung gegründet. Die süddeutschen Staaten schlossen Schutz- und Trutzbündnisse mit Preußen ab.
Ausgelöst durch Streitigkeiten zwischen Preußen und Frankreich um die spanische Erbfolge brach 1870 der Deutsch-Französische Krieg aus. Die Kriegserklärung kam von französischer Seite, da Bismarck eine redigierte Version der Emser Depesche veröffentlichte und somit Frankreich politisch entblößte. Die süddeutschen Staaten schlossen sich Preußen an. Der preußische Ministerpräsident Bismarck nutzte dies, um die Krönung des preußischen Königs zum Deutschen Kaiser voran zu treiben und so auch die süddeutschen Staaten im Rahmen einer kleindeutschen Lösung in ein geeintes Reich einzubinden. Die drei Kriege zwischen 1864 und 1871 werden auch als Deutsche Einigungskriege bezeichnet.
Reichsgründung
Nach dem Erfolg der Preußen und ihrer Verbündeten gegen Frankreich wurde am 18. Januar 1871 König Wilhelm I. von Preußen von den deutschen Bundesfürsten zum deutschen Kaiser im Spiegelsaal des Schloss Versailles proklamiert. Diese Provokation der deutschen Seite war Mitauslöser für die Deutsch-französische Erbfeindschaft, welche die Außenpolitik des Kaiserreiches später stark beeinflussen sollte.
Die Kaiserwahl selbst kam nicht ohne Schwierigkeiten zustande, da Wilhelm I. zögerte, die Kaiserkrone im Angesicht der Schwierigkeiten der bevorstehenden Reichseinigung anzunehmen. So soll es notwendig gewesen sein, den bayrischen König Ludwig II. durch eine erhebliche Bestechungssumme zur Zustimmung zu gewinnen.
Am 3. März kam es dann zu den ersten Reichstagswahlen (siehe Reichstagswahl 1871). Die erste konstituierende Reichstagssitzung fand im Preußischen Abgeordnetenhaus im zur Reichshauptstadt erklärten Berlin am 21. März statt. Die Reichsverfassung trat am 16. April in Kraft.
Der Friede von Frankfurt beendete offiziell den Deutsch-Französischen Krieg. Die Unterzeichnung fand am 10. Mai statt. Das Reichsmünzgesetz vereinheitlichte die deutschen Währungen, die Mark wurde als einheitliches Zahlungsmittel im Reich eingeführt.
Gründerjahre und Gründerkrise
Schon kurz nach der Reichsgründung erfolgt ein Wirtschaftsaufschwung, die sogenannten Gründerjahre beginnen. An diese schließt sich eine wirtschaftliche Depression an, die Gründerkrise.
Als Ursachen für den Aufschwung dürfen verschiedene Faktoren gelten: Der Handel innerhalb der Reichsgrenzen wird stark vereinfacht. Erstmals in der Reichsgeschichte wird ein einheitlicher Binnenmarkt geschaffen. Die behindernden Landeszölle entfallen. Ein einheitliches metrische Maßsystem wird Ende 1872 eingeführt. Eine durch Kriegserfolg und Reichsgründung ausgelöste, allgemeine Aufbruchstimmung führt zu einem enormen Investitionsanstieg und Bauboom. Maßgeblich die sehr hohen Reparationszahlungen Frankreichs finanzieren ebenfalls die Gründerzeit.
Schon 1872 übertrumpft das Deutsche Reich das durch den Krieg geschwächte Frankreich als Industriemacht.
Für die Gründerkrise zeichnen ebenfalls verschiedene Faktoren verantwortlich. Die rasant steigenden Produktionsmengen füllen die Lagerhäuser und Überproduktion ist die Folge. Ein enormer Vertrauensverlust an der Börse, ausgelöst durch die Zahlungsfähigkeiten einiger Wiener Banken tut sein Übriges.
Bündnisse und Außenpolitik
In Straßburg wurde am 1. Mai die Kaiser-Wilhelm-Universität eröffnet. Am 7. September kam es zu einem Dreikaisertreffen. Kaiser Wilhelm begrüßte in Berlin Kaiser Franz Joseph I. und Zar Alexander II.
1873 verließen die deutschen Besatzungstruppen die östlichen Departements Frankreichs. Am 2. September wurde feierlich die Siegessäule in Berlin eingeweiht. König Viktor Emanuel II. von Italien besuchte am 23. September Wilhelm I. Am 22. Oktober wurde das Drei-Kaiser-Abkommen zwischen dem Deutschen Reich, Russland und Österreich-Ungarn unterzeichnet. Der Große Börsenkrach in Berlin am 28. Oktober verursachte eine schwere Wirtschaftskrise im Reich. Beginn der Schutzzollpolitik: Es wurden Einfuhrzölle auf Eisen, Getreide, Vieh und Holz erhoben.
Ab dem 1. Januar 1874 galt die Reichsverfassung im Reichsland Elsaß-Lothringen. Am 13. Juli beging der Geselle Kullmann ein Attentat auf Reichskanzler Bismarck.
Am 6. Februar 1875 wurde die Zivilehe eingeführt.
1878 fanden die so genannten Attentatswahlen statt. Bismarck übernahm eine Vermittlerrolle zwischen den europäischen Großmächten (Berliner Kongress).
Am 4. Juli 1879 erhielt Elsass-Lothringen eine Teilautonomie. Am 7. Oktober 1879 schloss Bismarck mit Österreich-Ungarn den so genannten Zweibund ab. Die Motivation für das erste eindeutige Bündnis seit 1871 lag im angespannten deutsch-russischen Verhältnis und der darin liegenden Gefahr einer Verständigung zwischen Frankreich und Russland. Bei einem Angriff auf einen der beiden Staaten war der Partner zum Beistand verpflichtet.
1880 wird nach 632-jähriger Bauzeit der Bau des Kölner Doms am 15. Oktober vollendet.
Um die Gefahr einer französisch-russischen Verständigung zu bannen, nahm Bismarck 1881 die Dreikaiserpolitik wieder auf und schloss mit Österreich-Ungarn und Russland den Dreikaiserbund. Inhaltlich verpflichteten sich die Mächte, den Status quo auf dem Balkan nur in Absprache zu verändern und im Kriegsfalle mit einer vierten Macht wohlwollende Neutralität zu wahren. Diese Bestimmung bezieht sich in erster Linie auf einen neuen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland sowie Großbritannien und Russland. Da die Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Russland auf dem Balkan aber bald wieder zunahmen, scheiterte die Dreikaiserpolitik.
1882 wurde der Zweibund mit Italien zum Dreibund erweitert. Hintergrund dieser Erweiterung sind die zunehmenden Spannungen zwischen Frankreich und Italien in Tunesien. Auch der Dreibund ist ein Defensivbündnis und entlastet zudem noch Österreich-Ungarn, da es über den Verlauf der Grenze mit Italien immer wieder zu Streitigkeiten gekommen ist.
Das Jahr 1884 markiert den eigentlichen Beginn der deutschen Kolonialpolitik, als im April Deutsch-Südwestafrika unter den Schutz des Deutschen Reichs gestellt wurde.
Um Russland an Deutschland zu binden, schloss Bismarck am 18. Juni 1887 den Rückversicherungsvertrag mit Russland ab. Beide Staaten verpflichteten sich bei einem unprovozierten Angriff seitens einer dritten Macht zu wohlwollender Neutralität.
Dreikaiserjahr 1888
Am 9. März starb Kaiser Wilhelm I. Drei Tage später wurde sein Sohn, der schwerkranke Friedrich III., zum neuen Kaiser proklamiert. Einzige wichtige Amtshandlung war die Genehmigung der Verlängerung der Reichstagsperioden auf 5 Jahre. 99 Tage nach seinem Amtsantritt starb der Kaiser am 15. Juni an Kehlkopfkrebs. Aufgrund der kurzen Amtszeit wird er auch "Kaiser der 99 Tage" genannt. 10 Tage später bestieg Friedrichs III. erst 29-jähriger Sohn Wilhelm II. den Thron.
Die Regierung Kaiser Wilhelms II.
1889 versuchte Bismarck, ein Bündnis mit Großbritannien einzugehen, scheiterte jedoch mit diesem Vorhaben. Um Russland von Frankreich abzudrängen, zielte er nun auf eine Verlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Russland. Am 23. Mai trat die Alters- und Invalidenversicherung in Kraft.
Bismarck wurde durch Wilhelm II. am 18. März 1890 zum Rücktritt gezwungen. Neuer Reichskanzler wurde Leo von Caprivi. Wilhelm II. lehnte die Erneuerung des Rückversicherungsvertrags mit Russland ab. Es folgte eine Kurswende in der deutschen Außenpolitik. Im Gegensatz zu seinem zurückhaltenden Vorgänger nahm der neue Kaiser die Außenpolitik selbst in die Hand (persönliches Regiment). Das führte zunehmend zu einer Isolierung Deutschlands. Die Auseinandersetzungen mit der Reichstagsmehrheit und mit seinem Nachfolger als preußischen Ministerpräsidenten Graf Botho von Eulenburg um einen Gesetzesentwurf zur Strafverschärfung bei politischen Delikten führten zum Sturz Caprivis; Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst wurde am 29. Oktober 1894 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Obwohl dieser das „persönliche Regiment“ Kaiser Wilhelms II. ablehnte, konnte er sich der kaiserlichen Eingriffe in die Regierungsgeschäfte nicht erwehren. Die Kanzlerschaft Hohenlohe-Schillingsfürsts brachte innenpolitisch die Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Als Vorbild diente unter anderem der Code Civil.
1897 wurde Alfred von Tirpitz Staatssekretär für die Marine, Bernhard von Bülow Staatssekretär für das Äußere. Fürst Hohenlohe blieb noch 3 Jahre Kanzler, war aber praktisch entmachtet. Damit beginnt die eigentliche Selbstherrschaft des Kaisers. Der Aufbau einer deutschen Hochseeflotte führte in der Folge zum Wettrüsten mit Großbritannien.
Das Bürgerliche Gesetzbuch trat zum Jahresbeginn 1900 in Kraft. Ein Jahr später folgte die Rechtschreibreform.
Am 17. Oktober 1900 wurde Bernhard von Bülow preußischer Ministerpräsident und Reichskanzler. Deutsch-britische Bündnisgespräche scheiterten 1901. Am 8. Januar 1902 hielt von Bülow im Reichstag seine sogenannte „Granitbeißerrede“ gegen den britischen Kolonialminister Joseph Chamberlain, die Beziehung zu Großbritannien verschlechterte sich. 1904 verbündeten sich Großbritannien mit Frankreich in der Entente cordiale. 1905 stattete Kaiser Wilhelm II. Tanger einen Besuch ab und löste die Erste Marokkokrise aus. 1907 trat auch Russland der Entente cordiale bei. Der Dreibund Österreich, Deutsches Reich und Italien sollte ein Gegengewicht schaffen.
1909 wurde Theobald von Bethmann Hollweg Reichskanzler und versuchte, die politische Isolation Deutschlands zu durchbrechen. Diesem Zweck dienten unter anderem auch Reisen des Reichskanzlers durch den Nahen Osten im Frühjahr und Herbst 1910. Das 40-jährige Bestehen des Deutschen Kaiserreich wurde am 18. Januar 1911 gefeiert. Am 31. Mai 1911 trat die Reichsversicherungsordnung in Kraft. Sie beinhaltete Krankheits-, Unfall-, Invaliditäts- und Rentenversicherung.
Am 1. Juli 1911 lief das Kanonenboot Panther im Hafen von Agadir in Marokko ein. Dieses Ereignis ging als Panthersprung nach Agadir in die Geschichte ein und löste die Zweite Marokkokrise aus. Erst das Marokko-Kongo-Abkommen, das am 5. November 1911 unterzeichnet wurde, beendete die Krise. Am 7. September 1911 wurde der Hamburger Elbtunnel eröffnet. Am 10. Dezember 1911 erhielt Wilhelm Wien in Stockholm den Nobelpreis für Physik.
Bei der Reichstagswahl 1912 am 12. Januar wurde erstmalig die SPD stärkste Fraktion im Reichstag. Der britische Kriegsminister Richard Burdon Haldane und Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg kamen am 11. Februar 1912 in Berlin zusammen, um über das Abkommen zur Beschränkung der Flottenrüstung zu verhandeln. Die Gespräche endeten ergebnislos. Bethmann Hollweg setzte daraufhin auf eine Annäherung zum Inselreich über periphere Fragen. Durch die Einigung über die Bagdadbahn oder ein mittelafrikanisches Kolonialreich sollte das Vertrauen Englands gewonnen werden, um das Blocksystem in Europa aufzulösen.
Bei einer Zusammenkunft von Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. am 4. Juli 1912 betonten beide die deutsch-russische Freundschaft.
Der Erste Weltkrieg
Der Mord am österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914 durch den serbischen Attentäter Gavrilo Princip (Attentat von Sarajevo) löste eine Kettenreaktion aus, die in einem europäischen Krieg endete. Durch das Bündnis mit Österreich-Ungarn kam es zu einer Kriegserklärung gegen Russland durch Deutschland am 1. August. Am 3. August wurde Frankreich der Krieg erklärt. Am 18. August begann daraufhin die deutsche Großoffensive zur Umfassung der alliierten Armeen, dabei stieß man sehr schnell nach Brüssel vor. Im Osten sorgte der Sieg in der Schlacht bei Tannenberg vom 26. bis 31. August für Entlastung. Am 4. September gelang es den Deutschen, die Marne zu überschreiten. Nach der Marneschlacht kam es zum Übergang in einen Stellungskrieg.
In der Winterschlacht in den Masuren vom 4. bis 22. Februar 1915 wurde ein erneuter russischer Angriff abgewehrt. Am 23. Mai erklärte Italien Österreich-Ungarn den Krieg. Deutschland unterstützt seinen Bündnispartner mit Truppen. Im Westen wurde die Feldschlacht durch einen „Abnützungskrieg” ersetzt.
Am 21. Februar 1916 begann die Schlacht um Verdun, die insgesamt über 600.000 Tote und Verwundete auf beiden Seiten fordern sollte. Am 1. Juli 1916 kam es an der Somme zu einer britischen Gegenoffensive. Die Verluste waren jedoch dermaßen hoch, dass die Somme-Schlacht Ende November 1916 abgebrochen wurde. Schon im August 1916 war Erich von Falkenhayn als Generalstabschef des deutschen Heeres von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg abgelöst worden. Die Oberste Heeresleitung (OHL) bestimmte ab diesem Zeitpunkt weitgehend die Politik im Kaiserreich, so dass das Deutsche Reich 1917 und 1918 Züge einer Militärdiktatur trug.
Am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich aufgrund der vom OHL durchgesetzten Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs den Krieg. Nach verlustreichen Kämpfen im Frühjahr begann im Juni 1917 eine britische Offensive, die Flandernschlacht. Sie dauerte mehrere Monate und brachte den Briten nur geringe Gebietsgewinne bei hohen Verlusten. Am 8. November wurde nach der russischen Oktoberrevolution von den neuen Machthabern das Dekret über die Beendigung des Krieges erlassen
Dem Hungerwinter 1917/18 und die Januarstreiks 1918 aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage in Deutschland führten zu einer Osterbotschaft des Kaisers, in der er Reformen ankündigte. Militärisch verpufften die letzten deutschen Großoffensiven. Begünstigt durch die immer stärkere US-amerikanische Unterstützung konnten die Alliierten Armeen am 18. Juli zwischen Marne und Aisne zur Gegenoffensive übergehen. Ab dem Sommer 1918 gerieten immer mehr deutsche Soldaten in alliierte Gefangenschaft.
Das Ende des Kaiserreiches
Bereits am 14. August 1918 stufte die OHL die militärische Lage als aussichtslos ein. Hindenburg und Ludendorff forderten am 29. September die Ausarbeitung eines Waffenstillstandsangebots durch politische Vertreter des Reiches. Der Kaiser forderte mit Erlass am 30. September die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems, was durch Beschluss des Reichstags zur Verfassungsänderung vom 28. Oktober auch umgesetzt wurde. Der neue Reichskanzler Max von Baden unterbreitete Woodrow Wilson bereits am 4. Oktober ein entsprechendes Waffenstillstandsangebot.
Der Flottenbefehl vom 24. Oktober 1918 zum Auslaufen der Flotte gegen die überlegene Royal Navy löste einen Matrosenaufstand aus, der sich innerhalb weniger Tage zur Revolution, der Novemberrevolution entwickelte. In zahlreichen deutschen Städten wurden Arbeiter- und Soldatenräte gegründet. Kurt Eisner rief in München den Freistaat Bayern aus. Die Revolution erfasste am 9. November auch Berlin, wo Reichskanzler von Baden aus Sorge vor einem radikalen politischen Umsturz eigenmächtig die Abdankung des Kaisers bekannt gab und die Reichskanzlerschaft auf den Vorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert, übertrug. Am Nachmittag desselben Tages rief Philipp Scheidemann die deutsche Republik aus. Karl Liebknecht vom Spartakusbund proklamiert die Freie Sozialistische Republik Deutschland. Der Kaiser wurde von Vertrauten zur Abdankung gedrängt, um die Situation zu entschärfen und evtl. die Monarchie zu retten. Am 10. November begab er sich ins niederländische Exil. Die meisten anderen deutschen Fürsten dankten freiwillig ab.
Bevölkerung
Die Bevölkerung des Reiches betrug 1871 41.058.792 Einwohner und stieg von 49.428.470 im Jahr 1890 auf 64.925.993 im Jahr 1910.
Religionsbekenntnis im Deutschen Reich 1880 | |||||
Protestanten | Katholiken | Sonst. Christen |
Juden | Andersgläubige | |
Deutsches Reich | 28.331.152 | 16.232.651 | 78.031 | 561.612 | 30.615 |
davon: Preußen |
17.633.279 | 9.206.283 | 52.225 | 363.790 | 23.534 |
Bayern | 1.477.952 | 3.748.253 | 5.017 | 53.526 | 30 |
Sachsen | 2.886.806 | 74.333 | 4.809 | 6.518 | 339 |
Württemberg | 1.364.580 | 590.290 | 2.817 | 13.331 | 100 |
Baden | 547.461 | 993.109 | 2.280 | 27.278 | 126 |
Elsaß-Lothringen | 305.315 | 1.218.513 | 3.053 | 39.278 | 511 |
Schon der Westfälische Friede hatte die Konfessionsverteilung in Deutschland festgelegt. Im allgemeinen hatte sich wenig verändert, wenn auch infolge der größeren religiösen Toleranz zahlreiche zum Teil große katholische Gemeinden in ursprünglich protestantischen Ländern und umgekehrt evangelische in katholischen entstanden waren.
Das Deutsche Reich war einerseits kleindeutsch, d.h. es umfasste nicht die Gebiete der Deutschen, die in Österreich-Ungarn (Deutsch-Österreich und Sudetenland) lebten. Anderseits wohnten auch andere Nationalitäten innerhalb des Reichsgebiets. Unter der Gesamtbevölkerung des Reichs gab es 1880 neben den fast 42 Millionen deutschen Muttersprachlern rund 3,25 Millionen Nichtdeutschsprachige, darunter 2,5 Millionen Polen und Tschechen, 140.000 Sorben, 200 Kaschuben, 150.000 Litauer, 140.000 Dänen sowie 280.000 Franzosen und Wallonen. Die Polen kamen durch die Schlesienkriege Friedrich des Großen, die Teilungen Polens und dem Wiener Kongress nach Preußen. Dänen fielen nach dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1863, ein Teil der französischen Bevölkerung nach der Wiederangliederung Elsaß-Lothringens durch den Deutsch-Französischen Krieg von 1871 unter deutsche Herrschaft.
Die fehlende Homogenität der Reichsbevölkerung wurde von Bismarck als Gefahr für die Loyalität der Einwohner gegenüber dem Staat sowie die staatische Integrität angesehen. Bismarck wollte durch Sprachpolitik die Verbindungen der Minderheiten zu ihrer jeweiligen Nation lockern und die Loyalität gegenüber Preußen und dem Reich stärken. In der Schule sollte dieser Prozess durch die Unterrichtssprache Deutsch und durch die allgemeine Einführung der deutschen Sprache als Amtssprache und Gerichtssprache gefördert werden. Insbesondere wurden polnische Pfarrer als Religionslehrer entlassen. Dass die Einbindung der Minderheiten kaum gelang, zeigte die fortdauernde Existenz von eigenen politischen Parteien der ethnischen Minderheiten, denen es auch teilweise infolge des Mehrheitswahlrechts gelang, Sitze im Reichstag zu erobern. Bei der polnischen Bevölkerung kam hinzu, dass sie sich nicht nur sprachlich und ethnisch, sondern auch konfessionell von der preußisch- deutschen Bevölkerung unterschied. Auf Reichsebene arbeiteten die polnischen Abgeordneten mit dem katholischen Zentrum zusammen, was sie, verbunden mit dem „Kulturkampf“, in zusätzliche Opposition zu Bismarck brachte.
Wirtschaft
- zu Wirtschaft, Gesellschaft und politischer Kultur siehe Hochindustrialisierung in Deutschland
In die Zeit des Kaiserreich fielen fundamentale wirtschaftliche und soziale Veränderungen, die in einem erheblichen Maß auch Kultur und Politik beeinflussten. Für die Zeitgenossen deutlich zu spüren, war vor allem in den ersten Jahren das Auf und Ab der Konjunktur. Auf den Gründerboom folgte bereits Mitte der 1870er Jahre die Gründerkrise, die mit kurzen Unterbrechungen bis weit in die 1880er Jahre anhielt. Damit verbunden waren sinkenden Gewinne bei Unternehmern und Großgrundbesitzern, Arbeitslosigkeit und erhebliche Lohneinbußen bei den Arbeitern. Der Wechsel von Freihandel zur Schutzzollpolitik und insgesamt Bismarcks Abwendung vom bisheriger nationalliberalen Bündnispartner hin zu konservativen Kräfte hängt eng mit dieser Krisenerfahrung zusammen. Umgekehrt haben die Jahre der Hochkonjunktur seit den 1890er Jahre die Fortschrittsgläubigkeit des Wilhelminischen Zeitalters mitgeprägt.
Trotz der anfänglichen Krisenjahre war das Kaiserreich doch geprägt von der Phase der Hochindustrialisierung. In diese Zeit fällt der Übergang Deutschlands von einem noch stark agrarisch geprägten Land zu einem modernen Industriestaat. 1873 hatte der Anteil des primären Sektors am Nettoinlandsprodukt bei 37,9 Prozent und das der Industrie bei 31,7 Prozent gelegen. 1889 war der Gleichstand erreicht und 1895 kam die Landwirtschaft nur noch auf 32 Prozent der sekundäre Sektor dagegen auf 36 Prozent. Diese Veränderung spiegelte sich auch in der Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse wieder. Lag die Relation der landwirtschaftlich Berufstätigen gegenüber denen in Industrie, Verkehr und Dienstleistungssektor 1871 noch bei 8,5 Millionen zu 5,3 Millionen, betrug das Verhältnis 1880 9,6 zu 7,5 Millionen und 1890 9,6 zu 10 Millionen. Im Jahr 1910 zählte man 10,5 Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft, hingegen in Industrie, Verkehr und Dienstleistungsberufen 13 Millionen Arbeitnehmer.
Erwerbstätige und Angehörige in% der Gesamtbevölkerung | |||||
Wirtschaftssektor | 1882 | 1895 | 1907 | ||
Landwirtschaft | 41,6 | 35,0 | 28,4 | ||
Industrie/Handwerk | 34,8 | 38,5 | 42,2 | ||
Handel/Verkehr | 9,4 | 11,0 | 12,9 | ||
Häusliche Dienste | 5,0 | 4,3 | 3,3 | ||
Öffentl.Dienst/freie Berufe | 4,6 | 5,1 | 5,2 | ||
Berufslose/Rentner | 4,7 | 6,1 | 8,1 | ||
[2] |
Die Industrie wurde zum dominierenden Wirtschaftssektor und daneben begannen auch Dienstleistungen und Verkehr an Bedeutung zu gewinnen. Damit eng zusammen hing der soziale Wandel. Zwar entstand allmählich ein neuer Mittelstand aus kleinen bis mittleren Beamten und Angestellten in der Privatwirtschaft, aber prägend war das deutliche Anwachsen der Arbeiterbevölkerung. Insbesondere diese Bevölkerungsgruppe war äußerst mobil und wanderte zunehmend aus dem agrarischen Gebieten zum Teil über weite Entfernungen in Großstäde und Industriegebiete ab. Die Integration dieser Zuwanderer stellte die Verantwortlichen auf allen Ebenen vor große Herausforderungen und bedeutete zumindest aus Sicht der Zeitgenossen eine Zuspitzung der sozialen Frage. In diesem Zusammenhang erfuhr der Verstädterungs- und Urbanisierungsprozess eine neue Dynamik.
Auch im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wandel veränderte sich auch die politische Kultur. Fast alle gesellschaftlichen Gruppen versuchten auf das wirtschaftliche und politische Leben durch die Bildung von Verbänden Einfluss zu nehmen. So verfügte der Bund der Landwirte über mehrere Millionen Mitglieder und konnte zahlreiche Parlamentarier in Reichs- und Landtage entsenden. Wenn auch auf andere Weise, gelang es auch dem Centralverband deutscher Industrieller die politische Entscheidungsfindung zu beeinflussen. In der Arbeiterschaft deuteten sich ähnliche Entwicklungen bereits früh an und waren ein Grund für den Erlass des Sozialistengesetzes. Nach dessen Ende stiegen Gewerkschaften und die sozialdemokratische Partei ebenfalls zu Massenorganisationen auf. Bemerkenswert ist auch die Verdoppelung der Gruppe der Beruflosen, Pensionäre und Rentner in dieser Periode, die in erster Linie auf die Sozialpolitik seit Bismarck zurückging.[3]
Innenpolitik
Kulturkampf
- Hauptartikel: Kulturkampf
Der 1871 bis 1878 geführte „Kulturkampf“ war hauptsächlich ein politischer Kampf gegen den Einfluss der katholischen Kirche. Angetrieben wurde er vom sich zum Protestantismus zählenden Reichskanzler Otto von Bismarck. Betrieben wurde die Beseitigung des kirchlichen Einflusses an den zahlreichen katholischen Lehranstalten im Reich. Weiterhin wurde versucht, die Kirche und ihre Würdenträger staatlich zu kontrollieren. Diese Isolationspolitik gegen ein Drittel der Bevölkerung ließ sich jedoch nicht dauerhaft beibehalten.
Kampf gegen die Sozialdemokratie
Die Innenpolitik des Zweiten Reichs wurde durch den Kampf der Regierung gegen die Sozialdemokratie beherrscht. Obwohl er an sich ein Förderer von Interessenverbänden war, duldete Bismarck nicht, dass sich die Arbeiter in sozialistischen oder gar kommunistischen Vereinigungen zusammenschlossen, da er darin eine Gefahr für Monarchie und die Stabilität des Reiches sah. Nach zwei Attentatan auf Kaiser Willhelm den 1. nutzte Bismarck die Revolutionsängste im Adel, um das Sozialistengesetz im Reichstag zu beschließen. Damit wurden sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Vereinigungen verboten. Seine Nachfolger übernahmen diese ablehnende Einstellung gegenüber den Sozialdemokraten, auch wenn sie im Reichstag keine Mehrheit für das Sozialistengesetz mehr fanden.
Allen Verfolgungen zum Trotz behaupteten sich die Sozialdemokraten und wurden 1912 schließlich stärkste Fraktion im Reichstag.
Die Verteufelung der Sozialdemokratie („Eine Rotte Menschen, nicht wert den Namen Deutsche zu tragen“ – Zitat von Kaiser Wilhelm II.) hatte bis in die Zeit der Bundesrepublik ihre Nachwirkungen.
Einführung der Sozialversicherung
- Hauptartikel: Geschichte der Sozialversicherung in Deutschland
Obwohl Bismarck in seinen Memoiren dieses Gesetzeswerk nicht mit einem Wort erwähnte, gilt es heute als eine seiner großen Leistungen. Erstmals wurden hier Unfallversicherung und Rentenversicherung - wenn auch in bescheidenem Ausmaß - gesetzlich festgelegt. Den taktischen Zweck, der Sozialdemokratie Stimmen abzunehmen, erfüllten die Gesetze allerdings nicht.
Siehe auch
Literatur
- Heinrich Hirschfelder / Wilhelm Nutzinger: Das Kaiserreich 1871–1918. 2.Auflage, Bamberg 1999, ISBN 3766146327.
- Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Arbeitswelt und Bürgergeist. München 1990.
- Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Machtstaat vor der Demokratie. C. H. Beck, München 1992, ISBN 3-406-34801-7.
- Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871–1918. 5. Aufl., Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-11694-5.
- Klaus Hildebrand: Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler. Stuttgart 1996.
- Hans-Ulrich Wehler: Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1994, ISBN 3-525-33542-3.
Weblinks
- DHM – Das Kaiserreich
- documentArchiv.de – Dokumente zum Deutschen Kaiserreich
- Gemeindeverzeichnis des Deutschen Reichs um 1900/1910
- Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871
- Sammlung der im deutschen Kaiserreich erlassenen Rechtsnormen
- Umfangreiche Seite zum Deutschen Kaiserreich
Einzelnachweise
- ↑ Gemeindeverzeichnis Deutschland 1900.
- ↑ Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Bd.2, S. 66.
- ↑ Vgl. dazu Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, S. 47–49.