„Erstaunlicher neuer Friedensplan“ - Putin-Minister auf geheimer Mission in USA? Was an den Friedenssignalen dran ist

Der ukrainische Präsident Selenskyj und Russlands Staatschef Putin, Archivbilder<span class="copyright">Olivier Matthys/AP/dpa/Mikhail Metzel/Sputnik/picture alliance</span>
Der ukrainische Präsident Selenskyj und Russlands Staatschef Putin, ArchivbilderOlivier Matthys/AP/dpa/Mikhail Metzel/Sputnik/picture alliance

Erst der Friedensgipfel in der Schweiz, jetzt die umstrittene „Friedensmission“ des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban: Tut sich da wirklich etwas zwischen Moskau und Kiew?

Welche Chancen haben derzeit mögliche Vereinbarungen hin zu einem Waffenstillstand oder gar einem dauerhaften Frieden im Ukraine-Krieg ?

Da sind die Besuche von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban in Moskau und Kiew, bei dem er sich auf eigene Faust als Vermittler in dem Konflikt ins Spiel gebracht hatte. Der Ungar hatte in Kiew eine Feuerpause gefordert. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, kein Interesse an Verhandlungen zu haben und den Konflikt lieber auf dem Schlachtfeld auszutragen.

Doch so wirklich weit scheint Orban nicht gekommen zu sein. Er musste bei einem gemeinsamen Auftritt mit Russlands Präsident Wladimir Putin im Kreml zugeben, dass die Vorstellungen Moskaus und Kiews für eine Lösung des Konflikts weit auseinander lägen.

Putin zeigt nach Einschätzung von US-Experten auch nach seinem Treffen mit Orban keinen echten Willen für Verhandlungen. Laut dem Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington forderte Putin stattdessen eine Kapitulation der Ukraine durch „Entmilitarisierung“ und die Übergabe bedeutender Territorien, die Russland derzeit nicht besetzt hält. Putin hat zudem an zwei Tagen hintereinander eine Feuerpause in dem Konflikt abgelehnt. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, eine Feuerpause zur Neuaufstellung und Bewaffnung der Truppen nutzen zu wollen.

Ukraine-Krieg: Orbans umstrittene Rolle als Vermittler

Zu dem Besuch Orbans im Kreml stellten die ISW-Experten fest, dass der ungarische Regierungschef versuche, die Aufmerksamkeit des Westens weg von der militärischen Hilfe für die Ukraine hin zur Möglichkeit von Friedensverhandlungen zu lenken. Laut ISW untergräbt Orban dadurch die Unterstützung der Europäischen Union für die Ukraine. Die Analysten betonen immer wieder, dass Putin seine angebliche Verhandlungsbereitschaft vor allem dazu nutze, um den Westen zu spalten und die militärische Unterstützung für die Ukraine zu brechen.

Das ukrainische Außenministerium kritisierte Orbans Reise nach Moskau. „Wir erinnern daran, dass der Grundsatz ‚keine Abkommen über die Ukraine ohne die Ukraine‘ für unser Land unantastbar bleibt und rufen alle Staaten dazu auf, sich strikt daran zu halten“, schrieb die Behörde in Kiew.

Bemerkenswerte Äußerungen von Selenskyj

Doch es gibt auch andere Signale. Zuletzt hatten der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj und seine Regierung einen bemerkenswerten rhetorischen Wechsel vollzogen. Bei einem Auftritt in Brüssel betonte Selenskyj, die Ukraine habe nicht „ewig Zeit und kein Interesse, den Krieg mit Russland hinauszuzögern“. Deswegen werde man innerhalb weniger Monate einen neuen Friedensplan vorlegen.

Wenige Tage später habe Selenskyj seine Forderungen im Interview mit der US-Tageszeitung „The Philadelphia Inquirer“ betont. Auf die Frage, ob die Ukraine ausschließlich die Wiederherstellung der Grenzen als einen Sieg verstehen würde, antwortete Selenskyj demnach: Erstens müsse die Ukraine als unabhängige Nation bestehen bleiben. Zweitens brauche die Ukraine eine Garantie, dass sich ein russischer Angriff nicht wiederhole, beispielsweise durch eine Mitgliedschaft in der Nato. Drittens sei eine Wiedergutmachung für die von Russland angerichteten Schäden notwendig.

Das ist bemerkenswert, weil die Ukraine bisher immer die Wiederherstellung der Grenzen von 1991 als Ziel definiert hatte. Bemerkenswert ist auch, dass Selenskyj die „Vermittler“-Vorschläge von Orban zwar unkommentiert ließ, sie aber auch nicht abschmetterte. Zudem sind die Äußerungen Selenskyjs durchaus konsistent mit Signalen, die es von weiteren hochrangigen ukrainischen Regierungsvertretern zuletzt gegeben hatte.

Überraschender Friedensplan  von Putin?

Und auch aus Moskau gibt es offenbar Signale. Putin sei bereit, die Souveränität der Krim mit der Ukraine zu teilen, so ein „erstaunlicher neuer Friedensplan“, über den die britische „Daily Mail“ berichtet. Sie bezieht sich auf Quellen in Moskau und Kiew, sowie auf einen ukrainischen Journalisten und einen russischen Telegram-Kanal, der über Insider-Informationen verfüge. Der russische Innenminister Wladimir Kolokolzew war demnach mit diesen neuen Vorschlägen auf einer geheimen Mission in die USA geschickt worden.

Der Plan sehe vor, dass die Ukraine große Teile des eroberten Territoriums abtritt und von einem Nato-Beitritt ausgeschlossen wird. Im Gegenzug würde Russland das Kernkraftwerk Saporischschja und die nahe gelegene Stadt Enerhodar an die Ukraine abtreten, auch die Rückgabe der von Russland besetzten Regionen Cherson und Saporischschja soll ein möglicher Verhandlungspunkt sein.

Das jedoch steht offensichtlich im Widerspruch zu der öffentlich geäußerten Position Putins. Mitte Juni hat Putin nämlich neue, aus ukrainischer Sicht inakzeptable Bedingungen formuliert.  Demnach müsse sich die Ukraine aus den unbesetzten Teilen des Donbass und den Regionen Saporischschja und Cherson zurückziehen. Sobald Kiew dazu bereit sei und auch ihre Pläne für einen Nato-Beitritt offiziell absage, werde es „sofort, buchstäblich im selben Moment“ einen Waffenstillstand und Verhandlungen geben.  Weder die USA noch Russland oder die Ukraine hätten sich offiziell zu den angeblichen Geheimdienstkontakten im Zusammenhang mit Kolokoltsevs Besuch geäußert, schreibt die „Daily Mail“.

Das sagen Experten zu den Aussichten auf Verhandlungen

Der Militärexperte Carlos Masala von der Bundeswehr-Universität in München schrieb auf X zu dem Bericht: „Ich kann nicht beurteilen, inwieweit dieses Angebot (sollte es das wirklich geben) ernst gemeint ist oder ne Ablenkung sein soll, aber wenn es ernst gemeint sein sollte, dann scheint sich vielleicht (bei aller Vorsicht) etwas zu bewegen.“

Russlandexperte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck ist aber skeptisch: „Ich denke nicht, dass in Kiew und/oder in Moskau wirkliche Verhandlungsbereitschaft besteht“, sagte er zu FOCUS online. „Die Gerüchte sollen vor allem dazu genutzt werden, um nicht als verhandlungsunwillige Seite angesehen zu werden. Die realen Erwartungen an eine Verhandlungslösung sind immer noch unvereinbar.“

Verhandlungen halte er erst für möglich, wenn einer der Gegner oder gar beiden Parteien die militärischen Ressourcen ausgehen oder wenn beide Seiten militärisch erschöpft sind. „Von ersterem sind wir derzeit noch immer entfernt, vom zweiten deutlich.“  Auch sei er davon überzeugt, dass Russland ohne territoriale Zugeständnisse keine Waffenruhe akzeptieren werde. „Solche Zugeständnisse lehnt nicht nur die ukrainische Regierung ab, sondern auch die Bevölkerung. Selbst wenn Selenskyj in diese Richtung gehen wollte, droht dann die Spaltung der politischen und militärischen Elite in der Ukraine. Das dürfte wohl auch ein Szenario derzeit verhindern, wonach Russland zwar nicht die De-Jure-Kontrolle über die besetzten ukrainischen Gebiete erhält, aber die De-Facto-Kontrolle."

mit Agenturmaterial