„Mittendrin“-Runde im SpardaWelt Eventcenter: Fola Dada (2. von links), Staatssekretär Arne Braun, Jiska, Opernintendant Viktor Schoner und Udo Dahmen Foto: LICHTGUT/Zophia Ewska

„Sind wir Popländ?“ Pünktlich zum Start der Jazz Open am 18. Juli hat unsere Zeitung einen Abend mit den Sängerinnen Jiska und Fola Dada, Kunststaatssekretär Arne Braun, Opernintendant Viktor Schoner und Ex-Popakademie-Lenker Udo Dahmen präsentiert.

Auf den Bildwänden zu Seiten des Podiums singt Soffie, Absolventin der Popakademie Baden-Württemberg, ihren Hit „Für immer Frühling“, singt fröhlich von einem Land ohne Hunger und Gewalt, ohne Angst und Ungerechtigkeit. Ihr Song ist Beispiel dafür, was Popmusik auszudrücken vermag, worum es am Montagabend vor 100 Leserinnen und Lesern unserer Zeitung bei diesem „Mittendrin“-Abend im SpardaWelt Eventcenter am Hauptbahnhof geht.

„Sind wir Popländ?“, lautet dort die Frage. Moderiert von Nikolai B. Forstbauer, Autor unserer Zeitung, diskutieren Arne Braun, Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Udo Dahmen, bis 2022 Leiter der Popakademie, Viktor Schoner, Intendant der Staatsoper Stuttgart, Fola Dada und Jiska, Musikerinnen aus zwei Generationen.

Pop kam immer zu kurz

Die Diskussion findet statt wenige Tage bevor das SpardaWelt Eventcenter zu einem der Orte des Festivals Jazz Open wird. Sie findet statt in einer Zeit, in der Strukturen sich deutlich verändern, die Musikbranche eine Krise erlebt – und zu einem Zeitpunkt, an dem die Landesregierung das Thema Pop offensiv aufgreifen möchte. Im Dezember wird sie ihren Doppelhaushalt beschließen, für September hat Arne Braun angekündigt, ein Abschlusspapier zu einem Dialog mit der Popkultur vorzulegen, der vor einem Jahr gestartet wurde. „Pop“, so Braun, „ist ein ganz zentrales Kultursegment, das in der Wahrnehmung der Politik bisher immer zu kurz kam.“ Ein Thema, das die Gesellschaft in all ihren Schichten durchdringe, ein unbedingt wirtschaftliches Thema auch. „Das erste Mal, das wir Pop in dieser Form fördern“, wird der Staatssekretär später auf eine Frage aus dem Publikum hin, sagen, „ist jetzt.“

Begrifflichkeiten sind im Diskurs über Popmusik notwendig und hinderlich zugleich. Was versteht man unter Pop, Subkultur, Breitenkultur, Hochkultur? Wo verlaufen die Grenzen, wo lösen sie sich auf? Opernintendant Viktor Schoner sagt: „Ich stehe hier als Vertreter der hochfinanzierten Institute“ – und fordert gerade auch von diesen Institutionen eine Öffnung: „Wir müssen Labor sein, nicht nur Museum. Wir müssen ein zeitgenössisches Musiktheater schaffen.“

Die Stuttgarter Oper öffnete sich der Popkultur bei vielen Gelegenheiten, jüngst erst anlässlich der „Littmann Sessions“. Gemeinsam mit anderen Künstlern traten Die Nerven im Opernhaus auf, spielten Post-Punk, Noise-Rock – für Arne Braun ein bedeutsames Ereignis: „Diese Kultur hat sich die Oper erobert“, sagt er, „und das Abo-Publikum ist zum Teil geblieben.“ Zugleich kamen mit der Band Musiker in die Oper, die ihre Wurzeln auch in den Wagenhallen haben, einem Ort, der in Stuttgart bisher mit einer Subkultur besetzt war, an dem nun aber die Interimsoper entstehen soll. Einen Konflikt sieht Schoner hier nicht wirklich, glaubt eher an gegenseitige Befruchtung, Innovation. Er sieht die Öffnung des Opernhauses auch als eine Förderung der Szene, hält die begriffliche Trennung für hinfällig: „Die Künstlerinnen selbst machen diesen Unterschied längst nicht mehr.“

Wie aber sieht es aus mit jenen, die ein Niveau, das Opernhäuser öffnet, noch nicht erreicht haben? Die Stuttgarter Pop-Sängerin Jiska tritt seit 2020 als Solistin auf – und ist am 21. Juli auch bei den Jazz Open zu hören. Sie spricht von einem Mangel an Räumen – und vom Glück der Förderungen, die sie erhielt, zum Beispiel über die Initiative Musik. „Es gibt aber sehr wenig“, sagt sie. Und: „Hätte ich all das nicht gehabt, würde ich nicht mehr Musik machen. Es rechnet sich nicht.“

Ausbildung macht sich für junge Musiker bezahlt

Fola Dada, Dozentin und arrivierte Sängerin zwischen Jazz und Pop, hofft auch deshalb auf „Safe Spaces“, finanziell gesicherte Laborsituationen, in denen sich Newcomer ausprobieren, entwickeln, aber auch etablierte Musikerinnen sich auf Experimente einlassen können, ohne Folgen für ihre Karriere befürchten zu müssen. Ein ebensolches Labor stellt für Arne Braun die Popakademie dar – obschon er sich erinnert, der institutionellen Ausbildung von Popmusikern einst kritisch gegenübergestanden zu sein: „Mittlerweile glaube ich, es ist gut, die Menschen auszubilden, die in diesem Bereich arbeiten wollen, ehe sie auf den Markt gehen.“

Udo Dahmen, bis 2022 Leiter der Popakademie sieht die Popkultur als ein Modell mit vielen Aspekten, sieht eine Szene mit vielen Nischen: „Wir haben versucht, eine Einrichtung zu bauen, die die Wege beschleunigt, Menschen zusammenführt und ihnen die Möglichkeit gibt, zu sich selber zu finden. Nach 20 Jahren kann man schon sagen, dass uns das gelungen ist.“

Über Geld will Staatssekretär Arne Braun am Montagabend nicht sprechen. Erwartungen stehen durchaus im Raum – und Ungeduld mit der bisherigen Entwicklung, auch dem Umgang der Behörden mit der Popmusik, wie aus einer Publikumsreaktion sehr deutlich wird.

Popbüros vor Ort stärken

Am Ende dieses „Mittendrin“-Abends steht schließlich nicht nur fest, dass Kunst und Kultur gebraucht werden, da sie der Gesellschaft in schwieriger Zeit Stabilität verleihen – sondern auch, konkret, wie die Popkultur im Land gestärkt werden soll: Durch Allianzen, durch Sichtbarkeit, Kommunikation, durch die Stärkung der Popbüros als unmittelbare Ansprechpartner für die Künstlerinnen und Künstler vor Ort.