Frankreich
Grosse Überraschung: Die linke Volksfront besiegt die Le Pen-Partei

Bei den Parlamentswahlen kommt Frankreich um eine rechtsnationale Regierung herum. Wie es die Linken schafften, Marine Le Pens Griff nach der Regierungsmehrheit zu verhindern.

Stefan Brändle, Paris
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Überraschungssieger der zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich: Das Linksbündnis um Jean-Luc Melenchon holt laut Hochrechnungen die meisten Stimmen.

Überraschungssieger der zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich: Das Linksbündnis um Jean-Luc Melenchon holt laut Hochrechnungen die meisten Stimmen.

Bild: Andre Pain / EPA

Rote Fahnen überall: Die Volksfront aus Sozialdemokraten, Grünen, Kommunisten und linkspopulistischen «Unbeugsamen» feierte das Wahlergebnis am Sonntagabend als «Triumph über die Rechten». Das sagte Jean-Luc Mélenchon, der Anführer der Partei «La France insoumise» (Unbeugsames Frankreich), der vor den Kameras ein Chanson des legendären kommunistischen Sängers Jean Ferrat anstimmte.

Laut Hochrechnungen hat die «neue Volksfront» – die ihren Namen von der gleichen Allianz in den Dreissigerjahren bezog – an die 200 Sitze in der 577-köpfigen Nationalversammlung errungen. Damit liegt sie zur allgemeinen Überraschung vorne – und kann den Anspruch auf die Regierungsbildung erheben.

Das rechtsnationale Rassemblement National (RN) hat die vielenorts erwartete absolute Mehrheit von 289 Sitzen in der Nationalversammlung mit ungefähr 140 Sitzen deutlich verpasst. Ihr Premier-Kandidat Jordan Bardella betonte zwar zu Recht, dass sein RN in der Nationalversammlung so stark sei wie nie zuvor. Ohne Allianzen ist die Partei aber nicht in der Lage, den Regierungsanspruch zu erhaben.

Dass die Le Pen-Partei ihr Ziel verpasst hat, hat seinen Grund vor allem in den taktischen Absprachen der Le Pen-Gegner. In 50 Wahlkreisen zogen sich Linkskandidaten zugunsten von Macronisten zurück, um einen RN-Sieg in den betreffenden Wahlkreisen zu verhindern. Statt einer Regierungspartei wird das RN nun zur wichtigsten Oppositionspartei. Ihr Fernziel, 2027 mit Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen in den Elysée-Palast einzuziehen, bleibt ungebrochen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Bild: EPA

Unerwartet ist auch das relativ gute Abschneiden des Wahlbündnisses von Präsident Emmanuel Macron, «Ensemble» (Zusammen). Es könnte auf 160 Sitze kommen. Für den Staatschef ist das Resultat ein kleines Trostpflaster, nachdem er für die Ansetzung von Neuwahlen massiv kritisiert worden war. Allerdings verliert er wohl seinen Premier Gabriel Attal, da die Sitzzahl nicht genügt, die Regierung weiterzuführen. Attal erklärte, er werde am Montag seine Demission einreichen. Solange Frankreich keine neue Regierung hat, wird er aber im Amt bleiben.

Wie die neue Regierung aussieht, ist völlig unklar

Doch wer wird nun Premier und damit Regierungschef? In der Nationalversammlung hat kein Lager eine regierungsfähige Mehrheit. Die viel befürchtete Blockade mit drei in etwa gleich starken Lagern ist nun Tatsache. Die Wähler wollten es so: Die Lepenisten haben heute vor allem auf dem Land eine breite Wählerbasis; die Linke mobilisiert in den Städten und kehrt nach siebenjähriger Durststrecke mit einer starken Allianz zurück. Und die Macronisten zeigen, dass es in Frankreich heute ein solides Mittelager gibt, das womöglich über Macron hinaus Bestand haben kann.

Aber eben: Weder die Lepenisten, Macronisten noch die Linken und Grünen können allein regieren. Eine Kompromisskultur ist den französischen Parteien aber fremd. Der Staatschef, der in Paris de facto die Regierung bildet, hat drei Optionen:

Marine Le Pen vom Rassamblement National liegt möglicherweise nur auf dem 3. Platz mit ihrer Partei.

Marine Le Pen vom Rassamblement National liegt möglicherweise nur auf dem 3. Platz mit ihrer Partei.

Bild: AP

Erstens: Möglich ist eine Linkskoalition mit einem sozialdemokratischen Premier. Er müsste versuchen, linke Macronisten ins Boot zu holen, um auf eine Parlamentsmehrheit zu kommen. Ein Problem ist der Volkstribun Jean-Luc Mélenchon und seine Linksaussen-Komponente «Unbeugsames Frankreich»: Er stösst selbst bei seinen Partnern auf Ablehnung. Aber er will Premier werden, um Macrons Rentenreform rückgängig zu machen. Ein Kompromiss scheint da fast unmöglich.

Zweitens: Macron könnte seinerseits versuchen, eine «Regenbogen-Allianz» aus allen Interessierten zu bilden – vor allem aber aus seiner Zentrumspartei, dem rechten Flügel der Sozialdemokraten sowie Realo-Grünen. Wie die Grünen-Chefin Marine Tondelier kürzlich sagte: «Wir werden sicherlich Dinge machen müssen, die noch niemand gemacht hat.» Gemeint ist eine Grosse Koalition.

Drittens: Die Bildung einer «technischen» Regierung aus Beamten und Technokraten. Vorbild wäre in dem Fall Italien, wo Ministerpräsidenten wie Mario Draghi ähnlich apolitische Equipen anführten. In Paris weiss man aber auch, dass die Draghi-Regierung in Rom 2022 das Regierungszepter an die Rechtskonservative Giorgia Meloni weitergeben musste. In Paris wartet Le Pen.

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