Kopulierende Pferde, küssende Priester und Nonnen, ein überladenes Flüchtlingsschiff, ein sterbender Aids-Kranker im Kreis seiner Familie, die Leiche eines erschossenen Mafiosos, das blutgetränkte T-Shirt eines bosnischen Soldaten mit Einschussloch – und darunter immer das Logo "United Colors of Benetton".
Oliviero Toscani hat in den 80er- und 90er-Jahren bei seinen Werbekampagnen für das Modeimperium der Geschwister Benetton vor keiner Provokation, vor keinem Tabubruch zurückgeschreckt. Seine Fotografien beschäftigten Heerscharen von Anwälten und Richtern, sogar der deutsche Bundesgerichtshof und das deutsche Verfassungsgericht mussten sich mit seinen Plakaten befassen. Meist ging es in den Verfahren um Verstöße gegen die guten Sitten oder – vor allem in seiner Heimat Italien – um Blasphemie. In der Regel wurden die Plakate von den Gerichten schließlich als nicht sittenwidrig eingestuft.
Schon früh machte der 1942 in Mailand geborene Toscani auf sich aufmerksam: Auf einem Werbefoto für das italienische Label Jesus Jeans war 1973 der nur mit engen Hotpants bekleidete Hintern einer jungen Frau zu sehen, auf dem der doppeldeutige Schriftzug "Chi mi ama mi segua" prangte: "Wer mich liebt, der folge mir." Die Verwendung des Jesus Christus zugeschriebenen Spruchs brachte die katholische Kirche und den Vatikan zur Weißglut.
Effekthascherisch, aber nie banal
Heute würden solche Werbeplakate wohl bloß noch als sexistisch bezeichnet werden. Ohnehin ist vieles von dem, was Toscani schuf, vor allem eines: effekthascherisch. Aber seine Bilder waren nie banal: Dem Fotografen ging es immer auch um die Sache und um die Botschaft. Mit seinen zum Teil ironischen, zum Teil drastischen Fotografien stellte er sich gegen Bigotterie, gegen Rassismus, gegen Homophobie, gegen Gewalt und Krieg.
In einem besonders umstrittenen Plakat war das Nacktfoto eines auf 31 Kilo abgemagerten Models zu sehen, mit dem der Schlankheitswahn der Modebranche angeprangert wurde. Die junge Französin starb wenig später an ihrer Magersucht. In einer Kampagne gegen die Todesstrafe zeigte Toscani im Jahr 2000 die Porträts von verurteilten Todeskandidaten in den USA, die im Gefängnis auf ihre Hinrichtung warteten.
Vorbild Andy Warhol
Oliviero Toscani hatte schon als Sechsjähriger von seinem Vater, der ebenfalls Fotograf war, eine Kamera erhalten. Mit 19 Jahren ging er nach Zürich, wo er an der Kunstgewerbeschule vier Jahre lang Fotografie studierte. Danach arbeitete er in den USA, wo er mit Andy Warhol, Lou Reed, Mick Jagger, Muhammad Ali, Patti Smith und vielen anderen Stars Freundschaft schloss.
Warhol war damals sein erklärtes Vorbild. In jener Zeit arbeitete Toscani für Magazine wie Elle, Vogue, Queen und Harper's Bazaar, für die er die damals noch kaum bekannten späteren Topmodels Claudia Schiffer, Naomi Campbell und Cindy Crawford ablichtete. Toscani war ein Kind der rebellischen 60er- und 70er-Jahre, in denen mit vielen althergebrachten Traditionen gebrochen und nach neuen Wegen und Ausdrucksmöglichkeiten gesucht wurde.
Dem rebellischen Geist und seinem sozialkritischen Engagement blieb Toscani bis zuletzt treu – ebenso seinem Hang zur Provokation. Als der mehrfache Ex-Premier Silvio Berlusconi vor eineinhalb Jahren starb, erklärte Toscani, dass es ihn "glücklich macht, dass es ihn nicht mehr gibt – überglücklich". Natürlich verursachte dieser Satz in Italien einen Aufschrei, "obwohl ich ja nur gesagt habe, was viele dachten", wie Toscani anfügte. Einen Proteststurm erntete er auch, als er die rechtsnationale Regierungschefin Giorgia Meloni als "Faschistin" bezeichnete. Heuchelei und politische Korrektheit waren ihm immer zuwider – auch in der Fotografie. Er wolle, sagte er einmal, "die Welt mit aufwühlenden Bildern aus ihrer Apathie und Gleichgültigkeit aufwecken".
Nun ist Oliviero Toscani im Alter von 82 Jahren an der unheilbaren Krankheit Amyloidose verstorben. Er habe "seine nächste Reise angetreten", hieß es in einer Mitteilung seiner Familie. Vor einem Jahr, als er bereits schwer von seiner Krankheit gezeichnet war, hatte Toscani in einem Interview mit dem Corriere della Sera erklärt, dass er sich wünsche, nicht für ein einzelnes Bild in Erinnerung zu bleiben, sondern "für das Ganze, für das Engagement". (Dominik Straub aus Rom, 13.1.2025)