In: Roland Innerhofer, Daniela Strigl (Hg.): Sonderweg in Schwarzgelb? Auf der Suche nach einem österreichischen Naturalismus in der Literatur. Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag 2015, S. 237–254.
Zola-Rezeption und "erweiterter Naturalismus" bei Hermann Brach und George Saiko Als Hermann Bahr... more Zola-Rezeption und "erweiterter Naturalismus" bei Hermann Brach und George Saiko Als Hermann Bahr im Frühjahr 1891 seinen Nachruf auf den "erledigt[en]", "gebrochen[en] Zauber" des Naturalismus, auf das Ende der "Knechtschaft" und "Selbstentfremdung" der Kunst in der "Markthalle der Wirklichkeit" formuliert, ist dies sowohl für Hermann Broch als auch für George Saiko noch jenseits der Schwelle des Wahrnehmbaren: Hermann Broch (geb. 1886) ist gerade in seinem fünften Lebensjahr, George Saiko kommt erst 1892 zur Welt, ein Jahr nach dem Erscheinen des Bahr'schen Rückblicks auf die naturalistische "Verirrung". Es geht im Folgenden somit um zwei österreichische Autoren, deren Auseinandersetzung mit dem Naturalismus zu einem Zeitpunkt einsetzt, an dem auch dessen "Überwindung" (Bahr) durch die Autoren der Wiener Moderne ihrerseits wiederum von Nachfolgenden als überwunden erklärt worden ist. Dieser historische Abstand ermöglicht zum einen gewisse Freiheiten, die Broch und Saiko für eine eigenwillige neo-naturalistische Poetik nutzen, die bei beiden im Zeichen einer konservativen Moderne steht. Zugleich sind beide Autoren mit ihrem Versuch, ausgesuchte Elemente der naturalistischen Erbmasse für sich zu reklamieren, jedoch keineswegs allein. Hiermit sind genau jene zwei Punkte berührt, die Brochs und Saikos Naturalismuskonzepte zu einem signifikanten, über autorenphilologische Erkenntnispotenziale hinausreichenden Kapitel der Österreichischen Literaturgeschichte werden lassen.
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Drafts by Sabine Müller
Die Tiefe zählt zu den ältesten und wichtigsten Metaphern der Kulturgeschichte. Dies verdankt sie ihrer engen Bindung an Konzepte von Wahrheit und Erkenntnis, Ursprung und Seele, Substanz und Grund, an Vorstellungen von Subjektivität, emotionaler Intensität und Echtheit. Diesen positiven Konnotationen stehen freilich ebenso zahlreiche negative Aufladungen gegenüber, in denen die Tiefe – die ikonographische Tradition von Hades und Hölle fortführend – als Projektionsraum für das Dunkle, Irrationale und Bedrohliche, für unkontrollierbare Kräfte dient. Diese konkurrierenden Besetzungen der Tiefe bestimmen sie zu einer hoch ambivalenten Figur, in der individuelle und kollektive Sehnsüchte nach einem Sicherheit, Gewissheit und Identität verbürgenden Grund auf Ängste vor verschiedenen Spielarten des Abgrunds treffen – eines Raums, der in der Geschichte der Neuzeit zu einem wachsenden, schrittweise säkularisierten Zielgebiet von Praktiken der instrumentellen Vernunft avanciert.
Nicht weniger ambivalent sind die Kodierungen eines zentralen, mit der Tiefe verknüpften Motivs – der Höhle, die ebenfalls verlangt, die spannungsreichen Verflechtungen zwischen literalen und metaphorischen, praktischen und theoretischen Dimensionen der Tiefe zu analysieren. Aus zivilisationsgeschichtlichen Gründen zunächst als Rückzugsort und Schutzraum, als sicheres Gehäuse und Sehnsuchtsort positiv konnotiert, fungiert die Höhle spätestens seit Platon zugleich als Sinnbild einer be- und gefangenen Erkenntnis und eröffnet damit die Geschichte epistemologischer Debatten über Wurzel und Rhizom, Ursprung und Hybridität.
Ziel des vorliegenden Bandes ist es, die Funktion der Figur der Tiefe in kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge der Vergangenheit wie der Gegenwart zu erkunden und das historiografische wie theoretische Potenzial des interdisziplinären, kulturwissenschaftlichen Gegenstands aufzuzeigen.
Quellen unserer Form nicht abzulassen! Ich hatte damit nur erreicht, daß ich von den Secessionisten ohne Ausnahme durch diese Verehrung des Thonetsessels als Nichtkünstler gebrandmarkt wurde.“
Die Tiefe zählt zu den ältesten und wichtigsten Metaphern der Kulturgeschichte. Dies verdankt sie ihrer engen Bindung an Konzepte von Wahrheit und Erkenntnis, Ursprung und Seele, Substanz und Grund, an Vorstellungen von Subjektivität, emotionaler Intensität und Echtheit. Diesen positiven Konnotationen stehen freilich ebenso zahlreiche negative Aufladungen gegenüber, in denen die Tiefe – die ikonographische Tradition von Hades und Hölle fortführend – als Projektionsraum für das Dunkle, Irrationale und Bedrohliche, für unkontrollierbare Kräfte dient. Diese konkurrierenden Besetzungen der Tiefe bestimmen sie zu einer hoch ambivalenten Figur, in der individuelle und kollektive Sehnsüchte nach einem Sicherheit, Gewissheit und Identität verbürgenden Grund auf Ängste vor verschiedenen Spielarten des Abgrunds treffen – eines Raums, der in der Geschichte der Neuzeit zu einem wachsenden, schrittweise säkularisierten Zielgebiet von Praktiken der instrumentellen Vernunft avanciert.
Nicht weniger ambivalent sind die Kodierungen eines zentralen, mit der Tiefe verknüpften Motivs – der Höhle, die ebenfalls verlangt, die spannungsreichen Verflechtungen zwischen literalen und metaphorischen, praktischen und theoretischen Dimensionen der Tiefe zu analysieren. Aus zivilisationsgeschichtlichen Gründen zunächst als Rückzugsort und Schutzraum, als sicheres Gehäuse und Sehnsuchtsort positiv konnotiert, fungiert die Höhle spätestens seit Platon zugleich als Sinnbild einer be- und gefangenen Erkenntnis und eröffnet damit die Geschichte epistemologischer Debatten über Wurzel und Rhizom, Ursprung und Hybridität.
Ziel des vorliegenden Bandes ist es, die Funktion der Figur der Tiefe in kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge der Vergangenheit wie der Gegenwart zu erkunden und das historiografische wie theoretische Potenzial des interdisziplinären, kulturwissenschaftlichen Gegenstands aufzuzeigen.
Quellen unserer Form nicht abzulassen! Ich hatte damit nur erreicht, daß ich von den Secessionisten ohne Ausnahme durch diese Verehrung des Thonetsessels als Nichtkünstler gebrandmarkt wurde.“