ISSN 1725-2407

doi:10.3000/17252407.C_2009.175.ger

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 175

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

52. Jahrgang
28. Juli 2009


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

449. plenartagung am 3.-4. dezember 2008

2009/C 175/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Künftige Investitionen in die Kernindustrie und ihre Rolle in der Energiepolitik der EU

1

2009/C 175/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Zugang zu Breitbandverbindungen für alle: Überlegungen zum Umfang des Universaldienstes im Bereich der elektronischen Kommunikation

8

2009/C 175/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Effiziente Governance der erneuerten Lissabon-Strategie

13

2009/C 175/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt

20

2009/C 175/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Proaktives Recht: ein weiterer Schritt zu einer besseren Rechtsetzung auf EU-Ebene

26

2009/C 175/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Entsorgung von Elektronik-Altgeräten — eine umweltpolitische Herausforderung für die EU

34

2009/C 175/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Gemeinsam auf EU-Ebene handeln, um die Zivilgesellschaft in ländlichen Gebieten zu stärken — unter besonderer Berücksichtigung der neuen Mitgliedstaaten

37

2009/C 175/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Soziale Auswirkungen der Entwicklung im Gesamtbereich Verkehr und Energie

43

2009/C 175/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die europäische Luftfahrtindustrie: gegenwärtige Situation und Zukunftsaussichten

50

2009/C 175/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Entwicklung großer Einzelhandelsunternehmen und Auswirkungen auf ihre Zulieferer und die Verbraucher

57

2009/C 175/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Industrieller Wandel, territoriale Entwicklung und Verantwortung der Unternehmen

63

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

449. plenartagung am 3.-4. dezember 2008

2009/C 175/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens

73

2009/C 175/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen und der Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten im Hinblick auf verbundene Systeme und Kreditforderungen

78

2009/C 175/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Bessere Karrieremöglichkeiten und mehr Mobilität: Eine europäische Partnerschaft für die Forscher

81

2009/C 175/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 2001/470/EG des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen

84

2009/C 175/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Verbesserung der Energieeffi¬zienz durch Informations- und Kommunikationstechnologien

87

2009/C 175/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Weiterentwicklung des Internets — Aktionsplan für die Einführung des neuen Internet-Protokolls IPv6 in Europa

92

2009/C 175/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung (EG) Nr. …/… des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 219/2007 des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens zur Entwicklung des europäischen Flugverkehrsmanagementsystems der neuen Generation (SESAR)

97

2009/C 175/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Wettbewerbsfähigkeit der Metallindustrie — Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung

100

2009/C 175/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine innovative und nachhaltige forstbasierte Industrie in der EU — Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung

105

2009/C 175/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen

109

2009/C 175/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung

116

2009/C 175/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom […] zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten

122

2009/C 175/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung des Anwendungsbereichs von Artikel 143 Buchstaben b und c der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Mehrwertsteuerbefreiung bestimmter endgültiger Einfuhren von Gegenständen (kodifizierte Fassung)

123

DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

449. plenartagung am 3.-4. dezember 2008

28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Künftige Investitionen in die Kernindustrie und ihre Rolle in der Energiepolitik der EU“

(2009/C 175/01)

Mit Schreiben vom 27. Mai 2008 ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

„Künftige Investitionen in die Kernindustrie und ihre Rolle in der Energiepolitik der EU“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. November 2008 an. Berichterstatter war Herr IOZIA.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 4. Dezember 2008 mit 122 gegen 15 Stimmen bei 16 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Es sind ungefähr zehn Jahre für Verwaltungsverfahren und Bauzeit erforderlich, bis ein Kernkraftwerk Strom erzeugen kann. Die Investitionskosten für eine Anlage mit einer Leistung von 1 000 bzw. 1 600 MWe liegen dabei zwischen 2 und 4,5 Mrd. EUR. Angesichts des Zeitraums zwischen der Tätigung der Investitionen und dem Beginn der Vermarktung der Energie bedarf es der Gewähr eines stabilen Rechtsrahmens. Die Entscheidung zugunsten der Kernenergie und die einschlägigen Rechtsvorschriften sollten von der großen Mehrheit der Bürger und der Politiker unterstützt werden.

1.2   Gemäß den aktuellen Programmen soll bis 2030 ca. die Hälfte der Kraftwerke abgeschaltet werden. Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses müssen unbedingt stringente Maßnahmen ergriffen werden, die angemessene finanzielle Mittel für die Stilllegung entsprechend dem Verursacherprinzip sowie ein hohes Schutzniveau für Arbeiter und Bürger gewährleisten. Er unterstützt uneingeschränkt die diesbezüglichen Vorschläge der Kommission und fordert, die Empfehlung 2006/851/Euratom zügig in eine Richtlinie umzusetzen, die die Einrichtung unabhängiger Behörden zur Verwaltung der Mittel für die Stilllegung und den Abriss von Anlagen vorsieht.

Der EWSA

1.3   stellt fest, dass die größten Hemmnisse in den politischen Unwägbarkeiten und den Genehmigungsverfahren sowie im Mangel an Transparenz, an umfassenden, klaren und wahrheitsgemäßen Informationen über die tatsächlichen Risiken und an Beschlüssen hinsichtlich der Ermittlung sicherer Endlager für die Abfälle zu suchen sind. Das Risiko für private Investoren ist zu hoch, und die Finanzkrise macht es mittel- und langfristig noch schwieriger, das von der Atomindustrie benötigte Kapital zu beschaffen. Schließt man staatliche Beihilfen für den Sektor aus, könnte die Finanzierung durch einen stabilen und zuverlässigen Rechtsrahmen für die Investoren und durch die Möglichkeit des Abschlusses langfristiger Versorgungsverträge, die die Rentabilität der Investitionen gewährleisten, gefördert werden. Da es sich bereits als schwierig erwiesen hat, die für die Finanzierung vorgesehenen Mittel (Euratom-Darlehen) geringfügig aufzustocken, erscheinen rasche Veränderungen in der Gemeinschaftspolitik unwahrscheinlich;

1.4   ist davon überzeugt, dass eine demokratische Bürgerteilhabe erforderlich ist, wobei die Bürger in der Lage sein müssen, sich über die Risiken und Chancen der Kernkraft eingehend zu informieren und so an den sie unmittelbar betreffenden Entscheidungen bewusst zu partizipieren. Der EWSA macht sich zum Sprachrohr dieser Forderung und ersucht die Kommission, die Mitgliedstaaten dahingehend zu sensibilisieren, dass sie eine entsprechende Kampagne für Transparenz und Gewissheit hinsichtlich des europäischen Energiebedarfs, der Energieeffizienz und der verschiedenen Optionen (einschließlich der Kernkraft) durchführen;

1.5   hält zum gegenwärtigen Zeitpunkt längere Laufzeiten von Kernkraftwerken — unter der Bedingung der genauen Befolgung der Sicherheitsvorschriften — für eine wirtschaftlich gerechtfertigte Lösung des Problems, wenngleich dadurch auf eine deutliche Steigerung der thermodynamischen Effizienz (15-20 %) verzichtet wird;

1.6   ist der Auffassung, dass Investitionen in die Forschung im Bereich Sicherheit und Schutz der Arbeiter und Bürger sowie in die Förderung von Bildungs-, Praktikums- und Weiterbildungsprogrammen zur konstanten Aufrechterhaltung eines hohen Niveaus der technischen und technologischen Kapazitäten in diesem Industriesektor wie auch in den nationalen Regulierungs- und Aufsichtsbehörden erleichtert werden sollten. Die Mittel für solche Investitionen sollten nicht nur aus dem siebten Euratom-Rahmenprogramm, sondern auch aus öffentlichen Programmen der Mitgliedstaaten stammen;

1.7   erachtet die unterschiedlichen Systeme für Ausgleichsleistungen und die Klärung der Haftung bei Unfällen als unzureichend und ungerechtfertigt. Er würde es als ersten Schritt für sinnvoll halten, die Bedingungen in den Übereinkommen von Paris und Wien, die für Schäden im Zusammenhang mit der Kernkraft unterschiedliche Rechtsrahmen und unterschiedliche Ausgleichsmaßnahmen vorsehen, zu vereinheitlichen. Es sollte eine Richtlinie gemäß den Bestimmungen in Artikel 98 des Euratom-Vertrags im Bereich der Risikoversicherungen erlassen werden, in der ausdrücklich festgestellt wird, dass im Schadensfalle die gesamten Lasten von den Kraftwerksbetreibern zu tragen sind. Angesichts der Art und des Umfangs des Risikos sollte auf der Grundlage der bereits existierenden Beispiele eine Risikoverteilung auf die europäischen Betreiber gefördert werden;

1.8   ist der Auffassung, dass die europäische Industrie, um einer möglichen starken Zunahme der Nachfrage nach neuen Anlagen begegnen zu können, umfangreiche, für die Zukunft des Sektors in Europa unerlässliche Investitionen in Wissen und Bildung und in Forschung und Entwicklung vorsehen muss. Anteile von weniger als 10 bis 15 % Atomstrom an der jährlichen Stromproduktion wären wirtschaftlich wenig sinnvoll, da bei den Verwaltungskosten und der Abfallentsorgung eine kritische Masse erreicht werden muss, um Größenvorteile zu erzielen;

1.9   ist sich der Tatsache bewusst, dass die Bestimmung eines einzigen bzw. mehrerer gemeinschaftlicher europäischer Endlager (wie im Falle der USA geschehen) keine praktikable Lösung ist, und fordert die Mitgliedstaaten auf, die Verfahren zur Ermittlung der nationalen Endlager zu beschleunigen. Es sollten harmonisierte Sicherheitsanforderungen festgelegt werden; zu diesem Zweck wird eine Richtlinie gefordert, z.B. vom Verband der westeuropäischen Aufsichtsbehörden (Western Europe Nuclear Regulators Association/WENRA) und dem Europäischen Parlament;

1.10   appelliert an die Kommission, die Forschungs- und Entwicklungsprogramme (insbesondere für die kerntechnischen Anlagen der vierten Generation) zu unterstützen;

1.11   auch im Bereich der Abfallbehandlung und des Schutzes vor ionisierender Strahlung erscheinen die verfügbaren Forschungsmittel unzureichend. Der EWSA fordert die Kommission, den Rat und das Parlament auf, für das siebte Euratom-Rahmenprogramm weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, u.a. über spezielle gemeinsame Technologieinitiativen wie im Falle von Brennstoffzellen und Arzneimitteln. Der EWSA appelliert zudem an die Mitgliedstaaten, auch in ihrem Zuständigkeitsbereich deutlich mehr für die Lösung dieser Probleme zu tun. Die britische Agentur für die Stilllegung kerntechnischer Anlagen (Nuclear Decommissioning Authority/NDA) hat im Juli 2008 den Bedarf an öffentlichen Mitteln für Stilllegungen im Vergleich zu 2003 um 30 % höher angesetzt. Die Mittel belaufen sich den Schätzungen der NDA zufolge auf 73 Mrd. GBP (umgerechnet ca. 92 Mrd. EUR) — Tendenz steigend (1). Die EDF, die ein hohes Standardisierungsniveau hat, erklärt, dass solche Kosten 15 bis 20 % der ursprünglichen Baukosten ausmachen.

1.12   Nach Ansicht des Ausschusses könnten die Union und die Mitgliedstaaten folgende Schritte erwägen, um die Unsicherheiten zu verringern:

In politischer Hinsicht könnten sie einen langfristigen Konsens zwischen allen politischen Kräften bezüglich der möglichen Rolle der Kernkraft bei der Bekämpfung des Klimawandels anstreben.

In wirtschaftlicher Hinsicht könnten sie klären, welche Anforderungen in Bezug auf die Stilllegung und die Atommüllentsorgung gestellt werden und welche finanziellen Vorkehrungen die Betreiber für diese langfristigen Kosten treffen sollten. Letztgenannte und die Regulierungsbehörden könnten außerdem die Bedingungen für die Netzeinspeisung von Atomstrom und die Merkmale künftig zulässiger langfristiger Versorgungsverträge festlegen.

Mit Blick auf die Forschung könnten die EU und die Mitgliedstaaten eventuell die FuE im Bereich der Kerntechnologie (einschließlich Kernfusion) der dritten und vierten Generation unterstützen, die eine bessere Effizienz und höhere Umwelt- und Sicherheitsstandards bieten wird als die derzeitige Kernkraftwerksgeneration.

In Bezug auf die Raumplanung könnten sie die langwierigen Verfahren zur Auswahl und Genehmigung geeigneter Standorte beschleunigen.

In Bezug auf die finanziellen Aspekte könnten die europäischen Finanzinstitutionen eventuell Quellen für Darlehensfinanzierungen erschließen und dadurch andere Investoren ermutigen, die Initiative zu ergreifen.

2.   Finanzierung der Kernindustrie

2.1   Europas Energiebedarf und voraussichtlicher Kostenaufwand

2.1.1   In den nächsten 20 Jahren muss Europa rund 800 bis 1 000 Mrd. EUR in den Ersatz seiner derzeitigen Elektrizitätswerke — gleich welcher Brennstoff hier zum Einsatz kommt — investieren. Von den insgesamt 146 Kernkraftwerken müssen etwa 50 bis 70 ersetzt werden (mit möglichen Kosten in Höhe von 100 bis 200 Mrd. EUR).

2.1.2   Die Kosten für die Verlängerung der Laufzeiten der derzeit in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke um 10 bis 20 Jahre entsprechen ca. 25 % der Kosten für ein neues Werk. In einer kürzlich vorgelegten Untersuchung (2) werden die Kosten unterschiedlich beziffert: In Abhängigkeit von der eingesetzten Technik schwanken sie zwischen 80 bis 500  EUR pro KWe und beziehen sich auf eine geplante Laufzeitverlängerung um rund 10 Jahre.

2.1.3   Angesichts der Unsicherheit der künftigen energiepolitischen Beschlüsse und angesichts der Möglichkeit, zusätzlich von den Investitionen zu profitieren, fordern die Betreiber die Verlängerung der Laufzeiten der bestehenden Anlagen, anstatt große Summen in neue und effizientere Anlagen zu stecken. Die Laufzeitverlängerung, bei der mindestens ein genauso hohes Sicherheitsniveau gewährleistet sein muss, ist sicherlich von wirtschaftlichem und klimapolitischem Interesse; sie löst das Problem des langfristigen Energiebedarfs aber nicht, sondern schiebt es nur hinaus.

2.1.4   Im Falle einer schrittweisen Reduzierung der Kernenergieproduktion wird es notwendig sein, Elektrizität mittels anderer Energieträger zu erzeugen, die dasselbe Emissionsniveau und dieselbe Grundlast sicherstellen. Im Falle des Ersatzes der stillgelegten Kernkraftwerke schwanken die anfallenden Kosten zwischen 100 und 200 Mrd. EUR und im Falle der Beibehaltung des derzeitigen Anteils der Kernenergieproduktion zwischen 200 und 400 Mrd. EUR nach Maßgabe der Nachfrage nach elektrischer Energie.

2.1.5   Die Kosten für ein neues Kernkraftwerk werden auf 2 bis 4,5 Mrd. EUR geschätzt. Die EIB hält die Entwicklung der Atomkraft langfristig für ungewiss und prognostiziert ihren drastischen Rückgang in der EU, nämlich um 40 % bis 2030 im Vergleich zu 2004. Der Präsident der EIB hat diese Prognose kürzlich in einer Anhörung im EWSA bestätigt. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) wird die Atomstromerzeugungskapazität im selben Zeitraum von 368 GW auf 416 GW ansteigen, was einem weltweiten Anstieg um 13 % entspricht, während in Europa jedenfalls ein Rückgang um 15 GW prognostiziert wird (3).

2.2   Klimawandel, CO2-Emissionen und Kernkraft

2.2.1   Zur Erreichung der Ziele von Kyoto und der in Kopenhagen festzulegenden noch verbindlicheren Ziele müsste die EU 60 % der Elektrizität ohne CO2-Emissionen erzeugen. Gegenwärtig ist die Stromerzeugung für 40 % der CO2-Emissionen der Europäischen Union verantwortlich. Die Rolle der Kernkraft darf dabei nicht außer Acht gelassen werden. Der angestrebte Anteil von 20 % erneuerbarer Energieträger bis 2020 sollte der Kommission zufolge wünschenswerterweise auf 30 % bis 2030 gesteigert werden.

2.2.2   Die CO2-Emissionen im Rahmen der Gewinnung und der Aufbereitung von Uran dürften zunehmen, im Wesentlichen wegen der allmählichen Erschöpfung der Vorkommen von stark uranhaltigen Mineralien und wegen der Zunahme von Treibhausgasen infolge des Einsatzes von Fluor und Chlor, die für die Prozesse der Aufbereitung von Uranhexafluorid und der Reingewinnung von Zirkonium, das als Hüllenmaterial für die Uran-Brennelemente benötigt wird, erforderlich sind.

2.2.3   Die Auswirkungen von im Rahmen der Kernenergieerzeugung freiwerdendem CO2 bleiben jedoch äußerst gering. Diese Tatsache muss gebührend berücksichtigt werden.

2.2.4   Die Nachfrage nach Elektrizität wird für den öffentlichen und privaten Verkehr zunehmen, wie auch für die Produktion von Wasserstoff, der gegenwärtig zu 95 % aus Kohlenwasserstoffen gewonnen wird. Wasserstoff wird dazu beitragen, das Problem der Elektrizitätsspeicherung zu lösen, wenn es mit äußerst emissionsarmen Brennstoffen erzeugt wird.

2.3   Schwierigkeiten für die Kernindustrie

2.3.1   Die größte Schwierigkeit besteht in einem unsicheren Verwaltungs- und Rechtsrahmen. Die Verfahren sind von Land zu Land verschieden und können in einigen Fällen zu einer Verlängerung der Bauzeiten um das Zwei- bzw. Dreifache führen. Im Falle Finnlands schätzt die Kommission die erforderliche Zeit auf mindestens 10 Jahre. Wegen beim Bau aufgetretener Probleme wurden die Arbeiten jedoch gestoppt, was zu einer Verzögerung von mindestens 18 Monaten führen dürfte. Das Verwaltungsverfahren wurde im Jahr 2000 begonnen, und das Kernkraftwerk wird voraussichtlich nicht vor 2011 ans Netz gehen.

2.3.2   Für Investitionen in die Kernkraft ist ein besonders hoher Anteil von Anfangskapital kennzeichnend (ca. 60 % der Gesamtinvestitionen). Der Stromverkauf beginnt erst nach etwa zehn Jahren, und es dauert rund 20 Jahre, bis sich das investierte Kapital und die damit verbundenen Finanzierungskosten amortisiert haben. Dies zeigt die Bedeutung ausreichend langer Laufzeiten für die Wirtschaftlichkeit dieser Technik.

2.3.3   Der Zeithorizont für diese Investitionen ist sehr weit. Zwischen Bau, Betriebsaufnahme, Dekontaminierung und Stilllegung können über 100 Jahre vergehen. Es ist unerlässlich, eine langfristige Finanzierungssicherheit für die Betreiber zu gewährleisten. Ebenso bedarf es einer langfristigen Verpflichtung der Staaten im Bereich der Kernkraft.

2.3.4   Die Finanzierung der Kernindustrie hängt in besonders hohem Maße von politischen Entscheidungen der nationalen Regierungen ab. Der erste Unsicherheitsfaktor besteht eben in der Notwendigkeit eines berechenbaren und stabilen Rechtsrahmens. Unabdingbar ist eine Politik der Beteiligung und Sensibilisierung der Bürger, die in der Lage sein sollten, dank vollständiger, transparenter, verständlicher und wahrheitsgemäßer Informationen ihren Beitrag zu diesen Entscheidungen zu leisten. Nur ein demokratischer Prozess ermöglicht bewusste Entscheidungen, die die Grundlage für die Zukunft der europäischen Kernindustrie bilden.

2.3.5   Aufgrund der hohen finanziellen Kosten ist es notwendig, die gesamte erzeugte Energie zu „verkaufen“, wobei die Kernkraftwerke auf Grundlast gefahren werden müssen und sich die erzeugte Energie auf eine große Zahl jährlicher Betriebsstunden verteilen muss. Es stellt sich ein Problem hinsichtlich der Rentabilitätsgewähr, das jedoch durch die Möglichkeit, langfristige Verträge abzuschließen — wie etwa in Finnland der Fall -, gelöst werden könnte.

2.3.6   Ein weiterer Unsicherheitsfaktor besteht im Ausgleichssystem und in der Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten bei Störfällen. Wünschenswert ist ein einheitliches europäisches Garantiesystem zur Verbesserung der derzeitigen Versicherungs- und Haftungsregelungen, die gegenwärtig bei schweren Zwischenfällen vollkommen unzureichend sind: Die Erzeuger müssen die alleinige Verantwortung tragen, die gesamten Lasten übernehmen und für sämtliche Folgemaßnahmen aufkommen. Angesichts der Art des Risikos (extrem hohe Kosten im Unglücksfall, extrem geringe Wahrscheinlichkeit eines solchen Unglückfalls) sollten Formen der Mitversicherung auf Gegenseitigkeitsbasis zwischen den verschiedenen Kernenergieproduzenten gefördert werden.

2.3.7   Öffentliche Meinung: Die aktuellste Volksbefragung (4) zeigt eine Trendwende in der Einstellung zur Kernkraft. In den Ländern, die diese Technologie verwenden, herrscht eine eindeutig positive Bewertung vor, wenngleich in der gesamten EU-27 eine negative Einschätzung leicht dominiert (45 % gegenüber 44 %). Auf die mangelnde Transparenz und die Notwendigkeit klarer und vollständiger Informationen hat auch das Europäische Forum hingewiesen.

2.4   Gemeinschaftsmittel

2.4.1   Der Euratom-Vertrag sieht unter dem Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft spezifische Finanzmittel für Forschung, Entwicklung und Demonstration vor.

Das erste spezifische Programm (indirekte Maßnahmen) umfasst folgende Bereiche:

Fusionsforschung (5);

Kernspaltung und Strahlenschutz.

Das zweite spezifische Programm sieht Investitionen vor für:

Fusionsforschung (1 947 Mio. EUR, davon mindestens 900 Mio. EUR für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem ITER-Projekt);

Kernspaltung und Strahlenschutz (287 Mio. EUR);

Maßnahmen der Gemeinsamen Forschungsstelle im Nuklearbereich (517 Mio. EUR).

2.4.2   Ein weiteres gemeinschaftliches Finanzierungsinstrument ist die EIB, die für diesen Sektor Finanzierungen in Höhe von weiteren 6 589 Mio. EUR garantiert hat; zusätzlich zu diesen Mitteln, die für den Bau von Kraftwerken und für die Abfallentsorgung bestimmt sind, werden von der Euratom weitere 2 773 Mio. EUR für die gleichen Zwecke bereitgestellt.

2.4.3   Die EIB befasst sich in ihrer Analyse im Anschluss an die positive Stellungnahme der Kommission nicht nur mit der Mobilisierung der erheblichen Finanzmittel, die für den Bau aufgebracht werden müssen, sondern auch mit den Kosten für Abfallentsorgung und Stilllegung. Bei der von der EIB angekündigten Internalisierung der Kosten bleiben jedoch andere indirekte Kosten unberücksichtigt, nämlich die Kosten für den externen Schutz der Kraftwerke durch Sicherheitskräfte, die mit der Stilllegung verbundenen Zusatzleistungen wie z.B. die Stauwehre für die Niedrigwasserregulierung, die in den Flüssen gebaut werden, um auch während Dürreperioden einen konstanten Wasserzufluss zu den Reaktoren zu gewährleisten.

2.4.4   Die verschiedenen Kostenberechnungsmethoden und die Notwendigkeit eines garantierten Systems von eigens bereitgestellten Mitteln sind in der Kommissionsmitteilung „Zweiter Bericht über die Verwendung der finanziellen Ressourcen für die Stilllegung kerntechnischer Einrichtungen und die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (6) klar beschrieben.

2.4.5   In diesem Bericht werden auch die „Verzerrungen“ aufgezeigt, die in einigen Mitgliedstaaten bei den für die Stilllegung und die Abfallsentsorgung vorgesehenen Fonds zu beobachten sind. In einigen Ländern werden diese aus öffentlichen Mitteln finanzierten Fonds häufig für andere Zwecke genutzt. Das führt zu einer erheblichen Verfälschung des Wettbewerbs, da diese Kosten gemäß dem Verursacherprinzip internalisiert werden müssten.

2.4.6   Der Vorschlag der Kommission von 2002, die Beschlüsse 270/1977 und 179/1994 zusammenzufügen und das Finanzierungsniveau anzuheben, fand keine einhellige Unterstützung im Rat; deshalb reichen die verfügbaren Euratom-Mittel von 600 Mio. EUR (die in einem Umfang von höchstens 20 % der Gesamtkosten beantragt werden können) nicht aus, um Forderungen zu erfüllen, die noch nicht formell vorgebracht wurden, sondern Gegenstand erster Treffen mit der Kommission sind.

2.4.7   Die Euratom-Mittel und die EIB-Anleihen hingegen sollten dazu genutzt werden, um Forschungen und Anwendungen zugunsten einer sicheren und nachhaltigen Entwicklung der Kernindustrie zu fördern. Die aktuellen Maßnahmen erscheinen nicht angemessen angesichts des wachsenden Finanzbedarfs für die Gewährleistung hoher Sicherheitsstandards und die Minimierung von Risiken. Diese Mittel sollten speziell für die Länder bereitgestellt werden, die nachweislich öffentliche Maßnahmen zur Abfallbehandlung ergriffen haben.

2.5   Finanzierung auf nationaler Ebene

2.5.1   Das System der staatlichen Beihilfen sieht nicht die Möglichkeit vor, den Bau von Kernkraftwerken zu finanzieren. Wohl aber sind öffentliche Finanzmittel möglich und wünschenswert, um Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, transparente und gemeinsame Methoden für die Lizenzvergabe und die Standortwahl zu entwickeln und einzuführen sowie Berufs- und Weiterbildungsprogramme zu fördern. Unabhängig davon, ob neue Kernkraftwerke gebaut werden oder nicht, werden Ingenieure und hochspezialisierte Techniker vonnöten sein, die das Sicherheitsmanagement der in Betrieb bzw. in der Auslaufphase befindlichen Anlagen gewährleisten können.

2.5.2   Die europäische Industrie ist gegenwärtig mit dem Bau von vier Reaktoren (zwei in Bulgarien, jeweils einer in Finnland und Frankreich) beschäftigt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es kaum möglich, einen erheblichen Ausbau dieser Produktionskapazitäten vorzusehen, insbesondere im Bereich der Kernspaltung. Die britische Kernindustrievereinigung NIA hat in einer Studie kürzlich festgestellt, dass sie 70 bis 80 % eines neuen Kernkraftprogramms unterstützen könnte, mit Ausnahme von wesentlichen Reaktorkomponenten wie Druckbehälter, Turbogeneratoren und andere wichtige Bauteile (7) In erster Linie verhindert der Mangel an Technikern und Ingenieuren einen wirklichen Boom des Sektors. Dieser Mangel ist insbesondere in den Mitgliedstaaten festzustellen, die die Kernkraft nicht oder nur wenig entwickelt haben. Er kann aber insofern behoben werden, als eine Ingenieursausbildung durchschnittlich fünf Jahre dauert, während der Zeitraum zwischen dem Beschluss zum Bau eines Kernkraftwerks und seiner Inbetriebnahme rund zehn Jahre beträgt.

2.5.3   Dafür sind umfangreiche Investitionen in die fachliche und wissenschaftliche Bildung erforderlich. Gegenwärtig sind junge Menschen an einem Studium im Bereich der Kernkrafttechnik nicht sonderlich interessiert — ausgenommen natürlich in den Mitgliedstaaten, die ein konsequentes Kernkraftprogramm entwickelt und damit reale Berufsmöglichkeiten geschaffen haben. Bereits in naher Zukunft werden aber Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure sowie Fachleute für Industriegebäude gebraucht. Die Mitgliedstaaten, die Nukleartechnologien einsetzen, und insbesondere jene, die sich für die Entwicklung dieser Technologien entscheiden, müssen unbedingt spezifische und schlüssige Projekte für Bildungsinvestitionen auf den Weg bringen.

2.5.4   Das Europäische Forum für Kernenergie hat die Bedeutung einer Harmonisierung der Sicherheitsanforderungen unterstrichen. Das Übereinkommen über nukleare Sicherheit und die IAEA-Sicherheitsstandards sind anerkannte grundlegende Bezugspunkte. Der Verband der westeuropäischen Aufsichtsbehörden (WENRA) beabsichtigt, bis 2010 ein zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz abgestimmtes Programm umzusetzen. Auf der Grundlage einer SWOT-Analyse wird vorgeschlagen, eine europäische Richtlinie über die Grundprinzipien der Sicherheit von Kernkraftwerken zu erarbeiten.

3.   Chancen

3.1   Das Problem der Nutzung der Kernkraft und seiner Finanzierung steht im Zusammenhang mit dem Problem des durch CO2-Emissionen bedingten Klimawandels. Derzeit werden ca. ein Drittel der Stromerzeugung und 15 % des Energieverbrauchs in der EU durch Kerntechnik gedeckt, die sich durch sehr geringe CO2-Emissionen auszeichnet. Auch unter Berücksichtigung einer möglichen Zunahme des Beitrags der erneuerbaren Energieträger — der anderen verfügbaren kohlendioxidfreien Energieträger, die neben dem Energiesparen mit Nachdruck gefördert werden müssen — erscheint es äußerst schwierig, eine Verringerung des CO2-Ausstoßes in den nächsten Jahrzehnten zu erreichen, ohne die Kernenergieerzeugung auf dem derzeitigen Niveau zu halten.

3.2   Da der Uranpreis geringe Auswirkungen auf die Gesamtkosten hat, ist die Kernenergie weniger anfällig für Preisschwankungen.

3.3   Die Diversifizierung des Energiemixes verbessert die Möglichkeiten insbesondere für jene Länder, die stark von Importen abhängig sind.

3.4   Die Kosten einer mit Kernkraft erzeugten kWh liegen nach den Angaben der Kommission und einiger Betreiber über denen einer von traditionellen Wärmekraftwerken und unter denen einer aus erneuerbaren Energieträgern erzeugten kWh; diese Zahlen tragen jedoch weder den voraussichtlichen Kosten für Emissionszertifikate noch der teilweisen Internalisierung der voraussichtlichen Ausgaben für die Dekontaminierung und Stilllegung am Ende des Lebenszyklus Rechnung. Für jede Energiequelle sollte die Methode der Internalisierung sämtlicher externer Kosten angewandt werden. Von einigen Betreibern sowie in älteren Studien (8) werden die Kosten einer mit Kernkraft erzeugten kWh niedriger angesetzt.

3.5   Verfügbarkeit der Brennstoffreserven: Wenn an der derzeitigen Zahl von Kernkraftwerken und der Reaktortechnik festgehalten wird, ermöglichen die bekannten Reserven einen wirtschaftlich sinnvollen, emissionsarmen Betrieb für einen Zeitraum, der Schätzungen zufolge zwischen wenigen Jahrzehnten oder mehreren Jahrhunderten variiert (9)  (10). Diese Unsicherheit liegt darin begründet, dass angesichts der allmählichen Erschöpfung der Vorräte an „reinstem“ Uran die Kosten für die Förderung und Aufbereitung zunehmen werden, was den Energieaufwand und den Einsatz von Treibhausgasen erzeugenden chemischen Substanzen betrifft. Der Verbrauch der nächsten Kraftwerksgeneration könnte entscheidend verringert werden durch die Entwicklung von Brutreaktoren. Interessant wäre die Nutzung von Thorium als Brennstoff, das sich im Vergleich zu Uran durch ein größeres Vorkommen sowie eine bessere Neutronenabgabe und -absorption (und damit eine geringere erforderliche Anreicherung des Brennstoffs pro erzeugte Energieeinheit) auszeichnet. Darüber hinaus könnten damit „langsame“ Brutreaktoren betrieben sowie die Produktion von radioaktiven Abfällen und für Kriegszwecke verwendbarem Plutonium erheblich reduziert werden

4.   Risiken

4.1   Möglichkeit von GAUs und Fallouts: Auch wenn im Rahmen der Entwicklung der Reaktortechnologie die Risiken durch zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen objektiv gesehen minimiert wurden, besteht theoretisch weiterhin die Möglichkeit einer Kernschmelze. Passive Sicherheitssysteme — wie der „Core Catcher“, der bereits in dem derzeit in Finnland gebauten EPR eingeführt wurde — garantieren die Eindämmung der radioaktiven Strahlung auch im höchst unwahrscheinlichen Fall einer Kernschmelze. Die Restrisiken könnten in künftigen Reaktoren durch die sog. Eigensicherheit ausgeschaltet werden. Beispielsweise würde das europäische Projekt VHTR Raphael auch im Falle einer Blockierung der Kühlanlage eine langsame Wärmeentwicklung hin zu einem Gleichgewichtszustand zwischen Wärmeableitung und Energieproduktion sicherstellen, während bei den derzeitigen Reaktoren schnell eingegriffen werden muss, um einen Temperaturanstieg im Reaktorkern zu verhindern.

4.2   Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit dem Normalbetrieb der Anlagen: Im Rahmen einer Studie über das Auftreten von Leukämie bei Kindern im Zeitraum von 1990-1998, die in der Nähe von Kernkraftwerken wohnen, wurden 670 Leukämiefälle beobachtet, ohne jedoch eine übermäßige Auswirkung auf Kinder, die im Umkreis von 20 km um Atomanlagen wohnen, festzustellen. Eine aktuellere epidemiologische Untersuchung (KIKK-Studie), die in Deutschland auf Initiative des Bundesamts für Strahlungsschutz (BfS) durchgeführt wurde und sich auf eine sehr breite Stichprobe (1 592 Fälle und 4 735 Kontrollen) stützt, hat jedoch einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Krebs- und Leukämiefälle bei Kindern unter fünf Jahren und der Nähe des Wohnorts zu einem Kernkraftwerk aufgezeigt. Die Verfasser gelangen zu dem Schluss, dass das gemessene Strahlungsniveau so gering ist, dass nach radiobiologischem Wissensstand die Exposition durch ionisierende Strahlung nicht als Grund für die Krebserkrankungen angenommen werden kann. Eine externe Expertengruppe (11) hat die Ergebnisse der KIKK-Studie verifiziert. Die Ergebnisse sind stichhaltig, und es erscheint angesichts des niedrigen gemessenen Strahlungsniveaus angezeigt, die Untersuchung möglicher hypersensibler Reaktionen von Kindern auf Strahlung zu vertiefen und die in der Nähe der Kernkraftwerke lebende Bevölkerung regelmäßig zu kontrollieren (12). Im September 2008 hat das Bundesamt für Gesundheit der Regierung der Schweiz angesichts der Ergebnisse der deutschen Studie und der Auswertung der Fachliteratur im Auftrag der der französischen Atomsicherheitsbehörde (ASN) und im Anschluss an die Empfehlungen im Vroussos-Bericht das Programm CANUPIS (Krebs bei Kindern und Kernkraftwerke in der Schweiz) auf den Weg gebracht.

4.3   Abfälle: Nur sehr wenige Staaten haben dieses Problem gelöst und Endlager geschaffen. In den Vereinigten Staaten musste das seit 1999 geöffnete Lager in New Mexico (Waste Isolation Pilot Plant) heruntergestuft werden, da eindringendes Wasser in Verbindung mit dem Steinsalz des Bergwerks zu sehr starker Korrosion an den Lagerbehältern führte; Lagerstätten in Salzformationen werden infolge dessen als geologisch instabil betrachtet. In Europa haben nur Finnland und Schweden die Ausweisung von Endlagerstätten angekündigt. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Wiederaufbereitung von Abfällen gewidmet werden. Die Untersuchungen über die Endlagerung von Abfällen nach der Aufbereitung der bestrahlten Brennelemente müssen fortgesetzt werden. Die Qualität dieser Lagerung und die Konditionierung von Abfällen sind wesentliche Faktoren der Zuverlässigkeit und Sicherheit des Brennstoffkreislaufs.

4.4   Wiederaufbereitung und Transport: Weitere Probleme haben sich aus dem Betrieb der Anlagen zur Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente und aus deren Transport ergeben, deren Verantwortliche sich in der Vergangenheit nicht immer so korrekt verhalten haben wie die Techniker der Kernkraftwerke: Beispielsweise haben sie für den Transport ungeeignete Schiffe eingesetzt (von denen eines gesunken ist — glücklicherweise ohne radioaktives Material an Bord) oder große Mengen gefährlicher Stoffe ins Meer verklappt.

4.5   Geologische und hydrogeologische Risiken: Ein Kritikpunkt ist die Tatsache, dass sich viele Anlagen in Erdbebengebieten befinden. Japan hat sich dafür entschieden, das größte Kernkraftwerk der Welt, Kashiwazaki-Kariwa in der Präfektur Niigata, abzuschalten, und dadurch eine Gesamtleistung von 8 000 MWe eingebüßt. Durch die Abschaltung nach dem Erdbeben am 16. Juli 2007 wurde die Atomstromerzeugung um 25 TWh verringert. Gegenwärtig sind Arbeiten im Gange, um zwei Reaktoren wieder in Betrieb nehmen zu können.

4.6   Verbreitung von Kernmaterial und Terrorismus: Infolge der von Terrorgruppen ausgehenden neuen Bedrohung haben die Befürchtungen in den letzten Jahren zugenommen. Wirklich sichere Kraftwerke sollten den Aufprall eines Flugzeugs aushalten können, ohne dass dabei radioaktives Material austritt.

4.7   Wasser: Ein weiterer äußerst wichtiger Aspekt betrifft den Klimawandel und die zunehmende Wasserknappheit. Wie bei allen Wärmekraftwerken (einschließlich Kohle-, Öl- und Solarkraftwerken) werden auch im Falle der Kernkraftwerke sehr große Mengen Wasser für die Kühlungsprozesse benötigt, soweit nicht die weniger effiziente Technik der Luftkühlung zum Einsatz kommt. (In Frankreich werden 57 % des jährlichen Wasserverbrauchs für die Stromproduktion — auch aus Wasserkraft — benötigt, d.h. 19,3 Milliarden Kubikmeter von insgesamt 33,7 Milliarden Kubikmeter. Nach der Abkühlung des Spaltungsprozesses und der Elektrizitätserzeugung wird ein Großteil dieses Wassers (93 %) wieder ausgeleitet (13)). Die Erwärmung großer Mengen Wasser durch Kernkraftwerke sowie die besorgniserregende Verringerung des Oberflächenwassers und die Absenkung des Grundwasserspiegels führen zu Problemen bei der Bestimmung der Lager und zu Fragen seitens der Bevölkerung, für die die Behörden klare Antworten finden müssen. In einigen Fällen musste wegen einer Dürre die Stromerzeugung heruntergefahren oder ganz ausgesetzt werden.

4.8   Fehlender Rohstoff in der EU: Im Jahr 2007 konnten nur 3 % des Bedarfs der EU innerhalb der Grenzen ihres Hoheitsgebiets gedeckt werden — Russland ist der wichtigste Lieferant mit ca. 25 % (5 144 tU), gefolgt von Kanada mit 18 %, Niger mit 17 % und Australien mit 15 %. Die Atomkraft verringert folglich nicht die Abhängigkeit von Drittländern, auch wenn die meisten anderen Lieferländer politisch stabil sind.

4.9   Zugang zu Finanzierung und langfristigem Kapital: Es sind sicherlich beträchtliche Finanzmittel erforderlich. Allerdings sind Investitionen angesichts der Planungs- und Bauzeiten (es kann bisweilen mehr als 10 Jahre dauern, bis die Anlage ihre Produktion aufnehmen kann) sehr riskant. Die ursprünglich vorgesehenen Bauzeiten wurden bisher nie eingehalten, und der tatsächliche durchschnittliche Zeitbedarf bis zur Vermarktung des erzeugten Stroms lag immer über den Vorausschätzungen, was natürlich Mehrkosten verursachte.

4.10   Störfälle in jüngster Zeit: Im Zeitraum der Erarbeitung dieser Stellungnahme haben sich zahlreiche Störfälle ereignet: einer in Slowenien und vier in Frankreich. Das Verbot der Nutzung von Wasser und des Verzehrs von Fischen aus den Flüssen, die vom Austritt des radioaktiven Wassers in Frankreich betroffen sind, hat sich negativ auf die öffentliche Meinung ausgewirkt. Angesichts solcher Vorkommnisse und ihrer äußerst negativen Medienwirkung empfiehlt es sich, insbesondere die Instandhaltungsmethoden und die Auswahl der in Kernkraftwerken tätigen Unternehmen zu verbessern.

5.   Bemerkungen des EWSA

5.1   Der Atomstrom ist gegenwärtig von so großer Bedeutung, dass für den unverzichtbaren Beitrag, den er für die Energiebilanz der EU leistet, kurzfristig kein Ersatz zu finden sein dürfte.

5.2   Die Finanzierung der Kernindustrie hängt in besonders hohem Maße von politischen Entscheidungen der nationalen Regierungen ab. Der erste Unsicherheitsfaktor besteht eben in der Notwendigkeit eines berechenbaren und stabilen rechtlichen Rahmens. Unabdingbar ist eine Politik der Beteiligung und Sensibilisierung der Bürger, die in der Lage sein sollten, dank vollständiger, transparenter, verständlicher und wahrheitsgemäßer Informationen ihren Beitrag zu diesen Entscheidungen zu leisten. Nur ein demokratischer Prozess ermöglicht bewusste Entscheidungen, die die Grundlage für die Zukunft der europäischen Kernindustrie bilden.

5.3   Die fehlende Transparenz sowie die spärlichen und widersprüchlichen Informationen über Fragen wie die Zuteilung der für die Abfallentsorgung und den Abbruch stillgelegter Kraftwerke vorgesehen Fonds verstärken, wie auch die Kommission einräumt, die Unsicherheit der Bürger. Der EWSA fordert die Kommission auf, die Mitgliedstaaten dahingehend zu sensibilisieren, dass sie durch eine entsprechende Kampagne für Transparenz und Gewissheit bezüglich des Energiebedarfs in Europa, die Energieeffizienz und die verschiedenen Optionen (einschließlich der Kernenergie) sorgen.

5.4   Der Ausschuss stellt fest, dass viele der (mit fossilen oder nuklearen Brennstoffen betriebenen) Kraftwerke in den nächsten 20 Jahren das Ende ihrer Laufzeit erreichen und dass dies zu Engpässen in der Stromversorgung führen könnte, wenn nicht in großem Umfang neue Investitionen erfolgen.

5.5   Der Ausschuss hat bereits in verschiedenen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht, dass die entschlossenere Förderung von Energieeffizienz und die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energieträger an der Stromerzeugung im Energiesektor oberste Priorität haben.

5.6   Der Ausschuss ist sich gleichwohl bewusst, dass die potenzielle Stromversorgungslücke selbst bei größtem Einsatz wahrscheinlich nicht mittels Steigerung des Anteils erneuerbarer Energieträger oder durch erhöhte Energieeffizienz geschlossen werden kann. Insgesamt werden in Europa in gewissem Umfang neue Investitionen erforderlich sein, sowohl im Bereich von Kohle- als auch von Kernkraftwerken.

5.7   In beiden Fällen ist es nach Auffassung des Ausschusses von grundlegender Bedeutung, alle externen Effekte in Bezug auf Umwelt und Sicherheit bei der Bewertung von Investitionsvorhaben sowie bei den Betriebskosten zu berücksichtigen.

5.8   Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch den Klimawandel ist es erforderlich, dass alle Vorhaben neuer fossil betriebener Kraftwerke mit der Einführung von Systemen für die CO2-Abscheidung und -Speicherung in Einklang stehen und die entsprechenden Kosten in die Investitionsbewertung und Wirtschaftspläne eingehen. Ebenso sollten die späteren Stilllegungs- und Abfallentsorgungskosten bei den Bewertungen und den Wirtschaftsplänen aller neu zu genehmigenden Kernkraftwerke berücksichtigt werden. Es sollten keine versteckten Subventionen gewährt werden.

5.9   Derzeit zögern Investoren und andere Geldgeber wegen zahlreicher Unsicherheiten in puncto wirtschaftlicher, politischer und aufsichtsrechtlicher Rahmenbedingungen und der langen zeitlichen Verzögerung zwischen der Bereitstellung erheblicher Investitionsmittel und der Amortisierung, für den Bau einer neuen Generation von Kernkraftwerken in Europa erhebliche Mittel bereitzustellen.

5.10   Der in Finnland verfolgte Ansatz, wo ein Konsortium von Großverbrauchern den Großteil der erzeugten Energie zu festen Preisen abnimmt, sollte gefördert und erleichtert werden.

5.11   Die Kommission wird aufgefordert, die Forschungs- und Entwicklungsprogramme insbesondere für die kerntechnischen Anlagen der vierten Generation zu unterstützen, wohlwissend, dass diese nicht vor 2030 kommerziell genutzt werden können (14). Ziel der vierten Generation ist eine „sauberere“ Kernkraft, bei der die Probleme im Zusammenhang mit der Abfallentsorgung und der Kernwaffenverbreitung gelöst sind und durch einen minimalen Verbrauch von spaltbarem Material auch die Gefahr eines Fallouts verringert ist. Die Kraftwerke der vierten Generation können einen effizienten Beitrag zur Wasserstoffproduktion leisten. Ebenso ist die Entwicklung der Fusionsenergie mit Nachdruck voranzutreiben, um deren besondere Vorteile bezüglich Sicherheit und Ressourcen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts nutzen zu können.

5.12   Die Euratom-Mittel, die für die Unterstützung der Investitionen durch Garantien und infolge dessen für die Verringerung der finanziellen Belastungen der Unternehmen, die von dem erstklassigen Rating der europäischen Institutionen profitieren können, zur Verfügung stehen, sind festgeschrieben und könnten an die gestiegenen Kosten und die in diesem Zeitraum verzeichnete Inflation angepasst werden — womöglich mit eigens dafür vorgesehenen Mitteln, ohne aber dafür andere Programme (z.B. zur Förderung der Energieeffizienz oder der erneuerbaren Energieträger) zu beschneiden.

5.13   Auch im Bereich der Abfallbehandlung und des Schutzes vor ionisierender Strahlung erscheinen die verfügbaren Mittel und die entsprechenden Forschungsprogramme unzureichend. Der EWSA fordert die Kommission, den Rat und das Parlament auf, für das siebte Euratom-Rahmenprogramm weitere Mittel zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen, u.a. über spezielle gemeinsame Technologieinitiativen, wie dies z.B. bei Brennstoffzellen und Arzneimitteln geschieht. Der EWSA appelliert zudem an die Mitgliedstaaten, auch ihrerseits mit verstärkten nationalen Forschungsprogrammen im Bereich Strahlenbiologie und Strahlenschutz, Epidemiologie und Endlagerung dazu beizutragen.

5.14   Das auf die Kernenergie angewandte, von anderen Rahmenprogrammen unabhängige Finanzierungsmodell sollte auf die Programme für Energieeffizienz und die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger ausgeweitet werden.

5.15   In Anlehnung an das von der Kommission eingerichtete Forum sollten die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene Foren für Kernenergie vorsehen, und zwar mit den drei folgenden, in Prag/Bratislava erörterten Themenschwerpunkten: Chancen, Risiken sowie Transparenz und Information.

5.16   Die Rationalisierung der Lizenzvergabe und der Standortbestimmung durch ein einheitliches europäisches Verfahren wäre zweifellos positiv, da dadurch Investitionen sicherer und die Umsetzungszeiträume berechenbarer würden. Allerdings würden die Bürger europäische Rechtsvorschriften, die weniger rigide sind als die einzelstaatlichen Bestimmungen, auf keinen Fall akzeptieren. Im Bereich Sicherheit gilt es zu berücksichtigen, dass Europa angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der einschlägigen Risiken (z.B. im Falle von Anlagen in der Nähe von Staatsgrenzen) ein Interesse an der Festlegung strenger und harmonisierter Standards hat. Die Harmonisierung der Bauweise und der Rechtsvorschriften könnte bei der nächsten Generation der Kernkraftwerke zum Tragen kommen.

5.17   Auch den Verbrauchern sollte eine kostengünstigere Stromerzeugung zugute kommen. Heute orientieren sich die Preise an der Strombörse an den Kosten für die teuerste Elektrizität (kombinierte Gas- und Kohlekraftwerke). Es sollten verschiedene Quellen mit den unterschiedlichen Preisen aufgeführt werden.

Brüssel, den 4. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  House of Commons Committee of Public Accounts Nuclear Decomissioning Authority, 38. Sitzungsbericht 2007/2008, Vereinigtes Königreich.

(2)  Österreichisches Ökologie-Institut, 2007, Wien.

(3)  Bericht DOE/EIA-0484 (2008), Juni 2008.

(4)  Spezial Eurobarometer 297 „Einstellung zu radioaktiven Abfällen“ (Juni 2008).

(5)  P. Vandenplas/G. H. Wolf: „50 years of controlled nuclear fusion in the European Union“, Europhysics News, 39, 21 (2008).

(6)  KOM(2007) 794 endg. vom 12. Dezember 2007.

(7)  NIA (Nuclear Industry Association): „The UK capability to deliver a new nuclear build programme“, 2008 (aktualisierte Fassung).

(8)  „Referenzkosten der Stromerzeugung“, DGEMP (Generaldirektion für Energie und Rohstoffe des französischen Ministeriums für Wirtschaft, Finanzen und Industrie), Dezember 2003.

(9)  Storm van Leeuwen, „Nuclear power — the energy balance“ (2008), www.stormsmith.nl.

(10)  World Nuclear Association, www.world-nuclear.org/info/info.html.

(11)  Dr. Brüske-Hohlfeld, GSF, Neuherberg; Prof. Greiser BIPS, Bremen; Prof. Hoffmann, Universität Greifswald; Dr. Körblein, Umweltinstitut, München; Prof. Jöckel, Universität Duisburg-Essen; PD Dr. Küchenhoff, LMU München; Dr. Pflugbeil, Berlin; Dr. Scherb GSF, Neuherberg; Dr. Straif, IAR, Lyon; Prof. Walther, Universität München; Prof. Wirth, Wuppertal; Dr. Wurzbacher, Umweltinstitut, München.

(12)  Mélanie White-Koning, Denis Hémon, Dominique Laurier, Margot Tirmarche, Eric Jougla, Aurélie Goubin, Jacqueline Clave.

(13)  Eau France und Institut Français de l'Environnement (Daten bezüglich des Verbrauchs 2004).

(14)  GIF Generation IV International Forum 2008.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Zugang zu Breitbandverbindungen für alle: Überlegungen zum Umfang des Universaldienstes im Bereich der elektronischen Kommunikation“

(2009/C 175/02)

Mit Schreiben vom 3. Juli 2008 ersuchte der französische Ratsvorsitz der Europäischen Union den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema:

„Zugang zu Breitbandverbindungen für alle: Überlegungen zum Umfang des Universaldienstes im Bereich der elektronischen Kommunikation“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. November 2008 an. Berichterstatter war Herr HENCKS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 4. Dezember) mit 125 gegen 3 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1   Die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), die den Grundstein einer für alle offenen Informationsgesellschaft bilden, müssen den Bedürfnissen aller Mitglieder dieser Gesellschaft gerecht werden.

1.2   Allerdings bleibt vielen Bürgern der Zugang zu den elektronischen Kommunikationsmitteln verwehrt, weil sie keinen Zugang zu den Netzen und Diensten haben bzw. nicht über das erforderliche Wissen verfügen. Der Universaldienst im Bereich der elektronischen Kommunikation, mit dem festgelegte Mindestdienste mit bestimmter Qualität zu einem erschwinglichen Preis für alle Nutzer bereitgestellt werden sollen, konnte die digitale Kluft bislang nicht schließen.

1.3   Seit Inkrafttreten der Universaldienstrichtlinie ist der Umfang des Universaldienstes mehr oder weniger unverändert geblieben und beschränkt sich nach wie vor auf eine Schmalbandverbindung zum öffentlichen Telefonnetz.

1.4   Der Zugang aller Bürger zu Breitbandverbindungen ist jedoch nicht nur ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung der modernen Volkswirtschaften und ein wichtiger Aspekt der Lissabon-Strategie, sondern mittlerweile auch eine Voraussetzung für Lebensqualität und eInclusion.

1.5   Nach Meinung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ist daher eine Anpassung des Universaldienstes an den technologischen Fortschritt und die Bedürfnisse der Nutzer unerlässlich. Er schlägt daher vor,

den Umfang des Universaldienstes auszuweiten und die universelle Bereitstellung von DSL-Verbindungen mit einer Mindestübertragungsgeschwindigkeit von 2 bis 10 Mbit/s oder einen mobilen bzw. drahtlosen Zugang (Wimax, Satellit usw.) mit ähnlichen Übertragungsraten innerhalb zumutbarer, in einem Mehrjahresprogramm festzulegender Fristen verbindlich festzulegen;

nicht nur die geografische, sondern die soziale Ausgrenzung zu berücksichtigen, die eng mit den beschränkten finanziellen Möglichkeiten und begrenzten Kompetenzen bestimmter Nutzergruppen zusammenhängt, und den Umfang des Universaldienstes dahingehend auszuweiten, dass der Zugang aller Nutzer ungeachtet ihrer geografischen, finanziellen oder sozialen Lage gewährleistet ist;

nationale und lokale eInclusion-Initiativen zu fördern und Mikroprojekte der gemeinnützigen Einrichtungen und Organisationen zu unterstützen, die benachteiligten Personenkreisen dabei behilflich sind, Schwierigkeiten beim Zugang zur Technik zu überwinden, und dazu insbesondere Mikrokredite für lokale Schulungsprojekte, öffentliche Internetplätze sowie interaktive Säulen mit kostenlosem Internetzugang in öffentlichen Räumen bereitzustellen;

die Mitgliedstaaten aufzufordern, Finanzhilfen für Familien oder Einzelpersonen bereitzustellen, die sich die Grundausstattung (PC, Software, Modem), den Zugang und die Dienste nicht leisten können;

die Finanzierung des Universaldienstes durch öffentliche Beihilfen der Mitgliedstaaten und Mittel aus den Gemeinschaftsfonds zu begünstigen, da dies der einzig gangbare Weg in den Mitgliedstaaten ist, in denen die Finanzierung der Universaldienstverpflichtung einen Betreiber unverhältnismäßig belastet;

die Europäische Kommission aufzufordern, regelmäßig Beispiele für bewährte Verfahren in diesem Bereich zu veröffentlichen.

2.   Einleitung

2.1   Die Europäische Kommission befasste sich 1993 (1) zum ersten Mal eingehend mit dem Begriff des Universaldienstes im Telekommunikationswesen, der zum damaligen Zeitpunkt als Sicherheitsnetz angelegt wurde, „[…], um den Zugang zu einem festgelegten Mindestdienst mit bestimmter Qualität und die Bereitstellung dieses Dienstes für alle Benutzer, unabhängig von ihrer geographischen Lage, und — im Lichte spezifischer nationaler Gegebenheiten — zu einem erschwinglichen Preis zu ermöglichen.“

2.2   In der Folge wurde der Universaldienst in mehreren Richtlinien (2) konsolidiert und angesichts des immer engeren Ineinandergreifens von Telekommunikation, Medien und Diensten der Informationstechnologie auf die elektronischen Kommunikationsdienste ausgeweitet.

2.3   Im Zuge des Entstehens der Informationsgesellschaft wurde die Kluft zwischen den Bürgern, die die Möglichkeiten der elektronischen Kommunikationsnetze für private und berufliche Zwecke nutzen, und denjenigen, die diese aufgrund fehlenden IKT-Zugangs oder mangelnden Wissens bzw. Interesses nicht nutzen können, immer größer (die so genannte „digitale Kluft“).

2.4   Laut einer Eurobarometer-Umfrage (3) (vom Winter 2007) hatten 49 % der Haushalte der EU-27 einen Internetzugang (52 % in der EU-15 und 33 % in den 12 neuen Mitgliedstaaten), obwohl mehr als die Hälfte der Unionsbürger (57 %) über einen PC in ihrem Haushalt verfügen.

2.5   Auch wenn die Internet-Durchsatzrate in der gesamten EU stetig steigt, so verfügen letztlich nur durchschnittlich 50 % der EU-Haushalte (weniger als 25 % in Bulgarien, Griechenland und Rumänien) über einen Internetanschluss.

2.6   Zahlreichen Bürgern ist daher der Zugang zu den für die Entwicklung der Informationsgesellschaft unerlässlichen elektronischen Kommunikationsmitteln verwehrt, obwohl viele Informationen nur mehr über IKT vermittelt werden.

2.7   Seit Jahren schon beobachtet die EU die Gefahr einer digitalen Kluft mit Sorge; sie nimmt regelmäßig Anpassungen und Ergänzungen ihres Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation im Wege spezifischer Rechtsvorschriften vor, mit denen ein Universaldienst, die Rechte der Nutzer sowie der Schutz personenbezogener Daten sichergestellt werden sollen — Initiativen, zu denen sich der Ausschuss in zahlreichen Stellungnahmen geäußert hat (4).

2.8   In der in Riga zum Thema „IKT für eine integrative Gesellschaft“ am 11. Juni 2006 verabschiedeten Erklärung (5) haben sich die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die regionalen Unterschiede in Bezug auf den Internetzugang erheblich zu verringern, indem die Breitbandabdeckung unterversorgter Gebiete verbessert und die Zahl der von eExclusion bedrohten Bürger, die das Internet nicht nutzen, bis 2010 halbiert wird.

2.9   Trotz dieser Erklärung ist der Anwendungsbereich der Universaldienstrichtlinie unverändert geblieben.

2.10   Im Jahr 2007 hat die Europäische Kommission einen umfangreichen Vorschlag für eine Überarbeitung des geltenden Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation vorgelegt, in dem u.a. eine Änderung der Universaldienstrichtlinie vorgesehen ist (6).

2.11   Die wichtigsten vorgeschlagenen Änderungen der Universaldienstrichtlinie betreffen die Verbesserung der Information der Endnutzer, die Erleichterung des Zugangs zur elektronischen Kommunikation und deren Nutzung für Menschen mit Behinderungen, die Notrufdienste sowie die Einhaltung von Mindestvorgaben für Anbindung und Dienstequalität (7).

2.12   Menschen mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen haben nach wie vor mit zahlreichen Problemen beim Zugang zu Diensten, die für das soziale und wirtschaftliche Leben unverzichtbar sind, zu kämpfen (8). Der Ausschuss begrüßt daher den 2007 vorgelegten Vorschlag für eine Änderung der Universaldienstrichtlinie (9), in dem die bloße Möglichkeit der Mitgliedstaaten, besondere Maßnahmen für behinderte Nutzer zu ergreifen, durch eine ausdrückliche Verpflichtung dazu ersetzt wird (10).

2.13   Allerdings wird durch diesen Vorschlag zur Änderung der Universaldienstrichtlinie weder der Umfang des Universaldienstes noch seine Erbringung gegenüber den Verbrauchern und Endnutzern berührt.

3.   Der derzeitige Umfang des Universaldienstes

3.1   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass allen zumutbaren Anträgen auf Anschluss an das öffentliche Telefonnetz an einem festen Standort und auf Zugang zu öffentlichen Telefondiensten (Telefonauskunft, Teilnehmerverzeichnis, öffentliche Münz- und Kartentelefone bzw. besondere Maßnahmen für Nutzer mit Behinderungen) von mindestens einem Unternehmen entsprochen wird.

3.2   Da in den nationalen Lizenzen für Mobiltelefonieanbieter eine flächendeckende Versorgung und/oder eine Versorgung der gesamten Bevölkerung vorgeschrieben ist, ist die Sprach-Telefonie mittlerweile zu einem universell angebotenen Dienst geworden, auch wenn es in Bezug auf die Tarifgestaltung oftmals an Transparenz mangelt.

3.3   Der Anschluss ist allerdings auf eine Schmalbandverbindung beschränkt. Eine bestimmte Datenübertragungsgeschwindigkeit oder Bitrate ist zwar nicht vorgeschrieben, diese muss aber „für einen funktionalen Internetzugang ausreichen“, wobei „die von der Mehrzahl der Teilnehmer vorherrschend verwendeten Technologien und die technische Durchführbarkeit zu berücksichtigen sind (11).

4.   Ausweitung des Umfangs des Universaldienstes

4.1   Allgemeine Bemerkungen

4.1.1   Das Konzept des Universaldienstes und sein Umfang müssen dem technischen Fortschritt, den Marktentwicklungen und den Änderungen der Verbraucherbedürfnisse Rechnung tragen.

4.1.2   Bei der vor Kurzem erfolgten zweiten Überprüfung des Umfangs des Universaldienstes in elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (12) kam die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass die Bedingungen zur Ausweitung des Umfangs, wie sie in Anhang V der Universaldienstrichtlinie festgelegt sind, derzeit nicht gegeben sind. Sie hielt hingegen fest, dass „[…] davon auszugehen (ist), dass die Schmalbandtechnik schon relativ bald nicht mehr ‚für einen funktionalen Internetzugang ausreichen‘ wird […].“

4.1.3   Nach Ansicht des Ausschusses ist bereits jetzt eine Überarbeitung erforderlich, die sich auf folgende Aspekte erstrecken muss:

4.2   Zugang zu Grunddiensten

4.2.1   Manchmal ist eExclusion durch das Verhalten der Bürger selbst oder durch kulturelle Gründe bedingt und kann sich mit der Zeit geben. eExclusion kann aber auch durch strukturelle Ungleichheiten in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation verursacht werden.

4.2.2   Diese ziehen wiederum wie in einem Schneeballeffekt weitere Benachteiligungen aufgrund eines ungleichen Zugangs zu Beschäftigung, Aus- und Weiterbildung, Konsumgütern und Dienstleistungen, öffentlichen Dienstleistungen, sozialer Integration, zur Wahrnehmung der Bürgerrechte und zur demokratischen Teilhabe nach sich.

4.2.3   eExclusion umfasst unterschiedliche Aspekte im Zusammenhang mit der eigentlichen Ausstattung, dem Zugang, der erforderlichen praktischen Einweisung und der Betreuung der Nutzer. Es gilt, in folgenden Bereichen gleichzeitig und ergänzend tätig zu werden:

Zugang zur praktischen Einweisung in die Nutzung der neuen Technologien;

materieller Zugang;

Verbindung.

4.3   Praktische Einweisung der Nutzer

4.3.1   Die aufgrund der zunehmenden Angebotspalette in der Digitaltechnologie immer höheren Kompetenzanforderungen würden auch dann noch die Ungleichheiten beim Zugang zu dieser neuen Technologie und ihrer Nutzung verschärfen, wenn alle Bürger über die materiellen Zugangsvoraussetzungen verfügten.

4.3.2   Menschen, die nicht wissen, wie man einen PC bedient oder Internet nutzt (dies äußert sich oftmals in absolutem Desinteresse), werden immer stärker benachteiligt, wodurch die soziale Kluft nicht mehr nur so genannte gesellschaftliche Randgruppen, sondern auch die Bürger betrifft, denen die Anpassung an die neuen Technologien schwerfällt.

4.3.3   Diesbezüglich muss insbesondere älteren Menschen Aufmerksamkeit gewidmet werden, die der digitalen Technik eher ablehnend gegenüberstehen („Generationskluft“), und es müssen an ihre besonderen Bedürfnisse angepasste Schulungsprogramme zur Förderung ihrer digitalen Kompetenz konzipiert werden (13).

4.3.4   Es müssten daher lokale und nationale eInclusion-Initiativen gefördert und Mikroprojekte der gemeinnützigen Einrichtungen und Organisationen unterstützt werden, die benachteiligten Personenkreisen dabei behilflich sind, Schwierigkeiten beim Zugang zur Technik zu überwinden, und dazu insbesondere Mikrokredite für lokale Schulungsprojekte, öffentliche Internetzugangsplätze und interaktive Säulen mit kostenlosem Internetzugang in öffentlichen Räumen bereitgestellt werden. Nach Meinung des Ausschusses sollte die Europäische Kommission regelmäßig Beispiele für bewährte Verfahren in diesem Bereich veröffentlichen.

4.4   Zugang zur Ausstattung

4.4.1   Zahlreiche Familien oder Einzelpersonen haben keinen Zugang zu Internet oder elektronischen Kommunikationsdiensten, da sie sich die Grundausstattung (PC, Software, Modem) womöglich nicht leisten können.

4.4.2   Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, im Rahmen des Universaldienstes Finanzhilfen für die Erleichterung des Internetzugangs bereitzustellen.

4.5   Verbindung

4.5.1   Es liegt auf der Hand, dass die IKT, die den Grundstein einer für alle offenen Informationsgesellschaft bilden, den Bedürfnissen aller Mitglieder dieser Gesellschaft, insbesondere derjenigen, die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind, Rechnung tragen müssen, um das Problem der digitalen Kluft und die Gefahr einer nicht wieder rückgängig zu machenden Gesellschaft der zwei Geschwindigkeiten abzuwenden.

4.5.2   Das Zusammenspiel von Konvergenz, Vernetzung und Digitalisierung führt zu einer steigenden Nachfrage nach schnellen Netzverbindungen für den Einsatz neuer Datenanwendungen.

4.5.3   In der Mitteilung vom 20. März 2006„Überwindung der Breitbandkluft (14) ist festgehalten, dass „die umfassende Verbreitung von Breitbandzugängen eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung einer modernen Wirtschaft und einer der wesentlichen Aspekte der Lissabonner Agenda [ist]“. In ihrer Mitteilung vom 25. September 2008 räumt die Europäische Kommission ein, „dass es geografische Gebiete geben wird, in denen der Markt von sich aus in einem zumutbaren Zeitrahmen wahrscheinlich keine Dienste bereitstellen wird […] (und) der ‚Informationsausschluss‘ ein erhebliches Problem darstellen wird.“

4.5.4   Der Ausschuss fordert seit Jahren, dass der Breitbandzugang integraler Bestandteil des Universaldienstes sein muss.

4.5.5   Die Universaldienstrichtlinie wurde 2002 um den funktionalen Internetzugang im Rahmen des Universaldienstes ergänzt. Dieser funktionale Internetzugang wird als die Durchführung von Datenkommunikation mit Übertragungsraten, die für den Internetzugang ausreichen, definiert.

4.5.6   Diese Ergänzung konnte zum damaligen Zeitpunkt durchaus als Bereicherung angesehen werden, da die Datenkommunikation per Internet über Einwahl in das Telefonnetz erfolgte; heute ist für Anwendungen wie eHealth, eBusiness, eGovernment und eLearning, die in den kommenden Jahren von grundlegender Bedeutung für das Wachstum und die Lebensqualität in Europa sein werden, jedoch ein Breitbandzugang unerlässlich.

4.5.7   Daher muss unbedingt genau festgelegt werden, was unter dem Begriff „funktionaler Internetzugang“ zu verstehen ist. Der Ausschuss schlägt vor, die Universaldienstanbieter dazu zu verpflichten, innerhalb zumutbarer, in einem Mehrjahresprogramm festzulegender Fristen DSL-Verbindungen mit einer Mindestübertragungsgeschwindigkeit von 2 bis 10 Mbit/s oder einen mobilen bzw. drahtlosen Zugang (Wimax, Satellit usw.) mit ähnlichen Übertragungsraten anzubieten. Diese Vorgaben sind selbstverständlich den technologischen Entwicklungen und den Verbraucheranforderungen anzupassen.

4.6   Verfügbarkeit für alle Nutzer unabhängig von ihrem geografischen Standort

4.6.1   In Regionen in Randlage oder in ländlichen Gebieten, insbesondere in einigen neuen Mitgliedstaaten, ist der Markt oft nicht in der Lage, den Zugang zur elektronischen Kommunikationsinfrastruktur zu erschwinglichen Preisen zu ermöglichen, um ein angemessenes Dienstangebot bereitstellen zu können.

4.6.2   Zwischen der Breitbandversorgung städtischer und ländlicher Gebiete bestehen beträchtliche Unterschiede. So liegt beispielsweise die DSL-Verfügbarkeit in ländlichen Gebieten bei 71,3 % im Vergleich zu 94 % in den Städten (8). Außerdem bremsen zu geringe Übertragungsraten die Breitbandnutzung der in ländlichen Gebieten angesiedelten Unternehmen sowie seitens der Privathaushalte, die somit kein echtes Multimedia-Umfeld nutzen können.

4.6.3   Das Phänomen der eExclusion trifft verschiedene Bevölkerungsgruppen, wobei demografische (Alter, Geschlecht, Familienstand), wirtschaftliche und soziale (Bildungsniveau, Beschäftigung, Status, Einkommen) und auch geografische Faktoren (Umfeld, geografische Lage, besondere regionale oder lokale Gegebenheiten, geopolitische Aspekte) eine Rolle spielen.

4.6.4   Im Mittelpunkt der Überlegungen darf daher nicht nur die geografische Ausgrenzung stehen, sondern es gilt, auch die soziale Ausgrenzung, die eng mit den beschränkten finanziellen Möglichkeiten und begrenzten Kompetenzen bestimmter Nutzergruppen zusammenhängt, zu berücksichtigen.

4.6.5   Der Ausschuss ist daher der Ansicht, dass der Umfang des Universaldienstes dahingehend ausgeweitet werden sollte, dass der Zugang aller Nutzer ungeachtet ihrer geografischen, finanziellen oder sozialen Lage gewährleistet ist.

4.7   Definierte Qualität

4.7.1   In dem Vorschlag zur Änderung der Universaldienstrichtlinie empfiehlt die Europäische Kommission, die nationalen Regulierungsbehörden zu ermächtigen, Mindestvorgaben für die den Endnutzern angebotene Qualität der Netzübertragungsdienste festzusetzen, um dadurch eine Verschlechterung der Dienstqualität, die Blockierung des Zugangs und eine Verlangsamung des Datenverkehrs zu verhindern.

4.7.2   Nach Meinung des Ausschusses sollte in allen Mitgliedstaaten die gleiche Mindestqualität gelten; daher sollte die Festlegung von Mindestqualitätsnormen von vornherein Aufgabe des europäischen Gesetzgebers und nicht der nationalen Regulierungsbehörden sein.

4.8   Erschwinglicher Preis

4.8.1   Anstelle von „erschwinglichem“ oder „zumutbarem“ Preis sollte vielmehr der Begriff „für alle bezahlbarer“ Preis verwendet werden, der die verfolgten Absichten besser verdeutlicht.

4.8.2   Die Erschwinglichkeit des Zugangs und des Dienstes ist sehr wohl in der Definition des Universaldienstes enthalten, betrifft jedoch nicht den Anwendungsbereich auf Gemeinschaftsebene, da der Begriff „erschwinglich“ von den jeweiligen nationalen Voraussetzungen wie dem Durchschnittseinkommen abhängt.

4.8.3   Der Ausschuss schlägt vor, die Möglichkeit der Aufnahme von Sozialtarifen für den Zugang und die Nutzung von Breitband in das gemeinschaftliche Universaldienstkonzept zu untersuchen.

5.   Finanzierung

5.1   Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die Universaldienstverpflichtung für Breitbanddienste mit einem hohen finanziellen Aufwand für die Anbieter verbunden ist, der oftmals mit Verlusten einhergehen wird.

5.2   Diese Kosten hängen jedoch stark von der eingesetzten Technologie ab. Wird eine Fix- durch eine Mobilverbindung ersetzt, so können einerseits diese Kosten gesenkt werden, da der Anschluss eines neuen Kunden an das allen Kunden gemeinsame Funkkommunikationsnetz nur mit geringen Kosten verbunden ist. Andererseits fallen für den Nutzer im Festbetrieb niedrigere Kommunikationskosten als im Mobilbetrieb an.

5.3   Ist die Universaldienstverpflichtung eine unzumutbare Belastung für den Diensterbringer, können die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Universaldienstrichtlinie aus dem Jahr 2002 u.a. insbesondere folgende Finanzierungsmechanismen festlegen:

Deckung durch öffentliche Mittel;

Abgaben seitens der Nutzer;

Kostenanlastung durch Abgaben auf alle Unternehmen oder auf bestimmte Unternehmensgruppen.

5.4   Ferner können unter bestimmten Bedingungen auch die Strukturfonds und Fördermittel für die Entwicklung des ländlichen Raums zur Entwicklung von Regionen und ländlichen Gebieten herangezogen werden, die einen Entwicklungsrückstand aufweisen.

5.5   In Bezug auf den Zugang zu den IKT-Netzen in den von der digitalen Kluft betroffenen europäischen Gebieten und Regionen bekräftigt der Ausschuss seine Forderung (15), die Bereitstellung spezifischer Haushaltsmittel aus den Strukturfonds und Fördermittel für die Entwicklung des ländlichen Raums sowie Forschung und Entwicklung für eInclusion in Betracht zu ziehen.

5.6   Angesichts der Konvergenz des weltweiten Internetumfelds und der Vielzahl an Betreibern (Infrastrukturzugangs-, Internetplattform- und Inhalte-Anbieter) gestaltet sich die Festlegung der Märkte, die zur Deckung dieser Mittel beitragen sollen, immer schwieriger und führt zu ständigen Konflikten und Anfechtungen.

5.7   Außerdem schlagen sich die den Betreibern auferlegten Abgaben in der Regel (zumindest teilweise) im Endpreis nieder.

5.8   Der Ausschuss warnt davor, die Kosten für den Universaldienst durch die direkte oder indirekte Einführung einer Abgabe oder Anhebung der Tarife für die Nutzer auszugleichen, da dies dem Begriff des „erschwinglichen“ Preises zuwiderliefe.

5.9   Die Finanzierung mittels öffentlicher Beihilfen gekoppelt an Investitionen, die über die Gemeinschaftsfonds finanziert werden, ist nach Meinung des Ausschusses der einzig gangbare Weg in denjenigen Mitgliedstaaten, in denen die finanzielle Belastung der Universaldienstverpflichtung die marktüblichen Betriebsbedingungen übersteigt.

5.10   Die Finanzierung des Universaldienstes über ein allgemeines Abgabensystem (wodurch seine Kosten auf eine sehr breite Masse an Steuerpflichtigen aufgeteilt werden) erfordert ein kleineres soziales Opfer als eine Finanzierung, die ausschließlich durch Abgaben zu Lasten der Betreiber oder Verbraucher erfolgt.

Brüssel, den 4. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Siehe KOM(93) 159 endg.

(2)  Siehe Richtlinien 95/62/EG, 97/33/EG, 98/10/EG und 2002/22/EG.

(3)  Siehe Eurobarometer Spezial 293 von Juni 2008: „E-Communications Haushaltsumfrage“ (Befragung: November-Dezember 2007).

(4)  Siehe Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Elektronische Kommunikation — der Weg zu einer wissensbestimmten Wirtschaft“ (KOM(2003) 65 endg.) und Stellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Hochgeschwindigkeitsverbindungen für Europa: Neue Entwicklungen in der elektronischen Kommunikation“ (CESE 1427/2004), Berichterstatter: Herr McDonogh, ABl. C 120 vom 20. Mai 2005, S. 22, zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Überwindung der Breitbandkluft“ (CESE 1181/2006), Berichterstatter: Herr McDonogh, ABl. C 318 vom 23. Dezember 2006, S. 229, zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — i2010Eine europäische Informationsgesellschaft für Wachstum und Beschäftigung“ (CESE 415/2006), Berichterstatter: Herr Lagerholm, ABl. C 110 vom 9. Mai 2006, S. 83 und zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — eAccessibility“ (CESE 404/2006), Berichterstatter: Herr Cabra de Luna, ABl. C 110 vom 9. Mai 2006, S. 26.

(5)  Siehe http://ec.europa.eu/information_society/events/ict_riga_2006/doc/declaration_riga.pdf (nur auf EN abrufbar).

(6)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (KOM(2007) 698 endg.).

(7)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Maßnahmenpaket „Elektronische Kommunikationsnetze“, Berichterstatter: Herr Hernández Bataller, CESE 984/2008 (TEN/327-329).

(8)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über den Stand des europäischen Binnenmarkts der elektronischen Kommunikation (13. Bericht) (KOM(2008) 153 endg.).

(9)  KOM(2007) 698 endg.

(10)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der RegioneneAccessibility“ (CESE 404/2006), ABl. C 110 vom 9. Mai 2006, S. 26; Berichterstatter: Herr Cabra de Luna.

(11)  Siehe KOM(2007) 698 endg.

(12)  Siehe KOM(2008) 572 endg.

(13)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Berücksichtigung der Bedürfnisse älterer Menschen“ (CESE 1524/2008), Berichterstatterin: Frau HEINISCH.

(14)  KOM(2006) 129 endg.

(15)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Künftige Rechtsvorschriften zur eAccessibility“ (CESE 810/2007), ABl. C 175 vom 27. Juli 2007, S. 91, Berichterstatter: Herr Hernández Bataller.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/13


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Effiziente Governance der erneuerten Lissabon-Strategie“

(2009/C 175/03)

Mit Schreiben vom 11. Juni 2008 an Präsident DIMITRIADIS ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu dem Thema:

„Effiziente Governance der erneuerten Lissabon-Strategie“.

Das Präsidium beauftragte am 25. Mai 2008 die Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt mit den Vorarbeiten.

Aufgrund der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 4. Dezember) Frau FLORIO zur Hauptberichterstatterin und verabschiedete mit 100 gegen 5 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

VORBEMERKUNG

Zeiten großer Verunsicherung erfordern langfristige Visionen, kohärente politische Maßnahmen und die Beteiligung aller Betroffenen. Die Lissabon-Strategie schafft einen übergreifenden Rahmen, der es der Europäischen Union ermöglicht, auf der internationalen Bühne verstärkt mit einer Stimme zu sprechen.

Durch die aktivere Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft können schlummernde Kräfte freigesetzt werden. Der Idee und der Umsetzung der Strategie entspricht am besten eine Mischung von Top-down- und Bottom-up-Ansatz. Durch eine umsichtige und verantwortungsvolle Governance der Lissabon-Strategie sollten politische Konvergenz sowie Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gefördert werden.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Die Lissabon-Strategie betrifft die gesamte europäische Gesellschaft und soll sie in die Lage versetzen, die Herausforderungen der Globalisierung zu meistern. Angesichts der gegenwärtigen Krise auf den Finanzmärkten und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen und zunehmenden Unsicherheiten sind die Wettbewerbsfähigkeit, die nachhaltige Entwicklung und der soziale Zusammenhalt in Europa nach Auffassung des EWSA entscheidend wichtig. Der Ausschuss betont, dass die drei Säulen der Agenda — Wachstum und Beschäftigung, sozialer Zusammenhalt und Nachhaltigkeit — einen kontinuierlichen, interaktiven und ausgewogenen Ansatz erfordern.

1.2   Mit dieser Stellungnahme kommt der Ausschuss in erster Linie dem Ersuchen der Europäischen Kommission (1) nach. Diese Stellungnahme, die die Governance der Lissabon-Strategie zum Gegenstand hat, schließt an frühere Beiträge des EWSA und der zivilgesellschaftlichen Organisationen der EU zum Lissabon-Prozess an.

1.3   Der EWSA unterstreicht, dass die Strategie von den nationalen Regierungen ausreichend unterstützt werden muss und diese daher die politische und moralische Verpflichtung haben, Reformen im Einvernehmen mit den Organisationen der Zivilgesellschaft ins Auge zu fassen Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich die nichtstaatlichen Organisationen in den Mitgliedstaaten uneingeschränkt an der Festlegung der Agenda für den Lissabon-Prozess beteiligen können. Die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte (WSR) und vergleichbare zivilgesellschaftliche Einrichtungen sollten die Aufgabe wahrnehmen, die ihnen durch die nationalen Gesetze und Gepflogenheiten im Hinblick auf die Lissabon-Strategie zugewiesen wird (2).

1.4   In der Art, wie die Entscheidungsfindung gestaltet ist, bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. In einigen Mitgliedstaaten sind die Verfahren für die Konsultation und Information gut organisiert, während sie in anderen beträchtlich verbessert werden müssen. Der Austausch bewährter Verfahren sollte gefördert werden. Der EWSA führt zu diesem Zweck Informationsreisen in die Mitgliedstaaten durch, um mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren den Austausch bewährter Verfahren und die Umsetzung der Reformen zu erörtern (3).

1.5   Der EWSA betont, dass die im Rahmen der Strategie durchgeführten Reformen den Bürgern ein hohes Maß an wirtschaftlicher und sozialer Stabilität bieten und zugleich den Zielen der nachhaltigen Entwicklung gerecht werden. Die verschiedenen Akteure im öffentlichen und privaten Sektor sollten ermitteln, welchen Part sie selbst übernehmen und welchen positiven Beitrag sie leisten können, um mit Blick auf das Wohl der Menschen in Europa wirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verknüpfen.

1.6   Nach Auffassung des EWSA ist es überaus wünschenswert, dass sämtliche Interessenträger (auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene) unmittelbar an der Festlegung einer effizienten Governance auf der geeigneten Ebene beteiligt werden. Die verschiedenen Ebenen der Konsultation erfordern unterschiedliche Formen der Mitwirkung und unterschiedliche Arbeitsmethoden.

1.7   Angesichts der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten empfiehlt der EWSA, einen ständigen Dialog in den Mitgliedstaaten einzurichten, an dem einerseits die nationalen WSR und andererseits die Sozialpartner beteiligt sind und zu dem gegebenenfalls andere gesellschaftliche Interessenträger (KMU, Sozialwirtschaft usw.) und Vertreter von Hochschulen oder Denkfabriken hinzugezogen werden können (4). Auch die im Bereich der Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Chancengleichheit tätigen Akteure sollten eingebunden werden.

1.8   Der EWSA regt an, dass jeder Lissabon-Zyklus mit einer (zur Abrundung des ständigen nationalen Dialogs organisierten) Konferenz abgeschlossen werden könnte, an der die maßgeblichen Interessenträger und zivilgesellschaftlichen Organisationen teilnehmen, um eine Bestandsaufnahme der Erfolge und Mängel vorzunehmen. Generell kann durch das Hervorheben und Bekanntmachen der Erfolge und Errungenschaften in der Gesellschaft ein stärkerer Rückhalt für die Fortsetzung des Reformprozesses geschaffen werden.

1.9   Der Ausschuss unterstreicht, dass ein besseres und engmaschigeres Überwachungssystem (Aufgaben und Maßnahmen der verschiedenen an der Umsetzung Beteiligten) notwendig ist, und schlägt daher ein neues Modell für einen quantitativen und qualitativen Leistungsvergleich vor (siehe Ziffer 2.8), das derzeit in einigen Ländern getestet wird. Auf diese Weise könnte die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Umsetzung und Überwachung gestärkt werden.

1.10   Der EWSA ist der Ansicht, dass eine umfassendere öffentliche Debatte über die verschiedenen Aspekte der Methodik und Umsetzung dieser Strategie dringend erforderlich ist, und fordert daher alle zivilgesellschaftlichen Akteure auf, eine breitere Debatte über die Lissabon-Reformen auf den verschiedenen Ebenen zu führen. Die besondere Rolle der nationalen Wirtschafts- und Sozialräte (WSR) oder der vergleichbaren Organisationen der Zivilgesellschaft in Mitgliedstaaten, in denen es keine WSR gibt, sollte in denjenigen Bereichen, in denen sie noch nicht stark genug zum Tragen kommt, weiter gestärkt werden. Neben den Einrichtungen für die Konsultation der Sozialpartner müssen weitere Gremien einbezogen werden, die in speziellen Bereichen der Lissabon-Strategie tätig sind (z.B. nationale Räte für nachhaltige Entwicklung, Chancengleichheit oder Armutsbekämpfung).

1.11   Der EWSA hält es für notwendig, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten durch verschiedene Kommunikationsmethoden, insbesondere den Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel (Aufzeigen bewährter Verfahren, Scoreboards usw.), konkrete neue Schritte zur Verbesserung der Umsetzung unternehmen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und der Austausch bewährter Verfahren sollten gefördert werden.

1.12   Der EWSA kann sowohl als Plattform für den Informationsaustausch zwischen nationalen WSR, Sozialpartnern und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft auf der einen und den europäischen Institutionen auf der anderen Seite als auch als Plattform für den Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen nationalen regierungsunabhängigen Akteuren dienen. Der EWSA würdigt die Beiträge, die die nationalen WSR und die anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu den Debatten leisten.

1.13   Der EWSA betont, dass die nationalen Lissabon-Koordinatoren in jedem Fall während der Erarbeitung, Umsetzung und Bewertung der Nationalen Reformprogramme (NRP) systematisch mit allen genau definierten Beteiligten zusammenarbeiten sollten. Der EWSA fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, ihre Bürger verstärkt über die Ergebnisse des zivilen und sozialen Dialogs in Bezug auf die Lissabon-Ziele zu informieren.

2.   Die Rolle der verschiedenen Interessenträger im Politikgestaltungsprozess — neue Formen und Instrumente einer effizienten Governance

2.1   Da die Weltwirtschaft vor sehr ernsten Herausforderungen und Unwägbarkeiten steht, hat die wirtschaftliche Zuversicht in Europa deutlich abgenommen. In dieser Situation werden die Lissabon-Agenda und die Durchführung von ausgewogenen Strukturreformen immer wichtiger, und es müssen sofortige Lösungen gefunden werden.

2.2   Nach Auffassung des EWSA ist die effiziente Governance der Strategie für ihre kohärente Umsetzung überaus wichtig. Er betont, dass die Stärkung der Mitgestaltungsmöglichkeiten der verschiedenen Ebenen (national, regional und lokal) bei der Suche nach Vorschlägen und Lösungen förderlich sein könnte.

2.3   Der EWSA stellt fest, dass die Strategie in vielen Mitgliedstaaten zunächst als Zusammenspiel zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsinstitutionen verstanden wurde. Der EWSA hat gemeinsam mit den nationalen WSR und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen erheblich dazu beigetragen, dass sich die Governance im Vergleich zur anfänglichen Situation verbessert hat. Der EWSA stellt mit Bedauern fest, dass die Beteiligung nicht in allen Mitgliedstaaten in gleichem Maße Fortschritte gemacht hat.

2.4   Die nationalen Lissabon-Koordinatoren sollten die zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Sozialpartner aktiver in die zur Flankierung der Lissabon-Strategie notwendigen Maßnahmen und Reformen einbinden (z.B. frühzeitige Information, gemeinsame Planung von Veranstaltungen usw.) und die Strategie der breiten Öffentlichkeit wirksamer vermitteln.

2.5   Eine enge Zusammenarbeit zwischen den nationalen WSR, den Sozialpartnern und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen würde zu positiven externen politischen Effekten beitragen und neue Synergien schaffen. Die Beteiligung aller Interessenträger, u.a. auch von Vertretern benachteiligter Bevölkerungsgruppen (Behinderte, Zuwanderer usw.), sollte sichergestellt werden.

2.6   Eine erfolgreiche Umsetzung setzt eine effizientere Nutzung der EU-Finanzierung aus den verschiedenen Fonds (Strukturfonds usw.) im Einklang mit den Lissabon-Zielen voraus.

2.7   Effektive Mehrebenen-Governance

2.7.1   Um den globalen Herausforderungen zu begegnen, sind neue und innovative Formen der Governance erforderlich. Der EWSA empfiehlt, in den Mitgliedstaaten einen ständigen Dialog einzurichten (an dem die nationalen WSR, die Sozialpartner, die KMU, die Hochschulen und andere zivilgesellschaftliche Interessenträger, einschließlich sozialwirtschaftlicher Organisationen, sowie die im Bereich der Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Chancengleichheit tätigen Akteure beteiligt werden). Diese Dialogplattformen sollten dazu beitragen, Engpässe im Umsetzungsprozess zu ermitteln und in Bereichen, in denen ein Rückstand festzustellen ist, neue Anreize zu fördern. Auf diese Weise können die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbaren Einrichtungen zur Formulierung von Lösungen für die festgestellten Probleme beitragen.

2.7.2   Diese ständigen Dialoge würden als Instrument einer effektiven Multi-Level-Governance in Zusammenarbeit mit dem Büro des nationalen Lissabon-Koordinators dienen. Sie könnten dazu beitragen, u.U. auf der Grundlage eines quantitativen und qualitativen Benchmarkingsystems auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene (siehe Ziffer 2.8) die in den einzelnen prioritären Bereichen ergriffenen Maßnahmen (ausgehend von den länderspezifischen Empfehlungen der Kommission) auszuwerten. Dies kann auch bei grenzüberschreitenden Leistungsvergleichen nützlich sein.

2.7.3   Bei allen Treffen zwischen der Europäischen Kommission, den Sozialpartnern, den Nichtregierungsorganisationen und den verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft sollte Transparenz (Datenzugang, Einhaltung der Fristen) gewährleistet sein.

2.7.4   Ein Instrument, das für die Umsetzung der Lissabon-Agenda förderlich sein könnte, ist die offene Methode der Koordinierung (OMK). Der EWSA hat bereits mehrmals betont, dass die OMK besser und wirksamer eingesetzt werden könnte. Dies ließe sich mithilfe des unlängst eingeführten Ansatzes der „gemeinsamen Grundsätze (5) und durch eine Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung und sogar Aushandlung der Ziele der Lissabon-Strategie auf europäischer Ebene erreichen. Angesichts der gegenwärtigen ernsten Wirtschafts- und Finanzlage müssen jedoch sämtliche Regierungen und alle Interessenträger weitere Schritte für eine bessere Justierung der Zielsetzungen unternehmen.

2.7.5   Die Interessenträger sollten neue Formen des Austauschs bewährter Verfahren entwickeln: Die Vernetzung der verschiedenen Ebenen würde einen wechselseitigen Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Regierungsebenen implizieren, und im Rahmen einer engeren Zusammenarbeit zwischen Grenzgebieten zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten ließen sich grenzübergreifende Ziele festlegen.

2.8   Quantitativer und qualitativer Leistungsvergleich (Benchmarking)

2.8.1   Zu den Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten gehören Abweichungen bei der Erfassung der relevanten Daten für die Strukturindikatoren. Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, um einem hohen Standard genügende objektive Informationen aus sämtlichen Mitgliedstaaten zu erhalten. Hierzu ist es umso wünschenswerter, die bereits bestehenden Beziehungen zwischen den zuständigen Behörden (z.B. den nationalen statistischen Ämtern) zu stärken, worum sich Eurostat bemüht, um die unverzichtbare gemeinsame statistische Grundlage zu verbessern. Diese Daten müssen einem breiten Publikum zugänglich gemacht und die Debatten über die Auswahl der Kriterien so transparent wie möglich gestaltet werden.

2.8.2   Mithilfe eines quantitativen und qualitativen Leistungsvergleichs, der von Interessengruppen in Zusammenarbeit mit Regierungsvertretern auf der Grundlage der in den NRP festgelegten Ziele erarbeitet würde, ließen sich ausgehend von den Strukturindikatoren (6) und den allgemeinen Zielen der Lissabon-Strategie effektive und konkrete Informationen für die Bewertung der Fortschritte in jedem Mitgliedstaat bereitstellen. Alle nationalen WSR oder vergleichbaren Einrichtungen müssten ihre eigenen Prioritätskriterien analysieren und aufstellen. Die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte haben in einigen Ländern, wie z.B. Belgien, Bulgarien und Frankreich, bereits damit begonnen, in regelmäßigen Abständen (beispielsweise alle zwei Jahre) Leistungsvergleiche für die 14 von den Regierungen der Mitgliedstaaten vereinbarten Indikatoren sowie einige zusätzliche Strukturindikatoren durchzuführen, wobei sie sich auf Statistiken stützen, die auf der Website von Eurostat frei zugänglich sind. Andere nationale WSR könnten diesem Beispiel gegebenenfalls folgen.

2.8.3   Die nationalen Kriterien könnten auf der Grundlage der Anforderungen der einzelnen Ebenen (national, regional, lokal und sektoral (7)) geändert und entsprechend angepasst werden. Im Mittelpunkt der nationalen Leistungsvergleiche für jeden prioritären Bereich (gemäß der Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2006) würde die Erhebung nationaler und regionaler Daten stehen, damit konkrete Leistungsindikatoren und Maßstäbe entwickelt werden können. Die Datenbank sollte den nationalen WSR sowie den Sozialpartnern und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zur Verfügung stehen. Es werden folgende praktische Schritte vorgeschlagen:

ein über die Website des EWSA (CESLink-Website (8)) zugängliches internetgestütztes Benchmarking zur unmittelbaren und wirksamen Erhebung und Auswertung von Daten (9);

die Datenerhebung könnte innerhalb eines dreijährigen Lissabon-Zyklus mindestens ein Mal von den nationalen WSR oder vergleichbaren Einrichtungen durchgeführt werden oder muss vom bestehenden nationalen Mitwirkungssystem gewährleistet werden;

die Ergebnisse könnten auch von den regelmäßig zusammentreffenden Runder-Tisch-Gruppen ausgewertet und auf einer jährlichen EWSA-Konferenz vorgestellt werden.

2.8.4   Auf diese Weise könnten die Interessenträger realistische Ziele festlegen und in sich stimmige Informationen für die Überarbeitung der NRP bereitstellen. Die Ziele ließen sich ferner problemlos aktualisieren und kontinuierlich bewerten. Gleichzeitig würde dies die Ermittlung bewährter Verfahren in allen Mitgliedstaaten erleichtern.

Brüssel, den 4. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Margot Wallström, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, ersuchte den EWSA mit Schreiben vom 11. Juni 2008 an dessen seinerzeitigen Präsidenten, Dimitris Dimitriadis, um eine Sondierungsstellungnahme zur Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Diese Befassung des EWSA durch die Europäische Kommission steht im Einklang mit dem generellen Mandat des Europäischen Rates vom Frühjahr 2008, der „… die Kommission und die Mitgliedstaaten [ersucht], die relevanten Akteure stärker in den Lissabon-Prozess einzubinden …“.

(2)  Der EWSA merkt an, dass er sich in keiner Weise in die bestehenden Konsultationsverfahren, Zuständigkeiten und Legitimationen der Sozialpartner in den einzelnen Mitgliedstaaten einmischt.

(3)  Vertreter Frankreichs, Spaniens, Belgiens und der Niederlande haben ihre Zufriedenheit mit der Governance des Prozesses in ihren Ländern bekundet. Die Ergebnisse der ersten Informationsreise sind in Anhang 2 beigefügt.

(4)  Zur Sozialwirtschaft zählen drei große Gruppen von Organisationen: Genossenschaften, Gesellschaften auf Gegenseitigkeit und Verbände, zu denen unlängst die Stiftungen hinzugekommen sind. Siehe „The Social Economy in the EU“, S. 11, CESE/COMM/05/2005 (Anmerkung der Übersetzung: Dieser Text liegt nicht auf Deutsch vor).

(5)  Im Mittelpunkt der Methode der gemeinsamen Grundsätze stehen spezielle Themen, bei denen die Mitgliedstaaten wollen, dass Fortschritte erzielt werden, selbst wenn die Zuständigkeit der EU beschränkt ist. Vgl. EWSA-Stellungnahme zum Thema „Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU“, CESE 1209/2008 vom 9. Juli 2008.

(6)  Im Dezember 2003 wurden 14 Strukturindikatoren von den Regierungen der Mitgliedstaaten einvernehmlich festgelegt. Die 14 Strukturindikatoren sind BIP pro Kopf in KKS, Arbeitsproduktivität, Beschäftigungsquote, Beschäftigungsquote älterer Erwerbstätiger, Bildungsstandard der Jugendlichen, Bruttoinlandsausgaben für FuE, vergleichende Preisniveaus, Unternehmensinvestitionen, Armutsgefährdungsquote nach Sozialleistungen, Langzeitarbeitslosenquote, Streuung der regionalen Beschäftigungsquoten, Emission von Treibhausgasen, Energieintensität der Wirtschaft und Güterverkehrsvolumen im Verhältnis zum BIP. Eurostat informiert regelmäßig über die Strukturindikatoren: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page?_pageid=1133,47800773,1133_47802588_dad=portal&_schema=PORTAL

(7)  Sektoral: Jeder wirtschaftliche Sektor müsste ebenfalls die für die Erreichung der Lissabon-Ziele erforderlichen Schritte festlegen (z.B. Innovation und Wettbewerbsfähigkeit).

(8)  http://www.eesc.europa.eu/ceslink/09-fr/presentation-ceslink-fr.html

(9)  Der EWSA kann hierzu einen Beitrag leisten, indem er Webspace für die Übermittlung von Ergebnissen und den Austausch von Informationen zur Verfügung stellt.


ANHANG 1

WICHTIGE BEITRÄGE ZUR LISSABON-STRATEGIE, AUSGEARBEITET VOM EWSA GEMEINSAM MIT SEINEM NETZWERK NATIONALER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALRÄTE UND VERGLEICHBARER EINRICHTUNGEN

Syntheseberichte für die Frühjahrestagungen des Europäischen Rates:

Umsetzung der Lissabon-Strategie — Beiträge in Erfüllung des Mandats des Europäischen Rates vom 22./23. März 2005 — Synthesebericht, in Zusammenarbeit mit den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten der Europäischen Union erstellt — Beiträge der beiden Beitrittskandidaten — Bericht der Kontaktgruppe zwischen dem EWSA und den europäischen Organisationen und Netzen der Zivilgesellschaft

CESE 1468/2005 rev. (im Internetportal des EWSA unter http://www.eesc.europa.eu/lisbon_strategy/events/09_03_06_improving/documents/ces1468-2005_rev_d_de.pdf)

Lissabon-Strategie 2008-2010. Die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft. Synthesebericht für den Europäischen Rat (13./14. März 2008). Umsetzung der Lissabon-Strategie: Sachstand und Zukunftsperspektiven

CESE 40/2008

Entschließung für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates:

Entschließung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Umsetzung der überarbeiteten Lissabon-Strategie“ (Entschließung vom Frühjahr 2007)

CESE 298/2007

Berichterstatter: Herr van Iersel

Mitberichterstatter: Herr Barabas

STELLUNGNAHMEN ZU DEN PRIORITÄREN BEREICHEN DER LISSABON-STRATEGIE

Auf dem Weg zur europäischen Wissensgesellschaft — Der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zur Lissabon-Strategie (Sondierungsstellungnahme)

ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 94.

Berichterstatter: Herr Olsson

Mitberichterstatter: Frau Belabed, Herr van Iersel

Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU (Lissabon-Strategie) (Initiativstellungnahme)

ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 8.

Berichterstatterin: Frau Faes

Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie) (Initiativstellungnahme)

ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 17.

Berichterstatter: Herr Wolf

Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie) (Initiativstellungnahme)

ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 93.

Berichterstatter: Herr Greif

Festlegung einer Energiepolitik für Europa (Lissabon-Strategie) (Initiativstellungnahme)

ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 31.

Berichterstatterin: Frau Sirkeinen

WEITERE DOKUMENTE DER MIT DER LISSABON-STRATEGIE BEFASSTEN ARBEITSGREMIEN

Broschüre 58 konkrete Maßnahmen für den Erfolg der Lissabon-Strategie

WEITERE STELLUNGNAHMEN, DIE VON DEN FACHGRUPPEN UNABHÄNGIG VON DEN MIT DER LISSABON-STRATEGIE BEFASSTEN ARBEITSGREMIEN ERSTELLT WURDEN

Klimawandel und Lissabon-Strategie (Initiativstellungnahme)

ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 69.

Berichterstatter: Herr Ehnmark

Unternehmergeist und Lissabon-Agenda (Initiativstellungnahme)

ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 84.

Berichterstatterin: Frau Sharma

Mitberichterstatter: Herr Olsson


ANHANG II

Zusammenfassender bericht über das informationstreffen am 13. Oktober 2008 in Bukarest

Die Delegation des EWSA traf in den Räumlichkeiten des rumänischen Wirtschafts- und Sozialrats mit Organisationen der rumänischen Zivilgesellschaft zusammen. In diesem Rahmen wurden Gespräche mit den Vertretern von 17 zivilgesellschaftlichen Organisationen geführt.

Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind sich in verschiedenen Punkten einig, können sich bei der Regierung jedoch kein Gehör verschaffen. Folgende Punkte werden festgehalten:

Allgemeine Punkte:

Die Regierung konsultiert die Sozialpartner zum nationalen Reformprogramm (NRP), aber die Fristen sind häufig unrealistisch kurz. Nur sehr selten werden Vorschläge der Sozialpartner im NRP berücksichtigt oder darin aufgenommen.

Die Energie- und Klimaprobleme des Landes werden im NRP angemessen in Angriff genommen.

Der soziale Dialog funktioniert nicht gut, seine Vorteile sollten den Bürgern deutlicher vor Augen geführt werden. Aus diesem Grund sollten alle Sozialpartner besser zusammenarbeiten und bei der Vertretung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen an einem Strang ziehen.

Aufgrund der unausgewogenen Lohnpolitik haben mehr als drei Millionen der wettbewerbsfähigsten Arbeitnehmer das Land verlassen, das sich mit einem ernsten Arbeitskräftemangel konfrontiert sieht. Es werden mindestens 500 000 Arbeitskräfte gebraucht, um den Bedarf in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen zu decken.

Der rechtliche Rahmen für die Gründung und die Geschäftstätigkeit von KMU sollte reformiert werden.

Wachstum und Beschäftigung sollten in Rumänien stärker durch steuerliche Instrumente gefördert werden, wobei den 750 000 Behinderten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Das System für das lebenslange Lernen ist ernstlich unterentwickelt.

Die rumänische Zivilgesellschaft macht sich Sorgen um die Sicherheit der Versorgung mit Rohstoffen, Energie usw.

In verschiedenen Sektoren wird die Entwicklung immer noch durch Korruption ausgehöhlt.

Spezifische Punkte:

Die Umsetzung des Arbeitsrechts ist immer noch problematisch, die staatlichen Arbeitsaufsichtsbehörden erfüllen ihre Aufgabe nicht zufriedenstellend (Schattenwirtschaft).

Die Anwendung von Flexicurity ist problematisch; ihre Auslegung und Umsetzung durch die Behörden schafft Unsicherheit.

Das Berufsbildungssystem muss parallel zu dem sogenannten „Zertifizierungssystem“ besser auf den Bedarf der einzelnen Sektoren reagieren. Die derzeitige Situation gefährdet ernsthaft die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaft. In den einzelnen Phasen — Aufbau, Umsetzung und Bewertung — muss Unterstützung geleistet werden.

Die Tätigkeit der KMU wird durch parafiskalische Abgaben behindert.

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen haben permanente Kapazitäts- und Finanzierungsschwierigkeiten und sind noch nicht angemessen entwickelt. Eine Koalition von nichtstaatlichen Organisationen ist derzeit in den Lenkungsausschüssen für die Strukturfonds vertreten, es ist jedoch eine stärkere Beteiligung erforderlich.

In den Bildungsprogrammen (wo die Lehrpläne generell besser abgestimmt werden müssen) sollten Klima-, Energie- und Nachhaltigkeitsfragen behandelt werden.

Die Sozialpartner erhalten Informationen von der Europäischen Kommission. Auf nationaler Ebene haben sämtliche Partner die Regierung aufgefordert, weitere zivilgesellschaftliche Organisationen zu konsultieren und einen besser strukturierten zivilen Dialog aufzubauen. Dies sollte sich in der Reform des rumänischen Wirtschafts- und Sozialrats widerspiegeln, da die entsprechende Rechtsgrundlage vorhanden ist und ursprünglich von der Regierung vorgeschlagen wurde; andere Organisationen der Zivilgesellschaft sind jedoch noch nicht vertreten.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt“

(2009/C 175/04)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. November 2008 an. Berichterstatterin war Frau SÁNCHEZ MIGUEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 110 gegen 29 Stimmen bei 22 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass die Rechte der europäischen Bürger Wirklichkeit werden, ist die Umsetzung einer echten Demokratie im Binnenmarkt. Erst wenn diese erreicht ist, werden alle Marktteilnehmer die Bedeutung des Binnenmarktes für den europäischen Integrationsprozess verstehen und unterstützen.

1.2   Der Verbraucherschutz ist bis heute das Mittel, um ein Gleichgewicht zwischen den Marktteilnehmern herzustellen, wobei die europäische Wettbewerbspolitik die Rechtsinstrumente geschaffen hat, um die für Verbraucher, Arbeitnehmer und Bürger nachteiligen Wettbewerbsbeschränkungen zu reduzieren.

1.3   Das Ziel der Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt ist nicht nur, Gleichheit zwischen allen Marktteilnehmern herzustellen, sondern auch die Lebensqualität der Bürger zu verbessern, was vor allem durch Folgendes erreicht werden kann:

die Entwicklung und Anwendung der Rechtsvorschriften der Wettbewerbspolitik sowie die nötige Einbeziehung der Verbraucher und weiteren Akteure in die in diesem Bereich zuständigen Einrichtungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten;

die Vertiefung dieser Politik zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen derjenigen, die von den Praktiken des unlauteren Wettbewerbs direkt betroffen sind.

1.4   Zur Erreichung dieses Ziels müssen konkrete Maßnahmen entwickelt werden, die das Vertrauen aller Binnenmarktteilnehmer stärken und garantieren. Diese Maßnahmen könnten sich auf folgende Bereiche konzentrieren:

Die Harmonisierung und Angleichung aller Rechtsvorschriften, zumindest bei zentralen Themen wie dem materiellen Recht und dem Verfahrensrecht.

Der Schutz der Marktteilnehmer muss in die in den Verträgen verankerten Grundrechte eingebunden werden, ohne dass dazu neue Verfahren eingeführt werden, um nicht den Verwaltungsaufwand zu erhöhen.

Die Einbeziehung der einzelnen Marktteilnehmer in die Wettbewerbsbehörden und die Einrichtung eines effizienten Informationsnetzes, wie sie der EWSA in zahlreichen Stellungnahmen wiederholt vorgeschlagen hat.

1.5   Der EWSA hat sich aktiv für die Förderung des Gleichheitsprinzips in allen Politikbereichen sowie für eine starke Einbindung der Zivilgesellschaft in die Einrichtungen der Gemeinschaft, insbesondere in die für die Wettbewerbspolitik zuständigen Behörden, eingesetzt. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass es zur Erreichung der Lissabon-Ziele einer wettbewerbsfähigeren und dynamischeren Wirtschaft erforderlich ist, die Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt zu gewährleisten.

2.   Hintergrund

2.1   Gemäß Artikel 6 des EU-Vertrags (1) erkennt die Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2) niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind dabei rechtlich gleichrangig.

2.2   Zu den in der Charta verankerten Grundrechten gehören insbesondere der Gleichheitsgrundsatz, das Eigentumsrecht, der Verbraucherschutz und der Zugang zu Leistungen von allgemeinem Interesse, das heißt Rechte mit Auswirkungen auf den Binnenmarkt und seine Funktionsweise.

2.3   Der Grundsatz der Gleichheit der Bürger gehört zu den Werten, auf die sich die Union gründet (Artikel 2), und stellt als demokratisches Prinzip der Union eine Verpflichtung dar, die die EU gemäß Artikel 9 EU-Vertrag in ihrem gesamten Handeln — auch bei den wirtschaftlichen Tätigkeiten im Binnenmarkt — achten muss.

Die Union hat die ausschließliche Zuständigkeit für die Festlegung der Wettbewerbsregeln (3), die für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind (Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b AEUV).

2.4.1   Als nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar und deshalb verboten gelten insbesondere Absprachen und der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Kartellbestimmungen), weil diese Praktiken unter anderem Schäden für Verbraucher, Unternehmen und andere Marktteilnehmer, wie Arbeitnehmer, zur Folge haben.

2.4.2   Auch die unangemessene oder fehlende Anwendung der Vorschriften über Unternehmenszusammenschlüsse kann eine schwere Schädigung der Verbraucher, Unternehmen und anderen Marktteilnehmer, wie Arbeitnehmer, nach sich ziehen.

2.4.3   Behauptete Effizienzvorteile werden daran gemessen, dass die Verbraucher durch den Zusammenschluss nicht benachteiligt werden. Deshalb sollten die Effizienzvorteile erheblich sein, sich rechtzeitig einstellen und den Verbrauchern in den relevanten Märkten zugute kommen, in denen ansonsten Wettbewerbsbehinderungen auftreten würden.

Für den Verbraucherschutz hat die Europäische Union die geteilte Zuständigkeit (Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe f AEUV).

2.5.1   Gemäß dem neuen Artikel 12 des AEUV muss bei der Festlegung und Durchführung der anderen Unionspolitiken und -maßnahmen den Erfordernissen des Verbraucherschutzes Rechnung getragen werden.

2.5.2   Es handelt sich somit um einen horizontalen Ansatz in der Verbraucherpolitik, der auf der Ebene des primären Gemeinschaftsrechts ausdrücklich anerkannt wird; demzufolge und mit Blick auf die Vollendung des Binnenmarktes müssen die Verbraucherinteressen unbedingt in allen relevanten Bereichen der Politik und Wirtschaft Berücksichtigung finden, um ein hohes Maß an Verbraucherschutz in der Europäischen Union zu gewährleisten.

2.5.3   Bei ihren Vorschlägen zur Angleichung der Rechtsvorschriften über den Verbraucherschutz muss die Kommission von einem hohen Schutzniveau ausgehen (Artikel 114 Absatz 3 AEUV). Diese Verpflichtung der Kommission ergibt sich daraus, dass die Union gehalten ist, die Interessen der Verbraucher zu fördern und ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten (Artikel 169 AEUV).

2.5.4   Bislang erfolgte die Harmonisierung auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes grundsätzlich (4) nach dem Prinzip der „Mindestharmonisierung“, wonach die Mitgliedstaaten strengere Schutzmaßnahmen ergreifen oder beibehalten können, was gelegentlich zu Normenkollisionen zwischen den Bereichen Verbraucherschutz und Vollendung des Binnenmarktes geführt hat.

Der Ausschuss hat in seiner Stellungnahme zum Thema „Wettbewerbsvorschriften und Verbraucherschutz (5) festgestellt, dass der freie Wettbewerb zwar für alle Marktteilnehmer und insbesondere für die Verbraucher Vorteile bringt, es in den wichtigsten liberalisierten Sektoren jedoch zunehmend zu einer klaren Einschränkung des freien Wettbewerbs unter Ausgrenzung von Mitbewerbern und unter Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Rechte der Verbraucher gekommen ist.

2.6.1   Dabei betonte der EWSA, dass die Mechanismen zur Information und Konsultation der Verbraucher gestärkt werden müssen, wobei im Europäischen Wettbewerbsnetz durch Anpassung seiner Tätigkeit auch den Informationen und Anmerkungen Platz eingeräumt werden sollte, die nationale oder auf EU-Ebene aktive Verbraucherorganisationen im Hinblick auf eine bessere Wirksamkeit der Wettbewerbspolitik auf den Märkten und zur Anerkennung ihrer wirtschaftlichen Rechte vorbringen.

2.6.2   Bezüglich der Frage des Schadenersatzes wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts äußerte (6) sich der EWSA bereits zu dem entsprechenden, von der Kommission vorgelegten Grünbuch und sprach sich in diesem Zusammenhang für die Ausarbeitung gemeinschaftlicher Leitlinien aus, in denen die Bedingungen für die Durchführung der Schadenersatzverfahren wegen Verletzung von Artikel 81 und 82 des Vertrags festgelegt werden sollten.

2.6.3   Darüber hinaus befürwortete der EWSA in einer Stellungnahme (7) gemeinschaftliche Vorschriften über Sammelklagen auf Schadenersatz, welche von repräsentativen Verbänden der sozialen und wirtschaftlichen Akteure im Binnenmarkt und insbesondere von Verbraucherschutzorganisationen eingereicht werden.

2.6.4   Der Ausschuss arbeitet zudem derzeit an seiner Stellungnahme zum „Weißbuch — Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts (8) und verweist in Erwartung dieser Stellungnahme schon jetzt auf deren Inhalt.

2.6.5   Der EWSA wird sich daher in dieser Stellungnahme weder mit dem Schadenersatz wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts noch mit Einreichung von Sammelklagen durch Verbraucherschutzorganisationen beschäftigen, da er sich zu diesen Themenkomplexen bereits geäußert hat. Er wird vielmehr die Frage der Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt beleuchten.

3.   Annäherung an den Begriff der Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt

3.1   Die Wettbewerbspolitik hat die Schaffung und Gewährleistung der Bedingungen für ein wettbewerbsorientiertes Funktionieren des Marktes zum Vorteil der Verbraucher und der Unternehmen zum Gegenstand. Das beinhaltet folgende Aspekte:

wirksamere Maßnahmen zur Bekämpfung von Praktiken, welche die Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt verzerren;

Schaffung der notwendigen Bedingungen dafür, dass sich die Verbraucher und all jene, die aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit auf dem Markt wirtschaftliche Rechte ableiten können, das heißt auch die Arbeitnehmer, aktiv an der Wettbewerbspolitik beteiligen können;

Förderung eines kontinuierlichen Informationsflusses und zügiger Konsultationen mit sichtbaren Ergebnissen;

Festlegung von Rechtsinstrumenten oder entsprechenden Mechanismen für eine angemessene Gewährleistung des Grundsatzes der Gleichheit aller Marktteilnehmer — einschließlich der kleinen und mittleren Unternehmen, denen diese Gemeinschaftspolitik ebenfalls in großem Umfang zugute kommen wird -, des Eigentumsrechts, des Verbraucherschutzes und des Zugangs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse.

3.2   In diesem Zusammenhang ist zunehmend davon die Rede, dass die „Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt“ gewährleistet werden muss. Dieses Ziel ist implizit in der Lissabon-Agenda enthalten, die ja anstrebt, die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, der zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum imstande ist, mehr und bessere Arbeitsplätze schaffen kann und stärkeren sozialen Zusammenhalt ermöglicht (9).

Um sicherzustellen, dass es im Binnenmarkt eine Wirtschaftsdemokratie gibt, welche den Unionsbürgern eine bessere Lebensqualität bietet, müssen im Großen und Ganzen drei Handlungsschwerpunkte in Angriff genommen und vorangetrieben werden:

Das ist erstens die Entwicklung und Anwendung der herkömmlichen wettbewerbspolitischen Instrumente, das heißt der Vorschriften zur Bekämpfung von Kartellen und der Vorschriften über Unternehmenszusammenschlüsse und staatliche Beihilfen, wobei die Aufmerksamkeit besonders ausgewählten Sektoren und vor allem den liberalisierten Sektoren gelten muss.

3.3.1.1   Dazu gehören die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, die einst monopolistisch betrieben und erst vor kurzem für den Markt geöffnet wurden, und in denen es oft ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung gibt. In diesen Sektoren ist der Wettbewerb aufgrund der geringen Marktdurchdringung der neuen Betreiber eingeschränkt.

3.3.1.2   In diesem Bereich sollte die Möglichkeit gestärkt werden, dass die Verbraucher zur Geltendmachung der Kartellvorschriften tätig werden, d.h. dass sie bei entsprechender Klagelegitimation diejenigen sind, die geeignete Gerichtsverfahren anstrengen können, wenn sie Verstöße gegen das Kartellrecht feststellen. Die wichtigsten Mittel im Hinblick auf dieses Ziel sind die Information, Aufklärung und Sensibilisierung der Verbraucher sowie fraglos auch eine Erleichterung der Klagelegitimation und des Zugangs sowohl der einzelnen Verbraucher als auch ihrer Verbände zu den entsprechenden Organen und Verfahren.

Zweitens betrifft dies die Vertiefung der Wettbewerbspolitik, die für die Verbraucher und all jene relevant ist, welche aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit am Markt ein Einkommen erzielen, wozu auch die Arbeitnehmer gehören.

3.3.2.1   Wettbewerbsverzerrende Praktiken durch Unternehmen, die sich nicht an die Wettbewerbsregeln halten, sei es in Form von Absprachen oder durch Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, haben letztlich für die Geschädigten einen Einkommensverlust oder Mehrkosten zur Folge, das heißt eine Beeinträchtigung ihres Eigentumsrechts für dieses Einkommen; damit werden sie zu Opfern eines Verstoßes gegen die Rechtsvorschriften.

3.3.2.2   Die Folgen von Verstößen gegen die Wettbewerbsvorschriften können daher mit einer rechtswidrigen Aneignung des Einkommens gleichgesetzt werden, das die Verbraucher, all jene, die aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit Einkünfte erlangen, und die Unternehmen, die sich an die Wettbewerbsvorschriften halten, erzielen. Diese neue Auffassung von Wettbewerbspolitik würde ebenfalls die Position der kleinen und mittleren Unternehmen stärken, die bekanntermaßen das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bilden.

Drittens bedingt dies die Festigung und Weiterentwicklung der unerlässlichen Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmern am Europäischen Wettbewerbsnetz untereinander und mit der Kommission, zwischen den einzelstaatlichen Gerichten, der Kommission und den nationalen Verbraucherbehörden sowie zwischen den nationalen Verbraucherverbänden und der Kommission.

3.3.3.1   Die gegenseitige Amtshilfe wird es ermöglichen, zügiger als bisher zu entscheiden, wer für die Untersuchung der entsprechenden Beschwerde beziehungsweise Klage zuständig ist, und fördert zudem eine wirksame und optimale Beilegung der Streitigkeiten.

4.   Anmerkungen zu Fragen, die für den Begriff der Wirtschaftsdemokratie relevant sind

4.1   Will die EU eine wahrhafte Wirtschaftsdemokratie verwirklichen, muss sie ihre Wettbewerbspolitik sowie die Maßnahmen zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften an die Bedürfnisse und Erwartungen der europäischen Verbraucher und aller Akteure auf dem Markt anpassen. Dazu bedarf es konkreter Aktionen bei jenen Themen, welche das Vertrauen aller am Binnenmarkt beteiligten Akteure gewährleisten und stärken.

4.2   Angleichung der Rechtsvorschriften

Solange die Rechtsvorschriften zumindest in den zentralen Fragen des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts nicht vergleichbar sind, kann wohl kaum von einer wahrhaften Wirtschaftsdemokratie im Binnenmarkt im Sinne von Artikel 114 ff. und insbesondere Artikel 116 AEUV die Rede sein.

4.2.1.1   Von einem wirklichen Binnenmarkt kann nur dann die Rede sein, wenn der Verbraucher in ausreichendem Maße die Sicherheit und das Vertrauen hat, um an jedem beliebigen Standort in der Europäischen Union etwas zu kaufen, weil er sich sicher ist, dass er überall einen vergleichbaren wirksamen Schutz gegenüber möglichen Beeinträchtigungen seiner wirtschaftlichen Rechte durch Unternehmen genießt. Der grenzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsverkehr wird es den Verbrauchern ermöglichen, günstige Angebote und innovative Produkte und Dienstleistungen zu suchen und die für ihn vorteilhafteste Kaufentscheidung zu treffen. Es ist daher von grundlegender Bedeutung, dass die Abweichungen innerhalb der Verbraucherschutzvorschriften in der EU auf ein Mindestmaß reduziert werden.

Obgleich die Mitgliedstaaten schrittweise Bestimmungen in ihre nationalen Rechtsordnungen aufgenommen haben, die den Artikeln 101 und 102 (ex-Artikel 81 und 82) entsprechen, bestehen noch beträchtliche Unterschiede zwischen den verschiedenen nationalen Wettbewerbsrechten. Diese Unterschiede betreffen sowohl die materiellrechtlichen Definitionen der Begriffe Marktbeherrschung, Missbrauch und wirtschaftliche Abhängigkeit als auch die Verfahrensrechte der Verbraucher im Hinblick auf die Anerkennung der Rolle der Verbraucherverbände oder die Beziehungen zwischen diesen Verbänden und den nationalen Wettbewerbsbehörden.

4.2.2.1   Das Prinzip der Mindestharmonisierung, das bei der Rechtsangleichung angewendet wird, ist am besten geeignet, die Ziele des Binnenmarktes und des Verbraucherschutzes zu verbinden. Grundsätzlich unvereinbar mit dem gebotenen „hohen Verbraucherschutzniveau“ ist demgegenüber die Kombination der Mindestharmonisierung mit dem Herkunftslandprinzip oder mit einer sonstigen „Binnenmarktklausel“ zur gegenseitigen Anerkennung der Verbraucherschutzstandards in den Mitgliedstaaten.

4.2.2.2   Um dieses hohe Verbraucherschutzniveau zu erreichen, wäre es sinnvoll, in grundlegenden Einzelaspekten, wie bei den Prinzipien, Definitionen und bestimmten Verfahrensfragen, eine voll umfassende Harmonisierung anzustreben, was auch im Einklang mit den letzten Verbraucherpolitischen Strategien der EU (2002/2006 und 2007/2013) steht.

Opfer von Verstößen gegen Wettbewerbsvorschriften haben Anspruch auf wirksamen und umfassenden Schadenersatz, mit dem die unrechtmäßige Bereicherung der Urheber dieser Verstöße verhindert wird. Dazu könnten folgende Mechanismen eingerichtet werden:

Verfahren zur Abschöpfung von unrechtmäßig erworbenen Vermögensvorteilen durch die Behörden. Die abgeschöpften unrechtmäßig erworbenen Mittel könnten für gemeinnützige Zwecke eingesetzt werden, die zuvor in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegt werden, wobei sie vor allem zur Finanzierung öffentlicher Maßnahmen zur Unterstützung der durch die Verstöße Geschädigten verwendet werden könnten. Handelt es sich dabei um nationale Maßnahmen, müssten diese den Anforderungen von Äquivalenz und Effektivität gemäß den vom EuGH festgelegten Kriterien genügen.

Festlegung von wirksamen, abschreckenden und angemessenen Zwangsmaßnahmen administrativer oder strafrechtlicher Natur bei Zuwiderhandlungen, die die Funktionsweise und Herstellung des Binnenmarktes beeinträchtigen. Die Definition der Unrechtmäßigkeit sollte sich auf Bereiche beziehen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, um eine möglichst wirksame Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Definition gemeinsamer Mindestkriterien für Straftaten zu gewährleisten (10). Laut Vertrag von Lissabon kann die EU Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festlegen, die eine grenzüberschreitende Dimension haben (Artikel 83 Absatz 1 AEUV).

Die Information über das Strafmaß wäre eine wirksame Maßnahme, wobei der Öffentlichkeit zugängliche Informationsquellen (z.B. Listen von Unternehmen, die Verstöße begangen haben) eingerichtet werden könnten. Das Strafmaß für wettbewerbswidrige Praktiken dient der Abschreckung gegenüber potenziellen Verstößen. Werden Strafen verhängt, dann erhalten die durch die Verstöße Geschädigten durch diese Informationen Kenntnis vom Ausmaß der Angelegenheit und wird die Öffentlichkeit für die Frage von Maßnahmen zum Schutz des Wettbewerbs sensibilisiert.

Es handelt sich in jedem Fall um ergänzende Maßnahmen zusätzlich zum Schadenersatz; letzterer ist bekanntlich nicht Gegenstand dieser Stellungnahme, sondern einer weiteren Stellungnahme zum „Weißbuch — Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“, die in Kürze vorgelegt werden soll.

4.2.3.1   Im Hinblick auf einen wirksamen Schadenersatz stellt sich die Frage, ob die nationalen Gerichte über die endgültige Verwendung der Verwaltungsbußgelder entscheiden sollten und ob diese Gelder gegebenenfalls in das Zivilverfahren zur Ermittlung der Entschädigung, die den Geschädigten zusteht, einbezogen werden sollten.

4.2.4   Die Frage, wie die Rechtsvorschriften über bestimmte Aspekte umfassend angeglichen werden können, ohne das in einigen Ländern vorhandene hohe Maß an Verbraucherschutz zu beeinträchtigen, bildet ein weiteres Ziel, das bei den rechtlichen Reformen, die Binnenmarktvorschriften betreffen, berücksichtigt werden sollte.

4.3   Beeinträchtigung von Grundrechten

4.3.1   Der Verstoß gegen Binnenmarktvorschriften beeinträchtigt eine Reihe von Grundrechten der Union, wie den Grundsatz der Gleichheit (Artikel 20 der Grundrechtecharta), das Eigentumsrecht (Artikel 17 dieser Charta), den Verbraucherschutz (Artikel 38) und den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (Artikel 36), den zu gewährleisten ebenfalls Aufgabe der Organe und Einrichtungen der Europäischen Union ist. Einige dieser Grundrechte — insbesondere der Gleichheitsgrundsatz und das Verbot der Ungleichbehandlung — haben zudem Eingang in das Wettbewerbsrecht gefunden und gelten als Leitprinzipien für das Verhalten aller Akteure des Wirtschaftsverkehrs sowohl gegenüber Mitbewerbern als auch gegenüber den Verbrauchern (11).

4.3.2   Das wirft folgende Fragen auf:

Sollte es im Hinblick auf die Verletzung dieser Rechte spezielle Schutzmechanismen geben?

Was könnte ein geeigneter Schutzmechanismus des Gemeinschaftsrechts sein?

Sollten diese Rechte der Verbraucher, Unternehmen und aller Personen, die aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit am Markt wirtschaftliche Rechte ableiten, das heißt auch der Arbeitnehmer, gemäß Artikel 17, 20 und 38 der Grundrechtecharta in positives Recht in Form von besonderen gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften umgesetzt werden?

4.3.3   Die Durchsetzung eines hohen Schutzniveaus könnte als Form der Geltendmachung und Gewährleistung der Grundrechte auf dem Markt angesehen werden; die Einführung eines besonderen Rechtswegs oder einheitlichen Verfahrens wäre dagegen mit größerem Verwaltungsaufwand verbunden. Der EWSA hält daher die Nutzung der schon bestehenden Instrumente für das angemessenere Mittel, wobei es die Klagelegitimation der Verbraucherverbände zu stärken gilt. Angestrebt und durch entsprechende Maßnahmen und über die geeigneten Kanäle gefördert werden sollte die Aufnahme von Bestimmungen zur ausdrücklichen Anerkennung der Rechte der Verbraucher und aller anderen Personen mit wirtschaftlichen Interessen — einschließlich Arbeitnehmer — und zur Anerkennung ihrer Klagelegitimation in die einschlägigen Rechtsvorschriften der EU und der Mitgliedstaaten, insbesondere in bestimmten Bereichen, wie Grundversorgung mit Waren und Dienstleistungen, Schutz des Wettbewerbs, unlautere Geschäftspraktiken. Auch dies trüge zur Aufklärung und Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger bei, welche nach Ansicht des Ausschusses von grundlegender Bedeutung sind.

4.4   Die Beteiligung der verschiedenen Marktteilnehmer

4.4.1   Im Vertrag von Lissabon (Artikel 15 AEUV) ist Folgendes festgelegt: Um eine verantwortungsvolle Verwaltung zu fördern und die Beteiligung der Zivilgesellschaft sicherzustellen, handeln die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit. Transparenz ist eine Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der Gemeinschaftspolitik durch die Bürgerinnen und Bürger.

Die Beteiligung muss durch die Einrichtung von Mechanismen für eine ungehinderte und effiziente Kommunikation zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden sowie den Verbraucherverbänden umgesetzt werden, um grenzüberschreitenden Zuwiderhandlungen durch entsprechende Maßnahmen schon an der Wurzel vorzubeugen. Dazu müssen Antworten auf folgende Fragen gefunden werden:

Mit welchen Maßnahmen lässt sich die Zusammenarbeit verbessern?

Wie könnte der präventive Charakter der Maßnahmen verstärkt werden?

Das Europäische Parlament hat angeregt (12), einen speziellen EU-Verbraucherschutzbeauftragten zu schaffen, und befürwortet die Ernennung von solchen Beauftragten für die Beziehungen zu den Verbrauchern in den Dienststellen der Kommission. Zu diesem Zweck sollte erwogen werden, ob ein EU-Verbraucherschutzbeauftragter als besonderes Gremium geschaffen wird oder ob nicht vielmehr die Zuständigkeiten des bereits bestehenden Europäischen Bürgerbeauftragten erweitert werden sollten. Nach einem rationalen Kriterium bei der Abwägung der Mittel, die zur Gewährleistung des hohen Verbraucherschutzniveaus in der Wettbewerbspolitik einzusetzen sind, und im Hinblick auf die Optimierung der bestehenden Instrumente würde es nach Ansicht des EWSA ausreichen, wenn in den besonders verbraucherschutzrelevanten Ressorts der Kommission ein Beauftragter für die Beziehungen zu den Verbrauchern (13) eingesetzt wird.

4.4.3   Möglicherweise ist auch eine Reform des Verwaltungsverfahrens bei der Kommission im Hinblick auf die Beantragung von Bußgeldverfahren erforderlich, wobei hier der Grundsatz der Vertraulichkeit voll gewahrt bleiben muss. Eine mögliche Lösung des Problems liegt in der Anwendung der Grundsätze von Artikel 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wonach der Zugang zu den betreffenden Akten, die Anhörung, die Verpflichtung zur Begründung von Entscheidungen und das Beschwerderecht gewährleistet sind.

4.4.4   Verbessert werden sollte das Feedback über die Mindestnormen für die Konsultation, indem jede Generaldirektion verpflichtet wird, eine Bewertung der Folgen der Konsultationen für alle Vorschläge vorzunehmen, die Gegenstand einer öffentlichen Konsultation sind, und nicht nur bei strategisch wichtigen Vorschlägen, wie der EWSA festgestellt hat (14). Ferner sollte die Kommission einige für alle Unionsbürger wichtige Fragen angehen, etwa bezüglich der bei öffentlichen Konsultationen verwendeten Sprachen, der Neutralität der gestellten Fragen und der Fristen für die Antworten.

4.4.5   Eine der im Rahmen der Debatte zu klärenden Fragen ist die nach der Rolle der Verbraucherverbände und der anderen repräsentativen Organisationen, nachdem ihre Aktivlegitimation in Schadenersatzverfahren akzeptiert wurde. Diese Frage muss durch ein geeignetes Rechtsinstrument und nach Abschluss des Prozesses der Diskussion über das genannte „Weißbuch — Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ gelöst werden.

4.4.6   Ein wesentlicher Aspekt ist, dass sich in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Bedeutung der Beteiligung und der notwendigen Einbindung der Bürger in die Wettbewerbspolitik herausbildet. Verbotene Wettbewerbspraktiken, wie Kartelle und Absprachen bestimmter Unternehmen, dürfen von den Bürgern nicht als unabänderliche oder nur auf höchster politischer oder wirtschaftlicher Ebene zu lösende Tatsachen hingenommen, sondern müssen als schwer gesellschaftsschädigendes Verhalten angesehen werden, das das Eigentumsrecht der Geschädigten gefährdet beziehungsweise verletzt. Daher muss die Frage diskutiert und gelöst werden, welche Maßnahmen für die Aufklärung und Bewusstseinsbildung der europäischen Verbraucher über die Folgen unrechtmäßiger Praktiken dieser Art besonders empfohlen werden können. Ein erster Schritt bestünde darin, die Tätigkeit des Netzes der Europäischen Verbraucherzentren in all ihren Formen zu unterstützen. Es müssen die Anstrengungen fortgesetzt werden, um zumindest in jeder größeren Stadt der einzelnen Mitgliedstaaten ein solches Verbraucherzentrum zu schaffen. Das Gleiche gilt für die Durchführung von allgemeinen oder sektorspezifischen Informationskampagnen, um die Bürgerinnen und Bürger in knapper und einfacher Form über ihre Rechte als Verbraucher aufzuklären und sie über die Zentren oder Einrichtungen zu informieren, an die sie sich mit Beschwerden oder der Bitte um Beratung wenden können.

4.5   Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

4.5.1   Die Rechtsgrundlage für ein Tätigwerden der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse findet sich in Artikel 14 AEUV und im Protokoll Nr. 26. Bei der Gewährleistung eines hohen Niveaus in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, die Gleichbehandlung, die Förderung des universellen Zugangs und die Nutzerrechte sollten folgende Fragen gestellt und beantwortet werden:

Wie sollten die regelmäßigen Bewertungen auf Gemeinschaftsebene erfolgen?

Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden bei Wettbewerbsverzerrungen in Sektoren, die vor kurzer Zeit liberalisiert wurden?

Wie kann erreicht werden, dass die Verbraucher von der Öffnung der Märkte profitieren?

4.5.2   Wegen der mangelnden Transparenz bei der Erbringung dieser Dienstleistungen und aufgrund der von Groß- und Privatkunden verlangten ungerechtfertigt hohen Preise ist es unbedingt notwendig, die hier genannten Fragen zu lösen.

4.6   Die Rolle der Wettbewerbspolitik im Binnenmarkt

4.6.1   Die Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlichen Wettbewerbsregeln fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union.

4.6.2   Die Wettbewerbspolitik soll sicherstellen, dass die Verbraucher im Hinblick auf Preis, Qualität und Vielfalt unter den besten Optionen auswählen können, insbesondere hinsichtlich grundlegender Güter und Dienstleistungen, wie Nahrungsmittel und Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Energie, Verkehr und Telekommunikation, wobei den Verbrauchern niedrigere Preise geboten werden sollen.

Die Markteffizienz muss jedoch durch das Ziel der Verbesserung der Lebensqualität und des Wohlergehens der Verbraucher ergänzt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die aktive Beteiligung der Verbraucher in den Rechtsvorschriften verankert und institutionalisiert werden, da die Verbraucher sonst zu passiven Subjekten des Wohlstandskonzepts werden.

4.6.3.1   Dazu muss der derzeitige Rechtsrahmen weiterentwickelt werden, und zwar durch eine Neuausrichtung bei der Auslegung der bestehenden Rechtsvorschriften oder durch neue Rechtsinstrumente für die Wettbewerbspolitik. Abschließend sollte erwogen werden, die derzeitigen rechtlichen Maßnahmen durch neue zu ergänzen oder zu ersetzen.

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Verwendet wird hier die Nummerierung der Artikel gemäß den Konsolidierten Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, veröffentlicht im ABl. C 115 vom 9.5.2008.

(2)  Angepasste Fassung der Charta der Grundrechte, verkündet am 12.12.2007 in Straßburg, veröffentlicht im ABl. C 303 vom 14.12.2007. Diese erneute Proklamation war notwendig, weil die Charta seit ihrer ersten Proklamation im Dezember 2000 auf dem Gipfeltreffen von Nizza um Erläuterungen und Fußnoten ergänzt worden war.

(3)  Vgl.: Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, veröffentlicht im ABl. C 31 vom 5.2.2004, S. 5.

(4)  Als Ausnahme kann die Richtlinie 2005/27/EG über unlautere Geschäftspraktiken angeführt werden.

(5)  ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 1.

(6)  ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 1.

(7)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1

(8)  KOM(2008) 165 endg., ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 1.

(9)  Europäischer Rat von Feira, 2000, Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

(10)  Siehe dazu den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (KOM(2007) 51 endg.) und die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen C-176/03 und C-440/05.

(11)  Siehe Artikel 101 Absatz 1 Buchstabe d) und Artikel 102 Buchstabe c) AEUV.

(12)  Bericht des Mitglieds des Europäischen Parlaments Lasse Lehtinen über die Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007-2013).

(13)  Laut Artikel 153 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union wird „Den Erfordernissen des Verbraucherschutzes […] bei der Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen Rechnung getragen“. Diese Verpflichtung obliegt allen Beamten der europäischen Institutionen. Die Funktion des Beauftragten für Verbraucherbeziehungen könnte dazu beitragen, die anderen Beamten zu sensibilisieren und an ihre Verpflichtung gegenüber den Bürgern in ihrer täglichen Arbeit zu erinnern.

(14)  Grünbuch — Europäische Transparenzinitiative — ABl. C 324 vom 30.12.2006.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/26


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Proaktives Recht: ein weiterer Schritt zu einer besseren Rechtsetzung auf EU-Ebene“

(2009/C 175/05)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Proaktives Recht: ein weiterer Schritt zu einer besseren Rechtsetzung auf EU-Ebene“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. November 2008 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 155 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Diese Stellungnahme basiert auf der grundsätzlichen Annahme, dass das Verhalten, das eine bestimmte Gesellschaft toleriert und als Voraussetzung für soziale Ordnung einfordert, nicht aus der von Rechtsexperten konzipierten Gesetzgebung hervorgeht, sondern vielmehr aus dem Recht an sich; das Recht besteht nicht aus formalen Konzepten, die ewig Bestand haben und in Stein gemeißelt sind, sondern aus — schriftlichen oder nicht schriftlich fixierten — Regeln und Grundsätzen, die die legitimen kollektiven Interessen jedes einzelnen Bürgers zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte widerspiegeln.

1.2   In einem jeden Rechtssystem ist es von jeher Aufgabe des Gesetzgebers, die kollektiven Interessen der Gesellschaft zu deuten, gegebenenfalls in Form von Rechtsvorschriften festzulegen, was als rechtmäßiges Verhalten anzusehen ist, und Abweichungen von diesem Verhalten mit Sanktionen zu belegen. Es ist seit langem gemeinhin anerkannt, dass auf diese Weise konzipierte Rechtsnormen nicht nur fair und gerecht, sondern auch verständlich, zugänglich, tolerierbar und durchsetzbar sein sollten. In der heutigen Gesellschaft ist das jedoch nicht mehr genug.

1.3   Nur allzu lange war der Blick in rechtlichen Belangen vor allem in die Vergangenheit gerichtet. Gesetzgeber und Gerichte schritten ein, wenn Defizite zu verzeichnen waren, Streitfälle auftraten, Fristen überschritten und Rechtsvorschriften nicht eingehalten wurden, und bemühten sich um Lösungen und Abhilfe. Doch Streitigkeiten, Gerichtsverfahren und Rechtsschutzinstrumente, die darauf abzielen, die Einhaltung der Rechtsvorschriften zu erzwingen, sind zu kostspielig. Diese Kosten können nicht allein in Geld bemessen werden.

1.4   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert nachdrücklich einen Paradigmenwechsel. Die Zeit ist reif, das jahrhundertealte reaktive Rechtskonzept aufzugeben und einen proaktiven Ansatz zu verfolgen. Es ist an der Zeit, das Recht auf andere Weise zu betrachten, nämlich vielmehr nach vorn als zurück zu blicken, sich auf die Frage zu konzentrieren, wie das Recht im Alltag zur Anwendung kommt und funktioniert und wie es von der Gemeinschaft, deren Leben es regeln soll, aufgenommen wird. Zwar ist es nach wie vor wichtig, auf Probleme zu reagieren und diese zu lösen, doch ist die Verhütung der Ursachen von Problemen von ebenso zentraler Bedeutung wie die Bemühungen, den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen gerecht zu werden und eine fruchtbare Interaktion zwischen ihnen zu fördern.

1.5   Proaktives Recht heißt, dass die Rechtssubjekte — Einzelpersonen und Unternehmen — zu eigenverantwortlichem Handeln ermächtigt werden, dass dieses Recht also für sie und von und mit ihnen geschaffen wird; es geht um die Vision einer Gesellschaft, in der sich die Einzelpersonen und Unternehmen ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten bewusst sind, mögliche Rechtsvorteile nutzen können und ihre rechtlichen Pflichten kennen, so dass Probleme möglichst gar nicht erst entstehen und unvermeidliche Streitigkeiten in einem frühen Stadium mit den am besten geeigneten Methoden beigelegt werden können.

1.6   Mit dem proaktiven Recht wird zur Erreichung der gewünschten Ziele auf eine Kombination verschiedener Methoden gesetzt: Es stehen nicht nur Rechtvorschriften und deren formale Durchsetzung im Mittelpunkt. Um die gewünschten Ziele festlegen zu können und zu gewährleisten, dass im Hinblick auf ihre Verwirklichung eine optimale Kombination von Mitteln gewählt wird, müssen die betroffenen Akteure in einer frühen Phase eingebunden, einzelne Ziele auf einen Nenner gebracht, eine gemeinsame Vision geschaffen und von Anfang an Unterstützung und Anleitung für eine erfolgreiche Umsetzung bereitgestellt werden. Der EWSA ist der Überzeugung, dass die neue Denkweise, für die der proaktive Ansatz steht, in der Regel gleichermaßen auf das Recht und die Rechtsetzung anwendbar ist.

1.7   Aufgrund seiner eigenen Art gehört das Rechtssystem der Gemeinschaft genau zu jenen Bereichen, in denen die Planung, Konzipierung und Umsetzung von Rechtsvorschriften nach dem proaktiven Ansatz erfolgen sollte; vor diesem Hintergrund räumt der EWSA ein, dass Vorschriften und Regelungen nicht immer der einzige, geschweige denn stets der beste Weg zur Erreichung der gewünschten Ziele sind; zuweilen kann die Regelungsinstanz wertvolle Zielsetzungen am besten unterstützen, indem sie eben nicht regulierend eingreift und gegebenenfalls zur Selbstregulierung und Koregulierung anregt. Wenn dies der Fall ist, erlangen die zentralen Grundsätze der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit, der Vorsorge und der Nachhaltigkeit eine neue Bedeutung und Tragweite.

1.8   Der EWSA ist der Ansicht, dass der Binnenmarkt in großem Maße profitieren kann, wenn das EU-Recht und diejenigen, die es konzipieren — Akteure der Rechtsetzung und Verwaltung im weitesten Sinne — ihre Sichtweise ändern und ihren Blick nicht mehr nur nach innen, d.h. auf das Rechtssystem, seine Vorschriften und Organe, richten, sondern nach außen, nämlich auf die Gesellschaft, die Bürger und Unternehmen, denen das Rechtssystem dienen soll.

1.9   Zwar sind die Umsetzung und Durchsetzung der Rechtsvorschriften wichtige Schritte in Richtung einer besseren Rechtsetzung auf EU-Ebene, doch sollte der Erfolg der Regulierungsbemühungen daran gemessen werden, inwiefern die Ziele auf Ebene der Rechtsadressaten, nämlich der Bürger und Unternehmen in der EU, erreicht werden. Die Rechtsvorschriften sollten auf Sinn erklärende Weise vermittelt werden, damit sie für die betreffende Zielgruppe verständlich sind, d.h. in erster Linie für diejenigen Adressaten, deren Handeln durch sie beeinflusst wird, und nicht nur für die einschlägigen Institutionen und Verwaltungsstellen.

1.10   Das proaktive Rechtskonzept sollte bei allen Prozessen der Rechtsetzung und der Durchführung des Rechts in der EU systematisch berücksichtigt werden und zur Anwendung kommen. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass ein solides rechtliches Fundament für eine positive Entwicklung des Einzelnen und der Unternehmen geschaffen werden kann, wenn dieser Ansatz nicht nur in die Bemühungen um eine bessere Rechtsetzung einfließt, sondern auch zu einem vorrangigen Anliegen der Rechtsetzungs- und Verwaltungsinstanzen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene gemacht wird.

2.   Empfehlungen

2.1   Rechtssicherheit gehört zu den Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Gesellschaft. Die Rechtsadressaten müssen das Recht kennen und verstehen, um ihm Geltung verschaffen zu können. In diesem Zusammenhang verweist der EWSA auf das Konzept eines proaktiven Rechts. Dieser Ansatz ist zukunftsorientiert und darauf ausgerichtet, Erstrebenswertes zu fördern und die Möglichkeiten im Vorfeld (ex ante) zu maximieren, wohingegen Probleme und Gefahren möglichst gering gehalten werden sollen.

2.2   Mit dieser Initiativstellungnahme betont der EWSA, dass die „bessere Rechtsetzung“ in Richtung einer optimalen Kombination von Regulierungsinstrumenten gelenkt werden sollte, mit denen gesellschaftliche Ziele sowie ein gut funktionierendes, bürger- und unternehmensfreundliches Rechtsumfeld so gut wie möglich gefördert werden können.

2.3   Es ist Sinn und Zweck dieser Stellungnahme, zu zeigen, dass das Konzept des proaktiven Rechts eine bessere Rechtsetzung fördern kann, weil es einer neuen Denkweise folgt: einer Denkweise, deren Ausgangspunkt die alltäglichen Bedürfnisse und Bestrebungen der Bürger und Unternehmen sind.

2.4   Die Rechtsetzungsinstanzen sollten sich bemühen, praxistaugliche, effiziente Rechtsnormen zu erarbeiten, in denen auf die im Alltagsleben bestehenden Bedürfnisse eingegangen wird und die dergestalt umgesetzt werden, dass ihr eigentlicher Zweck erreicht wird.

2.5   Der Lebenszyklus eines Rechtsakts beginnt weder mit der Abfassung des Entwurfs, noch endet er mit seiner Verabschiedung. Nicht der Rechtsakt ist das Ziel, sondern seine erfolgreiche Durchführung. Analog dazu bedeutet „Durchführung“ nicht nur Durchsetzung mithilfe von Institutionen, sondern Annahme und Akzeptanz und im Bedarfsfall auch eine Änderung im Verhalten der Zielgruppen (Bürger oder Unternehmen).

2.6   Einige Konsequenzen dieses Ansatzes, auch praktische, lassen sich schon jetzt antizipieren:

die aktive und effektive Beteiligung, also nicht nur Anhörung, der Interessenträger vor und während der Erarbeitung von Rechtsvorschlägen und im gesamten Verlauf des Beschlussfassungsprozesses,

in den Folgenabschätzungen wären nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und ethische Aspekte zu berücksichtigen; nicht nur die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, sondern auch die Verbraucher; nicht nur die Standpunkte der organisierten Zivilgesellschaft, sondern auch die Stimme des anonymen Bürgers,

es würden nicht mögliche Probleme antizipiert, sondern vorausschauend geeignete Lösungen geplant; die Rechtsetzungsinstanzen würden sich ihre Befugnisse zunutze machen, um mithilfe des Rechts Ziele zu erreichen und durchzusetzen und in dem jeweiligen kulturellen Umfeld Rechte und Freiheiten zu verwirklichen,

die Rechtsvorschriften würden so klar und adressatennah wie möglich konzipiert und in einer leicht verständlichen, unkomplizierten Sprache formuliert,

überflüssige, uneinheitliche, überholte und nicht durchführbare Rechtsvorschriften würden abgeschafft und die Lektüre von Begriffen, Definitionen, Beschreibungen, Begrenzungen und Auslegungen würde innerhalb eines gemeinsamen Rahmens vereinheitlicht,

die Bemühungen würden darauf abzielen, neue Bereiche der Vertragsfreiheit zu erschließen, mehr Raum für die Ko- und Selbstregulierung zu schaffen und Felder zu eröffnen, in denen auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene bestimmte Normen und Verhaltenskodizes zum Tragen kommen könnten,

es würde nicht mehr eine bis ins letzte Detail gehende, unnötige Vollharmonisierung, sondern eher der Erlass von „Modellrechtsvorschriften“ (28. Regime) ins Auge gefasst.

2.7   Anstöße für eine solche Vorgehensweise könnten sich aus Forschungsprojekten und einem Dialog mit den Interessenträgern über die konkrete Rolle des proaktiven Rechtskonzepts im Laufe des gesamten Lebenszyklus der Rechtsvorschriften und auf allen Rechtsetzungsebenen ergeben.

2.8   Daher empfiehlt der EWSA der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament, diesem proaktiven Ansatz bei der Planung, Konzipierung, Überarbeitung und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts zu folgen und die Mitgliedstaaten — sofern angebracht — ebenfalls dazu anzuhalten.

3.   Einleitung: Rechtstheoretische Grundlagen

3.1   Im Bereich der Rechtsnormen oder, anders gesagt, „dessen, was sein soll“ sind „rechtliche“ Bestimmungen im Gegensatz zu moralischen oder ästhetischen Regeln durch ihre Erzwingbarkeit gekennzeichnet: die Möglichkeit, die Einhaltung des Rechts vor Gericht durchzusetzen und einen Rechtsbruch zu bestrafen. Ein typisches Merkmal des „ius cogens“, also des zwingenden Rechts, besteht darin, dass — in der Regel im Rahmen eines Gerichtsverfahrens — Zwangsmaßnahmen zur Rechtsdurchsetzung ergriffen werden können bzw. im Falle eines Verstoßes eine Strafe verhängt werden kann.

3.2   Das Kernstück „dessen, was sein soll“, bildet aber die grundsätzliche Annahme, dass die Einhaltung von Rechtsvorschriften in der Regel freiwillig erfolgt und nur in Ausnahmefällen, als „ultima ratio“, Klage vor einem Gericht erhoben wird. Ohne die freiwillige Bereitschaft des überwiegenden Teils der Allgemeinheit, den Pflichten nachzukommen, die ihr durch die Rechtsnormen auferlegt werden, wäre die Wirksamkeit dieser Normen aufs schwerste beeinträchtigt.

3.3   Somit ist es Aufgabe der Rechtsetzungsinstanzen, Rechtsvorschriften zu erlassen, die von den Menschen im Großen und Ganzen freiwillig befolgt und aus eigenem Antrieb eingehalten werden. In der Tat ist dies die Grundvoraussetzung für die Achtung der Rechte aller und die Basis für das Zusammenleben innerhalb der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund erhalten Forderungen nach „guter“ bzw. „besserer Rechtsetzung“ (1) eine ganz besondere Bedeutung und haben weit reichende Konsequenzen für die Auslegung, Vereinheitlichung und Anwendung von Rechtsakten.

3.4   Dies bedeutet, dass das Recht nicht nur fair und „gerecht“ (2) sein muss, sondern darüber hinaus folgenden Anforderungen genügen muss:

Verständlichkeit;

Zugänglichkeit;

Annehmbarkeit (3) und

Durchsetzbarkeit.

Tendenziell werden Rechtsakte, die diese Kriterien nicht erfüllen, von denen, für die sie eigentlich gelten sollten, abgelehnt und von denen, die für ihre Einhaltung zu sorgen hätten, nicht durchgesetzt, so dass sie außer Gebrauch kommen, weil die Justizorgane nicht in der Lage sind, sie wirksam anzuwenden.

3.5   Die vorstehend beschriebene Problematik ist zwar auch für die innerstaatlichen Rechtsordnungen relevant, noch viel größere Bedeutung kommt ihr aber in einem Rechtssystem wie jenem der Europäischen Union zu, in dem die beiden „Hälften“ dessen, was Rechtsstaatlichkeit ausmacht, zumeist voneinander getrennt sind: Die der Rechtsetzung innewohnende „Verpflichtung“ ist eine Zuständigkeit der Gemeinschaft, während die Anwendung des Rechts und die damit einhergehende Verhängung von Sanktionen in der Regel auf die Befugnis der einzelstaatlichen Justizorgane zum Einsatz von Zwangsmitteln gestützt ist.

3.6   Dies erklärt vielleicht auch, warum der in allen Mitgliedstaaten erhobenen Forderung nach „besserer Rechtsetzung“, die in keiner Hinsicht neu ist, von den EU-Institutionen in jüngster Zeit besondere Bedeutung beigemessen wird.

3.7   Ein gut funktionierendes, bürger- und unternehmensfreundliches rechtliches Umfeld muss auf den drei Säulen Berechenbarkeit, Nachhaltigkeit und Vorhersehbarkeit ruhen. Alle Akteure brauchen ein vernünftiges Maß an Rechtssicherheit, um Ziele stecken, Vorhaben durchführen und berechenbare Ergebnisse erzielen zu können. Die Rechtsetzungsinstanzen im weitesten Sinne sollten es sich beim Erlass der jeweils notwendigen rechtlichen Regelungen zur Aufgabe machen, diese Sicherheit zu schaffen und eine solide rechtliche Infrastruktur aufzubauen.

3.8   Dies ist der Hintergrund für die vorliegende Initiativstellungnahme, in der ein innovativer, auf die „Nordic School of Proactive Law“ und ihre Vorgänger (4) zurückgehender Ansatz zur Rechtsetzung aufgezeigt und untersucht werden soll, inwiefern so ein weiterer Schritt in Richtung einer „besseren Rechtsetzung“ auf EU-Ebene möglich wäre. Besondere Berücksichtigung verdienen die zahlreichen Stellungnahmen des Ausschusses zu diesem Thema, die bereits eine sehr umfangreiche Sammlung von Lehrmeinungen darstellen und als „Besitzstand“ in dieser Stellungnahme erwähnt und zur Lektüre empfohlen werden.

4.   Ausblick auf eine bessere Normgebung, Durchführung und Durchsetzung von EU-Recht

4.1   Das Konzept der besseren Rechtsetzung, bei dem der Gesichtspunkt der Rechtsadressaten im Vordergrund steht (5), beruht auf einer Reihe von Prinzipien, denen in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung beigemessen wird, nämlich Konsultation im Vorfeld des Rechtsetzungsverfahrens, Bekämpfung inflationärer Rechtsetzungspraktiken, Beseitigung obsoleter Rechtsvorschriften bzw. Zurückziehung überholter Vorschläge für Rechtsakte, Bürokratieabbau und Senkung der Verwaltungskosten, Vereinfachung des gemeinschaftlichen Besitzstandes, bessere Konzipierung von Rechtsvorschlägen einschließlich Folgenabschätzungen ex ante und ex post, Beschränkung der Rechtsvorschriften auf das Wesentliche, Konzentration auf die Ziele und die Tragfähigkeit der Rechtsnormen bei gleichzeitiger Sicherstellung von Flexibilität.

4.2   Die Europäische Kommission (6), das Europäische Parlament (7) und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (8) setzen sich seit langem dafür ein, dass Bessere Rechtsetzung, Rechtsvereinfachung und Kommunikation zu Kernzielen im Rahmen der angestrebten Vollendung des Binnenmarktes gemacht werden. Als eines der ersten Dokumente zu diesem Thema sollte der Molitor-Bericht aus dem Jahr 1995 unbedingt genannt werden, der 18 immer noch aktuelle Empfehlungen enthält (9).

4.3   Bessere Rechtsetzung bedeutet auch, die Wahrung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität zu gewährleisten, wobei auch die interessierten Kreise in die Erarbeitung der Rechtsnormen eingebunden werden können, und zwar im Rahmen einer Selbst- und Ko-Regulierung, die von den Rechtsetzungsinstanzen genau zu beaufsichtigen ist, wie es in der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ aus dem Jahr 2003 (10) festgelegt und in den Jahresberichten der Kommission weiter ausgeführt wurde.

4.4   Bessere Rechtsetzung ist nicht zwangsläufig mit weniger Rechtsetzung oder Deregulierung gleichzusetzen (11), und in der Tat ist Rechtssicherheit eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes (12).

4.5   Die Binnenmarktbeobachtungsstelle (BBS) des EWSA beschäftigt sich seit dem Jahr 2000 schwerpunktmäßig mit Initiativen der Interessenträger, die darauf abzielen, bereits in einem frühen Stadium des Rechtsetzungsprozesses eine aus der Perspektive der Zivilgesellschaft als besser zu bezeichnende Normgebung zu gewährleisten. Als institutionelles Forum, in dem die organisierte Zivilgesellschaft ihre Anliegen artikulieren kann, hat der EWSA der Kommission in den vergangenen Jahren durch die Erarbeitung einer Reihe von Stellungnahmen zu Themen in Verbindung mit der „besseren Rechtsetzung“ beratend zur Seite gestanden (13), wobei er sich jeweils genau an das Arbeitsprogramm der Kommission hielt.

4.6   Darüber hinaus hat die Binnenmarktbeobachtungsstelle in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission eine Datenbank zum Thema Selbst- und Koregulierung in der EU erstellt (14). Auf der Basis der über Selbstregulierungsinitiativen gesammelten Daten will die BBS jetzt Modelle erstellen (Effizienzindikatoren, Leitlinien für Überwachung und Durchsetzung u.a.) und mit Hochschulen, Denkfabriken, Interessenträgern und Institutionen ein Selbst- und Koregulierungscluster bilden.

5.   Ein wenig Prävention: der proaktive Ansatz

5.1   Von jeher konzentrieren sich rechtstheoretische Betrachtungen auf die Vergangenheit. In der rechtswissenschaftlichen Forschung wurden und werden hauptsächlich Fälle von Versagen untersucht — Mängel, Verzögerungen, Fälle von Nichterfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen.

5.2   Beim proaktiven Ansatz liegt der Schwerpunkt woanders, nämlich auf der Zukunft. Ein proaktives Vorgehen ist das Gegenteil von passivem Verhalten oder Reagieren. Das Konzept mit der Bezeichnung Proactive Law („proaktives Recht“) wurde in den Neunziger Jahren in Finnland aus der Taufe gehoben, und da die Notwendigkeit bestand, die Rechtstheorien und praktischen Methoden in diesem neu entstehenden Bereich weiter zu entwickeln, wurde 2004 die Nordic School of Proactive Law (NSPL  (15) ) gegründet.

5.3   Mit dem Wort proaktiv verbinden sich Begriffe wie vorausschauend handeln, eine Situation beherrschen, die Initiative ergreifen (16). Diese Elemente gehören zum Konzept des proaktiven Rechts, bei dem noch zwei weitere Aspekte der Proaktivität unterschieden werden: die Dimension des Vorantreibens (das Wünschenswerte vorantreiben, richtiges Verhalten fördern) und die Dimension des Verhinderns (das Unerwünschte verhindern; dafür sorgen, dass rechtliche Risiken nicht eintreten).

5.4   Das Konzept des proaktiven Rechts hat mehr den Erfolg als das Versagen im Blick. In seinem Mittelpunkt steht das Ergreifen von Initiativen, mit denen erfolgstragende Faktoren gefördert und gestärkt werden können. Die Ursprünge des proaktiven Rechts liegen im Proactive Contracting  (17). Es ging zunächst darum, einen Rahmen zu schaffen, durch den das Prinzip der rechtlichen Vorsorge in das konkrete Tagesgeschäft mit aufgenommen wird und vorbildliche Praktiken im vertraglichen und rechtlichen Bereich mit beispielhaften Projekt-, Qualitäts- und Risikomanagementverfahren verbunden werden.

5.5   Obwohl das proaktive Recht sich in nicht unerheblichem Maße aus dem vorbeugenden Recht (Preventive Law)  (18) ableitet, beruht letzteres hauptsächlich auf der Betrachtungsweise der Anwälte und konzentriert sich auf die Vorbeugung gegen rechtliche Risiken und Streitigkeiten. Beim proaktiven Recht liegt der Akzent auf der Gewährleistung des Erfolgs und den Wegen zur Erreichung des erwünschten Ergebnisses in einer bestimmten Situation. In Analogie zur Gesundheitsfürsorge und Präventivmedizin kann das proaktive Recht als eine Kombination aus Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention bezeichnet werden: Es geht nämlich darum, die „rechtliche Gesundheit“ von Einzelpersonen und Unternehmen zu erhalten und ihnen „Krankheiten“ wie Rechtsunsicherheit, Streitigkeiten und Prozesse zu ersparen.

6.   Beitrag des proaktiven Ansatzes zu einer weiteren Verbesserung der Rechtsetzung, Durchführung und Umsetzung von EU-Rechtsakten

6.1   Eines der grundlegenden Ziele der Europäischen Union ist die Schaffung eines binnengrenzenfreien Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für ihre Bürger — eines Raumes, dessen Stützpfeiler Transparenz und demokratische Kontrolle sind. Recht und Gerechtigkeit entstehen aber nicht von selbst, nur weil die Bürger und Unternehmen vor Gericht gehen können und Schaden geheilt werden muss. Vonnöten ist ein tragfähiges rechtliches Fundament, auf dem die Bürger und Unternehmen ihren Erfolg aufbauen können.

6.2   Einzelpersonen und Unternehmen erwarten von den Rechtsetzungsinstanzen ein erhebliches Maß an Rechtssicherheit, Transparenz und Kohärenz als Grundlage für die Festsetzung ihrer Ziele, die Durchführung ihrer Pläne und die Erreichung berechenbarer Ergebnisse.

6.3   Die Rechtsetzungsinstanzen sollten sich angesprochen fühlen, wenn Einzelpersonen oder Unternehmen nicht ausreichend genug informiert sind, um zu wissen, wann eine Rechtsvorschrift für sie gilt, so dass sie auf Wunsch mehr über ihre rechtliche Stellung in Erfahrung bringen können bzw. in bestimmten Fällen Rechtsstreitigkeiten vermeiden oder durch den Einsatz der am besten geeigneten Verfahren lösen können (19). Aus Erfahrungswerten und Forschungsarbeiten ist heute bekannt, dass die einzelnen Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen, insbesondere die Verbraucher und KMU, nicht immer hinreichend informiert sind.

6.4   In der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung haben das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission gemeinsam einige Selbstverpflichtungen und Ziele niedergelegt, um die Qualität der Rechtsvorschriften zu verbessern, d.h. bei der Abfassung von Rechtstexten für eine einfache, klare Sprache und Gliederung sowie eine schlüssige Darstellung zu sorgen und den Rechtsetzungsprozess transparent zu gestalten.

6.5   Selbstverständlich kann eine bessere Rechtsetzung nicht allein dadurch zustande kommen, dass sich die Unterzeichnerorgane an ihre eigenen Vorgaben halten (20). Auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten und der Regionen müssen Vereinfachungs- und andere Programme entwickelt oder, wenn es sie schon gibt, mit mehr Nachdruck durchgeführt werden. Es bedarf koordinierter Anstrengungen, in die die für den Vollzug des EU-Rechts zuständigen nationalen, regionalen und kommunalen Behörden sowie die Rechtsadressaten einbezogen werden müssen (21).

6.6   Die Europäische Union hat bereits Schritte in Richtung eines proaktiven Ansatzes unternommen. In diesem Zusammenhang wertet der EWSA folgende Maßnahmen und Initiativen als positiv:

die Beschlüsse über die Errichtung eines Binnenmarkts und, in der Folge, die Einführung einer gemeinsamen Währung;

die Möglichkeiten der Sozialpartner, gemäß Vertrag Verhandlungen über die Rechtsgestaltung im Sozialbereich zu führen;

die Mitteilung der Kommission — Vorfahrt für KMU in Europa: Der „Small Business Act“ (SBA) für Europa (KOM(2008) 394 endg. vom 25.6.2008) mit dem Anhang zum Austausch bewährter Verfahren in der KMU-Politik (22);

die Orientierung an Beispielen bewährter Verfahren aus den Mitgliedstaaten und an den im Rahmen der Europäischen Charta für Kleinunternehmen gesammelten Beispielen bei der Umsetzung des „Small Business Act“ (SBA) (23);

die Verleihung der European Enterprise Awards (Europäischer Preis für die Förderung des Unternehmergeistes) zur Anerkennung besonderer Leistungen bei der Förderung der unternehmerischen Dynamik in den Regionen;

die überarbeiteten Leitlinien für die Folgenabschätzung der Kommission;

das Online-Netzwerk zur Problemlösung SOLVIT;

den Online-Hilfsdienst im Bereich des geistigen Eigentumsrechts (IPR Helpdesk Service);

das Engagement der Kommission für die Entwicklung europäischer Normen;

das Internetportal und die Datenbank des EWSA zum Thema Ko- und Selbstregulierung.

6.7   Bislang erscheinen diese Maßnahmen und Initiativen aber etwas uneinheitlich, und es werden augenscheinlich weder weitergehende Studien durchgeführt noch Erfahrungswerte branchen-übergreifend genutzt. Es wäre zweckdienlich, die Ergebnisse der bisherigen Schritte zu analysieren und deren Relevanz, Auswirkungen und Wert für andere Bereiche zu untersuchen. Der EWSA empfiehlt, diese Initiativen genau zu verfolgen und sie dafür zu nutzen, bewährte Verfahrensweisen zu würdigen und auszutauschen.

6.8   Hingegen veranschaulichen einige jüngere Beispiele unnötiger Probleme und Schwierigkeiten, dass ein proaktiver Ansatz vonnöten ist:

die Richtlinie 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (die sog. „Bolkestein-Richtlinie“) (24);

die Richtlinie 2005/29/EG vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken (25);

die Richtlinie 2008/48/EG vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge (26), obwohl sie bei fast allen relevanten Interessenträgern bereits allgemein umstritten war (27);

das gesamte Rechtsetzungspaket zum „Verbraucherschutz-Acquis“ (28), das gemeinhin weder als richtig konzipiert noch als gut umgesetzt und korrekt durchgeführt angesehen wird (29);

das Projekt des gemeinsamen Bezugsrahmens (common frame of reference — CFR), der dem vernünftigen Ziel dienen sollte, die Rechtsvorschriften zum Vertragsrecht zu vereinfachen, jedoch als Mammutwerk von rund 800 Seiten endete (allein der „allgemeine Teil“!) (30);

der jüngst veröffentlichte Richtlinienvorschlag zur Einwanderungspolitik (31);

die Fehlereingeständnisse in den Bereichen Finanzdienstleistungen für Privatkunden und insbesondere Überschuldung (32);

der zunehmende Umsetzungsrückstand in den Mitgliedstaaten, den selbst die Kommission anerkennt (33).

6.9   Es ist Sinn und Zweck dieser Stellungnahme, zu zeigen, dass das Konzept des proaktiven Rechts eine bessere Rechtsetzung fördern kann, weil es einer neuen Denkweise folgt: einer Denkweise, deren Ausgangspunkt eher die alltäglichen Bedürfnisse und Bestrebungen der Bürger und Unternehmen sind als die Rechtsinstrumente und die Art und Weise, wie sie einzusetzen sind.

6.10   Die Rechtsetzungsinstanzen sollten sich also bemühen, praxistaugliche, effiziente Rechtsnormen zu erarbeiten, in denen auf die im Alltagsleben bestehenden Bedürfnisse eingegangen wird und die dergestalt umgesetzt werden, dass ihr eigentlicher Zweck erreicht wird. Diese Normen sollten den Rechtsadressaten auf Sinn erklärende Weise vermittelt werden, damit sie von diesen verstanden und mitgetragen werden können.

6.11   Der Lebenszyklus eines Rechtsakts beginnt weder mit der Abfassung des Entwurfs noch endet er mit seiner Verabschiedung. Nicht der Rechtsakt ist das Ziel, sondern seine erfolgreiche Durchführung. Analog dazu bedeutet „Durchführung“ nicht nur Durchsetzung mithilfe von Institutionen, sondern Annahme und Akzeptanz und im Bedarfsfall auch eine Änderung im Verhalten der Zielgruppen (Bürger oder Unternehmen). Die Forschung weist diesbezüglich darauf hin, dass mit dem Grad der Beteiligung der Betroffenen an der Aushandlung von Regelungen, die dann in europäische Rechtsakte einfließen, der Erfolg ihrer Umsetzung zunimmt.

Einige Konsequenzen dieses Ansatzes, auch praktische, die sich für den Beschlussfassungsprozess der EU im Hinblick auf Rechtsetzung, Durchführung und Durchsetzung ergeben, lassen sich schon jetzt antizipieren.

6.12.1   Hier wäre zunächst die aktive und effektive Beteiligung, also nicht nur Anhörung, der Interessenträger vor und während der Erarbeitung von Rechtsvorschlägen und im gesamten Verlauf des Beschlussfassungsprozesses zu nennen. Zum Ausgangspunkt würden somit die im praktischen Leben bestehenden Probleme und ihre Lösungen genommen, und der Entscheidungsprozess wäre ein ständiger Dialog- und Lernprozess, bei dem alle Beteiligten bestimmte Ziele vor Augen haben (34).

6.12.2   Zweitens wären in den Folgenabschätzungen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und ethische Aspekte zu berücksichtigen; nicht nur die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, sondern auch die Verbraucher als Endadressaten rechtlicher Maßnahmen und Initiativen; nicht nur die Standpunkte der organisierten Zivilgesellschaft, sondern auch die Stimme des anonymen Bürgers (35).

6.12.3   Drittens würden nicht mögliche Probleme antizipiert, sondern vorausschauend geeignete Lösungen geplant; anstatt sich auf eine formaljuristische Logik zu konzentrieren, würden sich die Rechtsetzungsinstanzen ihre Befugnisse zunutze machen, um mithilfe des Rechts Ziele zu erreichen und durchzusetzen und in dem jeweiligen kulturellen Umfeld Rechte und Freiheiten zu verwirklichen (36).

6.12.4   Dazu würde ferner gehören, dass die Rechtsvorschriften so klar und adressatennah wie möglich konzipiert und in einer leicht verständlichen, unkomplizierten Sprache formuliert würden, ihr Inhalt in angemessener Weise vermittelt und ihre Durchführung und Durchsetzung in allen Phasen begleitet und gesteuert würde.

6.12.5   Außerdem würden überflüssige, uneinheitliche, überholte und nicht durchführbare Rechtsvorschriften abgeschafft und die Lektüre von Begriffen, Definitionen, Beschreibungen, Begrenzungen und Auslegungen innerhalb eines gemeinsamen Rahmens vereinheitlicht (37). Wichtig ist auch, der Prägung neuer Begriffe bzw. eines undurchsichtigen „Eurojargons“ Einhalt zu gebieten, der weite Verbreitung gefunden hat, obwohl die wenigsten die tatsächliche Bedeutung der Begriffe kennen.

6.12.6   Darüber hinaus würden sich die Bemühungen darauf richten, neue Bereiche der Vertragsfreiheit zu erschließen, mehr Raum für die Ko- und Selbstregulierung zu schaffen und Felder zu eröffnen, in denen auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene bestimmte Normen und Verhaltenskodices zum Tragen kommen könnten (38); ferner würden rechtliche Hindernisse, die diesen möglicherweise im Weg stehen, aufgedeckt und abgebaut.

6.12.7   Schließlich würde nicht mehr eine bis ins letzte Detail gehende, unnötige Vollharmonisierung ins Auge gefasst, sondern eher der Erlass von „Modellrechtsvorschriften“ (28. Regime), wobei erheblicher und angemessener Spielraum für Ko- und Selbstregulierung bliebe, wo immer dies angezeigt wäre.

6.13   Anstöße für eine solche Vorgehensweise könnten sich aus Forschungsprojekten und einem Dialog mit den Interessenträgern über die konkrete Rolle des proaktiven Rechtskonzepts im Laufe des gesamten Lebenszyklus der Rechtsvorschriften und auf allen Rechtsetzungsebenen ergeben. Erste Schritte könnten beispielsweise Diskussionsforen oder Seminare unter Beteiligung von Hochschulen, Denkfabriken, Interessenträgern und Institutionen sein, um einen Rahmen und einen Aktionsplan für weitere Initiativen zu schaffen; Ziel dieser Bemühungen wäre es, zu erreichen, dass der proaktive Ansatz — ebenso wie derzeit das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit — stets in allen Instanzen berücksichtigt wird. Die Binnenmarktbeobachtungsstelle (BBS) des EWSA könnte eine geeignete Plattform für weitere Debatten zum proaktiven Recht sein, da die Verbesserung der Rechtsetzung einen eindeutigen Schwerpunkt ihrer Arbeit bildet.

Brüssel, den 3. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Was „bessere Rechtsetzung“ für die EU-Institutionen bedeutet, ist in der EWSA-Stellungnahme zum Thema Bessere Rechtsetzung (CESE, ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 39; Berichterstatter: Herr RETUREAU) nachzulesen. Zum „rechtlichen“ Inhalt dieses Begriffs siehe die Interinstitutionelle Vereinbarung aus dem Jahr 2003 (ABl. C 321 vom 31.12.2003).

(2)  Was immer dies im Lichte der in einer bestimmten Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschenden Werte bedeuten mag. Der Widerspruch zwischen dem „in Vorschriften gegossenen“ und dem „gerechten“ Recht wird in zahlreichen griechischen Tragödien thematisiert.

(3)  Damit Rechtsvorschriften annehmbar sind, müssen sie in erster Linie „sachdienlich und verhältnismäßig“ sein (vgl. die Ergänzende Stellungnahme des EWSA zum Thema Vereinfachung (ABl. C  48 vom 2002.02.21, S. 130 vom 29.11.2001, Ziffer 1.6, Berichterstatter: Herr WALKER).

(4)  Weitere Informationen bei Helena Haapio, An Ounce of Prevention — Proactive Legal Care for Corporate Contracting Success, veröffentlicht in der vom finnischen Juristenbund herausgegebenen Fachzeitschrift JFT, Ausgabe 1/2007, und ebenfalls bei Helena Haapio (Hrsg.), A proactive Approach to Contracting and Law, Turku 2008, und Peter Wahlgren & Cecilia Magnusson Sjöberg (Hrsg.) A Proactive Approach, Vol. 49 der Scandinavian Studies in Law, Stockholm 2006; siehe auch http://www.cenneth.com/sisl/tom.php? choice = volumes&page = 49.html.

(5)  Vgl. die EWSA-Stellungnahme zum Thema Bessere Rechtsetzung (ABl. C  24 vom 31.1.2006, S. 39, Berichterstatter: Herr RETUREAU), in deren Ziffer 1.1.2 zu Recht festgestellt wird: „Eine bessere Rechtsetzung setzt vor allem das Bemühen voraus, sich in den Personenkreis hineinzuversetzen, der die Rechtsnorm anzuwenden hat. Aus diesem Grund ist ein partizipatorisches Verfahren unerlässlich, in dessen Rahmen die Organisationen der Zivilgesellschaft, die Sozialpartner und […] vorab konsultiert, die Repräsentativität der Organisationen der Zivilgesellschaft (und der Sozialpartner) berücksichtigt werden […]“.

(6)  Nachstehend eine Aufstellung der wichtigsten einschlägigen Kommissionsdokumente:

Strategie der Europäischen Union für die nachhaltige Entwicklung, KOM(2001) 264 endg.

Mitteilung der Kommission über Folgenabschätzung, KOM(2002) 276 endg.

Aktionsplan zur besseren Rechtsetzung — Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds, KOM(2002) 278 endg.

Einholung und Nutzung von Expertenwissen, KOM(2002) 713 endg.

Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire, KOM(2003) 71 endg.

Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds, KOM(2005) 535 endg.

Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union, KOM(2006) 689 endg.

Erster Fortschrittsbericht über die Strategie für die Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds, KOM(2006) 690 endg.

Zweiter Fortschrittsbericht über die Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds, KOM(2008) 33 endg.

Gemeinsamer Leitfaden für die Abfassung von Rechtstexten (für Personen, die in den Gemeinschaftsorganen an der Abfassung von Rechtstexten mitwirken)

(7)  Nachstehend eine Aufstellung der wichtigsten EP-Dokumente zum Thema:

Bericht über bessere Rechtsetzung 2004: Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität — 12. Jahresbericht, A6-0082/2006.

Bericht über den 21. und 22. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (2003 und 2004), A6-0089/2006.

Bericht über rechtliche und institutionelle Auswirkungen der Verwendung von nicht zwingenden Rechtsinstrumenten („Soft law“), A6-0259/2007.

Bericht über die Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union, A6-0273/2007. — Bericht über die Überprüfung des Binnenmarkts: Beseitigung von Schranken und Mängeln anhand einer verbesserten Umsetzung und Durchsetzung, A6-0295/2007.

Bericht über die Verringerung der durch Rechtsvorschriften bedingten Verwaltungskosten auf ein Minimum, A6-0275/2007.

Bericht über bessere Rechtsetzung 2005: Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit — (13. Jahresbericht), A6-0280/2007.

Bericht zur Überprüfung des Binnenmarkts: Beseitigung von Schranken und Mängeln anhand einer verbesserten Umsetzung und Durchsetzung, A6-0295/2007.

Bericht über den 23. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (2005), A6-0462/2007.

(8)  Nachstehend eine Aufstellung der wichtigsten einschlägigen EWSA-Dokumente:

Initiativstellungnahme zum Thema Vereinfachung der Binnenmarktvorschriften (BBS), ABl. C 14 vom 16.1.2001, S. 1.

Ergänzende Stellungnahme zum Thema Vereinfachung, ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 130.

Sondierungsstellungnahme zum Thema Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds, KOM(2001) 726 endg., ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 105.

Initiativstellungnahme zur Vereinfachung, mit besonderem Bezug auf die Mitteilung „Europäisches Regieren: Bessere Rechtsetzung“, ABl. C 133 vom 6.6.2003, S. 5.

Stellungnahme zum Thema Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire, KOM(2003) 71 endg., ABl. C 112 vom 30.4.2004, S. 4.

Broschüre What is the state of the enlarged Single Market? — 25 Findings by the Single Market Observatory (Stand der Umsetzung des erweiterten Binnenmarktes — 25 Erhebungen der Binnenmarktbeobachtungsstelle), EESC C-2004-07-EN (nur in englischer bzw. französischer Sprache).

Informationsbericht zum Thema Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt, CESE 1182/2004 fin.

Broschüre Die Verbesserung des Gemeinschaftsrechts in Gestaltung und Umsetzung, EESC 2005-16-DE.

Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des britischen Ratsvorsitzes zum Thema Bessere Rechtsetzung, ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 39.

Initiativstellungnahme zum Thema Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts, ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 52.

Stellungnahme zum Thema Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds, KOM(2005) 535 endg., ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 18.

Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen der Europäischen Kommission zum Thema „Vereinfachung des Regelungsumfelds für den Maschinenbau“, ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 8.

(9)  Bericht der Gruppe unabhängiger Experten für die Vereinfachung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Gemeinschaft (KOM(95)0288 — C4-0255/95 — SEK(95)1379). Speziell erwähnt werden sollte auch der Mandelkern-Bericht vom November 2001 und die darin enthaltenen Empfehlungen, die in der Stellungnahme ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 105, Berichterstatter Herr WALKER, zusammengefasst werden.

(10)  http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do? uri = OJ:C:2003:321:0001:0005:DE:PDF.

(11)  So bemerkte der EWSA bereits in seiner Stellungnahme ABl. C 14 vom 16.1.2001, S. 1, Berichterstatter: Herr VEVER: „Es geht nicht darum, einer simplen, ungestümen Deregulierung das Wort zu reden, die der Qualität der Güter und Dienstleistungen und den gemeinsamen Interessen aller Rechtsanwender (Unternehmer, Arbeitnehmer, Verbraucher usw.) abträglich wäre. Wirtschaft und Gesellschaft brauchen Regeln, damit sie reibungslos funktionieren […]. ‚(Ziffer 2.8). In seiner Stellungnahme zum Thema Bessere Rechtsetzung (ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 39), betonte der EWSA:‘Vereinfachung der Rechtsetzung heißt, die Komplexität des Rechts so weit wie möglich zu vermindern, dies ist jedoch nicht zwingend gleichbedeutend damit, die gemeinschaftliche Gesetzgebung drastisch zu verringern oder zu deregulieren, dies stünde im Widerspruch zu den Erwartungen an Rechtssicherheit der Zivilgesellschaft sowie zu dem Verlangen der Wirtschaft, vor allem der KMU, nach Rechtssicherheit und Stabilität.“ und in seiner Stellungnahme zum Thema Überprüfung des Binnenmarktes (ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 25, Berichterstatter: Herr CASSIDY) rief der EWSA in Erinnerung: „Weniger Vorschriften führen […] nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung des Rechtsrahmens.“ (Ziffer 1.1.7).

(12)  „Less (legislation) is more“, http://bre.berr.gov.uk/regulation/news/2005/050720_bill.asp.

(13)  Ferner hat der Ausschuss als Beitrag zu den einzelnen Ratsvorsitzen der EU eine Reihe von Sondierungsstellungnahmen erarbeitet (ABl. C 175 vom 27.7.2007).

(14)  http://eesc.europa.eu/self-and-coregulation/index.asp.

(15)  Siehe http://www.proactivelaw.org.

(16)  In den Wörterbuchdefinitionen liegt die Betonung auf zwei Hauptelementen: der Antizipation, unter der man vorauseilendes Handeln in Erwartung einer künftigen Situation versteht (z.B. ein „Tätigwerden in Vorwegnahme künftiger Probleme, Bedürfnisse oder Veränderungen“) (vgl. für die englische Sprache: Merriam-Webster Online Dictionary), und auf der Beherrschung einer Situation, auf dem Ingangbringen von Veränderungen (z.B. „eine Situation durch das Auslösen einer Entwicklung beherrschen, anstatt auf diese Entwicklungen zu reagieren, wenn sie schon eingetreten sind“) (siehe: proactive. Dictionary.com.WordNet® 3.0. Princeton_University). Neuere Forschungsarbeiten über proaktives Verhalten verwenden ähnliche Definitionen. Parker et al. (2006) definieren proaktives Verhalten beispielsweise als selbst initiiertes vorausschauendes Handeln, das auf eine Veränderung oder Verbesserung einer Situation oder der eigenen Person gerichtet ist. Vgl. auch das „Proactivity Research in Organizations Programme“, http://proactivity.group.shef.ac.uk/.

(17)  Die erste Schrift über Proactive Contracting wurde 2002 auf Finnisch veröffentlicht: Soile Pohjonen (Hrsg.), Ennakoiva sopiminen, Helsinki 2002. Weitere Einzelheiten dazu im Anhang.

(18)  Louis M. Brown war der Erste, der diesen Begriff in seiner Abhandlung Manual of Preventive Law, Prentice-Hall, Inc., New York, 1950, einführte.

(19)  Vgl. civil.justice.2000 — A vision of the Civil Justice System in the Information Age 2000. http://www.dca.gov.uk/consult/meta/cj2000fr.htm#section1.

(20)  In seiner Initiativstellungnahme zum Thema Vereinfachung der Binnenmarktvorschriften (ABl. C 14 vom 16.1.2001, S. 1) machte der Berichterstatter Herr VEVER darauf aufmerksam, dass „nahezu alle europäischen Rechtsvorschriften ausschließlich in dem engen Kreis der europäischen Institutionen entstanden sind, die über Entscheidungs- oder Mitentscheidungsbefugnisse verfügen.“ Weiterhin bemerkt der Ausschuss: „Das fehlende Bewusstsein einer Partnerschaft mit den wirtschaftlichen und sozialen Gruppen […], das einer im wesentlichen politisch-administrativen Beschlussfassung zugute käme, steht einer engeren Einbeziehung der Akteure der Bürgergesellschaft in die Vereinfachungsbemühungen und einer stärkeren Übertragung von Verantwortung auf sie im Wege.“ (Ziffer 3.5).

(21)  Die Verbindungen zwischen den EU-Institutionen und den Verwaltungsstellen auf nationaler und regionaler Ebene sind Thema der EWSA-Stellungnahme ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 3, Berichterstatter: Herr VAN IERSEL.

(22)  Stellungnahme CESE ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 7 des EWSA, Berichterstatter: Herr CAPPELLINI und Stellungnahme des EWSA, Dossier: Berichterstatter: Herr MALOSSE (noch in Erarbeitung).

(23)  Siehe Anhang der oben genannten Kommissionsmitteilung.

(24)  Stellungnahme des EWSA vom 30.5.2007 (CESE ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 14), Berichterstatterin: Frau ALLEWELDT.

(25)  Stellungnahme des EWSA vom 29.1.2004 (CESE ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 81), Berichterstatter: Herr HERNÁNDEZ BATALLER.

(26)  ABl. C 133 vom 22.5.2008, S. 66.

(27)  Stellungnahme des EWSA vom 17.7.2003 (CESE ABl. C 234 vom 30.9.2003, S. 1), Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ.

(28)  Zumindest acht der insgesamt 22 Richtlinien, die als der zentrale „Verbraucherschutz-Acquis“ angesehen werden, namentlich.: die Richtlinie 85/577/EWG vom 20.12.1985 (außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge); die Richtlinie 90/314/EWG vom 13.6.1990 (Pauschalreisen); die Richtlinie 93/13/EWG vom 5.4.1993 (mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen); die Richtlinie 94/47/EG vom 26.10.1994 (Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien, „Time-Sharing“), die Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 (Vertragsabschlüsse im Fernabsatz); die Richtlinie 98/6/EG des vom 16.2.1998 (Preisangaben); die Richtlinie 98/27/EG vom 19.5.1998 (Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen) und die Richtlinie 1999/44/EG vom 25.5.1999 (Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter).

(29)  Stellungnahme des EWSA vom 12.7.2007 (CESE ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 27, Berichterstatter: Herr ADAMS.

(30)  Siehe EC Consumer Law Compendium — Comparative Analysis, Prof. Dr. Hans Schulte-Nolke, Dr. Christian Twigg-Flesner und Dr. Martin Ebers, 12.12.2006, Universität Bielefeld.

(31)  Stellungnahme des EWSA vom 25.10.2007 (CESE ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 91), Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS.

(32)  Siehe Fortschrittsbericht 2006 über den Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen (vom 21.2.2007, nur auf Englisch verfügbar) sowie folgende Stellungnahmen des EWSA: CESE ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 1 vom 16.1.2008 zu dem Grünbuch über Finanzdienstleistungen für Privatkunden im Binnenmarkt, Berichterstatter: Herr IOZIA und Frau MADER-SAUSSAYE; CESE ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 74 vom 24.10.2007 zum Thema Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft, Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ; CESE ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 113 vom 15.12.2005 zu dem Grünbuch: Hypothekarkredite in der EU, Berichterstatter: Herr BURANI; CESE ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 18 vom 9.7.2008 zu dem Weißbuch über die Integration der EU-Hypothekarkreditmärkte, Berichterstatter: Herr GRASSO.

(33)  Siehe die Mitteilung der Kommission Ein Europa der Ergebnisse — Anwendung des Gemeinschaftsrechts (KOM(2007) 502 endg.), die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 9), Berichterstatter: Herr RETUREAU, und der sehr beeindruckende Artikel von Dr. Michael Kaeding zum Thema Active Transposition of EU Legislation (Aktive Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, nur auf Englisch verfügbar), EIPASCOPE 2007/03, Seite 27.

(34)  In seiner Stellungnahme zum Thema Vereinfachung betonte der EWSA bereits: „Das offizielle Anhörungsverfahren sollte […] nicht auf Gesprächspartner der Wahl der Kommission beschränkt bleiben. Vielmehr müssen alle Interessenträger an diesem Verfahren beteiligt werden.“ Weiterhin empfahl der Ausschuss, „[…] das Konsultationsverfahren auszudehnen, indem alle Betroffenen zu Stellungnahmen aufgefordert werden, wobei die Teilnahme an den Konsultationen für die Befragten freiwillig sein sollte.“ (CESE ABl. C 133 vom 6.6.2003, S. 5, Ziffern 4.1 und 4.1.1.1, Berichterstatter: Herr SIMPSON).

(35)  Siehe insbesondere die Stellungnahmen des EWSA zum Thema Bessere Rechtsetzung (ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 39) und zum Thema Qualitätsstandards für Inhalte, Verfahren und Methoden sozialer Folgeabschätzungen aus Sicht der Sozialpartner und anderer Akteure der Zivilgesellschaft (ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 21), Berichterstatter für beide Stellungnahmen: Herr RETUREAU.

(36)  So heißt es bereits in der Stellungnahme des EWSA zum Thema Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts (ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 52, Berichterstatter: Herr VAN IERSEL): „Damit ein Gesetz durchsetzbar ist, muss es hinreichend präzise formuliert sein, und um wirksam zu sein, muss es die passende Antwort auf spezielle Probleme bieten. […] Schlechte Gesetze führen zu einer Flut weiterer Gesetze und übermäßig vielen Regelungen, durch die den Unternehmen unnötige Auflagen gemacht und die Bürger verunsichert werden.“ (Ziffer 1.6).

(37)  Ein erstes Konzept im Hinblick auf ein solches Vorgehen wurde in der Kommissionsmitteilung Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire (KOM(2003) 71 endg.) umrissen, zu der der EWSA seinerzeit Stellung nahm (CESE ABl. C 112 vom 30.4.2004, S. 4, Berichterstatter: Herr RETUREAU).

(38)  Stellungnahme zum Thema „Die Prioritäten des Binnenmarkts 2005-2010“ (CESE ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 22), Berichterstatter: Herr CASSIDY.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Entsorgung von Elektronik-Altgeräten — eine umweltpolitische Herausforderung für die EU“

(2009/C 175/06)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Entsorgung von Elektronik-Altgeräten.“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 30. Oktober 2008 an. Berichterstatterin war Frau GAUCI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 4. Dezember) mit 119 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Richtlinie über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (EEAG-Richtlinie) hat ein Vereinfachungspotenzial, das ausgeschöpft werden sollte, um den Verwaltungsaufwand für die Marktteilnehmer zu mindern.

1.2   Bei der Überarbeitung der Richtlinie sollte die Europäische Union gemeinsam mit den nationalen Behörden sicherstellen, dass durch die Richtlinie gleiche Wettbewerbsbedingungen in ganz Europa geschaffen werden. Dies käme der Umwelt, den Marktteilnehmern und den europäischen Bürgern zugute.

1.3   Wegen der Rohstoffpreise, die heute höher als vor 5-10 Jahren sind, werden viele EEAG nicht mehr von den herkömmlichen Rücknahmekanälen erfasst. Folglich werden viele Geräte nicht adäquat behandelt. Gefährliche Bauteile ohne Marktwert, wie beispielsweise die Kondensatoren ausrangierter Kühlschränke, werden entfernt, ohne behandelt zu werden. Gegenwärtig müssen sich die Hersteller für die Behandlung des Elektro- und Elektronikschrotts verantworten, obwohl sie wenig oder gar keine Kontrolle darüber haben. Für alle Glieder der Kette, einschließlich Schrotthändler und Händler, sollten dieselben Verpflichtungen gelten.

1.4   Bei der Sensibilisierung der Jugend für die Bedeutung ihres Beitrags zum Kampf gegen den Schrott kommt den Schulen eine sehr große Bedeutung zu. Daher sollte bereits den jungen Leuten verständlich gemacht werden, welche Gefahren von Elektro- und Elektronikaltgeräten ausgeht, damit Schrott vermieden werden kann bzw. die Geräte wiederverwendet, verwertet oder recycelt werden können. Bildungsfragen sind in erster Linie eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, aber auch den Verbänden der Hersteller kommt eine herausragende Rolle zu, die diese auch wahrnehmen.

1.5   Bei der Überarbeitung der Richtlinie muss darauf geachtet werden, dass einerseits die Bestimmungen zum Schutze der menschlichen Gesundheit und der Umwelt und andererseits die Regeln zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts besser aufeinander abgestimmt sind. Insbesondere sollten durch die Herstellerdefinition keine weiteren Binnenmarkthemmnisse geschaffen werden. Dies stünde auch stärker im Einklang mit der jüngsten Rechtsprechung des EuGH, wonach der Umweltschutz den Prinzipien des Binnenmarktes nicht widersprechen darf.

1.6   In der derzeitigen Situation haben sich auf dem Marktanteil beruhende, kollektive Systeme bei der Bewirtschaftung der EEAG als erfolgreich erwiesen. Die überarbeitete Richtlinie darf keine Hindernisse für die Praxis der Kostenteilung bei der EEAG-Bewirtschaftung auf der Grundlage der derzeitigen Marktanteile schaffen. Was Anhang II betrifft, so bestünde ein zukunftsweisender Weg darin, den Interessenträgern die Ausarbeitung von Behandlungsstandards zu gestatten.

1.7   Schließlich würde durch die kosteneffiziente Bewirtschaftung der Elektro- und Elektronikschrott-Abfallströme ein Beitrag dazu geleistet, das „Mülldumping“ in Drittstaaten mit lascheren Umweltstandards und einer höheren Gefährdung der mit der Entsorgung beschäftigten Arbeitnehmer zu unterbinden. Die Richtlinie sollte somit ihrer gesellschaftlichen Zielsetzung gerecht werden, die Umwelt zu schützen und Gefährdungen der menschlichen Gesundheit durch Schrott gering zu halten. Die Umsetzung der Behandlungsstandards in Drittländern sollte gefördert werden.

2.   Einleitung

2.1   Die Richtlinie 2002/96/EG über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (1) wurde mit dem Ziel erlassen, die rasch anwachsenden Abfallströme aus Elektro- und Elektronik-Altgeräten (EEAG) zu bewältigen und die EU-Maßnahmen im Bereich Abfalldeponierung und -verbrennung zu ergänzen.

2.2   Gestützt auf zahlreiche Quellen und unterschiedliche Bewertungsmethoden wird der Umfang des auf dem EU-27-Markt jährlich hinzukommenden Elektro- und Elektronikschrotts auf 10,3 Millionen Tonnen geschätzt. Einige Vorhersagen gehen davon aus, dass der EEAG-Schrott bis zum Jahre 2020 jährlich um 2,5-2,7 % zunehmen und 12,3 Millionen Tonnen erreichen wird. 2006 wurden insgesamt 2 Millionen Tonnen Elektro- und Elektronikschrott gesammelt.

2.3   Daher sollte in der jetzigen Phase geprüft werden, ob durch die Richtlinie die erwünschten Resultate für den Umweltschutz erzielt werden konnten. Bedeutsam wäre auch zu klären, welche Verbesserungen möglich sind und welche Mittel geeignet wären, diese zu erreichen.

2.4   Insbesondere wurde durch die Richtlinie eine Reihe von Vorgehensweisen für die Abfallbewirtschaftung geschaffen, damit elektrische und elektronische Altgeräte verstärkt dem Recycling zugeführt werden und die Gesamtmenge des zu entsorgenden Schrotts reduziert wird.

2.5   Für die Hersteller werden Anreize geschaffen, elektrische und elektronische Geräte umwelt- und entsorgungsfreundlicher zu gestalten. Aus diesem Grunde sieht EEAG-Richtlinie das Konzept der erweiterten Herstellerhaftung vor. Infolge der Rechtsbestimmungen müssen die Hersteller elektrischer und elektronischer Geräte nunmehr den gesamten Lebenszyklus elektrischer und elektronischer Produkte einplanen, und dazu gehören etwa die Haltbarkeit des Produktes, seine Aufrüstbarkeit, seine Reparaturfähigkeit, die Demontage und die Verarbeitung leicht recycelbarer Materialien. Sie sind auch verantwortlich für die Rücknahme und das Recycling elektrischer und elektronischer Geräte, sofern diese unter eine der zehn großen Produktkategorien fallen (2). Schließlich müssen sie auch Datenmaterial verfügbar machen, um die Einhaltung zu dokumentieren.

2.6   Die erweiterte Herstellerhaftung tritt in dem Moment ein, wo sich der Marktteilnehmer in das nationale Herstellerverzeichnis einträgt, das die nationalen Behörden in jedem Mitgliedstaat führen. Unter den Terminus „Hersteller“ fallen verschiedenen Tätigkeiten; er umfasst Hersteller, die Produkte unter ihrem eigenen Markennamen herstellen, Importeure und Weiterverkäufer. Der Anwendungsbereich des Terminus „Hersteller“ ist so breit gefasst, damit er möglichst viele Geschäftstätigkeiten abdeckt und dadurch ein möglichst kosteneffizientes EEAG-Management zulässt. Der breite Anwendungsbereich ist aber insofern problematisch, als für ein und dasselbe Produkt mehreren Herstellern die Verantwortung für das Abfallmanagement zugewiesen werden kann, was aus rechtlicher Sicht unakzeptabel ist.

2.7   Durch die EEAG-Richtlinie soll die getrennte Sammlung gefördert werden, indem quantitative Sammelziele gesetzt werden. Bis spätestens 31. Dezember 2006 sollte eine Quote von durchschnittlich mindestens vier Kilogramm getrennt gesammelter Elektro- und Elektronik-Altgeräte aus privaten Haushalten pro Einwohner pro Jahr erreicht werden. Bis zum 31. Dezember 2008 sollen neue Zielvorgaben gesetzt werden.

2.8   Durch die EEAG-Richtlinie werden ferner Wiederverwendung und Recycling gefördert, indem Ziele für die Verwertung, Wiederverwendung und das Recycling vorgegeben werden.

2.9   Der letzte Pfeiler der EEAG-Richtlinie ist die Rolle des Endnutzers, anders ausgedrückt: des Verbrauchers. Die Verbraucher können die Geräte kostenlos zurückgegeben. Damit kein gefährlicher Elektro- und Elektronikschrott entsteht, werden auf der Grundlage der Richtlinie 2002/95/EG (3) Verbote und Beschränkungen für die Verwendung gefährlicher Stoffe ausgesprochen.

3.   Allgemeine Bemerkungen — Festgestellte Probleme

3.1   Anknüpfend an die oben beschriebenen Maßnahmen waren die Mitgliedstaaten zur Ausarbeitung nationaler EEAG-Pläne gehalten, um den Anforderungen der Richtlinie nachzukommen. Eine erste Beurteilung der nationalen Umsetzung der Rechtsetzung im Bereich EEAG lässt folgende Schlussfolgerungen zu:

Der Anwendungsbereich der Richtlinie wird EU-weit unterschiedlich ausgelegt. Ein und dasselbe Produkt wird nicht zwingend in sämtlichen Mitgliedstaaten dem Anwendungsbereich zugeordnet, so dass für die Hersteller unterschiedliche Anforderungen bei der Rechtserfüllung in Europa gelten.

Die Sammelziele werden von den meisten Ländern der EU-15 problemlos erreicht, bleiben für die meisten neuen Mitgliedstaaten jedoch hoch gesteckt.

Mit Ausnahme der ersten Produktkategorie (4) ist die Sammeleffizienz gering.

Kleingeräte werden häufig nicht zur Rücknahme gebracht und somit nicht durch die für EEAG geschaffenen Kanäle erfasst.

Das Vorhandensein von Rücknahmestellen für EEAG lässt in einigen Mitgliedstaaten zu wünschen übrig.

Über die Qualität der Behandlung von EEAG liegen nur wenige Berichte vor (5).

Der Verwaltungsaufwand entsteht hauptsächlich durch zwei Tätigkeiten, nämlich die Eintragung in das nationale Herstellerverzeichnis und die Berichterstattung.

Die Umsetzung der EEAG-Richtlinie in das einzelstaatliche Recht begann erst am 13. August 2004 und ist in einigen Ländern immer noch nicht abgeschlossen. Deshalb ist es für eine umfassende gesellschaftliche Bestandsaufnahme und Auswertung noch zu früh.

4.   Besondere Bemerkungen — Verbesserungsvorschläge

4.1   Bei der Überarbeitung der Richtlinie sollten die Maximierung der Umweltergebnisse (höhere Einsammlungsrate) und die größere Kosteneffizienz bei der Behandlung von EEAG (effizientere Behandlung) im Vordergrund stehen.

4.2   Zu einer Verbesserung der EEAG-Behandlung in der EU muss auch eine Senkung der Verwaltungslast für die Unternehmen gehören, damit diese wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleiben und Ressourcen in die bessere Umweltverträglichkeit ihrer Aktivitäten investieren können, etwa in Produktgestaltung, Sammelpläne, Rücknahmesysteme oder Verbraucherinformation.

4.3   Nationale Behörden und private Initiativen könnten Bildungsprogramme in Schulen finanzieren, damit Kinder bereits im frühen Alter an den richtigen Umgang mit Abfall herangeführt und über das Recycling elektrischer und elektronischer Altgeräte informiert werden. Diese Programme sollten auf lokaler Ebene umgesetzt werden, so dass sie inhaltlich den örtlichen Gegebenheiten und Konsummustern anzupassen sind.

4.4   Die größte Verbesserung für die Umwelt und die höchste Kosteneffizienz kann folgendermaßen erzielt werden:

Umgestaltung des an Produktklassen orientierten Anwendungsbereichs (6) hin zu einer Ausrichtung an Behandlungskategorien;

Differenzierung der Zielsätze für die Sammlung, die Recyclingprozentsätze und die Behandlungserfordernisse;

Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für die verschiedenen Interessenträger in der EU; dabei geht es insbesondere um Folgendes:

Die Definition des Begriffs „Hersteller“ sollte in allen EU-Mitgliedstaaten dieselben Wirtschaftsteilnehmer erfassen. Zu diesem Zweck sollte ein Wirtschaftsbeteiligter, der ein Produkt im Binnenmarkt in Verkehr bringt, in allen nationalen EU-Märkten als Hersteller betrachtet werden.

Nationale Herstellerregister sollten harmonisierter arbeiten: Verschiedene Verwaltungserfordernisse der jeweiligen nationalen Registrierungs- und Finanzierungsmechanismen führen zu höheren Kosten für Hersteller, die grenzübergreifend auf dem Binnenmarkt agieren. In den Herstellerregistern werden Informationen auf unterschiedliche Weise und nach verschiedenen Prinzipien eingeholt. Unter anderem weichen die Definitionen für die Gerätetypen, die Kriterien für das Gewicht, die Grundlage für die mitgeteilten Angaben und die Erwägungen bei einem Verkauf in andere Mitgliedstaaten voneinander ab. Auch die Häufigkeit und die Periodizität der mitgeteilten Daten weichen voneinander ab. Die europäischen Institutionen könnten Empfehlungen und Leitlinien herausgeben, um dieses Ziel im Wege sachdienlicher Konsultationen mit den Interessenträgern zu erreichen.

Ein europäisches Netz nationaler Verzeichnisse könnte zum Zweck des Informationsaustauschs geschaffen werden. Hersteller könnten sich in einem einzigen Mitgliedstaat eintragen lassen, wodurch ihre Aktivitäten EU-weit registriert wären. Dies würde den Verwaltungsaufwand für die Hersteller mindern und zugleich zu einer effizienteren Durchsetzung der Richtlinie führen. Eine stärkere Harmonisierung und weniger Bürokratie würden Umweltverbesserungen erleichtern und den Umweltzielen entgegenkommen.

Die Kennzeichnungserfordernisse für die Vermarktung elektrischer und elektronischer Geräte sollten weiter harmonisiert werden. Andernfalls würde der freie Warenverkehr auf dem Binnenmarkt weiter beeinträchtigt bleiben.

Der harmonisierte Ansatz ist zu klären und dann einheitlich in den EU-Mitgliedstaaten umzusetzen.

Es sind Überlegungen durchzuführen, wie die nationalen Regierungen die Forschung über Umweltverbesserungen im EEAG-Abfallmanagement fördern können.

Schließlich muss auch die Rolle der Verbraucher als maßgeblicher Bezugspunkt für die EEAG-Politik ausführlicher analysiert werden. Letzten Endes ist der Verbraucher, der seinen Elektroschrott zurückbringt, auch derjenige, der dafür zahlt, ganz gleich, wie die Finanzierung geregelt wird.

Brüssel, den 4. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Siehe Stellungnahme des EWSA im ABl. C 116 vom 20.4.2001, S. 38-43.

(2)  In der Richtlinie werden zehn EEAG-Kategorien aufgezählt:

Kategorie 1 — Haushaltsgroßgeräte

Kategorie 2 — Haushaltskleingeräte

Kategorie 3 — IT- und Telekommunikationsgeräte

Kategorie 4 — Unterhaltungselektronik

Kategorie 5 — Beleuchtungskörper

Kategorie 6 — Elektrische und elektronische Werkzeuge

Kategorie 7 — Spielzeug sowie Sport- und Freizeitgeräte

Kategorie 8 — Medizinische Geräte

Kategorie 9 — Überwachungs- und Kontrollinstrumente

Kategorie 10 — Automatische Ausgabegeräte.

(3)  Die Richtlinie 2002/95/EG zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten sieht vor, dass ab dem 1. Juli 2006 neu in Verkehr gebrachte Elektro- und Elektronikgeräte keine Schwermetalle (Blei, Quecksilber, Cadmium, sechswertiges Chrom) und keine bromhaltigen Flammhemmer (polybromiertes Biphenyl (PBB) bzw. polybromierten Diphenylether (PBDE)) enthalten.

(4)  Siehe Fußnote 2.

(5)  Gemäß Artikel 12 „Informations- und Berichtspflicht“ der EEAG-Richtlinie sind die Hersteller verpflichtet, auf Jahresbasis Informationen zu erheben, einschließlich fundierter Schätzungen, über die Mengen und Kategorien von Elektro- und Elektronikgeräten, die auf ihrem Markt in Verkehr gebracht und in den Mitgliedstaaten über alle vorhandenen Wege gesammelt, wiederverwendet, dem Recycling zugeführt und verwertet wurden, sowie über die ausgeführten gesammelten Altgeräte unter Angabe des Gewichts oder, wenn dies nicht möglich ist, der Anzahl der Geräte.

(6)  Siehe Produktkategorien in Fußnote 2.


28.7.2009   

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Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/37


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Gemeinsam auf EU-Ebene handeln, um die Zivilgesellschaft in ländlichen Gebieten zu stärken — unter besonderer Berücksichtigung der neuen Mitgliedstaaten

(2009/C 175/07)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Gemeinsam auf EU-Ebene handeln, um die Zivilgesellschaft in ländlichen Gebieten zu stärken — unter besonderer Berücksichtigung der neuen Mitgliedstaaten“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 30. Oktober 2008 an. Berichterstatter war Herr KAMIENIECKI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 4. Dezember) mit 107 gegen 6 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   In der Politik zur Förderung des ländlichen Raums wurde der Schwerpunkt lange Zeit ausschließlich auf Fragen gelegt, die unmittelbar mit der landwirtschaftlichen Produktion zusammenhingen. Erst im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre setzte sich die Überzeugung durch, dass die ländlichen Gebiete zu unterschiedlich für die Anwendung auf europäischer bzw. nationaler Ebene festgelegter einheitlicher Instrumente sind und dass die Entwicklungsziele, die Chancengleichheit usw. ohne die Einbindung und Mitwirkung der Landbevölkerung nicht wirksam erreicht werden können.

1.2   Die derzeitige Debatte über die gemeinsame Agrarpolitik und die Politik zur Förderung des ländlichen Raums wird für die Zukunft des europäischen ländlichen Raums ausschlaggebend sein. Es ist wichtig, dass in dieser Debatte neben Sachverständigen und Politikern auch Vertretern der ländlichen Bevölkerung selbst Gehör geschenkt wird.

1.3   Die Initiative LEADER ist in diesem Zusammenhang ein gutes Beispiel — deshalb sehen die neuen Mitgliedstaaten darin eine Chance zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur wirksameren Nutzung der Entwicklungsressourcen in ländlichen Gebieten. Wichtig ist, dass für Initiativen unterschiedlicher Art, die der Unterstützung der Zivilgesellschaft in den ländlichen Gebieten dienen, eine finanzielle Förderung sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene gewährleistet wird.

1.4   Die Zivilgesellschaft in den ländlichen Gebieten der einzelnen EU-Mitgliedstaaten entwickelt sich unter dem Einfluss des sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte intensivierenden Wandels in den Bereichen Wirtschaft (schärferer Wettbewerb auf den Märkten), Gesellschaft (Landflucht) und Umweltschutz (Klimawandel). Den derzeitigen Prozessen liegen tiefgreifende, historische Phasen der Wirtschaftsentwicklung zugrunde. Besonders drastisch sind die Veränderungen in den ländlichen Gebieten der neuen Mitgliedstaaten.

1.5   Eine der Möglichkeiten für die Entwicklung der Zivilgesellschaft ist die Anpassung der Entwicklungsinstrumente an die Bedürfnisse und die Möglichkeiten konkreter ländlicher Gebiete, was zunehmend einen „Bottom-up“-Ansatz voraussetzt. Auch der Bildung könnte hierbei eine wesentliche Rolle zukommen.

1.6   Nichtregierungsorganisationen bildeten sich in den mittel- und osteuropäischen Ländern bereits Ende der 80er Jahre. Im Vergleich zu den Organisationen in der EU-15 stoßen sie auf mehr Hindernisse, die mit der langsameren Wirtschaftsentwicklung, einem schwierigeren Zugang zu neuen Technologien und verschiedenen (darunter auch privaten) Finanzierungsquellen sowie den rechtlichen Bestimmungen oder der Einstellung öffentlicher Behörden zusammenhängen.

1.7   Der Gewährleistung des Zugangs ländlicher Organisationen zu Finanzmitteln muss eine größere Aufmerksamkeit als bislang geschenkt werden. Eine solche Finanzierung muss stabil und flexibel sein und das Funktionieren der Organisationen abdecken (institutionelle Zuschüsse).

1.8   Erforderlich sind spezifische institutionelle Lösungen, die eine Stärkung des Potenzials der ländlichen Organisationen gewährleisten, auch in Ländern, die sich auf den EU-Beitritt vorbereiten. Es ist ferner unabdingbar, unterschiedliche Mechanismen zur Verfügung zu stellen, die der ländlichen Bevölkerung den Zugang zur Information erleichtern.

1.9   Für die Bewohner der ländlichen Gebiete, die in der Regel einen niedrigeren Bildungsstand und einen schlechteren Zugang zu Informationen haben, ist es schwierig, sich in dieser sich rasch verändernden Gesellschaft zurechtzufinden.

1.10   In der gesamten EU sind folgende Schwierigkeiten bei der Entwicklung der Zivilgesellschaft in den ländlichen Gebieten vorzufinden:

Hindernisse beim Zugang zu Wissen und Information;

fehlende Fähigkeiten hinsichtlich der unternehmerischen Initiative;

demografische Probleme und Ungleichheiten in Bezug auf die Rechte von Frauen und Männern (1);

schlechtere soziale Infrastrukturausstattung als in Städten.

1.11   Auf nationaler Ebene müssen die Entscheidungen, die in Bezug auf die ländlichen Gebiete in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialhilfe getroffen werden, und die Agrarpolitik bzw. die Politik zur Förderung des ländlichen Raums im engeren Sinne besser aufeinander abgestimmt werden. Ferner sind Maßnahmen zur Förderung stärkerer Bande zwischen Stadt und Land erforderlich.

1.12   Nach wie vor stehen zu wenige Instrumente zur Verfügung, durch die alternative Einkommensquellen für die Landbewohner erschlossen werden können. Aufgabe des Staates ist es auch, die Bedingungen für einen Dialog zwischen seinen Institutionen und der Gesellschaft zu schaffen.

1.13   Die Schlüsselrolle kommt den Selbstverwaltungsebenen zu. In der Entwicklung der ländlichen Gesellschaft sollten sie eine Katalysatorfunktion übernehmen und sie zu gemeinsamem Handeln ermutigen.

1.14   Das Problem des mangelnden Vertrauens zwischen den Vertretern der Zivilgesellschaft und der lokalen Verwaltung ist in den neuen Mitgliedstaaten besonders schwerwiegend. Die Organisationen sehen in den Behörden ein Hindernis für gesellschaftliche Initiativen, die Behörden fürchten sich hingegen vor der Konkurrenz vonseiten der zivilgesellschaftlichen Vertreter.

1.15   Es ist die umfassende Einführung eines Mechanismus zu erwägen, in dessen Rahmen geprüft würde, inwiefern sich die jeweilige rechtliche bzw. politische Lösung (die beispielsweise das Bildungssystem bzw. das öffentliche Auftragswesen betrifft) auf die Lage des ländlichen Gebiets auswirken wird (sog. „rural proofing“).

2.   Hintergrund

2.1   Angesichts der Veränderungen in den ländlichen Gebieten der EU gilt es, sich die Frage zu stellen, in welche Richtung sich die Ländbevölkerung entwickelt, inwiefern sie in der Lage ist, über ihre Zukunft selbst zu bestimmen, und ob die zwischen den Menschen entstehenden Beziehungen und die entstehende Notwendigkeit einer Zusammenarbeit durch die Politik, die rechtlichen Vorschriften und die öffentlichen Institutionen unterstützt werden.

2.2   Der Zivilgesellschaft werden zahlreiche Rollen zugeschrieben, die in der Aussage zusammengefasst werden können, dass sie das Leben erleichtert und den Platz zwischen dem einzelnen Bürger bzw. der Familie und dem Staat einnimmt.

2.3   Die europäische Integration wirkt sich auf die Dynamik der Veränderungen in den ländlichen Gebieten aus. Die Beobachtung dieses Prozesses im Hinblick auf die Schaffung der Grundlagen einer Zivilgesellschaft ist eine wichtige Aufgabe des EWSA.

2.4   Die Zivilgesellschaft im ländlichen Raum der einzelnen EU-Mitgliedstaaten wird durch die Veränderungen beeinflusst, die in den vergangenen Jahrzehnten in den folgenden Bereichen verstärkt zu beobachten sind: Wirtschaft (schärferer Wettbewerb auf den Märkten), Gesellschaft (Landflucht) und Umwelt (Klimawandel). Den derzeitigen Prozessen liegen tiefgreifende, historische Phasen der Wirtschaftsentwicklung zugrunde.

2.5   Besonders stark betroffen sind von diesem Wandel die ländlichen Gebiete in den neuen Mitgliedstaaten. Der Wandel findet in allen Lebensbereichen gleichzeitig statt, nicht nur in der Wirtschaft (darunter z.B. im Bankwesen), sondern auch in der Gesellschaft (Reformen der Gesundheitsversorgung und der sozialen Sicherungssysteme) und im Rechtsbereich (Wandel der Rolle der lokalen Gebietskörperschaften, gesetzliche Bestimmungen über Nichtregierungsorganisationen, Finanz- und Steuerregelungen usw.).

2.6   Ein Erbe der früheren Zeit sind ehemalige Arbeiter großer landwirtschaftlicher Produktionsbetriebe, in denen traditionelle Tugenden der Landbevölkerung verblassten.

2.7   Für die Bewohner der ländlichen Gebiete, die in der Regel einen niedrigeren Bildungsstand und einen schlechteren Zugang zu Informationen haben, ist es schwierig, sich in dieser sich rasch verändernden Gesellschaft zurechtzufinden.

2.8   In der EU-15 fand ein Teil dieser Entwicklungen früher statt und erstreckte sich über einen längeren Zeitraum. Dennoch ließen sich die negativen Folgen (beispielsweise im Zusammenhang mit der Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion) auch in diesen Ländern nicht vermeiden.

2.9   Ferner ist man sich in der EU-15 des Wertes des ländlichen Raums viel stärker bewusst als in den neuen Mitgliedstaaten. In den neuen Mitgliedstaaten richten die Öffentlichkeit und die Medien ihre Aufmerksamkeit in der Regel auf die Probleme, die mit der Landwirtschaft zusammenhängen.

Die ersten offiziellen Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Entwicklung des ländlichen Raums in den mittel- und osteuropäischen Ländern einsetzten, bildeten sich bereits Ende der 80er Jahre. Sie stoßen im Vergleich zu den Organisationen in der EU-15 auf mehr Hindernisse, die mit der langsameren Wirtschaftsentwicklung, einem schwierigeren Zugang zu neuen Technologien und verschiedenen (darunter auch privaten) Finanzierungsquellen sowie den rechtlichen Bestimmungen oder der Einstellung öffentlicher Behörden zusammenhängen, die im Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit den gesellschaftlichen Organisationen unerfahren und skeptisch sind.

2.10.1   Aus offiziellen Daten, beispielsweise über die Anzahl der Nichtregierungsorganisationen im Verhältnis zur Einwohnerzahl, geht hervor, dass das Engagement der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten geringer ist. Werden jedoch auch informelle Gruppen und nachbarschaftliche Beziehungen sowie das Ausmaß der Beteiligung der Landbevölkerung an Fragen, die für ihre Region von Belang sind, oder das Wissen über Initiativen der lokalen Behörden berücksichtigt, so wird deutlich, dass ein derartiges soziales Kapital auf dem Land oftmals größer ist als in der Großstadt.

2.11   Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine deutliche Beschleunigung der Entwicklung ländlicher Organisationen in den Ländern Mittel- und Osteuropas zu verzeichnen. Sie begannen zusammenzuarbeiten und regionale und nationale Strukturen aufzubauen. In einigen Ländern wurde das skandinavische Modell zum Vorbild genommen, wo in jedem Dorf örtliche Vereine tätig sind. In anderen Ländern bildeten die im Bereich der ländlichen Entwicklung tätigen Nichtregierungsorganisationen landesweite Initiativen bzw. „Foren“, die der Zusammenarbeit, dem Erfahrungsaustausch und der Vertretung der ländlichen Bevölkerung gegenüber den Behörden dienen. In den neuen Mitgliedstaaten schufen solche Organisationen mit der Unterstützung skandinavischer Organisationen die Initiative PREPARE — Partnerschaft für das ländliche Europa (Partnership for Rural Europe), mit deren Hilfe sie sich gegenseitig unterstützen und ihre Arbeitsweise weiter verbessern können.

3.   Die Europäische Union und die Zivilgesellschaft im ländlichen Raum

3.1   In der Politik zur Förderung des ländlichen Raums wurde der Schwerpunkt lange Zeit ausschließlich auf Fragen gelegt, die unmittelbar mit einer für die gesamte EU einheitlichen landwirtschaftlichen Produktion zusammenhingen. Fragen beispielsweise im Bereich der Investitionen in die Infrastruktur des ländlichen Raums waren hingegen Gegenstand der nationalen Politik. Erst Ende der 80er Jahre setzte sich immer mehr die Überzeugung durch, dass die ländlichen Gebiete zu unterschiedlich für die Anwendung auf europäischer bzw. nationaler Ebene festgelegter einheitlicher Instrumente sind und dass die Entwicklungsziele, die Chancengleichheit usw. ohne die Einbindung und Mitwirkung der Landbevölkerung nicht wirksam erreicht werden können.

3.2   Die in jüngster Zeit ausgearbeiteten Programme zur ländlichen Entwicklung beinhalten Instrumente und Lösungen, die den Bedürfnissen der Zivilgesellschaft im ländlichen Raum in einem gewissen Umfang gerecht werden. Hierzu gehören insbesondere die Initiative LEADER sowie die wichtige Rolle, die den Nichtregierungsorganisationen im Rahmen der örtlichen Aktionsgruppen zukommt (im kommenden Zeitraum werden über 40 % der ländlichen Gebiete der EU in den Anwendungsbereich der LEADER-Initiative fallen).

3.3   Die Nichtregierungsorganisationen können darüber hinaus auch andere Maßnahmen der Programme zur ländlichen Entwicklung in Anspruch nehmen, die u.a. Dienstleistungen für den ländlichen Raum umfassen. Wichtig ist dabei jedoch, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten Lösungen entstehen, die es den Organisationen ermöglichen, Dienstleistungen zu erbringen und öffentlich-gesellschaftliche bzw. öffentlich-private Partnerschaften einzugehen, die auch Nichtregierungsorganisationen offenstehen. Die Förderung von Nichtregierungsorganisationen ist auch im Rahmen der nationalen Netze für den ländlichen Raum vorgesehen.

3.4   Der im Rahmen der Initiative LEADER vorgeschlagene Ansatz muss an die Bedingungen und Erfordernisse der einzelnen Mitgliedstaaten angepasst werden. Er kam in vielen Ländern in einem weitaus umfangreicheren Maße zum Tragen als die LEADER-Initiative. Dabei flossen nationale und regionale Mittel in eine wirksame Förderung lokaler Initiativen (dies ist beispielsweise in Irland, Spanien und Deutschland der Fall).

Die neuen Mitgliedstaaten sehen in der Initiative LEADER eine Chance zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur wirksameren Nutzung der Entwicklungsressourcen in ländlichen Gebieten. Wichtig ist, dass für Initiativen unterschiedlicher Art, die der Unterstützung der Zivilgesellschaft in den ländlichen Gebieten dienen, eine finanzielle Förderung sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene gewährleistet wird.

3.5.1   Die Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe an der Befriedigung gemeinsamer lokaler Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung ist ein überaus positiver Faktor der EU-Politik. Beim Aufbau der Zivilgesellschaft nach dem bevorzugten „Bottom-up“-Ansatz stößt man auf zahlreiche Probleme, die u.a. mit der Notwendigkeit der Beseitigung administrativer Hindernisse zusammenhängen.

4.   Die einzelstaatliche Politik und die Zivilgesellschaft im ländlichen Raum

4.1   Unlängst wurde die Debatte über die Gemeinsame Agrarpolitik und die Politik des ländlichen Raums eingeleitet. Die Ergebnisse dieser Debatte werden sich sowohl auf die eventuellen Verschiebungen bei den Finanzmitteln, die im Rahmen des derzeitigen Planungszeitraums für den ländlichen Raum vorgesehen sind, als auch auf die Ausrichtung der künftigen Politik für die Jahre 2013-2020 und danach auswirken. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass in dieser Debatte neben Sachverständigen und Politikern auch Vertretern der ländlichen Bevölkerung selbst Gehör geschenkt wird.

4.2   Im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft sowie zwischen den einzelnen Ministerien und Gremien ein- und derselben Regierung können die neuen Mitgliedstaaten nur auf eine kurze Tradition zurückblicken. Somit gibt es zwischen den Entscheidungen, die in Bezug auf die ländlichen Gebiete in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialhilfe getroffen werden, und der Agrarpolitik bzw. der Politik zur Förderung des ländlichen Raums im engeren Sinne praktisch keine Abstimmung.

4.3   Die Planung der Ausgaben der EU-Mittel im Planungszeitraum 2007-2013 ist für die neuen Mitgliedstaaten erst die zweite „Übung“ dieser Art. In Verbindung mit der geringen Erfahrung der Beamten und häufigen Regierungswechseln hat dies zur Folge, dass einige der Möglichkeiten, die die EU-Politik für die Entwicklung des ländlichen Raums geschaffen hat, nicht in vollem Umfang genutzt werden.

4.4   Ferner darf nicht vergessen werden, dass stärkere Bande zwischen Stadt und Land eine der Hauptvoraussetzungen für die Gewährleistung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der erweiterten EU sind. Die Schaffung formeller, oftmals künstlicher Teilungen, beispielsweise im Zusammenhang mit der Anforderung der Aufrechterhaltung der „Demarkationslinien“ zwischen Finanzmitteln, die aus verschiedenen EU-Fonds stammen (z.B. EFRE und ELER), und zwar bei oftmals unterschiedlichen Zugangsbedingungen und unzusammenhängenden Entscheidungsprozessen im Rahmen dieser Fonds, kann Komplementärmaßnahmen erschweren und die Kluft zwischen den ländlichen Gebieten und den Städten vertiefen.

4.5   An den ländlichen Raum sind in der Regel Maßnahmen gerichtet, die mit der traditionellen landwirtschaftlichen Produktion zusammenhängen, bzw. Instrumente „sozialer“ Art (Arbeitslosenbeihilfen oder Fördermittel für Semisubsistenz-Betriebe). Diese sind zwar überaus notwendig (insbesondere in Ländern, in denen hauptsächlich die ländlichen Gebiete von Armut betroffen sind, z.B. Rumänien oder Polen), erhalten zugleich jedoch den Status quo und schaffen keine Grundlage für dessen Verbesserung. Nach wie vor stehen zu wenige Instrumente zur Verfügung, durch die alternative Einkommensquellen für die Landbewohner erschlossen werden können. Die Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum wird immer noch von im Bereich der landwirtschaftlichen Entwicklung tätigen Organisationen gefördert, und nichtlandwirtschaftliche Berufe werden im Rahmen der von diesen Organisationen geförderten Programme unzureichend unterstützt.

4.6   Der Lissabon-Strategie könnte eine bedeutende Rolle zukommen, da Innovation und Wettbewerbsfähigkeit in einem weiter gefassten Wortsinn auch im ländlichen Raum möglich sind. Leider werden diese Begriffe oftmals ausschließlich mit neuen Technologien und Forschungseinrichtungen in Großstädten assoziiert. Dadurch liegt ein riesiger Bereich an sozialer Innovation bzw. einer Innovation, die mit dem Erbe, den ökologischen Werten bzw. der lokalen Tradition zusammenhängt, brach.

4.7   In zahlreichen, insbesondere neuen Mitgliedstaaten ist der Blick der nationalen Politik auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit im engeren Sinn eingeschränkt (ein Beispiel sind u.a. die Anforderungen für eine EU-Förderung für Unternehmen. Dabei müssen die Unternehmen, die einen Antrag auf Beihilfe stellen, außerordentlich hohe Beträge, die bis zu mehreren Millionen Euro reichen, aufwenden, wodurch Antragsteller aus ländlichen Gebieten oder Kleinstädten praktisch ausgeschlossen werden).

4.8   Die konservative, wankelmütige Haltung nationaler Politiker gegenüber der Zivilgesellschaft auf dem Lande ist auf folgendes zurückzuführen: Unentschlossenheit der Regierenden hinsichtlich der Schaffung entwicklungsfördernder Bedingungen, Mangel an vorausschauender Politik für den ländlichen Raum und Bedenken, der Zivilgesellschaft eine Rolle einzuräumen, die die Bedeutung der politischen Parteien schwächen könnte. Angesichts einer solchen Politik der nationalen Entscheidungsträger erwartet ein großer Teil der ländlichen Bevölkerung, dass die notwendigen Impulse für Veränderungen vonseiten der Europäischen Union kommen.

4.9   Die Schaffung entsprechender Voraussetzungen für einen Dialog zwischen den staatlichen Einrichtungen und der Gesellschaft sowie die Gewährleistung einer Kultur der Klarheit und Transparenz liegt jedoch in der Verantwortung der nationalen Entscheidungsträger. Dies ist umso wichtiger, als die Landbewohner verhältnismäßig wenig von der Bedeutung der Demokratie für das gesellschaftliche Leben überzeugt sind (in Polen beispielsweise nur 17 %).

5.   Lokale Gebietskörperschaften und die Zivilgesellschaft im ländlichen Raum

5.1   Die Rolle der Gebietskörperschaften bei der Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen und der Zusammenarbeit mit den Vertretern der Zivilgesellschaft ist in den ländlichen Gebieten von wesentlicher Bedeutung. Die lokalen Gebietskörperschaften sollten bei der Entwicklung der ländlichen Gesellschaft eine Katalysatorfunktion übernehmen und sie zu gemeinsamem Handeln ermutigen.

5.2   Die Zusammenarbeit zwischen den im Bereich der ländlichen Entwicklung tätigen Organisationen und den lokalen Gebietskörperschaften verläuft nicht immer reibungslos. Das Problem fehlender Zusammenarbeit zwischen den Gebietskörperschaften einerseits und den zivilgesellschaftlichen Organisationen und ihren Vertretern in den ländlichen Gebieten andererseits ist allen Mitgliedstaaten gemein, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Die vielerorts zu beobachtenden guten Beispiele, die zur positiven Haltung ermutigen, zeugen jedoch von Veränderungen und neuen Möglichkeiten.

5.3   Das Problem des mangelnden Vertrauens zwischen den Vertretern der Zivilgesellschaft und der lokalen Gebietskörperschaft ist in den neuen Mitgliedstaaten besonders schwerwiegend. Einerseits werden lokale Verwaltungen bisweilen als ein Hindernis für gesellschaftliche Initiativen wahrgenommen, andererseits fürchten sie sich selbst vor den in ihrer Gebietskörperschaft verstärkt aktiven gesellschaftlichen Vertretern, die sie als Konkurrenz und als Bedrohung ihrer Stellung wahrnehmen. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Unterstützung der Gebietskörperschaft bzw. deren Mitwirkung an ihren Initiativen suchen, stoßen auf Misstrauen und werden als lästige Kunden angesehen.

5.4   Die Hürde des fehlenden Vertrauens lässt sich abbauen, wenn auf die Durchführung von Projekten und auf die offensichtlichen Vorzüge aufmerksam gemacht wird, die jene Gemeinden (Gesellschaftsgruppen) genießen, in denen die Zusammenarbeit zwischen der Gebietskörperschaft und den Vertretern der zivilgesellschaftlichen Organisationen reibungslos funktioniert.

5.5   Im ländlichen Raum werden Anstrengungen unternommen, um eine gute Beziehung und eine Kommunikation zwischen den lokalen Gebietskörperschaften und den zivilgesellschaftlichen Organisationen herzustellen (beispielsweise durch entsprechende Schulungen), eine langfristige Lösung dieses Problems erfordert jedoch weitere Bildungsmaßnahmen.

6.   Hindernisse für die Entwicklung der Zivilgesellschaft im ländlichen Raum

6.1   Neben den Problemen, mit denen insbesondere die mittel- und osteuropäischen Länder zu kämpfen haben, gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten, die in ländlichen Gebieten der gesamten EU vorzufinden sind:

Hindernisse beim Wissenszugang und Notwendigkeit der Gewährleistung unterschiedlicher Bildungsformen für die ländliche Bevölkerung;

schlechterer Zugang zu Informationen und geringere Fähigkeiten, sie zu nutzen;

fehlende Fähigkeiten hinsichtlich der unternehmerischen Initiative, Schwierigkeiten beim Übergang vom landwirtschaftlichen zum ländlichen Unternehmertum;

Ungleichheiten in Bezug auf die Rechte von Frauen und Männern (1);

regionale demografische Probleme: je nach Region gibt es zu wenige Frauen oder zu wenige Männer als Partner in landwirtschaftlichen Haushalten; Landflucht;

schlechtere soziale Infrastrukturausstattung als in Städten;

bürokratische Hürden und fehlende Unterstützung vonseiten der öffentlichen Verwaltung.

7.   Möglichkeiten für die Entwicklung der Zivilgesellschaft im ländlichen Raum

7.1   Ein größeres Engagement der ländlichen Zivilgesellschaft lässt sich erreichen, wenn die Entscheidungsfindungsmethoden im weiteren Sinne (Governance) optimiert werden, und zwar sowohl auf nationaler Ebene (durch die Mitwirkung der zivilgesellschaftlichen Organisationen an der Gestaltung der Politik zur Förderung des ländlichen Raums, und nicht durch ihre bloße Konsultierung zu Lösungen, die von Beamten bereits fertig ausgearbeitet sind), als auch auf regionaler und lokaler Ebene (durch die Einbindung der Bevölkerung in Entscheidungen über die Zuweisung von Entwicklungsressourcen für verschiedene Projekte).

7.2   Die Anpassung der Entwicklungsinstrumente an die Bedürfnisse und die Möglichkeiten konkreter ländlicher Gebiete setzt zunehmend einen „Bottom-up“-Ansatz voraus. Mit anderen Worten muss dieser Ansatz nicht nur bei ausgewählten Maßnahmen im Rahmen des Programms zur Förderung des ländlichen Raums zum Tragen kommen, sondern auch im Rahmen von Strukturfonds und politischen Maßnahmen auf nationaler Ebene.

7.3   Die wichtigsten Probleme des ländlichen Raums können durch die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen, dem privaten (Unternehmer) und dem nichtstaatlichen Sektor gelöst werden. Wenn die Bevölkerung, die eine lokale Partnerschaft bildet, an der Entscheidung bzw. zumindest Mitentscheidung über die Verwendung der Finanzmittel für die Schaffung von Arbeitsplätzen, Mobilisierung der Arbeitslosen oder Vorbeugung gegen die Ausgrenzung beteiligt wird, kann dies dazu beitragen, dass sie ein größeres Verantwortungsbewusstsein für die Situation in ihrer Region entwickelt und bereit ist, sich für örtliche gesellschaftliche Anliegen einzusetzen.

7.4   Dem Aufbau von Beziehungen zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und ländlichen Organisationen sollte ebenfalls mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Darüber hinaus wäre es zweckmäßig, Verfahren, die sich in diesem Bereich in vielen Ländern bewährt haben, zu ermitteln und zu verbreiten.

7.5   Einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft auf dem Lande hat die Bildung. Bei einer Reform das ländlichen Schulwesens ist dafür Sorge zu tragen, dass von der Landbevölkerung ergriffene Maßnahmen stärker erleichtert werden, so z.B. wenn sie beschließt, eine örtliche Schule zu gründen und damit für die Bildung der künftigen Generationen zu sorgen. Dies zeugt von einem aktiven Bürgersinn und erfordert die partnerschaftliche Mitwirkung der lokalen Behörden. Ferner ist es zweckmäßig, in einigen EU-Mitgliedstaaten praktizierte gute Verfahren im Bereich der Erwachsenenbildung (z.B. Volkshochschulen) zu verbreiten.

7.6   Gerade der Einsatz für gesellschaftliche Anliegen stärkt das Gemeinwesen. Beobachtungen der vergangenen Jahre zeigen, dass Gesellschaftsgruppen, die es geschafft haben, dank einer aktiven Bürgerbeteiligung einen Weg aus der Hilflosigkeit zu finden und die Untätigkeit zu durchbrechen, bereit sind, ihre Erfahrungen mit anderen, passiveren Gesellschaftsgruppen zu teilen (2).

7.7   Auch der Gewährleistung des Zugangs der ländlichen Organisationen zu Finanzmitteln muss eine größere Aufmerksamkeit als bislang geschenkt werden. Solche Möglichkeiten gibt es theoretisch sowohl im Rahmen von EU-Fonds als auch im Rahmen nationaler bzw. internationaler Finanzierungsquellen. Aus den jüngsten Untersuchungen geht jedoch hervor, dass kleine Nichtregierungsorganisationen (wie sie in der Regel im ländlichen Raum tätig sind) auf die derzeit verfügbaren Finanzierungsquellen nur in einem sehr geringen Maße zurückgreifen.

7.8   Deshalb müssen Voraussetzungen geschaffen werden, die die Gewährleistung einer stabilen und flexiblen Finanzierung für Nichtregierungsorganisationen, auch für deren Funktionsweise (institutionelle Zuschüsse im Unterschied zu einer „Projekt“-Finanzierung) und die Suche nach Mechanismen für einen besseren Zugang der ländlichen Organisationen zu einer solchen Finanzierung erleichtern (beispielsweise durch die Schaffung von Mechanismen eines „Regranting“ durch Mittlerorganisationen in Anlehnung an das LEADER-Programm, nur in einem umfangreicheren Ausmaß).

7.9   Dank solcher Lösungen kann auch die Entscheidungsfindung über die Mittelzuweisung verkürzt werden, was im Falle von Kleinprojekten auf lokaler Ebene von großer Bedeutung ist.

7.10   Eine größere aktive Mitwirkung der ländlichen Zivilgesellschaft kann zu einer besseren Koordinierung verschiedener „sektoraler“ Politikbereiche beitragen (Bildung, Gesundheit, Soziales, Umweltschutz usw.), und dies nicht zuletzt deshalb, weil Nichtregierungsorganisationen im Hinblick auf den Aufbau von Kooperationsnetzen erfahrener sind und auf eine längere Tradition zurückblicken können als Einrichtungen des öffentlichen Sektors.

7.11   Gleichzeitig sollte jedoch die Möglichkeit der Einführung eines umfangreicheren Mechanismus zur Einordnung der ländlichen Gebiete (rural proofing) erwogen werden, der in einigen Mitgliedstaaten bereits Anwendung findet. Im Rahmen dieses Mechanismus würde geprüft werden, inwiefern sich die jeweilige rechtliche Lösung (die nicht direkt mit dem ländlichen Gebiet zusammenhängt, sondern beispielsweise den Bildungsbereich bzw. das öffentliche Auftragswesen betrifft) auf die Lage des ländlichen Gebiets auswirken wird. Es ist ferner von ausschlaggebender Bedeutung, dass eine solche Einordnung unter Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft stattfindet.

7.12   Zu erwägen sind auch spezifische institutionelle Lösungen, die eine Stärkung des Potenzials der ländlichen Organisationen gewährleisten. Zweifelsohne wären solche Lösungen (institutionelle Förderung, Unterstützung beim Kapazitätsaufbau und Verbreitung des Konzepts der öffentlich-privaten Partnerschaft) in Ländern, die sich auf die EU-Mitgliedschaft vorbereiten, von großem Vorteil. Dabei sollte der Erfahrungsaustausch zwischen den neuen Mitgliedstaaten und den Bewerberländern erleichtert werden.

7.13   Es ist unabdingbar, unterschiedliche Mechanismen zur Verfügung zu stellen, die der ländlichen Bevölkerung den Zugang zur Information erleichtern. Diese Mechanismen müssten den Besonderheiten des jeweiligen Landes angepasst sein (z.B. Einbindung von Medien sowie der lokalen Verwaltung und Einrichtung von Informationsstellen) und das Ausmaß des Internetzugangs berücksichtigen. In diesem Informationsprozess können neben den Nichtregierungsorganisationen auch Schulen sowie ländliche Organisationen und Gewerkschaften eine Rolle spielen.

7.14   Bei dieser Gelegenheit sollte der Erfahrungsaustausch zwischen den neuen Mitgliedstaaten und den Kandidatenländern erleichtern werden.

7.15   Es wäre zweckmäßig, nach Mechanismen zu suchen, die eine engere Zusammenarbeit zwischen städtischen und ländlichen Organisationen fördern, und zwar auch durch entsprechend konzipierte Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von EU-Mitteln. Dies würde jedoch eine Abwendung vom „sektoralen“ Denken und eine Eindämmung der Tendenz einer strengen Trennung zwischen den verschiedenen Fonds voraussetzen.

7.16   Die jetzige Debatte über die Zukunft des ländlichen Raums kann eine gute Gelegenheit bieten, das Bewusstsein für die Problematik der ländlichen Gebiete auch unter der Stadtbevölkerung zu schärfen. In diesem Zusammenhang wurden in jüngster Vergangenheit einige interessante Pilotprojekte durchgeführt (beispielsweise im Rahmen der Initiative „European Citizens’ Panel“ (3)). Dabei wurde an den Debatten über den ländlichen Raum ein größerer Kreis von Bürgern beteiligt, die zuvor kein Interesse an dieser Problematik gezeigt hatten. Sowohl „ländliche“ als auch „städtische“ Organisationen könnten an Bewusstseinsbildungsmaßnahmen beteiligt werden.

Brüssel, den 4. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Der EWSA hat sich in seiner Stellungnahme ABl. C 204 vom 18.7.2000, S. 29 mit der Situation von Frauen in ländlichen Gebieten beschäftigt.

(2)  Dies lässt sich nicht nur innerhalb einzelner Länder beobachten (wie beispielsweise in Polen, wo im Rahmen des Nationalen Partnerschaftsnetzes die besser entwickelten Bevölkerungsgruppen sich der weniger erfahrenen annehmen und sie unterstützen), sondern ist auch zwischen verschiedenen Ländern festzustellen (beispielsweise die Tätigkeit polnischer ländlicher Organisationen in der Ukraine, slowakischer in Serbien oder ungarischer in Albanien). Maßnahmen dieser Art bedürfen jedoch einer institutionellen Unterstützung und einer weiterreichenden Verbreitung als „bewährte Verfahren“.

(3)  www.citizenspanel.eu.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/43


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Soziale Auswirkungen der Entwicklung im Gesamtbereich Verkehr und Energie“

(2009/C 175/08)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die sozialen Auswirkungen der Entwicklung im Gesamtbereich Verkehr und Energie“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. November 2008 an. Berichterstatterin war Frau BATUT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 4. Dezember) mit 107 gegen 29 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Schlussfolgerungen

1.1.1   Der Verkehr und die Energie, die wie die zwei Seiten einer Münze untrennbar miteinander verbunden und für die Wettbewerbsfähigkeit, die Entwicklung, das Wohlergehen und den Zusammenhalt von grundlegender Bedeutung sind, stehen durch die unzulänglichen europäischen Energieressourcen und das instabile Angebot aus Drittländern, die zu Preisschwankungen führen und die Preise über Jahre hinweg steigen lassen können, unter dem Druck aus drei Richtungen: der Wirtschaft, dem Sozialwesen und der Umwelt.

Der EWSA hält es für sinnvoll, bereichsübergreifende und vorausschauende Überlegungen zu der absoluten Notwendigkeit dieses Gesamtbereichs für die europäischen Bürger sowie den sich daraus ergebenden Auswirkungen — insbesondere unter ungünstigen Rahmenbedingungen — auf die Lebensweise der Bürger anzustellen. Des Weiteren sollte über mögliche Maßnahmen nachgedacht werden, die die Europäische Union im Hinblick auf diesen Gesamtbereich jederzeit ergreifen könnte, um dem Wohlergehen ihrer Bürger gerecht zu werden.

1.1.2   Die Aufrechterhaltung des europäischen Sozialmodells ist teilweise vom Gesamtbereich Verkehr und Energie abhängig, dessen langfristige Verteuerung sich auf das tägliche Leben der Menschen, Unternehmen und Arbeitnehmer sowie auf die Mobilität und Beschäftigung im Allgemeinen auswirkt. Der Gesamtbereich Verkehr und Energie ist nach der Wohnung, der Beschäftigung und dem Einkommen zum vierten Faktor der sozialen Ausgrenzung geworden. Aufgrund der Tatsache, dass einige Bürger keinen Zugang zu Verkehrsträgern und Energie haben, werden sie auch von der „E-Gesellschaft“ ausgegrenzt. Der Erfolg der Lissabon-Strategie steht in sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht auf dem Spiel.

1.1.3   Der Markt und die Preise: die Verbraucherpreise beinhalten Faktoren wie die Liberalisierung, den Wechselkurs des Euro, die Lage auf dem Finanzmarkt, die Steuern, die Kosten erneuerbarer Energiequellen, die Bekämpfung des Klimawandels, externe Elemente. Der Markt kann nicht alles selbst regeln. Es sollten mehrere Instrumente zu einer stärkeren Integration der Bürger und einer gerechteren Verteilung der Kosten und Preise ins Leben gerufen werden.

1.2   Empfehlungen

1.2.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass es in Zeiten steigender Preise in sozialer Hinsicht von Vorteil wäre, wenn bestimmte Kategorien von Verbrauchern auf europäischen Anstoß hin bei der Nutzung von Verkehrsträgern und Energie zwischen dem „unbedingt notwendigen“ Anteil, der ggf. subventioniert werden kann, und dem „freiwilligen“ Anteil unterscheiden würden, deren Definition im Dialog geklärt werden soll.

1.2.2   Den Strukturfonds könnte eine gewisse Bedeutung bei der Solidarität im Energiebereich und der Wahrung der Mobilität der Bürger zukommen.

1.2.3   Die Verteilung der öffentlichen Mittel zwischen den einzelnen FuE-Maßnahmen sollte auf EU-Ebene ausgewogen sein, um den Klimaschutz und die Energieunabhängigkeit der Union zu optimieren.

Der EWSA fordert ein kontinuierliches Engagement zur Erreichung eines Forschungsniveaus, das zu bedeutenden und schnellen Fortschritten bezüglich der neuen Energiequellen und ihrer Nutzung führt, d.h. ein konstantes Engagement, dass nicht, wie bei der ersten Ölkrise, sobald die Preise fallen wieder nachlässt.

1.2.4   Der Rechtsrahmen staatlicher Beihilfen sollte den nationalen Hilfsfonds systematisch eine Ausnahme von den Wettbewerbsregeln garantieren, wenn es um den Bereich der Forschung geht. Dadurch würde den Investoren eine gewisse Sicherheit garantiert, wodurch wiederum die Verwendung neuer Technologien und die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen begünstigt würde.

1.2.5   Die Ausweitung der Fazilität für Finanzierungen auf Risikoteilungsbasis (1) auf innovative KMU würde zur Entwicklung deren Wettbewerbsfähigkeit und gleichzeitig zu konkreten Verbesserungen des Gesamtbereichs Verkehr-Energie beitragen.

1.2.6   Die Ausweitung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung und seiner Zugangskriterien würde dazu beitragen, die negativen Folgen der Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels für die Arbeitnehmer zu begrenzen.

1.2.7   Um die Wettbewerbsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt der europäischen Wirtschaft zu gewährleisten, plädiert der Ausschuss für:

ein Leitschema für eine gemeinsame Industriepolitik mit Forschungsbestrebungen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung und einer erfolgreichen Komodalität (2) im Verkehrsbereich;

eine Energiepolitik, die auf die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten gegründet ist und mit dem Klimaschutz in Zusammenhang steht;

die Erstellung von Studien über die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit von europäischen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Energiebereich zugunsten der Bürger mit einem gemeinsamen Ansatz bezüglich der Preise, der Kraftstoffsteuern, der Sicherheitsvorschriften im Finanzbereich, der wirtschaftlichen Entwicklung und des Klimaschutzes; die Rolle der Dienste zur Versorgung der Öffentlichkeit mit Energie- und Verkehrsleistungen in den Mitgliedstaaten  (3) an der Schnittstelle von Vorschriften, Regionen, der Wahrung der Grundrechte der Bürger und der Beschäftigung könnte dadurch verbessert werden;

bezifferte quantitative und qualitative Ziele und Messinstrumente zur Bewertung der Effizienz bei der Entflechtung von Netz- und Versorgungstätigkeiten und deren Auswirkung auf die Preise;

Verbraucherumfragen über die Harmonisierung der europäischen Kraftstoffsteuern mit umfassender Verbreitung der Ergebnisse sowie die anschließende Festlegung von geeigneten Indikatoren bezüglich der Auswirkungen des „unbedingt notwendigen“ Verkehrs auf die Umwelt;

die Aufnahme eines wirklichen Dialogs über die künftigen „Klimapläne“, um Wettbewerbsverzerrungen und Sozialdumping zu vermeiden.

1.2.8   Darüber hinaus hält es der Ausschuss auf Unternehmensebene für nötig, in den Unternehmen und Diensten der Europäischen Union folgende Maßnahmen zu ergreifen:

Die Begünstigung der Aufnahme eines sozialen Dialogs und von Verhandlungen über die nicht kürzungsfähigen Kosten in den Bereichen Verkehr und Energie als Element des Mindestlohns;

die Befürwortung der Aushandlung eines nachhaltigen Mobilitätsplans für das Unternehmen oder den Dienst

sowie die Einführung von Unternehmenszertifizierungen wie EMAS;

die Durchführung einer Bewertung der durch zertifizierte Verringerungen des Energieverbrauchs und Verkehrs in einem Unternehmen oder Dienst erzielten Gewinne gemäß den ebenfalls im Dialog festzulegenden Kriterien, um diese Gewinne nach den ausgehandelten Modalitäten zwischen dem Unternehmen und den Angestellten aufzuteilen;

die Durchführung qualitativer Studien über den Gesundheitszustand der Angestellten im Zusammenhang mit den von ihnen verwendeten Verkehrsträgern und Energiequellen, um Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.

1.2.9   Auf Gemeinschaftsebene hält es der EWSA für nötig, einen zivilen Dialog zu führen über:

die kulturelle Dimension und die menschliche Herausforderung, die auf dem Gebiet der Union bewältigt werden muss, damit die zu erschwinglichen Preisen für jedermann zugänglichen Verkehrs- und Energiedienstleistungen zum Wohlergehen der Bürger und zum Verständnis der Vielfalt der Union beitragen.

die Förderung der Aufklärung der Bürger ab der Primarstufe über einen verantwortungsbewussten Umgang mit Verkehr und Energie;

den Gesundheitszustand der Bürger allgemein mit Hilfe von umfassenden Umfragen über die verwendeten Verkehrsträger und Energiequellen, um Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen;

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Union ein genormtes Anzeigesystem einrichten sollte, das mit dem der Mehrwertsteuer vergleichbar ist (kein Kennzeichen), um auf dem Preisschild aller Konsumgüter den Vermerk „APCO2 — Added Production of CO2 anzugeben, was zur Sensibilisierung aller Bürger für die Herausforderungen in den Bereichen Verkehr/Energie/Umwelt dienen soll;

der EWSA ist der Ansicht, dass in den internationalen Handelsverhandlungen auf diese europäische Norm zurückgegriffen werden könnte und die Ergebnisse nach dem Vorbild von EDIFACT (4) unter jährlicher Kontrolle durch die Zivilgesellschaft in die vorhandenen Handelsdokumente aufgenommen werden könnten, wie es bei der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN-ECE) der Fall ist, die dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (UN-ECOSOC) jedes Jahr über die aktuelle Situation von EDIFACT (5) Bericht erstattet. Die EU könnte davon auf internationaler Ebene profitieren.

2.   Mögliche Handlungslinien der Union

2.1   Diplomatie

2.1.1   Die Energieunabhängigkeit der Union, die wirtschaftliche Entwicklung, die Gewährleistung des Lebensstandards der Europäer und die soziale und ökologische Nachhaltigkeit sind von den Versorgungskapazitäten der Mitgliedstaaten abhängig.

2.2   Märkte

2.2.1   Die Nachfrage nach Energie und Verkehrsdienstleistungen und der Treibhausgasausstoß steigen stetig. In Bezug auf die Energie und die Netzindustrien sind die europäischen Märkte nach wie vor zu sehr zersplittert, auch wenn eine Tendenz zur Integration vorhanden ist (2006: Kopplung der Märkte Frankreichs, Belgiens und der Niederlanden sowie mögliche Ausweitung auf den deutschen Markt im Jahr 2009; Einrichtung eines europäischen Spotmarktes (6); Suche nach möglichen Fusionen). Der gewählte Weg der Liberalisierung mit einer Entflechtung der Netze (Gas, Elektrizität) kann trotz allem Gefahren in sich bergen, wie den Kauf durch außereuropäische Mittel (Staatsfonds), Krisen ohne gemeinschaftliche Reservekapazität und eine unkontrollierte Preispolitik mit katastrophalen Folgen für die Verbraucher. Die Kernkraft wird für die Union zu einer unumgänglichen Frage: es wäre unverantwortlich, dieses Thema auf Gemeinschaftsebene nicht anzusprechen.

2.2.2   Die Mobilität ermöglicht Beschäftigung, Tourismus und das Kennenlernen der Bürger anderer Länder Europas. Die Möglichkeit zur Mobilität wird jedoch eingeschränkt, wenn die Energiepreise zu hoch sind und schwerwiegende Folgen für einzelne Personen, Unternehmen, die Beschäftigung und die Wirtschaftstätigkeit haben.

2.2.3   Es muss ein Energiemix und eine innereuropäische Solidarität geschaffen werden, um neue Zersplitterungen des Marktes zu verhindern. Für eine mobile und zugleich integrative Gesellschaft sind kohärente Vorschriften und Regulierungsbehörden, die die Einhaltung dieser Vorschriften sicherstellen, erforderlich. Die Zivilgesellschaft kann hier den Weg weisen.

2.3   Preisbildung

2.3.1   Zu den Faktoren, die Einfluss auf die Bildung der Verbraucherpreise haben, gehören:

Die Liberalisierung: Die Verbraucher haben nicht alle angekündigten Preissenkungen wahrgenommen;

die wechselseitige Beeinflussung der Preise: Die Preise beeinflussen sich gegenseitig — die Energiepreise die Verkehrskosten und der Erdölpreis den Gaspreis — und bestimmen zusammen die Verkaufspolitik; die Energieproduzenten und -versorger treiben die Preise nach oben, ziehen daraus den größtmöglichen Nutzen und halbieren den Preis, wenn nicht genug Liquidität vorhanden ist;

der Wechselkurs: Der im Vergleich zum Dollar starke Kurs des Euro sollte die Preiserhöhungen abfedern. Vor der Krise hatten die sehr hohe Nachfrage und die Preise Auswirkungen auf die Länder der Eurogruppe, zumal die nationalen Kraftstoffsteuern bereits hoch waren (7); und während der Krise wird durch den Kursverfall des Euro im Vergleich zum Dollar der Effekt der sinkenden Produktionskosten abgeschwächt;

die Lage auf den Finanzmärkten: Die durch die Finanzkrise Ende 2008 hervorgerufenen Liquiditätsengpässe haben zu einer Senkung der Rohölpreise geführt, da sich die Verkäufer auf die Möglichkeiten der Käufer eingestellt haben, um nicht zu viel Verlust zu machen; allerdings sind die vom Endverbraucher zu Beginn der Krise zu zahlenden Kraftstoffpreise kaum gesunken, während sich dagegen die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Krise langsam bemerkbar machten;

die Steuern, die im Energiebereich sehr hoch und je nach Mitgliedstaat unterschiedlich ausfallen, müssten überprüft und zwischen den einzelnen europäischen Staaten harmonisiert werden;

die Marktlücke für erneuerbare Energien: Sie profitierten von dem internationalen Anstieg der Energiepreise, der ihre Produktionskosten kompensierte. Allerdings ist der Vorteil für den durchschnittlichen Verbraucher noch nicht deutlich spürbar. Umgekehrt kann aber eine Preissenkung ihre Position gefährden;

externe Elemente, wie das Verursacherprinzip, kommen hinzu oder könnten hinzukommen, wie ein tatsächlicher Wettbewerb unter den Lieferanten von Erdölerzeugnissen oder ein europäischer Dieselkraftstoff zu einem harmonisierten Preis.

2.3.2   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Rolle der Union darin bestehen sollte, Solidaritäten und ein Leitschema für eine gemeinsame Industriepolitik zu fördern, das auf Forschung im Bereich der nachhaltigen Entwicklung und einer erfolgreichen Komodalität der Verkehrsträger beruht, sowie die politische Stabilität in Europa durch Vorschriften zu verbessern. Eine zuverlässige Studie über den Einfluss der Entflechtung des Netzbetriebs, der Versorgungstätigkeiten und der Energiegewinnung auf die Preise wäre bei der Erarbeitung dieser politischen Maßnahmen hilfreich.

2.4   Finanzierung

2.4.1   Öffentliche Ebene

Hier geht es lediglich darum, einige Aspekte bezüglich der sozialen Folgen hervorzuheben (8). Die öffentlichen Mittel für Maßnahmen mit kurzfristigen Ergebnissen und für Forschungsbestrebungen müssen auf europäischer Ebene sinnvoll zwischen den Bereichen Klimaschutz, Energieunabhängigkeit der EU und Wohlergehen der Bürger aufgeteilt werden. Die Restbestände zugewiesener und nicht genutzter Gemeinschaftsmittel sollten systematisch an einen Hilfsfond für Forschung und Innovation zurückfließen. Durch den Rechtsrahmen staatlicher Beihilfen könnten die nationalen Hilfsfonds von den Wettbewerbsregeln ausgenommen werden, wodurch den Investoren eine gewisse rechtliche Sicherheit garantiert würde, die wiederum die Verwendung neuer Technologien und die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen begünstigen würde. KMU sollten unterstützt werden, um die im Jahr 2000 in Lissabon festgelegte Wachstumsrate zu erreichen, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen sowie die Innovationsfähigkeit der KMU zu gewährleisten.

2.4.2   Verbraucherebene

Die Union verfügt über einflussreiche Instrumente (Strukturfonds, Regionalpolitik). Vor der Krise hielten die internationalen Experten den Aufwärtstrend der Preise für Energierohstoffe für ein langfristiges Phänomen. Die Europäische Kommission könnte Überlegungen über die gemeinschaftliche Solidarität anstellen, die nötig wäre, um im Falle eines erneuten Preisanstiegs etwas gegen die Ausgrenzung durch Energiearmut zu unternehmen und eine Beeinträchtigung des BIP der EU zu vermeiden und im Falle einer Depression (u.a. fallende Preise bei gleichzeitig sinkender Nachfrage aufgrund reduzierter Kaufkraft) die Nachfrage zu fördern.

Eine der sozialen Folgen der Entwicklungen im Gesamtbereich Verkehr und Energie ist, dass ein jeder zum Opfer der Preiserhöhungen wird, wenn diese stattfinden, während sich der von der Globalisierung und der Finanzialisierung der Wirtschaft ausgehende externe Druck — der zu der Krise geführt hat — auf die Gehälter und die Kaufkraft der Haushalte auswirkt und in der EU Unterbeschäftigung herrscht. Darüber hinaus sind die Preise größtenteils von indirekten, nicht progressiven Steuern abhängig.

Der EWSA ist der Ansicht, dass es in sozialer Hinsicht sinnvoll wäre, auf europäischen Anstoß hin eine Preisdifferenzierung zwischen dem „unbedingt notwendigen“ und dem „freiwilligen“ Anteil der ersten gefahrenen Kilometer, der ersten verbrauchten Liter Kraftstoff, der ersten Kilowattstunden Energie usw. vorzunehmen. Dies soll über den geschätzten Verbrauch und nach Kategorien von Verbrauchern geschehen, die im Dialog bestimmt werden sollen. Auf diese Weise könnten Hilfssysteme für die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen für den unbedingt notwendigen, nicht kürzungsfähigen Anteil ins Leben gerufen werden.

Der EWSA ist der Ansicht, dass Studien über die Durchführbarkeit der Europäischen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Energiebereich, die der gemeinsamen Energiepolitik zugute kommen könnten, erstellt werden sollten. Ein gemeinsamer Ansatz bezüglich der Preise würde aus diesem Parameter ein Instrument zum Kampf für den Aufrechterhalt der wirtschaftlichen Entwicklung bei gleichzeitigem Klimaschutz und Wahrung der Verbraucherinteressen durch eine gerechte Kostenverteilung machen.

2.5   Steuern

2.5.1   Die Steuern haben Einfluss auf die Preisbildung (die Umweltplakette ist das neueste Beispiel). Dabei haben sich die Mitgliedstaaten einen Spielraum vorbehalten. Eine stärker integrierte Marktpolitik würde die EU dazu bringen, die Situation in Bezug auf das Steuersystem zu überdenken, und würde die Transparenz für den Bürger/Verbraucher erhöhen.

2.5.2   Die Mineralölsteuer (9), von der Union als Verbrauchsteuer definiert, richtet sich nach der Menge, während sich die Mehrwertsteuer nach dem Wert richtet; die Mehrwertsteuer ist, wie jede indirekte Steuer, ungerecht, da sie sich nicht nach den Möglichkeiten der Steuerzahler richtet: die wirtschaftlich und sozial am niedrigsten gestellten Gesellschaftsschichten haben somit am stärksten darunter zu leiden. Die Bürger der Mitgliedstaaten werden bei der Kraftstoffsteuer jedoch ungleich behandelt. Diese Steuer sollte Gegenstand von unter den Verbraucher veröffentlichten Studien und Umfragen sein, um im Sinne der Konvergenz das beste System zu ermitteln. Ein „europäischer“ Dieselkraftstoff hätte eine unmittelbare Transparenz-Wirkung (10).

2.6   Forschung

2.6.1   Die Ankurbelung der produktiven Investitionen muss in einem Maße geschehen, dass sie zu deutlichen und schnellen Fortschritten führt, ohne die weder die Energieunabhängigkeit der EU oder die Wahrung ihrer Vorreiterrolle beim Kampf gegen den Klimawandel, der Lebensstandard der Europäer noch die Zukunft Europas gewährleistet werden könnten. Ein kostenloses Verfahren zur Erteilung eines europäischen Patents für erneuerbare Energien und saubere und kostengünstige Verkehrsträger würde den Zeitraum zwischen der Entdeckung und der Markteinführung verringern. Eine solche Maßnahme würde nicht mit Artikel 194 Absatz 1 Buchstabe c) des Lissabon-Vertrags in Widerspruch stehen. Es ist unumgänglich, wohl durchdachte Risiken einzugehen. Die Verbesserung der Energieeffizienz um 20 % ist nunmehr eine Voraussetzung für Investitionen der EIB. Dies könnte dem Ziel der Innovation (11) dienen und zahlreichen Unternehmen angeboten werden.

Die Möglichkeit der KMU, von der Fazilität für Finanzierungen auf Risikoteilungsbasis zu profitieren (siehe Ziffer 1.2.5), könnte zu Innovationen auf der gesamten regionalen Ebene führen. Zum Beispiel befinden sich Initiativen wie Car-Sharing zwar in der Entwicklung, jedoch bleiben sie, wie in den Gemeinden Saint-Brieuc und Rennes (12), von lokalen Subventionen abhängig, auch wenn sie zu Mobilität, der Reduzierung des CO2-Ausstoßes, Zeitersparnissen und sozialen Projekten beitragen, da sie aufgrund ihrer geringen Kosten auch für finanziell weniger gut gestellte Personen zugänglich sind.

2.7   Regionen

2.7.1   Der Verkehr und die Energie sind das Rückgrat der Regionen und eine Voraussetzung für die lokale Entwicklung (wie z.B. im Falle der französischen Regionen, die von der Eröffnung der TGV-Linien profitiert haben). Allerdings hat der Verkehr, der ursprünglich den Motor für die Wirtschaft und Raumplanung darstellte, eher eine Bremswirkung, wenn die Energiepreise hoch sind.

2.7.2   Die Union schlägt eine Klima- und Energiepolitik mit bezifferten Zielen ein und benötigt entsprechende Messinstrumente. Es wäre interessant, die qualitativen Aspekte in der Union in einheitlicher Weise zu messen, und für die Bewertung des Bedarfs scheint die regionale Dimension von Energie und Verkehr am besten geeignet zu sein. Auf lokaler Ebene ermöglicht eine gründliche Kenntnis der Tendenzen eine bessere Verwaltung der Ressourcen.

2.7.3   Die Regionen erhalten im Rahmen der Regionalpolitik der Union Beihilfen. Die Aufschlüsselung dieser Beihilfen könnte als Forschungsindikator für das Wohlbefinden der Bürger im Bereich Verkehr und Energie dienen. Die Entwicklung des Gesamtbereichs Verkehr und Energie kann ganze Teile der Wirtschaft betreffen und schwerwiegende soziale Konsequenzen haben, wenn ihre negative Entwicklung einen Sektor wie die Fischerei direkt betrifft, in dem sich die Gewinne durch die jeweiligen Preissteigerungen verringern.

2.7.4   Die Verteilung der Wirtschaftstätigkeiten und die Verwaltung der Mobilität der lokalen Bevölkerung in den Städten  (13) haben Einfluss auf das Berufspendlertum. Eine obligatorische Klausel zur Einstellung lokal ansässiger Arbeitnehmer könnte von angepassten Strukturfonds gestützt werden (Anteil von Arbeitsplätzen, der den Anwohnern der jeweiligen Gebiete vorbehalten ist, sowie Steuererleichterungen für Unternehmen, die sich diesbezüglich engagieren). Die Beschäftigung, die Wohnung, die Chancengleichheit und somit das Einkommen sowie der Verkehr, als vierter Faktor, können zur sozialen Integration beitragen oder ihr entgegen wirken.

Lösungen, die eine Angleichung der gesellschaftlichen Kosten verhindern, die negative Auswirkungen auf den sozialen Sektor hätte, können vor allem in neuen Prioritäten und der Koordinierung öffentlicher Maßnahmen in den Städten in Bezug auf Wohnung, Beschäftigung und Mobilität gefunden werden.

Mit einem sicheren nationalen und europäischen Rechtsrahmen können die Maßnahmen am besten zwischen den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, den Unternehmen und Haushalten aufgeteilt werden.

2.8   Öffentliche Dienste

2.8.1   Im Bereich der Energie herrscht eher ein Oligopol als uneingeschränkter Wettbewerb. Die Auswirkungen auf den Netzzugang und die Preispolitik werden von den Bürgern negativ aufgenommen (z.B. die Schließung kleiner Bahnhöfe und für nicht rentabel erklärter Busnetze, der Anstieg der Verbraucher- und Energiepreise usw.). Die nationalen öffentlichen Dienste sind an der Schnittstelle von Vorschriften, regionalen Maßnahmen, der Wahrung der Grundrechte der Bürger und der Beschäftigung tätig.

Die Rolle der Gemeinschaft besteht darin, die Auswirkungen der Entwicklungen und die damit verbundenen Ungewissheiten für die Bürger zu dämpfen. Die lokalen Gebietskörperschaften müssen auf ihrem Gebiet aktiv werden, um diese wirtschaftlichen und finanziellen Schocks abzufedern. Da sie sehr stark mit den Entwicklungen im Gesamtbereich Verkehr und Energie konfrontiert sind, suchen sie nun nach Lösungen.

Es werden neue Governance-Instrumente auf den verschiedenen Interventionsebenen — der lokalen, regionalen, nationalen und gemeinschaftlichen Ebene — benötigt. Die Programme der Gemeinschaft könnten besser bekannt gemacht werden und offener für Experimente sein.

2.8.2   Die Verteilung der Arbeitsplätze in den Arbeitsmarktgebieten könnte verbessert werden, wenn sie mit der Organisation des städtischen Nahverkehrs verbunden würde. Die von den lokalen öffentlichen Diensten im Beschäftigungsbereich wahrgenommene Rolle ist von großer Bedeutung; sie sollten die neuen Zwänge, denen der Verkehrs- und Energiesektor ausgesetzt ist, berücksichtigen.

2.8.3   Die Vernetzung der Regionen ist ein Ergebnis politischer Entscheidungen und Investitionen. Die Preisbildung zu beeinflussen, bedeutet, Zugang und erschwingliche Preise sowie die Integration der am stärkten benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten. Der Verkehr kann durch seine Unverzichtbarkeit, seinen hohen Preis und seine Knappheit nach der Wohnung, der Beschäftigung und dem Einkommen als vierter Faktor für die Ausgrenzung angesehen werden. Darüber hinaus müssen die sozialen Folgen der neuen Auflagen für den Verkehrsbereich beobachtet werden (Energie- und Klimapaket). Wirtschaftlichkeit kann durch einen systematischen Ansatz der Mobilitätspolitik, durch sehr gute intermodale Verbindungen, eine wettbewerbsfähige und rentable Gestaltung aller geografischen und zeitlichen Nischen (14) und die Technologie- und Sozialforschung erreicht werden, um die vorhandenen Ressourcen durch eine Kostensenkung zu optimieren. Das hängt von dem politischen Willen und der Mobilisierung der Akteure ab.

2.9   Gesundheit

Die Folgen der Entwicklungen im Gesamtbereich Verkehr und Energie sind auch in Bezug auf die Gesundheit der Bürger zu spüren. Dies rechtfertigt die Ergreifung von Maßnahmen zum Ausgleich früherer Entscheidungen im Einklang mit dem Energie- und Klimapaket, was im Verkehrsweißbuch der Kommission bereits anklang.

2.9.1   Die Gesundheitsprobleme durch die täglich mehrmalige Verwendung von Verkehrsmitteln auf großen Distanzen zwischen dem Wohnort und dem Arbeitsplatz haben Auswirkungen auf die Sozialsysteme: Probleme, den Beruf weiter auszuüben, Stress, Asthenie und zahlreiche Krankheiten bei Erwachsenen wie z.B. Allergien und muskuloskeletale Störungen (MSD), sowie Krankheiten bei Kindern wie z.B. Allergien und Bronchitis.

Die Verwendung nicht nachhaltiger Energien führt zu Luft-, Süß- und Salzwasserverschmutzungen sowie zur Kontaminierung der Böden und der aus ihnen gewonnenen Nahrungsmittel usw. Darüber hinaus müssen die Rückkehr der Kernenergie und ihre potenziellen Risiken ebenso wie die Aufklärung der Bevölkerung über die Kernenergie, die aufgrund der steigenden Nachfrage nach dieser Energie in den Erzeugerländern der EU und der Alterung des Kraftwerkparks unabdingbar ist, neu überdacht werden.

2.10   Beschäftigung

2.10.1   Das Wachstum, die Beschäftigung (Lissabon-Strategie) und die nachhaltige Entwicklung haben ebenfalls unter den hohen Energie- und Verkehrskosten sowie unter den Folgen der Finanzkrise zu leiden. Soziale und beschäftigungspolitische Fragen, die mit der sozialen Dimension der Lissabon-Strategie in Verbindung stehen, müssen berücksichtigt werden. Die Liberalisierung hat bereits schwerwiegende Folgen für die Arbeitnehmer im Strom- und Gassektor mit sich gebracht.

2.10.2   Die zunehmende Vergemeinschaftung der Klimapolitik der Union bringt auf makroökonomischer Ebene die Einleitung eines wirklichen sozialen Dialogs zur Aushandlung künftiger „Klimapläne“ der EU mit sich, um Wettbewerbsverzerrungen und Sozialdumping zu vermeiden. Die Europäische Kommission könnte die Sozialpartner unterstützen, indem sie ihnen einen Mechanismus zur Verfügung stellt, der es ihnen ermöglicht, die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, die sich aus der Einführung der neuen Klimapolitik ergeben und Auswirkungen auf den Gesamtbereich Verkehr und Energie haben, gegebenenfalls vorherzusehen, zu verhindern oder zu begleiten.

2.10.3   Der EWSA ist der Ansicht, dass wesentlich mehr Mittel in die angewandte Forschung investiert werden müssen, damit die Entwicklung innovativer Technologien zur Schaffung von Arbeitsplätzen, insbesondere in den KMU und Kleinstunternehmen, beiträgt.

2.10.4   Der EWSA spricht sich für die Ausweitung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung aus, um die negativen Folgen der Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels für die Arbeitnehmer zu begrenzen. Der EWSA ist der Ansicht, dass alle Bevölkerungsgruppen, die in Schwierigkeiten sind, von Armut bedroht oder von der Gesellschaft ausgeschlossen sind, von diesem Fonds berücksichtigt werden sollten, wozu die Funktionsmechanismen des Fonds, angefangen bei der Ausweitung seiner Zugangskriterien, überarbeitet werden müssten.

2.10.5   Nach Ansicht des EWSA machen die zwangsläufigen Ausgaben den am stärksten Benachteiligten immer mehr zu schaffen und gefährden deren E-Integration, ein weiterer Faktor, der zum Ausschluss von der Arbeitswelt und zur sozialen Ausgrenzung beiträgt. Die Union muss ihren Bürgern eine tragbare Preisentwicklung garantieren können und gleichzeitig die Energieversorgungssicherheit verbessern.

2.11   Sozialer Dialog im Unternehmen

2.11.1   Die Entwicklung des Gesamtbereichs Verkehr und Energie hat auf mikroökonomischer Ebene Auswirkungen auf die Unternehmen, die im sozialen Dialog berücksichtigt werden sollten:

Der soziale Dialog könnte sich mit der Ausbildung von Personal und Führungskräften im Hinblick auf nachhaltige energiearme Verhaltensweisen und schadstoffarme Verkehrsträger befassen.

Die Verhandlungen könnten eine Verpflichtung zur Aushandlung eines nachhaltigen Mobilitätsplans für das Unternehmen oder den Dienst umfassen.

Arbeitgeber könnten dazu ermutigt werden, die Beförderungskosten der Arbeitnehmer nach einer im sozialen Dialog zu bestimmenden Abstufung als Element des Mindestlohns anzuerkennen.

Die Einführung von Zertifizierungen für Unternehmen könnte ebenfalls im sozialen Dialog beschlossen werden (15).

Es müsste über die Verteilung der Gewinne verhandelt werden, die durch die energetischen und verkehrsbedingten Einsparungen im professionellen Bereich erzielt und nach im sozialen Dialog festgelegten Kriterien bewertet wurden.

Es gibt also ein weites Feld, das vom sozialen Dialog auf Unternehmensebene noch erschlossen werden kann.

2.12   Kultur und Bildung

2.12.1   Der Verkehr und die Energie haben seit langem eine kulturelle Dimension angenommen, die durch die Demokratisierung dieser Bereiche für zahlreiche Bürger zugänglich ist. Diese Dimension, die heute für das europäische Einigungswerk von grundlegender Bedeutung ist, muss bewahrt werden und stellt für das Verständnis und die Praxis der europäischen Vielfalt eine menschliche Herausforderung dar.

2.12.2   Der EWSA ist der Ansicht, dass die derzeitigen Entwicklungen eine Gelegenheit zur Förderung der Ausbildung der Bürger ab dem Schulalter bieten können, um die übrigen Europäer besser kennenzulernen und die Nutzung von Verkehr und Energie zu optimieren. Gleichzeitig würde diese Ausbildung auch darauf abzielen, die Bevölkerung in alltäglichem zivilbürgerlichem Handeln zu schulen, und gleichzeitig die durch eine Behinderung, ihr Alter oder Ausgrenzung am stärkten benachteiligten Bevölkerungsgruppen berücksichtigen. Diese Ausbildung könnte mit der Gesundheitsausbildung verbunden werden, für die sie eine gute Grundlage schaffen würde (16).

2.13   Maßnahmen der organisierten Zivilgesellschaft

2.13.1   Individuelle Maßnahmen

Jeder Bürger ist dazu verpflichtet, sich zu informieren und hat das Recht auf Transparenz hinsichtlich der Beschlüsse der Institutionen und anderen Strukturen, wie Regulierungsbehörden. Der EWSA ist der Ansicht, dass hier eine umfassende Informationskampagne durchgeführt werden muss.

Der EWSA bekräftigt seine Unterstützung für die am 5. Juli 2007 (17) von der Kommission vorgeschlagene Europäische Charta der Rechte der Energieverbraucher, die die Rechte der Verbraucher gewährleisten soll, „deren Wahrung […] nicht […] einfach den Marktmechanismen überlassen [werden kann]“ (siehe Charta Ziffer 1.2 und 1.8).

2.13.2   Globale Maßnahmen

Die Bewältigung der Herausforderungen im Bereich der Energiepolitik erfordert eine soziale Mobilisierung, für die eine Beteiligung der Bürger und deren freiwilliges Handeln nötig sind.

Dazu legt der EWSA einen Vorschlag vor, alle Konsumgüter mit der Aufschrift „Added production of CO2“ zu versehen, wodurch die Bürger und Verbraucher sensibilisiert werden sollen.

Die Bürger besitzen, wenn sie die Möglichkeit haben, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, nicht über den ausreichenden Überblick. Zwei sich ergänzende Handlungsebenen würden es der Union ermöglichen, Maßnahmen zu ergreifen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen zu wahren:

Die makroökonomische Ebene, wie die Stellungnahme vom 20. Februar 2008 (18) gezeigt hat.

Die mikroökonomische Ebene, auf der die Wahlmöglichkeit für den Verbraucher möglich würde, wenn die Unternehmen mit Hilfe einer genormten Zertifizierung nach dem Vorbild von EMAS in jedem Stadium der Produktionskette das Preisschild jedes Produktes oder jeder Dienstleistung mit der Aufschrift „Added production of CO2 “ versehen. Teilweise Versuche in diesem Zusammenhang laufen zurzeit bereits in Großbritannien und außerhalb der EU z.B. in Vancouver und Kanada.

Dieses Anzeigesystem, das dem der Mehrwertsteuer ähnlich ist, würde zur Sensibilisierung aller Bürger beitragen, wenn diese Produkte oder Dienstleistungen konsumieren: „ Added production of CO2 “ würde auf dem Buchhaltungsbeleg jedes Produktes oder jeder Dienstleistung erscheinen, ganz gleich ob es sich um den Kassenbon aus dem Supermarkt oder die Gehaltsabrechnung handelt, und würde jeder Person in der Europäischen Union die Möglichkeit geben, sich dieser Herausforderung auf objektive Weise anzunehmen.

Die Übernahme der Kosten der CO2-Produktion wäre nicht damit verbunden. Es geht vorerst um die Sensibilisierung aller Beteiligten in allen Sektoren durch eine ganz simple Methode.

Der EWSA ist der Ansicht, dass in den internationalen Handelsverhandlungen auf diese europäische Methode zurückgegriffen werden könnte. Die Ergebnisse könnten nach dem Vorbild von EDIFACT und unter jährlicher Kontrolle durch die Zivilgesellschaft in die bereits genormten Handelsdokumente aufgenommen werden, wie es bei der Wirtschaftskommission für Europa (UN-ECE) der Fall ist, die dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) jedes Jahr über die Situation von EDIFACT Bericht erstattet.

Die EU ist insofern in der Führungsposition, als dass sie sich der Notwendigkeit bewusst ist, die drei Kapitel Verkehr, Energie und Umwelt als drei Teile derselben Strategie zu betrachten. Davon könnte sie auf internationaler Ebene profitieren.

Brüssel, den 4. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Die Fazilität für Finanzierungen auf Risikoteilungsbasis ist ein Abkommen über die Zusammenarbeit, das von der EIB am 5.6.2007 ins Leben gerufen wurde und der Forschung, Entwicklung und Innovation in Europa gewidmet ist. Die Fazilität ist mit Mitteln in Höhe von 10 Mrd. EUR ausgestattet.

(2)  Definition von Komodalität: „‚Co-Modality‘, d.h. die effiziente Nutzung der einzelnen Verkehrsträger oder ihrer Kombinationen“ — Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission, Juni 2006.

(3)  Artikel 73 — EG-Vertrag: „Mit diesem Vertrag vereinbar sind Beihilfen, die den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs oder der Abgeltung bestimmter, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen entsprechen“. Siehe auch Verordnung (EWG) Nr. 1107/70 des Rates vom 4. Juni 1970 über Beihilfen im Eisenbahn-, Strassen- und Binnenschiffsverkehr, ABl. L 130 vom 15.6.1970, S. 1-3, und Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates.

(4)  EDIFACT: Akronym für „Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport“; Standard der Vereinten Nationen, der zugleich eine Syntax und einen Inhalt definiert; er wurde von den nationalen und sektorspezifischen Normungsgremien angepasst, um den Anforderungen jedes Tätigkeitsfelds genügen zu können.

(5)  Die Wirtschaftskommission für Europa hat 56 Mitglieder und ist eine der fünf Regionalkommissionen des ECOSOC, des WSR der Vereinten Nationen. Neben den Mitgliedstaaten der EU umfasst sie die Vereinigten Staaten, Kanada, Israel und die zentralasiatischen Republiken.

(6)  Bei einem „Spotmarkt“ geht es um den Handel mit Devisen, Kursen oder Rohstoffen, wobei das Geschäft extrem schnell, d.h. bereits am nächsten Tag oder noch innerhalb eines Tages, abgewickelt wird.

(7)  DESTATIS, das Statistische Bundesamt in Deutschland: Die Energiepreise haben die Produktionskosten innerhalb eines Jahres um 3,8 % in die Höhe getrieben. In demselben Zeitraum sind die Preise um 7 %, die Preise für Erdölderivate um 19 % und die Energiepreise um etwa 10 % gestiegen. Ohne den Anstieg der Energiepreise wären die Preise nur um 2,7 % pro Jahr gestiegen. (in: Journal Les ECHOS, Frankreich, 21./22. März 2008).

(8)  Stellungnahmen des EWSA: Alleweldt, „Die Verkehrsinfrastruktur zukunftsfähig gestalten“, 28.1.2004, ces 93-2004; Krzaklewkski, „Transeuropäische Netze: Entwicklung eines integrierten Konzepts“, 28.3.2008, ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 25.

(9)  MwSt. und Mineralölsteuer: In Frankreich macht die Mineralölsteuer 74 % des Benzinpreises und 67 % des Dieselpreises aus und bedeutet eine Einnahme von 17,6 Mrd. EUR für den französischen Staat. Die MwSt. beträgt 19,6 % der Summe von Grundpreis und Mineralölsteuer (Richtlinie 2003/96/EG), d.h. 7,1 Mrd. EUR.

(10)  „Die Kraftstoffbesteuerung ergänzt die Tarifierung der Verkehrsinfrastrukturnutzung im Hinblick auf die Internalisierung der externen Kosten in die von den Benutzern gezahlten Preise. Sie ermöglicht insbesondere die Einbeziehung desjenigen Bestandteils der externen Kosten, der mit der Emission von Treibhausgasen im Zusammenhang steht. Zu einem Zeitpunkt, zu dem der Straßenverkehrssektor vollständig dem Wettbewerb geöffnet wird, erweist sich die fehlende Harmonisierung der Kraftstoffbesteuerung immer mehr als Hindernis für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts“, „Weißbuch: Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“, Europäische Kommission, 2001.

(11)  Siehe die Stellungnahme des EWSA, Berichterstatter: Herr Wolf, „Die möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“, 20.2.2008, ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 72.

(12)  Kommunen der Bretagne (22), Frankreich. Die Studiengruppe, die diese Stellungnahme erarbeitet, veranstaltete eine Anhörung in der Stadt Saint-Brieuc.

(13)  Stellungnahme des EWSA, Berichterstatter: Herr Ribbe, „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“, , ces ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 77.

(14)  Gemeinde von Saint-Brieuc, Bretagne (22), Frankreich, Anhörung am 6. Oktober: Einrichtung von „virtuellen“ Nahverkehrslinien, die je nach Bedarf auf bestimmten Strecken in Betrieb genommen werden können. Dies geschieht über eine EDV-gestützte Mobilitätszentrale, die zur integrierten Verwaltung der Verkehrsträger durch die lokalen Benutzer und zur Information über andere Netze dient (ITS, Intelligente Verkehrsysteme).

(15)  Zertifizierungen nach dem Vorbild von EMAS, „Eco Management & Audit Scheme“, Verordnung von 1995, überarbeitet 2002 und 2004, Verordnung (EG) Nr. 761/2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS).

(16)  Stellungnahme des EWSA, Berichterstatterin: Frau Sharma, „Übergewichtigkeit in Europa — Rolle und Verantwortung der Partner der Zivilgesellschaft“, (ces ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 63).

(17)  Stellungnahme des EWSA, Berichterstatter: Herr Iozia, „Charta der Rechte der Energieverbraucher“, 16.1.2008, ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 27.

(18)  Stellungnahme des EWSA, Berichterstatter: Herr Wolf, siehe oben.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die europäische Luftfahrtindustrie: gegenwärtige Situation und Zukunftsaussichten“

(2009/C 175/09)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 27. September 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die europäische Luftfahrtindustrie: gegenwärtige Situation und Zukunftsaussichten“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 18. November 2008 an. Berichterstatter war Herr OPRAN, Ko-Berichterstatter Herr BAUDOUIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 110 gegen 9 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

VORWORT

Gegenstand dieser Stellungnahme ist die europäische Luftfahrtindustrie, die den zivilen Personen- und Frachtluftverkehr mit Starrflügelluftfahrzeugen bedient. Alle sonstigen Aspekte der Luftfahrtindustrie (Luftfahrt zu militärischen Zwecken, Helikopter, Wartung usw.) sind ausdrücklich vom Inhalt dieser Stellungnahme ausgenommen.

Teil I — Schlussfolgerungen und empfehlungen

Ziel: Wahrung der weltweiten Führungsrolle der europäischen zivilen Luftfahrt im Starrflügelluftfahrzeug-Sektor — Ermittlung der Risiken, Festlegung der Prioritäten und Formulierung von Vorschlägen für eine erfolgreiche Strategie 2008-2012

Im STAR 21-Bericht wurde die immer größere Bedeutung der Industrie bei der Entwicklung von Partnerschaften mit der Wissenschaft aufgezeigt (Universitäten, Hochschulen, öffentliche Forschungseinrichtungen usw.). Die Luftfahrtindustrie ist ein Schmelztiegel grundlegender Kompetenzen und Technologien sowie ein wichtiger Impulsgeber für Innovationen; sie umfasst den zivilen wie auch den militärischen Bereich, die untrennbar miteinander verbunden sind und auf der Nutzung von Spitzentechnologien beruhen.

1.1   Die zivile wie auch die militärische Luftfahrt sind wesentliche Faktoren für eine solide Industrie, die technologische Entwicklung und das Wirtschaftswachstum. Sie haben außerdem eine wichtige Hebelwirkung, um weltweit als wichtiger Akteur wahrgenommen zu werden und Einfluss auf wirtschaftliche und politische Entscheidungen auszuüben.

1.2   Die Luftfahrtindustrie trägt ferner zur Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze in Europa bei und weist ein relativ hohes Lohnniveau im Vergleich zu anderen Industriezweigen auf.

1.3   Kurz gesagt, die Lissabon-Strategie (2000) und die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Barcelona (2002) (1) sind mehr denn je brandaktuell.

Nach Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses gibt es fünf grundlegende Risikofaktoren für die europäische Luftfahrtindustrie, sollten diese von den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft nicht vorweggenommen werden:

2.1   Die Kostenexplosion für die Entwicklung von Luftfahrzeugen, aufgrund derer die Luftfahrzeughersteller in ihren europäischen Industriestrategien die Gesamtkosten für die Entwicklung neuer Modelle nicht mehr selbst tragen können, führt zu einer Übertragung der Finanzierung und des Finanzrisikos auf die Zulieferer, einer immer längeren Dauer für die Rentabilisierung der Investitionen und zu einer immer stärkeren Verschuldung und Unsicherheit seitens der Zulieferer.

2.2   Die Schwäche des US-Dollar, die von 2005 bis zum Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise zu verzeichnen war und nunmehr erratische Währungsschwankungen verursacht, die ihrerseits in Bezug auf den Euro eine allgemeine Hausse ohne jedwede wirtschaftliche Begründung nach sich ziehen,

bedingt den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit für die europäische Industrie (2);

führt zu einem kontinuierlichen Streben nach einer Senkung der Fixkosten (Lohnkosten);

begünstigt Auslagerungen in die Dollar-Zone;

bedeutet das Ende für zahlreiche Zulieferer in Europa;

ist ein guter Grund für den Aufbau von „Partnerschaften“ in außereuropäischen Regionen.

2.3   Das in Frankreich als „Papy Boom (3) (wortwörtlich „Opa-Boom“) bezeichnete Phänomen der Verrentung der Baby-Boom-Generation der Nachkriegsjahre, das 2015 seinen Höhepunkt erreichen wird, wird den Verlust von zahlreichen hochqualifizierten Arbeitskräften nach sich ziehen (die Hälfte der Arbeitnehmer in der europäischen Luftfahrt wird bis 2015 in Rente gehen), was wiederum den endgültigen Verlust strategischer Kompetenzen bedeutet.

2.4   Die Verschärfung des Wettbewerbs im Segment der Regionalluftfahrzeuge mit dem Markteintritt neuer, äußerst aggressiver Akteure (Indien und Brasilien) ist Anlass für die Unternehmen, zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit die Kosten zu senken und trotz der Gefahr des Technologietransfers und der Errichtung von Betrieben in Schwellenländern wie China Partnerschaften einzugehen, um sich diese neuen Märkte zu erschließen. Diese Konkurrenz führt auch zu einer Neuausrichtung auf das Kerngeschäft der Auftraggeber.

2.5   Die derzeit niedrigen Ölpreise können jedoch die anhaltende Ungewissheit in Bezug auf die kurz- und mittelfristige Entwicklung des Ölpreises angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise nicht überdecken, deren Ausmaß und Dauer noch nicht abzusehen ist. Diese Faktoren drücken die Nachfrage, beeinträchtigen die Luftfahrtunternehmen und zwingen die Hersteller dazu, Möglichkeiten zur Verringerung der Kosten für die Nutzung von Luftfahrzeugen in Betracht zu ziehen, insbesondere durch die Nutzung von Alternativkraftstoffen und der dazugehörenden Technologien.

3.   Nach Meinung des Ausschusses steht die Luftfahrtindustrie vor der grundlegenden Herausforderung, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu wahren, ihren Nutzen für die Bürger aufzuzeigen und ihre weltweite Führungsstellung zu behaupten.

In diesem Zusammenhang spricht der Ausschuss mehrere Empfehlungen aus und fordert, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten die Bedeutung der Luftfahrtindustrie in der Europäischen Union und für die Unionsbürger aufgrund ihrer positiven Auswirkungen in zahlreichen weiteren europäischen Industriezweigen hervorheben.

In den Bereichen technologische Entwicklung, Wachstum und Zusammenarbeit sollte ein neuer Rahmen geschaffen werden, um eine wirksamerer Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ermöglichen und diese auch zu einer derartigen Zusammenarbeit im Hinblick auf die Festlegung und Verwirklichung ihrer industriellen Prioritäten anzuhalten. So könnte die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und besser auf die Marktschwankungen reagiert werden. Ferner müssen umgehend neue Qualitäts- und Effizienznormen aufgestellt werden, um die Wirksamkeit der Finanzierung von Forschung und Entwicklung zu optimieren.

4.1.1   Die Koordinierung zwischen der Europäischen Kommission und der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) muss verstärkt werden, um die Entwicklung neuer Hybridtechnologien sowohl für die militärische als auch die zivile Luftfahrt zu fördern. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Europäische Kommission und die EDA die Kontrolle über jedwede weitere Verbreitung dieser sowohl für die militärische als auch die zivile Luftfahrt nutzbaren Technologien innehaben.

4.1.2   Die Unternehmen müssen bei der raschen und umfassenden Durchführung der Gemeinsamen Technologieinitiative „Clean Sky“ unterstützt werden, wobei insbesondere die Entwicklung von KMU im Zuliefersektor in der Versorgungskette berücksichtigt werden muss. Auf diese Weise sollen einerseits die von der EU gesteckten Umweltziele erreicht und andererseits der Industrie die Möglichkeit gegeben werden, eine wichtige Rolle bei der Einrichtung eines europäischen Flugverkehrsmanagementsystems der neuen Generation zur Förderung der Initiative „Einheitlicher europäischer Luftraum“ (SESAR) (4) zu übernehmen.

4.2   Der Ausschuss schlägt vor, die direkte Mitwirkung der Mitgliedstaaten, die bekanntermaßen Luftfahrtgrößen sind, bei der Einrichtung eines europäischen Netzes der Zulieferer zu fördern, die Flugzeughersteller wie Airbus, Saab, Alenia, ATR usw. wirksam unterstützen können. Ihr Sachverstand muss gewahrt und ausgebaut werden, indem der Schwerpunkt insbesondere auf die neuen Technologien gelegt wird.

4.3   Die europäische Regionalluftfahrt hat dank der ATR-Luftfahrzeuge (5) und der Kraftstoffeinsparungen, die diese bei der derzeitigen Wirtschaftlage ermöglichen, einen erheblichen Aufschwung erlebt. Der Trend im Luftverkehr geht außerdem in Richtung Luftfahrzeugen des Typs Regionalverkehrsflugzeug („Regional Jets“) (6). Der Ausschuss betont, dass Unternehmen gefördert werden müssen, die innovative Industriestrategien im Sinne der „Open Innovation“ entwickelt haben; das beste aktuelle Beispiel ist wohl Superjet International.

4.4   Nach Sicht des Ausschusses müssen die Mitgliedstaaten die Verringerung der Abhängigkeit der Zulieferer von den derzeitigen Auftraggebern (Finanzhilfen für die Marktdiversifizierung und Internationalisierung) und die Formulierung einer Charta zwischen Auftraggebern und Zulieferern für langfristige gegenseitige Verpflichtungen fördern.

4.5   Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Zulieferer dringend bei der Festlegung von Innovationsstrategien unterstützt werden müssen, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dauerhaft neue Erzeugnisse und Dienste mit einem höheren zusätzlichen Nutzen anzubieten, und gleichzeitig ihre Zusammenarbeit zum Erreichen einer kritischen Masse zu erleichtern.

4.6   Trotz des bei der WTO anhängenden Streitfalles zwischen der EU und den Vereinigten Staaten schlägt der Ausschuss vor, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten ein Finanzierungsverfahren in Betracht ziehen, um die Kontinuität der Erzeugung sicherzustellen. Dieses Verfahren könnte in einer stärkeren Genehmigung von Krediten für Zulieferer in diesem Industriezweig bestehen oder aber einer Garantie für Darlehen auf der Grundlage rückzahlbarer Vorschüsse oder Darlehen mit von der EIB gebilligten günstigeren Zinssätzen. Ferner sollten Mechanismen zur Deckung der Finanzrisiken (beispielsweise aufgrund von Währungsschwankungen) vorgesehen werden.

4.7   Neben dem industriellen Aspekt müssen nach Meinung des Ausschusses durch eine Planung in Bezug auf Arbeitsplätze und Qualifikationen auf den verschiedenen Ebenen, namentlich die betroffenen Berufszweige sowie die europäische, nationale, regionale und lokale Behörden, auch die Entwicklung und die Veränderungen der Berufsbilder vorweggenommen werden. Durch die Einrichtung von Beobachtungsstellen für die Berufe in der Luftfahrtindustrie können die zukünftigen Berufs- und Bildungsanforderungen in Zusammenarbeit mit den Bildungsbehörden ermittelt werden.

4.8   Der Ausschuss betont, dass Business Intelligence-Instrumente eingerichtet werden müssen, um die Leistungsentwicklung der Unternehmen zu verfolgen und die Risiken so früh wie möglich zu ermitteln. Diese Instrumente müssen bildungsinnovativ sein und die Verbindungen zwischen Forschung, Hochschulwesen und Industrie stärken, um junge Menschen ebenso wie die bereits in diesem Industriezweig tätigen Arbeitnehmer besser auf die künftigen Berufsanforderungen wie auch die absehbaren technologischen Veränderungen vorzubereiten.

4.9   Die Intensivierung des Informationsaustausches zwischen den verschiedenen Exzellenzzentren zur Verwirklichung der von der EU festgesetzten Umwelt- und Technologieziele muss eine echte Vernetzung ermöglichen, die wiederum eine bessere Aufteilung der Aufgaben und EU-Finanzmittel zeitigen sollte, wodurch ein Konkurrenzkampf zwischen den europäischen Regionen vermieden und Synergien geschaffen werden können.

4.10   Die EU muss ihren finanziellen Beitrag über die Wettbewerbspole leisten, mit denen sichergestellt werden soll, dass die EU in der Spitzentechnologie führend bleibt und über eine wettbewerbsfähige und innovative Industrie verfügt, die den Normen für eine hohe Umweltqualität entspricht. So darf bei der Verwendung von Verbundwerkstoffen aufgrund ihrer Widerstandskraft und Leichtigkeit keinesfalls die Frage vergessen werden, ob diese wiederverwertet oder beseitigt werden können.

4.11   Der Ausschuss unterstreicht, dass dringend ein Maßnahmenpaket in Bezug auf folgende Punkte angenommen werden muss:

Ökologisierung des Luftverkehrs;

Zufriedenheit und Sicherheit der Fluggäste;

Verringerung des CO2-Ausstoßes der Luftfahrtindustrie (im Einklang mit der europäischen Politik für eine allgemeine Verringerung der CO2-Emissionen in Europa), der Lärmbelästigung und des Kraftstoffverbrauchs;

Entwicklung von Konzepten für die Altstoffverwertung (Verwendung wiederverwertbarer Materialien usw.).

4.12   Nach Ansicht des Ausschusses müssen die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten unverzüglich die Konzipierung einer strategische Politik für die Luftfahrtindustrie auf den Weg bringen, die die Durchführung konkreter Maßnahmen europaweit wie auch in den traditionell auf die Luftfahrt ausgerichteten Ländern beinhaltet, um die künftigen Veränderungen besser vorwegzunehmen und die sozialen Auswirkungen abzufedern. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssten ferner die von den Sozialpartnern empfohlene Einrichtung eines Ausschusses für den sozialen Dialog in der europäischen Luftfahrtindustrie fördern.

Teil II — Begründung

5.   Hintergrund und Vorgeschichte

5.1   Analysten prognostizierten 2007 eine Verdoppelung des Luftverkehrs in den kommenden 20 Jahren bei einer jährlichen durchschnittlichen Wachstumsrate von 6 % (5 Mrd. Fluggäste im Jahr 2025 im Vergleich zu 2 Mrd. 2006). Als Reaktion auf den zu erwartende Anstieg des Luftverkehrs sind die Prognosen für die Bestellung neuer Luftfahrtzeuge für die kommenden 20 Jahre sehr optimistisch und gehen von 22 600 (Airbus) bzw. 23 600 (Boeing) neuen Luftfahrtzeugen aus.

5.2   Die zunehmende Liberalisierung des Luftverkehrs, die Nachfrageexplosion in den Schwellenländern (Asien, Pazifik und Mittlerer Osten) sowie die seit 2007 wieder gesunde Finanzlage der Luftfahrtunternehmen sollten dieses Wachstum fördern.

Am 27. September 2007 genehmigte das Ausschussplenum die Erarbeitung einer Initiativstellungnahme zur Zukunft der Luftfahrtindustrie in Europa (unter Ausnahme von Luftfahrt zu militärischen Zwecken, Helikopter, Wartung usw.) durch die Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI).

5.3.1   Der Ausschuss hat sich zur Ausarbeitung dieses Dokuments entschlossen, da die Luftfahrt durch ihren Anteil an den Bereichen Herstellung, Ausfuhr, Beschäftigung und F&E-Investitionen von großer Bedeutung für die europäische Industrie insgesamt ist. Darüber hinaus wirkt sie als Motor für eine ganze Reihe anderer Industriezweige (Unterauftragnehmer und nachgelagerte Sektoren wie die Flugzeugwartung) und als Impulsgeber zur Dynamisierung ganzer Regionen. Genauso wichtig ist, dass die Luftfahrt als Flaggschiff der Erwirtschaftung des Mehrwerts in Europa fungiert und somit den Beweis liefert, dass gemeinsame Anstrengungen Europa in die Lage versetzen, im Vergleich mit den anderen global agierenden Konkurrenten — insbesondere mit den Vereinigten Staaten — zu bestehen.

5.3.2   Die von der CCMI bei der Erarbeitung ihrer Stellungnahme zum Thema „Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten: europäische und globale Tendenzen (7) gesammelten Erfahrungen können mit Hilfe einer solchen Analyse bezüglich des in dieser Hinsicht sehr komplexen Luftfahrtsektors vertieft werden.

Außerdem gibt es eine Reihe neuer Risiken, die das Wachstum zu beeinträchtigen und neue Probleme nach sich zu ziehen drohen:

5.4.1   Eine starke Abhängigkeit der Luftfahrzeughersteller von neuen Märkten könnte bei einem unerwartenden Wachstumseinbruch in Asien (nicht nur in China und Indien) unmittelbare und sehr negative Folgen für den gesamten Sektor mit sich bringen.

5.4.2   Die tiefgreifenden Änderungen der Beziehungen zwischen Auftraggebern und Zulieferern sowie die kontinuierlichen Umstrukturierungen seitens der Auftraggeber haben das Gleichgewicht des Sektors schwer beeinträchtigt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können die Auswirkungen der erhöhten Finanzrisiken für die Zulieferer ersten Ranges, die dem Druck der Auftraggeber im Rahmen von Risikoaufteilungsvereinbarungen ausgesetzt sind, schwer abgeschätzt werden.

5.4.3   Es fehlt an Finanzmittel seitens der Mitgliedstaaten und der EU für die Entwicklung neuer Technologien. Es wäre außerdem sinnvoll, Mittel für die Grundlagenforschung in Bezug auf Unternehmens- und Innovationsstrategien bereitzustellen.

5.4.4   Durch die Ausrichtung auf Verbundwerkstoffe wird eine vollkommene Neuordnung der Produktionskette erforderlich (Auflassung von Airbus-Produktionsstätten usw.), obwohl diese Technologie noch nicht ausreichend validiert wurde; siehe beispielsweise den massiven Einsatz von Verbundwerkstoffen für die Boeing 787, für die bereits 800 Vorbestellungen vorliegen, obwohl das Flugzeug noch nicht zugelassen wurde.

5.4.5   Im Zeitraum 2000-2007 hat der Euro um 48 % an Wert gegenüber dem US-Dollar zugelegt (auf der Grundlage des mittleren Wechselkurses der ersten acht Monate des Jahres 2008 sogar um 66 %). Sollte dieses Phänomen, das derzeit eine Unterbrechung kennt, erneut eintreten (bzw. sich sogar intensivieren), wäre Airbus gezwungen, neue Einsparungsmaßnahmen zu treffen (wie der Vorsitzende von Airbus mehrmals betont hat, bedeutet jeder Verlust des US-Dollars von 10 Cent gegenüber dem Euro einen Verlust in Höhe von 1 Mrd. EUR für den Luftfahrzeughersteller) und hätte drastische Folgen für das Netz der Zulieferer, von denen viele nicht über ausreichende Mittel für die Deckung der Finanzrisiken verfügen; dies wiederum würde immer mehr Auslagerungen mit katastrophalen sozialen und politischen Auswirkungen nach sich ziehen.

5.4.6   Die technischen Probleme beim Airbus 380 und beim Airbus 400M sowie der Boeing 787 und ihre unmittelbaren Auswirkungen sprechen Bände in Bezug auf die Schwierigkeit der Luftfahrzeughersteller, die immer komplexer werdenden neuen Luftfahrzeuge in den Griff zu bekommen.

5.4.7   Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Folgen der aktuellen weltweiten Krise nur schwer absehbar. Der Rückgang der Ölpreise kann zumindest kurzfristig Vorteile für die Luftfahrtunternehmen bringen. Diese Rezession könnte sich jedoch negativ auf den internationalen Tourismus und infolge auch auf die Nachfrage im Reisesektor auswirken.

5.5   Ungeachtet der möglichen Entwicklungen der Luftfahrt und trotz ihres aktuellen Wachstums hat die derzeitige und künftige Umstrukturierung dieses Wirtschaftszweigs echte wirtschaftliche und soziale Auswirkungen in Europa; es besteht durchaus die Gefahr einer immer stärkeren Deindustrialisierung der europäischen Luftfahrtindustrie.

5.6   Diese Deindustrialisierung kann große Gefahren bergen wie den Verlust grundlegender Kompetenzen, der globalen Führungsposition Europas aufgrund seiner Unfähigkeit, die erforderlichen Investitionen für die Entwicklung neuer Spitzentechnologien aufzubringen, das Ende zahlreicherer Zulieferer in der Versorgungskette in Europa sowie massive Arbeitsplatzverluste.

6.   Wichtigste Ziele und Herausforderung der Luftfahrtindustrie in der Europäischen Union

6.1   Nach Ansicht des Ausschusses sind die wichtigsten Fragen in diesem Industriezweig die Sicherstellung seiner Wettbewerbsfähigkeit und die Verbesserung seines Images in der breiten Öffentlichkeit.

6.2   Neue Marktakteure können in der Luftfahrtindustrie nur schwer Fuß fassen und keinesfalls mehr zu Marktführern werden. Global gesehen gibt es nur mehr zwei Flugzeughersteller für Luftfahrzeuge mit mehr als 100 Plätzen: Airbus und Boeing. Einschneidende und vollständige Verluste an Technologie, Sachverstand oder Infrastruktur können nur äußerst schwer wettgemacht werden.

Europa muss daher dafür Sorge tragen, dass die Mitgliedstaaten, die bekanntermaßen Luftfahrtgrößen sind,

6.3.1   ihren Sachverstand wahren und ausbauen, insbesondere durch die Ausrichtung auf die Spitzentechnologie, am Aufbau eines europäischen Zulieferernetzes mitwirken, das die großen Auftraggeber wie Airbus, SAAB oder ATR wirksam unterstützen kann, und

6.3.2   sich stärker in die Entwicklung von Partnerschaften mit der Forschung (Universitäten, Hochschulen, öffentliche Laboratorien usw.) im Bereich der Grundlagenforschung einbringen.

6.4   Die Europäische Union kann vor der engen Verbindung zwischen Forschung zu militärischen und zu zivilen Zwecken in den Vereinigten Staaten nicht die Augen verschließen. Trotz gewisser Verzögerungen im B787-Programm hat Boeing Finanzhilfen seitens der NASA und vom US-amerikanischen Institut zur Erforschung zukunftsorientierter Projekte für die Verteidigung (DARPA) erhalten, um den technologischen Quantensprung hin zum Einsatz von Verbundwerkstoffen zu vollziehen. Daher muss nach Meinung des Ausschuss die Koordinierung zwischen der Europäischen Kommission und der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) gestärkt werden, um die Entwicklung neuer Technologien mit doppeltem Nutzungszweck in der (zivilen und militärischen) Luftfahrt zu fördern.

6.5   Die Luftfahrtindustrie kann die REACH-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1907/2006), die am 18. Dezember 2006 vom Europäischen Parlament und dem Rat angenommen wurde und am 1. Juni 2007 in Kraft trat, keinesfalls unbeachtet lassen. Mit dieser Verordnung sollten ursprünglich rund 30 000 in erheblichen Mengen auf dem Europäischen Markt befindliche Substanzen bewertet, zugelassen und eventuell beschränkt werden können. In den letzten Wochen wurden jedoch offenbar alle 100 000 „bestehenden Substanzen“ vorregistriert. Dies erhöht die Gefahr einer Versorgungsunterbrechung, insbesondere im Falle der Bewertung von Substanzen, die in komplexen oder Verbundwerkstoffen eingesetzt werden. Die EU muss daher Unternehmen, die in Wettbewerbspolen mit starker Ausrichtung auf Verbundwerkstoffe angesiedelt sind, bei der Bewertung der Risiken der einzelnen Bestandteile von Verbundwerkstoffen unterstützen. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten können der europäischen Luftfahrtindustrie zur Verwirklichung der Umweltziele Hilfestellung leisten.

6.6   Die EU hat sich dazu verpflichtet, den CO2-Ausstoß, die Lärmbelästigung und den Kraftstoffverbrauch (einschl. durch die Förderung von Biokraftstoffen) zu verringern. Die Europäische Kommission muss daher den erforderlichen Rahmen für die rasche und abgestimmte Durchführung der gemeinsamen Technologie-Initiative „Clear Sky“ für die Unternehmen, einschl. der KMU, schaffen.

In Bezug auf den Kurzstreckenbereich muss Europa rechtzeitig ein auf diese Art von Luftfahrzeugen ausgerichtetes F&E-Programm auf den Weg bringen, mit dem der Airbus A320 einfacher durch die NSR (8) ersetzt und gleichzeitig verhindert werden kann, dass die europäische Industrie die gleichen Fehler wie beim Airbus A350 begeht. Dies muss unverzüglich geschehen, da sich ein grundlegender Wandel in der Industrie im Bereich der „Narrow-Body“-Flugzeuge (mit nur einem Gang) mit mehr als 100 Sitzplätzen abzeichnet.

6.7.1   In den kommenden zehn Jahren sollte die Doppelherrschaft von Airbus und Boeing in diesem strategischen Sektor ein Ende nehmen, auf den rund 65 % der 29 400 bis 2027 herzustellenden Luftfahrzeuge (sprich 19 160 Stück) (9), wertbezogen allerdings nur 40 % entfallen; dies zeugt von einem gesteigerten Wettbewerb und einem höheren Druck auf den Preis für diesen Luftfahrzeugtyp.

6.7.2   In den Jahren 2015-2020 werden wahrscheinlich neue Marktakteure wie Avic 1+2 (die Fusion erfolgte vor Kurzem) in China, Sukhoï in Russland oder auch Bombardier (in Kanada) oder Embraer (in Brasilien) präsent sein. Die Europäische Union wird die Preisschlacht in diesem Sektor wohl kaum gewinnen können, doch kann sie sich durch ihren technologischen Vorsprung dank Innovation geschickt aus der Affäre ziehen.

Der Regionalluftverkehr verzeichnete eine Zuwachsrate von jährlich 8 %. 2007 erreichten die Bestellungen einen Höchststand, und zwar sowohl für Regionalverkehrs- als auch Propellerturbinenflugzeuge (hier war eine Zunahme von 50 % zu verzeichnen). Angesichts der aktuellen Situation (hohe Kraftstoffpreise und Finanzkrise) dürfte sich der Erfolg der Propellerturbinenflugzeuge fortsetzen; ferner ist ein Transfer von Marktanteilen von den Regionalverkehrsflugzeugen auf die Propellerturbinenflugzeuge denkbar. Der Marktanteil der Regionalverkehrsflugzeuge dürfte dank der starken Nachfrage nach diesem Luftfahrzeugtyp dennoch weiterwachsen. Mit neuen Modellen wie der „C series“ von Bombardier und neuen Marktakteuren wie Sukhoï oder Avic könnte dieser Typ Marktanteile aus dem Bereich der beiden Flugzeughersteller Boeing und Airbus abziehen.

6.8.1   Die europäische Regionalluftfahrt hat dank der ATR-Luftfahrzeuge und der Kraftstoffeinsparungen einen erheblichen Aufschwung erlebt. Die Entwicklung des Luftverkehrsmarkts geht auch in Richtung von Flugzeugen des Typs Regionalverkehrsflugzeug, ein Segment, das im Gegensatz zu dem begrenzten Wettbewerb im LCA-Sektor, d.h. der zivilen Großraumflugzeuge (Duopol Airbus/Boeing) von einem starken Wettbewerb in erster Linie zwischen Bombardier (Kanada) und Embraer (Brasilien) geprägt ist, denen weitere Konkurrenten, allerdings mit großem Abstand, wie ATR und zahlreiche nationale Akteure (z.B. aus Japan, Russland und China) folgen.

6.8.2   Im Regionalverkehrsflugzeug-Segment könnte Europa seine bereits fast verloren geglaubte Oberhoheit dank des neuen Unternehmens SuperJet International wiedergewinnen. Dieses Joint Venture, an dem Alenia Aeronautica (Italien) 51 % und Sukhoï Aircraft (Russland) 49 % halten, entwickelt ein Industrieprogramm für Regionalverkehrsflugzeuge mit 75-100 Sitzplätzen und ist ein konkretes Beispiel für die Umsetzung eines bewährten Verfahrens zur Wiederbelebung der Herstellung von Regionalverkehrsflugzeugen in Europa, die der Wirtschaftslage mit schwankenden Ölpreisen gerecht wird.

6.8.3   Dieses Programm fußt auf dem besten auf europäischer und internationaler Ebene verfügbaren Sach- und Fachwissen, insbesondere dank Partnerschaften mit wichtigen französischen Zulieferern (Thales und Safran liefern wertbezogen mehr als 30 % der Maschine), aber auch mit anderen Zulieferern aus Europa wie Liebherr (Deutschland) und Intertechnique (Frankreich) und Drittstaaten wie Honeywell (USA) sowie internationalen Exzellenzzentren, beispielsweise in Indien.

6.9   Die Luftfahrtindustrie ist ein Zankapfel zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Die Finanzierung des zivilen Bereichs der US-amerikanischen Luftfahrt durch Militäraufträge kann als versteckte staatliche Beihilfe angesehen werden, was den Tatbestand einer Wettbewerbsverzerrung bedeutet. Bis vor wenigen Monaten wurde dieses Phänomen durch den derzeit schwachen US-Dollar noch verstärkt. Eine Finanzhilfe seitens der EU und der Mitgliedstaaten in Form von rückzahlungspflichtigen Vorschüssen oder Ähnlichem ist nicht nur im Einklang mit dem Abkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten über zivile Großraumflugzeuge, sondern auch ein transparentes — und mit den Marktregeln vereinbares — Mittel für die Finanzierung neuer Programme.

Angesichts der Schwankungen des EUR/USD-Wechselkurses ist es absurd, dass die großen Auftraggeber (Airbus) das Wechselkursrisiko auf ihre Zulieferer abwälzen, indem sie diese in USD bezahlen, wo doch selbst EADS, das Mutterunternehmen von Airbus, über Kapazitäten für die Deckung des Wechselkursrisikos verfügt, die mit denen der Zulieferer keinesfalls vergleichbar sind. Die Auftraggeber versuchen außerdem, die Finanz- und Technologierisiken neuer Programme auf die Zulieferer ersten und zweiten Ranges umzuverteilen.

6.10.1   Ist der Aufbau aktiver Beteiligungen zwischen Auftraggebern und Zuliefern vor diesem Hintergrund wirklich machbar? Diese können sich unterschiedlich und vielfältig gestalten. Es gilt, die Risikoteilung (risk sharing) und das Arbeitspaket (work package) zu beleuchten. Ferner muss die Beteiligung auch den F&E-Bereich betreffen. Der Auftraggeber muss die Gesamtkosten für die angewandte Forschung auf höchstem Niveau tragen, wohingegen die KMU sich an den Kosten für die Forschung im Bereich „Industrieverfahren“ beteiligen.

6.10.2   Auch in Bezug auf die Versorgung der Unternehmen mit Rohstoffen ist eine aktive Beteiligung denkbar. Airbus kauft das Titan selbst ein und verkauft es zum Selbstkostenpreis an seine Zulieferer. Es wäre sicherlich zielführend, dass die Auftraggeber sich an der Bündelung des Rohstoffankaufs beteiligen. Könnten die Zuliefer-KMU und die Auftraggeber einen Mechanismus einrichten, mit dem die Versorgung mit Rohstoffen zusammengefasst werden kann, wodurch die Anschaffungskosten gesenkt werden könnten?

Derzeit sind die KMU sehr stark von einem einzigen Auftraggeber in der Luftfahrt abhängig (z.B. Airbus). In mehreren bedeutenden Fällen liegt diese Abhängigkeit bei 70 % in den Bereichen allgemeiner Maschinenbau, Metallurgie und elektronische Bauteile bzw. bei 67 % im Dienstleistungsbereich (10).

6.11.1   Daher müssen die KMU insbesondere zur Abfederung der zyklischen Schwankungen der Luftfahrtindustrie ihre Aktivitäten auf andere Branchen ausweiten und sich auf die Vorzüge Europas stützen. Allerdings müssen diese Unternehmen eine große Anpassungsfähigkeit an den Tag legen, um sich in Tätigkeitsbereichen durchzusetzen, die eigentlich nicht zu ihrem Kerngeschäft zählen. Sie müssen auch in der Lage sein, mehrere Tätigkeiten auszuüben und die erforderlichen Finanz- und Humanressourcen dafür bereitzustellen. Dies bedeutet, dass einerseits die KMU Zugang zu regionalen, nationalen und/oder europäischen Finanzmittel haben müssen, um diese Diversifizierung zu steuern und zu industrialisieren, und andererseits die Auftraggeber an diesen Diversifikationsbemühungen teilhaben und die in den verschiedenen Bereichen erforderlichen Kompetenzen bereitstellen müssen.

6.11.2   Dies bringt natürlich Probleme in Bezug auf Spinouts in der einen oder anderen Form mit sich. Ein gutes Beispiel ist die Region Aquitaine, in der ein Unternehmen der ehemaligen Aérospatiale eine Plasmabrenner-Technologie entwickelt hat, die von Europlasma vermarktet wird.

Für jedweden industriellen Wandel sind erhebliche Mittel erforderlich. Daher müssen die Unternehmen von den öffentlichen Einrichtungen in den Mitgliedstaaten oder auf europäischer Ebene unterstützt werden. Im Einklang mit den WTO-Regeln muss die EU daher ihre Überlegungen zu den Schwankungen des US-Dollars voranbringen. Wie kann die EU zur Verringerung des Finanzrisikos beitragen, dem die Luftfahrtindustrie aufgrund des EUR/USD-Wechselkurses gegenübersteht? Die Abwälzung des Wechselkursrisikos auf die Zulieferer kann nicht als umfassend zufriedenstellende Lösung angesehen werden, da der EUR/USD-Wechselkurs auch weiterhin ein Hindernis für die europäischen Unternehmen gegenüber ihren US-amerikanischen Konkurrenten ist.

6.12.1   Als ein interessantes Beispiel kann die Region Midi-Pyrénées angeführt werden. Mit der Lancierung des Airbus A380 im Jahr 2000 hat die Region den ADER-Plan zur Unterstützung der Zuliefer-KMU der Luftfahrtunternehmen eingeleitet, dessen Durchführung interessante Ergebnisse gebracht hat und weiterverfolgt wird, um KMU bei ihrer Anpassung an Sanierungsprogramm „Power 8“ von Airbus zu unterstützen.

6.12.2   Das neue Programm, ADER II, dient dazu, in einem fallbezogenen Ansatz Unternehmenszusammenschlüsse zu begleiten, ihre technologischen Kapazitäten zu stärken, sie bei ihrem Eintritt auf die neuen Märkte zu unterstützen, weitere Akteure in die Bündelung der Rohstoffanschaffung einzugliedern usw.

Die Globalisierung der Luftfahrt hat erhebliche Auswirkungen auf die Löhne und die Beschäftigungslage. Hierfür müssen die Forschungs- und Bildungsstrukturen gestärkt und unterstützt werden, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Eine Möglichkeit wäre eine vorausschauenden Beschäftigungs- und Qualifikationspolitik.

6.13.1   Mit einer derartigen Politik müssen künftige Veränderungen vorweggenommen werden. Sie muss den Arbeitnehmern die Möglichkeit bieten, Ungewissheiten in Bezug auf ihre Zukunft besser handhaben zu können, langfristig zu planen, ihrer Arbeit eine Sinn zu geben, Karriere zu machen und ihren Einsatz für das Unternehmen anzufachen, wobei gleichzeitig ihren Anliegen und Bedürfnissen Rechnung getragen wird. Mit dieser Politik müssen auch die Unternehmen in die Lage versetzt werden, sich an die Veränderungen und den Wettbewerb anzupassen.

6.13.2   Diese Politik muss eine echte Zukunftsperspektive für die Berufe und Qualifikationen mit sehr langfristigen Zielen (30 Jahre) beinhalten. Ziel muss es sein, die Bildungs- und Qualifikationsanforderungen festzulegen, die aus Sicht der Unternehmer, aber auch des Ausbildungspersonals und der Arbeitnehmervertreter mittelfristig im Aus- und Weiterbildungsangebot berücksichtigt werden sollen. Diese Politik kann Teil von Überlegungen in einer Arbeitsmarktregion sein.

Soll es auch weiterhin eine Luftfahrtindustrie mit hohem technischen Sachverstand geben, müssen dieser Branche Arbeitnehmer zur Verfügung stehen, die eine hochwertige Ausbildung in neuen Bereichen wie Verbundwerkstoffen und Umwelt erhalten haben. Ferner müssen weitere Bereiche wie die Überwachung schwerer Industrieunfälle, neue Materialien, sauberer Antrieb usw. aufgegriffen werden.

6.14.1   Die Bildungssysteme dürfen jedoch nicht nur auf Angestellte ausgerichtet sein, sondern es gilt auch, das Angebot für Arbeiter auf- bzw. auszubauen, die zu lange unter einem schlechten Image gelitten haben und in den meisten Bildungssystemen in Europa kaum berücksichtigt werden, obwohl die Arbeiter ein wesentlicher Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrtindustrie sind.

6.14.2   Die Erstausbildung muss sich auch auf Bildungsvereinbarungen zwischen Schulen, Universitäten bzw. Handwerk und den Unternehmen stützen können. Die Weiterbildung muss umfangreiche Umschulungen und die Schulung von sehr gering qualifizierten Arbeitnehmern ermöglichen. Sie ist jedoch in erster Linie ein grundlegendes und konkretes Instrument bei der Durchführung eines Strategieplans, um die Diskrepanz zwischen den bestehenden Ressourcen und dem künftigen Bedarf zu verringern. Ganz allgemein muss jedem europäischen Arbeitsnehmer ein Mindestmaß an Weiterbildung in seiner Berufslaufbahn angeboten werden.

6.15   Sämtliche Vorkehrungen erfordern die größtmögliche Abstimmung zwischen der Unternehmensführung und den Arbeitnehmervertretern. Diese Abstimmung besteht häufig bereits auf nationaler Ebene, muss jedoch auch auf europäischer Ebene ihre Fortsetzung finden. Mit der Annahme der Richtlinie 94/45/EG über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats wurde ein erster Schritt gesetzt. Da die Unternehmensführungen ihre Strategie auf europäischer Ebene festlegen, sind die europäischen Betriebsräte die einzige sinnvolle Möglichkeit, um an einschlägiger Stelle Wirtschaftinformationen einzuholen und vor jedweder Verhandlung Bilanz zu ziehen. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssten ferner die Einrichtung eines Ausschusses für den sozialen Dialog in der europäischen Luftfahrtindustrie fördern.

7.   Vorschläge für künftige Stellungnahmen

7.1   Die Luftfahrtindustrie ist eine derart komplexe Branche, dass in dieser Stellungnahme nicht alle Aspekte beleuchtet werden können. Die CCMI sollte daher umgehend die Fortführung ihrer Arbeiten zu dieser Thematik in künftigen Stellungnahmen in Betracht ziehen.

7.2   Diese Stellungnahmen könnten folgenden Aspekten gewidmet sein:

Militärluftfahrt;

Militär- und Zivilhelikopter;

Wartung;

Militär- und Zivilavionik, einschl. fortgeschrittener Rüstungssysteme;

neue, auf dem aktuellen Stand der Technik beruhende Verfahren, Normen und Ausstattungen für Notlandungen.

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  „Damit der Rückstand der EU gegenüber ihren Hauptkonkurrenten aufgeholt wird, ist es erforderlich, die F&E- sowie die Innovations-Bemühungen in der Union insgesamt erheblich zu verstärken und dabei besonderen Nachdruck auf die Spitzentechnologien zu legen.“

(2)  Im Zeitraum 2000-2007 hat der Euro um 48 % an Wert gegenüber dem US-Dollar zugelegt (auf der Grundlage des mittleren Wechselkurses der ersten acht Monate des Jahres 2008 sogar um 66 %). Sollte dieses Phänomen, das derzeit eine Unterbrechung kennt, erneut eintreten (bzw. sich sogar intensivieren), könnte sich der Luftfahrzeughersteller Airbus dazu gezwungen sehen, von seinem Sanierungsprogramm „Power 8“ (der auf der Grundlage einer Höchstparität EUR/USD von 1,37 erstellt wurde) abzusehen und andere wirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen; dies würde verheerende soziale und politische Folgen nach sich ziehen.

(3)  Mit „Papy Boom“ wird in Frankreich das Phänomen bezeichnet, dass eine große Zahl an Arbeitnehmern in den Industrieländern zwischen 2000 und 2020 das Rentenalter erreichen wird. Dieses Phänomen ist eine logische und vorhersehbare Folge des Baby-Booms der Nachkriegsjahre sowie des derzeitigen Geburtenrückgangs, der zu einer Überalterung der Bevölkerung führt, und wird grundlegende Auswirkungen auf die Wirtschaft zeitigen und eine Erhöhung der Gesundheitsausgaben und Rentenkosten sowie eine Verringerung der Zahl der Erwerbstätigen bedingen.

(4)  Gemeinschaftsinitiative zur Strukturierung des Luftraums und der Luftverkehrsdienste auf gesamteuropäischer Ebene, um den Luftverkehr besser zu steuern und ein einheitliches und hohes Sicherheitsniveau im europäischen Luftraum zu gewährleisten.

(5)  ATR verzeichnete 2004 lediglich 12 Bestellungen, 2007 jedoch 113 Festbestellungen (Quelle: ATR).

(6)  Unter Regionalverkehrsflugzeug sind Luftfahrzeuge der zivilen Personenluftfahrt mit weniger als 100 Plätzen zu verstehen (diese werden letztlich das Segment der „Narrow-Body“-Flugzeuge (mit nur einem Gang) für Kurzstreckenflüge beeinträchtigen).

(7)  Stellungnahme CESE, ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 1.

(8)  New Short Range.

(9)  Quelle: Boeing Forecast 2008-2027.

(10)  Quelle: INSEE, Dossier Nr. 138, März 2007.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Entwicklung großer Einzelhandelsunternehmen und Auswirkungen auf ihre Zulieferer und die Verbraucher“

(2009/C 175/10)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Entwicklung großer Einzelhandelsunternehmen und Auswirkungen auf ihre Zulieferer und die Verbraucher“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 18. November 2008 an. Berichterstatterin war Frau SHARMA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 136 gegen 21 Stimmen bei 20 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen, Empfehlungen und Vorschläge

1.1   Große Einzelhandelsunternehmen spielen in Europa eine bedeutende Rolle hinsichtlich ihres finanziellen Beitrags zur Wirtschaft, der Schaffung von Arbeitsplätzen und ihres verschiedenartigen Angebots für die Verbraucher. In jüngster Zeit wurden zu den Auswirkungen dieses Wachstums Fakten vorgelegt und Behauptungen aufgestellt. Im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie und deren Zielen Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum sowie mehr und bessere Arbeitsplätze werden in dieser Stellungnahme spezifische Bereiche herausgestellt, in denen im Einzelhandel mehr Transparenz und ein höheres Maß an Sorgfalt unter Wahrung des Schutzes von Einzelhändlern, Zulieferern, Arbeitnehmern und Verbrauchern gewährleistet werden muss.

1.2   Die GD Binnenmarkt, und GD Unternehmen der Europäischen Kommission führen derzeit Forschungsstudien zur Entwicklung großer Einzelhandelsunternehmen durch; untersucht werden insbesondere die Gewinnspannen, die Länge und die verschiedenen Beteiligten der Lieferketten sowie die Einzelhandelsbranche insgesamt. Die GD Beschäftigung wird untersuchen, welche Kompetenzen im Einzelhandel bis 2020 erforderlich sein werden. Der Ausschuss bietet der Kommission, wo immer möglich, seine Unterstützung an.

1.3   Der Ausschuss gibt die folgenden Empfehlungen ab und schlägt Maßnahmen vor, die — stets gemäß dem Grundsatz der Nachhaltigkeit — das Wachstum erhalten, einen lauteren Wettbewerb für Einzelhändler und Zulieferer gewährleisten, die Arbeitnehmer schützen und außerdem für die Verbraucher von langfristigem Nutzen sind.

1.4   Der EWSA wird weiterhin die Entwicklung der großen Einzelhandelsunternehmen verfolgen und dabei insbesondere deren Entwicklung in den kleineren europäischen Staaten und in den Branchen analysieren, die in der vorliegenden Untersuchung ausgeklammert worden waren, wie etwa der Bereich Haushaltselektrogeräte.

1.5   Aus einer vom EWSA in Auftrag gegebenen Untersuchung (1) geht eindeutig hervor, dass in Westeuropa sowohl in der Lebensmittel- als auch in der Bekleidungsbranche sowie in anderen Bereichen wie Baumärkten und der Sport-, Freizeit- und Kulturbranche eine hohe Konzentration großer Einzelhandelsunternehmen besteht. Dies ist jedoch nicht hauptsächlich die Folge von Unternehmenszusammenschlüssen, -übernahmen oder -aufkäufen in diesen Branchen. Obgleich in den letzten Jahren große internationale Einzelhandelsunternehmen entstanden sind, ist der Einzelhandel noch immer überwiegend auf die nationale Ebene ausgerichtet.

1.6   Das Wachstum und der Erfolg des Einzelhandels sind für die europäische Wirtschaft sehr positiv. Viele Einzelhandelsunternehmen, die zuvor KMU waren, sind, um erfolgreich sein zu können, effizienter, wettbewerbsfähiger und produktiver geworden und stärker auf die Bedürfnisse der Verbraucher eingegangen. Dabei konnten sowohl private Unternehmensmodelle als auch Genossenschaften und sozialwirtschaftliche Modelle ein Wachstum verzeichnen. Viele europäische Unternehmen sind mittlerweile weltweit erfolgreich und haben neue Betriebe in China, den Vereinigten Staaten, im Fernen Osten und in Russland eingerichtet. Durch ihre Stärke auf dem heimischen Markt ist es den erfolgreichsten Firmen gelungen, ihre Geschäftsmodelle in einige der schwierigsten Einzelhandelsmärkte der Welt zu exportieren. Dies hat große Vorteile für Arbeitnehmer und Beteiligte, aber auch für die Verbraucher in Europa mit sich gebracht, die von einer vielseitigeren Produktauswahl und wettbewerbsfähigen Preisen profitieren.

1.7   Der Einzelhandel ist ein dynamischer, innovativer und wettbewerbsfähiger Sektor, der bei Untersuchungen durch die nationalen Wettbewerbsbehörden beständig seine Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit gezeigt hat (2). Es ist wichtig, dass kommerzieller Erfolg gestärkt wird, sofern nicht Praktiken ausgeübt werden, die gegen die Verwirklichung des Binnenmarktes verstoßen, insbesondere bei eindeutigen Beweisen für den Missbrauch einer Marktposition oder Schädigung der Verbraucher unter Verstoß gegen Artikel 81 des EG-Vertrags. Ein wettbewerbsorientierter Markt ist ein wirksames Mittel zum Schutz der Verbraucher, und Betriebseffizienz kann weitere Vorteile erbringen. Auf einem freien und fairen Markt für den Einzelhandel gibt es einen Wettbewerb in Bezug auf Leistungserbringung, Produktqualität und Preis-/Leistungsverhältnis.

1.8   Obgleich es in einer Wirtschaftsgemeinschaft von 27 Staaten verständlicherweise Unterschiede und Disparitäten gibt, sieht der Ausschuss die Notwendigkeit einer Konzertierung bzw. einer europaweiten Koordinierung, damit der Handel seine Rolle als Universaldienst wahrnehmen kann. Hierzu könnte ein stärker harmonisiertes gemeinschaftliches Instrumentarium zur Quantifizierung und Verfolgung der Handelstätigkeit geschaffen werden, um ihre Entwicklung besser fördern zu können.

1.9   Im Interesse transparenter Geschäftspraktiken zwischen Zulieferern und großen Einzelhandelsunternehmen empfiehlt der EWSA die Fortführung der Debatte darüber, ob ein freiwilliger Verhaltenskodex zur Regelung der Beziehungen zwischen Einzelhändlern und Zulieferern auf nationaler Ebene einen zusätzlichen Nutzen hat und mit dem EU-Wettbewerbsrecht im Einklang steht, sowie eine klare und transparente Analyse der Lieferkette, an der außer den Primärlieferanten und den großen Einzelhandelsunternehmen noch viele andere beteiligt sind.

1.10   Die Erarbeitung eines selbstregulierenden freiwilligen Verhaltenskodex könnte auf nationaler Ebene erfolgen und sich auf schriftliche Vereinbarungen zwischen den Einzelhandelsunternehmen und Zulieferern stützen; dieser Kodex könnte sich auf alle Geschäftsvorgänge in der gesamten Lieferkette, „vom Hof auf den Tisch“, erstrecken.

1.11   Dieser Kodex sollte es auch einer größeren Anzahl von mittleren, vor allem kleinen und handwerklichen Unternehmen des Produktions- und Dienstleistungssektors ermöglichen, mit einem Mindestmaß an Garantien Zugang zu den großen Einzelhandelsunternehmen zu erhalten.

1.12   Ein solcher Kodex würde die Beibehaltung der gegenwärtigen Flexibilität im Handel und bei den Verhandlungen ermöglichen, eine Anpassung an plötzliche Änderungen der Bedingungen erlauben (z.B. Inflation und Ölpreise), und sowohl Zulieferern als auch Einzelhändlern zum Vorteil gereichen, gleichzeitig aber große Einzelhändler und/oder große Zulieferer an der Ausübung von Druck oder der Anwendung missbräuchlicher Praktiken hindern.

1.13   Ein solcher Verhaltenskodex könnte folgende Punkte umfassen:

Standardisierte Geschäftsbedingungen zwischen Einzelhändler und Zulieferer, in denen auch konkrete Fristen für die Mitteilung von Änderungen dieser Bedingungen, einschließlich der Beendigung von Verträgen, festgelegt sind;

keine nachträgliche Senkung bereits vereinbarter Preise durch Ausübung von Druck;

keine Verpflichtung unter Anwendung von Druck, sich über den in der ursprünglichen Vereinbarung festgelegten Betrag hinaus zu den Vermarktungs- und Vertriebskosten zu beteiligen;

keine Ausgleichszahlungen des Zulieferers für entgangene Gewinne des Einzelhändlers, es sei denn, diese wurden im Voraus festgelegt oder vereinbart oder der Zulieferer liefert nicht die angeforderten Mengen;

keine Rückgabe unverkaufter Waren, außer in begründeten, vertraglich vereinbarten Fällen;

keine Zahlungen für Schwund, Fahrlässigkeit oder Mängel über die im ursprünglichen Vertrag eindeutig festgelegten Verpflichtungen hinaus;

keine Pauschalzahlungen zur Sicherung von Aufträgen oder Positionierungen; in Bezug auf Werbeaktionen müssen alle Zahlungen eindeutig und transparent aufgeführt sein;

alle Werbeaktionen müssen von beiden Seiten im Voraus vereinbart werden; die Vereinbarungen müssen auch eine eindeutige Benachrichtigungsfrist umfassen; die Bedingungen für die Werbemaßnahmen müssen in schriftlicher Form und transparent festgehalten werden;

Fehleinschätzungen des Einzelhändlers dürfen, auch während der Werbeaktionen, nicht an den Zulieferer weitergegeben werden; bei Schätzungen, die zusammen mit dem Zulieferer vorgenommen werden, müssen die Bedingungen schriftlich festgehalten werden;

die Eigenschaften und die Produktionsbedingungen der verkauften Waren — insbesondere der importierten Waren — sind von den Herstellern und Einzelhändlern im Einklang mit den Erwartungen der Verbraucher zur Verfügung zu stellen;

der Zulieferer muss als Teil der Vertragsbedingungen schriftlich über das Verfahren für Verbraucherreklamationen informiert werden.

1.14   Alle Mitarbeiter des Einzelhändlers in den Bereichen Einkauf und Management müssen diesen Kodex kennen. Zudem sollten die Einzelhändler einen Beauftragten für die Einhaltung des hauseigenen Kodex ernennen, der über die Verträge mit Zulieferern Buch führt und die Zulieferer automatisch über Änderungen der Vertragsbedingungen informiert.

1.15   Der EWSA empfiehlt ferner die Einsetzung eines Mediators auf nationaler Ebene, der Streitigkeiten schlichtet, die Umsetzung des Kodex bewertet und überwacht und der befugt sein sollte, von allen Beteiligten Informationen einzuholen und proaktiv zu untersuchen, ob Verstöße gegen den Kodex vorliegen. Dieser Vorschlag würde mit der Empfehlung des EWSA bezüglich der „Regelung für kleine Unternehmen“ (Small Business Act) in Einklang stehen.

1.16   Europäische Handelsrechtsvorschriften müssen wirksam umgesetzt werden. Insbesondere die Zahlungsbedingungen müssen jedoch dahingehend geändert werden, dass eine maximale Zahlungsfrist festgelegt wird. Auch wenn bereits Rechtsvorschriften bestehen, so wurde bei ihrer Umsetzung auf nationaler Ebene nur eine Mindestharmonisierung erreicht oder es werden Ausnahmeregelungen („Opt-out“) angewendet.

1.17   Im Hinblick auf Baugesuche für große Einzelhandelsunternehmen sollten die zuständigen Regierungsstellen für die lokalen Behörden einen „Wettbewerbstest“ erarbeiten, der den tatsächlichen Bedarf feststellt und Kriterien wie den „Vorrang für die Innenstädte“ umfasst, und anhand dessen der tatsächliche lokale Wettbewerb zwischen den verschiedenen Vermarktungswegen, das derzeitige Bodennutzungsrecht, die Infrastruktur und der Nutzen für die Gemeinde geprüft werden kann. Damit soll sichergestellt werden, dass Bedenken hinsichtlich der bestehenden und künftigen Vielfalt des Einzelhandelangebots, des unverzichtbaren Nebeneinanders von kleinen Einzelhandelsgeschäften, Großmärkten und Einkaufszentren in Stadtregionen untersucht werden.

1.18   Einzelhandelsunternehmen bestehen in erster Linie auf nationaler Ebene. Zur Gewährleistung einer wirksamen Umsetzung des Kodex sollte daher eine staatliche Behörde (nationale Wettbewerbsbehörden) in regelmäßigen Abständen die Berichte des Ombudsmanns über problematische Praktiken prüfen, die es ihr ermöglichen, direkt von den Einzelhändlern/Zulieferern Informationen einzuholen und eine Ausgangsanalyse sowie eine Bilanz der in der Branche erzielten Fortschritte auszuwerten. Im Falle wiederholter Vorwürfe könnten angemessene Rechtsvorschriften ausgearbeitet werden. Die betreffende staatliche Behörde sollte außerdem angehalten werden, allen an der Lieferkette Beteiligten den Zweck und den Vorteil eines solchen Verhaltenskodex zu vermitteln und seine Einhaltung durchzusetzen.

1.19   Schließlich sollten die Mitgliedstaaten das Umfeld für ein hohes Wettbewerbsniveau zwischen den Einzelhandelsunternehmen schaffen, unbeschadet der Sicherung der notwendigen Ausgewogenheit zwischen den Branchen und der Wahrung stadtplanerischer Aspekte, und dem Verbraucher so Vorteile aufgrund niedrigerer Preise und größerer Auswahl bieten.

2.   Begründung

2.1   Die Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) setzt sich für die Koordinierung und die Kohärenz gemeinschaftlicher Maßnahmen bei maßgeblichen Prozessen des industriellen Wandels im Zusammenhang mit einem erweiterten Europa sowie für ein Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit eines in sozialer Hinsicht akzeptablen Wandels und der Wahrung der Wettbewerbsposition der europäischen Industrie ein.

2.2   In jüngster Zeit sind ein Wachstum der Branche der großen Einzelhandelsunternehmen sowie entsprechende Auswirkungen und Einflüsse auf die Gesellschaft zu beobachten. Im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie und deren Zielen Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum sowie mehr und bessere Arbeitsplätze sollen in dieser Stellungnahme spezifische Bereiche über die gesamte Länge der Wertschöpfungskette bis hin zu den Verbrauchern aufgezeigt werden, in denen Interventionen oder Instrumentarien der EU erforderlich sind.

2.3   Für die Zwecke dieser Stellungnahme hat der EWSA eine Studie in Auftrag gegeben, mit deren Hilfe eine Definition für große Einzelhandelsunternehmen gefunden werden soll (siehe Anlage 1, Studie von London Economics). Wie in der Studie festgestellt wird, führen die zugrunde gelegten Parameter eines jeden Definitionsversuches zu unterschiedlichen Ergebnissen. Aufgrund der großen Zahl der Einzelhandelsunternehmen, die den Rahmen der Definition eines KMU überschreiten, und fehlender Statistiken besonders in den neuen Mitgliedstaaten, stützt sich diese Stellungnahme auf die kumulativen Definitionen. Große Einzelhandelsunternehmen sind Unternehmen, deren Marktanteil über 5 % liegt bzw. deren Umsatz über 200 Mio. EUR beträgt und die mindestens 250 Personen beschäftigen. Zudem wäre eine Untersuchung der fünf größten Unternehmen in jedem Markt von Nutzen sowie die Klärung der Frage, ob es sich um ein privatwirtschaftliches oder sozialwirtschaftliches Geschäftsmodell handelt.

2.4   Die Studie konzentrierte sich außerdem auf die Lebensmittel- und Bekleidungsbranche in acht europäischen Ländern: Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien, Rumänien, Polen und der Tschechischen Republik. Die offenkundige Einzelhandelskonzentration in anderen Bereichen wie Baumärkten, der Elektronik-, der Freizeit- und der Kulturbranche wird hier nicht berücksichtigt. Die Untersuchung in dieser Stellungnahme stützt sich auf statistische Daten (3). Zahlreiche weitere Studien zu verschiedenen Bereichen innerhalb der Zulieferkette, unter anderem auch zu den Beschäftigten und Verbrauchern, wurden herangezogen, um die Schwierigkeiten bei der Gewinnung von faktischen Anhaltspunkten sowie den Umfang der bislang durchgeführten Forschungsarbeiten aufzuzeigen (4).

2.5   Große Einzelhandelsunternehmen ziehen EU-weit durch ihre Angebotsstärke immer mehr Kunden an. Die Zahlen für 2005 zeigen, dass Carrefour (Frankreich), die Metro-Gruppe (Deutschland), Tesco (Großbritannien) und Rewe (Deutschland) in West-, Mittel- und Osteuropa die größten Marktanteile halten. In Deutschland, Frankreich, Irland und Schweden waren 2005 mehr als 70 % des Lebensmittelmarktes in der Hand der fünf größten Einzelhandelsunternehmen.

2.6   Viele große Einzelhandelsunternehmen, darunter Genossenschaften und Einzelhandelsunternehmen, die auf dem sozialwirtschaftlichen Modell basieren, haben als KMU begonnen, und aus ihrem spektakulären Wachstum könnten zahlreiche Lehren gezogen werden. Alle haben hinsichtlich Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Wachstum einen erheblichen Beitrag zur Lissabon-Agenda geleistet. Große Einzelhandelsunternehmen werden durch einen starken und oft konzentrierten Großhandels- und Verarbeitungssektor gestützt. Druck seitens dominierender Zulieferer hat Auswirkungen auf die Gewinnspannen der Einzelhandelsunternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Zulieferunternehmen. Es wird erwartet, dass die Ergebnisse der Studien der Europäischen Kommission zum Einzelhandel in den nächsten Jahren vorliegen: Die GD Binnenmarkt, und die GD Unternehmen wollen sich auf die Länge von Lieferketten und die Zahl der daran Beteiligten sowie auf die Gewinnverteilung im Einzelhandel insgesamt konzentrieren.

2.7   Wachstum und neue Entwicklungen im Einzelhandel, wie etwa das Aufkommen von Spezialgeschäften in der Bekleidungsbranche, haben erhebliche Konsequenzen für die Unternehmen, u.a. auch für KMU, für private Geschäftsleute, Beschäftigte, Zulieferer und Verbraucher. Im Rahmen dieser Initiativstellungnahme der CCMI sollen objektive Daten über die Entwicklung des Sektors der großen Einzelhandelsunternehmen in den letzten fünf Jahren überprüft werden. Im Mittelpunkt stehen dabei große europäische Einzelhandelsunternehmen, insbesondere in den Bereichen Lebensmittelhandel (Nahrungsmittel) und Bekleidung.

2.8   Überblick über die aktuelle Situation in den Bereichen Lebensmittel und Bekleidung:

Das Umsatzvolumen des Einzelhandels bei Lebensmitteln belief sich 2006 auf 754 Mrd. EUR (5), was im Vergleich zu 2003 einen realen Anstieg um 3,4 % bedeutet. Es ist ersichtlich, dass Frankreich, Großbritannien und Deutschland über 65 % des Gesamtumsatzes beisteuern und Italien, Spanien und Polen weitere 30 %. Auf Rumänien, Ungarn und die Tschechische Republik zusammen entfallen weniger als 5 % der Gesamtausgaben.

Schwieriger ist es, Daten zum Umsatzvolumen im Einzelhandel für die Bekleidungsbranche zu erhalten. Das Umsatzvolumen belief sich 2006 auf 120 Mrd. EUR bei einem realen Wachstum um 2,5 % seit 2003. Fast der gesamte Umsatz war in Großbritannien, Frankreich und Italien zu verzeichnen, aber dies kann auch darauf zurückzuführen sein, dass in den neuen Mitgliedstaaten nur begrenzt Daten verfügbar sind.

Die Einzelhandelsunternehmen mit dem größten Umsatz auf nationaler Ebene sind in der Lebensmittelbranche tätig. Spitzenreiter der Branche ist Tesco, der seine Konkurrenz deutlich hinter sich lässt und dessen Umsatz 2006 um 10 Mrd. EUR höher war als der des Branchenzweiten Carrefour.

Bei einem Vergleich von Lebensmittel- und Bekleidungseinzelhandel liegt der größte Bekleidungseinzelhändler (Marks and Spencer) nur auf dem 25. Platz.

Viele große Einzelhandelsunternehmen, die als Lebensmittelgeschäfte eingestuft werden, verkaufen auch Bekleidung, Textilien und Elektrogeräte — ihr Umsatz kann daher nicht nur auf den Verkauf von Lebensmitteln bezogen werden.

In Italien und Spanien ist der Umsatz im Lebensmittelsegment bei den großen Einzelhandelsunternehmen seit 2003 um über 25 % gestiegen. Auch die großen Einzelhandelsunternehmen in der Tschechischen Republik und Rumänien konnten einen beträchtlichen Zuwachs verzeichnen (wenngleich in Rumänien die Ausgangssituation extrem schwach war).

Lediglich in drei der neun untersuchten Märkte sind große Bekleidungseinzelhandelsunternehmen tätig. In Deutschland und in Großbritannien konnten diese ein stetiges Umsatzwachstum (5 bzw. 3 %) verzeichnen. Das einzige große Einzelhandelsunternehmen in Italien (die Benetton-Gruppe) verzeichnete zwischen 2003 und 2006 jedoch einen realen Umsatzrückgang (6).

2.9   In der Nahrungsmittel- und Getränkebranche (Lebensmittelhändler) lässt sich derzeit weltweit der rasanteste Kostenanstieg (Preisanstieg für Rohstoffe) seit Generationen feststellen. Bedingt durch den weltweit wachsenden Wohlstand, schlechte Ernten und die staatlichen Zielvorgaben für Biokraftstoffe steigen die Preise insbesondere für Getreide und somit für Grundnahrungsmittel und Tierfutter in immer neue Höhen und werden an die Verbraucher weitergegeben.

2.10   Ein repräsentativer Warenkorb ist heute erheblich teurer als in den vergangenen Jahren und unterscheidet sich in den Mitgliedstaaten wesentlich. Jüngste Verteuerungen der Rohstoffe könnten den Profit für die Zulieferer zunichte machen. Für die Einzelhändler, deren Gewinnspannen noch geringer ausfallen, machen sich höhere Rechnungen an der Kasse in den Inflationszahlen des Finanzministeriums bemerkbar, die dann sehr rasch bei den Tarifverhandlungen mit den Arbeitnehmern zu Buche schlagen. Die Inflation der Verbraucherpreise und der jüngste Ölpreisanstieg haben Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette und ebenso auf die Verbraucher und sind derzeit ein beunruhigendes Szenarium für alle Beteiligten.

2.11   Da die Verbraucher aufgrund des starken Wettbewerbs frei zwischen Einzelhändlern wählen können, tun die Einzelhändler ihr Möglichstes für mehr Effizienz und höhere Skalenerträge. Viele Zulieferer haben parallel zu dem jeweiligen Einzelhändler expandiert. Aus ihren Strategien lassen sich wertvolle Erfahrungswerte ableiten.

Die Lieferkette selbst kann sowohl in der Lebensmittel- als auch Bekleidungsbranche ziemlich lang sein, wobei alle Beteiligten, darunter Vertriebsunternehmen, Verpackungsunternehmen, Sekundärerzeuger, verarbeitende Unternehmen und Großhändler, über die gesamte Kette hinweg ihre Gewinnspanne hinzurechnen.

2.12   In der Bekleidungsbranche lässt sich europaweit eine relative Preisstabilität feststellen, die insbesondere auf das langsame Wachstum der EU-Wirtschaft bedingt durch veränderte Verbrauchergewohnheiten, die Liberalisierung des internationalen Handels, die Festigung der Position Chinas als führendem Textilhersteller und die zunehmende Wertschätzung der europäischen Währung zurückzuführen ist. Zudem verändert sich die Dynamik des Marktes, da traditionelle Lebensmittelsupermärkte ihr Non-Food-Segment ausbauen und insbesondere Bekleidungsgeschäfte und kleine unabhängige Fachgeschäfte von Ketten wie Zara und H&M abgelöst werden (7).

2.13   Die Entwicklung der Differenz zwischen den Preisindizes spiegelt nicht unbedingt die Entwicklung der Preisspanne wider, also der Differenz bei der Preishöhe (8). Darüber hinaus sollte man mit den Schlussfolgerungen aus diesen Untersuchungen vorsichtig sein. Die Unterschiede in der Preisentwicklung zeigen nicht unbedingt die Änderungen in der Gewinnspanne für Hersteller und Einzelhändler. Dies liegt daran, dass die Preise auch von vielen anderen veränderlichen Größen beeinflusst werden, z.B. können Änderungen bei der Mehrwertsteuer (9), den Löhnen, den Importpreisen oder technische Verbesserungen ein Sinken oder ein Ansteigen der Verbraucherpreise zur Folge haben, was nicht mit den Produzentenpreisen zusammenhängen muss.

2.14   Die europäischen Einzelhandelsunternehmen sind aber einhellig der Ansicht, dass das Erreichen eines nachhaltigen Verbrauchs eine zentrale Aufgabe für die Zukunft ist. Die Einzelhändler werden täglich mit neuen Wünschen ihrer Kunden, dem ständig steigenden Bedarf an geeigneten und präzisen Informationen, der schnellen Einführung neuer ökologischer Produkte und immer umweltfreundlicheren Abläufen in der Lieferkette konfrontiert. In diesem Zusammenhang schlagen die europäischen Einzelhandelsunternehmen von sich aus ein Aktionsprogramm für Nachhaltigkeit im Verbrauch und ein Umweltaktionsprogramm des Einzelhandels vor und arbeiten eng mit der Europäischen Kommission bei der Verwirklichung der EU-Klimaschutzziele bis zum Jahr 2020 zusammen.

3.   Zu prüfende Bereiche:

3.1   Die künftige Debatte über mögliche einzurichtende Mechanismen zur Ausräumung der nachstehend genannten Bedenken der Zivilgesellschaft muss sich auf klare und transparente Verfahren zur Anzeige von regelwidrigem Verhalten stützen. Eine Beschwerde muss in jedem Fall durch Beweismaterial gestützt werden. Dies gilt für alle Beteiligten.

3.2   Die Mitgliedstaaten müssen Wettbewerb auf einem Niveau gewährleisten, auf dem eine angemessene Entwicklung aller Formen von Handel möglich ist, aus denen den Verbrauchern Vorteile hinsichtlich niedrigerer Preise und größerer Auswahl erwachsen.

3.3   Bei den Vorschriften zur Förderung des fairen Handels, die auf nationaler Ebene angewendet werden, können lokale soziale Präferenzen wie Öffnungszeiten oder arbeitsrechtliche Fragen berücksichtigt werden; daher muss der vom EWSA empfohlene freiwillige Verhaltenskodex auf Ebene der Mitgliedstaaten erarbeitet und angewendet werden, zumal der Einzelhandel in starkem Maße auf dem lokalen Markt agiert.

3.4   Im Interesse einer „Besseren Rechtsetzung“ (10) sind auf EU-Ebene wettbewerbsfördernde Reformen zum Abbau einschränkender Rechtsvorschriften durchgeführt worden, was auch der Grund für die Empfehlung des EWSA zur Selbstregulierung der Branche ist. Die Erarbeitung eines Verhaltenskodex durch die Einzelhandelsunternehmen auf nationaler Ebene könnte als begünstigende Absprache zwischen den Einzelhandelunternehmen und somit als wettbewerbswidrig gewertet werden. Die Maßnahmen der staatlichen Stellen müssen jedoch auf die Überprüfung solcher Kodizes ausgerichtet sein, da dadurch die Transparenz und Sorgfalt seitens der Einzelhandelsunternehmen und Zulieferer verbessert wird und dies langfristig auch mehr Vorteile für die Verbraucher bringt.

3.5   Die Geschäftsmethoden des Einzelhandels und der Zulieferketten werden häufig kritisiert; der EWSA empfiehlt daher, auf nationaler Ebene Vereinbarungen zu treffen und einen Verhaltenskodex zu erarbeiten (siehe Empfehlungen und Schlussfolgerungen), um auf diese Kritik zu reagieren, indem das Verfahren transparenter gestaltet wird, wobei die Interessen von Einzelhändlern und Zulieferern geschützt werden und gegebenenfalls ein Schlichter hinzugezogen werden kann.

3.6   Die Wettbewerbspolitik und andere Regulierungsmaßnahmen, die den Einzelhandelssektor betreffen, sind eine Ergänzung zur Handelspolitik. Den Einzelhändlern die Möglichkeit zu lassen, bei Einkauf und Betrieb Größenvorteile zu nutzen, und sie zugleich daran zu hindern, dass sie ihre Marktmacht ausnutzen — hier einen Mittelweg zu finden scheint eine der großen politischen Herausforderungen zu sein.

3.7   Der Import ist ein weiterer zu prüfender Bereich, in dem der Verhaltenskodex ebenfalls angewendet werden könnte. Heutzutage spielt der Import sowohl in der Lebensmittel- als auch Bekleidungsbranche eine wichtige Rolle für die Verteilung der Marktkräfte. Der Anteil importierter Lebensmittel ist in den westlichen Ländern generell höher, wobei der Anteil der Lebensmittelimporte in den östlichen Ländern rapide ansteigt.

3.8   Die westlichen Länder haben eine hohe Importdurchdringung im Bekleidungssektor zu verzeichnen (11). Häufig beträgt der Anteil über 100 %. Dies kommt dadurch zustande, dass die Gesamtausfuhren über dem Gesamtproduktionswert liegen, was bedeutet, dass einige Waren importiert und dann in andere Märkte reexportiert werden.

4.   Beschäftigte im Einzelhandel

4.1   Der Einzelhandel ist im Hinblick auf die Anzahl der in dieser Branche Beschäftigten für die Lissabon-Strategie von herausragender Bedeutung. Die GD Beschäftigung führt derzeit eine Studie durch, in der neue Kompetenzen und die Entwicklung des künftigen Qualifikationsbedarfs und der Beschäftigungslage in Einzelhandel und Handel bis 2020 analysiert werden. Eine ähnliche Studie wird für die Textilbranche, die Bekleidungs- und Lederwarenbranche durchgeführt. Diese beiden Studien sind Teil eines 16 Branchen umfassenden Projekts, bei dem anhand einer gemeinsamen Methodik der vorausschauenden Forschung auf der Grundlage von Szenarioanalysen die Entwicklung der künftigen Kompetenzen und der Beschäftigung untersucht werden.

4.2   Nach der London Economics-Studie sind in Großbritannien ca. 1,2 Mio. Menschen in großen Einzelhandelsunternehmen des Lebensmittelsektors beschäftigt. In den übrigen Ländern hat diese Branche bedeutend weniger Beschäftigte, insgesamt haben die westeuropäischen Länder aber eine größere Zahl Beschäftigte zu verzeichnen als die osteuropäischen Länder. Seit 2003 ist die Zahl der Beschäftigten in jedem Land gestiegen, mit Ausnahme Frankreichs und der Tschechischen Republik, wo die Beschäftigtenzahl konstant geblieben ist.

4.3   Der Anteil der Beschäftigten der großen Einzelhandelsunternehmen ist in den einzelnen europäischen Ländern sehr unterschiedlich. In Großbritannien und Deutschland sind über 75 % bzw. 60 % der Arbeitnehmer in Lebensmittelgeschäften und Kaufhäusern bei den großen Einzelhandelsunternehmen beschäftigt, während sich dieser Anteil in Polen auf ca. 20 % und in Rumänien auf weniger als 5 % beläuft.

4.4   Insgesamt ist in Europa die Zahl der erwerbstätigen Frauen im Groß- und Einzelhandel höher als der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung insgesamt, wobei die Differenz in den zehn neuen Mitgliedstaaten bedeutend größer ist als in der EU-15. Die einzige Ausnahme ist Frankreich, wo im Vergleich zur Gesamtwirtschaft ein geringerer Anteil von Frauen im Groß- und Einzelhandel beschäftigt ist.

4.5   Bei einer Aufschlüsselung der Beschäftigtenzahlen nach dem Alter sind einige interessante Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten festzustellen. So ist beispielsweise in Großbritannien ein bedeutend höherer Anteil junger Arbeitnehmer (unter 25) zu verzeichnen als anderswo, aber auch ein höherer Anteil an Arbeitnehmern über 65 Jahre (obgleich dieser Anteil sehr gering ist). In Italien, der Tschechischen Republik und Ungarn ist der Anteil der jungen Arbeitnehmer niedriger, der Anteil der 25- bis 49-jährigen Arbeitnehmer hingegen höher.

4.6   Der Anteil der Teilzeitarbeit ist im Groß- und Einzelhandel höher als in der europäischen Wirtschaft insgesamt, wobei erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und auch zwischen den EU-15 und den zehn neuen Mitgliedstaaten bestehen.

Brüssel, den 3. Dezember2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  „The evolution of the high-volume retail sector in Europe over the past 5 years“ (Die Entwicklung der großen Einzelhandelsunternehmen in Europa in den vergangenen fünf Jahren), EWSA, CCMI, erstellt von: London Economics. http://eesc.europa.eu/section/ccmi/externalstudies/documents/HVR_Final_Report_revised_with_annex.doc.

(2)  Untersuchung der Kommission für Wettbewerbsfähigkeit des Vereinigten Königreichs zum Lebensmittelmarkt:

http://www.competition-commission.org.uk/inquiries/ref2006/grocery/index.htm. Die Veröffentlichung der Endfassung wird im zweiten Halbjahr 2008 erwartet.

[2] Von der Bundeswettbewerbsbehörde veröffentlichte „Allgemeine Untersuchung des österreichischen Lebensmittelhandels unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts der Nachfragemacht“: http://www.bwb.gv.at/BWB/English/groceries_sector_inquiry.htm.

(3)  Siehe Fußnote 1.

(4)  I) „Impact of Textiles and Clothing Sectors Liberalisation on Prices“ (Auswirkungen der Liberalisierung des Textil- und Bekleidungssektors auf die Preise), Institut für Weltwirtschaft, Kiel, Deutschland. EU-Kommission, GD Handel. Abschlussbericht vom 18.4.2007, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2007/june/tradoc_134778.pdf.

II) „Business relations in the EU Clothing Chain: from industry to retail and distribution“ (Geschäftsbeziehungen in der Kette des Bekleidungssektors der EU: von der Herstellung zum Einzelhandel und Vertrieb). Universität Bocconi, ESSEC Business School, Baker McKenzie. Abschlussbericht, Oktober 2007 http://ec.europa.eu/enterprise/textile/documents/clothing_study_oct_2007.pdf.

(5)  Die Internet-Einkäufe im Einzelhandel sind in den Gesamtverkaufszahlen enthalten und wurden in der vorliegenden Studie nicht gesondert behandelt, da sie trotz Umsatzwachstums insgesamt nur 1-2 % des Lebensmittelumsatzes in Großbritannien ausmachen.

(6)  Zwischenbericht der London Economics; „The Evolution of the High Volume Retail Sector in Europe over the past 5 years“ (Die Entwicklung der großen Einzelhandelsunternehmen in Europa in den vergangenen fünf Jahren), Februar 2008.

(7)  Universität Bocconi; „Business Relations in the EU clothing Chain“ (Geschäftsbeziehungen in der Kette des Bekleidungssektors der EU); Oktober 2007, Abschlussbericht, Oktober 2007 http://ec.europa.eu/enterprise/textile/documents/clothing_study_oct_2007.pdf.

(8)  Beträgt der Erzeugerpreis beispielsweise 100 und der Verbraucherpreis 200, so bedeutet ein Anstieg beider Preise um 10 % nicht, dass die Gewinnspanne konstant bleibt. Aufgrund der unterschiedlichen Preishöhe würde die Gewinnspanne von 100 (200-100) auf 110 (220-110) steigen.

(9)  „Gemessen werden die tatsächlich von den Verbrauchern zu zahlenden Preise. Verkaufssteuern, wie etwa die Mehrwertsteuer, sind somit eingeschlossen. Berücksichtigung finden auch Schlussverkaufspreise.“, Harmonisierte Verbraucherpreisindizes (HVPI), Ein kurzer Leitfaden für Datennutzer, März 2004.

(10)  http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/index_de.htm.

(11)  Die Definition des Bekleidungssektors umfasst alle Produkte im Rahmen der „Herstellung von Bekleidung, Zurichtung und Färben von Fellen“.


28.7.2009   

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Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/63


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Industrieller Wandel, territoriale Entwicklung und Verantwortung der Unternehmen“

(2009/C 175/11)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Industrieller Wandel, territoriale Entwicklung und Verantwortung der Unternehmen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 18. November 2008 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI, Ko-Berichterstatter Herr GAY.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember 2008 mit 168 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hält es für wesentlich, dass im Rahmen der Lissabon- und der Göteborg-Strategie die territorialen Systeme, organische Gebilde aus Strukturen, Infrastrukturen und öffentlichen und privaten Akteuren, gefördert werden, damit ausgehend von einem gemeinsamen, in der Fläche verankerten Entwicklungskonzept ein höheres Wohlstandsniveau und eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitiger auf alle Schultern verteilter sozialer und ökologischer Verantwortung erreicht wird. Im Wesentlichen handelt es sich um einen Prozess, der bei jedem Schritt und an jedem Ort aus einer Fülle von Interaktionen besteht.

1.2   Der Ausschuss fordert nachdrücklich eine Gemeinschaftsinitiative zur Entwicklung des „sozial verantwortlichen Territoriums“ (SVT), in der das Ziel einer bürgernahen Demokratie verbunden wird mit dem Bestreben, alle Behörden sowie die öffentlichen und privaten Akteure von der Notwendigkeit verantwortungsvollen Handelns zu überzeugen, sodass ein integriertes strategisches Konzept für die wettbewerbsorientierte Nutzung der gebietseigenen Besonderheiten entstehen kann.

1.3   Der Ausschuss fordert, dass zugleich mit der SVT-Initiative ein europäisches Aktionsprogramm in die Wege geleitet wird, das folgende Aufgaben haben soll:

Förderung der Einbeziehung der territorialen Dimension in die Gemeinschaftspolitiken, insbesondere im Rahmen der Strategien von Lissabon und Göteborg;

Förderung der Einbindung der in der Territorialen Agenda und der Leipzig-Charta enthaltenen Prioritäten in die nationalen, regionalen und lokalen Politikbereiche;

Förderung und Kofinanzierung partizipativer Ansätze für gebietsbezogene Zukunftsforschung zur Entwicklung gemeinsamer Konzepte für eine sozial verantwortliche territoriale Entwicklung;

Aufbau territorialer Exzellenznetzwerke und europäischer Kooperationsgruppen.

1.4   Der Ausschuss erhofft sich von der SVT-Initiative (1) und dem damit verbundenen Aktionsprogramm:

einen deutlichen Abbau des Verwaltungsaufwands der Wirtschafts- und Sozialakteure vor Ort durch inhaltliche und verfahrenstechnische Verschlankung der Union sowie durch Anwendung der „offenen Koordinierungsmethode“;

die einheitliche Umsetzung der Bestimmungen in den Mitgliedstaaten, um die Einheit des europäischen Binnenmarktes zu erhalten;

die umfassende Einbeziehung der Wirtschafts- und Sozialakteure vonseiten der regionalen und lokalen Behörden und die Entwicklung von Strategien für die Kompatibilität von Zusammenarbeit, Innovation und Wettbewerb;

die Entwicklung eines auch die Zivilgesellschaft einbeziehenden konstruktiven sozialen Dialogs durch den privaten Sektor, bei dem gemeinsame Visionen für die Antizipierung des industriellen Wandels entwickelt werden.

1.5   Der Ausschuss befürwortet ausdrücklich die Entwicklung einer bürgernahen Demokratie, bei der die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verantwortungsträger vor Ort in Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Förderung einer nachhaltigen, im Wettbewerb bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Unionsgebiete einbezogen werden.

1.6   Nach Ansicht des Ausschusses müssen erhebliche Investitionen in die Entwicklung einer Innovations- und Beteiligungskultur getätigt werden, da die Forderung nach demokratischen Werten von der jeweiligen gesamten Bürgergesellschaft vor Ort und einer Vielzahl von Akteuren und Institutionen ausgehen muss, die die Interessen der einzelnen Bereiche vertreten. In diesem Rahmen verbindet sich mit dem Begriff „Unternehmen“ die Vorstellung von einer Gemeinschaft, die Wohlstand erzeugt und damit vor Ort die Voraussetzungen für eine bessere Gesellschaft schafft.

1.7   In diesem Zusammenhang wünscht der Ausschuss, dass die Erklärungen des Europäischen Rates vom 13. und 14. März 2008 über die Bedeutung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung und die Bedeutung verstärkter Möglichkeiten territorialer Politikgestaltung durch alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kräfte in den Kommunen bzw. Regionen zügig in die Praxis umgesetzt werden.

1.8   Darüber hinaus ist der Ausschuss überzeugt, dass Europa auf dem Gebiet der Entwicklung des SVT  (2) führend werden muss, wobei unter anderem die in den Bereichen des Gemeinschaftssystems für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) sowie der sozialen Verantwortung der Unternehmen (SVU) erworbenen positiven Erfahrungen als Richtschnur dienen sollen. Zugleich soll der Bezugsrahmen auf die territoriale Dimension ausgedehnt werden, um vor allem sicherzustellen, dass das gemeinsame Gut der Verantwortung ein unverrückbarer Bestandteil des unternehmerischen Handelns in den Gebieten ist. Die Unternehmen müssen dabei die Möglichkeit haben, Netzwerke und Cluster zu nutzen und umfassend am gesamtwirtschaftlichen Prozess der strategischen Gebietsentwicklung teilzunehmen.

1.9   Der Ausschuss ist vor allem der Auffassung, dass Kleinst- und Kleinunternehmen und die weit verbreiteten, mit einschlägigen Erfahrungen ausgestatteten Unternehmen der Sozialwirtschaft die Möglichkeit haben sollten, Fördermittel und Fachwissen in Anspruch zu nehmen und besseren Zugang zu Krediten und Kleinstkrediten zu erhalten, um letztlich ein Unternehmensmanagement zu entwickeln, das die Belange der Umwelt, des Gebiets und seiner Einwohner berücksichtigt.

1.10   Nach Ansicht des Ausschusses sollten im Rahmen der SVT-Initiative und des Aktionsplans außerdem ein strukturierter sozialer Dialog vor Ort sowie Partnerschaften zwischen örtlichen Einrichtungen gefördert werden, insbesondere grenzübergreifend. So können tragfähigere Partnerschaften entstehen, mit deren Hilfe der Kapazitätsaufbau im Ganzen sowie das Know-how und die Leistung von Gebietskörperschaften gestärkt werden können, die auf verschiedenen Zuständigkeitsebenen tätig sind und häufig miteinander konkurrieren.

1.11   Der Ausschuss möchte schließlich betonen, wie wichtig es ist, dass im Zuge einer „Multi-level Governance“ ein hohes Koordinierungsniveau gewährleistet wird, damit das, was der einheitliche Binnenmarkt geeint hat, nicht wieder geteilt, d.h. eine territoriale Zersplitterung und Diskriminierung vermieden wird, die die europäische Wirtschaft auf den Weltmärkten weiter schwächen würde.

2.   Einführung

2.1   Auf der am 4. März vom EU-Ratsvorsitz zum territorialen Dialog veranstalteten Konferenz wurde die Bedeutung der Gemeinden und Regionen für die Verwirklichung der Ziele der überarbeiteten Lissabon-Strategie als ein Schwerpunkt der Kohäsionspolitik hervorgehoben.

2.2   Der Ausschuss möchte mit dieser Stellungnahme die Wechselbeziehungen zwischen den Gebieten und den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Akteuren mit Blick auf die Umsetzung der Lissabon-Strategie und die Entwicklung einer auf dem Binnen- und Weltmarkt wettbewerbsfähigen wissenbasierten Wirtschaft ermitteln.

2.3   Ausgangspunkt ist die Ausfeilung der Vorausschau auf die wirtschaftlichen, sozialen und umweltspezifischen Veränderungen und die bessere Organisation der an der Entstehung eines „sozial verantwortlichen Territoriums (3) Beteiligten, die Ermittlung der Verantwortlichkeiten von Unternehmen, Verwaltungen, Sozialpartnern und allen Akteuren, die an der Erschließung der Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Gebiets mit dem Blick auf ein dynamisches, solidarisches und kohärentes europäisches Sozialmodell mitwirken (4).

Die Wirtschaft eines Gebiets ist dem globalen Wettbewerb je nach ihrer Beschaffenheit mehr oder weniger ausgesetzt. Im Übrigen spiegelt das BIP (bzw. die Wertschöpfung) als Indikator nicht mehr den Reichtum eines Gebiets wider, und zwar aus den beiden nachstehend angeführten Gründen. In diesem Zusammenhang begrüßt der Ausschuss das unlängst von der Kommission angenommene „Grünbuch über den territorialen Zusammenhalt — Territoriale Vielfalt als Stärke“ (5), das Gegenstand einer gesonderten Stellungnahme sein wird:

2.4.1   Zunächst verbleiben die Arbeitseinkommen und Kapitaleinkünfte sowie die von den am Markt tätigen Produktivkräften entrichteten Steuern nicht vollständig im ursprünglichen Gebiet, sondern manche Ressourcen werden auch „exportiert“;

2.4.2   Außerdem und vor allem sind die Gebiete auch von anderen als den von Produktivkräften erwirtschafteten Ressourcen abhängig (Löhne aus dem öffentlichen Beschäftigungssektor, Renten/Pensionen, Einkünfte aus dem Tourismus, Einkünfte von außerhalb des Gebiets Beschäftigten, andere Sozialleistungen als Renten usw.).

Die Palette der Managementinstrumente zur Unterstützung der von den Behörden und Unternehmen durchgeführten Politiken und Programme zur nachhaltigen Entwicklung wird immer umfangreicher und gründet sich auf folgende Elemente:

2.5.1   Normen

Richtlinien und Verordnungen im Umweltbereich;

Umweltmanagementsysteme;

Zertifizierung ISO 14000 und Leitfaden ISO 26000;

Norm BS OHSAS 18001/2007 über die Sicherheit am Arbeitsplatz;

EMAS-Verordnung;

Sozialaudit (SA8000);

Einkauf umweltfreundlicher Güter und Dienstleistungen und umweltfreundliches öffentliches Beschaffungswesen;

Untersuchungen zum Lebenszyklus von Produkten;

integrierte Produktpolitik.

2.5.2   Strukturen

Cluster, Industriegebiete, Wettbewerbs- oder Exzellenzpole und Technologieparks;

Aktionspläne, lokale Agenda 21;

regionale/lokale Beobachtungsstellen für die territorialen Auswirkungen der Entwicklung;

örtliche Unternehmensklubs;

Unterstützung der territorialen Governance durch den Europäischen Sozialfonds;

Europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ), neue Instrumente in der Verordnung (EG) Nr. 1082/2006 vom 5. Juli 2006 (6);

Die Plattformen für Analyse und Antizipation;

Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP).

2.5.3   Vereinbarungen

Flexicurity-Initiativen (7);

soziale Verantwortung der Unternehmen (SVU);

strukturierter sozialer Dialog auf territorialer Ebene;

Umweltbilanz/Umweltrechnungswesen;

Berichterstattung zur Nachhaltigkeit;

territorale Planungs- und Programmgestaltungsinstrumente;

territoriale Ökobilanzen;

territoriale Wirtschafts- und Sozialabkommen (Territorialpakte, Programmvereinbarungen …);

Sonderwirtschaftszonen in den von der Wettbewerbspolitik erlaubten Grenzen (8).

2.6   Nach Ansicht des Ausschusses ist nunmehr eine konsolidierte, integrierte und koordinierte Anwendung dieser Rechts- und Regulierungsinstrumente und freiwilligen Maßnahmen erforderlich, um die Koordinierung der verschiedenen Ziele und der unterschiedlichen Mitwirkungsebenen zu gewährleisten und gemeinsam wirksame und effiziente Ergebnisse zu erzielen.

2.7   Der territoriale Zusammenhalt hat vor dem Hintergrund der Leipzig-Charta (9) und der Territorialen Agenda der Europäischen Union des Jahres 2007, zu der sich der Ausschuss bereits äußern konnte (10), an Bedeutung gewonnen, wobei folgende Zielvorgaben gelten:

stärkere Einbeziehung der Gegebenheiten vor Ort;

Verknüpfung der ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung mit der Forderung nach höherer Wettbewerbsfähigkeit Europas durch Investitionen in Bereichen mit höherem Wachstumspotenzial;

Schaffung von Synergien und Komplementarität der Gemeinschaftsmaßnahmen;

Entwicklung besserer Governance-Mechanismen (11).

2.8   Die territoriale Agenda ist ein strategischer Orientierungsrahmen für territoriale Entwicklungsmaßnahmen im Zuge der Umsetzung der Strategien von Lissabon und Göteborg.

2.9   In seiner Stellungnahme zur regionalen und lokalen Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels (12) betonte der Ausschuss, dass „die Erschließung der regionalen und lokalen Identität auf einem Amalgam aus Unterstützung, Anerkennung und Empathie für eine Gesamtheit gemeinsamer Werte im Rahmen einer gemeinsamen Vision von der Zukunft (basiert)“, und verwies auf den integrierten territorialen Ansatz und die Politikgestaltungsstrategie zugunsten einer „sozialverantwortlichen Entwicklung der Regionen“, wobei präzisiert wurde, dass eine solche Strategie insbesondere folgende Aspekte umfassen muss:

kontinuierliche Verbesserung der kognitiven und innovativen Qualitäten und Fähigkeiten des territorialen Produktionssystems;

Entwicklung territorial vernetzter Strukturen für den öffentlichen und privaten Sektor;

ein hohes Maß an ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit der Entwicklung;

effiziente und konsolidierte Methoden zur Schaffung, Verbreitung und Umlauf von Wissen, Information und ständiger Weiterbildung;

Ausarbeitung von „lokalen und regionalen Sozialbilanzen“;

vergleichende Analysen der nachhaltigen Territorialsysteme seitens der sozialen Akteure.

Derartige Initiativen erfordern nicht nur ein hohes Maß an Koordinierung, um Synergien herzustellen und Überschneidungen und Unstimmigkeiten zu vermeiden, sondern auf Seiten der kommunalen, regionalen, nationalen und europäischen Behörden auch:

fortschrittliche Aus- und Weiterbildungsstrukturen, die den Bedürfnissen der wissensbasierten und auf Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung funktionell gerecht werden;

Maßnahmen zum Aufbau von Kapazitäten in Bezug auf Behörden, Verbände und Akteure des sozialen Dialogs;

eine integrierte regionale und lokale Politik, die in der Lage ist, das lokale Entwicklungspotenzial zu nutzen, und gleichzeitig die Fähigkeit zur Anpassung und innovatorischen Antizipation verstärkt;

einen konsolidierten sozialen Dialog auf regionaler und lokaler Ebene (13) als zentrales Instrument zur Maximierung der Vorteile, die aus der Antizipation des industriellen Wandels und der Marktveränderungen sowie der allgemeinen und beruflichen Bildung der Humanressourcen gezogen werden können;

Förderung des sozialen Engagements der Unternehmen und der freiwilligen Übernahme sozialer Verantwortung durch die Unternehmen (SVU/CSR) als Beitrag der Unternehmen zur nachhaltigen Entwicklung;

Verbesserung der integrierten Multilevel-Governance„sozial verantwortlicher Territorien“ (14), d.h. eines Territoriums, dem es gelingt, ein ausreichendes Maß an Wohlstand mit der Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen der sozialen Verantwortung zu verbinden.

2.10.1   In diesem Prozess gewinnen die Kapazitäten und Zuständigkeiten der politischen und administrativen Entscheidungsträger in zunehmendem Maße an Bedeutung, wenn es darum geht, die erforderlichen Sicherheitsvoraussetzungen zu gewährleisten, um Investitionen anzuziehen und im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung die Gründung von Kleinst- und Kleinunternehmen zu fördern.

Der Ausschuss misst dem Prozess, der zur Entstehung eines als „sozial verantwortliches Territorium (15) zu bezeichnenden Gebiets führen kann, große Bedeutung bei.

2.11.1   Dies ist der Fall, wenn es dem Territorium gelingt, im Sinne der partizipativen Demokratie soziale und ökologische Belange bei wirtschaftlichen Entscheidungen, Modelle und Werte für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, vorbildliche Verfahren und einen ständigen Dialog zwischen den Interessenträgern im Interesse von mehr Innovation und Wettbewerbsfähigkeit miteinander in Einklang zu bringen.

3.   „Bürgernahe Demokratie“ für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Entwicklung

3.1   Nach Ansicht des EWSA ist es für eine Verbesserung der Lebensqualität und einer nachhaltigen, auf Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der EU-Gebiete erforderlich, unter Einbeziehung der vor Ort tätigen politischen; wirtschaftlichen und sozialen Verantwortungsträger eine bürgernahe Demokratie zu entwickeln, wobei die konzertiert handelnden öffentlichen und privaten Akteure von den Schwächen und Stärken des jeweiligen Gebiets und den Wachstumsperspektiven für Unternehmen und Arbeitsplätze ausgehen.

3.2   Die bürgernahe Demokratie als Grundpfeiler der Governance in Europa weist je nach den nationalen Gegebenheiten vielfältige Formen und Modalitäten auf. Sie sollte sich auf folgende Schwerpunkte konzentrieren:

einen Prozess der Koordinierung der Akteure, gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen im Hinblick auf die Verwirklichung von Zielen, die im Rahmen eines strukturierten Dialogs sowie der individuellen und gemeinsamen Verantwortung der Sozialpartner und insbesondere unter Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter und der Unternehmensklubs erörtert und koordiniert werden;

die Anwendung der Grundsätze Subsidiarität, territorialer Zusammenhalt und partizipative Demokratie nach Maßgabe des Lissabon-Vertrags;

die harmonische Aufgliederung der Multilevel-Governance, damit die bürgernächsten Entscheidungsebenen für die wirksame Ausübung von politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Verantwortung, die kennzeichnend ist für die Identität und die Zuständigkeiten der Gebiete, gerüstet sind; dabei sind die Verfahren, die für Kohärenz zwischen dem staatlichen und dem europäischen Handeln sorgen, zu beachten, und es ist ein offenes, auf Zusammenarbeit und Koordinierung beruhendes Konzept mit dem Ziel der synergetischen Interaktion der verschiedenen Ebenen anzuwenden;

die Entwicklung einer gebietsbezogenen „Lerngemeinschaft“, die auf der Fähigkeit zur Selbsteinschätzung und ständigen Korrektur der Ziele und lokalen Entwicklungsstrategien sowie auf der Stärkung einer breit angelegten, alle Bereiche durchdringenden Innovationskultur beruht;

die Entwicklung einer gemeinsamen, antizipierenden Zielvorstellung über die relative Positionierung der lokalen Wirtschaft und Gesellschaft, um

die „spezifischen Ressourcen“ des Gebiets zu ermitteln;

einzuschätzen, welches die durch den Wettbewerb mit anderen Gebieten bedingten Herausforderungen und Gefahren sind;

festzustellen, wo die Chancen zur Eingliederung in die nationalen und internationalen Märkte liegen;

zu ermitteln, welche Möglichkeiten zur Lösung spezifischer Probleme anhand der vor Ort verfügbaren beruflichen Qualifikationen bestehen;

vorausschauend Optionen zu erarbeiten, anhand deren Maßnahmen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft entwickelt werden können;

die Förderung der Gründung und Aufwertung territorialer Wirtschafts- und Sozialräte oder vergleichbarer Einrichtungen (16), die in einigen Mitgliedstaaten bereits als institutionelle Gesprächspartner im Entscheidungs- und Handlungsprozess auf territorialer Ebene aktiv sind und ein Initiativ- und Kontrollrecht in Bezug auf verwirklichte Maßnahmen haben;

der Einsatz fortschrittlicher Instrumente der partizipativen territorialen Politikgestaltung, wie dem E-Government, den SWOT-Tests (17) und der partizipativen Zukunftsforschung (18), die allgemeine Einführung der im öffentlichen und privaten Sektor angewendeten EMAS-Mechanismen (19), die Verabschiedung von Normen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, Benchmark-Techniken, einer Übersicht für die offene Koordinierung, Cluster- und Intercluster-Netzwerke (20) und verteilte Systeme des internetgestützten Lernens (E-Learning);

die aktive Rolle der Handelskammern, der Industrie-, Handwerks- und Landwirtschaftskammern, der Fachverbände und Verbraucherorganisationen;

die kulturelle Exzellenzförderung in der Hochschulbildung und die Optimierung der Beziehungen zwischen Industrie und Wissenschaft.

3.3   Die territoriale Entwicklung erfordert nicht nur die uneingeschränkte Umsetzung der bürgernahen Demokratie, sondern auch eine strukturierte lokale Politikgestaltung zur Steuerung der Entwicklung (21).

3.4   Bei einer guten territorialen Governance kommt es vor allem darauf an, jede Form der Zusammenarbeit bzw. jeden Partnerschaftsprozess zwischen Unternehmen oder zwischen jeweils einem Unternehmen und einem öffentlichen Interessenträger nach dem Win-Win-Prinzip zu fördern und zu entwickeln.

3.5   Die demokratische territoriale Governance ist ein inklusiver, auch dezentraler Entscheidungsprozess, der nach Ansicht des EWSA auf den Grundsätzen der Transparenz und Verantwortlichkeit sowie auf einem partizipativen Ansatz basieren muss, der auf die Analyse, Entwicklung, Umsetzung und Steuerung einer gemeinsamen strategischen Vision für die mittel- und langfristige Entwicklung abzielt.

3.6   In einem Multilevel-Partnerschaftssystem ist es nach Ansicht des Ausschusses unerlässlich, die Bottom-up- und die Top-down-Prozesse optimal miteinander zu verbinden: die Balance zwischen beiden ist Voraussetzung für den Erfolg.

3.7   Nach Ansicht des Ausschusses muss nachhaltig in die Entwicklung einer Innovations- und Beteiligungskultur investiert werden, weil die Forderung nach demokratischen Werten von der gesamten Gesellschaft vor Ort und von zahlreichen Akteuren und Einrichtungen ausgehen muss, die die Interessen der verschiedenen Bereiche vertreten.

Der Ausschuss ist überzeugt, dass sich die Aufwertung der Unionsgebiete über die Optimierung ihres jeweiligen spezifischen Potenzials im Zuge wirksamer und nachhaltiger, auf dem Konzept des „sozial verantwortlichen Territoriums“ beruhenden Entwicklungsstrategien vollzieht.

3.8.1   In diesem Zusammenhang bekräftigt der Ausschuss seinen in einer unlängst verabschiedeten Stellungnahme (22) formulierten Standpunkt.

4.   Der Einsatz der EU für ein „sozial verantwortliches Territorium“

Der EWSA fordert mit Nachdruck eine Gemeinschaftsinitiative zur Entwicklung des„sozial verantwortlichen Territoriums“ (SVT), in der die Ziele der bürgernahen Demokratie, der Stärkung einer flächendeckenden Innovations- und Beteiligungskultur, einer effizienten und mit dem nationalen und Gemeinschaftsrahmen der Lissabon-Agenda kohärenten territorialen Governance sowie einer mehrere Akteure und Bereiche umfassenden Partnerschaft vereint werden, die in der Lage ist, durch Nutzung des örtlichen Sozialkapitals und Antizipation des industriellen Wandels die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Territoriums auf dem Weltmarkt zu steigern.

4.1.1   Hauptaufgabe der SVT-Initiative ist es, die Koordinierung und Kohärenz der Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen — der europäischen, nationalen, regionalen und kommunalen Ebene — zu gewährleisten.

4.2   Nach Ansicht des Ausschusses sollte die SVT-Initiative durch ein echtes Europäisches Aktionsprogramm mit folgenden Zielen flankiert werden:

Förderung der Aufnahme der territorialen Dimension in die Gemeinschaftspolitik;

Unterstützung der Einbeziehung der in der Territorialen Agenda und der Leipzig-Charta formulierten Prioritäten;

Förderung und Kofinanzierung von Maßnahmen der partizipativen territorialen Zukunftsforschung;

schrittweise Einführung der offenen Koordinierungsmethode und Unterstützung der Schaffung von Instrumenten der bürgernahen Demokratie;

einheitliche Überwachung und Koordinierung der kohärenten Umsetzung der verschiedenen Gemeinschaftsinstrumente zur territorialen Zusammenarbeit, insbesondere des EVGZ (23);

Einsetzung einer dienststellenübergreifenden Koordinierungsgruppe für die territoriale Entwicklung in der Kommission, mit dem Auftrag, eine Informations- und Kommunikationsstrategie in Bezug auf das sozial verantwortliche Territorium zu konzipieren und umzusetzen;

Entwicklung des Einsatzes von Instrumenten zur territorialen Folgenabschätzung vor und nach der Umsetzung von Maßnahmen vor Ort, insbesondere mit Blick auf die KMU;

Kofinanzierung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen der öffentlichen und privaten Akteure vor Ort im Hinblick auf die Entwicklung von SVT-Maßnahmen;

Förderung eines strukturierten sozialen Dialogs vor Ort und eines „Gütesiegels TSR (SVT) 21“;

Förderung und Unterstützung der Gründung und Entwicklung von Euregios (24);

Unterstützung der Entwicklung von Clustern (und Meta-Clustern (25)) sowie Cluster-Netzwerken zur Aufwertung der KMU auf dem EU- und dem Weltmarkt.

4.3   Die von der EU zu fördernde SVT-Initiative in Kombination mit dem Aktionsprogramm soll nach Auffassung des EWSA die in Ziffer 2.7 genannten freiwilligen und regulatorischen Instrumente in einem kohärenten System zusammenfassen und koordinieren, indem die Verantwortung der Unternehmen aller Sektoren — einschließlich des Finanzsektors und des lokalen öffentlichen Sektors — für das Erreichen der Ziele der lokalen Strategie für Wachstum und Beschäftigung im Rahmen der nationalen und europäischen Strategie ausschlaggebend ist.

Nach Ansicht des Ausschusses muss sich die soziale Verantwortung der Unternehmen  (26) als freiwilliger Bestandteil der offenen Koordinierung, die erleichtert und gefördert wird, in diesen Rahmen einfügen, vor allem für die Kleinst- und Kleinunternehmen, die nach Maßgabe ihrer Beteiligung und der gemeinsamen Zielvorstellung die Basis für die lokale Entwicklung bilden.

4.4.1   Die SVT-Initiative soll in der Lage sein, im Rahmen einer gemeinsamen Identität, die nicht ausschließlich dem Unternehmer eigen sein darf, sondern in allen öffentlichen und privaten Bereichen der territorialen Strukturen und der Netzwerke sowie regionalen und interregionalen Referenzcluster präsent und aktiv sein soll, ethische und persönliche Werte einer partizipativen innovationsfreundlichen Kultur herauszubilden.

4.5   Die territoriale „Lerngemeinschaft“ muss sich auf interaktive und interoperable Telematik-Strukturen und -Infrastrukturen stützen können — angefangen bei eGovernment-Diensten und der IDABC-Plattform (27), mit der europaweite elektronische Behördendienste (eGovernment-Dienste) für öffentliche Verwaltungen, Unternehmen und Bürger (IDABC) zur Verfügung gestellt werden sollen -, um die Effizienz der Tätigkeit der europäischen Behörden sowie deren Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit mit der organisierten Zivilgesellschaft zu verbessern.

Nach Überzeugung des Ausschusses soll dafür gesorgt werden, dass Europa im Hinblick auf die Entwicklung eines sozial verantwortlichen Territoriums führend wird, wobei es sich auf die positiven Erfahrungen mit dem EMAS und den SVU (sozial verantwortlichen Unternehmen) stützen, aber auch den Bezugsrahmen auf die territoriale Dimension erweitern soll.

4.6.1   Ein effizienter strategischer Entwicklungsprozess im territorialen Bereich sollte politische Faktoren wie die Neuwahl der Organe der Gebietskörperschaften außer Acht lassen, andererseits jedoch den Austausch zwischen allen politischen Kräften des Territoriums, ob sie sich an der Regierung oder in der Opposition befinden, sowie die Bildung eines Fundus der Kontinuität der gemeinsamen Verantwortung des Bürgers als Wähler und/oder Abgeordneter fördern.

Der Gruppe der Kleinst- und Kleinunternehmen sollten Beihilfen und Fachwissen zur Verfügung gestellt werden, um durch den Gebrauch einer einfachen Sprache und einfacher Verfahren, aber auch durch einen verbesserten Zugang zu Krediten und Mikrokrediten eine Unternehmensführung zu fördern, die die Umwelt, das Territorium und sein soziales Kapital achtet.

4.7.1   Auch die Unternehmen der Sozialwirtschaft sind aufgefordert, an der Entwicklung sozial verantwortlicher Territorien mitzuwirken, denn sie fördern sozialen Zusammenhalt und Nachhaltigkeit, schütten die Gewinne an die eigenen Mitglieder aus und funktionieren nach demokratischen und partizipativen Grundsätzen.

4.8   Die örtlichen Bildungs-, Hochschul- und Forschungsstrukturen sollten in europäische regionale und überregionale Exzellenz- und Kompetenznetze eingebunden werden, wie es vor allem im Programm „Kapazitäten des 7. Rahmenprogramms für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration und im Arbeitsprogram “ Allgemeine und berufliche Bildung 2010 vorgesehen ist, um für die örtlichen Strukturen die für den Erfolg der territorialen Entwicklungsstrategie erforderlichen Talente und Qualifikationen sicherzustellen, die von einem kleinen Unternehmen nur schwer gefunden werden können.

4.9   Darüber hinaus sollte die SVT-Gemeinschaftsinitiative nach Ansicht des EWSA einen strukturierten sozialen Dialog im Territorium sowie örtliche institutionelle Partnerschaften fördern, mit denen engeren Bündnissen zwischen den Gebietskörperschaften zur Stärkung der Kapazitäten und Verringerung des Leistungsgefälles der Weg geebnet und die Einführung einer neuen Charta TSR (SVT) 21 als Instrument für die zunehmende Harmonisierung und Effizienz des SVT begünstigt werden soll.

4.10   Ferner fordert der EWSA, dass in der SVT-Gemeinschaftsinitiative Bewertungs-, Benchmarking- und Kontrollmaßnahmen sowie die Einrichtung einer Datenbank mit Angaben zu den Pro-Kopf-Einkommen auf Gebietsebene vorgesehen werden und dass dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Ausschuss ein Zweijahresbericht vorgelegt wird.

5.   Das Engagement der nationalen Behörden

5.1   Um die Einheit des europäischen Binnenmarktes zu gewährleisten, erfolgt eine einheitliche Anwendung der Vorschriften durch die Mitgliedstaaten. Dabei kommen Förder- und Abschreckungsmechanismen zur Anwendung. Die Behörden sollten vor allem:

darauf hinwirken, dass unnötiger bürokratischer Aufwand vermieden wird, dass Verfahrensstrukturen und -mechanismen vereinfacht, Ressourcen für die Beschäftigung freigesetzt und eine nachhaltige, wettbewerbsorientierte Entwicklung unterstützt werden;

im Wege der Mitbeteiligung und des Konsenses sowie durch die unmittelbare Unterstützung der Sozialpartner und der Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft einen allgemeinen strategischen Bezugsrahmen für die Entwicklung der Politik zur Förderung der SVT auf einzelstaatlicher Ebene vereinbaren;

die Rahmenregelungen zur Koordinierung und Dezentralisierung des öffentlichen Sektors stärken, die die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Governance auf zentraler, regionaler und lokaler Ebene bestimmen;

die Vorgaben der Politik der steuerlichen Dezentralisierung festlegen, mit denen die Modalitäten des Transfers zwischen den verschiedenen Ebenen staatlichen Handelns abgedeckt werden, wie es im Vorfeld durch den Ausschuss vorgeschlagen worden war (28);

die Maßnahmen der Gremien stärken und verbessern, die den Prozess der Dezentralisierung und der Politikgestaltung auf lokaler Ebene leiten und koordinieren;

Haushaltslinien zur Entwicklung speziell eingesetzter Humanressourcen sowie zur Kofinanzierung von Bildungsprogrammen, der Errichtung von Netzwerken und interoperablen Telematik-Supports auf nationaler und europäischer Ebene einrichten;

die kohärente Anwendung der Instrumente von Interreg IV und der Verordnung über den EVTZ als einem grenzübergreifenden Organ auf nationaler Ebene sicherstellen, indem neben den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften die Beteiligung der Staaten an diesen Gremien für territoriale Zusammenarbeit, die mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit des Gemeinschaftsrechts ausgestattet sind, ermöglicht wird;

durch Unterstützung integrierter Ansätze auf regionaler Ebene und Sicherung eines gleichwertigen Zugangs zu Infrastruktur und Wissen eine neue Partnerschaft zwischen den Städten und den ländlichen Gebieten entwickeln;

wettbewerbsfähige und innovative transnationale regionale Cluster, die Stärkung transeuropäischer technologischer Netze, das transeuropäische Risikomanagement, die verstärkte Entwicklung eines polyzentrischen Städtesystems sowie die Entwicklung von Strukturen für den Umweltschutz und von kulturellen Ressourcen fördern;

Kohärenz und Koordinierung der sektorbezogenen Politiken im Rahmen der territorialen Dimension gewährleisten, indem widersprüchliche sektorale Maßnahmen vermieden werden, die zu Fehlern führen und sich vor Ort als völlig unwirksam und kontraproduktiv herausstellen können; durch eine entsprechende Nutzung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) (29) und der strategischen Umweltprüfung (SUP) (30) Instrumente zur Raumverträglichkeitsprüfung (RVP) entwickeln;

5.2   Aufgaben der lokalen und regionalen Behörden:

Einbeziehung der wirtschaftlichen und sozialen Kräfte im Vorfeld der Erarbeitung strategischer territorialer Entwicklungsprojekte;

Entwicklung von Bildungseinrichtungen, auch im Hochschulbereich, und von Exzellenzzentren, weil diese für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt des SVT unverzichtbar sind;

zunehmende Einbindung von Kriterien der Kosteneffizienz, der Qualität und der nachhaltigen Entwicklung in die Optionen für öffentliche Investitionen sowie in die Verwaltung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse;

regelmäßige Bewertungen der öffentlichen Investitionspläne;

Sicherstellung vor Projektbeginn, dass der Finanzierungsplan im Hinblick auf die Mittel und deren Fälligkeiten uneingeschränkt garantiert ist;

Gewährleistung des tatsächlich termingerechten Einsatzes der Außenhilfe zur Finanzierung öffentlicher Investitionsprojekte;

parallel dazu Sicherstellung lebensfähiger KMU-Strukturen in den Gebieten, die in der Lage sind, die Verbindung zwischen städtischen, Stadtrand- und ländlichen Gebieten zu gewährleisten, indem sie dort für die Erhaltung von Beschäftigungsmöglichkeiten, Einkommen, der Bevölkerung und Steuereinnahmen sorgen;

Förderung der Reinvestition von Kapital und Gewinnen auf lokaler Ebene zur Bildung von Projektbörsen, für die Übernahme lokaler Unternehmen und regionaler Finanzierungsinstrumente — Entwicklungskapital und Risikokapital -, ohne dabei den Binnenmarkt zu beeinträchtigen;

dafür Sorge tragen, dass die Unternehmenssteuern nicht dadurch allzu sehr von ihren geografischen Grundlagen entfernt werden, dass sie auf gebietsübergreifende Ebenen transferiert werden, und dabei darauf achten, dass dies dem Umverteilungsbedarf im Rahmen des Systems der Steuersolidarität nicht zum Nachteil gereicht;

Schulung der lokalen politischen Mandatsträger im Hinblick auf die aktuellen Mechanismen der territorialen Planung, die für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und Infrastrukturen zur Stützung der Wirtschaft sowie für ein modernes Management der nachhaltigen Entwicklung der Unternehmen bestimmt sind.

5.3   Die prioritären Maßnahmen der lokalen und regionalen Behörden sollten sich auch auf den Austausch bewährter Praktiken und interregionale Netze sowie die Umsetzung von prospektiven Mechanismen erstrecken, aus denen sich eine gemeinsame Vision herauskristallisieren kann.

6.   Der Einsatz der Unternehmen für ein Unternehmen, das seinem Territorium gegenüber Verantwortung übernimmt

6.1   Nach Ansicht des EWSA sollten die Unternehmen zur Vermeidung weiterer Verwaltungs- und Verfahrenslasten an der Förderung des Territorialsystems, dessen Bestandteil und Motor sie sind, auf folgende Weise mitwirken:

über ihre bewährte Praxis im sozialen, Umwelt- und territorialen (oder gesellschaftlichen) Bereich Bericht erstatten und Instrumente einsetzen, mit denen sich der Grad der sozialen Verantwortung des Unternehmens bestimmen lässt;

innerhalb ihres Rahmens und in ihrem Umfeld die Verfügbarkeit von fachlichen Kompetenzen fördern, indem Arbeitsplätze geschaffen und Personal oder künftige Mitarbeiter geschult werden;

mit ihren Arbeitnehmern kommunizieren, damit diese über die Strategie und die Vorhaben des Unternehmens, vor allem im Hinblick auf Beschäftigung sowie Aus- und Weiterbildung, richtig informiert sind;

mit der örtlichen Wirtschaft zusammenarbeiten, um im Territorium ein nachhaltiges Wachstumspotenzial zu schaffen, das auf vertrauensvollen und gesunden Geschäftsbeziehungen zwischen den Unternehmen beruht;

möglichst bei den örtlichen Unternehmen, vor allem den KMU, den Technologietransfer sicherstellen, um im jeweiligen Gebiet eine Belebung im Bereich des technischen Fortschritts und ein höheres Qualifikationsniveau des Personals herbeizuführen;

sich in die Maßnahmen der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung vor Ort konstruktiv einschalten, um dort in Verbindung mit den Forschungsgremien und Universitäten sowie den anderen örtlichen Unternehmen und Berufsverbänden Wissen und Know-how zu binden;

ihre Zulieferer und Subunternehmen ermutigen, in ihren Unternehmen die gleichen Grundsätze für die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden zu verfolgen und die gleichen Verwaltungsregeln im sozialen, ökologischen und territorialen Bereich anzuwenden;

vor allem im Hinblick auf die großen Unternehmen Verbindungen zu den Interessengruppen (lokale Behörden und Öffentlichkeit) herstellen, um technische, wirtschaftliche und soziale Probleme und Herausforderungen in ihrem Umfeld zu erörtern und einer Lösung näher zu bringen.

7.   Praktische Ergebnisse: Musterbeispiele

7.1   In der EU wurden verschiedene Initiativen und Politiken durchgeführt, um die Herausforderung einer sozial verantwortlichen Entwicklung des Territoriums der Europäischen Union zu bewältigen und die positive Wahrnehmung der territorialen Dimension in den Gemeinschaftspolitiken zu erhöhen: Mehrere Beispiele für solche Initiativen können auf der Website der CCMI (http://www.eesc.europa.eu/sections/ccmi/index_fr.asp) eingesehen werden, wo auch Informationen über eine Anhörung zu finden sind, die zur Vorbereitung dieser Stellungnahme am 25. September in Lille veranstaltet wurde (siehe die entsprechende Rubrik dieser Stellungnahme).

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Vgl. Ziffer 1.2.

(2)  Ibidem.

(3)  Vgl. Ziffer 1.2.

(4)  „Das europäische Sozialmodell (sollte) das Bild eines für alle seine Bürger demokratischen, umweltfreundlichen, wettbewerbsfähigen, solidarischen, sozial inklusiven und wohlfahrtsstaatlichen Europas zeichnen (…)“. (Stellungnahme des EWSA zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 119).

(5)  KOM(2008) 616 endg.

(6)  Das Verzeichnis der Mitgliedstaaten, die eigene Bestimmungen zur Schaffung des EVTZ verabschiedet haben, kann auf der Webseite des Ausschusses der Regionen (Rubrik „Aktivitäten und Veranstaltungen“) eingesehen werden.

(7)  Zur Ermittlung und Verwirklichung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten mit Unterstützung der Sozialpartner.

(8)  Siehe Verordnung (EG) Nr. 450/2008 vom 23. April 2008, ABl. L 145 vom 4.6.2008.

(9)  Leipzig-Charta für zukunftsfähige europäische Städte vom 25. Mai 2007.

(10)  Vgl. Stellungnahme zur Territorialen Agenda, ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 16.

(11)  Vgl. Stellungnahme zum Thema: „Regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels: die Rolle der Sozialpartner und der Beitrag des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 12.

(12)  Siehe Fußnote 8.

(13)  Vgl. Stellungnahme zum Thema: „Umstrukturierung und Beschäftigung — Umstrukturierungen antizipieren und begleiten und die Beschäftigung fördern: die Rolle der Europäischen Union“, (KOM(2005) 120 endg., ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 58.

(14)  Vgl. Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine thematische Strategie für die städtische Umwelt, KOM(2005) 718 endg. — SEK(2006) 16, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 86.

(15)  Die neue Strategie des Rates (Dok. 10117/06 vom 9. Juni 2006, Ziffer 29 und 30).

(16)  Vgl. z.B. die Regionalausschüsse für sozialen Dialog in Polen.

(17)  SWOT-Test = Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats (Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken).

(18)  „Foresight is a systematic, participatory, future-intelligence-gathering and medium-to-long-term vision-building process“ (Die Zukunftsforschung ist ein systematischer partizipativer Prozess der Gewinnung von Informationen und der Entwicklung einer mittel- und langfristigen Zielvorstellung).

(19)  EMAS = Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung.

(20)  Stellungnahme zum Thema „Die europäischen Industriecluster auf dem Weg zu neuen Wissensnetzwerken“, ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 1.

(21)  „Perspectives territoriales de l’OCDE“ (Territoriale Perspektiven der OECD) — Ausgabe 2001.

(22)  Stellungnahme zum Thema „Regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels: die Rolle der Sozialpartner und der Beitrag des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation“ (siehe Fußnote 8).

(23)  EVGZ: ein Instrument für die Zusammenarbeit auf Gemeinschaftsebene, das es Kooperationsverbünden ermöglicht, durch die Gemeinschaft kofinanzierte Projekte für territoriale Zusammenarbeit oder Maßnahmen der territorialen Zusammenarbeit auf Initiative der Mitgliedstaaten durchzuführen — Verordnung (EG) Nr. 1082/2006 (ABl. L 210 vom 31.7.2006).

(24)  EUREGIO: Struktur der transnationalen Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehreren, in verschiedenen Mitgliedstaaten und/oder nahe beieinander gelegenen Gebieten zur Förderung gemeinsamer, grenzüberschreitender Interessen und zur Kooperation im Interesse des Gemeinwohls in den Grenzgebieten.

(25)  Vgl. die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die europäischen Industriecluster auf dem Weg zu neuen Wissensnetzwerken“, ABl. C 255 vom 14.10.2005.

(26)  Stellungnahme zum Thema „Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden“ (KOM(2006) 136 endg.), ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 53, und zum Grünbuch — Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen (KOM(2001) 366 endg.), ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 44.

(27)  IDABC = Interoperable Delivery of Pan-European e-Government Services to Public Administrations, Business and Citizens; siehe auch Stellungnahme des EWSA im ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 83..

(28)  Stellungnahme zum Thema „Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel“, ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 51.

(29)  Richtlinie 85/337/EWG, geändert durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3.3.1997 und durch die Richtlinie 2003/35/EG vom 26.5.2003.

(30)  Richtlinie 2001/42/EG (SEA-Richtlinie): Sie soll dafür sorgen, dass die Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme insbesondere im Hinblick auf ihre territoriale Dimension — während ihrer Erarbeitung und vor ihrer Annahme — ermittelt und bewertet werden.


APPENDIX I

to the opinion on Industrial change, territorial development and responsibility of companies

(CCMI/055)

Report on the hearing held in Lille on 25 September 2008, at the headquarters of the Nord-Pas de Calais Regional Council

Under the French presidency of the European Union, the European Economic and Social Committee's Consultative Commission on Industrial Change (CCMI) and the Nord-Pas de Calais (NPdC) Regional Council organised a hearing on Industrial change, territorial development and responsibility of companies (subject of the opinion for which this is the appendix), which took place in the regional council's hemicycle. The hearing was attended by over 90 key guests from 12 European countries and high-level local and regional bodies, both public and private, together with representatives from three of the European Commission's directorates-general.

With the participation of the regional council president, Daniel Percheron, the CCMI president, Joost van Iersel, the study group president, Martin Siecker, the rapporteur, Antonello Pezzini, and the co-rapporteur, Bernard Gay, promoter of this important initiative, a wide-ranging and animated debate was held on regional and local development, governance, the revitalisation of production, the need for shared views of future trends, sectoral and inter-sectoral prospects for the growth of competitive employment, and mechanisms for active democracy through the development of a participatory culture in an area successfully combining an adequate level of wellbeing with the duties which are an integral part of social responsibility.

In our globalised economy, territorial development and industrial change are closely connected and interdependent. The opinion aims to take a territorial approach to assessing the prospects for socio-economic change, focusing primarily on the development strategies designed by local and regional bodies and on the centres of competence set up by private and public stakeholders. The analysis thus focuses on the regions' capacity to cope with and adapt to irreversible changes through collective responsibility-sharing systems, taking into account the concept of corporate societal responsibility.

NPdC is considered a region with a rich fund of experience in these fields and the CCMI therefore asked it to cooperate in organising a hearing in Lille. The two organisations pooled their resources with a view to taking stock of the experiences of regional development stakeholders and noting their proposals for harmonious regional development.

Listening to the problems, solutions and experiences outlined by the most qualified representatives of the „real world“ in the NPdC region (businessmen, presidents of business clubs and hubs of competitiveness, trade unions and representatives of the social economy, universities, the professions and public administration at various levels) and the wide-ranging exchange of ideas which ensued led to the identification of innovative strategies and key priorities which, alongside the generous hospitality of the NPdC regional council and the friendly relations established during the hearing, forged strong contacts with a profound impact on the CCMI's work.


APPENDIX II

to the opinion on Industrial change, territorial development and responsibility of companies

(CCMI/055)

Various European initiatives and policies have been launched to address the challenge of socially responsible regional development in the EU and to give increased, positive visibility to the territorial dimension of EU policies:

Lille-Kortrijk-Tournai — Eurometropolis (France-Belgium): Eurometropolis is the first significant example of a European Grouping of Territorial Cooperation (EGTC). It was launched on 28 January 2008 and comprises 14 partners — four in France (central government, Nord-Pas de Calais region, Département du Nord and the Urban Community of Lille Métropole) and 10 in Belgium (the federal government, region of Flanders, the French-speaking Community, provinces and joint municipal authorities). Equally important was the establishment in the 1990s of the Transmanche Euroregion, comprising the English county of Kent, the French Nord-Pas de Calais region and Belgium, in a network useful for identifying cooperation projects, thus maximising the capacity to take action in the EU's 2007-2013 programming period.

Bilbao Metropoli 30: The process of revitalising the Bilbao metropolitan area was launched in the early 1990s with a public-private partnership involving over 80 public and private bodies, over 30 associated bodies and 17 international networks. It was based on a joint strategic plan and a shared vision of the territorial, economic, social, environmental and cultural development needed to transform the metropolitan area — and by extension the entire Basque Country — into one of the most advanced and competitive areas in Europe.

ALSO — Marche region: The ALSO project (Achievement of Lisbon and Gothenburg Strategy Objectives) has been developed by Italy's Marche region, together with numerous partners, including local and regional authorities, development agencies and universities from various EU countries, in the context of the INTERACT programme. Its ultimate aim is to orient territorial cooperation towards achieving the objectives of the Lisbon and Gothenburg Strategies.

Metropolis Hamburg — interregional cooperation: Partnership between the city of Hamburg and the regions of Lower Saxony and Schleswig-Holstein, based on voluntary cooperation between three federal states on both sides of the river Elbe.

Alps-Mediterranean Euroregion (France — Italy): This Euroregion comprises three Italian regions (Liguria, Piedmont and Valle d'Aosta) and two French regions (Provence-Alpes-Côte d’Azur and Rhône-Alpes). It is aimed at close cooperation on increasing exchanges in common areas of competence, so as to strengthen ties between the respective communities in the political, economic, social and cultural spheres.

Ister-Granum: This Euroregion is the first EGTC in central Europe. Recently formed, though based on previous cooperation schemes, the Ister-Granum Euroregion incorporates 47 local authority areas in Hungary and 39 in Slovakia. This new EGTC has about 20 joint projects in the pipeline, specifically in the fields of health systems and medical care, IT and media, tourism, and integrated transport infrastructure, particularly regarding the Danube. It is based in Esztergom, Hungary and provides for the participation of local and regional authorities solely and not of central government.

Baltic Euroregion: This partnership between the regions grouped around the Baltic Sea has existed since 1998. For the 2007-2013 programming period, the European Commission has approved EUR 75 million in financing for this Euroregion which henceforth includes parts of Poland, Sweden, Germany, Denmark and Lithuania. The Euroregion's objective is to boost sustainable development and the economic competitiveness of its constituent regions.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

449. plenartagung am 3.-4. dezember 2008

28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch — Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens“

KOM(2008) 128 endg.

(2009/C 175/12)

Die Europäische Kommission beschloss am 6. März 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Grünbuch — Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens“

KOM(2008) 128 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. November 2008 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Das „Grünbuch — Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens“ (KOM(2008) 128 endg. vom 6. März 2008) knüpft an das Grünbuch zur vorläufigen Kontenpfändung (KOM (2006) 618 endg.) an und reiht sich ein in die Palette von Maßnahmen der Kommission zur Schaffung eines europäischen Raums des Rechts, mit dem die Verwirklichung des Binnenmarktes aus rechtlicher Sicht unterstützt werden soll.

1.2   Der EWSA hat diese Maßnahmen stets grundsätzlich befürwortet, jedoch auch darauf hingewiesen, dass sie im Hinblick auf die Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sowie die Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien des Zivilverfahrensrechts, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, und auf die umfassende Einhaltung der Grundrechte entsprechend gerechtfertigt sein müssen.

1.3   Sowohl in seiner Stellungnahme zum früheren Grünbuch zur Kontenpfändung als auch in dieser Stellungnahme vertritt der EWSA die Auffassung, dass diese Initiativen nicht in ausreichender Weise auf Tatsachengrundlagen basieren, welche die Fälle, die damit angegangen werden sollen, entsprechend definieren und charakterisieren. Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen gehen aus der Sicht der Verhältnismäßigkeit weit über das Maß dessen hinaus, was notwendig ist und sich nicht durch bereits bestehende einzelstaatliche Mittel erreichen lässt. In einigen Fällen können sie sogar die Verletzung bestimmter Grundrechte der Bürger wie des Schutzes der Privatsphäre oder des Rechts auf Ausgewogenheit der Verteidigungsmittel bewirken.

1.4   Nach Ansicht des EWSA gibt es in den hier untersuchten Bereichen ein großes Potenzial für mögliche und notwendige Verbesserungen in der Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden, in Bezug auf ein effizienteres und schnelleres Funktionieren der bestehenden einzelstaatlichen Instrumente, einen besseren Zugang zu bestehenden Registern und Informationen, einen besseren Informationsaustausch und ein besseres gegenseitiges Verständnis darüber, wie die einzelstaatlichen Systeme arbeiten und wie sie reibungsloser funktionieren könnten.

1.5   Der EWSA spricht sich daher eindeutig gegen die Vorschläge aus, a) ein zentrales Melderegister für Unionsbürger einzurichten, b) allen Gläubigern vollständig und unterschiedslos Zugang zu Steuer- und Sozialversicherungsregistern zu gewähren und c) auf Gemeinschaftsebene ein Standardformular zur Offenbarung des gesamten Schuldnervermögens einzuführen.

1.6   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Einrichtung und regelmäßige Aktualisierung einer rechtsvergleichenden Datenbank durch kompetente Fachleute dazu beitragen würde, die nationalen Vollstreckungssysteme und ihre Funktionsweise in der gerichtlichen Praxis besser bekannt zu machen.

1.7   Schließlich regt der EWSA an, dass eine Reihe von alternativen Maßnahmen (siehe Ziffer 5.8), deren Ziel mit dem des Grünbuchs übereinstimmt und für die keine zusätzlichen gemeinschaftlichen Rechtsakte notwendig sind, Berücksichtigung finden.

2.   Wesentlicher Inhalt des Grünbuchs

2.1   Mit dem vorliegenden Grünbuch unternimmt die Kommission eine zweite Konsultation (1) der einschlägigen Akteure über eine bessere Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, wobei es diesmal darum geht, wie die aufgrund des schwierigen Zugangs zu verlässlichen Informationen über den Aufenthaltsort von Schuldnern und den Verbleib ihres Vermögens entstehenden Probleme überwunden werden können.

2.2   Die Kommission vertritt die Ansicht, dass Informationen wie die Anschrift des Schuldners und der Zugang zu genauen Informationen über sein Vermögen die Grundlage für effizientere Vollstreckungsverfahren bilden; sie räumt jedoch ein, dass die Systeme der Registerauskunft und Offenbarungsversicherung der Schuldner in den einzelnen Mitgliedstaaten zwar vergleichbar sind, zugleich aber erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Voraussetzungen und Verfahren für die Erlangung der Auskünfte und des Inhalts aufweisen, die die Verlässlichkeit dieser Angaben und ihre zügige Bereitstellung beeinträchtigen.

2.3   Die grenzüberschreitende Eintreibung von Schulden wird durch die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsordnungen und durch die unzureichenden Kenntnisse der Gläubiger über die in den Mitgliedstaaten vorhandenen Auskunftssysteme erschwert. Die Kommission verfolgt daher mit diesem Grünbuch das Ziel, ggf. auf europäischer Ebene eine Reihe von Maßnahmen zu verabschieden, mit denen die Transparenz des Schuldnervermögens verbessert und das Auskunftsrecht der Gläubiger und der nationalen Vollstreckungsbehörden gestärkt wird. Diese Maßnahmen sollen eine wirksame Vollstreckung von Urteilen über Zwangsvollstreckungen zur Zahlung von Schulden in Zivil- und Handelssachen unter Einhaltung der Grundsätze des Datenschutzes gemäß Richtlinie (EG) 95/46 gewährleisten.

2.4   Um dieses Ziel zu erreichen, beleuchtet die Kommission eine Reihe von eventuellen Maßnahmen, die sie anhand von 10 Fragen beschreibt.

3.   Hintergrund der Initiative

3.1   Diese Initiative reiht sich ein in die breite Palette von Maßnahmen, welche die Kommission in der lobenswerten Absicht verabschiedet hat, einen europäischen Rechtsraum zu schaffen, um so aus rechtlicher Sicht die Verwirklichung des Binnenmarktes zu unterstützen (2). Erleichtert werden soll insbesondere die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union durch Maßnahmen zur Ermittlung des Wohnortes oder Geschäftssitzes des Schuldners, an dem diesem der Vollstreckungsbeschluss zugestellt werden kann, sowie durch genaue Informationen über sein Vermögen, das auf dem Gebiet eines beliebigen Mitgliedstaats vorhanden ist und aus dem die ausstehenden Schulden beglichen werden können.

3.2   Die Kommission hat sich diesmal lobenswerterweise die Mühe gemacht, nicht nur die 15 Mitgliedstaaten, deren Situation bereits in der diesem Grünbuch zugrunde liegenden Studie untersucht wurde (3), sondern auch die anderen 12 Staaten, die heute Mitglied der Europäischen Union sind, um ihre Beiträge zu diesem Thema zu bitten. Die erfassten Daten sind jedoch nicht immer genau bzw. wurden nicht immer richtig interpretiert.

3.3   Hervorzuheben ist auch die Tatsache, dass bei dieser Initiative offenbar die Empfehlung berücksichtigt wurde, die der EWSA in seiner Stellungnahme zum Grünbuch über die vorläufige Kontenpfändung unterbreitet hat, nämlich dass „[…] die Maßnahmen angemessen gewichtet werden [müssen], die das Vermögen der Schuldner transparenter machen“.

3.4   Leider legt die Kommission weder Daten — insbesondere statistischer Art — über das Ausmaß des von ihr anvisierten Problems vor, noch definiert sie die genaue Beschaffenheit dieses Problems und die konkreten Nutznießer der von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Dieses Grünbuch ist die Fortsetzung bzw. Ergänzung des Grünbuchs über die vorläufige Kontenpfändung [KOM(2006) 618 endg.], zu dem der EWSA am 31.10.2007 eine Stellungnahme (4) vorgelegt hat, auf die hier verwiesen wird.

4.2   Wie oben festgestellt wurde, ist die in diesem Grünbuch behandelte Frage logische Voraussetzung für die vorläufige Kontenpfändung. Sie macht zu Recht die Notwendigkeit ausreichender Informationen über das Schuldnervermögen deutlich, damit es für die Gläubiger eine wirksame allgemeine Sicherheit gibt — dies ist ein grundlegendes Prinzip und Paradigma des Zivilprozessrechts. Für ihr Verständnis muss jedoch zunächst die Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene für eine ganze Reihe von Bereichen des materiellen Zivilrechts hinterfragt werden, die dieser Frage unweigerlich vorausgeht.

4.3   Der EWSA anerkennt die Tatsache, dass die zuständigen Vollstreckungsbehörden aller Mitgliedstaaten Zugang zu genauen Informationen über den Aufenthaltsort von Schuldnern — angefangen bei ihrem Geschäftssitz oder Wohnort — und über deren bewegliches und unbewegliches Vermögen — unabhängig von dessen Standort — haben müssen.

4.4   Der EWSA bringt jedoch — in ähnlicher Weise wie in der bereits zitierten früheren Stellungnahme — ernste Vorbehalte und begründete Zweifel hinsichtlich der tatsächlichen Notwendigkeit konkreter Maßnahmen zur gemeinschaftlichen Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet zum Ausdruck; er anerkennt allerdings die Zuständigkeit der Europäischen Union in diesem Bereich und das Vorhandensein einer entsprechenden Rechtsgrundlage für solche Maßnahmen.

4.5   Aus den im Grünbuch festgestellten Erfordernissen — Verbesserung der Informationen, Daten und Auskünfte — ergibt sich nämlich nicht automatisch die Notwendigkeit der Einrichtung neuer Gemeinschaftsregister oder der Einführung neuer Vermögensoffenbarungspflichten. Es steht zudem zu befürchten, dass solche Maßnahmen dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit nicht standhalten und nicht hinnehmbare Verletzungen von Grundrechten bewirken könnten.

4.6   Statt der Einrichtung von in Brüssel angesiedelten zentralen Melde-, Handels- und Verbraucherregistern, von Registern für bewegliche und unbewegliche Vermögenswerte oder Steuer- und Sozialversicherungsregistern würden nach Ansicht des Ausschlusses ein besserer Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden und einen einfacheren und schnelleren Zugang zu den bestehenden Daten ausreichen, um die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung bei der Ermittlung des Schuldnervermögens unabhängig von der Art oder Staatsangehörigkeit des Gläubigers zu gewährleisten.

4.7   Das heißt nicht, dass die Gemeinschaft keine Anreize und Leitlinien für die Verbesserung des Inhalts, der Funktionsweise und des Zugangs zu den genannten öffentlichen Registern und anderen privaten Datenbanken schaffen sollte. Dabei gilt es jedoch, den Schutz dieser Daten gemäß den geltenden Gemeinschaftsrichtlinien zu gewährleisten und sicherzustellen, dass diese Informationen ausschließlich zweckentsprechend verwendet werden, und zwar in dem für die Begleichung der ausstehenden Schulden notwendigen Maße.

4.8   Überdies darf es beim Zugang zu den Daten keine Diskriminierung zwischen privaten und öffentlichen Gläubigern geben; letztere dürfen nicht aufgrund ihrer privilegierten Stellung von einem schnelleren und effizienteren Zugang zu den öffentlichen Registern in den Bereichen Steuern, Sozialversicherung oder öffentliche Vermögensregister profitieren.

4.9   Ebenso muss die Zusammenarbeit mit Drittstaaten und insbesondere mit Andorra, der Schweiz und Liechtenstein sowie anderen Staaten mit starker Anbindung an Steuerparadiese oder Finanzplätze in Europa sichergestellt werden.

5.   Besondere Bemerkungen: zu den acht Fragen

5.1   Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene?

5.1.1   Die in dem Grünbuch aufgeworfenen zehn Fragen sind in Wirklichkeit nur acht, die im Folgenden eingehender beleuchtet werden.

5.1.2   Hinsichtlich der Frage nach dem Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene, um die Vermögensverhältnisse von Schuldnern transparenter zu machen, knüpft der EWSA an die bereits im Abschnitt Allgemeine Bemerkungen geäußerten Vorbehalte an: für erforderlich hält er lediglich Gemeinschaftsinitiativen zur Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden und zur Optimierung des Inhalts und des Zuganges zu den bestehenden einzelstaatlichen Registern für die Ermittlung und Auffindung der Schuldner und des zur Begleichung der ausstehenden Schulden notwendigen Vermögens.

5.2   Handbuch zu den nationalen Zwangsvollstreckungsverfahren?

5.2.1   Nach Ansicht des EWSA sollte alles, was zu einer besseren Kenntnis und besseren Informationen über die nationalen Rechtsvorschriften und die nationale Rechtspraxis beiträgt, unterstützt und durch Anreize gefördert werden. Angesichts der Komplexität der Materie glaubt der Ausschuss jedoch nicht, dass sich das durch die Erstellung eines simplen Handbuchs erreichen lässt, denn das ginge auf Kosten der Qualität und Genauigkeit; ein solches Handbuch darf auch nicht zu stark vereinfacht werden, um es für die Benutzung durch die breite Öffentlichkeit geeignet zu machen.

5.2.2   Daher schlägt der EWSA vor, dass die Kommission eher die Möglichkeit einer rechtsvergleichenden Datenbank über die Zwangsvollstreckungsverfahren in den 27 Mitgliedsstaaten erwägen sollte, die von kompetenten und zugelassenen Fachleuten aus den jeweiligen Mitgliedstaaten erstellt, kommentiert und ständig aktualisiert wird und elektronisch und in allen Sprachen der Mitgliedstaaten zugänglich ist.

5.3   Bessere Angaben in den Handelsregistern und besserer Registerzugang?

5.3.1   Der Grad an bereits vorhandener Harmonisierung in diesem Bereich scheint für die hier angestrebten Ziele ausreichend. Nach Ansicht des Ausschusses ist es weder notwendig noch zweckmäßig, Schritte zur Einrichtung zentraler Handelsregister auf Gemeinschaftsebene zu unternehmen, was jedoch nicht die Möglichkeit einer Harmonisierung der jeweils gemeinsamen Elemente dieser Register ausschließt.

5.3.2   Das spricht keineswegs gegen Initiativen zur Verbesserung des Inhalts der in diesen Registern vorhandenen Angaben, insbesondere der Informationen über Einzelunternehmer, und zur Aktualisierung sowie zur Vereinfachung des Zugangs (vor allem des elektronischen Zugangs) zu diesen Registern.

5.3.3   Gleiches gilt für die Register für Grundstücke und Immobilien, nach dem Vorbild von EULIS (European Land Information Service), einem europäischen Grundbuchverbund (5).

5.4   Besserer Zugang zu den Melderegistern?

5.4.1   Ebenso undenkbar ist ein zentrales Melderegister der europäischen Bevölkerung, da es in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, zentrale und dezentrale Melde- und Personenstandsregister zu führen und die Bedingungen für den diskriminierungsfreien Zugang zu diesen Registern zu definieren.

5.4.2   Trotzdem muss gewährleistet sein, dass die Vollstreckungsbehörden eines beliebigen Mitgliedstaats problemlos Zugang zu diesen Melderegistern und Auskünfte über den Wohnort bestimmter Schuldner erhalten, wobei dies insbesondere für den elektronischen Registerzugang gilt.

5.5   Besserer Zugang zu Steuer- und Sozialversicherungsregistern?

5.5.1   Der EWSA lehnt die Idee eines allgemeinen und unterschiedslosen Zugangs zu den Sozialversicherungs- und Steuerregistern rundweg ab.

5.5.2   Nach Ansicht des EWSA dürfen nur Justizbehörden Zugang zu den in diesen Registern gespeicherten Angaben erhalten, und zwar in klar definierten Fällen und mit ausreichenden Garantien für den Schutz der in diesen Registern enthaltenen personenbezogenen Daten.

5.5.3   In jedem Fall muss der Zugang in einem anderen Mitgliedstaats als dem der Vollstreckungsbehörde notwendigerweise im Rahmen der Zusammenarbeit mit einer Justizbehörde in dem Mitgliedstaat des Registers erfolgen.

5.6   Besserer Informationsaustausch zwischen Vollstreckungsbehörden?

5.6.1   Wie schon in den allgemeinen Bemerkungen angeführt wurde, betrifft der Bereich, in dem Gemeinschaftsmaßnahmen wirklich angezeigt sind, die verbesserte Zusammenarbeit beim Informationsaustausch zwischen den nationalen Vollstreckungsbehörden, insbesondere durch Schaffung eines elektronischen Systems des direkten Informationsaustausches zur Ermittlung und Auffindung von Schuldnern und zur Feststellung ihres Vermögens.

5.6.2   In den Mitgliedstaaten, in denen die Vollstreckungsorgane keine öffentlichen Behörden sind, müssen die Auskunftsverfahren jedoch unbedingt durch die für die Überwachung des Vollstreckungsprozesses zuständigen Justizorgane kontrolliert werden.

5.6.3   Als mögliche Vorbilder können — mit entsprechenden Anpassungen — die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 (6) über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen und die Richtlinie 76/308/EWG (7) dienen.

5.6.4   Wesentliche Bedeutung kommt hier dem Einsatz elektronischer Medien zu, wobei sogar die Schaffung eines Intranet erwogen werden sollte, über das die nationalen Behörden miteinander verbunden sind.

5.6.5   Die über dieses Kooperationsnetz übermittelten Informationen dürfen nur den mit Vollstreckungsfällen befassten Stellen zugänglich sein — wie zum Beispiel Vollstreckungsbeamten, der die Vollstreckung beantragenden Partei, Gerichten, Insolvenzverwaltern —, wobei der Schuldner stets über das Auskunftsergebnis informiert werden muss.

5.6.6   Zu erwägen wäre auch, inwieweit das Binnenmarktinformationssystem (BIS) für den Informationsaustausch zwischen den einzelstaatlichen Vollstreckungsbehörden genutzt werden könnte.

5.7   Einführung einer europäischen Vermögenserklärung?

5.7.1   Der EWSA lehnt die Einführung eines europäischen Standardformulars für die Erklärung des gesamten Schuldnervermögens zum Zwecke der Zwangsvollstreckung energisch ab und spricht sich von vornherein gegen die Möglichkeit aus, die Nichtbeachtung dieser Offenbarungspflicht mit Strafen zu belegen, die bis zu Zwangshaft reichen können.

5.7.2   Der Schuldner haftet ja nicht mit seinem gesamten Vermögen für die eingegangenen Schulden, wobei es den Mitgliedstaaten obliegt festzulegen, welche Vermögenswerte absolut, relativ oder teilweise pfändbar sind.

5.7.3   Überdies sollte die Pflicht des Schuldners zur Offenbarung seines Vermögens auf die zur Begleichung der Schulden notwendigen Vermögenswerte beschränkt sein, wobei es den nationalen Gerichten obliegt sicherzustellen, dass diese Vermögensangaben der Wahrheit entsprechen, wobei andernfalls Zwangsgelder verhängt werden können.

5.7.4   Überdies vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Einführung eines gemeinschaftsweit einheitlichen Standardformulars für die Vermögenserklärung weit über das mit einer derartigen Maßnahme angestrebte Ziel hinausgeht. Er sieht in diesem Bereich vielmehr ein besonderes Potenzial für eine stärkere Kooperation und Zusammenarbeit zwischen den Vollstreckungsbehörden, damit diese mit den ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln das zur Begleichung der Schulden notwendige Schuldnervermögen feststellen können; dabei sollte insbesondere den mit der Vollstreckung beauftragten Justizbeamten die Befugnis zur Untersuchung des Schuldnervermögens von Amts wegen eingeräumt werden.

5.7.5   In jedem Fall sollte der Schuldner immer das Recht haben, die Offenbarung seines pfändbaren Vermögens durch die Rückzahlung der ausstehenden Schulden oder durch den Nachweis ausreichender Vermögenswerte zur Begleichung der Schulden oder durch Leisten geeigneter Sicherheiten oder Zahlungsgarantien wie Bankbürgschaften o.ä. abzuwenden. Das gilt auch für das Recht, sich gegen die Überpfändung seines Vermögens über das zur Begleichung der ausstehenden Schulden und der gesetzlichen Vollstreckungskosten notwendige Maß hinaus zu wehren.

5.7.6   Eine Veröffentlichung der Offenbarungsversicherung des Schuldners in einem öffentlichen Verzeichnis („Schuldnerverzeichnis“) verletzt das Grundrecht des Schuldners auf Schutz seiner Privatsphäre und ist daher ebenso ausgeschlossen.

5.8   Sonstige Maßnahmen für mehr Transparenz?

5.8.1   Überlegenswert sind zudem folgende Maßnahmen:

a)

Schaffung eines Zugangs zum Register von Aktien und Unternehmensbeteiligungen des Schuldners;

b)

Zugang zu den Registern für Konsumentenkredite oder Hypotheken, allerdings mit den entsprechenden Schutzmechanismen;

c)

Einrichtung eines europaweiten Kfz-Registers (8);

d)

Einrichtung eines Registers für alle anhängigen Zwangsvollstreckungsverfahren mit Online-Zugriff von allen Mitgliedstaaten aus;

e)

Zugang zu den Registern für Börseninvestitionen ab einem bestimmten Mindestbetrag;

f)

Zugang zu den Grundbüchern für Daten über die Eigentümer von Grundstücken und Immobilien.

Brüssel, den 3. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Die erste Konsultation galt dem Grünbuch zur vorläufigen Kontenpfändung (KOM (2006) 618 endg.), Stellungnahme des EWSA, veröffentlicht im ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 2.

(2)  Für eine hinreichende Aufzählung solcher Maßnahmen wird auf folgende Stellungnahme des EWSA verwiesen: Dossier INT/342, verabschiedet am 31.7.2007, veröffentlicht im ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 2, Thema: Grünbuch über die vorläufige Kontenpfändung.

(3)  Um den Inhalt dieses Grünbuchs vollständig zu verstehen, sollte man nicht nur das Arbeitsdokument der Kommission (SEK (2006) 1341 vom 24.10.2006) heranziehen, sondern auch die Studie Nr. JAI/A3/2002/02 in ihrer überarbeiteten Fassung vom 18.2.2004, die von Prof. Dr. Burkhard Heß, Direktor des Instituts für Internationales Privatrecht der Universität Heidelberg, erstellt wurde und unter http://europa.eu.int.comm/justice_home/doc_centr/civil/studies/doc_civil_studies_en.htm zu finden ist.

(4)  ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 2.

(5)  Es handelt sich dabei um einen 2006 gegründeten Grundbuchverbund als ersten Schritt für den Zugang zu Grundbuchdaten der diesem Verbund angehörenden Mitgliedstaaten (England, Irland, Litauen, Norwegen, Wales, Niederlande und Schweden). Website: www.eulis.org.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001, in ABl. L 174 vom 27.6.2001. In diesem Bereich kommt der Frage der Kommunikation zwischen den Behörden wegen der unterschiedlichen Sprachen besondere Bedeutung zu, wobei sich die Bestimmungen von Artikel 5 der genannten Verordnung als nicht ausreichend erweisen.

(7)  Richtlinie des Rates Nr. 76/308/EWG 15. März 1976, in ABl. L 073 vom 19.3.1976.

(8)  Dieser Vorschlag wurde bereits in der Initiativstellungnahme des EWSA 1630/2004 zum Thema „Europäische Straßenverkehrsordnung und europäisches Kfz-Register“ unterbreitet (Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ, in ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 34).


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/78


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen und der Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten im Hinblick auf verbundene Systeme und Kreditforderungen“

KOM(2008) 213 endg. — 2008/0082 (COD)

(2009/C 175/13)

Der Rat beschloss am 22. Mai 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen und der Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten im Hinblick auf verbundene Systeme und Kreditforderungen“

KOM(2008) 213 endg. — 2008/0082 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. November 2008 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 172 Stimmen gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1   Die vom Rat geforderte und vom Markt begrüßte Kommissionsinitiative im Bereich der Zahlungssysteme zielt darauf ab, die Vorschriften über die Wirksamkeit von Abrechnungen sowie über die Finanzsicherheiten zu aktualisieren und die diesbezügliche Rechtssicherheit zu stärken. Insofern wird sie auch vom Ausschuss unterstützt. In einem solch hoch spezialisierten Themenbereich lässt es sich nicht vermeiden, dass Zweifel und Fragen bezüglich der technischen Aspekte des Vorschlags aufkommen, die in den verschiedenen Phasen der Prüfung der Kommissionsvorschläge von den Fachleuten und Beschlussfassungsorganen erörtert wurden. Der EWSA wird auf solche Fragen nur am Rande eingehen und möchte vielmehr einen inhaltlichen Beitrag zur Gemeinschaftspolitik im Bereich der Zahlungssysteme leisten.

1.2   Die Initiative ist vor einem Jahr entstanden, als von der US-amerikanischen Subprime-Kreditkrise noch nicht die Rede war, die dann auf das globale Finanzwesen übergesprungen ist. Die ersten Krisensymptome auf Ebene der Finanzinstitute traten in Form von Liquiditätsproblemen auf, die sich dann rasch zu Solvenzproblemen ausweiteten. Dies führte zu einer derart ernsten Lage, dass staatliche Interventionen — in den USA wie auch in Europa — unausweichlich wurden. In der gegenwärtigen Lage wird deutlich, dass der Markt durch angemessene Sicherheiten gestützt werden muss. Neue Formen von Sicherheitsleistungen sind zu begrüßen, aber nur unter der Voraussetzung, dass sie die Qualität der Besicherung nicht verringern.

1.3   Es ist fraglich, ob man die Bestimmung, dass Bankdarlehen als geeignete Art von Finanzsicherheiten zu betrachten sind, in den Kommissionsvorschlag aufgenommen hätte, wenn man dies heute und nicht vor einem Jahr hätte entscheiden müssen. Bankdarlehen werden bereits in verschiedenen Ländern akzeptiert und leisten einen sinnvollen Beitrag zur Liquidität. In dieser Eigenschaft sind sie jedenfalls zu begrüßen. Gleichwohl ist bei ihrer Ausweitung auf alle Staaten und ohne eine präventive Harmonisierung der für sie geltenden Rechtsvorschriften angesichts der gegenwärtigen Schwäche und Flüchtigkeit der Märkte Vorsicht geboten. Es sollte weiterhin Aufgabe der einzelstaatlichen Zentralbanken sein, den eigenen Markt gemäß den eigenen Vorstellungen und Notwendigkeiten zu „kontrollieren“.

1.4   Eine weitere notwendige Überlegung betrifft weniger die Rechtssicherheit, die mit dem Vorschlag löblicherweise erhöht werden soll, sondern vielmehr die zeitliche Beständigkeit der in dem Vorschlag enthaltenen Vorschriften: die „Gruppe für Rechtssicherheit“ hat ihre Arbeiten noch nicht abgeschlossen, die Initiative von UNIDROIT (Internationales Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts) befindet sich in der Schlussphase, wurde aber noch nicht unterzeichnet, geschweige denn ratifiziert, die Harmonisierung der Rechtsvorschriften für das Netting ist Gegenstand kommender Programme und die Harmonisierung der Insolvenzverfahren stellt ein langfristiges Ziel dar. Damit möchte der Ausschuss nicht sagen, dass der Versuch der Kommission hinfällig und nicht zu unterstützen wäre, aber er möchte verdeutlichen, dass der Markt nicht nur eindeutiger, sondern auch beständiger Regeln bedarf. Daher die Notwendigkeit, legislative und regulatorische Vorhaben schneller voranzubringen.

1.5   Schließlich — und aufgrund ihrer Bedeutung sicherlich nicht zuletzt — geht es um aufsichtsspezifische Fragen: Der EWSA fragt sich, ob die verschiedenen Aspekte des Systemrisikos, die bei interoperablen Systemen, bei der Verknüpfung der Systeme miteinander und bei der Qualität der Kontrollen über die ganze Bandbreite der Teilnehmer zu berücksichtigen sind, von den Aussichtsbehörden auch aufmerksam geprüft wurden, und ob ihre direkte Mitarbeit bei der Erarbeitung der Vorschläge erbeten wurde. Wie in der Stellungnahme des EWSA betont wird, hat die Stabilität der Märkte den Vorrang vor jeder anderen Überlegung.

1.6   In der Stellungnahme des EWSA werden zu den aktuellen Ereignissen allgemeine Schlüsse gezogen. In „normalen“ Zeiten müssen die Vorschriften für das Handeln der Teilnehmer und die Funktionstüchtigkeit der Systeme ebenso wie für die Qualität der Besicherung rigoros sein. In Notfällen müssen sie aber flexibel sein, ohne deshalb an Stringenz zu verlieren. Die Richtlinie sollte deshalb eine Vorschrift enthalten, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, unter der Verantwortung der Aufsichtsbehörden Sondermaßnahmen zur Bewältigung von Notfällen zu ergreifen.

2.   Einleitung

2.1   Die Initiative der Kommission zielt darauf ab, die Richtlinie über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen und die Richtlinie über Finanzsicherheiten an die jüngsten Marktentwicklungen anzupassen. Bestehende und neuere Regelungen sollen auf die Nachtverarbeitung und die Abwicklung zwischen verbundenen Systemen ausgeweitet werden.

2.2   Die bereits seit Längerem begonnene Verknüpfung der Märkte nimmt immer breitere Formen an: Dank der Richtlinie 2004/39/EG und dem Europäischen Verhaltenskodex für Clearing und Settlement („Kodex“) erfolgt dies gemäß eindeutigen und präzisen Bestimmungen, die ihre Verbreitung erleichtern. Mit dem Kommissionsvorschlag werden nicht nur neuartige Bestimmungen eingeführt, sondern auch die Liste der Arten von Vermögenswerten, die als Finanzsicherheiten verwendet werden können, verlängert: Kreditforderungen werden für die Besicherung von Kreditgeschäften der Zentralbanken zugelassen („Bankdarlehen“). Seit Januar 2007 erkennt die EBZ Kreditforderungen als eine zulässige Art von Sicherheiten für Kreditgeschäfte des Eurosystems an. Einige Zentralbanken haben diese Initiative bereits vorweggenommen, aber es fehlte ein Rechtsrahmen für die grenzüberschreitende Verwendung von Sicherheiten.

2.3   Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit dem Richtlinienvorschlag der bestehende Rechtsrahmen geändert werden soll, der aus den beiden Richtlinien 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen (Settlement Finality DirectiveSFD) und 2002/47/EG über Finanzsicherheiten (Financial Collateral Arrangements Directive, FCD) besteht.

2.4   Schließlich ergreift die Kommission die Gelegenheit, was bei Änderungsrichtlinien die Regel ist, um einige Vereinfachungen und Präzisierungen vorzunehmen. Im Einzelnen sollen die Vorschriften an die Marktentwicklung angepasst werden, was angesichts der jüngsten Turbulenzen auf den Finanzmärkten, deren Auswirkungen infolge der Globalisierung gravierend sein können, in besonderem Maße angezeigt ist.

2.5   Der Veröffentlichung des Kommissionsvorschlags ging eine über einjährige Vorbereitungsphase voraus. Der Bewertungsbericht über die Umsetzung und Anwendung der Richtlinie über die Wirksamkeit von Abrechnungen gelangte zu dem Schluss, dass das System generell gut funktioniere, wenngleich eingehendere Analysen erforderlich seien. Der Vorschlag wurde auf der Grundlage einer Reihe von Anhörungen der EZB, der Zentralbanken der Mitgliedstaaten sowie eines breiten Spektrums von Akteuren und Organisationen des Sektors erarbeitet. Besondere Berücksichtigung fanden die Verbraucherrechte, wobei festgestellt wurde, dass „die Bestimmungen über die Kreditforderungen [der Banken, Anm. d. Verf.] nicht in die Verbraucherrechte und insbesondere nicht in die durch die Verbraucherkreditrichtlinie gewährten Rechte (…) eingreifen sollen“, da nur solche Kredite betroffen sind, die für die Besicherung von Kreditgeschäften der Zentralbanken zugelassen sind, „womit Kreditforderungen einzelner Verbraucher grundsätzlich ausgeschlossen sind“.

2.6   Unter normalen Umständen scheinen die neuen europäischen Bestimmungen korrekt auf die Bewältigung von Notfällen ausgerichtet zu sein: Die Stabilität des Marktes sollte durch eine wachsende Zahl von Verknüpfungen zwischen den bereits operierenden Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen gewährleistet werden, die ausreichend liquide und anscheinend gut kontrolliert sind. Ferner wurde mit dem (Ende 2006 angenommenen) Kodex im Bereich Clearing und Settlement der Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit eingeführt und folglich zum Vorteil der Nutzer die Effizienz erhöht.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Die Finanzmarktakteure sehen die Initiative als einen entscheidenden Schritt zur Schaffung eines europäischen Finanzraums mit harmonisierten Bestimmungen an. Die neue Richtlinie würde die Unterstützung künftiger Maßnahmen ermöglichen, die unter Umständen aufgrund der Empfehlungen der von der Kommission eingesetzten Sachverständigengruppe (Gruppe für Rechtssicherheit) angenommen werden müssten, um rechtliche Hindernisse bei der Marktintegration der EU zu beseitigen. Ferner würde die Richtlinie einen maßgeblichen Beitrag zur Realisierung der UNIDROIT-Initiative ermöglichen. Diese zielt auf einheitliche internationale materiellrechtliche Vorschriften betreffend intermediär-verwahrte Wertpapiere ab, zu denen auch die Bestimmungen über die Finanzsicherheiten gehören.

3.2   Andererseits kann eine Harmonisierung weder auf europäischer noch auf internationaler Ebene als abgeschlossen angesehen werden, wenn nicht eine Reihe zusätzlicher oder ergänzender Maßnahmen ergriffen werden, die in künftige Programme der Kommission Eingang finden sollten. Eine zusätzliche Maßnahme sollte die Harmonisierung der Bestimmungen bezüglich der Nettingvereinbarungen vorsehen, d.h. das Netto-Clearing einschließlich von Clearing-Vereinbarungen, bei denen die jeweiligen Verbindlichkeiten unmittelbar einlösbar werden („Close-out-Netting“).

3.3   Unter den ergänzenden Maßnahmen — und sicherlich von größerer Tragweite — müsste eine optimale Integration der Finanzmärkte auch auf eine größere Kohärenz der nationalen Regelungen für Insolvenzverfahren abzielen: die gegenwärtige, durch unterschiedliche einzelstaatliche Regelungen gekennzeichnete Lage kann die Finanzsicherheiten und die Transaktionen im Bereich Clearing und Settlement negativ beeinflussen, wodurch das Systemrisiko der Instabilität erhöht wird.

4.   Bemerkungen zu den Vorschlägen betreffend die Richtlinie 98/26/EG (SFD)

Artikel 2 enthält eine Reihe von Präzisierungen und Klarstellungen, von denen einige rein verwaltungstechnischer Natur, andere wiederum von größerer Bedeutung sind. Insbesondere wird in Buchstabe b) der Status von E-Geld-Instituten geklärt und unmissverständlich dargelegt, dass sie im Sinne der Richtlinie in jeder Hinsicht als Kreditinstitute anzusehen sind.

4.1.1   Der EWSA erkennt zwar an, dass sie mit Blick auf die Teilnehmer an den Zahlungssystemen den eigentlichen Kreditinstituten gleichzustellen sind, weist aber darauf hin, dass die Aufsichtsbestimmungen nicht identisch bzw. nur teilweise vergleichbar sind. Es bleibt abzuwarten, ob dies bei schweren Störungen des Marktes die Vertrauenswürdigkeit der E-Geld-Institute beeinflussen kann. Der EWSA hat seinerzeit Vorbehalte bezüglich ihrer Zulässigkeit als Teilnehmer an den Zahlungssystemen geäußert. Der Ausschuss möchte jedenfalls eine bereits früher ausgesprochene Empfehlung wiederholen: die Maßnahmen zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen mögen den als vorrangig anzusehenden Maßnahmen untergeordnet werden, die in erster Linie stabile Märkte und folglich den Schutz der Verbraucher (Endinvestoren) gewährleisten.

4.1.2   Die vorstehenden Überlegungen bekommen umso mehr Bedeutung, wenn man bedenkt, dass interoperable Systeme (die in dem neuen Buchstaben n von Artikel 2 definiert werden) den Zugang der Teilnehmer zu den Clearing- und Abrechnungssystemen dank der reziproken Verknüpfungen erleichtert, was unvermeidlich zu einer Erhöhung des potenziellen Systemrisikos führt. Dies gilt insbesondere für Wertpapierliefer- und -abrechnungssysteme aufgrund der Verbindungen zwischen den Zentralverwahrern (Central Securities Depositories — CSD), die für die zentrale und dematerialisierte (1) Verwahrung der ausgetauschten Finanztitel verantwortlich sind, und den zentralen Gegenparteien (Central Counterparties — CCP), die die Funktion ausschließlicher Gegenparteien der Teilnehmer an einem System für entsprechende Order zum Transfer finanzieller Ansprüche haben. Im Wortlaut der Richtlinie sollte außerdem klargestellt werden, dass mit der Einführung einer Definition „interoperabler Systeme“ kein rechtlich relevantes „Metasystem“ geschaffen werden soll, sondern vielmehr die Ausdehnung des rechtlichen Schutzes gemäß dem eigentlichen Zweck der Richtlinie auch auf geregelte Vorgänge zwischen den Systemen beabsichtigt wird.

4.2   Des Weiteren bietet der Vorschlag, einem System die Teilnahme an einem anderen System zu ermöglichen, Anlass zu Sorge. Dabei muss klargestellt werden, dass ein System gemäß Richtlinie 98/26/EG eine Vereinbarung oder eine Gesamtheit von Bestimmungen ist und — im Gegensatz zu den Systemteilnehmern — über keine Rechtspersönlichkeit verfügt. Diese Unterscheidung muss im Sinne größerer Rechtssicherheit vorgenommen werden, um die Verantwortung der verschiedenen Parteien — insbesondere mit Blick auf die Insolvenzregelungen — festzulegen.

4.3   In Artikel 3 wird eine Änderung eingeführt, die notwendig ist, um „jegliche Unsicherheit bezüglich des Status von Nachtverarbeitungsdiensten “ auszuräumen. Dabei wird das derzeit gebräuchliche Wort „Tag“ durch die Formulierung „Geschäftstag“ ersetzt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die meisten Märkte rund um die Uhr und folglich auch nachts arbeiten. Die vorgeschlagene Maßnahme ist erforderlich, sollte aber durch die Harmonisierung der Nettingvereinbarungen vervollständigt werden. Außerdem sollten die bereits angesprochenen Unterschiede in Bezug auf die Insolvenzbestimmungen beseitigt werden, die sich auf die Vorschriften im Bereich der Finanzsicherheiten und des Clearing auswirken können: die wünschenswerte, aber nicht einfache Harmonisierung ist von übergreifender Bedeutung und geht über den Bereich der Zahlungssysteme hinaus.

5.   Bemerkungen zu den Vorschlägen betreffend die Richtlinie 2002/47/EG (FCD)

5.1   Die Ausdehnung der Richtlinie 2002/47/EG auf Bankdarlehen oder Kreditforderungen (Änderung von Artikel 1 Absatz 4 Buchstabe a)) ist zu begrüßen, da dies eine größere Verfügbarkeit von Sicherheiten ermöglicht und folglich die Liquidität des Marktes erhöhen kann. Gleichwohl ist die Begriffsbestimmung „Kreditforderungen, die für die Besicherung von Kreditgeschäften der Zentralbanken zugelassen sind“, nicht ganz eindeutig. Die Definition vonzugelassenlässt den einzelnen Zentralbanken einen übergroßen Entscheidungsspielraum  (2) und macht nicht deutlich, was darunter fällt. Eine Lösung des Problems könnte darin bestehen, die Passage „oder Kreditforderungen, die für die Besicherung von Kreditgeschäften der Zentralbanken zugelassen sind“ aus dem Wortlaut von Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe a) zu streichen.

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Fast alle zentralen Titel werden heutzutage dematerialisiert verwahrt. Die noch in Papierform vorhandenen Titel sind in Zertifikate großen Zuschnitts unterteilt (globale Zertifikate) und werden in den zentralen Verwahrstellen der Mitgliedstaaten verwahrt.

(2)  Anmerkung d. Übers.: In der italienischen Fassung des Kommissionsdokuments ist — im Gegensatz zum deutschen Wortlaut „zugelassen“ — von „idoneo“ — „geeignet“ die Rede.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/81


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Bessere Karrieremöglichkeiten und mehr Mobilität: Eine europäische Partnerschaft für die Forscher“

KOM(2008) 317 endg.

(2009/C 175/14)

Die Kommission beschloss am 23. Mai 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Bessere Karrieremöglichkeiten und mehr Mobilität: Eine europäische Partnerschaft für die Forscher“

KOM(2008) 317 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. November 2008 an. Berichterstatter war Herr SALVATORE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung (Sitzung vom 3. Dezember) mit 176 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss billigt voll und ganz die Mitteilung der Kommission, in dessen Grundzügen die strategische Rolle eines effizienten europäischen Forschungsraumes für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und den Ausbau des Wissens hervorgehoben wird. Diese beiden Ziele lassen sich über die Aktivierung einer europäischen Partnerschaft für bessere Karrieremöglichkeiten und über stärkere Anreize für mehr Mobilität der Forscher erreichen. Denn dadurch wird es möglich sein, der Abwanderung von Wissenschaftlern entgegen zu wirken und die besten Forscher in den europäischen Forschungsraum zu locken.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass von den Mitgliedstaaten entscheidende Schritte zur Einführung offener, transparenter und leistungsorientierter Einstellungsverfahren unternommen und alle Hemmnisse für die Freizügigkeit der Forscher in der EU beseitigt werden müssen. Ein wertvolles Instrument für diesen Zweck ist das Informationssystem EURAXESS, das in seinem Netzwerk Stellenangebote für Forscher in der EU und Finanzierungsmöglichkeiten für Forschungsvorhaben anzeigen kann. Um dieses System einzuführen, müssen allerdings die daran interessierten Einrichtungen aufgefordert werden, es auch wirksam zu nutzen.

1.2.1   Von der Einstellung der Forscher bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn dürfen ihre Leistungen nicht nur anhand der Anzahl und Qualität der Veröffentlichungen bewertet werden. Vielmehr müssen auch die wissenschaftlichen Ergebnisse, die Innovationsfähigkeit, vor allem in der Anfangsphase, und — entsprechend den zugewiesenen Aufgaben — ihr Organisations- und Managementgeschick während ihrer Berufslaufbahn und auf jeden Fall auch ihre Erfahrungen mit internationalen Partnerschaften bewertet werden.

1.3   Für die berufliche Weiterentwicklung der Forscher ist es unerlässlich, dass sie alle Gelegenheiten zur Mobilität wahrnehmen, was sich aber gegenwärtig aus rechtlichen und administrativen Gründen nur unter Schwierigkeiten realisieren lässt. Mobilität, verstanden als Aufenthalt in einem anderen Land, einer anderen Region oder in einer anderen (privaten oder staatlichen) Forschungseinrichtung, oder als Wechsel einer Fachrichtung oder eines Forschungsbereichs, sollte als ein wertvoller Beitrag zur beruflichen Entwicklung der Forscher verstanden werden und folglich mit Anreizen in puncto Gehalt, soziale Absicherung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert werden. Gerade dieser letzte Aspekt macht es Forscherinnen besonders schwierig, Spitzenpositionen zu erreichen.

1.4   Insbesondere müsste der bei Forschern häufig anzutreffenden prekären Beschäftigungssituation ein Ende gesetzt werden. Deshalb sind Maßnahmen nachdrücklich zu unterstützen, die die vertragliche Kontinuität gewährleisten und die soziale Absicherung sowie das Anrecht auf verschiedene Formen der Sozialversicherung und auf ihre Übertragung bei Ortsveränderungen verbessern.

1.5   Wünschenswert wäre eine aktive Mitwirkung der Sozialpartner in den zuständigen Gremien, um eine vollständige und rasche Verwirklichung der genannten Ziele zu erleichtern.

2.   Einleitung

2.1   Mit der Mitteilung (KOM(2008) 317 endg.), die an den Grundsätzen der Lissabon-Strategie ausgerichtet ist, wird das Ziel verfolgt, eine europäische Partnerschaft zur Verbesserung der Karrieremöglichkeiten für die Forscher zu schaffen, die als wesentlicher Faktor für die Verwirklichung einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft betrachtet werden.

2.2   Die epochalen gesellschaftlichen Veränderungen erscheinen in zunehmendem Maße komplex, unvermittelt und völlig neuartig, weshalb sie politische Maßnahmen erfordern, die stärker die Produktion von Erkenntnissen und somit die Weitergabe von Wissen im Blick haben.

2.3   Solche Veränderungen hängen mit der Entwicklung der Formen der Produktion von Wissen zusammen, die über die eigenen Landesgrenzen hinaus zu einer grenzüberschreitenden Dimension des Wissens vorstoßen. Der wissenschaftliche und der wirtschaftliche Austausch erfordert neue Regelungsformen, die geeignet sind, den Wandel auf einer gemeinsamen kulturellen Basis, nämlich dem Nährboden der EU, zu bewältigen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Das Ziel, Europa für die Forschung attraktiver zu machen, muss in einem kohärenten Rahmen von Maßnahmen zur Unterstützung der Forscher erfolgen. Dazu muss die fundierte und aufeinander abgestimmte Beteiligung der Mitgliedstaaten vorgesehen werden, die nicht — wie nach dem geltenden Rechtsrahmen — allein auf freiwilliger Basis erfolgen darf.

3.2   Der Ausschuss begrüßt diesen neuen Ansatz, bei dem in dem Versuch, das bereits vorhandene Konzept genau wiederzugeben, auf allzu kühne Maßnahmen verzichtet und von den Mitgliedstaaten gefordert wird, auf bereits vorgezeichneten Wegen rasche und konkrete Initiativen zu ergreifen, um:

systematisch offene Einstellungsverfahren zu schaffen;

die Erwartungen in puncto Sozialversicherung und zusätzliche Altersversorgung für mobile Forscher zu erfüllen;

attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten;

Ausbildung, Fähigkeiten und Erfahrungen der Forscher zu verbessern.

Diese Maßnahmen müssen unter Beteiligung der Sozialpartner erfolgen.

3.3   Die Gemeinschaftsinstitutionen haben in den letzten Jahren enorme Anstrengungen unternommen. Man denke nur an die Anstöße zur Errichtung des Europäischen Forschungsraums durch die Mitteilung KOM(2000) 6 vom 18. Januar 2000, an das auf der Tagung des Europäischen Rates von Lissabon festgesetzte Ziel, die Europäische Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, an die ersten Maßnahmen zugunsten der Forscher und schließlich an die Europäische Charta für Forscher und den Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern. Diese Anstrengungen stellen die zentrale Bedeutung des Forschungssystems für die Förderung der Innovation heraus und weisen den Forschern eine vorrangige Rolle zu.

3.4   Angesichts dieser Sachverhalte müssen für den Europäischen Forschungsraum die besten Voraussetzungen geschaffen werden, um ein höchst wettbewerbsfähiges und dynamisches Umfeld zu schaffen, in dem die Arbeitskräfte während ihres gesamten Berufslebens bessere und nachhaltigere Karrieremöglichkeiten finden können.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   In der Europäischen Charta (die vom EWSA bereits im Jahre 2004 umrissen wurde), wird von der Kommission in die Definition für Forscher, nämlich „Spezialisten, die mit der Planung oder der Schaffung von neuem Wissen, Produkten, Verfahren, Methoden und Systemen sowie mit dem Management diesbezüglicher Projekte betraut sind“ [KOM(2003) 43], nunmehr auch die Funktion der Vermittlung neuen Wissens aufgenommen. Dazu aber müssen die Forscher als maßgebliche Quelle für die Kommunikationsspezialisten von den Einrichtungen für die Verbreitung der Forschungsergebnisse gefördert werden, damit auch die einfachen Bürger die wissenschaftlichen Sachverhalte besser verstehen können, vor allem, wenn es sich um Themen handelt, die in der öffentlichen Meinung großes Echo haben (Gesundheit, Ernährungsrisiken, Umweltprobleme usw.).

4.2   Der Ausschuss teilt also die Auffassung, dass besondere Prioritäten gesetzt werden sollten, um in Europa günstige und attraktive Rahmenbedingungen für diejenigen zu schaffen, die in der Forschung tätig sind.

4.3   Zunächst einmal sind entschlossene Maßnahmen notwendig, damit die Mitgliedstaaten offene, transparente und leistungsorientierte Einstellungsverfahren einführen: Wenn bei der Personalauswahl und –einstellung kein Höchstmaß an Information gewährleistet wird, würde man einem wenig offenen System Vorschub leisten; die betreffenden Informationen müssen uneingeschränkt verfügbar und zugänglich sein. Deshalb unterstützt und begrüßt der Ausschuss ohne Vorbehalte die Schaffung des Informationssystems EURAXESS, das Angebot und Nachfrage in Bezug auf Forscher in den verschiedenen Einrichtungen und für die diversen europäischen Vorhaben vernetzen und folglich für einen Ausgleich sorgen kann. Zur Vervollständigung dieses Informationssystems bedarf es der umfassenden Beteiligung der Mitgliedstaaten und der Forschungseinrichtungen und ihrer Verpflichtung, sämtliche Ausschreibungen für Forschungsstellen und Forschungsvorhaben ins Netz zu stellen.

4.4   Sodann müssen in der Anfangsphase der Forschungstätigkeit die Leistungen gewürdigt und bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen gefördert werden — hier ist eine Kurskorrektur notwendig. Wenn sich die Betreffenden nach einem anstrengenden und harten Studium zur Vorbereitung auf die Forschungstätigkeit für lange Zeit in einer prekären Beschäftigungssituation befinden, hat dies zur Folge, dass dieser Berufsweg aufgegeben wird und es deshalb nicht möglich sein wird, die besten Köpfe zu halten und ihr Potenzial zu nutzen. Die Erschließung dieses Potenzials muss durch innovative Bildungslaufbahnen erfolgen, mit denen die Qualität der Forschung sichergestellt und den Forschern die Möglichkeit geboten wird, die für eine Übernahme von leitenden Positionen erforderlichen Kompetenzen zu erwerben.

4.5   Ihre Leistungen dürfen nicht nur anhand der Anzahl der Veröffentlichungen beurteilt werden, sondern müssen auch an ihrer Qualität und an folgenden Fähigkeiten gemessen werden:

Forschungsmanagement

Innovationsfähigkeit

Lehr- und Betreuungstätigkeiten

Teamarbeit

internationale Partnerschaften

Weitergabe der erworbenen Kenntnisse

Akquirierung von Forschungsgeldern

Verbreitung und Vermittlung wissenschaftlicher Themen und Ergebnisse

unternehmerische Erfahrungen und wirtschaftliche Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse

Patente, Entwicklungs- oder Erfindungstätigkeiten

Kreativität und Unabhängigkeit.

Schließlich dürfen sich in Anbetracht der atypischen Arbeitsverträge von Forschern etwaige Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit nicht nachteilig auf Bewertungen auswirken.

4.6   Die Besonderheit der Rolle der Forscher, die sich an unsicheren Arbeitsverträgen zeigt, darf die Qualität der Arbeits- und Familiensituation der Forscher nicht beeinträchtigen. Insbesondere muss jede Form der Mobilität, vor allem die geografische, die für die berufliche Weiterentwicklung wünschenswert ist, unterstützt werden. Denn die Mobilität ist ein mächtiger Faktor für die Entwicklung des freien Wissensverkehrs; sie bewirkt ferner einen Anschub für die Fortbildung und kulturelle Weiterentwicklung der Arbeitnehmer im Forschungssektor.

4.7   Deshalb werden Maßnahmen zur Förderung des Dialogs und der Kontakte zwischen Forschern der verschiedensten Fachrichtungen vorgeschlagen: Nur so kann eine Zunahme des Interesses und Erfahrungsaustauschs bewirkt und die Mobilität zu einem Wissensfaktor werden. Es wäre sinnvoll, die markantesten Unterschiede zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Forschungssystem, das dazu in der Lage ist, begabte Forscher anzuziehen und zu halten, gegenüberzustellen, um die positiven Aspekte jenes Modells aufzugreifen und die auf die europäische Realität anwendbaren Elemente zu entlehnen, ausgehend etwa von den Einstellungsverfahren bis hin zu den Systemen zur Bewertung und Förderung der Laufbahnen von Forschern.

4.8   Will man einen europäischen Forschungsraum errichten, muss nicht nur die Übertragbarkeit von Forschungsgeldern, die ein einzelner Forscher eingeworben hat, von einem Staat (oder Forschungsinstitut) zu einem anderen unterstützt werden, sondern auch ein intelligenter Prozess in Gang gesetzt werden, der den Forschungseinrichtungen bei der Einstellung von wissenschaftlich hoch qualifizierten Personen von Nutzen ist. Die Forscher, wie übrigens auch die anderen Berufsgruppen, von denen Mobilität gefordert wird, sollten in einem europäischen Umfeld durch konkrete Anreize (Gehälter und Sachmittel) bei einem Wechsel des Tätigkeitsortes unterstützt anstatt behindert werden, wie dies derzeit noch häufig geschieht (was eine der Ursachen für die Abwanderung der Fachkräfte ist). Diesbezüglich besteht in den nordamerikanischen Universitäten ein weit verbreitetes Verfahren darin, dass die Geld gebende Einrichtung einen dem Umfang der Finanzierung entsprechenden Bonus (overhead) an diejenige Einrichtung vergibt, die den finanziell geförderten Forscher aufnimmt.

4.9   Demgegenüber müssen an Mobilität interessierte Forscher häufig prekäre Vertragsverhältnisse in Kauf nehmen. Diese Umstände (Mobilität und prekäre Beschäftigungssituation) führen zu weiteren Abschlägen bei den Sozialleistungen. Deshalb wird die Aussage der Kommission, dass die Forscher und ihre Arbeitgeber problemlosen und vollständigen Zugang zu allen Informationen betreffend die Sozialversicherungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten erhalten müssen, nachdrücklich unterstützt. Der Sozialversicherungsschutz muss garantiert und der Erwerb und die Übertragbarkeit von Anrechten auf alle Formen von sozialer Absicherung, einschließlich Zusatzrenten, erleichtert werden. Darüber hinaus müssen nachdrücklich Maßnahmen unterstützt werden, mit denen für die Forscher vertragliche Kontinuität gesichert werden kann; denn wenngleich prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu Beginn einer Forscherlaufbahn geradezu als normal betrachtet werden können, werden sie doch jenseits des 40. Lebensjahrs zu einer demütigenden Situation, die nur noch beschränkte Möglichkeiten für die Selbstständigkeit und geringe Chancen auf Erreichen einer leitenden Position lassen.

4.10   Außerdem muss eine Differenzierung der beruflichen Laufbahnen in der Forschung durch die Schaffung nicht-traditioneller „Übergänge“ gefördert werden, die es den Forschern ermöglichen, ihr erworbenes Wissen anderswo bestmöglich einzusetzen. Dies steht nicht im Widerspruch zu dem Vorschlag, die Beziehungen zwischen anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und der Forschung zu verstärken. So würde es beispielsweise der Aufbau von Beziehungen zwischen dem Bildungswesen und der Forschung den Bildungseinrichtungen ermöglichen, für hochwertige und diversifizierte Bildungsangebote auf so ausgezeichnete Ressourcen wie die Forscher zurückzugreifen. Entsprechend könnten auch Lehrkräfte aus dem Sekundarschulbereich, die für Themen der Forschung besonders aufgeschlossen sind, in diesem strategischen Bereich mitarbeiten, indem sie etwa kulturelle Beiträge dazu liefern und damit gleichzeitig auch den Wissensschatz, der den Schülern vermittelt wird, verbessern.

4.11   Die Forschung ist zwar der Motor der Entwicklung, aber sie ist auch immer stärker mit der Wirtschaft verflochten. Die wirtschaftliche Entwicklung muss durch eine technisch fortschrittliche und innovative Industrieforschung und betriebliche Forschung vorangetrieben werden. Aus diesem Grund muss der Aufbau eines integrierten Systems unterstützt werden, das Forschung, Innovation und Unternehmertum umspannt. Es muss ein fruchtbarer Austausch zwischen den Arbeitsrealitäten des öffentlichen und des privaten Sektors gefördert werden. Ein solcher Austausch wird häufig durch unterschiedliche Personalverwaltungsstrategien gehemmt. Es wäre wünschenswert, dass es über die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten und die nationalen Arbeitsverträge gelänge, diese Kluft mittels spezifischer Maßnahmen (Steueranreize, Praktika, erleichterte Mobilität, Gemeinschaftsprogramme) rasch zu schließen.

4.12   Im Übrigen ist auf Unternehmensformen (Start-ups, Spin-off) zu dringen, in denen die von den Forschern erworbenen Kompetenzen für innovative wirtschaftliche Tätigkeiten genutzt werden können. Die Unterstützung dafür könnte durch günstige Konditionen nicht allein von den Banken, sondern auch durch den erleichterten Zugang zu öffentlichen Finanzmitteln, durch Steuererleichterungen und vorteilhafte Sozialversicherungsregelungen erfolgen.

4.13   Außerdem wird der Arbeitsplan begrüßt, den die Kommission in ihrer Mitteilung KOM(2008) 317 endg. vorsieht: Die von den Mitgliedstaaten ausgearbeiteten nationalen Aktionspläne für 2009 sind nach Anhörung der betroffenen Akteure unmittelbar auf die erklärten Ziele auszurichten, wobei die bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, die bewährten Verfahren vor Ort sowie die gemeinsamen Verfahrensweisen der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind.

4.14   Die Konferenz von 2009 unter Einbeziehung der Sozialpartner wird von entscheidender Bedeutung sein, um den Sachstand zu bewerten und zu einem gemeinsamen Standpunkt bezüglich eventueller Änderungen oder Verbesserungen zu gelangen.

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/84


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 2001/470/EG des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen“

KOM(2008) 380 endg. — 2008/0122 (COD)

(2009/C 175/15)

Der Rat beschloss am 12. November 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 61 Buchstabe c) und Artikel 67 Absatz 5 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 2001/470/EG des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen“

KOM(2008) 380 endg. — 2008/0122 (COD).

Am 8. Juli 2008 beauftragte das Präsidium die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit den Vorarbeiten zu diesem Thema.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember (Sitzung vom 3. Dezember), Frau SÁNCHEZ MIGUEL zur Hauptberichterstatterin zu bestellen, und verabschiedete mit 124 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag für eine Änderung der Entscheidung 2001/470/EG über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes, nicht nur weil damit die in der Entscheidung selbst vorgesehene Überprüfung vorgenommen wird, sondern auch weil der Vorschlag auf den seitdem über die Arbeit des Netzes gesammelten Informationen beruht und weil damit das Ziel einer Information der Bürgerinnen und Bürger der Union besser erreicht werden kann.

1.2   Hervorzuheben ist die erreichte Verbesserung der Koordinierung zwischen den Justizbehörden als Mitgliedern des Europäischen Justiziellen Netzes und den nationalen Kontaktstellen des Netzes, denn Letztere sind die entscheidenden Akteure für die Einrichtung und das Funktionieren des Netzes, wie auch die Vereinfachung der Information durch den Einsatz geeigneter Techniken. All dies wird dazu dienen, den Zugang der Angehörigen der Rechtsberufe und der interessierten Bürger zu erleichtern, die ihre Möglichkeiten für die Beilegung grenzüberschreitender Konflikte in Zivil- und Handelssachen kennen lernen wollen.

1.3   Durch die Mitwirkung nicht nur der Justizbehörden, sondern auch der Angehörigen der Rechtsberufe wird sich feststellen lassen, welche Rechtsinstrumente für den Schutz der Rechte und Pflichten der Bürger der Union in ihren diversen Tätigkeiten im Beruf wie auch im Privatleben geeignet sind. Auf diese Weise wird sich eine effektivere Harmonisierung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der EU erreichen lassen. Der EWSA spricht sich für eine größtmögliche Öffnung des Netzes und einen Zugang für alle Interessierten aus, um so mehr Transparenz zu erreichen und den Prozess der europäischen Integration zu fördern.

2.   Einleitung

2.1   Im Anschluss an den Europäischen Rat von Tampere vom 15./16. Oktober 1999 hat die Europäische Kommission einen Prozess zur Harmonisierung und Schaffung von Rechtsinstrumenten eingeleitet, um so einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, in dem die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union gewährleistet ist. Zu den hervorzuhebenden Instrumenten zählt die Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (1), in der neben weiteren Maßnahmen eine Vereinfachung des Exequaturverfahrens, eine Reihe von Anpassungen der Sicherungsmaßnahmen zur wirksamen Durchsetzung der Vollstreckung und die Anerkennung eines europaweit geltenden Vollstreckungstitels vorgesehen sind.

2.2   Mit dem gleichen Ziel hatte die Kommission die Entscheidung Nr. 2001/470/CE (2) vorgelegt, mit der das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen eingerichtet wurde. Wichtigstes Ziel war die Schaffung eines europäischen Instrumentes der justiziellen Zusammenarbeit, um die Angehörigen der Rechtsberufe, die Institutionen, Verwaltungen und die Bürger allgemein über das in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU geltende Recht sowie über die Verfahren zu informieren, die zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten mit grenzüberschreitenden Bezügen aufgrund eines de jure bestehenden Verhältnisses eingesetzt werden können.

2.3   Das Netz sollte außerdem den Bürgern den Zugang zum Recht erleichtern, vor allem wie erwähnt bei Rechtsstreitigkeiten mit grenzüberschreitenden Bezügen, bei denen nicht immer eine Äquivalenz gegeben ist — weder inhaltlich noch verfahrensrechtlich -, daher die besondere Aufmerksamkeit für die Kontaktstellen, die den Betroffenen, Fachleuten wie Bürgern einen einfachen Zugang gewähren sollen. Die Kommission hat über den Stand Anfang 2008 berichtet: es gibt 102 Kontaktstellen, 140 Zentralbehörden, 12 Verbindungsrichter und -staatsanwälte und 181 Justizbehörden, die im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit tätig sind.

2.4   Hinzuzufügen ist noch, dass bereits in der Richtlinie 2008/52/EG (3) über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen in den Gerichtsverfahren das Netz als notwendiges Instrument erwähnt wird, das eine wirksame Mediation in Rechtsstreitigkeiten mit grenzüberschreitenden Bezügen erst ermöglicht.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Gemäß der Festlegung in Artikel 19 der Entscheidung 2001/470/EG muss die Kommission alle fünf Jahre anhand der Informationen, die ihr von den Kontaktstellen aus den Mitgliedstaaten mitgeteilt wurden, einen Bericht über die Ergebnisse der Arbeit des Netzes in diesem Zeitraum vorlegen. Gestützt auf diese Informationen können Änderungen vorgeschlagen werden. Dies ist der Zweck der geänderten Entscheidung, damit gestützt auf Artikel 61 Buchstabe c) des EG-Vertrags als Rechtsgrundlage und unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die angestrebten Ziele erreicht werden können.

3.2   Mit dem Netz wurde bisher erreicht, dass die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen Richtern und sonstigen Angehörigen der Rechtsberufe in der EU verstärkt werden konnten. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kontaktstellen dem Aufbau funktionierender Informationsbüros dienen sollten, die Auskünfte über nationale Rechtsnormen und Verfahren erteilen, die bei Rechtsstreitigkeiten mit grenzüberschreitenden Bezügen zur Anwendung kommen. Ein Zugang der Bürger zu dem Netz wäre wünschenswert.

3.3   Insgesamt gesehen soll mit der vorgeschlagenen Überarbeitung die Funktionsweise des Netzes lediglich vervollkommnet werden, insbesondere im Hinblick auf die materielle und personelle Ausstattung, damit die angestrebten Ziele besser erreicht werden können.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erachtet den Vorschlag für eine Überarbeitung als positiv, nicht nur wegen der Maßnahmen zur Verbesserung der Funktionsweise des Netzes, sondern auch wegen der terminologischen Klarstellungen, die einen Einsatz des Netzes mit größerer rechtlicher Genauigkeit ermöglichen werden.

3.4.1   So enthält die in Artikel 2 der Entscheidung vorgenommene Änderung eine Abgrenzung des Gegenstandes der Tätigkeit des Netzes als „justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen“ statt der allgemeiner gehaltenen, früheren Bezeichnung „Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen“.

3.4.2   Auch wird für den Fall, dass es in einem Mitgliedstaat mehr als eine Kontaktstelle gibt, die Frage der Koordinierung zwischen verschiedenen Kontaktstellen mit der Forderung der Benennung einer Hauptkontaktstelle gelöst.

3.4.3   Diese Hauptkontaktstelle muss durch einen Richter unterstützt werden, der Vollmitglied des Netzes wird und auch die Verbindung zwischen den örtlichen Justizbehörden gewährleistet.

3.5   Im Sinne des Hauptziels dieser Überarbeitung wird Artikel 5 so geändert, dass die Zusammenarbeit zum Informationsaustausch im Netz und mit den Justizbehörden gestärkt wird, so dass die Anwendung des Rechts im Einzelfall erleichtert wird, auch wenn es das Recht eines anderen Mitgliedstaats bzw. ein internationales Rechtsinstrument ist. Der EWSA sähe es als einen Mehrwert an, wenn das Netz der Unterrichtung der Öffentlichkeit über die bestehende justizielle Zusammenarbeit und über die einzelnen Justizsysteme dienen würde. Zweck dieser Erweiterung der Funktionen wäre es, größere Bürgernähe vermitteln und den Bürgern die Durchsetzung ihrer aus ihren Beziehungen in Zivil- und Handelssachen innerhalb der EU erworbenen Rechte zu garantieren.

3.6   Es ist notwendig, die Änderung der Modalitäten der Unterrichtung durch die Neufassung des Artikels 8 herauszustellen, in dem ein elektronisches Register vorgesehen ist, dessen Verwaltung der Europäischen Kommission obliegen wird. Der EWSA möchte hierzu nur bemerken, dass das Register mit den erforderlichen technischen und ökonomischen Mitteln auszustatten ist, damit es so schnell wie möglich einsatzbereit ist.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist mit dem Inhalt der vorgeschlagenen Überarbeitung wie auch mit der Methodik für die Umsetzung einverstanden. Zudem kann die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden und den Angehörigen der Rechtsberufe der Mitgliedstaaten — also das Netz — als ein Erfolg angesehen werden.

4.2   Wenngleich das Netz positiv gesehen wird, ist noch hervorzuheben, dass durch die Haltung Dänemarks, nur als Beobachter am Netz mitzuwirken, ein Teil des gemeinsamen europäischen Raums ohne justizielle Koordinierung bleibt, obwohl das Land derselben Rechtsetzung der Gemeinschaft unterliegt. Dennoch ist im neuen Artikel 11 a die Teilnahme von Beobachtern an der Tätigkeit des Netzes vorgesehen, wie auch von Vertretern neuer Mitglieder und aus Drittstaaten, die Vertragsparteien des neuen Luganer Übereinkommens (4) sind, so dass sie an bestimmten Sitzungen des Netzes teilnehmen können.

4.3   In einem Punkt sollte nach Ansicht des EWSA größere Flexibilität vorgesehen werden, nämlich bei der kurzen Frist für die Bearbeitung von Ersuchen um justizielle Zusammenarbeit; zwar erkennt der EWSA die derzeitige Effizienz an, aber bei verbesserter Information und einer größeren Zahl von Ländern, die diese nutzen, wäre die Einhaltung der Frist unmöglich. Es sind verschiedene Situationen zu bedenken sowohl hinsichtlich der Organisation als auch der technischen Mittel, die sich zwischen den Staaten und auch aufgrund regionaler Gegebenheiten unterscheiden können. Es bleibt abzuwarten, wie sich die neue Überarbeitung auswirken wird, insbesondere im Hinblick auf die den Kontaktstellen und dem Netz zur Verfügung gestellten technischen Mittel sowie vor allem auf das Führen des Registers.

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000, ABl. L 12 vom 16.1.2001.

Stellungnahme des EWSA: ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 6

(2)  Stellungnahme des EWSA: ABl. C 139 vom 11.5.2001, S. 6.

(3)  Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008; ABl. L 136 vom 24.5.2008.

Stellungnahme des EWSA: ABl. C 286 vom 17.11.2005, S. 1.

(4)  Am 30.10.2007 unterzeichnet.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/87


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Verbesserung der Energieeffi¬zienz durch Informations- und Kommunikationstechnologien“

KOM(2008) 241 endg.

(2009/C 175/16)

Die Europäische Kommission beschloss am 13. Mai 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Verbesserung der Energieeffizienz durch Informations- und Kommunikationstechnologien“

KOM(2008) 241 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. November 2008 an. Berichterstatter war Herr HERNÁNDEZ BATALLER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 4. Dezember) mit 123 gegen 3 Stimmen bei 21 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Nach Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses muss die nachhaltige Entwicklung in den verschiedenen Politikbereichen der EU als Priorität berücksichtigt werden. U.a. ist nachhaltige Entwicklung über Energieeffizienz, über die Erschließung alternativer Energiequellen (sog. „erneuerbarer“, „sauberer“ oder „grüner“ Energiequellen) und, mit Blick auf den Klimawandel, die Annahme verbindlicher Ziele zur Verringerung des CO2-Ausstoßes zu erreichen.

1.2   Die Mitteilung, in der die Kommission die Förderung nationaler und regionaler Programme im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung (FTE) vorschlägt, um die Energieeffizienz durch die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu verbessern, ist als Schritt in die richtige Richtung zu betrachten.

1.3   Wie die Kommission ist auch der Ausschuss der Auffassung, dass die IKT in zweifacher Weise zur Verwirklichung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung beitragen können: Zum einen kann durch Forschung- und Entwicklungsmaßnahmen und durch Innovierung ihrer Komponenten, Systeme und Anwendungen ihr eigener Energieverbrauch gesenkt werden, und zum anderen können durch IKT-Anwendungen bei den verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten (Produktion und Konsum) eine „Dematerialisierung“ vieler Verfahren und die Ersetzung physischer und materieller Geschäftsvorgänge durch Online-Dienste Energieeinsparungen erzielt werden. Darüber hinaus hält der Ausschuss es ebenfalls für wichtig, auch im gesamten Herstellungsprozess und bei der Handhabung der technischen Geräte auf Energieeinsparungen abzustellen und sich nicht nur mit einem effizienten Energieverbrauch während der Gebrauchslebensdauer der Geräte zu begnügen.

1.4   Mit der Mitteilung soll im Einklang mit diesen Zielen in einer ersten Phase die Erfassung und Auswertung von Informationen eingeleitet werden, bevor dann in einer zweiten Mitteilung die Hauptaktionslinien festgelegt werden (1). Der Ausschuss hält es jedoch für unerlässlich, auch Maßnahmen zu fördern, die kurz- und mittelfristig eine Verbesserung der Energieeffizienz bewirken.

1.5   Eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Energieeffizienz von der Angebotsseite her spielt die Ersetzung von Geräten, die technisch veraltet oder am Ende ihres Gebrauchslebens angekommen sind und zu viel Energie verbrauchen. Über die Hälfte der Elektrogeräte in europäischen Haushalten sind über zehn Jahre alt und als energieineffizient einzustufen. Im Vorfeld der Erarbeitung von Richtlinien in diesem Sinn oder als Alternative hierzu könnte die Kommission Kriterien für die Industrie anregen, um mit Unterstützung der Mitgliedstaatsregierungen und mit Hilfe der Verbraucher- und Anwendervereinigungen Pläne zur Ersetzung dieser Geräte zu fördern.

1.6   Beispielsweise sollte in den verschiedenen Mitgliedstaaten die Einführung des terrestrischen Digitalfernsehens befürwortet werden, um die Empfangsgerätepalette zu erneuern und die herkömmlichen CRT-Monitore (Kathodenstrahl-Bildröhren) durch LCD-Bildschirme (Flüssigkristallbildschirme) zu ersetzen. Dazu wäre über Vereinbarungen mit den Herstellern und den Anwenderorganisationen die Herstellung und Anschaffung von interaktiven integrierten Geräten zu fördern, die die Dekoder (Set-Top-Boxen), die an die analogen Fernseher angeschlossen werden, ablösen. Technischen Studien zufolge verbrauchen CRT-Monitore ein Drittel mehr Energie als LCD-Bildschirme, im „Scheinaus-Betrieb“ oder im Stand-by-Betrieb sogar bis zu 60 % mehr.

1.7   Auch in anderen Bereichen wie beispielsweise dem Stromversorgungsnetz (Erzeugung und Verteilung), der intelligenten Gebäudetechnik und der intelligenten Beleuchtung könnte die Kommission eine entsprechende Position beziehen: So sollten der elektronische Stromhandel und technologische Innovationen im Bereich der Stromerzeugung und –verteilung entwickelt werden. Die Systeme für die Verwaltung, Berechnung und Sichtbarmachung der Energieeinsparungen im Gebäudebereich müssen ausgefeilt werden. Die Fortschritte im Bereich der intelligenten Gebäudeinnen- und –außen- und Straßenbeleuchtung haben die Entwicklung interaktiver Lichtquellen ermöglicht, die über eine elektronische Steuerung den erforderlichen Beleuchtungsbedarf „erkennen“.

So ist z.B. bekannt, dass der für die Herstellung und Entwicklung von Computern erforderliche Energieaufwand dreimal so hoch liegt wie der Energieverbrauch während ihrer Gebrauchslebensdauer. Auch mit Blick auf den hohen Energieverbrauch von Servern und Internetsuchmaschinen sind gezielte Lösungen erforderlich, die insbesondere der exponential zunehmenden Internetnutzung und dem offenbar im Zuge der technologischen Konvergenz zunehmenden Energieverbrauch Rechnung tragen müssen. Ferner ist es sehr wichtig, die Energieeinsparungen abzuschätzen, die durch den Einsatz interoperabler, technisch genormter Geräte erzielt werden können, der seinerseits wiederum zur Verkleinerung des Geräteparks und zur besseren Auslastung der Geräte führt und damit im Einklang mit der Richtlinie 2005/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2005 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte steht (2).

Durch eine geeignete Nutzung der neuen Technologien können die Verbraucher einen wesentlichen Beitrag zur Energieeinsparung leisten; ferner ermöglicht es die Entwicklung geeigneter Informatikprogramme und technischer Geräte, den Verbrauchern auf rasche und einfache Weise die notwendigen Informationen für die korrekte Nutzung der Geräte zu vermitteln und die möglichen Energieeinsparungen zu quantifizieren. So könnte die Einschaltdauer der Computer und Peripheriegeräte auf die reine Nutzungsdauer begrenzt werden; auf Bildschirmschoner und eingeschalteten Zustand bei Niedrigenergieverbrauch könnte verzichtet werden; die Anwendung von Druckern usw. wäre zu optimieren. Allgemein lässt sich berechnen, dass der bereits erwähnte verdeckte Verbrauch von Geräten im ausgeschalteten Zustand („Scheinaus-Betrieb“) oder im Stand-by-Betrieb bis zu 12 % der Jahresstromrechnung eines Haushalts ausmachen und schwindelnde Höhen erreichen kann, wenn noch eine unsachgemäße Handhabung und die Überalterung von Geräten hinzukommen. Durch die notwendige Ersetzung der Geräte kommen erhebliche Kosten auf die Verbraucher zu, die in bestimmten Fällen eine finanzielle Unterstützung erforderlich machen könnten.

1.8   Ergänzend zu diesen Anregungen sind Qualitätsausweise und klar verständliche Verbraucherinformationen über die Energieeffizienzkennzeichnung der verschiedenen Geräte, über ihren ökologischen- oder CO2-Fußabdruck usw. nötig, um die Bürger zu sensibilisieren und ihre Nachfrage und ihr Verhalten auf Energieeffizienz und energetische Nachhaltigkeit auszurichten. Erfahrungswerte aus dem Einsatz von IKT im audiovisuellen Bereich, im Bereich der elektronischen Kommunikation, der Stromversorgung, der intelligenten Gebäudetechnik und Beleuchtung können Energiesparmaßnahmen in anderen einschlägigen Sektoren zugrunde gelegt werden, in denen die Kommission entsprechende Maßnahmen einleitet, wie im Kraftfahrzeugbereich, der Fertigungsindustrie und dem Transportbereich.

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, über Informationskampagnen in verschiedenen Medien aktiv zur Sensibiliserung der Verbraucher, Unternehmen, Behörden usw. beizutragen.

1.9   Die Kommission sollte auch die Entwicklung standardisierter Indikatoren anregen, um die durch den Einsatz von IKT erzielbaren Energieeinsparungen quantifizieren und gewichten zu können. Damit könnte der immer häufigeren betrügerischen oder missverständlichen, rein marktstrategisch begründeten und nicht fundierten Werbung mit dem Begriff der „grünen“ oder „sauberen“ Energie Einhalt geboten werden, die nun in Form von Energieeinsparungen und Emissionsminderung nachweisbar und quantifizierbar wäre. Anhand dieser Indikatoren könnte klargestellt werden, ob bei einer Werbung mit diesen Öko-Marketing-Schlagwörtern eine unlautere Geschäftspraktik vorliegt.

Im Umfeld der Privatisierung und Liberalisierung des Energiemarktes sollten unternehmensseitige Investitionen in Energieeinsparungen und nachhaltige Energienutzung gefördert und die Unternehmen ermutigt werden, diese Investitionen als wirtschaftliche Chance zu begreifen, die auch der Sicherung eines qualifizierten Fachkräftebestands dienen.

1.10   Der Ausschuss hält es für notwendig, durch stärkere politische Impulse in der EU dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Mittel für die Erreichung der vorgeschlagenen Energiesparziele bereitstehen, und durch entsprechende verpflichtende Maßnahmen die diesbezüglichen Lücken in den nationalen Plänen zu stopfen. Ein gemeinschaftliches Tätigwerden im Wege einer Richtlinie würde die Maßnahmen der Mitgliedstaaten sinnvoll ergänzen, unbeschadet der Unterstützung der Kommission für die Festlegung einzelstaatlicher Verhaltenskodexe und der Durchführung von vergleichenden Studien über Energieoptimierung, die EU-weit als Anregung verstanden werden und als Ansporn den Unternehmen dienen könnten, Energiespar-Berichte zu erstellen.

2.   Begründung

2.1   Vorgeschichte

2.1.1   Der Mitteilung der Kommission ging Folgendes voraus:

In ihren Prioritäten hoben die Staats- und Regierungschefs auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2007 auf die Bewältigung des Klimawandels, eine ausreichende, sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung und die Sicherung der nachhaltigen Entwicklung im 21. Jahrhundert ab. Sie waren sich darin einig, dass eine integrierte Energie- und Klimapolitik dem politischen Programm der EU zugrunde gelegt werden muss, und stellten zur Veranschaulichung ihrer Entschlossenheit präzise und rechtsverbindliche Ziele auf. Die Kommission hält es für erforderlich, das anhaltende Wachstum der europäischen Volkswirtschaft, das für Vollbeschäftigung und soziale Integration unverzichtbar ist, vom Energieverbrauch abzukoppeln. Den Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) (3) kommt eine wichtige Rolle bei der Verringerung der Energieintensität und der Erhöhung der Energieeffizienz der Wirtschaft zu;

Das Maßnahmenpaket, das die Europäische Kommission am 23. Januar 2008 beschloss, verdeutlicht, dass die vereinbarten Klimaziele technisch und wirtschaftlich machbar sind und zudem tausenden europäischer Unternehmen eine wirtschaftliche Chance bieten;

Der Strategieplan für Energietechnologie und zahlreiche andere Maßnahmen der Europäischen Kommission in verschiedenen Bereichen dienen allesamt der Bewältigung des Klimawandels.

2.2   Allgemeine Bemerkungen

2.2.1   In Anbetracht dessen soll mit dieser Mitteilung eine offene Debatte zwischen den interessierten Kreisen in verschiedenen ausgewählten Bereichen angeregt werden, beispielsweise im IKT-Fertigungssektor, im Stromversorgungssektor sowie in den Bereichen intelligente Gebäudetechnik und intelligente Beleuchtung. Dazu müssen Informationen zusammengetragen und analysiert und möglichst viele interessierte Kreise angehört und einbezogen werden: die europäischen Institutionen (Europäisches Parlament, Ausschuss der Regionen, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss), die Mitgliedstaaten, die Industrie, Forschungseinrichtungen und Verbraucherorganisationen. Diese können eine wichtige Vorreiterrolle bei der Erprobung der neuen Geräte und Komponenten übernehmen.

Im Zusammenhang mit den Energiesparzielen in Verbindung mit dem IKT-Einsatz sollte die Kommission die Verbraucher und Anwender stärker einbinden, so dass die Energiesparsysteme nicht nur intelligent konzipiert sind, sondern auch von den Verbrauchern intelligent genutzt werden. Es gibt verschiedene Verfahrensweisen, die Verbraucher und Anwender in Forschung, Entwicklung und Innovation einzubinden, wie beispielsweise das „European Network of Living Labs“, die mittels mechanischer Beobachtung über IKT ein unmittelbares Feedback über die Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Anwender ermöglichen.

2.2.2   Synergien und Vereinbarungen über bewährte Praktiken, die sich dabei ergeben, können Pilotprojekten zugute kommen, die der Forschung und technologischen Entwicklung förderlich sind. Forschungsarbeiten im Bereich der in Energieeffizienz von IKT wären im Rahmen von nationalen und regionalen Programmen des EU-Programms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation und der über die Kohäsionspolitik finanzierten operativen Programme durchzuführen. Damit würden Unternehmen angeregt, ihren „ökologischen Fußabdruck“ zu bewerten und sich davon ausgehend für die Einführung von fortgeschrittenen Kommunikationsnetzen und die Nutzung erneuerbarer Energieträger zu entschließen, um Energie zu sparen („Negawatt“).

2.2.3   Der EWSA hat sich bereits mehrfach dazu geäußert, welch wichtige Rolle den IKT im Hinblick auf die Herbeiführung eines Strukturwandels und aufgrund ihres umfangreichen Beitrags zur Innovation zukommt, u.a. in seinen Stellungnahmen zu den Themen Nanotechnologie (4), Biotechnologie (5), Gesundheitsforschung und vor allem Informationstechnologien (6). Die IKT-Förderung ist im siebten Forschungsrahmenprogramm überwiegend als Querschnittaufgabe angelegt; bei den F+E-Maßnahmen sollten aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen und zur Förderung von Forschung und Innovation die fortschrittlichsten Technologien zum Einsatz kommen und mehr Gemeinschaftsmittel bereitgestellt werden (7).

2.3   Besondere Bemerkungen

Die Kommission geht gezielt auf den Stromversorgungssektor ein, der gegenwärtig aufgrund der Liberalisierung des Energiemarktes, der Zunahme örtlicher Energienetze, der Einbeziehung der erneuerbaren Energieträger, des Ausbaus der Kraft-Wärme-Kopplung und der Mikroerzeugung (Mikronetze, virtuelle Kraftwerke), der Verkürzung der Energieversorgungskette, der Möglichkeiten zur Kompensation des Energieverbrauchs und der veränderten Forderungen seitens der Bürger einen tiefgreifenden Wandel durchläuft.

2.3.1.1   Die Verbesserung der Stromversorgungsnetze von der Erzeugung bis zur Verteilung, u.a. durch die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Übertragungsnetze zur Vermeidung von Energieverlusten, ist Gegenstand der Bewertung der nationalen Energieeffizienz-Aktionspläne, zu der der EWSA eine Stellungnahme abgegeben hat, auf die an dieser Stelle verwiesen wird (8).

2.3.1.2   Die Kommission geht des Weiteren auf das Energiesparpotenzial intelligenter Gebäude — Wohngebäude und gewerblich genutzter Gebäude — ein. Sie befürwortet insbesondere die Entwicklung von Energiemanagementsystemen mit Verbrauchsmessung und Anzeige, die gleichzeitig die Bewusstseinsbildung der Nutzer fördern. Immerhin entfallen über 40 % des Energieverbrauchs in Europa auf den Gebäudebereich.

2.3.1.3   Nach Meinung des Ausschusses (9) müssen neue Verhaltensweisen angeregt und neue Anreize geschaffen werden, zum einen als Ausgleich für die höheren Kosten und zum anderen, um größeres Interesse zu wecken für:

Projektforschung

Überprüfung bei der Bautechnik

Verwendung besserer Baumaterialien

neue Gebäudestrukturlösungen.

2.3.1.4   Der EWSA bekräftigt erneut (10), dass unter dem Blickwinkel des Endverbrauchers die Hindernisse gebührend berücksichtigt werden müssen, die der Förderung und der Verwirklichung energieeffizienter Gebäude im Wege stehen: technische, wirtschaftliche, finanzielle, juristische, administrative/bürokratische, institutionelle und organisatorische, soziale/verhaltensbezogene Hemmnisse sowie Hindernisse infolge eines fehlenden integrierten Ansatzes (Unausgewogenheit bezüglich Heizung und Klimatisierung, Nichtberücksichtigung von Klimazonen usw.).

Intelligente Wohngebäude verbessern nicht nur die Lebensqualität, das Wohlbefinden und die Sicherheit der Bewohner, sondern tragen auch zur Senkung der wirtschaftlichen Kosten und des Energieverbrauchs bei. Die Vernetzung ermöglicht den Zugang zu den Kommunikationsdiensten (Empfang, Umwandlung und Weiterleitung von Hörfunk- und Fernsehsignalen auf terrestrischem Wege und per Satellit, ADSL, Kabel oder Stromversorgungsnetz), aber auch zu anderen Diensten mit großem Energiesparpotenzial: Detektion von Gas- und Wasserlecks oder mängelbedingtem überhöhtem Stromverbrauch, automatische Steuerung von Bewässerungs- und Klimaanlagen.

Die Einbeziehung aktiver und passiver Verfahren zur Verbesserung der Umweltleistung von Gebäuden kann den Energieverbrauch der Haushalte um bis zu 50 % senken, und einigen Studien zufolge kann durch die Nutzung sauberer Energieträger in Verbindung mit einer entsprechenden Regelungstechnik eine Verbrauchssenkung von bis zu 70 % erzielt werden.

Die Fortschritte im Bereich der intelligenten Gebäudeinnen- und –außen- und Straßenbeleuchtung haben die Entwicklung interaktiver Lichtquellen ermöglicht, die über eine elektronische Steuerung den erforderlichen Beleuchtungsbedarf „erkennen“. Auf dem markt gibt es bereits Technologien mit großem Energiesparpotential wie Leuchtdioden oder neuerdings auch organische Leuchtdioden (OLED). Ca. ein Fünftel des Weltstromverbrauchs entfällt auf Leuchtmittel.

2.3.2.1   Der EWSA plädiert für die Förderung und Anregung freiwilliger Vereinbarungen zur Einführung einer immer intelligenteren Beleuchtung in öffentlichen Gebäuden und Räumen zur Steigerung der Energieeffizienz.

2.3.2.2   Die Förderung des „grünen Beschaffungswesens“ im Hinblick auf eine künftige Klimaneutralität im IKT-Bereich durch freiwillige Vereinbarungen im Rahmen von Pilotprojekten könnte der Orientierung und Auslotung des Strukturwandels dienlich sein.

Die Kommission sollte das ihre dafür tun, dass Unternehmen, die in die Verringerung ihres „ökologischen Fußabdrucks“ investieren, von ihren Energiekosteneinsparungen abgesehen auch in der Gunst der Verbraucher steigen. Im Rahmen ihres Umweltmanagements müssen die Unternehmen selbstredend eine angemessene Wiederverwertung von elektronischen Bauteilen, Abfällen und Überschüssen anstreben. Der Wiederverwertung sollte schon bei der Fertigung Rechnung getragen werden, so das ein hoher Anteil der Werkstoffe und Bauteile wieder verwendet werden kann. Angesichts der Relevanz dieses Themas erarbeitet der EWSA dazu derzeit eine Initiativstellungnahme, in der er die Entsorgung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten beleuchtet.

2.3.2.3   Der EWSA hat bereits empfohlen (11), die „grüne“ öffentlichen Auftragsvergabe weiter zu entwickeln durch: Aufstellung technischer Spezifikationen für „grüne“ Produkte, angefangen bei solchen mit der besten Umweltleistung; Aufnahme der Lebenszykluskosten des Produkts oder der Dienstleistung in das Leistungsverzeichnis; Verfügbarkeit einer entsprechenden Datenbank im Internet; Anpassung der EG-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe durch Aufnahme von Verweisen auf Normen, Umweltmanagementsysteme, Umweltzeichen und Öko-Design; und schließlich Veröffentlichung der nationalen Aktionspläne für die Ausschreibung grüner Aufträge. Im Einklang mit der KMU-Politik der Kommission sollten aufgrund ihres Produktions- und Beschäftigungspotentials in diesem Zusammenhang gezielt die mittelständischen Unternehmen unterstützt werden.

Die IKT können insofern beim Klimaschutz hoch punkten (12), als IKT-Erzeugnisse und -Dienste zur Ersetzung von Gütern und zur Vermeidung von Reisen (beispielsweise durch Videokonferenz-Systeme) beitragen können. Auch durch beispielsweise die Einführung neuer Arbeitsformen (Telearbeit), elektronische Rechnungstellung, Fernbildung und Online-Formulare kann der Primärenergieverbrauch und damit der Klimagasausstoß erheblich gesenkt werden.

2.3.3.1   Unternehmen können sich neue Einkommensquellen erschließen, indem sie IKT-Lösungen für Effizienzverbesserungen in anderen Bereichen bereitstellen, z.B.:

Anregung der Feststellung und Wahrnehmung von Gelegenheiten zur Reduzierung von Klimagasemissionen;

Auflistung der Möglichkeiten zur Reduzierung von Klimagasemissionen, die sich Unternehmen bzw. Branchen bieten;

Förderung der Entwicklung von Energieeffizienzprojekten in den Unternehmen;

Feststellung der Möglichkeiten zur Reduzierung von Klimagasemissionen im Dienstleistungssektor;

Berücksichtigung des Kosten-/Nutzen-Aspekts der Klimagasemissionen als Indikator bei der Bewertung neuer Vorhaben.

2.3.3.2   Die Einrichtung von „Klimawandelbüros“ in Unternehmen, die im IKT-Sektor tätig sind, könnte im Hinblick auf folgende Aspekte von Vorteil sein:

Verstärkte Nutzung von Energie aus erneuerbaren Energieträgern oder Überschussenergie;

Sicherstellung der Übereinstimmung der Unternehmensprozesse mit der Energiepolitik des Unternehmens und Verbesserung der Energieeffizienz der verschiedenen Prozesse;

Identifizierung und Verbreitung bewährter Verfahrensweisen;

Aufstellung von CO2-Emissionreduktionszielen;

Bemühung um eine externe Zertifizierung des Energiemanagementsystems;

Durchführung eines Energie-Audits zur Feststellung der energieintensivsten Bereiche.

Brüssel, den 4. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Ein Beispiel für diese Vorarbeiten zur Erfassung und Auswertung von Informationen ist die jüngst im Auftrag der Kommission erstellte Studie „The implications of ICT for Energy Consumption“ (e-Business Watch, Study report no 09/2008, http://www.ebusiness-watch.org/studies/special_topics/2007/documents/Study_09-2008_Energy.pdf).

(2)  ABl. L 191 vom 22.7.2005, S. 29.

(3)  Der Begriff der IKT bezieht sich hier auf nanoelektronische Komponenten und Systeme, aber auch auf künftige Technologien wie die Fotonik, die deutlich höhere Rechenleistungen zu einem Bruchteil des heutigen Energieverbrauchs sowie helle, leicht steuerbare und energiesparende Beleuchtungsanwendungen versprechen.

(4)  ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 22.

(5)  ABl. C 234 vom 30.9.2003, S. 13; ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 22 und ABl. C 94 vom 18.4.2002, S. 23.

(6)  ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 44.

(7)  ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 9, Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das siebte Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007-2013) (Berichterstatter: Herr Wolf, Mitberichterstatter: Herr Pezzini).

(8)  Stellungnahme CESE 1513/2008, Berichterstatter: Herr Iozia, „Energieeffizienz — Erste Bewertung der nationalen Aktionspläne“.

(9)  Stellungnahme CESE, Berichterstatter: Herr Pezzini, ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 62. „Energieeffizienz in Gebäuden — Beitrag der Endnutzer“. Sondierungsstellungnahme.

(10)  Ziffer 1.11.ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 62

(11)  ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 1Ökologische Herstellungsverfahren“, Berichterstatterin: Frau Darmanin.

(12)  Der International Telecommunications Union (ITU) zufolge könnte der Einsatz geeigneter IKT-Lösungen zur Senkung des CO2-Ausstoßes in verwandten Sektoren um über 48,4 Mio t beitragen (Gesundheitswesen, städtische Mobilität, öffentliche Verwaltung usw.).


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/92


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Weiterentwicklung des Internets — Aktionsplan für die Einführung des neuen Internet-Protokolls IPv6 in Europa“

KOM(2008) 313 endg.

(2009/C 175/17)

Die Europäische Kommission beschloss am 27. Mai 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Weiterentwicklung des Internets — Aktionsplan für die Einführung des neuen Internet-Protokolls IPv6 in Europa“

KOM(2008) 313 endg.

Am 8. Juli 2008 beauftragte das Präsidium des Ausschusses die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit den Vorarbeiten zu diesem Befassungsgegenstand.

Aufgrund der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) Herrn McDONOGH zum Hauptberichterstatter und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission über einen Aktionsplan für die Einführung des neuen Internet-Protokolls Version 6 (IPv6) in Europa. Er teilt die Bedenken der Europäischen Kommission bezüglich der schleppenden Einführung von IPv6 in Europa und stimmt ihrem Standpunkt zu, dass es dringend Maßnahmen zur Förderung einer weitverbreiteten Nutzung dieses neuen Internet-Protokolls bedarf.

1.2   Durch die langsamen Fortschritte bei der Einführung von IPv6 ist die Verwirklichung der Lissabon-Strategie im Rahmen der i2010-Initiative (1) gefährdet. Der wirtschaftliche Multiplikatoreffekt von Internet-Nutzung und Innovation ist für die Wettbewerbsfähigkeit der EU von entscheidender Bedeutung. In gleichem Maße wie Verfügbarkeit von Breitband wird auch die Verfügbarkeit von IPv6 ein wesentlicher Impulsgeber für die Internet-Wirtschaft sein. Europa hinkt bei der Einführung dieses neuen Protokolls gegenüber anderen Regionen (so wird IPv6 zur Verwirklichung des chinesischen Projekts des Internets der nächsten Generation „CGNI“ (2) eingesetzt) bereits hinterher und darf beim Übergang zu IPv6 keinesfalls noch weiter hinter seine wichtigsten Handelspartner zurückfallen.

1.3   Der Ausschuss begrüßt viele der in der Mitteilung vorgeschlagenen Maßnahmen, fordert die Europäische Kommission jedoch auf, die Führungsrolle, die die Europäische Union unverzüglich zur Beschleunigung der Einführung von IPv6 einnehmen sollte, stärker einzufordern. Sollte die EU diese Führungsrolle nämlich nicht einnehmen, erscheint das Kommissionsziel, dass 25 % der Nutzer bis 2010 in der Lage sein sollen, ihre Internet-Verbindung über IPv6 herzustellen, überzogen optimistisch.

1.4   Nach Meinung des Ausschusses wird in der Mitteilung den Sicherheits- und Datenschutzfragen im Zusammenhang mit der Nutzung von IPv6 zur Förderung des „Internets der Dinge“ (3) nicht genügend Augenmerk gewidmet. Diese Fragen sind den Unionsbürgern ein echtes Anliegen und müssen entsprechend angegangen werden, um die Rechte der Bürger zu wahren und die Einführung von IPv6 zu erleichtern.

1.5   Das ohnehin schon sehr ernste Problem der digitalen Kluft zwischen Europas Regionen wird mit dem Übergang zu IPv6 noch größer werden, wenn die Europäische Kommission keine spezifischen Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Problems ergreift und sicherstellt, dass den benachteiligteren Regionen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es bedarf EU-weiter Maßnahmen, um so bald wie möglich den gleichen Zugang zu IPv6 in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

1.6   IPv6 wird eine Vielzahl neuer Internet-gestützter Technologien und Dienste mit sich bringen, die die Lebensqualität aller Bürger erhöhen wird, insbesondere aber der schwächeren Personengruppen wie ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau. Nach Meinung des Ausschusses sind für die EU-weite Verbreitung von IPv6 ausdrückliche Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten erforderlich, sie sollte nicht dem kleinsten gemeinsamen Nenner rein kommerzieller Interessen überlassen werden.

1.7   Der Ausschuss verweist die Europäische Kommission auf frühere Ausschussstellungnahmen zur Förderung der Internet-Nutzung, zum Datenschutz, zur Internet-Sicherheit und zur digitalen Kluft (4).

1.8   Der Ausschuss möchte sich in dieser Stellungnahme zu Bereichen von besonderer Bedeutung äußern und einige Empfehlungen vortragen.

2.   Empfehlungen

2.1   Die Europäische Kommission sollte eine starke Führungs- und Förderrolle auf europäischer Ebene für die rasche europaweite Einführung von IPv6 übernehmen.

2.2   Sie muss dabei eine überzeugende Vision für die Zukunft des Internets gestützt auf IPv6 und die zahlreichen Vorteile verfechten, die allen Interessenträgern geboten werden.

2.3   Zur Sicherstellung eines integrierten Ansatzes sollte die Europäische Kommission enger mit den Internet-Organisationen zusammenarbeiten, um der Wirtschaft eine europäische Orientierungshilfe für die zügige Einführung von IPv6 zu bieten.

2.4   In der gesamten EU sollten umfassende Schulungs- und Bildungsprogramme angeboten werden, um sicherzustellen, dass die IPv6-Technologie optimal verstanden und erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden kann.

2.5   Die Kosten der Umstellung von IPv4 auf IPv6 für kleinere Internet-Diensteanbieter und Inhalteanbieter sollten über das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (5) abgefedert werden.

2.6   Dieses Rahmenprogramm sollte ferner dazu genutzt werden, die Entwicklung von Anwendungen und Diensten zur Förderung dieses neuen Protokolls voranzubringen.

2.7   Um dem Ungleichgewicht zwischen den Interessen der Aktionäre von Internet-Diensteanbietern (ISP) und der Bürger abzuhelfen, sollten die großen ISP dazu verpflichtet werden, eine Führungsrolle auf EU-Ebene bei der europaweiten Einführung von IPv6 zu übernehmen. Die Erneuerung von ISP-Betriebszulassungen sollte an die Verpflichtung geknüpft werden, bis 2010 eine vollständige IPv6-Anbindung ohne Einschränkungen sowie weitreichende Schulungsmaßnahmen für die Verbraucher zur Verwendung von IPv6 zu bieten.

2.8   Die Europäische Kommission muss ein konzertiertes Vorgehen auf EU-Ebene anführen und sich auf internationaler Ebene mit den ernsten Sicherheits- und Datenschutzbedenken im Zusammenhang mit der Einführung von IPv6 auseinandersetzen.

2.9   Der Ausschuss empfiehlt, das potenzielle Problem einer digitalen Kluft in Europa zwischen Regionen, die Zugang zu IPv6 haben, und denjenigen, denen dieser Zugang verwehrt bleibt, im Rahmen der nationalen Breitbandstrategien (6) oder eines ähnlichen Instruments zu bewältigen. Außerdem sollte wo immer möglich der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Förderung der Einführung von IPv6 eingesetzt werden.

3.   Hintergrund

3.1   Aktionsplan — Übersicht

In dem Aktionsplan zur Förderung der breiten Einführung der neuen Version des Internet-Protokolls (IPv6) bis 2010 werden folgende Punkte betont:

Eine umgehende Einführung des IPv6 ist unumgänglich, da der Vorrat an IP-Adressen der derzeitigen Version 4 zur Neige geht;

IPv6 bietet die Grundlage für Innovationen im Bereich der IP-gestützten Dienste und Anwendungen und ist von grundlegender Bedeutung, damit Europa seine Führungsposition beim technologieorientierten Wachstum auch weiterhin halten kann.

3.2   Internet-Protokoll

Im Internet-Protokoll (IP) wird jedes Objekt, das sich mit dem Internet verbindet, mit einer Nummer und einer Adresse versehen, um die Kommunikation mit anderen mit dem Internet verbundenen Objekten zu ermöglichen. Die derzeit genutzte Version des Internet-Protokolls IPv4 stellt mehr als 4 Milliarden solcher Adressen bereit (7). Dies ist jedoch nicht ausreichend, um mit dem anhaltenden Wachstum des Internets Schritt zu halten.

Ende der 90er-Jahre wurde mit der schrittweisen Einführung eines ausgefeilteren Protokolls, IPv6, begonnen (8); es kann sich jedoch nur sehr langsam durchsetzen. Der IPv6-Datenverkehr macht (mit etwas mehr als 1 %) nur einen Bruchteil des gesamten Internet-Datenverkehrs aus (9).

Der IPv4-Adressenvorrat wird Prognosen zufolge zwischen 2010 und 2012 aufgebraucht sein (10). Ohne eine angemessene Lösung für das Adressenproblem im IPv4 werden das Wachstum und die Innovationsfähigkeit IP-gestützter Netze beeinträchtigt.

3.3   IPv6 — ein Muss

IPv6 bietet eine langfristige Lösung für das Problem der Adressenknappheit: Die Zahl der in diesem IP festgelegten Adressen ist immens (3,4 × 1038).

IPv6 ermöglicht es, allen Privatpersonen, Netzbetreibern und Organisationen weltweit so viele IP-Adressen bereitzustellen, dass sie jedes nur erdenkliche Gerät oder Produkt direkt mit dem weltweiten Internet verbinden können. Wie Kommissionsmitglied Reding so eindrücklich festgehalten hat: „Wenn die neuesten Internet-Anwendungen wie Funketiketten in Geschäften, Fabriken und auf Flughäfen, intelligente und energiesparende Heiz- und Beleuchtungssysteme sowie fahrzeuginterne Netze und Navigationssysteme in Europa genutzt werden sollen, steigt der Bedarf an IP-Adressen bereits um das Tausendfache (11).

In einer von der Europäischen Kommission finanzierten Studie (12) wurde dieses Potenzial für eine Reihe von Marktbereichen wie z.B. private Netze, Gebäudemanagement, Mobilkommunikation, Verteidigung und Sicherheit sowie die Automobilindustrie nachgewiesen.

3.4   IPv6 und Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten

Andere Regionen, insbesondere der asiatische Raum, sind im Bereich IPv6 bereits stark engagiert.

3.5   Übergang zu IPv6

In einer Übergangsphase (die voraussichtlich 20 oder mehr Jahre dauern wird) werden IPv4 und IPv6 auf denselben Geräten betrieben und über dieselben Netzverbindungen übertragen werden. Ferner werden kostspielige Übergangsmechanismen erforderlich sein, um die alte Abhängigkeit von IPv4 zu bewältigen: so genannte Overlay-Technologien wie Doppel-IP-Stacks und Tunneling sowie „Notlösungen“ wie das NAT (Network Address Translation)-Verfahren und IPv4-Adressversteigerungen.

3.6   Interessenträger

An der Einführung von IPv6 müssen zahlreiche Akteure weltweit mitwirken, und zwar:

Internet-Organisationen (wie ICANN, RIR und IETF), die gemeinsame IPv6-Ressourcen und -dienste verwalten;

Internet-Diensteanbieter (ISP), die ihren Kunden zunehmend IPv6-Verbindungen und IPv6-gestützte Dienste bereitstellen müssen;

Infrastruktur-Anbieter, die IPv6-fähige Produkte anbieten müssen;

Anbieter von Inhalten und Diensten (wie Websites, Instant Messaging- und E-Mail-Dienste), die die Nutzung von IPv6 auf ihren Servern ermöglichen müssen;

Anbieter von Anwendungen für Unternehmens- und Privatkunden, die IPv6-kompatible Lösungen anbieten müssen und in ihren Produkten und Diensten IPv6-Funktionen nutzen sollten;

Endnutzer (Verbraucher, Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Behörden), die IPv6-fähige Produkte und Dienste kaufen und IPv6 in ihren eigenen Netzen nutzen sollten.

3.7   Kosten für die Einführung von IPv6

Die Kosten für die weltweite Einführung von IPv6 können nicht verlässlich abgeschätzt werden. Mittels einer schrittweisen Einführung von IPv6 durch die einzelnen Akteure können die Kosten begrenzt werden.

3.8   Politischer Handlungsbedarf auf europäischer Ebene

Für die meisten Interessenträger sind die Vorteile der IPv6-Einführung heute nicht unmittelbar zu erkennen. Sie ergeben sich langfristig, daher haben viele Interessenträger eine abwartende Haltung zu IPv6 eingenommen.

Insgesamt hat dies zu einer Verzögerung bei der breiten Einführung des IPv6 geführt; ohne umgehende Maßnahmen „würde Europa […] bei der Nutzung modernster Internet-Technik ins Hintertreffen geraten und könnte in eine ernsthafte Krise geraten, sobald der Adressvorrat des alten Systems einmal zur Neige geht (13). Durch geeignete Politikmaßnahmen auf europäischer Ebene könnten Marktanreize geschaffen werden, indem Einzelpersonen und Organisationen ermuntert werden, dieses neue Internet-Konzept anzunehmen.

3.9   Von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Maßnahmen

3.9.1   Breite Einführung von IPv6 in Europa bis 2010

3.9.2   Förderung des IPv6-Zugangs zu Inhalten, Diensten und Anwendungen

Die Mitgliedstaaten müssen die Anwendung des IPv6 auf Behörden-Websites und bei elektronischen Behördendiensten (e-Government-Diensten) unterstützen.

Die Unternehmen müssen IPv6 als Hauptplattform für die Entwicklung von Anwendungen oder Geräten nutzen.

Es werden finanzielle Hilfen für Normungsmaßnahmen bereitgestellt, um die Interoperabilität von Netzen zu fördern.

Bei Forschungsvorhaben im Rahmen des 7. Rahmenprogramms muss weitestgehend auf IPv6 gesetzt werden.

3.9.3   Steigerung der Nachfrage nach IPv6-Anbindung und -Produkten im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe

Die Mitgliedstaaten müssen ihre eigenen Netze auf den Einsatz des IPv6 vorbereiten.

3.9.4   Rechtzeitige Vorbereitung auf die IPv6-Einführung

Es werden gezielte Sensibilisierungsmaßnahmen für verschiedene Nutzergruppen durchgeführt werden.

„Spezifische Unterstützungsmaßnahmen“ (im Zuge des 7. Rahmenprogramms) zur Verbreitung von Kenntnissen über die praktische Anwendung sollen gefördert werden.

Die ISP sollen angehalten werden, ihren Kunden bis 2010 eine vollständige IPv6-Anbindung zu bieten.

3.9.5   Lösung von Sicherheits- und Datenschutzfragen

Die Europäische Kommission wird die sicherheits- und datenschutzrelevanten Auswirkungen einer allgemeinen Verbreitung des IPv6 überwachen und dazu Beteiligte wie Datenschutz- oder Strafverfolgungsbehörden konsultieren.

Ferner wurden insbesondere von der nach Artikel 29 eingerichteten Datenschutzgruppe Bedenken wegen Datenschutzfragen im Zusammenhang mit IPv6 geäußert (14).

3.10   Durchführung des Aktionsplans

Der Aktionsplan soll in den nächsten 3 Jahren umgesetzt werden.

Die Europäische Kommission wird die Aktivitäten der Internet-Organisationen auch weiterhin verfolgen und gegebenenfalls Beiträge dazu leisten.

Sie wird der hochrangigen Sachverständigengruppe „i2010“ regelmäßig über den Stand der Dinge berichten.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Die Umstellung auf IPv6 ist von grundlegender Bedeutung, da der Adressenvorrat im derzeitigen Internet-Protokoll IPv4 schnell zur Neige geht — Prognosen zufolge noch vor 2012. Wird die Einführung von IPv6 nicht erheblich beschleunigt, wird das Internet-Wachstum deutlich nachlassen. Außerdem wird sich die Erblast von IPv4 in den EU-Netzen negativ auf die Kosten der Internet-Nutzung auswirken. Folgen dieser Verzögerung sind höhere Kosten in allen eCommerce-Bereichen, geringere IP-gestützte Innovationen und ein langsameres Wirtschaftswachstum.

4.2   Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung darauf hingewiesen, dass nur langsam Fortschritte beim Übergang zu dem neuen Protokoll erzielt werden, da es keine zentrale Behörde gibt, die die IPv6-Einführung steuern könnte. Der Ausschuss anerkennt, dass einzelne Staaten und Interessenträger auf nationaler Ebene Programme zur Einführung von IPv6 auf den Weg gebracht haben, übt jedoch Kritik an der fehlenden Unterstützung für die Durchsetzung von IPv6 auf europäischer Ebene.

Der Ausschuss zeigt sich besorgt, dass bei der Beschleunigung der Einführung von IPv6 zu stark auf kommerzielle Interessen, insbesondere der ISP, gesetzt wurde. Dies war ein totaler Fehlschlag. Die Verzögerung bei der Umstellung auf IPv6 bringt zu große soziale und wirtschaftliche Auswirkungen mit sich, um sie rein kommerziellen Interessen überlassen zu können. Die Umstellung auf IPv6 ist Aufgabe der Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission sollte sich für eine stärkere Führungsrolle für die EU einsetzen, diese durch entsprechende Politik- und Unterstützungsmaßnahmen fördern und dieser Aufgabe dann umgehend nachkommen.

4.3   Ohne effiziente Maßnahmen für die Einführung von IPv6 ist die Verwirklichung der Lissabon-Strategie im Rahmen der i2010-Initiative gefährdet (1). Der wirtschaftliche Multiplikatoreffekt von Internet-Nutzung und Innovation ist für die Wettbewerbsfähigkeit Europas von entscheidender Bedeutung. Europa darf beim Übergang zu IPv6 nicht hinter seine wichtigsten Handelspartner zurückfallen. Auch wenn einige EU-Mitgliedstaaten bereits Anstrengungen unternommen haben, um ihr Land IPv6-tauglich zu machen, hinkt die EU als Gesamtregion bei der Einführung von IPv6 gegenüber anderen Regionen hinterher.

4.4   Unter dem Motto der „Internet-Governance“ muss die Europäische Kommission ein konzertiertes Vorgehen auf EU-Ebene anführen und sich auf internationaler Ebene mit den ernsten Sicherheits- und Datenschutzbedenken im Zusammenhang mit der Einführung von IPv6 auseinandersetzen. Dank IPv6 gekoppelt an Technologien wie RFID-Tags können Millionen von Objekten in einem „Internet der Dinge“ miteinander vernetzt werden, wodurch ernste und komplexe Fragen mit Blick auf den Schutz der Privatsphäre und den Datenschutz aufgeworfen werden.

Der Ausschuss hält fest, dass die Europäische Kommission Anfang 2009 Vorschläge zum Schutz kritischer Informationsstrukturen vorlegen will, um Europas Fähigkeit, Sicherheitsbedenken im Internet auszuräumen, zu stärken (15). Der Ausschuss empfiehlt daher, in diesen Vorschlägen strikte Schemata für die Bewältigung der neuen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Einführung von IPv6 vorzusehen.

4.5   Der Ausschuss sieht der Empfehlung der Europäischen Kommission zu Fragen des Schutzes der Privatsphäre im Zusammenhang mit RFID und der Governance des „Internet der Dinge“ mit Spannung entgegen (16). Das neue IPv6 wird eine massive Ausweitung der Konnektivität mit zig Millionen an Alltagsgegenständen (Fahrzeuge, Kleidung, Werkzeug usw.) erleichtern und diese letztlich über ihre eigene IP-Adresse mit dem Internet verbinden. Wie Kommissionsmitglied Reding unterstrich, müssten diese Risiken angegangen werden, damit das „Internet der Dinge“ sein volles Potenzial für das Wirtschaftswachstum entfalten könne. So müssten insbesondere die Bedenken der Bürger ernst genommen werden, damit diese die neuen Technologien auch wirklich annehmen (15).

4.6   Die Europäische Kommission sollte eine starke Führungsrolle auf europäischer Ebene für die schnelle europaweite Einführung von IPv6 übernehmen. Sie muss dabei eine ehrgeizige Vision für die Zukunft des Internets gestützt auf IPv6, d.h. „Internet der Dinge“, „Ambient Intelligence“ (17) usw., und die zahlreiche Vorteile verfechten, die allen Interessenträgern geboten werden.

4.7   Diese Vision muss über verschiedenste Kanäle den einzelnen Zielgruppen (ISP, Inhalteanbieter, Anbieter von Anwendungen und Endkunden) im Zuge einer europäischen Informationskampagne in entsprechender Weise vermittelt werden.

4.8   Die Durchsetzung von IPv6 könnte durch Bildungs- und Schulungsprogramme erheblich erleichtert werden. Diese neue Technologie ist bei weitem besser als IPv4, doch ist für ihre richtige Nutzung eine gute Schulung erforderlich. Die Europäische Kommission, die EU-Mitgliedstaaten, Internet-Diensteanbieter (ISP) und andere betroffene Akteure sollten dafür Sorge tragen, dass ein einschlägiges Bildungs- und Schulungsangebot für alle Nutzer-Zielgruppen zugänglich ist.

4.9   Zur Sicherstellung eines integrierten Ansatzes sollte die Europäische Kommission enger mit den Internet-Organisationen, Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), Réseaux IP Européens (RIPE), Regional Internet Registries (RIRs), Internet Engineering Task Force (IETF) und anderen, zusammenarbeiten, um dem IT-Sektor eine europäische Orientierungshilfe für die zügige Einführung von IPv6 zu bieten.

4.10   Die Internet-Diensteanbieter (ISP) sind für die Verbreitung und Durchsetzung von IPv6 von grundlegender Bedeutung. ISP, die auch Mobil- oder Fixtelefoniedienste anbieten, sperren sich jedoch aufgrund der Bedrohung ihrer herkömmlichen Einkommensmodelle durch die Internet-Telefonie (VoIP) gegen IPv6 und die Revolution, die dieses neue Protokoll für die Kommunikation in der EU bringen wird. Die großen ISP sollten mittels Sanktionen, Strafen und Lizenzbestimmungen dazu verpflichtet werden, eine Führungsrolle auf EU-Ebene bei der europaweiten Einführung von IPv6 zu übernehmen. Sie verfügen über die Macht und die Ressourcen, um das Herangehen an diese Herausforderung maßgeblich zu beeinflussen.

4.11   Die Kosten der Umstellung von IPv4 auf IPv6 für kleinere Internet-Diensteanbieter und Inhalteanbieter sollten über das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (5) abgefedert werden. Dieses Rahmenprogramm sollte ferner dazu genutzt werden, die Entwicklung von Anwendungen und Diensten zur Förderung dieses neuen Protokolls voranzubringen.

4.12   Nach Meinung des Ausschusses wird in der Mitteilung den Sicherheits- und Datenschutzfragen im Zusammenhang mit der Einführung von IPv6 nicht genügend Augenmerk gewidmet. Diese Fragen sind den Unionsbürgern ein echtes Anliegen und müssen entsprechend angegangen werden, um die Rechte der Bürger zu wahren, das Vertrauen aufzubauen und die Einführung von IPv6 zu erleichtern.

4.13   Die digitale Kluft zwischen Europas Regionen (18) wird mit dem Übergang zu IPv6 noch größer werden, wenn die Europäische Kommission keine spezifischen Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Problems ergreift. Einige EU-Mitgliedstaaten führen nationale Programme durch, um sicherzustellen, dass alle Internet-Nutzer über die Möglichkeit zur Nutzung von IPv6 ab 2010 verfügen. Es bedarf EU-weiter Maßnahmen, um so bald wie möglich den gleichen Zugang zu IPv6 in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

4.14   Der Ausschuss empfiehlt, das potenzielle Problem einer digitalen Kluft in Europa zwischen Regionen, die Zugang zu IPv6 haben, und denjenigen, denen dieser Zugang verwehrt bleibt, im Rahmen der nationalen Breitbandstrategien (6) oder eines ähnlichen Instruments anzugehen. Außerdem sollte wo immer möglich der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Förderung der Einführung von IPv6 eingesetzt werden.

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Siehe „i2010 — Eine europäische Informationsgesellschaft für Wachstum und Beschäftigung“ (KOM(2005) 229 endg.).

(2)  Siehe http://www.ipv6.com/articles/general/IPv6-Olympics-2008.htm.

(3)  Siehe Stellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Funkfrequenzkennzeichung (RFID)“, CESE  ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 66, und zum Thema „Das Internet der Dinge“, CESE , ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 60.

(4)  Siehe u.a. Stellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Schaffung einer sicheren Informationsgesellschaft durch Verbesserung der Sicherheit von Informationsinfrastrukturen und Bekämpfung der Computerkriminalität“, CESE, ABl. C 311 vom 7.11.2001, S. 12, zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Sicherheit der Netze und Informationen: Vorschlag für einen europäischen Politikansatz“, ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 33, zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zur Förderung der sichereren Nutzung des Internet und neuer Online-Technologien“, ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 136, zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Anpassung der Politik im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs an ein sich wandelndes Umfeld: Die Lehren aus der Initiative“ GoDigital „und die künftigen Herausforderungen“, ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 23 und zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Eine Strategie für eine sichere Informationsgesellschaft — Dialog, Partnerschaft und Delegation der Verantwortung“, ABl. C 97 vom 28.4.2007, S. 21.

(5)  Beschluss Nr. 1639/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 zur Einrichtung eines Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (2007-2013).

(6)  Siehe „Hochgeschwindigkeitsverbindungen für Europa: Nationale Breitbandstrategien“ (KOM(2004) 369 endg.).

(7)  IPv4 wird in RFC 791, 1981, spezifiziert. RFC steht für „Request for Comments“ („Aufforderung zur Abgabe von Bemerkungen“), siehe „Internet Engineering Task Force“ (IETF): http://www.ietf.org.

(8)  RFC 2460, 1998; http://www.ietf.org/html.charters/OLD/ipv6-charter.html und http://www.ietf.org/html.charters/6man-charter.html.

(9)  „Tracking the Ipv6 Migration“, Forschungsbericht von Arbor Networks, August 2008, siehe http://www.arbornetworks.com/en/ipv6-report.html.

(10)  Siehe http://www.potaroo.net/tools/ipv4/index.html und http://www.tndh.net/~tony/ietf/ipv4-pool-combined-view.pdf

Eine Prognose älteren Datums mit einer Beschreibung des analytischen Hintergrunds findet sich unter http://www.cisco.com/web/about/ac123/ac147/archived_issues/ipj_8-3/ipv4.html.

(11)  Siehe Pressemitteilung der Europäischen Kommission IP/08/803 vom 27. Mai 2008.

(12)  „Impact of IPv6 on Vertical Markets“ (Auswirkungen des IPv6 auf vertikale Märkte), Oktober 2007 (http://ec.europa.eu/information_society/policy/ipv6/docs/short-report_en.pdf nur auf EN verfügbar).

(13)  Siehe Pressemitteilung der Europäischen Kommission IP/08/803 vom 27. Mai 2008.

(14)  Stellungnahme 2/2002 über die Verwendung eindeutiger Kennungen bei Telekommunikationsendeinrichtungen: das Beispiel IPv6 (http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/docs/wpdocs/2002/wp58_de.pdf).

(15)  Siehe Rede SPEECH/08/336 „Seizing the Opportunities of the Global Internet Economy“ vom 17. Juni 2008 auf dem OECD-Ministertreffen „Future of the internet economy“, Seoul (Korea), 17./18. Juni 2008 (nur auf EN verfügbar).

(16)  Siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Internet_of_Things (sowie DE: http://de.wikipedia.org/wiki/Internet_der_Dinge) und http://www.itu.int/osg/spu/publications/internetofthings/InternetofThings_summary.pdf.

(17)  Siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Ambient_intelligence (sowie DE: http://de.wikipedia.org/wiki/Ambient_Intelligence).

(18)  KOM(2003) 65 endg., KOM(2003) 673 endg., KOM(2004) 61 endg., KOM(2004) 369 endg., KOM(2004) 380 endg.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/97


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EG) Nr. …/… des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 219/2007 des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens zur Entwicklung des europäischen Flugverkehrsmanagementsystems der neuen Generation (SESAR)“

KOM(2008) 483 endg. — 2008/0159 (CNS)

(2009/C 175/18)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 4. September 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 171 und 172 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung (EG) Nr.  …/… des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 219/2007 des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens zur Entwicklung des europäischen Flugverkehrsmanagementsystems der neuen Generation (SESAR)“

KOM(2008) 483 endg. — 2008/0159 (CNS).

Am 16. September 2008 beauftragte das Ausschusspräsidium die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit der Vorbereitung der Arbeiten.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) Frau LE NOUAIL MARLIÈRE zur Hauptberichterstatterin und verabschiedete mit 99 gegen 16 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag, die Gründungsverordnung und die Satzung des gemeinsamen Unternehmens SESAR anzupassen.

1.2   Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, im Bereich der Gleichbehandlung des zur Durchführung des Projekts SESAR abgeordneten und eingestellten Personals, der Vertragsdauer und der Neueinstufung nach Abschluss des Programms zur Entwicklung des europäischen Flugverkehrsmanagementsystems der neuen Generation ein besseres Vorbild abzugeben.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1   Der Ausschuss wird zu dem Vorschlag befasst, die Gründungsverordnung und die Satzung des gemeinsamen Unternehmens SESAR (1) mit dem neuen Konzept in Einklang zu bringen, das die EU für die Errichtung der anderen im Rahmen des 7. Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung (RP7) gegründeten gemeinsamen Unternehmen angenommen hat: CLEAN SKY (2), ENIAC (3), IMI (4), ARTEMIS (5) und FCH (6). Der Ausschuss hat mit einer Ausnahme zu all diesen Vorschlägen eine Stellungnahme abgegeben.

Satzung des gemeinsamen Unternehmens SESAR

2.2.1   Das gemeinsame Unternehmen SESAR existiert rechtlich gesehen seit dem 3.3.2007 und hat seinen Sitz in Brüssel. Die beiden Gründungsmitglieder sind die Europäische Gemeinschaft, vertreten durch die Kommission, und die Organisation Eurocontrol, vertreten durch ihre Agentur.

2.2.2   Die Errichtung des gemeinsamen Unternehmens wurde unmittelbar nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 219/2007 eingeleitet. 2007 wurden die Führungsstruktur (bestehend aus dem Verwaltungsrat und dem Exekutivdirektor) und eine erste Verwaltungsstruktur eingerichtet.

2.2.3   Im Juni 2007 veröffentlichte das gemeinsame Unternehmen SESAR eine Aufforderung zur Interessenbekundung für die Bewerbung um eine Mitgliedschaft. Infolge dieser Aufforderung wurde eine Vorauswahl von 15 Bewerbern getroffen, mit dem Ziel, für den Anfang eine solide Kerngruppe aus Mitgliedern zu bilden, um die Entwicklungsphase von SESAR einzuleiten. Die 15 Mitgliedschaftsanwärter repräsentieren die wichtigsten Akteure des Flugverkehrsmanagementsektors: Flugsicherungsdienstleister, Flughäfen und Ausrüstungshersteller. Die ersten Angebote für die Beiträge zum gemeinsamen Unternehmen SESAR beliefen sich auf insgesamt mehr als 1,4 Mrd. EUR.

2.2.4   Die Industrie hat ihr bereits in der Definitionsphase gezeigtes Engagement für das Programm bekräftigt. Sie hat mit dem gemeinsamen Unternehmen zusammengearbeitet, um eine Verständigung darüber zu erzielen, wie die partnerschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen des gemeinsamen Unternehmens SESAR aussehen soll. Die Abstimmung ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Bereich des Flugverkehrsmanagements auf SESAR und die Zuweisung der erforderlichen Ressourcen stellen einen großen Fortschritt dar. Der Abschluss des Mitgliedschaftsverfahrens ist für Ende 2008 vorgesehen, mit dem Ziel, Anfang 2009 mit den Entwicklungsaktivitäten zu beginnen.

2.2.5   Zwar heißt es in Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 219/2007 „Die Mitgliedstaaten ergreifen alle möglichen Maßnahmen, um dem gemeinsamen Unternehmen die weitestmögliche Befreiung von der Besteuerung in Bezug auf die Mehrwertsteuer und andere Abgaben und Verbrauchsteuern zu gewähren“, doch ist in der Gründungsverordnung keine Rechtsgrundlage dafür vorgesehen, dem gemeinsamen Unternehmen eine Befreiung von der Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern oder die aus dem Protokoll über die den Organen und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaften gewährten Vorrechte und Befreiungen erwachsende Vorteile zu gewähren. Ebensowenig ist vorgesehen, dass sein Personal dem Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften oder den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften unterliegt. Folglich gilt für das gemeinsame Unternehmen und seine Mitarbeiter das belgische Steuer- und Arbeitsrecht.

2.2.6   Die sich aus diesem Sonderstatus ergebenden Kosten in Form von Verwaltungsausgaben für das gemeinsame Unternehmen werden sich insgesamt auf schätzungsweise 300 Mio. EUR belaufen. Davon entsprechen allein 290 Mio. EUR dem Betrag der Mehrwertsteuer und sonstiger Abgaben, die das gemeinsame Unternehmen SESAR wird entrichten müssen. Die übrigen 10 Mio. EUR beziehen sich auf die Personalkosten.

2.2.7   Dieser Betrag wird aus den Beiträgen der Mitglieder zum gemeinsamen Unternehmen bestritten werden, insbesondere aus den gemeinschaftlichen F + E- Mitteln und muss daher von der Finanzierung der Entwicklungsaktivitäten abgezogen werden.

Art der vorgeschlagenen Änderung

2.3.1   Bei den für die Verordnung 219/2007 vorgeschlagenen Änderungen wurde berücksichtigt, dass das gemeinsame Unternehmen SESAR bereits seine Tätigkeit unter einem anderen rechtlichen Status aufgenommen hat. Sie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Anerkennung des gemeinsamen Unternehmens SESAR als eine Einrichtung der Gemeinschaft (Artikel 2 der Verordnung).

Anwendung des Statuts der Beamten und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften sowie der im gegenseitigen Einvernehmen der Organe der Europäischen Gemeinschaften erlassenen Vorschriften auf die Beschäftigten des gemeinsamen Unternehmens SESAR (Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung);

Anwendung des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften auf das gemeinsame Unternehmen, dessen Bedienstete sowie auf den Exekutivdirektor (Artikel 2 Buchstabe b der Verordnung);

Anpassung der Haftungsbestimmungen (Artikel 2 Buchstabe c der Verordnung);

Anpassung der Bestimmungen zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zum anwendbaren Recht (Artikel 2 Buchstabe d der Verordnung);

Quantifizierung des Finanzbeitrags der Gemeinschaft und praktische Regelungen für dessen Übertragung auf das gemeinsame Unternehmen (Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung);

Änderung der Bestimmungen in Bezug auf die Änderung der Satzung des gemeinsamen Unternehmens (Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 5 Absatz 4 der Verordnung sowie Artikel 24 Absatz 2 der Satzung). Diese Änderung ist nicht an die Angleichung der Satzung des gemeinsamen Unternehmens geknüpft. Sie stellt eine Berichtigung des Verfahrens zur Annahme von Änderungen der Satzung des gemeinsamen Unternehmens dar. Der Sinn der ursprünglichen Bestimmung bestand darin, die Annahme von Satzungsänderungen im Regelungsverfahren unter Beteiligung des Ausschusses für den einheitlichen Luftraum zu ermöglichen. Allerdings drückt der Wortlaut der ursprünglichen Bestimmung diese Absicht nicht deutlich aus und muss daher angepasst werden;

Anwendung von Artikel 185 der Haushaltsordnung, insbesondere in Bezug auf: Festlegung einer Finanzordnung im Einklang mit den Rahmenfinanzregelungen für die in Artikel 185 der Haushaltsordnung genannten Einrichtungen (Artikel 4 Buchstabe a der Verordnung) sowie die Entlastung für die Ausführung des Haushalts (Artikel 4 Buchstabe b der Verordnung) und Gestaltung des Haushaltsplans (Artikel 15 Absatz 2 und 4 der Satzung);

Verfahren zur Ernennung des Exekutivdirektors (Artikel 7 Absatz 5 der Satzung);

Bestimmungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (Artikel 17 Absatz 3 der Satzung);

Übergangsbestimmungen für den Übergang zur Beschäftigung der Mitarbeiter des gemeinsamen Unternehmens nach dem EU-Beamtenstatut (Artikel 2 des Vorschlages).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der Ausschuss befürwortet das allgemeine Ziel der Kommission, Lehren aus der Verwaltung des gemeinsamen Unternehmens Galileo und der Gründung des gemeinsamen Unternehmens SESAR (7) zu ziehen und den Rat dazu anzuhalten, den Status des gemeinsamen Unternehmens SESAR zu klären und — angesichts der zunehmenden Zahl gemeinsamer Technologieinitiativen im Rahmen des 7. Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung — die Stimmigkeit mit dem allgemeinen Konzept für gemeinsame Unternehmen zu gewährleisten.

3.2   Der Ausschuss begrüßt die Bemühungen, die finanziellen Ressourcen von SESAR so aufzuteilen, dass sich die unternommenen Anstrengungen im Wesentlichen auf die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit mit dem Ziel der Harmonisierung der Flugverkehrssicherheit konzentrieren. Von der Änderung des Status des gemeinsamen Unternehmens SESAR erhofft sich die Kommission eine Einsparung von etwa 290 Mio. EUR dank der Befreiung von der MwSt. und sonstigen Abgaben und Verbrauchssteuern. Der Übergang zur Beschäftigung der Mitarbeiter nach dem EU-Beamtenstatut wird eine Verbesserung bedeuten. Der Wechsel zu den Beschäftigungsbedingungen der Beamten der Gemeinschaft wird ihnen als Möglichkeit angeboten, sie werden hierzu jedoch nicht gezwungen. Dieser Übergang wird auch positive Auswirkungen (10 Mio. EUR) auf die Verwaltungskosten haben, ohne dass das Gehaltsniveau, die Vorteile und die Zusatzrentenansprüche beschnitten würden, da die Kommission bereits bei der Gründung des gemeinsamen Unternehmens SESAR vorgesehen hat, dass die Mitarbeiter des gemeinsamen Unternehmens laut Satzung „gemäß den Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften“ beschäftigt werden.

3.3   Der Ausschuss nimmt mit Zufriedenheit zur Kenntnis, dass die von der Gemeinschaft über SESAR ausgeübte Kontrolle durch die Anwendung der Haushaltsordnung der Gemeinschaften, der Haushaltsentlastung und der strategischen Verwaltung sowie die eingesetzten Humanressourcen verstärkt wird. Der Vorschlag steht im Einklang mit der Anregung des Ausschusses, in einer seiner früheren Stellungnahmen zu SESAR, in der er betonte, dass „die Errichtung einer juristischen Person für die koordinierte Verwaltung der Mittel des Vorhabens SESAR während seiner Umsetzungsphase unabdingbar“ ist. Der Vorschlag dürfte sich positiv auf die Überwachung des Projekts auswirken. Der Ausschuss stellt fest, dass die sich daraus ergebende Verantwortung der Kommission im Rahmen eines Programms gestärkt wurde, das von der Kommission, von Eurocontrol und von der Luftfahrtindustrie jeweils in Höhe von 700 Mio. EUR finanziert wird, wobei die beiden Letzteren ihren Beitrag in erster Linie in Form von Sachleistungen erbringen. Die bei diesen Beiträgen eingesparte MwSt. wird in die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten fließen.

3.4   Die Entwicklungsphase des gemeinsamen Unternehmens SESAR muss Anfang 2009 beginnen, um das Engagement der Unternehmer zu gewährleisten und sie in die Lage zu versetzen, ihre Aktivitäten auf die Ziele von SESAR abzustimmen. Daher plädiert der Ausschuss ebenso wie die Kommission für eine rasche Verabschiedung der Verordnung, damit die mit den SESAR-Mitgliedern getroffenen Vereinbarungen an die neuen Bestimmungen angepasst werden können. Angesichts der Konkurrenzinitiative NextGen in den USA sind Verzögerungen bei der Verwirklichung von SESAR nicht erwünscht.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Die Gesamtdauer des gemeinsamen Unternehmens SESAR beträgt acht Jahre, nach Abschluss des Programms kehrt demnach das abgeordnete Personal zu Eurocontrol oder in seine ursprünglichen Dienststellen der Kommission zurück. Die Verträge des extern angeworbenen Personals laufen gemäß den bereits bei der Einstellung festgelegten Bedingungen aus. Der Ausschuss stellt fest, dass damit ein Präzedenzfall geschafften wird (Gründung eines Unternehmen für begrenzte Zeit) und verweist auf die Konsequenzen, die sich daraus im Hinblick auf die relative Unsicherheit bestimmter Stellen ergeben. Er empfiehlt der Kommission, ein besseres Vorbild abzugeben, was die Gleichbehandlung der für die Durchführung des Programms SESAR abgeordneten und eingestellten Beschäftigten betrifft.

4.2   Der Ausschuss nimmt die Besonderheit des Sektors zur Kenntnis (Hoheit der Mitgliedstaaten über ihren Luftraum, öffentlich-private Partnerschaften, hoheitliche Dienstleistungen) und empfiehlt, in Anbetracht der Tatsache, dass mit dem gemeinsamen Unternehmen SESAR das Ziel der Harmonisierung und Forschung zur Erreichung einer bestmöglichen Luftverkehrssicherheit verfolgt wird, das Unternehmen nicht nur nach technischen (Ausrüstung) oder kommerziellen (Routen) Gesichtspunkten zu konzipieren, sondern zu berücksichtigen, dass es sich um ein von Menschen (Männer und Frauen, die ihren Beitrag leisten und sicherlich stärker einbezogen werden sollten und größere Beachtung verdient hätten) durchgeführtes Projekt handelt.

4.3   Der Ausschuss nimmt den Beschluss des Verwaltungsrats des gemeinsamen Unternehmens SESAR zur Kenntnis, den er in seiner Sitzung am 24. April 2008 gefasst hat, an der Vertreter der Kommission, von Eurocontrol, des Militärs, der Luftraumnutzer, der Flugsicherungsdienstleister, der Ausrüster, der Flughäfen, des Personals des Flugsicherungssektors, Wissenschaftler, der Exekutivdirektor, der Direktor (m.d.W.d.G.b.) Verwaltung und Finanzen und das Sekretariat teilnahmen. Der Verwaltungsrat hat den Grundsätzen für die Änderung der Satzung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zugestimmt („endorses the principles for the contemplated modification of the Statutes and the related process“).

Brüssel, den 3. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Gegründet durch die Verordnung (EG) Nr. 219/2007 des Rates vom 27. Februar 2007; CESE 975/2006.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 71/2008 des Rates vom 20.12.2007, ABl. L 30 vom 4.2.2008, S. 1; CESE 1443/2007.

(3)  Verordnung (EG) Nr. 72/2008 des Rates vom 20.12.2007, ABl. L 30 vom 4.2.2008, S. 21; CESE 1444/2007.

(4)  Verordnung (EG) Nr. 73/2008 des Rates vom 20.12.2007, ABl. L 30 vom 4.2.2008, S. 38; CESE 1441/2007.

(5)  Verordnung (EG) Nr.74/2008 des Rates vom 20.12.2007, ABl. L 30 vom 4.2.2008, S. 52.

(6)  Verordnung (EG) Nr.o 521/2008 des Rates vom 30.5.2008, ABl. L 153 vom 12.6.2008, S. 1; CESE 484/2008.

(7)  Das gemeinsame Unternehmen SESAR ist nach GALILEO erst das zweite gemäß Artikel 171 des Vertrags gegründete gemeinsame Unternehmen.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/100


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Wettbewerbsfähigkeit der Metallindustrie — Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“

KOM(2008) 108 endg. — SEK(2008) 246

(2009/C 175/19)

Die Europäische Kommission beschloss am 22. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Wettbewerbsfähigkeit der Metallindustrie — Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“

KOM(2008) 108 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 18. November 2008 an. Berichterstatter war Herr ZÖHRER, Ko-Berichterstatter Herr CHRUSZCZOW.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 160 gegen 6 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Die enorme reale Wertschöpfung, die in der Metallindustrie und ihren nachgelagerten Produktionen erzielt wird, stellt einen unverzichtbaren Beitrag zur Entwicklung der gesamten europäischen Wirtschaft dar. Die Metallindustrie steht in einem globalen Wettbewerb und ist in den vergangenen Jahren immer wieder von umfangreichen Veränderungen und Umstrukturierungen erfasst worden.

1.2   Künftige Umstrukturierungen werden in einem engen Zusammenhang mit der zunehmenden Globalisierung der Wertschöpfungsketten der Metallindustrie (von den Rohstoffen bis zur Weiterverarbeitung) stehen. Dies erfordert einen neuen Ansatz in der Industriepolitik, der auf Innovation, Qualifikation und faire globale Wettbewerbsbedingungen abzielt.

Im Wesentlichen stimmt der Ausschuss der in der Mitteilung der Kommission beschriebenen Analyse der Merkmale des Sektors zu. Wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich bei der Metallindustrie nicht um einen homogenen Sektor handelt und allgemeine Aussagen nur schwer zu treffen sind. Viele der von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen sind ein wenig zu allgemein gehalten. In einem Follow-up zur gegenständlichen Mitteilung fordert der Ausschuss die Kommission auf, einen Zeitplan mit einem konkreten Maßnahmenkatalog zu erstellen, der auch auf die einzelnen Untersektoren eingeht.

1.3.1   Der Ausschuss regt an, eigene Studien zu den einzelnen Sektoren durchzuführen, die aufbauend auf den Erfahrungen der EGKS durch ein Monitoring und einen sozialen Dialog begleitet werden.

1.4   In der Energiepolitik fordert der Ausschuss Maßnahmen, die durch Markt- und Preistransparenz eine sichere, auf längerfristigen Verträgen basierende Versorgung ermöglichen. Lücken in den Versorgungsnetzen müssen geschlossen werden. Darüber hinaus wird auf die Bedeutung erneuerbarer Energieträger und den Beitrag, den die Industrie selbst zur Strom- und Wärmeerzeugung leistet, hingewiesen.

In der Umweltpolitik geht es vor allem darum, Lösungen zu finden, die die Ziele des Klimaschutzes mit Beschäftigung, Wachstum und globaler Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringen. Um Wettbewerbsnachteile für die europäische Metallindustrie zu vermeiden, fordert der Ausschuss:

Priorität für internationale Abkommen;

Förderung der Verbreitung der besten und energieeffizientesten Technologien;

Berücksichtigung bereits getätigter Investitionen;

den Fähigkeiten der einzelnen Sektoren zur Verminderung der Emissionen unter Berücksichtigung technischer Standards Rechnung zu tragen;

rasche Entscheidung zur Anerkennung der Gefahr der Verlagerung von CO2-Emissionsquellen (carbon leakage).

1.5.1   Der Ausschuss unterstützt die Vorhaben der Kommission zur IPPC-Richtlinie, zum Abfallrecht, zu REACH und zur Normung, erwartet aber eine konkrete Ausformulierung der einzelnen Vorschläge.

1.6   Dem Recycling von Rohstoffen und der Verringerung der Materialintensität bzw. der Forschung nach „Ersatzmaterialien“ wird in Zukunft eine immer größere Bedeutung zukommen (sowohl im Hinblick auf die Bedeutung für den Umweltschutz als auch aus handelspolitischen Erwägungen).

1.7   Der Ausschuss unterstützt das Engagement der Kommission zur Intensivierung der Innovation, der Forschung und Entwicklung und der Verbesserung der Qualifikation. Als Beispiel gilt hier das ULCOS-Projekt (Ultra Low CO2 Steelmaking) im Rahmen der Europäischen Plattform für Stahltechnologie (ESTEP). Für den zweiten Teil des 7. Rahmenprogramms regt der Ausschuss eine Überprüfung der Effizienz der bereits bestehenden Programme an und erwartet eine bessere Abstimmung und Unterstützung. Im Bereich der Aus- und Weiterbildung sind beträchtliche Investitionen in die Qualifikationsbasis vonnöten.

1.8   Handelspolitische Fragen sind für die im globalen Wettbewerb stehende Metallindustrie von größter Bedeutung. Der Ausschuss ist der Meinung der Kommission, dass in handelspolitischen Fragen ein enger Dialog mit Drittländern zu pflegen ist. WTO-konforme handelspolitische Instrumente gegen Praktiken, die die EU-Metallindustrie benachteiligen oder diskriminieren, müssen aber weiter zur Verfügung stehen.

1.9   Die Metallindustrie steht vor weitreichenden sozialen Herausforderungen, wie zum Beispiel:

weitere Umstrukturierungen;

alternde Belegschaften;

steigende Qualifikationserfordernisse;

Sicherheit und Gesundheitsschutz.

Der Ausschuss zeigt sich ein wenig verwundert, dass die Kommission keine konkreten Maßnahmen oder Empfehlungen zu den sozialen Aspekten in ihrer Mitteilung anführt. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, den sozialen Dialog in den betroffenen Sektoren (weiter) zu fördern, da dies der richtige Ort ist, diese Fragen zu erörtern.

2.   Begründung/Inhalt der Mitteilung

2.1   In dieser Mitteilung wird die Wettbewerbsfähigkeit der Metallindustrie bewertet und es werden Empfehlungen für die künftige Vorgehensweise ausgesprochen. Sie schließt an die Mitteilung der Kommission von 2005 über die Industriepolitik der EU an, in der mehrere sektorbezogene Initiativen, einschließlich einer Mitteilung über die Auswirkungen der Rohstoff- und Energieversorgung auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Metallindustrie (1), angekündigt wurden. Außerdem wird auch auf die Halbzeitbewertung der Industriepolitik von 2007 (2) eingegangen.

2.2   Als eine ihrem Wesen nach äußerst energieintensive Branche ist die Metallindustrie direkt von den politischen Maßnahmen der Gemeinschaft in den Bereichen Energie und Klimawandel betroffen. So wurde auf dem Europäischen Rat (März 2007) „die große Bedeutung der energieintensiven Teile der Wirtschaft“ hervorgehoben. Weiter hieß es, „dass kosteneffiziente Maßnahmen erforderlich sind, um sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Umweltverträglichkeit dieser Industriezweige in Europa zu verbessern“ In diesem Zusammenhang ist die Kommission in ihrem Paket zum Thema Klimawandel und erneuerbare Energien vom 23. Januar 2008 auf die besondere Lage der energieintensiven Industriezweige eingegangen, die dem globalen Wettbewerb direkt ausgesetzt sind.

2.3   Die Kommission schlägt ein Paket von 16 Maßnahmen in den Bereichen Energie, Umwelt, Normung, Innovation, Forschung und Entwicklung, Qualifikation, Außenbeziehungen und Handelspolitik vor.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Wie bereits in seiner Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des verarbeitenden Gewerbes in der EU — Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“ (KOM(2005) 474 endg.) vom 20. April 2006 begrüßt der Ausschuss generell die sektorspezifischen Aktivitäten der Kommission zur Hebung der Wettbewerbsfähigkeit und der Sicherung der Beschäftigung.

Die Metallindustrie in Europa zählt zu den wichtigsten Sektoren in der Wertschöpfungskette vieler Wirtschaftszweige. Berechnungen der Industrie gehen davon aus, dass zum Beispiel die der Stahlindustrie nachgelagerten Industrien einen Umsatz von 3 157 Mrd. EUR erwirtschaften und 23 Millionen ArbeitnehmerInnen beschäftigen (siehe Anhang 1). Für die anderen Zweige der Metallindustrie liegen leider keine Berechnungen vor. Stahlerzeugnisse finden weithin als wichtiges Baumaterial Anwendung, insbesondere für energieeffiziente Infrastrukturbauten. Deshalb wird es im Hinblick auf Europas Fähigkeit zur weiteren Entwicklung und Anpassung an den Klimawandel vor allem auf eine stabile Versorgung des EU-Marktes mit Stahl ankommen.

3.2.1   Angesichts der gegenwärtigen Krise auf den Finanzmärkten erscheint es dem Ausschuss besonders wichtig zu betonen, dass die enorme reale Wertschöpfung, die in der Metallindustrie und ihren nachgelagerten Produktionen erzielt wird, einen unverzichtbaren Beitrag zur Entwicklung der europäischen Wirtschaft darstellt. Die führende Rolle, die die europäische Metallindustrie in vielen Bereichen hat, ist auch die Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit anderer Industriezweige. Dieses Know-how muss in Europa gehalten und weiterentwickelt werden.

Die Metallindustrie steht in einem globalen Wettbewerb und ist in den vergangenen Jahren immer wieder von umfangreichen Veränderungen und Umstrukturierungen erfasst worden. Diese haben zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit beigetragen, aber auch zu massiven Verlusten an Arbeitsplätzen geführt. Diese Umstrukturierungen sind aber nicht nur technologisch oder mit der Verbesserung der Produktivität zu begründen. Ein Teil ist auch darauf zurückzuführen, dass bestimmte Produktionen aus Europa ausgelagert wurden (zum Beispiel die Produktion von Rohaluminium), wobei Energiekosten, Umweltauflagen und die Nähe zu Rohstoffen eine Rolle spielen. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, und mit weiteren Umstrukturierungen muss gerechnet werden. Wobei künftige Umstrukturierungen in einem engen Zusammenhang mit der zunehmenden Globalisierung der Wertschöpfungsketten der Metallindustrie (von den Rohstoffen bis zur Weiterverarbeitung) stehen werden.

3.3   Von der aktuellen Debatte um den Klimaschutz sind diese Industriezweige aufgrund ihrer hohen Energieintensität besonders betroffen. Es geht nicht nur um den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch um die Sicherung von Beschäftigung in den betroffenen Industrien. Daher ersucht auch der Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ in seinen Schlussfolgerungen vom 3. Juni 2008 die Kommission und die Mitgliedstaaten, „… Gespräche mit der Wirtschaft und mit Drittländern über die Frage sektorspezifischer Ansätze aktiv weiterzuführen, um wirksame Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen zu fördern und so auch der Verlagerung von CO2-Emissionsquellen entgegenzuwirken.“

Im Übrigen stimmt der Ausschuss der Analyse der Merkmale des Sektors, wie sie von der Kommission vorgenommen wurde, zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Mitteilung auf Vorarbeiten aufbaut, die bereits 2004 begonnen haben, und es sich bei der Metallindustrie nicht um einen homogenen Sektor handelt.

3.4.1   Bezüglich der Abgrenzung der in Rede stehenden Sektoren herrscht aber noch Unklarheit. Die Kommission bezieht sich bei der Definition auf den NACE-Kode 27, während die in den Dokumenten (Mitteilung und Anhang) enthaltenen Daten lediglich einen Teil der Untersektoren (Primärindustrie und Halbverarbeitung) widerspiegeln. Hier sollte die Kommission eine präzisere Beschreibung vornehmen, zumal pauschale Aussagen aufgrund der Vielfalt der verschiedenen Untersektoren (26 Industriesektoren in 5 Gruppen/lt. NACE 27) und den unterschiedlichen Strukturen (in der Grundstoffindustrie in der Mehrzahl große Unternehmen und in der Weiterverarbeitung viele KMU) nur schwer zu treffen sind.

Die Kommission schlägt in ihrer Mitteilung eine Reihe von Maßnahmen vor, die darauf abzielen, das Umfeld für die betroffenen Industrien zu verbessern. Diese müssen auch im Zusammenhang mit anderen, scheinbar widersprüchlichen politischen Zielsetzungen der Gemeinschaft gesehen werden, die gleichzeitig behandelt werden. Der Ausschuss bedauert daher, dass viele der Vorschläge ein wenig zu allgemein gehalten sind, und fordert die Kommission auf, in einem Follow-up zu der gegenständlichen Mitteilung einen Zeitplan mit einem konkreteren Maßnahmenkatalog zu erstellen, der auch auf die einzelnen Untersektoren eingeht. Dies ist vor allem deswegen notwendig, da Investitionsentscheidungen in der Metallindustrie von mittel- bis langfristiger Natur sind und von den Maßnahmen beeinflusst werden.

3.5.1   Der Ausschuss regt an, in Zusammenarbeit mit den Betroffenen eigene Studien über die Entwicklung der Nachfrage, der Produktion und der Technologien in den einzelnen Sektoren durchzuführen, die aufbauend auf den Erfahrungen der EGKS durch ein permanentes Monitoring und einen sozialen Dialog begleitet werden. Die Stahlindustrie dient dabei als Beispiel. Der EGKS-Vertrag sah für den Bereich Eisen und Stahl die Erhebung von Tatbeständen vor, die weit über das Maß der „Allgemeinen Industriestatistik“ hinausgingen. Nach dem Ende des EGKS-Vertrags im Jahre 2002 hat sich die europäische Stahlindustrie erfolgreich dafür eingesetzt, zumindest übergangsweise einige wesentliche statistische Sondererhebungen weiterzuführen, die nicht von der „Allgemeinen Industriestatistik“ abgedeckt sind. Umgesetzt wurde dies auf europäischer Ebene durch die Verordnung (EG) Nr. 48/2004. Der Ausschuss spricht sich für eine Fortsetzung der befristeten Verordnung aus und schlägt vor, auch für andere Bereiche der Metallindustrie ähnlich umfangreiche Erhebungen durchzuführen, da sich immer öfter zeigt, dass die allgemeinen Industriestatistiken zu wenig aufschlussreich sind, um konkreten politischen Handlungsbedarf daraus abzulesen.

4.   Besondere Bemerkungen zu den Vorschlägen der Kommission

4.1   Energiepolitik

4.1.1   Wie die Kommission richtig feststellt, beeinträchtigen Schwankungen wie die zuletzt rapide gestiegenen Gas- und Strompreise sowie die Einschränkungen der Sicherstellung der Energieversorgung mittels langfristiger Verträge die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Metallindustrie.

4.1.2   Es müssen Maßnahmen getroffen werden, die eine verbesserte Vorausschau auf die Preisentwicklung ermöglichen, höhere Markttransparenz garantieren und eine freie Wahl der Energieanbieter ermöglichen. Dazu werden sowohl die Rechtsetzung als auch die Anerkennung der Vereinbarkeit von geübten Praktiken mit dem Gemeinschaftsrecht beitragen müssen.

4.1.3   Die Überprüfung der Möglichkeiten für langfristige Lieferverträge ist eine der wichtigsten Maßnahmen, um die Berechenbarkeit der Versorgungsbedingungen zu verbessern. Dabei ist auch zu bedenken, inwiefern die betroffenen Energieversorger dann an dem Auktionssystem des ETS (EU Emission Trading Scheme) teilnehmen können oder nicht.

4.1.4   Lösungen zur Schließung von Lücken in der Infrastruktur im Energietransport (Transeuropäische Netze) sind nötig, um einen freien Zugang zum Energiemarkt für alle betroffenen Unternehmen zu garantieren.

4.1.5   Längerfristig ist der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien ein wesentlicher Faktor für die unabhängige Versorgung der EU-Industrien. Die Metallindustrie leistet einen Beitrag zum Erfolg der EU-Politik zur verstärkten Energieerzeugung (Strom und Wärme) aus erneuerbaren Energiequellen. In den Prozessen der Stahlerzeugung sowie in Kokereien fallen wertvolle Gase an, nämlich Hochofengas, Konvertergas (Sauerstoffblasstahlgas) und Kokereigas. Diese Gase enthalten unterschiedliche Anteile an Kohlenmonoxid (bei Konvertergas bis zu 65 %), Kohlendioxid, Stickstoff und Wasserstoff (bei Kokereigas bis zu 60 %). Statt sie abzublasen oder abzufackeln, können diese Gase effektiv zur Strom- und/oder Wärmeerzeugung genutzt werden. Dies geschieht zu einem guten Teil bereits heute, es müssen aber Anstrengungen unternommen werden, diese Technologien weiter zu entwickeln.

4.1.6   Im Übrigen verweist der Ausschuss darauf, dass er sich in mehreren Stellungnahmen zum Thema Energiepolitik geäußert hat (zuletzt CCMI/052 und verschiedene TEN-Stellungnahmen).

4.2   Umweltpolitik

4.2.1   Die Metallindustrie ist bereits von einer großen Zahl von EU-Vorschriften im Bereich der Umweltpolitik betroffen, deren Umsetzung und Einhaltung die Industrie permanent vor die Herausforderung stellen, die unterschiedlichen Zielsetzungen zu vereinbaren (so ist zum Beispiel die Vermeidung von Schadstoffausstößen zum Teil mit erhöhtem Energieverbrauch verbunden, was wiederum der Energieeffizienz abträglich ist). Zweifellos zählen Teile der Metallindustrie zu den energieintensiven Branchen, die einem starken internationalen Kostenwettbewerb ausgesetzt sind. Die betroffenen Industriezweige zählen zu den Verursachern großer Mengen von CO2. Würden die von der Kommission vorgesehenen Maßnahmen zum Klimawandel, insbesondere die Ausdehnung des ETS, ohne weitere Einschränkungen auf die Metallindustrie angewendet, könnte das zu Verlagerungen der Investitionen (die auch heute schon feststellbar sind) und Verlusten an Arbeitsplätzen führen (risk of carbon leakage). Der beabsichtigte Effekt für den Klimawandel bleibt aber aus, solange sich nicht alle Länder diesen Zielsetzungen unterwerfen.

4.2.2   Oberste Priorität muss daher dem Abschluss verbindlicher, internationaler Abkommen mit klaren Kriterien für ihre Wirksamkeit und Überprüfbarkeit gelten, um Wettbewerbsnachteile für die europäische Industrie zu vermeiden und dem Klimawandel auf globaler Ebene entgegenzuwirken.

Weite Teile der Metallindustrie haben bereits in der Vergangenheit umfangreiche Investitionen in energieeffiziente Technologien getätigt. So ist die europäische Stahlindustrie zum Beispiel führend, was die Einsparung von CO2-Emissionen betrifft, und hat damit in vielen Unternehmen die Grenze der durch Technologie möglichen Emissionsreduktionen in der Produktion erreicht. Das Ziel einer 21 %igen Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 (gemessen an den Werten von 2005) sollte allen unter das EU-Emissionshandelssystem fallenden Sektoren (Energiewirtschaft und energieintensive Sektoren) zusammen gestellt werden; bei der Aufteilung der Anstrengungen ist der Fähigkeit der einzelnen Sektoren zur Verminderung der Emissionen unter Berücksichtigung technischer Zwänge ohne Beeinträchtigung der Erzeugungskapazität Rechnung zu tragen.

4.2.3.1   Der Rat hat festgelegt, dass es durch die geplanten internationalen Abkommen zu einer wesentlich ambitionierteren Zielsetzung von bis zu 30 % Einsparung an CO2 kommen wird. Der Ausschuss betont in diesem Zusammenhang, dass hier zu klären ist, in welchen Bereichen diese Einsparungen erzielt werden sollen. Zweifellos kann dies nicht alleine in den derzeit vom ETS betroffenen Sektoren erfolgen. Nach Ansicht des Ausschusses müssen dabei auch Maßnahmen in Bereichen wie zum Beispiel der Gebäudeisolierung, der Transport- und Verkehrsorganisation oder allgemeine Energieeffizienz usw. im Vordergrund stehen.

4.2.4   Nach Ansicht des Ausschusses sollten daher die Prioritäten bei den Maßnahmen zunächst in die Verbreitung der besten und energieeffizientesten Technologien und in weiterer Folge der Forschung und Entwicklung in Richtung der Verbesserung dieser Technologien und neuer Materialien gesetzt werden. Der technische Standard muss sowohl bei den Maßnahmen auf EU-Ebene als auch in den Verhandlungen über ein internationales Klimaschutzabkommen berücksichtigt werden.

Die Kommission sollte möglichst rasch einen diesbezüglichen Plan erstellen, der alle geplanten Maßnahmen und Schritte enthält, um eine weitere Verunsicherung in der Industrie zu vermeiden. Der Ausschuss verweist in diesem Zusammenhang auf Artikel 10 b des Kommissionsvorschlags zum ETS (3).

4.2.5   Bezüglich der IPPC-Richtlinie unterstützt der Ausschuss die Vorhaben der Kommission zur Harmonisierung, was nicht zuletzt zur Vereinfachung und besseren Rechtsetzung beiträgt. Als Basis für die Zertifizierung und den Betrieb industrieller Standorte muss die kodifizierte Richtlinie aber auf den individuellen Stand der technischen Entwicklung Rücksicht nehmen. Die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Metallindustrie darf nicht durch Auflagen gefährdet werden, die nicht auf die technologischen Möglichkeiten abgestimmt sind.

4.2.6   Hinsichtlich der Vorschläge zum Abfallrecht, zu REACH und zur Normung stimmt der Ausschuss der Kommission im Grundsatz zu, erwartet aber eine konkretere Ausformulierung der einzelnen Vorschläge.

4.3   Innovation, Forschung und Entwicklung, Qualifikation

4.3.1   Der Ausschuss unterstützt das Engagement der Kommission zur Intensivierung der Innovation, der Forschung und Entwicklung und der Verbesserung der Qualifikation.

4.3.2   Die Europäische Plattform für Stahltechnologie (ESTEP) trägt zur Gestaltung der Zukunft bei, indem sie ambitionierte FuE-Programme (im Rahmen der Strategic Research Agenda, SRA) für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit vorschlägt. Vorrangige Zielstellung dieser Agenda ist die Verminderung der Umweltbelastung in den Prozessen und die Entwicklung moderner Produkte mit zusätzlichem Mehrwert und mehr Effizienz über die gesamte Lebensdauer. Das ULCOS-Projekt (Ultra Low CO2 Steelmaking) ist z.B. das erste Großvorhaben der Stahlplattform zur drastischen Senkung des CO2-Ausstoßes. Das Projekt ist das weltweit ehrgeizigste seiner Art und bereits ein großer Erfolg: vier vielversprechende Verfahren wurden ausgewählt und müssen jetzt im industriellen Maßstab getestet und mit CO2-Sequestrierungstechnologien verbunden werden. Die Stahlplattform leistet auch indirekte Beiträge zu Klimaschutz- und Energiefragen durch die Entwicklung vollständig wiederverwendbarer Leichtstahllösungen, z.B. für die Automobilindustrie und die Bauwirtschaft, und durch effiziente neue Lösungen für die Entwicklung zukunftsträchtiger Energiequellen (z.B. Windkraft).

4.3.3   Die Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten ist eine wesentliche Voraussetzung für die Nachhaltigkeit des Sektors in Europa, weshalb beträchtliche Investitionen zur Verbesserung der Qualifikationsbasis nötig sind, z.B. durch Anwerben von talentierten Hochschulabsolventen und durch Entwicklung des lebensbegleitenden Lernens, insbesondere e-Learning. Im Hinblick auf dieses gesamtgesellschaftliche Ziel bedarf es der Unterstützung sowohl der EU als auch der Hochschulen (4).

4.3.4   Der Ausschuss regt aber auch eine Überprüfung der Effizienz der bereits bestehenden Programme an. So führt zum Beispiel die im Rahmen der Europäischen Stahlplattform eingeführte „Strategic Research Agenda“ in den ersten Ausschreibungen des 7. Rahmenprogramms zu enttäuschenden Ergebnissen (weniger als 10 % Erfolgsrate), weil die Ausschreibungen offenbar nicht die Prioritäten der SRA abdecken. Für den zweiten Teil des 7. Rahmenprogramms wird eine bessere Abstimmung und Unterstützung erwartet.

4.4   Außenbeziehungen und Handelspolitik

4.4.1   Der Ausschuss begrüßt den Ansatz der Kommission, der Versorgung der Industrie mit Rohstoffen hohe Priorität einzuräumen. In diesem Zusammenhang muss allerdings darauf verwiesen werden, dass dies nicht nur eine reine Frage der Außenbeziehungen und des Außenhandels ist, wie das in seiner Stellungnahme CCMI/056 „Abbau nichtenergetischer Rohstoffe“ zum Ausdruck gebracht wird. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass dem Recycling von Rohstoffen und der Verringerung der Materialintensität bzw. der Forschung nach „Ersatzmaterialien“ in Zukunft eine immer größere Bedeutung zukommen wird (nicht nur aus handelspolitischen Erwägungen, sondern auch im Hinblick auf die Bedeutung für den Umweltschutz).

4.4.2   Besonderes Augenmerk ist auf die in vielen Rohstoffbereichen vorhandene Konzentration auf nur wenige weltweit tätige Konzerne zu richten, die zu einem Preisdiktat führt.

4.4.3   Der Ausschuss ist der Meinung der Kommission, dass in handelspolitischen Fragen ein enger Wirtschaftsdialog mit Drittländern zu pflegen ist. WTO-konforme handelspolitische Instrumente gegen Praktiken, die die EU-Metallindustrie benachteiligen oder diskriminieren, müssen aber weiter zur Verfügung stehen und es müssen klare Signale gegeben werden, dass diese auch angewandt werden, wenn durch den Dialog keine Fortschritte erzielt werden.

4.5   Soziale Aspekte

4.5.1   Angesichts der Herausforderungen, wie beispielsweise das Altern der Arbeitskräfte (vor allem in der Stahlindustrie), die Qualifikationserfordernisse und der weiter voranschreitende Strukturwandel, verwundert es den Ausschuss, dass die Kommission keine Maßnahmen oder Vorschläge an die Industrie zu den sozialen Aspekten, die sie in ihrer Mitteilung anführt, macht.

4.5.2   Ein besonderes Augenmerk ist auf die Thematik der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes zu legen, da die Metallindustrie zu jenen Industrien gehört, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist.

4.5.3   Der Ausschuss weist in diesem Zusammenhang erneut auf die Bedeutung des sozialen Dialoges hin.

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  KOM(2005) 474 endg., Anhang II.

(2)  KOM(2007) 374 endg. vom 4.7.2007.

(3)  KOM(2008) 16 endg. vom 23.1.2008.

(4)  Hier muss angemerkt werden, dass es schon Initiativen in der Metallindustrie zur Förderung/Erhöhung der Mobilität der Fachkräfte im Metallbereich in Europa gibt, wie zu Beispiel den „EMU-Pass“ (www.emu-pass.com).


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/105


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine innovative und nachhaltige forstbasierte Industrie in der EU — Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“

KOM(2008) 113 endg.

(2009/C 175/20)

Die Europäische Kommission beschloss am 27. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine innovative und nachhaltige forstbasierte Industrie in der EU — Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“

KOM(2008) 113 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 18. November 2008 an. Berichterstatter war Herr BURNS, Ko-Berichterstatter Herr STUDENT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 167 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

Unter Berufung auf die in der Stellungnahme genannten Gründe spricht der EWSA folgende Empfehlungen aus:

1.1   Erweiterung des Begriffs der forstbasierten Industrie, um auch Waldbesitzer und andere Wirtschaftsakteure wie Forstunternehmen einzubeziehen und die Probleme und Chancen vom Beginn der Wertschöpfungskette an erkennen zu können;

1.2   Weitere Verbesserung (u.a. durch Studien) der bestehenden europäischen Datenbanken, in denen das Aufkommen und die potenzielle Qualität des gesamten erntefähigen Holzes sowie die Nutzung des (europäischen und des importierten) Holzes durch die forstbasierte Industrie erfasst ist, damit sie vollständig, aktuell und vergleichbar sind.

1.3   Unterstützung einer verstärkten Erzeugung und Mobilisierung von Holz aus europäischen Wäldern sowie dessen wohldurchdachte Verwendung für verschiedene Zwecke in den Mitgliedstaaten;

1.4   Förderung einer stärkeren Nutzung von Holz und holzbasierten Materialien;

1.5   Unterstützung von Maßnahmen zur Verbesserung des Ansehens der forstbasierten Industrie;

1.6   Förderung der Anerkennung der Bedeutung von Holz und Holzprodukten bei der Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels, d.h. ihrer Funktion als Kohlenstoffspeicher;

1.7   Schutz der Branche vor den negativen Auswirkungen des Emissionshandelssystems;

1.8   Beseitigung von Beschränkungen beim Handel mit Holz und Holzprodukten und Sicherstellung eines freien und fairen Handels;

1.9   Auseinandersetzung mit dem Forschungsbedarf der Branche, wie er in Zusammenhang mit der Technologieplattform für den forstbasierten Sektor (Forest-based Sector Technology Platform — FTP) über das Siebte Forschungsrahmenprogramm und damit verbundene Programme festgestellt wurde;

1.10   Aufruf an die zuständigen EU-Organe und die Wirtschaft, der verstärkten Durchsetzung der für die forstbasierte Industrie relevanten Maßnahmen, Regelungen und Programme in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz besonderes Augenmerk zu schenken, um diesbezüglich in den Mitgliedstaaten einheitliche Verhältnisse zu schaffen.

1.11   Entwicklung einer europaweit anerkannten beruflichen Bildung und Qualifikation für die gesamte „Forst-Holz“-Kette, die dem Bedarf der Branche entspricht;

1.12   Ermutigung der nationalen Behörden sowie der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, das Potenzial der kommerziellen Forstwirtschaft und der forstbasierten Industrie zu nutzen. Verstärkte Investitionen in die Straßen- und anderen Infrastrukturen ländlicher Gebiete wären sicherzustellen;

1.13   In Verbindung mit dem Forstaktionsplan Entwicklung von Systemen zur Bewertung des wirtschaftlichen und sozialen Nutzens einer multifunktionellen Forstwirtschaft sowie der nicht-holzbezogenen Dienstleistungen des Waldes und Gewährleistung, dass diese künftig als Bestandteile ein und desselben Industriezweigs angesehen werden, der Waldbesitzer, Forstunternehmen usw. umfasst;

2.   Hintergrund

2.1   Die der vorliegenden Stellungnahme zugrunde liegende Mitteilung (KOM(2008) 113 endg., (im Folgenden „die Mitteilung“) über die „innovative und nachhaltige forstbasierte Industrie in der EU“ geht zurück auf die „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Stand der Wettbewerbsfähigkeit der holzverarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige in der EU“ (KOM(1999) 457 endg.) und die „Mitteilung der Kommission — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft“(KOM(2005) 474 endg.). Zudem steht sie in Zusammenhang mit dem fünf Jahre (2007-2011) umfassenden EU-Forstaktionsplan (KOM(2006) 302 endg.), dessen Ziel es ist, anhand von 18 „Schlüsselaktionen“ eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und die multifunktionale Rolle von Wäldern zu unterstützen und zu fördern. Eine dieser Schlüsselaktionen (Nr. 17) zielt insbesondere auf die „Förderung der Verwendung von Holz und anderen Forsterzeugnissen aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern“ ab.

2.2   Thema der Mitteilung sind in erster Linie die Probleme der „forstbasierten Industrie“, die per Definition die Zellstoff-, Papier und Papierverpackungen herstellende Industrie, die holzverarbeitende Industrie wie Sägewerke und Holzwerkstoffproduzenten sowie die Kork- und Druckindustrie umfasst. Die Mitteilung setzt sich somit weder unmittelbar mit dem Forstsektor, der den wichtigsten Rohstoff der forstbasierten Industrie, nämlich Holz, liefert, noch mit anderen Gruppen auseinander, die im Umfeld der Forstwirtschaft unternehmerisch tätig sind bzw. deren Lebensunterhalt vom Wald abhängt.

3.   Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

3.1   In ihrer Mitteilung stellt die Europäische Kommission die Probleme der forstbasierten Industrie heraus und behandelt Themen wie den globalen Wettbewerb, den Klimawandel, Energie- und Holzversorgung usw. sowie deren mögliche Auswirkungen auf die künftige Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit der Branche.

3.2   Die forstbasierte Industrie ist ein bedeutender Teil der europäischen Wirtschaft, dem häufig eine wichtige Rolle bei der Erhaltung nachhaltiger Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten zukommt.

3.3   Die Probleme werden anhand von 19 „Maßnahmen“ unter den folgenden Stichpunkten behandelt:

a)

Zugang zu Rohstoffen (8 Maßnahmen)

b)

Klimaschutzpolitik und Umweltvorschriften (4 Maßnahmen)

c)

Innovation und FuE (4 Maßnahmen)

d)

Handel und Zusammenarbeit mit Drittländern (2 Maßnahmen)

e)

Kommunikation und Information (1 Maßnahme)

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der EWSA begrüßt den Umstand, dass sich die Kommission den Problemen der forstbasierten Industrie widmet und befürwortet die vorgeschlagenen Maßnahmen. Er dringt darauf, dass diese Vorschläge nicht nur auf dem Papier stehen bleiben, sondern möglichst bald umgesetzt werden.

4.2   Der EWSA ist sich zwar über den Hintergrund und die Grundlage der Mitteilung im Klaren, bedauert jedoch, dass den Akteuren am Beginn der Wertschöpfungskette, etwa den Waldbesitzern und Forstunternehmen, oder den anderen Waldfunktionen und damit zusammenhängenden Tätigkeiten (sog. „Wald-Cluster“) wenig oder gar keine Beachtung geschenkt wird.

4.3   Der EWSA dringt darauf, der Notwendigkeit einer rentablen Forstwirtschaft als Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Wertschöpfungskette mehr Bedeutung beizumessen. Durch eine rentable Forstwirtschaft wird eine nachhaltige Waldbewirtschaftung gefördert, werden Anreize für Investitionen in der Branche geschaffen sowie eine sichere Versorgung mit Holz gewährleistet.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Zugang zu Rohstoffen

5.1.1   Der EWSA zeigt sich besorgt darüber, dass Entscheidungen, die die Forstwirtschaft und die forstbasierte Industrie betreffen, nicht immer auf vollständigen, aktuellen und vergleichbaren statistischen Angaben über die Verfügbarkeit und die Nutzung von Holz aus europäischen Wäldern beruhen und dies eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage sowie eine Verfehlung der gesetzten Ziele zur Folge hat. Ebenfalls wichtig wären Kenntnisse über das vorhandene und künftige Aufkommen des von der forstbasierten Industrie genutzten Holzes, unabhängig davon, ob es sich um Holz aus europäischen oder außereuropäischen Wäldern handelt.

5.1.2   Durch politische Initiativen auf europäischer Ebene, insbesondere diejenigen zur Förderung der Nutzung von Biomasse und erneuerbaren Energiequellen, wird die Verfügbarkeit des Rohstoffs Holz für die forstbasierte Industrie, teilweise aufgrund wettbewerbsverzerrender Subventionen, zusätzlich erschwert. Der EWSA zeigt sich besorgt über die Folgen für die forstbasierte Industrie. Im Hinblick auf die wachsende Konkurrenz um den Rohstoff Holz als Energiequelle befürwortet der EWSA eine wohldurchdachte Nutzung der Waldressourcen für verschiedene Zwecke. Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, sich noch eingehender mit dem Konzept der „Energiewälder“ zur Versorgung des Biomasse-Energiemarktes zu befassen (Holz aus Kurzumtriebsplantagen).

5.1.3   Der Markt sollte von den normalen Marktmechanismen reguliert und nicht durch die einseitige Subvention einer Nutzungsart verzerrt werden.

5.1.4   Obwohl verstärkte Holzimporte keine praktikable Lösung für dieses neue Problem darstellen, sollten diese Importe nicht durch mengenmäßige, rechtliche oder andere Auflagen behindert werden.

5.1.5   Der EWSA ist der Überzeugung, dass die einzige nachhaltige Lösung auf lange Sicht darin besteht, das Holzaufkommen aus europäischen Wäldern zu steigern, indem

durch eine verstärkte nachhaltige Bewirtschaftung der bestehenden Wälder mehr kommerziell nutzbares Holz produziert wird;

durch Waldvermehrung das Holzangebot besser an die Nachfrage angepasst wird.

5.1.6   Angesichts der enormen Bedeutung, die der Rohstoff für die forstbasierte Industrie hat, ist der EWSA der Meinung, dass in der Mitteilung subsidiaritätsbezogene Aspekte, d.h. Maßnahmen auf nationaler und subnationaler Ebene zur Sicherung der langfristigen Versorgung mit Holz, aufgegriffen hätten werden sollen.

Der Aufruf zu einer stärker kommerziell geprägten Forstwirtschaft verhallt in einer Reihe von Ländern der EU wirkungslos. Die Gründe hierfür sind vielfältig: in einigen Ländern herrscht eine gleichgültige Haltung, während man in anderen davon ausgeht, dass bereits genügend Holz vorhanden sei. Mehreren Untersuchungen zufolge ist Holz auf EU-Ebene jedoch knapp (1).

5.1.7   Zur Belieferung der Kunden mit Holz sind gute Straßen- und andere Infrastrukturen notwendig. Geringe Investitionen in die Straßeninfrastruktur ländlicher und entlegener Gebiete führen zu höheren Transportkosten. So ist z.B. bei gleicher Entfernung die Beförderung per LKW über eine Landstraße um 75 % teurer (in Zeit- und Kraftstoffaufwand) als über eine gerade, ebene Straße. Der EWSA zeigt sich beunruhigt darüber, dass die nationalen Behörden bzw. die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften diesem Problem so wenig Bedeutung beimessen. Ferner stellen die Dimensions- und Gewichtsbeschränkungen im Straßengüterverkehr einen zusätzlichen Kostenfaktor dar.

5.2   Klimaschutzmaßnahmen und Umweltvorschriften

5.2.1   Holzprodukte sind während ihrer gesamten Nutzungsdauer Kohlenstoffspeicher und können durch Ersetzung anderer Materialien zu beträchtlichen CO2-Einsparungen führen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU die Speicherung von Kohlenstoff durch Holzprodukte und ihren positiven Beitrag zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels stärker in den Vordergrund stellen sollte.

Diese positive Rolle von Holz sollte im Post-Kyoto-Prozess nach 2010 in vollem Umfang anerkannt werden. Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, bei den bevorstehenden Vertragsstaatenkonferenzen der Klimarahmenkonvention, COP14 (Posen 2008) und COP15 (Kopenhagen 2009), diese Anerkennung durchzusetzen.

Die Kommission unterschätzt die Gefahr, die der europäischen Zellstoff- und Papierindustrie sowie teilweise der holzbe- und -verarbeitenden Wirtschaft durch den Emissionshandel droht. Diese Branchen sind in zweifacher Hinsicht vom Emissionshandel betroffen: zum einen direkt durch ihre Teilnahme am Emissionshandel und zum anderen indirekt durch den starken Anstieg der Energiepreise infolge des Emissionshandels (2). Die derzeitigen Pläne für die Richtlinie zum Emissionshandel wird für die Rentabilität der Branche eine sehr große Belastung darstellen und könnte die Schließung oder Verlagerung von Unternehmen zur Folge haben. Betriebsverlagerungen wären jedoch nur für große Unternehmen finanzierbar, kleineren europäischen Unternehmen steht dieser Weg nicht offen.

5.2.2.1   Der neue Richtlinienvorschlag zum Emissionshandelssystem würde in seiner jetzigen Form für die europäische Papierindustrie und andere energieintensive Branchen zu einer beträchtlichen Marktverzerrung und Wettbewerbsnachteilen sowie letztlich zu einer Verlagerung von CO2-Emissionen in Drittländer („carbon leakage“) führen, da in den wichtigsten konkurrierenden Ländern außerhalb der EU keine vergleichbaren Auflagen und Kosten zu bewältigen wären. Nach Auffassung des EWSA müssen die Zellstoff- und Papierindustrie und die Holzwerkstoffindustrie als energieintensive, durch Verlagerungseffekte bedrohte Industrien anerkannt werden — und zwar unverzüglich. Erst — wie vorgeschlagen — 2010 eine Entscheidung darüber zu treffen, welche Branchen weiterhin teilweise Emissionszertifikate kostenlos zugeteilt bekommen, erscheint viel zu spät.

5.3   Innovation, Forschung und Entwicklung, Aus- und Weiterbildung

5.3.1   Innovation sowie F&E werden gewiss dazu beitragen, die Zukunft der forstbasierten Industrie zu sichern. Der EWSA begrüßt die Schaffung der „Technologieplattform für den forstbasierten Sektor“ durch die Branche und fordert, die künftigen Bedürfnisse aller Teilbranchen angemessen zu berücksichtigen. Die finanziellen Mittel für F&E innerhalb der Branche sollten insbesondere unter dem Siebten Forschungsrahmenprogramm und anderen verwandten Programmen aufgestockt und auf die innovative Nutzung von Rohstoffen und Produkten ausgerichtet werden.

5.3.2   Im Rahmen der Förderung der Flexibilität in Europa gibt es keine Maßnahmen für Auszubildende und Beschäftigte in der forstbasierten Industrie, die ihnen zuverlässige und zugängliche Möglichkeiten zur Erlangung vergleichbarer und weithin anerkannter Qualifikationen oder zur Aneignung von Kompetenzen durch Programme im Rahmen des lebensbegleitenden Lernens bieten würden. Auch die verschiedenen Pilotinitiativen im Rahmen der EU-Programme zur allgemeinen und beruflichen Ausbildung haben nicht dazu geführt, dass Veränderungen in der Arbeitspraxis in größerem Maßstab beobachtet und gleichzeitig in nationale Regelungen übernommen werden können. Nachteile dieser Art behindern die grenzüberschreitende Mobilität, erschweren internationale Berufslaufbahnen und schränken den Zugang der Arbeitgeber zu der gesamten Bandbreite an qualifizierten Arbeitskräften innerhalb der forstbasierten Industrie ein. Das kann sogar dazu beitragen, dass Qualifikationen, die für Berufe in der Forstwirtschaft sowie in der Papier- und Holzindustrie erworben werden können, generell als minderwertig angesehen werden.

5.4   Gesundheit und Sicherheit

5.4.1   Wie jede andere gewerbliche Tätigkeit ist auch die Arbeit in der forstbasierten Industrie mit gewissen Risiken für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer verbunden. Ungeachtet der erheblichen Anstrengungen, die die Branche in den letzten Jahrzehnten in diesem Bereich unternommen hat, bleibt noch viel zu tun. Zudem stehen hier nicht alle Mitgliedstaaten vor den gleichen Problemen, weshalb die erforderlichen Maßnahmen auf die in den einzelnen Mitgliedstaaten herrschenden besonderen Bedingungen vor Ort abgestimmt werden sollten.

5.4.2   Bei den letzten EU-Erweiterungen sind Mitgliedstaaten beigetreten, in denen es einen vergleichsweise größeren Handlungsbedarf für eine verbesserte Umsetzung der Arbeitsschutzbestimmungen gibt, als das in der Regel in den anderen EU-Ländern der Fall ist. In diesem Zusammenhang möchte der Ausschuss die Bedeutung sowohl der EU-Finanzinstrumente als auch eines angemessenen Engagements der in diesen Mitgliedstaaten tätigen forstbasierten Industrie hervorheben.

5.5   Handel und Zusammenarbeit mit Drittstaaten

5.5.1   Die forstbasierte Industrie ist weltweit tätig und Exporte sind von grundlegender Bedeutung zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit. Der EWSA zeigt sich besorgt darüber, dass Ausfuhren europäischer Unternehmen durch Zölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse unnötig behindert werden. Die Kommission sollte der Abschaffung dieser Hindernisse Priorität einräumen.

5.5.2   Der EWSA ist ebenfalls beunruhigt über die Maßnahmen großer Handelspartner, wie etwa Russlands, die sich stark auf die Versorgung der EU mit dem Rohmaterial Holz auswirken und zu Produktionsdrosselung führen.

5.6   Kommunikation und Information

5.6.1   Trotz ihres bedeutenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beitrags ist die forstbasierte Industrie in der Öffentlichkeit nicht gut angesehen. Der Wert europäischer Wälder für Gesellschaft und Bürger wird allgemein nicht erkannt (3). In den Schulen wird häufig vermittelt, dass das Fällen von Bäumen schlecht ist und die Welt möglichst viele Bäume braucht. Auch illegale Rodungen und andere nicht-nachhaltige Waldbewirtschaftungsverfahren wie bspw. in Südamerika, Südostasien und anderen Regionen schaden dem globalen Image der Holzwirtschaft.

5.6.2   Angesichts der aktuellen Diskussion über Klimawandel und Bioenergie sind die Voraussetzungen so günstig wie nie, um eine stärkere Nutzung von Holz und holzbasierten Materialien zu fördern. Wälder absorbieren CO2, das dann in holzbasierten Produkten gespeichert wird. Das Image der ganzen Branche und ihrer Produkte sollte mit diesen Klimaschutzargumenten verbessert werden. Dieses besondere Kennzeichen der forstbasierten Industrie und der wirtschaftliche Wert der Wälder sollte in der Öffentlichkeit besser bekannt gemacht werden.

5.6.3   Zurzeit laufen mehrere Informationskampagnen, die von der Industrie unterstützt werden, jedoch nur bedingt zur Verbesserung des Images der forstbasierten Industrie beitragen. Diese Kampagnen müssen ausgebaut und in Schulen wie in der breiten Öffentlichkeit durchgeführt werden, damit die Gesellschaft insgesamt die Bedeutung des Anbaus und der Nutzung von (europäischem) Holz verstehen und schätzen lernt.

5.7   Förderung der Verwendung von Holz

In der Mitteilung wird die Rohstoffversorgung der Industrie in den Vordergrund gestellt (siehe Ziffer 5.1), die Nutzung von Holz und holzbasierten Produkten jedoch nicht thematisiert. Zur Förderung von mehr Nachhaltigkeit bei Produktion und Konsum wäre es angebracht, dem Abbau von Hindernissen und unnötigen rechtlichen, administrativen, finanziellen und anderen Erschwernissen mehr Bedeutung beizumessen und somit eine stärkere Verwendung von Holz z.B. beim Bau zu ermöglichen. Allgemein ist der EWSA der Auffassung, dass die spezifischen Wesensmerkmale und die Rolle von Holz und holzbasierten Produkten in verschiedenen politischen Bereichen berücksichtigt werden sollte.

5.8   Multifunktionelle Forstwirtschaft

Eine der zentralen Empfehlungen des EU-Forstaktionsplans aus dem Jahr 2006 bezieht sich auf eine „multifunktionelle“ Forstwirtschaft, die der Gesellschaft nicht nur als Holzlieferant nützlich ist. Aufgrund mangelnder Informationen und Angaben ist der genaue gesellschaftliche Wert der nicht-holzbezogenen Dienstleistungen des Waldes (Sammeln von Beeren, Pilzen und medizinischen Kräutern, Jagd, Tourismus) nicht bekannt. Nichtsdestotrotz werden durch diese Leistungen Gewinne erwirtschaftet, Arbeitsplätze geschaffen und Potenziale erschlossen, und deshalb verdienen sie auch, als Teil der Forstwirtschaft begriffen zu werden.

Der EWSA erkennt die Rolle einer „multifunktionellen Forstwirtschaft“ an, zeigt sich jedoch besorgt darüber, dass mehrere nationale Regierungen den nicht-holzbezogenen Dienstleistungen des Waldes allzu große Bedeutung beimessen und dabei die wirtschaftliche Funktion der Holzproduktion vernachlässigen.

Brüssel, den 3. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Siehe insbesondere die Studie der UNECE zum Thema „Wood resources availability and demands“ [Holzressourcen: Verfügbarkeit und Nachfrage] 2007; auf der Grundlage der Joint Wood Energy Enquiry aus dem Jahr 2006.

(2)  Ebenda.

(3)  Siehe die Studie der Europäischen Kommission über die Holzwirtschaft in der öffentlichen Wahrnehmung: „Perception of the wood-based industries — Qualitative study of the image of wood-based industries amongst the public in the Member States of the European Union“ (© European Communities, 2002; ISBN 92-894-4125-9). Diese Studie ist in englischer Sprache abrufbar unter: http://ec.europa.eu/enterprise/forest_based/perceptionstudy_en.pdf.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/109


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen“

KOM(2008) 419 endg. — 2008/0141 (COD)

(2009/C 175/21)

Der Rat beschloss am 22. Juli 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen“

KOM(2008) 419 endg. — 2008/0141 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. November 2008 an. Berichterstatter war Herr GREIF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 4. Dezember 2008) mit 108 gegen 31 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen: Für mehr Europäische Betriebsräte und besseren grenzüberschreitenden sozialen Dialog

1.1   Der EWSA begrüßt nachdrücklich, dass die EU-Kommission gesetzgeberisch aktiv geworden ist, nachdem keine — erneuten — Verhandlungen der europäischen Sozialpartner gemäß Artikel 138, Absatz 4 des Vertrags aufgenommen worden waren. Mit dem vorgelegten Kommissionsvorschlag sollen die Rechte Europäischer Betriebsräte (EBR) den Realitäten im europäischen Binnenmarkt angepasst werden. Der EWSA erkennt darin einige substanzielle Verbesserungen, um die gemeinschaftliche Rechtsgrundlage zum EBR den Realitäten in Europa anzupassen und dabei für mehr Rechtssicherheit und bessere Kohärenz im gemeinschaftlichen Rechtsbestand zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zu sorgen.

1.2   Der EWSA erwartet, dass die vorgeschlagenen Klarstellungen und Änderungen im Text und in den Definitionen in der Richtlinie die EBR-Arbeit effektiver gestalten und zu mehr Rechtssicherheit beitragen sowie zu einer besseren Anwendung der Richtlinie und somit zu mehr EBR-Gründungen führen werden. Der EWSA unterstreicht außerdem die Bedeutung pragmatischer Lösungen, die die Effektivität und Effizienz der EBR-Arbeit erhöhen und somit nicht zu einer Belastung, sondern vielmehr zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beitragen. Dazu zählen besonders:

Unternehmensleitungen sind nun verpflichtet, alle erforderlichen Informationen zur EBR-Errichtung bereitzustellen.

Die europäischen Sozialpartner werden direkt in den Neugründungsprozess von Europäischen Betriebsräten eingebunden sein, da sie verpflichtend über den Beginn von Verhandlungen zu informieren sind.

Die alltägliche EBR-Arbeit kann effektiver werden durch die mögliche Einrichtung eines engeren Ausschusses, durch Kompetenzerweiterung aus Qualifizierung, die den EBR-Mitgliedern ohne Gehaltsverlust zustehen soll, sowie durch die Anerkennung des EBR als kollektives Gremium zur Interessenvertretung.

Ein bestehender EBR kann nun besser an die Aktualität angepasst werden, weil er die Neuverhandlung von EBR-Vereinbarungen verlangen kann, insbesondere bei wesentlichen Strukturänderungen, die eine praktikable und dem vereinbarten Standard entsprechende Information und Anhörung aller Arbeitnehmer in der Unternehmensgruppe nicht mehr gewährleisten.

1.3   Allerdings kritisiert der EWSA, dass die vorgeschlagene Neufassung der Richtlinie die selbst gesteckten Ziele, die in den Begründungen und Erwägungen ausgeführt werden, nicht konsequent genug verfolgt werden und Unklarheiten verbleiben. Das gilt insbesondere für folgende Punkte:

Während der Vorschlag der Sozialpartner die Bestimmungen zur Unterrichtung und Anhörung präziser machen würde, bleiben die Regelungen zu einer sinnvollen und praktikablen Abstimmung der Vertretung zwischen nationaler und europäischer Ebene im Kommissionsvorschlag unklar.

Die Zuständigkeit des EBR wird durch die Definition seines transnationalen Zuständigkeitsbereichs eingeschränkt und nicht, wie intendiert, präzisiert. Als „grenzüberschreitend“ sollen auch Entscheidungen angesehen werden, die nur einen Betrieb in einem EU-Mitgliedstaat betreffen, aber nicht in diesem Mitgliedstaat getroffen werden.

Bestimmte Beschränkungen in der Anwendung und im Geltungsbereich der Richtlinie werden beibehalten oder sogar neu eingeführt.

1.4   Der EWSA legt seinen Schwerpunkt darauf, mit einer verbesserten EBR-Richtlinie insbesondere ihre Anwendung attraktiver zu machen und die EBR-Anzahl zu erhöhen. Dabei würdigt der EWSA auch aus Effizienzgründen die Absicht, am Vorrang der Verhandlungslösung für EBR-Abkommen festzuhalten. Das lässt flexible und ans jeweilige Unternehmen angepasste Lösungen zu, um den grenzüberschreitenden sozialen Dialog entsprechend den jeweiligen Anforderungen zu gestalten.

1.5   Um in der Praxis zu gewährleisten, dass sich mit den neuen Bestimmungen die Substanz der EBR-Arbeit und ihre Effizienz verbessert, schlägt der EWSA vor, im weiteren Gesetzgebungsverfahren nach wie vor bestehende Unklarheiten und Inkohärenzen zu beseitigen und besonders bei folgenden Punkten nachzubessern:

Die vorgesehene Begrenzung der länderübergreifenden Zuständigkeit kann die Rechte und die mögliche Wirksamkeit des EBR einschränken. Sie muss deshalb überarbeitet werden. Keine betroffene Arbeitnehmervertretung darf durch eine zu enge Regelung vom Informationsfluss an der grenzüberschreitenden Spitze des Unternehmens abgekoppelt werden.

Die Verhandlungsdauer soll auf 18 Monate verkürzt werden, weil eine kürzere Periode zur Errichtung eines EBR der praktischen Erfahrung entspricht und eine höhere Zeitvorgabe dafür nicht notwendig erscheint. Gleichzeitig sollen effektive Maßnahmen dafür vorgesehen werden, dass sich kein Verhandlungspartner aus der Verantwortung ziehen kann, wenn eine europäische Interessenvertretung gegründet werden soll.

Präzisierungen der Begriffe Unterrichtung und Anhörung erhöhen die Wirksamkeit und auch Anerkennung des EBR, wenn klargestellt wird, dass seine Meinung bereits zu den vorgeschlagenen Maßnahmen und nicht erst zu deren Umsetzung gefragt ist.

Die Verantwortung der Unternehmensleitung für die regelgerechte Unterrichtung der Arbeitnehmervertreter auf grenzüberschreitender wie auf nationaler Ebene muss klargestellt werden. Der Versuch der besseren Abstimmung des Rechts zwischen verschiedenen Ebenen soll nicht zu neuen Unschärfen oder Einschränkungen dieser Verpflichtung führen.

Die Beibehaltung bzw. Neueinführung von Schwellenwerten für den EBR steht in einem Spannungsverhältnis zum europäischen Grundrecht jeden Arbeitnehmers auf zeitgerechte Information und Anhörung.

Es ist notwendig klarzustellen, dass neue EBR-Vereinbarungen, die während der Umsetzungsperiode in nationales Recht entstehen, mindestens dem bereits erreichten substanziellen Standard der gegenwärtigen EBR-Richtlinie (Art. 6, RL 94/45/EG bzw. Art. 3, Abs. 1, RL 97/74/EG) entsprechen müssen; dies ist ein Gebot der Rechtssicherheit für alle Beteiligten.

Um die Arbeit im EBR effizienter zu machen und seine Funktion im Unternehmen besser erfüllen zu können, sollte eine erneuerte EBR-Richtlinie die Erweiterung von Sitzungsmöglichkeiten zumindest stimulieren; generell sollte sie die gesetzlichen Standards ausdrücklich als Mindeststandards kennzeichnen und betonen, dass die Staaten folglich bei deren Umsetzung jederzeit und in jeder Hinsicht mehr tun können.

1.6   Der EWSA ist überzeugt, dass mit einer solchen Verbesserung des gemeinschaftlichen Rechtsbestandes zur Arbeitnehmerbeteiligung nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Sicherstellung guter und als solcher auch sozial verantwortlicher Unternehmensführung in Europa geleistet würde. Sie würde auch dem Wettbewerbsvorteil der europäischen Wirtschaft dienen und ist zugleich ein Baustein des europäischen Sozialmodells.

2.   Einleitung: Kriterien zur Prüfung des Kommissionsvorschlags zur Neufassung der EBR-Richtlinie

2.1   Die Europäische Kommission hat am 2. Juli 2008 einen Vorschlag zur Neufassung der Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats (1) vorgelegt.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich, dass die EU-Kommission gesetzgeberisch aktiv geworden ist, um die Rechte Europäischer Betriebsräte (EBR) den Realitäten im europäischen Binnenmarkt anzupassen. Er kommentiert mit dieser Stellungnahme den Vorschlag der Europäischen Kommission vor allem unter dem Aspekt, inwieweit damit die darin selbst aufgestellten Ziele erreicht werden können. Er erlaubt sich, in diesem Sinn dazu Ergänzungen bzw. Änderungen vorzuschlagen.

2.2   Der EWSA stützt sich auf seine eigenen Arbeiten zur Arbeitnehmerbeteiligung, insbesondere zum EBR (2). Zudem betont er erneut die positive Funktion nationaler und länderübergreifender Arbeitnehmerbeteiligung für die weitere soziale, ökonomische und ökologische Integration Europas (Lissabon-Ziele) und die besondere Rolle des EBR.

Die Rolle von grenzüberschreitenden Unternehmen ist für den Erfolg Europas von großer Bedeutung. Europa wird im globalen Wettbewerb nur durch eine qualitative Strategie bestehen, die nicht nur auf die betriebswirtschaftlichen Kosten blickt, sondern auch die soziale Verantwortung von Unternehmen und die Einbindung ihrer Arbeitnehmer in die Unternehmen umfasst. Daher betrachtet der EWSA den EBR als ein wichtiges Instrument europäischer Politik, um die Basis für das Zusammenwirken der wichtigsten Gruppen der Ökonomie im Sinne einer europäischen Nachhaltigkeitsstrategie zu stärken. Das ist der Weg, damit die Unternehmen ihren Leistungsbeitrag für die europäische Gesellschaft erbringen können. Weil für die europäische Qualitätsstrategie im internationalen Wettbewerb der Einsatz und das Können der Beschäftigten gefragt sind, ist ihre effektive Beteiligung daher ein entscheidendes Element erfolgreicher Unternehmensführung.

2.3   Der EWSA sieht den Richtlinienentwurf der EU-Kommission als das folgerichtige Ergebnis eines bereits langandauernden politischen Diskussionsprozesses. Er bezieht sich mit seiner Stellungnahme auf die Entschließungen des Europäischen Parlaments aus den Jahren 2001 (3), 2006 und 2007 (4) sowie auf die gemeinsame Erklärung der Sozialpartner aus dem Jahr 2005 (5).

In diesen Dokumenten wurden Punkte in den Mittelpunkt gerückt, die sich auch in der vorliegenden Einigung der europäischen Sozialpartner zur Verbesserung des vorgelegten Vorschlages der Kommission wieder finden: eine bessere Definition des Rechts auf Unterrichtung und Anhörung, mit dem Ziel, den Arbeitnehmern reale Einflussmöglichkeit auf die Entscheidung des Unternehmens zu verschaffen, bessere Mitwirkungsrechte der Gewerkschaften sowie Verbesserungen in der EBR-Arbeit wie Schulungsmöglichkeiten unter Bereitstellung der Mittel dafür. Als weiterer Grund für die Neufassung der Richtlinie wurde angegeben, damit einen kohärenten und effizienten Rechtsrahmen zu schaffen und Unzulänglichkeiten bei der nationalen Umsetzung der EBR-Richtlinie zu beseitigen.

2.4   Der EWSA begrüßt es, dass die europäischen Sozialpartner vor diesem Hintergrund den aktuellen Vorschlag der Kommission als Grundlage der Richtlinienrevision akzeptieren und in wesentlichen substanziellen Punkten Gemeinsamkeiten feststellen, die in das weitere Revisionsverfahren einfließen sollen. Der EWSA befürwortet diese Einigung ausdrücklich und berücksichtigt deren Inhalt in seinen Vorschlägen, weil damit die Ziele des Richtlinienvorschlags besser erreicht werden können.

2.5   Der EWSA unterstützt die Ziele zur Neufassung der EBR-Richtlinie, wie sie von der Kommission bereits in dem Vorschlag vom 2. Juli 2008 als entscheidend hervorgehoben wurden (6):

die Rechtssicherheit für alle Beteiligten, d.h. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zu erweitern;

die Wirksamkeit der Rechte der Arbeitnehmer auf länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung im EU-/EWR-Raum zu gewährleisten und damit die Effizienz des EBR zu verbessern;

die Anwendbarkeit der EBR-Richtlinie zu verbessern und damit die Anzahl an EBR-Gründungen zu erhöhen;

eine bessere Kohärenz der europäischen Richtlinien zum Thema Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer herzustellen.

3.   Rechtssicherheit verbessern — Kohärenz der EU-Rechtsetzung zur Unterrichtung und Anhörung sicherstellen

3.1   Mit der Revision der Richtlinie 94/45/EG soll die Definition von Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in Einklang mit anderen gemeinschaftlichen Rechtsinstrumenten gebracht und damit der Rechtsrahmen vereinfacht werden.

Der EWSA begrüßt diese in den Erwägungsgründen zum Revisionsvorschlag mehrfach dargelegte Intention ausdrücklich, merkt aber an, dass bei näherer Prüfung der vorliegende Textvorschlag der Kommission dieser Absicht nur begrenzt Genüge tut.

Das sei am Beispiel der neu formulierten Begrenzung des Zuständigkeitsbereichs des EBR auf grenzüberschreitende Angelegenheiten erläutert:

3.2.1   Durch die Übertragung der Bestimmungen des grenzübergreifenden Charakters von Unternehmensentscheidungen von den geltenden subsidiären Bestimmungen der Richtlinie auf Artikel 1.4 im Kommissionsvorschlag soll sich der EBR nun nur noch mit Angelegenheiten befassen können, wenn von einer Unternehmensentscheidung entweder das Unternehmen als Ganzes oder mindestens zwei Betriebe in zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten betroffen sind.

3.2.2   Eine solche neu in den Richtlinientext eingeführte Begrenzung der transnationalen Zuständigkeit, ist nicht nachvollziehbar und aus Sicht des EWSA auch nicht sinnvoll. Das könnte etwa dazu führen, dass Arbeitnehmer in einem EU-Mitgliedstaat von der höchsten Entscheidungsebene abgekoppelt wären, wenn ein multinationales Unternehmen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat eine Entscheidung mit wesentlichen Veränderungen ihrer Beschäftigungsbedingungen treffen würde. In diesem Falle wäre das Unternehmen nach der neuen Definition nicht dazu verpflichtet, den EBR zu unterrichten und anzuhören.

3.2.3   Aus Sicht des EWSA muss gewährleistet bleiben, dass der EBR auch dann regelmäßig eingeschaltet wird, wenn auf den ersten Blick eine Unternehmensentscheidung nur in einem EU-Mitgliedstaat wirksam zu werden scheint, diese jedoch Bestandteil einer transnational relevanten Entscheidung war. Der EWSA setzt sich daher für eine entsprechende Änderung in Artikel 1.4 ein, die sicherstellt, dass — wie in Erwägung 12 zur Neufassung korrekterweise dargelegt — die „Arbeitnehmer gemeinschaftsweit operierender Unternehmen oder Unternehmensgruppen angemessen informiert und konsultiert werden, wenn Entscheidungen, die sich auf sie auswirken, außerhalb des Mitgliedstaats getroffen werden, in dem sie beschäftigt sind“, bzw. das Unternehmen als Ganzes betreffen. Der Tätigkeitsbereich des EBR darf jedenfalls durch die Neufassung der EBR-Richtlinie nicht eingeschränkt werden.

Auch in der prinzipiell positiv zu bewertenden Neufassung der Definitionen von Unterrichtung und Anhörung in den Begriffsbestimmungen des Artikels 2 bleibt die Kommission in ihrem Vorschlag hinter ihrem Anspruch zurück, für eine Anpassung der gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen in diesem Bereich zu sorgen.

3.3.1   Zwar findet sich in den subsidiären Vorschriften des Anhangs zur Richtlinie für den EBR kraft Gesetz die Klarstellung, wonach die Anhörung in einer Weise zu erfolgen hat, die es den Arbeitnehmervertretern ermöglicht, noch vor Beschlussfassung einer geplanten Entscheidung eine Antwort des Managements auf eine Stellungnahme des EBR zu diskutieren. Damit wird diese Regelung aber nicht schon zum Standard für alle EBR.

3.3.2   Erst der gemeinsame Vorschlag der europäischen Sozialpartner, wonach diese präzise Fassung in die Begriffsbestimmungen in Artikel 2 einzufügen ist, schafft hier Klarheit und Rechtssicherheit:

Die Unterrichtung in Form und Inhalt muss dergestalt sein, dass sie den Arbeitnehmervertretern zur Vorbereitung einer möglichen Anhörung mit kompetenten Vertretern des Managements eine eingehende Prüfung möglicher Auswirkungen geplanter Entscheidungen ermöglicht und

die Anhörung ist als ein Verfahren zu verstehen, das dem EBR erlaubt, eigene Vorschläge in einem Zeitraum zu unterbreiten, die von der Unternehmensleitung noch in Erwägung gezogen werden können, solange der Entscheidungsprozess noch nicht abgeschlossen ist.

3.3.3   In diesem Zusammenhang möchte der EWSA auch auf eine textliche Inkohärenz in Punkt 3 der Subsidiären Vorschriften (Anhang I) hinweisen, in dem die Rechte der Arbeitnehmervertreter im Fall außergewöhnlicher Umstände festgehalten werden:

Im neuen Kommissionsvorschlag wird festgehalten, dass diese Rechte nun auch dann greifen, wenn „Entscheidungen getroffen“ werden, die von erheblichen Auswirkungen für die Arbeitnehmer sind. Nach Ansicht des EWSA muss hier von „geplanten Maßnahmen“ die Rede sein. Andernfalls würde das die im restlichen Kommissionstext verfolgte Intention einer zeitgerechten Unterrichtung und Anhörung konterkarieren. Der EWSA ersucht, diese textliche Klarstellung vorzunehmen.

3.4   Der EWSA begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, in Artikel 12 die Kompetenzen und damit die Arbeitsteilung zwischen grenzüberschreitendem Gremium und nationaler Ebene der Interessenvertretung besser abzustimmen und klarer voneinander abzugrenzen. Er hat allerdings auch hier Zweifel, ob dies ausreichend gelungen ist:

Es ist im Interesse aller Beteiligten, dass Arbeitnehmervertreter auf verschiedenen Ebenen nicht zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedene Informationen zu ein und demselben Sachverhalt erhalten. Daher muss im Richtlinientext gesichert sein, dass der EBR sowie die Arbeitnehmervertretungen auf nationaler Ebene über geplante Entscheidungen informiert werden, die zu substanziellen Veränderungen der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen führen. Das haben auch die europäischen Sozialpartner in ihrer Einigung nachdrücklich hervorgehoben.

3.5   Der EWSA begrüßt, dass nach Artikel 12.5 des Kommissionsvorschlags die verbesserten Standards in der revidierten EBR-Richtlinie im Zuge der Abstimmung zwischen nationaler und europäischer Rechtsetzung nicht dazu genutzt werden dürfen, bereits erreichte höhere Standards in nationalem Recht einzuschränken.

Nach Auffassung des EWSA garantiert die gewählte missverständliche Formulierung „keine ausreichende Begründung für Rückschritte“ im Kommissionsvorschlag diese Intention nicht. Der EWSA würde es begrüßen, wenn auch im Richtlinientext klargestellt wird, dass hier das „Verbot der Verringerung des allgemeinen Schutzniveaus der Arbeitnehmer“ auf nationaler Ebene gemeint ist, wie auch in Begründung 36 zum Kommissionsvorschlag festgelegt.

3.6   Der EWSA begrüßt die vorgeschlagenen Änderungen der Bestimmung, wonach eine EBR-Vereinbarung neu verhandelt werden kann, wenn wesentliche Änderungen in der Struktur des Unternehmens eine praktikable und dem vereinbarten Standard entsprechende Information und Anhörung aller Arbeitnehmer nicht mehr gewährleisten (Artikel 6.2 g), 13.2 und 13.3).

Hier sind insbesondere die Klarstellungen in Artikel 13.3 zu begrüßen, wonach während neuer Verhandlungen die Nachwirkung der bestehenden Vereinbarungen gegeben ist.

Zugleich vermisst der EWSA aber, dass beim Scheitern von Verhandlungen die subsidiären Bestimmungen zwingend angewandt werden müssen, wie dies auch nach Artikel 7 für den Fall des Nichtzustandekommens einer Vereinbarung gilt. Die gesetzliche Regelung muss die Sicherheit geben, dass bei Neuverhandlungen keine Vertretungslücke auf grenzüberschreitender Ebene entsteht.

3.7   Der EWSA begrüßt schließlich auch, dass die Kommission in ihrem Vorschlag den Versuch unternimmt, ein kollektives Vertretungsmandat des EBR zu konstituieren. Auch dieser Punkt wird von den europäischen Sozialpartnern ausdrücklich begrüßt, wobei sie in ihrer Erklärung hervorheben, dass dem EBR die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen müssen, um das Mandat ausüben zu können, das ihm aus der Richtlinie erwächst.

4.   Wirksamkeit des Europäischen Betriebsrats gewährleisten — Effizienz im betrieblichen Alltag verbessern

4.1   Der EWSA hat bereits an anderer Stelle die herausragende Rolle Europäischer Betriebsräte unterstrichen und seine Mitglieder als „überzeugte Protagonisten beim Aufbau einer neuen (europäischen) Gesellschaft“ hervorgehoben (7).

Die europäische Rechtsetzung muss daher den EBR so ausstatten, dass er seine demokratische und zugleich ökonomische Funktion wirksam wahrnehmen kann. Besonders muss sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dem EBR die erforderlichen Arbeitsmittel sowie Kommunikations- und Qualifikationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Das haben auch die europäischen Sozialpartner unterstrichen.

4.2   Der Vorschlag der Kommission kommt diesem Anforderungsprofil entgegen, indem er erstmals EBR-Mitgliedern aus allen EU-Mitgliedstaaten explizit die direkt aus dem EBR-Mandat erwachsende Bereitstellung von Weiterbildung ohne Gehaltsverlust einräumt.

Diese Möglichkeit zur Kompetenzerweiterung wird mit Sicherheit zur Verbesserung der Effizienz und Arbeitsfähigkeit beitragen. Konsequenter wäre es dann aber auch gewesen, deutlich zu machen, dass die Kosten für solche Schulungen entsprechend praktizierter Gepflogenheiten vom Unternehmen übernommen werden.

4.3   Die Dichte und Frequenz möglicher Kommunikation unter den Mitgliedern des EBR entscheidet mit über die Arbeitsfähigkeit dieses Gremiums. Der EWSA begrüßt daher auch, dass der Kommissionsvorschlag in dieser Hinsicht einige Verbesserungen enthält:

So kann der EBR zur Effektivierung seiner Leitung und Koordinierung nun einen „Engeren Ausschuss“ (Artikel 6 e)) in der EBR-Vereinbarung festschreiben, der in Anlehnung zur neuen Bestimmung 1 d) im Anhang zur Richtlinie bis zu fünf Mitglieder haben und regelmäßig beraten kann.

Damit haben sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmensleitungen, besonders bei außergewöhnlichen Umständen, eine verlässliche und auf Kontinuität gebaute Anlaufstelle auf grenzüberschreitender Ebene.

4.4   Allerdings wird diese Intention zur Effektivierung der praktischen Arbeit des EBR aus Sicht des EWSA nicht konsequent durchgehalten:

Aus der praktischen Erfahrung lässt sich folgern, dass der EBR dort effizient arbeitet, wo das Unternehmen ausreichende Möglichkeiten zur Kommunikation bietet. Der EWSA sieht dies vor allem in jenen Unternehmen gewährleistet, in denen in der Regel mehr als eine Sitzung im Jahr stattfindet, die von zeitnahen jeweils vor- und nachbereitenden Sitzungen ohne Anwesenheit des Managements begleitet sind — wie das häufig freiwillig und über den gesetzlichen Standard hinaus vereinbart wurde. Der EWSA ist deshalb der Meinung, dass eine erneuerte EBR-Richtlinie die Erweiterung von Sitzungsmöglichkeiten zumindest stimulieren sollte, indem sie die gesetzlichen Standards ausdrücklich als Mindeststandards kennzeichnet.

4.5   Generell möchte der EWSA an dieser Stelle daran erinnern, dass die EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der neuen EBR-Richtlinie in nationales Recht bei der Festsetzung der Mittel für die Arbeit des EBR über die Mindestbedingungen der Richtlinie hinausgehen können.

Dies betrifft etwa die — neue in Artikel 10.2 festgehaltene und begrüßenswerte — Verpflichtung der Mitglieder des EBR, die Arbeitnehmervertreter in den Betrieben oder in Ermangelung solcher Vertreter die Arbeitnehmer direkt über Inhalt und Ergebnisse der Unterrichtung und Anhörung im EBR zu informieren.

Aus Sicht des EWSA sind die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie gefordert, Maßnahmen vorzusehen, die einen effizienten Informationsfluss zwischen europäischer und nationaler bzw. lokaler Ebene der Interessenvertretung gewährleistet. Sinnvoll wären in diesem Zusammenhang etwa Regelungen, die den direkten Zutritt zu den Betrieben ermöglichen, mindestens für die Ländervertreter und für die Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses eines EBR. Weiterhin sollte die Möglichkeit gegeben sein, ein Treffen von Arbeitnehmervertretern auf Landesebene zur Informationsweitergabe zu organisieren, wenn in einem EU-Mitgliedstaat mehr Betriebe als Vertreter im EBR existieren und Interessenvertretungen auf betriebsübergreifender Ebene nicht etabliert sind.

4.6   Die praktische Erfahrung aus der Arbeit der EBR legt nahe, das Themenspektrum seiner Anhörung nicht abschließend auf den begrenzten Katalog in den subsidiären Vorschriften (Anhang 1 a) festzulegen. Die Praxis zeigt, dass der EBR mit weit mehr Themen als lediglich dem strukturellen Wandel befasst wird.

Der Dialog mit vielen Unternehmensleitungen weist ein deutlich breiteres Spektrum auf, z.B. Weiterbildungsfragen oder solche des betrieblichen Arbeits-, Gesundheits- und Datenschutzes. Der EWSA hätte erwartet, dass dies bei der Überarbeitung der EBR-Rechtsgrundlage eingeflossen wäre und dem EBR auch ein Vorschlagsrecht für Themen eingeräumt würde.

4.7   Der EWSA billigt die Initiative der Kommission, die Beteiligung aller Arbeitnehmerkategorien an den europäischen Betriebsräten zu fördern. In diesem Zusammenhang erinnert er an den bereits in früheren Stellungnahmen gemachten Vorschlag, auch die Fach- und Führungskräfte einzubeziehen.

5.   Anwendbarkeit der Richtlinie verbessern und Zahl der Europäischen Betriebsräte erhöhen

5.1   Mehr als 12 000 Mitglieder in Europäischen Betriebsräten in rund 850 grenzüberschreitend tätigen Unternehmen beleben heute die demokratische Infrastruktur Europas. Es besteht Einigkeit darüber, dass sie den sozialen Dialog in diesen Unternehmen verbessern und zur besseren Entscheidungsfindung und -umsetzung beitragen. Es ist im erklärten Interesse der Europäischen Kommission, die Anzahl der EBR im Anwendungsbereich der Richtlinie zu erhöhen. Dafür spricht sich auch der EWSA aus.

Um das Potenzial der zu realisierenden EBR-Gründungen zu erhöhen, sollte die Neufassung der Richtlinie aus Sicht des EWSA in Artikel 11.2 Regelungen und wirksame Maßnahmen enthalten, die deren Anwendung attraktiver und ein Ausweichen sowie eine regelwidrige Nichtanwendung schwieriger machen, wie bereits im Dokument der Kommission zur Konsultation der Sozialpartner intendiert (8).

5.2   Der vorliegende Revisionsentwurf lässt erkennen, dass die Europäische Kommission den europäischen Sozialpartnern eine große Bedeutung und Verantwortung für die praktische Umsetzung und Anwendung der EBR-Richtlinie einräumt.

So wird in Artikel 5.2 c) die Verpflichtung neu eingeführt, dass die Sozialpartner auf europäischer Ebene über den Beginn von Verhandlungen und die Zusammensetzung des obligatorisch zu errichtenden Besonderen Verhandlungsgremiums informiert werden (Artikel 5.2 c)).

So wird auch die aus der bisherigen Praxis bekannte positive Rolle der (europäischen) Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ausdrücklich anerkannt, die Aus- und Neuverhandlungen von EBR-Vereinbarungen zu unterstützen (Artikel 5.4/Begründung 39).

5.3   Der EWSA begrüßt in diesem Zusammenhang auch, dass der vorgelegte Kommissionsvorschlag die Situation in der Gründungsphase eines EBR entscheidend verbessert.

Danach müssen die Unternehmensleitungen allen Parteien die für die Aufnahme von Verhandlungen erforderlichen Angaben zur Struktur des Unternehmens und zur Belegschaft bereitstellen (Artikel 4.4).

Es ist damit zu rechnen, dass diese notwendige Klarstellung in Zukunft dazu beitragen wird, möglichen Streit in diesem Punkt zu vermeiden. In der Vergangenheit mussten Probleme bereits mehrfach vor dem EuGH ausgefochten werden (9).

5.4   Aus Sicht des EWSA würde es darüber hinaus einer zügigeren Errichtung von Europäischen Betriebsräten dienen, wenn die gesetzlich vorgesehene Frist für die Verhandlungen bis zum Abschluss einer Vereinbarung deutlich kürzer wäre.

In der Praxis hat sich die derzeit bestehende dreijährige Verhandlungsperiode als wenig alltagstauglich erwiesen, weil sie zu lang bemessen ist. Die meisten EBR-Verhandlungen wurden in wesentlich kürzerer Zeit abgeschlossen.

In kritischen Fällen hat der lange Zeitraum zu Diskontinuitäten und Verzögerungen der Verhandlungen geführt. Vereinbarungen nach den Standards in Artikel 6 der EBR-Richtlinie kamen deshalb in manchen Fällen nicht zustande.

Der EWSA tritt daher dafür ein, in der neuen EBR-Richtlinie die maximale Verhandlungsfrist zu reduzieren, z.B. auf 18 Monate, wie dies das Europäische Parlament bereits im Jahr 2001 vorgeschlagen hatte.

5.5   Schließlich unterstreicht der EWSA seine Hoffnung, dass auch während des Zeitraums der Umsetzung einer revidierten Richtlinie in nationales Recht neue EBR errichtet werden. Der EWSA geht davon aus, dass Vereinbarungen neu gegründeter Gremien während dieses Zeitraums voll und ganz den Standards nach Artikel 6 der bestehenden Richtlinie 94/45/EG bzw. ihrer Umsetzung in nationales Recht entsprechen und diese Vereinbarungen auch unter der neuen Richtlinie rechtlichen Bestand haben.

5.6   Bestehende Schwellenwerte und Einschränkungen: Der EWSA hält fest, dass auch im vorliegenden Kommissionsvorschlag zur Neufassung der EBR-Richtlinie an Schwellenwerten für Unternehmen zur EBR-Einrichtung, dem Ausschluss von Arbeitnehmergruppen in bestimmten Branchen (Handelsschifffahrt) sowie der Einschränkung bei der Information und Anhörung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (Tendenzschutz) festgehalten wird. Es wird sogar ein neuer Schwellenwert (mindestens 50 Arbeitnehmer pro Land) für die Vertretung auf grenzüberschreitender Ebene hinzugefügt. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass in verschiedenen Mitgliedstaaten Arbeitnehmervertretungen auch unterhalb dieses Schwellenwertes zu errichten sind. Deshalb sollte hier bei der Formulierung des Artikels 5 Absatz 2 Buchstabe b) (Zusammensetzung des Besonderen Verhandlungsgremiums) und in Absatz 1 Buchstabe c) des Anhangs I -subsidiäre Vorschriften (Zusammensetzung des EBR) des Kommissionsvorschlags — auf die Existenz einer nationalen Arbeitnehmervertretung abgezielt werden.

Der EWSA sieht darin ein beachtenswertes Spannungsverhältnis zum europäischen Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers auf zeitgerechte Information und Anhörung, wenn er von einer Entscheidung betroffen ist. Auch hier hätte der EWSA erwartet, dass dies bei der Neufassung der Richtlinie thematisiert worden wäre.

Brüssel, den 4. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  KOM(2008) 419 endg.

(2)  Siehe die EWSA-Stellungnahmen „Konkrete Anwendung der Richtlinie 94/45/EG über Europäische Betriebsräte und eventuell überprüfungsbedürftige Aspekte“ vom 24.9.2003, Berichterstatter: Herr PIETTE (ABl. Nr. C 10 vom 14.1.2004); „Der soziale Dialog und die Einbeziehung der Arbeitnehmer, Schlüssel zur Antizipierung und Kontrolle des industriellen Wandels“ vom 29.9.2005, Berichterstatter: Herr ZÖHRER (ABl. C 24 vom 31.1.2006); „Europäische Betriebsräte: Eine neue Rolle zur Förderung der europäischen Integration“ vom 13.9.2006, Berichterstatter: Herr Iozia (ABl. C 318 vom 23.12.2006).

(3)  Fußend auf dem Bericht des Europäischen Parlaments vom 16.7.2001, Berichterstatter: Herr MENRAD (A5-0282/2001-endg.).

(4)  P6-TA (2007) 0185.

(5)  Gemeinsames Arbeitsprogramm der Europäischen Sozialpartner 2003-2005. Siehe dazu auch die gemeinsame Erklärung vom 7.4.2005: „Lessons learned on European Work Councils“. Darin haben die europäischen Sozialpartner die positive Entwicklung des sozialen Dialogs durch Europäische Betriebsräte in eigenen umfangreichen Untersuchungen zu deren Funktionsweise herausgestellt, in denen u.a. auch die Bedeutung des sozialen Dialogs im Unternehmen unterstrichen wird.

(6)  Siehe Kommissionsdokument zur Anhörung der europäischen Sozialpartner, C/2008/660 vom 20.2.2008.

(7)  Siehe dazu EWSA-Stellungnahme vom 13.9.2006„Europäische Betriebsräte: Eine neue Rolle zur Förderung der europäischen Integration“, Berichterstatter: Herr Iozia (ABl. C 318 vom 23.12.2006).

(8)  In diesem Kommissionsdokument war angedacht, die EU-Mitgliedstaaten durch die neue Richtlinie aufzufordern, „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen“ vorzusehen, siehe: C/2008/660, S. 7.

(9)  Siehe dazu EuGH-Urteile zu Bofrost (C-62/99), Kühne & Nagel (C-440/00) und ADS Anker GmbH (C-349/01).


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Laufe der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 1.5

Vierten Spiegelstrich wie folgt ändern:

„—

Die Verantwortung der Unternehmensleitung für die regelgerechte Unterrichtung der Arbeitnehmervertreter auf grenzüberschreitender wie auf nationaler Ebene muss klargestellt werden. Der Versuch der besseren Abstimmung des Rechts zwischen verschiedenen Ebenen soll nicht zu neuen Unschärfen, oder Einschränkungen dieser Verpflichtung oder zu einer Verlangsamung des Beschlussfassungsprozesses führen.“

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 43

Nein-Stimmen: 91

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 3.2 bis einschl. Ziffer 3.2.3

Ziffern ersatzlos streichen.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 35

Nein-Stimmen: 100

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 3.3.2

Ersten Spiegelstrich wie folgt ändern:

„—

Die Unterrichtung in Form und Inhalt muss dergestalt sein, dass sie den Arbeitnehmervertretern zur Vorbereitung einer möglichen Anhörung mit kompetenten Vertretern des Managements eine eingehende Prüfung möglicher Auswirkungen geplanter Entscheidungen ermöglicht, ohne den Beschlussfassungsprozess in den Unternehmen zu verlangsamen , und

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 43

Nein-Stimmen: 91

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 4.2

Zweiten Absatz wie folgt ändern:

„—

Diese Möglichkeit zur Kompetenzerweiterung wird mit Sicherheit zur Verbesserung der Effizienz und Arbeitsfähigkeit beitragen. Konsequenter wäre es dann aber auch gewesen, deutlich zu machen, dass die Kosten für solche Schulungen entsprechend praktizierter Gepflogenheiten vom Unternehmen übernommen werden .“

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 37

Nein-Stimmen: 98

Stimmenthaltungen: 9


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/116


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“

KOM(2008) 414 endg. — 2008/0142 (COD)

(2009/C 175/22)

Der Rat beschloss am 23. Juli 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“

KOM(2008) 414 endg. — 2008/0142 (COD).

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. November 2008 an. Berichterstatter war Herr BOUIS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 4. Dezember) mit 80 gegen 3 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschaftsausschuss (EWSA) hat Fragen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung und den Patientenrechten bereits in mehreren Stellungnahmen behandelt und würdigt diesen Richtlinienvorschlag daher — umso mehr, als dieser Text nicht nur eine Antwort auf die Entscheidungen des europäischen Gerichtshofs ist, sondern auch mit den Patientenrechten und der Gestaltung einer Koordinierung der Gesundheitspolitiken in den Mitgliedstaaten in Zusammenhang steht.

1.2   In dem Text wird bekräftigt, dass die Gesundheitssysteme in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, und bleiben die Verfahren zur Erstattung der Behandlungen unangetastet. Die vorgeschlagenen Bestimmungen werden jedoch langfristig Auswirkungen auf die solidaritätsgestützten Gesundheitssysteme und ihre finanzielle Lebensfähigkeit haben. Der EWSA hinterfragt deshalb die konkreten Anwendungsmodalitäten hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips in der Gesundheitspolitik und spricht eine Reihe von Bemerkungen und Empfehlungen aus.

1.3   Der EWSA ist beunruhigt aufgrund der Gefahr einer Verschärfung der Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in puncto Zugang zu Behandlung und fordert daher, im Richtlinienvorschlag vorzusehen, dass bei der Gesundheitsversorgung die Gleichwertigkeit aller Menschen zu beachten und Menschen, die Gesundheitsversorgung am dringendsten benötigen, und/oder den geringsten Sozialschutz aufweisen, Vorrang einzuräumen ist.

1.4   Das Grundrecht, das es allen Nutzern ermöglicht, die erforderlichen Garantien hinsichtlich Qualität und Sicherheit zu erhalten, bringt Verpflichtungen im Bereich der Normung, der Zertifizierung, der Bewertung materieller und personeller Kapazitäten sowie der Organisation der Gesundheitsdienstleistungen mit sich.

1.5   Der Zugang zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung setzt voraus, dass die Kapazitäten der Gesundheitsdienste der einzelnen Länder in Bezug auf die technische und menschliche Leistungsfähigkeit, die medizinischen Geräte und die Zuständigkeiten der Gesundheitsdienstleister komplementär und ausgewogen sind. Dies impliziert eine Politik europäischer Beihilfen für die Ausbildung der Angehörigen der Gesundheitsberufe und die Ausstattung mit medizinischen Geräten. Bestimmten medizinischen Risiken im Zusammenhang mit der erhöhten Patientenmobilität muss hierbei besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

1.6   Nach Ansicht des EWSA sollte mit diesem Text nicht bezweckt werden, die Mobilität der Patienten zu verallgemeinern, sondern einen Rahmen vorzuschlagen, der die Ausübung dieses Rechts gestattet, ohne dabei das Erfordernis eines entsprechenden Zugangs zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung in nächster geografischer Nähe außer Acht zu lassen. Die eingesetzten Mechanismen dürfen in keinem Missverhältnis zum Umfang der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung stehen.

1.7   Der EWSA ist über die in der Richtlinie vorgenommene Unterscheidung zwischen Krankenhausbehandlung und ambulanter Behandlung besorgt — eine Unterscheidung, die mehr auf finanziellen Aspekten denn auf der Wirklichkeit der Organisation der Gesundheitsdienstleistungen in den einzelnen Ländern beruht —, und empfiehlt daher entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip und auf Grundlage von Artikel 86 Absatz 2 des Vertrags, dass jeder Mitgliedstaat selbst definiert, was er unter Krankenhausbehandlung bzw. ambulanter Behandlung versteht.

1.8   Der allen Bürgerinnen und Bürgern offenstehende Zugang zur Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat muss ohne Diskriminierung erfolgen — nach Maßgabe von Artikel 13 des Vertrags — und unter Achtung der Patientenrechte, wie sie der EWSA (1) aufgeführt hat, und zwar insbesondere über einen Patientenausweis und eine vollständige europäische Krankenakte, die für die Angehörigen der Gesundheitsberufe und die Patienten selbst zugänglich ist.

1.9   Eine wirksame Informationspolitik ist im Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung umso mehr erforderlich, als nur sie allein geeignet ist, den Grundsatz des gleichen Zugangs zur Gesundheitsversorgung mit Inhalt zu füllen und es den Nutzern zu ermöglichen, freie und fundierte Entscheidungen zu treffen. Eine solche Informationspolitik muss unter der Verantwortung jedes einzelnen Mitgliedstaats erarbeitet werden.

1.10   Die Informationen beziehen sich auch auf die Beschwerdemechanismen und Rechtsmittel bei einer Schädigung sowie die Möglichkeiten der Streitbeilegung; dementsprechend erscheint die Einrichtung einer einzigen Anlaufstelle zweckmäßig, und das Recht auf Klage vor dem Gericht am Wohnsitz des Patienten erweist sich als notwendig. Darüber hinaus empfiehlt der EWSA, das System der Pflichtversicherung auf alle Angehörigen der Gesundheitsberufe auszuweiten.

1.11   Um Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung zu vermeiden, muss bei den Mechanismen für die nachträgliche Erstattung sorgfältig auf die Erstattungsfristen und die Unterschiede bei therapeutischen Behandlungen und der Abgabe von Medikamenten, medizinischen Vorrichtungen zwischen den Behandlungsstaaten und dem Versicherungsstaat der Patienten geachtet werden.

1.12   Das Erstattungssystem muss auch dem Risiko von Ungleichheiten, ja Rechtsstreitigkeiten Rechnung tragen, da die Krankenversicherungssysteme uneinheitlich sind und nationale Besonderheiten aufweisen: direktes Abrechnungssystem, Selbstbeteiligung, Gebührenspanne, überweisender Arzt, Kodifizierung der ärztlichen Verrichtungen etc.

1.13   Sämtliche Informationsmaßnahmen müssen nicht nur den Anforderungen im Hinblick auf die Sicherheit und Qualität der verbreiteten Botschaften genügen, sondern darüber hinaus auch dazu beitragen, die Wahlfreiheit des Einzelnen zu gewährleisten und Abwägungen zwischen wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenhalt, sozialer Gerechtigkeit und kollektiver Solidarität zu erleichtern.

1.14   Nationale Kontaktstellen müssen mit den Vereinigungen zur Vertretung der Arbeitnehmer, Familien und Nutzer in Verbindung stehen und in enger Kooperation mit den Krankenversicherungsträgern gestaltet sein, damit diese die einschlägigen Informationen weiterleiten. Sie müssen auch Informations-/Aufklärungsmaßnahmen über die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung entwickeln, die an die Ärzte, das Pflegepersonal/medizinisch-technische Personal und die Sozialarbeiter gerichtet sind.

1.15   Besondere Aufmerksamkeit muss der Kontinuität der Gesundheitsversorgung, der Patientenüberwachung, der Anpassung von Medizinprodukten und der Medikamenteneinnahme geschenkt werden. So ist es notwendig, dass zwischen den Angehörigen der Gesundheitsberufe und den Gesundheitsstrukturen eine Koordinierung der an der Behandlung beteiligten Fachdisziplinen und des langfristigen Behandlungsplans der Patienten stattfindet.

1.16   Die Einrichtung der Europäischen Referenznetze muss mit der Entwicklung von Informationstechnologien in vollkommener Interoperabilität einhergehen, damit alle Patienten unabhängig von ihrem Wohnort davon profitieren. Der Austausch von Sachverstand dürfte es ermöglichen, die Qualität der Systeme der EU-Mitgliedstaaten zugunsten aller Akteure zu verbessern: Einrichtungen, Angehörige der Gesundheitsberufe, Patienten usw.

1.17   Die Aggregation der von den Mitgliedstaaten gesammelten Daten muss nicht nur eine Bilanz der Anwendung der Richtlinie, sondern auch die Ermittlung von Indikatoren ermöglichen, anhand derer die Stärken und Schwächen der Gesundheitssysteme und die Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung eingeschätzt werden können. Es wäre erforderlich, den betreffenden Bericht auch dem EWSA zu unterbreiten, der sich seinerseits verpflichtet, Folgemaßnahmen durchzuführen und ggf. neue Initiativstellungnahmen zu erarbeiten.

1.18   Für die Anwendung effektiver Patientenrechte bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ist eine Anpassungszeit notwendig, damit eine tief greifende Veränderung der Verfahren sowie ein Wandel in der Geisteshaltung und eine Umgestaltung der Ausbildung der Angehörigen der Gesundheitsberufe stattfinden können. Sie bringt es mit sich, dass in die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Grundsätze einer europäischen Charta der wechselseitigen Rechte und Pflichten der Akteure des Gesundheitswesens aufgenommen werden.

1.19   Nach Ansicht des EWSA wird deutlich, dass es mithilfe des gewählten Ansatzes nicht gelungen ist, die Frage der Subsidiarität in der Gesundheitsversorgung vollständig mit der Notwendigkeit eines konsequenten Vorgehens bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in Einklang zu bringen. Dadurch stehen die Türen für stark voneinander abweichende Auslegungen offen, die sowohl für Patienten als auch für Gesundheitsdienstleister zu Rechtsschwierigkeiten führen können.

2.   Zusammenfassung der Mitteilung

2.1   Rechtlicher und politischer Kontext

2.1.1   Im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs wurde die Kommission schon 2003 aufgerufen, Wege zu suchen, um die Rechtssicherheit im Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu verbessern.

2.1.2   Die Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt von 2004 enthielt diesbezügliche Bestimmungen. Das Parlament und der Rat lehnten diese ab; man war der Auffassung, dass den Besonderheiten der Gesundheitspolitiken, die sich von Land zu Land erheblich unterschieden, ihrer fachlichen Komplexität und den Herausforderungen im Zusammenhang mit der Finanzierung nicht hinreichend Rechnung getragen worden war. Ferner ist auch auf die Bedeutung der öffentlichen Meinung in dieser Frage hinzuweisen.

Die Kommission beschloss, 2008 eine Mitteilung und eine Richtlinie vorzuschlagen, mit denen ein klarer und transparenter Rahmen für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in der Union geschaffen werden soll. Es geht dabei um die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen im Ausland, d.h. wenn sich ein Patient zwecks Behandlung zu einem Gesundheitsdienstleister in einem anderen Mitgliedstaat begibt. Zu diesem Zweck schlägt die Kommission eine Definition von Krankenhausbehandlung und ambulanter Behandlung vor.

2.2   Vorgeschlagener Rahmen

2.2.1   Der Vorschlag beruht auf Artikel 95 des Vertrags über die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts, Artikel 152 über das Gesundheitswesen sowie den allgemeinen Grundsätzen der Grundrechtscharta, wie sie in den Bestimmungen des Reformvertrags enthalten sind.

2.2.2   Im Hinblick auf die Zielsetzungen gliedern sich die rechtlichen Definitionen und allgemeinen Bestimmungen in drei Hauptbereiche: gemeinsame Grundsätze in allen EU-Gesundheitssystemen, spezifischer Rahmen für grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung, europäische Zusammenarbeit bei der Gesundheitsversorgung. Die Richtlinie schafft Klarheit hinsichtlich der Grundsätze der Kostenerstattung für Gesundheitsdienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten und der Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung der Patientenrechte, indem zwischen Krankenhausbehandlung und ambulanter Behandlung unterschieden wird.

2.2.3   Der bestehende Rechtsrahmen für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit wird von diesem Vorschlag nicht berührt.

2.2.4   In der Richtlinie werden die zu befolgenden Verfahren dargelegt. Ferner ist auch die Einsetzung geeigneter Mechanismen zur Information und Unterstützung der Patienten mithilfe nationaler Kontaktstellen vorgesehen. Jedem Patienten, der nicht innerhalb einer vertretbaren Frist Zugang zur Gesundheitsversorgung in seinem eigenen Land hat, wird gestattet, diese in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen.

2.2.5   Die Richtlinie regt zu einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit an, und zwar durch die Einsetzung von Europäischen Referenznetzen, die Technologiefolgenabschätzung im Gesundheitswesen und die Entwicklung von Online-Informations- und Kommunikationstechnologien.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA hat Fragen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung und den Patientenrechten bereits in mehreren Stellungnahmen behandelt und würdigt daher die Absicht der Europäischen Kommission, sich mit der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu befassen.

3.2   Nach Ansicht des EWSA sollte mit diesem Text nicht bezweckt werden, die Mobilität der Patienten zu verallgemeinern, sondern einen Rahmen vorzuschlagen, der die Ausübung dieses Rechts gestattet. Die eingesetzten Mechanismen dürfen bezüglich ihrer Größenordnung bzw. ihrer Kosten in keinem Missverhältnis zum Umfang der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung stehen.

3.3   Dieser Text ist konform mit den Werten der Europäischen Union und denen der Charta von Tallinn (2). Mit diesen Texten soll überall in Europa eine hochwertige und für alle zugängliche Gesundheitsversorgung vorgeschlagen werden.

Die vorgeschlagene Richtlinie neigt in ihrer jetzigen Fassung dazu, den komplexen, vielgestaltigen und unterschiedlichen Charakter der Gesundheitssysteme der 27 Mitgliedstaaten außer Acht zu lassen. Es ist so gut wie sicher, dass die Richtlinie in den verschiedenen Gesundheitssystemen der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt wird. Daher hinterfragt der EWSA die konkreten Anwendungsmodalitäten und wünscht eine eindeutige Definition von Krankenhausbehandlung und ambulanter Behandlung, um die Rechtssicherheit der Patienten und der Gesundheitsdienste zu stärken.

3.4.1   Im Text wird bekräftigt, dass die Gesundheitssysteme in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, und in vollem Umfang anerkannt, dass diese für die Organisation der Gesundheitssysteme, die Erbringung ärztlicher Leistungen und die Erstattung der Behandlungen verantwortlich sind. Die vorgeschlagenen Bestimmungen werden jedoch langfristig Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme und ihre finanzielle Lebensfähigkeit sowie den Umfang der mit ihnen verbundenen Rechte haben.

3.4.2   Angesichts der erheblichen Unterschiede in Bezug auf die erbrachten Leistungen und ihre Kosten birgt das System der Kostenerstattung nach erfolgter Bezahlung der Leistung durch den Patienten das Risiko von Ungleichheiten, ja Rechtsstreitigkeiten, da die Krankenversicherungssysteme uneinheitlich sind und nationale Besonderheiten aufweisen. Der EWSA befürchtet, dass die Richtlinie eine Gelegenheit bietet, den Gesundheitsmarkt dem Wettbewerb zu öffnen, und dass nach Inkrafttreten der Dienstleistungsrichtlinie die Qualität des gesamten Gesundheitsschutzes in Europa dadurch sogar untergraben werden kann.

3.4.3   Die Wirksamkeit und die sachgerechte Nutzung der Gesundheitsversorgung im grenzüberschreitenden Rahmen setzt voraus, dass die Kapazitäten der Gesundheitsdienste in den einzelnen Ländern in Bezug auf die technische und menschliche Leistungsfähigkeit, die medizinischen Geräte und die Festlegung der Zuständigkeiten der Gesundheitsdienstleister komplementär und ausgewogen sind.

3.4.4   Bei der Erbringung grenzüberschreitender Gesundheitsdienstleistungen haben die Patienten in jedem Fall ein Recht auf Garantien bezüglich Qualität und Sicherheit. Dieses Grundrecht wirft die Frage der Harmonisierung der Verfahren im Hinblick auf die Zertifizierung, die Bewertung der ärztlichen Verrichtungen, die Kapazität der medizinischen Geräte sowie die Organisation des Systems der Wiedergutmachung von Schäden auf.

3.4.5   Für eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung von hoher Qualität und das Vertrauen in die im Aufnahmeland erbrachten Gesundheitsdienstleistungen müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, die die Kontinuität dieser Versorgung gewährleisten, u.a.:

die allgemeine Einführung eines individuellen Patientenausweises für alle Bürgerinnen und Bürger von Geburt an;

die Führung einer vollständigen und für die Angehörigen der Gesundheitsberufe und die Patienten zugänglichen europäischen Krankenakte;

eine gemeinsame Formulierung der Behandlungspläne;

eine koordinierte Verschreibungs- und Abgabepraxis, insbesondere die allgemeine Verwendung des Wirkstoffnamens und nicht der Handelsbezeichnung, auch wenn Arzneimittel den Regeln des internationalen Handels unterliegen;

eine Normung und Zertifizierung der Implantate, medizinischen Vorrichtungen und Medizinprodukte;

die Einführung von Verfahren zur europäischen Akkreditierung bzw. Zertifizierung der medizinischen und paramedizinischen Krankenhausausstattung;

ein Gemeinschaftsverfahren für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln.

Alle diese Bedingungen machen die Entwicklung neuer Technologien mit einer Interoperabilität der Informatiksysteme erforderlich.

3.4.6   Solche Veränderungen der Organisation des Gesundheitssystems und der Gesundheitspraktiken erfordern nicht nur einen Wandel in der Geisteshaltung und eine Umgestaltung der Ausbildung der Angehörigen der Gesundheitsberufe, sondern auch eine rechtliche Weiterentwicklung der Kompetenzfestlegung, der Rolle und der Verantwortlichkeiten der Gesundheitsdienste jedes Landes, was eine Anpassungszeit voraussetzt.

Die allen Patienten offenstehende Möglichkeit der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung muss einen gleichen Zugang zu allen Diensten und allen Angehörigen der Gesundheitsberufe implizieren, ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse bzw. der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Überzeugung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Sie macht u.a. eine wirksame Informationspolitik erforderlich, die auf folgende zwei Schwerpunkte ausgerichtet ist:

3.4.7.1   Informationen über das Behandlungsangebot, die allen Bürgerinnen und Bürgern bei ihrer Entscheidung über die Inanspruchnahme der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen müssen und unter der Verantwortung der Gesundheitsaufsichtsbehörden veröffentlicht werden; diese müssen zudem dafür sorgen, dass der Zugang zu diesen Informationen auch für bestimmte besonders gefährdete Gruppen wie sozial isolierte oder wirtschaftlich benachteiligte Menschen gewährleistet ist.

3.4.7.2   Informationen über die Krankheit, die Behandlungsmöglichkeiten mitsamt ihres Nutzens und ihrer Risiken sowie die Merkmale der medizinischen Strukturen bzw. des Gesundheitspersonals, von denen/dem diese Gesundheitsdienstleistungen erbracht werden.

3.4.7.3   Da diese Informationen im Zusammenwirken mit den Angehörigen der Gesundheitsberufe erteilt werden, setzt dies voraus, dass diese selbst auf dem Laufenden darüber sind, welche Möglichkeiten in Europa zur Verfügung stehen. Deshalb muss eine Verbindung zwischen Gesundheitsdienstleistern und nationalen Kontaktstellen hergestellt werden, was mit sich bringt, dass entsprechende Finanzmittel aufgebracht werden und dass die Sprachenbarriere überwunden wird.

3.4.8   Die Informationen müssen vollständig und relevant sein, um es den Patienten zu ermöglichen, freie und fundierte Entscheidungen zu treffen und nicht Opfer von Abwerbeaktionen und kommerziellen Machenschaften zu werden.

3.4.9   Nur solche verpflichtenden Informationen sind geeignet, den in der Richtlinie genannten verpflichtenden Gleichbehandlungsgrundsatz mit Inhalt zu füllen, ganz gleich, welche grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Anspruch genommen werden soll.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Artikel 3

4.1.1   Der EWSA hält fest, dass die vorgeschlagene Richtlinie unbeschadet vorheriger Gemeinschaftsbestimmungen und insbesondere mit Blick auf die Verordnungen 1408/71 und 883/2004 angewandt werden muss.

4.2   Artikel 4 Absatz d)

4.2.1   Der EWSA hält die Liste der Angehörigen der Gesundheitsberufe für unvollständig und möchte, dass auch medizinisch-technisches Personal wie Logopäden, Orthoptisten u.Ä. hinzugenommen werden.

4.3   Artikel 5

4.3.1   Der EWSA nimmt besonders diesen Artikel zur Kenntnis. Er stellt fest, dass die Herausforderung darin bestehen wird, eine den Bedürfnissen und Wünschen der Bürgerinnen und Bürger angemessene Gesundheitsversorgung sicherzustellen, indem ihnen Rechte gewährt, aber auch Verantwortlichkeiten übertragen werden, um auf diese Weise das Wohlergehen durch eine Kombination aus wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenhalt, sozialer Gerechtigkeit und kollektiver Solidarität zu fördern. Der EWSA wird sorgsam darauf achten, dass die Vielfalt der Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten durch die Festlegung der Qualitäts- und Sicherheitsstandards nicht gefährdet wird (Artikel 152 Absatz 5).

4.3.2   Der EWSA unterstreicht nachdrücklich die Bedeutung der Gesundheitssysteme für die Bevölkerung — und insbesondere die besonders Bedürftigen — sowie die Auswirkungen eines besseren Zugangs zur Gesundheitsversorgung auf das Wirtschaftswachstum, und hebt hervor, dass alle Investitionen, die den Zugang zur Gesundheitsversorgung ermöglichen, umso wirksamer sind, je koordinierter sie getätigt werden.

4.4   Artikel 6

4.4.1   Der EWSA hält es für erforderlich, dass bei den Mechanismen für die nachträgliche Erstattung sorgfältig darauf geachtet wird, dass die Verfahren für Behandlungen und für die Abgabe von Medikamenten bzw. medizinischen Vorrichtungen in die Zuständigkeit des Behandlungsstaates und nicht des Versicherungsstaates der Patienten fallen. Es wäre deshalb notwendig, sowohl für die Erstattungssätze als auch die Verpflichtungen hinsichtlich der Kontinuität der Versorgung Listen der Entsprechungen zu erstellen.

4.4.2   Der EWSA hat Bedenken bezüglich der zusätzlichen Kosten, die die Patienten im Falle einer unvorhergesehenen Nichterstattung zu übernehmen haben. Zur Gewährleistung der Kontinuität wird es langfristig erforderlich sein, eine Übernahme der Kosten für diese Behandlungen durch das Versicherungsland zu erwägen. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf die Finanzierungssysteme haben.

4.4.3   Der EWSA hält es in dem Bemühen, jegliche Ermutigung einer Zweiklassenmedizin vom doppelten Standpunkt der Patienten und der Staaten aus zu vermeiden, für erforderlich, dass die Frage der Kostenverrechnung im Behandlungsstaat und der Zahlungsbedingungen geklärt wird. Der EWSA unterstreicht, dass bei der Frage der Abrechnung auf eine strukturorientierte Ausgestaltung geachtet werden muss.

4.5   Artikel 7 und 8

4.5.1   Der EWSA ist besonders besorgt über die in der Richtlinie vorgenommene Unterscheidung zwischen Krankenhausbehandlung und ambulanter Behandlung. Er stellt fest, dass diese Unterscheidung mehr auf finanziellen Aspekten denn auf der Wirklichkeit der Organisation der Gesundheitsdienstleistungen in den einzelnen Ländern beruht.

4.5.2   Während die Kommission die Herausgabe einer zusätzlichen Liste vorschlägt, empfiehlt der EWSA entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip und auf Grundlage von Artikel 86 Absatz 2 des Vertrags, dass es — außer in Fällen von offensichtlichem Missbrauch — Aufgabe der Mitgliedstaaten ist, zu definieren, was sie unter Krankenhausbehandlung verstehen. Die Absätze 1 und 2 müssten dann entsprechend geändert werden.

4.6   Artikel 9

4.6.1   Nach Meinung des EWSA kann sich das System der Vorabgenehmigungen als positiv erweisen, wenn es dank des Dialogs, der zwischen den Patienten und ihrem Krankenversicherungsträger entstehen kann, zu einem Nachdenken und einer Information der Patienten kommt. Darüber hinaus kann ein solches System die Übernahme spezifischer Leistungen gewährleisten, wie bspw. die Erstattung von Beförderungskosten.

4.6.2   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass es unabhängig von der vorherigen Veröffentlichung der Kriterien für die Vorabgenehmigung notwendig ist, jede Versagung ordnungsgemäß zu begründen und den Patienten zu erklären.

4.7   Artikel 10

4.7.1   Der EWSA hält es für wichtig, dass Informationsmechanismen geschaffen werden, die den Patienten die Entscheidungen bezüglich einer grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung erleichtern. Aus diesen Informationen müssen insbesondere die Pflicht und die Grenzen der Leistung sowie die Erstattungsmodalitäten und die vom Patienten zu tragende Restbelastung hervorgehen.

4.7.2   Der EWSA empfiehlt, das System der Pflichtversicherung (3) auf alle Angehörigen der Gesundheitsberufe auszuweiten und Informationen über die Beschwerdeverfahren und Rechtsmittel im Falle einer Schädigung im Sinne eines fahrlässigen oder vorsätzlichen ärztlichen Kunstfehlers (Behandlungsrisiko) zu geben.

4.7.3   Der EWSA hält es für zweckmäßig, für die Beschwerdeverfahren und die Klageeinreichung das Prinzip der einzigen Anlaufstelle festzulegen und dafür zu sorgen, dass jede Streitigkeit in die Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Patienten fällt.

4.7.4   Nach Ansicht des EWSA sind die Online-Informationsdienstleistungen und Internetseiten ein Informationselement für die Patienten, das stärker ausgebaut werden sollte. Die Informationsquellen und -modalitäten dürfen jedoch nicht auf ein einziges Hilfsmittel beschränkt bleiben, da viele unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen keinen Internetzugang haben. Das Risiko bestünde darin, einem zweigleisigen Gesundheitssystem Vorschub zu leisten, in dem nur die sozial besser gestellten und bestinformierten Patienten in den Genuss des Zugangs zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung kommen.

4.8   Artikel 12

4.8.1   Die nationalen Kontaktstellen müssen mit den verschiedenen Vereinigungen zur Vertretung der Arbeitnehmer, Familien und Nutzer der Gesundheitsdienste in Verbindung stehen, in enger Kooperation mit den Krankenversicherungsträgern und den Trägern der Selbstverwaltung der Leistungserbringer gestaltet sein und als einschlägige Relaisstationen für diese Informationen fungieren. Im Übrigen müssen diese Kontaktstellen Informations-/Aufklärungsmaßnahmen über die Möglichkeiten im Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung entwickeln, die an die Ärzte, das Pflegepersonal/medizinisch-technische Personal und die Sozialarbeiter gerichtet sind, wobei jeder Mitgliedstaat für die Einrichtung seiner nationalen Kontaktstelle verantwortlich ist.

4.9   Artikel 14

4.9.1   Der EWSA nimmt diesen Artikel, der auch bei der Medikamenteneinnahme die Kontinuität der Gesundheitsversorgung ermöglicht, zur Kenntnis, spricht sich jedoch angesichts der Risiken des Überkonsums, ja des Handels, die sich daraus entwickeln könnten, für eine strenge Anwendung aus. Er stellt fest, dass die Abgabe von Medikamenten auf beschränkte ärztliche Verschreibung in der Richtlinie unberücksichtigt bleibt.

4.10   Artikel 15

4.10.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass dieser Artikel seiner Besorgnis über die Ungleichheit bei der Qualität der Gesundheitsdienstleistungen in den Mitgliedstaaten teilweise Rechnung trägt. Die Einrichtung dieser Europäischen Referenznetze muss jedoch mit der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien einhergehen, die es allen Patienten unabhängig von ihrem Wohnort ermöglichen, davon zu profitieren.

4.10.2   Zu den Zielen der Europäischen Referenznetze sollte Folgendes hinzugenommen werden:

zusätzlich zu Ziffer 2 Buchstabe a): „sowie die Behandlungsverfahren zu bewerten und zu registrieren“;

zusätzlich zu Ziffer 2 Buchstabe d): „die Abschlüsse anzuerkennen und die berufsethischen Grundsätze zu befolgen.“

4.10.3   Auch wenn ein Verfahren bezüglich des Beitritts der Mitglieder zu diesen Netzen vorgesehen ist, möchte der EWSA daran erinnern, wie wichtig eine Bewertung bzw. die Einführung eines Verfahrens zur Zertifizierung ist.

4.10.4   Der EWSA wünscht, dass in der Liste der spezifischen Kriterien und Bedingungen, die die Europäischen Referenznetze erfüllen müssen,

Ziffer 3 Buchstabe a)ix) um folgenden Wortlaut ergänzt wird: „darüber hinaus ist eine solche Zusammenarbeit insbesondere in Bezug auf die Teilnahme der Nutzer an der Festlegung der vertretbaren Frist erforderlich“;

Ziffer 3 um Buchstabe a)x) ergänzt wird: „die Anerkennung und Einhaltung einer gemeinsamen Charta der Patientenrechte anregen, die die wirksame Anwendung dieser Rechte sowohl im Herkunftsland als auch im Rahmen der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung gewährleisten“.

4.11   Artikel 18

4.11.1   Die Aggregation der von den Mitgliedstaaten erhobenen statistischen Daten muss eine Bilanz der vorliegenden Richtlinie gestatten. Es wäre wünschenswert, dass dies auch die Ermittlung von Indikatoren ermöglicht, mit deren Hilfe die Stärken und Schwächen der Gesundheitssysteme nuancierter eingeschätzt und die Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung identifiziert werden können.

4.12   Artikel 20

4.12.1   Die Modalitäten für die Vorabgenehmigung sollten ausdrücklich dargelegt und als zu analysierendes Datenmaterial an die Kommission übersandt werden.

4.12.2   Es wäre erforderlich, diesen Bericht auch dem EWSA zu unterbreiten.

Brüssel, den 4. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


(1)  Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema „Patientenrechte“, Berichterstatter: Herr Bouis (ABl. C 10 vom 15. Januar 2008).

(2)  Die Charta wurde am 27. Juni 2008 von den Gesundheitsministern der Europa-Region der WHO in Tallinn unterzeichnet.

(3)  Haftpflichtversicherung.


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/122


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom […] zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“

KOM(2008) 544 endg. — 2008/0173 (COD)

(2009/C 175/23)

Der Rat beschloss am 8. Oktober 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 44 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie…/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom […] zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“

KOM(2008) 544 endg. — 2008/0173 (COD).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 169 gegen 2 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 3. Dezember 2008.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE


28.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/123


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung des Anwendungsbereichs von Artikel 143 Buchstaben b und c der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Mehrwertsteuerbefreiung bestimmter endgültiger Einfuhren von Gegenständen (kodifizierte Fassung)“

KOM(2008) 575 endg. — 2008/0181 (CNS)

(2009/C 175/24)

Der Rat beschloss am 8. Oktober 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 93 und Artikel 94 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung des Anwendungsbereichs von Artikel 143 Buchstaben b und c der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Mehrwertsteuerbefreiung bestimmter endgültiger Einfuhren von Gegenständen“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2008) 575 endg. — 2008/0181 (CNS).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 449. Plenartagung am 3./4. Dezember 2008 (Sitzung vom 3. Dezember) mit 167 gegen 3 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 3. Dezember 2008

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI

Der Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Martin WESTLAKE