verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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Denn kein Teufel in der siebenten Hölle ist so pfiffig, wie der einäugige Spitzbube, und damals hatte er noch obendrein seine beiden Diebslichter im Kopf.
Was soll ich Euch viel sagen, Herr? Am folgenden Abend schlich der Herr Gino in’s Haus, auf einem ganz sichern Wege, wie er meinte; aber schon war Alles verloren und verrathen. Denn er war erst ein paar Stunden droben bei seiner armen Geliebten, die nun eines Andern Frau war, so wird die Hausthür aufgebrochen und der Marchese -– der Taddeo nämlich hatt’ es ihn nach Mailand wissen lassen – stürzt herein, nein, stürzt nicht, sagt Martina, sondern fährt wie ein Racheengel, einen Blitz in der Hand – seinen Degen nämlich – an ihr vorbei und hinauf, daß sie erst meint, es habe neben ihr eingeschlagen. Aber sie rafft sich noch rasch genug zusammen, um hinauf zu eilen, womöglich ihrer armen Herrschaft zu Hülfe. Lieber Himmel, wie hätte das arme Geschöpf ihr helfen können gegen den Wüthenden! Denkt nur, lieber Herr, wie sie oben in das Zimmer unserer Frau tritt, da sieht sie den Herrn Marchese mitten auf dem Teppich stehen und er rührt kein Glied, nur der Degen in seiner Hand zitterte so stark, daß die Klinge beständig hin und her blitzte, weil eine Lampe von der Decke herabhing. Und dabei sprach er kein Wort und die Frau auch nicht; sie saß nämlich auf einem Stuhl neben dem Bett und, sagte die Martina, sie war weiß wie Kreide, aber furchtsam sah sie gar nicht aus, vielmehr wie wer schon gestorben ist und es kann ihm nichts mehr geschehen. Das sah die Martina Alles, denn Keines hatte sie kommen hören und sie stand im Schatten neben einem großen Schrank.
Plötzlich hörte man draußen ein Geschrei, denn das Fenster stand offen, und Taddeo’s Stimme war ganz deutlich zu unterscheiden, wie er schrie: ‚Verfluchter Mörder! Hülfe! Hülfe!‘ und in demselben Augenblick machte der Marchese eine Bewegung gegen den Stuhl bin, und schüttelte die Faust mit dem Degen, als wollte er seine Frau durch und durch rennen. Aber, sagt Martina, da schlug sie nur die Augen gegen ihn auf und sah ihn an, als ob sie sagen wollte: thu’s! thu’s nur, wenn Du das Herz hast! Und er – den Blick konnte er nicht aushalten; da nahm er seinen Degen, stemmte die Klinge gegen den Fußboden und zerbrach ihn – krak! – und die Stücke warf er zum Fenster hinaus. Und da ging die Thür auf und Taddeo kam herein, scheußlich anzusehen, sagt Martina, so blutig wie ein Metzger vom Kälberstechen, und trug was in jeder Hand, in der einen sein eines Auge, das hatte ihm bei dem Raufen unten der arme Ertappte ausgeschlagen, in der andern eine goldene Taschenuhr an einer kleinen Kette. ‚Hier, Excellenza,‘ sagte er; ‚das ist Alles, was dabei herausgekommen ist. Er selbst ist entsprungen, der maledeite Mörder!‘ – Damit gab er dem Marchese die Uhr und kehrte sich um, und wie er draußen war, heulte er vor Schmerz und Wuth, und die Martina, die ein mitleidiges Herz hat, lief ihm nach, ihm Umschläge um seine Wunde zu machen, aber er sprach kein Wort mit ihr über die ganze Sache, weil er sie für zu dumm hielt, sondern fluchte und schäumte nur, und die Nacht that Keins in der Villa ein Auge zu. Was die Herrschaft noch mit einander geredet, kann nur Gott wissen. Viel war es in keinem Fall, sagt Martina. Denn sie hörte bald darauf den Herrn in sein Zimmer gehen und sich da einschließen. Dasselbe that auch die Frau. Sie öffnete nicht und antwortete auch nicht, als Martina gegen Mitternacht hinaufging, um nach ihr zu sehen. Aber das Licht brannte die ganze Nacht bei ihr, und man hörte keinen Laut durch’s Haus, als nur das Wüthen und Aechzen des Taddeo.
Morgens früh kam der Marchese in die Küche und sagte der Martina, es sei ein Dieb in der Nacht eingebrochen, sie möge diese Anzeige, die er aufgesetzt, in den nächsten Ort tragen, wo ein Gensd’armerie-Posten war, und zugleich diese Briefe auf die Post. Darunter war einer an den Grafen und die Gräfin und der andere an mich. Da ging er in Taddeo’s Kammer und schickte ihn ebenfalls zum nächsten Feldscheer mit seinem blutigen Gesicht. Und drei oder vier Tage darauf, als ich hinkam, war’s schon im besten Heilen, aber freilich, ein frisches Auge konnten ihm alle Doctoren der Welt nicht ancuriren, und darum hatte er nun einen Haß auf unsere Frau, daß ich glaube, wenn der Marchese ihm gesagt hätte: wirf sie bei lebendigem Leibe in einen Kessel mit siedendem Wasser, er hätte es gethan, der giftige Hund. Darum konnte der Herr ihm ruhig das Castell übergeben, als er fortritt. Ich aber wußte nun genug. Am andern Morgen, gleich in aller Frühe, ging ich zu meiner Frau, obwohl sie mich nicht gerufen hatte. Sie lag wachend im Bett, und ich sah’s ihr wohl an, daß sie nicht viel geschlafen hatte. Da sagte ich ihr, daß ich Alles wisse und sie solle sich nur zufrieden geben, kein Mensch in der Welt könne es ihr verdenken, daß sie ihrem armen Geliebten nicht gleich den Laufpaß gegeben, und wenn man mich so gezwungen hätte, einen alten Mann zu heirathen, dem hätt’ ich’s noch viel ärger gemacht. ‚Und gewiß,‘ sagt’ ich, ‚wenn der Herr Gino erst weiß, wo Ihr steckt, Himmel und Hölle bietet er auf, um Euch zu befreien, und müßt’ er das Castell an allen vier Ecken in Brand stecken, oder sich durch den Felsen einen Gang zu Euch graben,‘ sagt’ ich. – Aber wenn Ihr glaubt, lieber Herr, daß all’ meine guten Worte sie nur so viel getröstet hätten, so irrt Ihr Euch. Es war, wie wenn ich’s in den Ziehbrunnen gesprochen hätte. Erst als ich so zufällig erwähnte, unser Kerkermeister sei wieder fortgeritten, fragte sie, indem sie hastig vom Bette aufsprang: ‚wohin?‘ Und da ich’s nicht wußte, fing sie, am ganzen Leibe zitternd, zu klagen an: ‚Er wird ihn suchen, gewiß, er wird nicht ruhen, bis er ihn gefunden hat, und dann ist’s sein Tod!‘ – ‚Oder Eures Herrn!‘ tröstete ich sie, ‚und dann seid Ihr frei.‘ – Aber sie wollte nichts hören, und diese ganze Woche, bis endlich der Marchese wiederkam, war Euch ein wahres Fegefeuer vor Angst und Elend. Da aber brachte er Briefe mit von ihren Eltern, die beruhigten sie. Der Marchese war die ganze Zeit in der Stadt gewesen, schrieb die Mutter, und hatte seine Geschäfte geordnet, auch seinen Abschied genommen als Militär, um nur für die Genesung seiner Frau zu leben, wie er ihnen vorgespiegelt. Und dann Bitten und Ermahnungen, sich doch nicht ihrer Schwermuth hinzugeben, und die besten Worte, und ob die Mutter nicht kommen dürfe. Auch aus der Stadt allerlei Neuigkeiten, und darunter, daß ihr Vetter Gino sich in Genua eingeschifft habe, weil die Flotte nach Afrika geschickt werde, und das war der beste Trost von Allem. Denn nun war er vor der Rache des Marchese für eine Weile sicher. Sie selbst gab mir den Brief zu lesen, sprach aber nichts dabei, wie sie denn überhaupt in den drei Jahren wenig Worte von sich gegeben hat, außer wenn sie betet. Ach, Herr Capitano, ein Tiger, ein Krokodil würde blutige Thränen weinen, wenn sie die arme Frau so still und blaß wie eine Sterbende herumwanken sähen, und dieses Ungeheuer, ihr eigner Mann –“
Mitten in die Hauptbegebnisse des jüngsten deutschen Krieges fiel der wohl von Manchem in stiller Sammlung begangene fünfundzwanzigjährige Gedenktag eines Ereignisses, das, zwar nicht vom Donner der Kanonen in alle Lande hinaus verkündet, doch auch der Anstoß wurde zur Erneuerung eines alten gewaltigen Kampfes, des Kampfes um eines unserer edelsten Güter, um religiöse Freiheit. Am 29. Juni war es ein Vierteljahrhundert, daß die sogenannte „lichtfreundliche“ Bewegung ihren Anfang nahm; der Mann, welcher die äußere Veranlassung dazu gab, der als der eigentliche Vater der aus dem Schooße des Protestantismus hervorgegangenen freireligiösen Agitation zu betrachten ist; welcher in einem Umfange wie kein Anderer von ihrem Entstehen an bis auf den heutigen Tag durch Schrift und Wort und durch die Macht seiner Persönlichkeit für sie gewirkt, ihre weitere Ausbreitung gefördert, mit unbeugsamem Muthe ihr Recht vertheidigt und für sie gelitten hat; er gehört in die Reihe jener Geisteshelden, die ihr ganzes Leben einsetzen, die Menschheit aus dem Dunkel des Wahnglaubens zum Lichte des freien Gedankens emporzuringen, das allein ihrer würdig und zugleich ihr unveräußerliches Recht ist. Wer die Geschichte der religiösen Kämpfe unseres Vaterlandes in den letzten Jahrzehnten auch nur einigermaßen. kennt, der weiß, daß hier nur Uhlich gemeint sein kann; mit einer Charakteristik
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_780.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)