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Seite:Die Gartenlaube (1866) 643.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

sechspfündigen gezogenen Rohr geworfenes Projectil hatte auf zweitausend Schritt Distanz eine eiserne geschmiedete Platte von zwei Zoll durchbohrt und das dahinter liegende Holzwerk entzündet; wenigstens wurde mir nach Beendigung des Schießversuches so von einem Manne der Bedienungsmannschaft erzählt.

Nach dreistündigem Schießen und Kanoniren endete der Schießversuch; Dreysse wandte sich zum Heimgange, die Truppe folgte mit ihren Geschützen. Ich näherte mich mehr und mehr und befand mich innerhalb der in die Stadt führenden Pappelallee dicht hinter den Geschützen, so daß ich völlig Gelegenheit fand, mir Gestalt und Form wie nähere Beschaffenheit der neuen Waffen und ihrer Construction zu merken. Die Figur des neuen Zündnadelgewehrs habe ich flüchtig abgezeichnet, Weiteres jedoch über diese Gewehre und Geschützes an dieser Stelle zu geben, halte ich zur Zeit für ungeeignet, wenn mich auch kein Versprechen, keine Verpflichtung bindet. Aber fragen mußte ich mich: wird der große Waffen-Reformator auf die Prüfung und Annahme seiner neuesten Schöpfungen wiederum so lange zu warten haben, wie auf die Einführung seines Zündnadelgewehrs? Wird man an der maßgebenden Stelle bald den Befehl geben, wieder einmal und mit Ernst dem alten Dreysse seine Aufmerksamkeit zuzuwenden? Möge das Wort bald fallen, damit Preußen der Vorrang der ausgezeichnetsten und besten Bewaffnung gewahrt bleibe!

Unter diesen Gedanken und Hoffnungen war ich mit der Truppe wieder an das Wohnhaus Dreysse’s gelangt. Die Waffen verschwanden rechts im Arsenale, links bog der muntere Greis in den Hof seines Wohngebäudes ein, warf noch einen Blick auf seine Blumen und zog sich dann in seine Gemächer zurück, um nach wenigen Stunden die Ruhe zu suchen, die einen Tag wie den andern um neun Uhr Abends beginnt und um fünf Uhr Morgens aufhört.

Den Vormittag hatte ich zu einer Besichtigung der Localitäten und Baulichkeiten der Fabrik benützt, soweit dies irgend möglich war. Die Dreysse’sche Gewehrfabrik besteht aus vier verschiedenen Gebäudecomplexen, die sich theils rechts, theils links der Unstrut erheben, an welcher die Stadt liegt. In dem einen, dem sogenannten Rohrhammer, wird das Rohr bis zum Einlegen in den Schaft fertig gemacht und ausschließlich mit durch Wasser und Dampf getriebenen Maschinen bearbeitet. Ebenso werden darin die Ladestöcke, Bajonnete, die Hülsen, wie überhaupt alle gröberen Arbeiten des Gewehrs angefertigt.

Ein anderer Complex begreift die Dreysse’s Wohnhaus umschließenden eigentlichen Maschinen-Werkstätten. In diesen Werkstätten werden alle in den verschiedenen Theilen der Fabrik benöthigten Maschinen angefertigt. In der Construction dieser Maschinen zeichnet sich namentlich der Sohn Dreysse’s, Commissionsrath Franz von Dreysse, ein hochgebildeter, leider aber etwas unzugänglicher Mann, aus, der, beiläufig bemerkt, schon seit vielen Jahren Geschäftsdirigent ist, nachdem Nikolaus von Dreysse sich lediglich den Betrieb und die Ueberwachung der wenigen Werkstätten vorbehalten hat, in welchen er seine Experimente leitet, seine neueren Erfindungen ausbildet. Die unscheinbare Werkstelle zu rechter Hand im Hofe des Wohngebäudes, der wir im Anfange unserer Erzählung Erwähnung gethan haben, sowie eine zweite Werkstelle auf der anderen Seite des Pfarrbeutels, bergen die gediegensten und geschicktesten Schlosser Deutschlands, Feiler wie Dreher. Sie sind Dreysse’s Lieblinge und erfreuen sich seiner besonderen Theilnahme, denn sie geben seinen Ideen und Gedanken Fleisch und Blut, oder vielmehr, da hier nur Stahl und Eisen in Betracht kommt, Form und Gestalt.

Endlich am nördlichsten Ende der Stadt, wiederum hart an der Unstrut, dehnt sich in einem mächtigen länglichen Viereck die sogenannte eigentliche Gewehrfabrik aus, die mit ihren zahlreichen Arbeitssälen, ihren vielen hundert Fenstern, durch welche die großartigsten Maschinen sichtbar werden, ihrem wahrhaft infernalischen Lärm, ihren Tausenden von Arbeitern beiderlei Geschlechts einen imposanten Anblick gewährt. Der Eintritt in die Gewehrfabrik ist gekrönten Häuptern versagt worden, wenn sie keinen von höchster Hand ausgestellten Creditbrief mitbrachten; kein Wunder und kein Aerger, daß auch mich der den Eingang bewohnende Cerberus freundlich, aber entschieden abwies. In diesem Theile der Gewehrfabrik werden alle übrigen Bestandtheile des Gewehrs, außer Rohr, Bajonnet und Ladestock, also die verschiedenen Theile der Kammer, die Beschläge und Ringe, der Schaft u. s. w. verfertigt.

Aus dem Hintergrunde blickt verborgen unter alten Bäumen und dichten Sträuchern ein seltsames Gebäude etwas unheimlich hervor, man kann zu ihm nur vermittels einer Bogenbrücke über die Unstrut gelangen; das ist die Munitionsfabrik Dreysse’s, der Ort, wo trotz der zahlreichen munteren Arbeiterinnen und der romantischen Lage der plötzliche Tod verborgen lauert. Eine nie schlummernde Aufsicht, nie aus den Augen gesetzte Vorsicht haben die früher öfter vorkommenden Explosionen zwar auf äußerst seltene Fälle beschränkt, aber immerhin bleiben die im Pulver, Antimon, Knallquecksilber schlummernden höllischen Kräfte der menschlichen Kraft überlegen und spotten aller zu ihrem Darniederhalten aufgewendeten Vorsichtsmaßregeln. Wer einen Begriff davon erhalten will, der beschaue sich nur die verstümmelten Gliedmaßen des trotz seines Alters und trotz der erlebten vielen Explosions-Campagnen noch sehr munteren Werkführers. –

Zum Schluß sei mir noch gestattet einen Scherz Dreysse’s zu erzählen, der mich am besten einer weiteren Schilderung seines Charakters überhebt, da er zur Genüge die Schlichtheit und Bescheidenheit bezeichnet, welche den Mann trotz aller ihm gewordenen Ehren keinen Augenblick im Leben verlassen.

Dreysse besitzt außer dem obenerwähnten Sohne noch zwei Töchter, von denen die ältere an den Oberst v. Besser verheirathet ist, die jüngere mit dem bei Königgrätz gefallenen Hauptmann v. Garczynski vermählt war. Nach Empfang der traurigen Botschaft hat sich die noch junge Wittwe mit ihren Kindern nach Sömmerda zu ihrem Vater zurückgezogen. Jeden Augenblick, den der alte Herr sich abmüßigen kann, bringt er nun bei der trauernden Tochter und den verwaisten muntern Enkeln zu. Eines Tages bittet die Tochter den Vater, ihr doch einen Schlosser herüberzusenden, der ihr ein verdrehtes Schloß des Secretairs repariren solle. Lächelnd antwortet ihr Dreysse: „Meine Tochter, wozu einen Schlosser? Das ist ja mein Fach.“ Spricht’s, nimmt den Schlüssel und nach wenigen Versuchen öffnet er mit Leichtigkeit das Schloß. Das war doch wohl derselbe Dreysse, der fünfzig Jahre früher von Paris zurückkehrte, um seinem Vater bei der Schlosserei zu helfen!




Erinnerungen aus dem deutschen Kriege des Jahres 1866.
Nr. 2. Bei Chlum.
Von Georg Hiltl.

Die Schlacht von Königgrätz war geschlagen; Tags darauf kam ich, wie schon früher erzählt, auf die Wahlstatt, auch dahin, wo das Gefecht am heftigsten gewüthet hatte, an die Höhe von Chlum. Es ist eine seltsame, drückende, unheimliche Stille, die über dem weiten Schlachtfelde am Tage nach dem Kampfe lagert. Die langen Reihen der ewig Stummen, die blutigen oder durcheinander geschichteten Knäuel, welche, aus getödteten Menschenkindern bestehend, sich in gewissen Zwischenräumen auf der zerstampften Ebene erheben, scheinen von unsichtbaren Mächten gehütet zu werden, die da jedes lebendige Wesen verscheuchen. Kein Vogel zwitschert hier in den Feldern, keine Grille hüpft umher, selbst der Wind, so dünkt es dem Beschauer, zieht hoch über die Gefallenen hinweg und nur zuweilen bewegt er einen Busch, der auf dem Hute eines Opfers nickt, oder er streift die Haare einer Leiche mit seinem Hauche. Oede – bleierne Ruhe überall. Ganz hoch in den Lüften kreisen einige Raubvögel, fern am Horizonte wirbelt ein Schwarm häßlicher Aaskrähen, nur dicht um die Leichen der gefallenen Krieger regt sich geschäftig, gleich unzählbaren, beweglichen und bewegten Punkten, die aus Myriaden bestehende Armee der Käfer, Ameisen und Erdspinnen. Das Gewürm wittert reiche Beute. Die Todten sind die Letzten, denen ihr Recht wird, zuerst, und so soll und muß es sein, sucht man die Lebenden zu retten. Mit Laternen und Fackeln wird gleich nach Beendigung des Treffens umhergespäht; was noch aufgefunden werden kann, wo noch ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_643.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)