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Seite:Die Gartenlaube (1866) 468.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

die Demolirung des Pavillons, niemals aber, daß er ein Abkömmling der Hubert’s war. So ängstlich bemüht auch sonst die alte Dame war, Jedermann gerecht zu werden, hier hatte sie einen Punkt im Herzen, mit dem sie für alle Zeiten fertig zu sein glaubte, der völlig versteint war in seiner Isolirung und Unantastbarkeit; jede Nachgiebigkeit gegen die Hubert’sche Linie würde sie als eine tödtliche Beleidigung ihrer dahingeschiedenen Lieben angesehen haben. Welchen Auftritt mußte mithin das Erscheinen des verhaßten Nachbars in ihrem Hause zur Folge haben! Ein Gemisch von unsäglichem Bedauern und heftiger Angst überkam das junge Mädchen, indem sie sich die schroffe und rauhe Art und Weise vergegenwärtigte, mittels welcher die Hofräthin ohne allen Zweifel den Eindringling zurückweisen würde. Sie fühlte aber auch instinctmäßig, daß sie ihm dies seltsame Gefühl unaussprechlicher Theilnahme nicht zeigen dürfe, wenn sie ihn nicht geradezu bestärken wolle in seinem Vorhaben, und deshalb entgegnete sie so ruhig und beherrscht wie möglich:

„Ich habe Ihnen bereits gesagt, wie die Hofräthin Falk über Sie denkt; Sie können danach leicht bemessen, welche Aufnahme Sie finden würden. Jener Schritt wäre unter den obwaltenden Verhältnissen, gelind bezeichnet, eine Taktlosigkeit, die ich um so weniger entschuldigen würde, als sie für meine Tante nothwendig eine heftige Gemüthsbewegung herbeiführen müßte.“

„Diese Zärtlichkeit und ängstliche Fürsorge Ihres Herzens könnte in der That etwas Ergreifendes für mich haben, wenn sie nur nicht gar so – einseitig wäre,“ sagte er mit beißender Schärfe, „aber, um die Seelenruhe der alten Dame vor einer momentanen Schwankung zu behüten, wären Sie im Stande, andere unglückselige Menschenseelen in Verzweiflung und Elend zu stoßen… Wenn ich Ihnen nun sage, daß mich eine unbezähmbare Sehnsucht nach jenem alten Hause zieht, eine unwiderstehliche Macht, die mich schon längst alle Rücksicht vergessend, über seine Schwelle getrieben hätte, wären nicht – ja, wären nicht zwei Augen, die bei dem leisesten Annäherungsversuch so unsäglich kalt blicken können, und kennte ich nicht so verzweifelt genau jenes unheilvolle Zurückwerfen des Kopfes, das da entschieden und unwiderleglich sagt: weiche zurück, ich habe nichts mit dir zu schaffen! … Sie sehen, daß die Kühnheit und Zuversicht des Soldaten, Eigenschaften, die Sie vorhin in so spitzer Weise hervorhoben, trotz der überstandenen Feuerprobe, nicht in allen Fällen zum Durchbruch kommen.“

Er war, während er sprach, wieder mehrere Male rasch auf- und abgeschritten; seine Hände kreuzten sich auf dem Rücken, wobei Lilli bemerkte, daß die Finger in unaufhörlicher, fast krampfhafter Bewegung waren. Welche Scala der Leidenschaft, durchwandelte seine Stimme beim Sprechen! Und das Gemisch von Vorwürfen, Zorn und unaufhaltsam durchbrechenden inneren Leiden suchte er immer noch unter einer Art wilden Humors zu verstecken, eine völlig vergebliche Anstrengung, die Alles, was er sagte, nur um so bitterer erscheinen ließ.

Lilli gerieth allmählich in immer größere Aufregung. Es lag etwas wunderbar Fesselndes in der Erscheinung, die, von mächtiger innerer Bewegung getrieben, da vor ihr hin und wiederschritt; aber noch klangen, wenn auch leiser und ferner, die Mahnungen der Tante durch ihre Seele, und in dem Moment, wo sich ihr einige milde, versöhnliche Worte auf die Lippen drängen wollten, fiel ihr Blick auf einen glitzernden Gegenstand, der drunten durch das Gebüsch schimmerte: es war das Thurmfenster. Der Gedanke an die zwei weinenden Augen hinter den seidenen Gardinen drang wie ein Dolchstich durch ihr aufwallendes Herz und gab ihr sofort die Besonnenheit und Kraft zurück, den Anschein völliger Ruhe und Kälte festzuhalten.

„Sie finden natürlich die Unbeugsamkeit und Härte der alten Frau vollkommen gerechtfertigt?“ fragte er, plötzlich wieder vor dem jungen Mädchen stehen bleibend.

„Ich verdenke es ihr wenigstens nicht, wenn sie sich gegen einen Verkehr sträubt, der ihr nicht wünschenswerth ist.“

„Sie würden mithin ebenso handeln, auch wenn Sie damit ein menschliches Herz auf den Tod verwunden sollten? … Wo bleibt da die christliche Liebe?“

„Nun, ich denke, ein wenig Willensfreiheit müsse uns auch diesem Gebot gegenüber verbleiben.“

„Und kraft dieser Freiheit haben Sie beschlossen, mich meinem Schicksal zu überlassen?“

„Ich kann nichts für Sie thun.“

„Ist das Ihr letztes Wort?“

„Mein letztes!“ rief sie zurück, denn sie war bereits einige Schritte den Berg hinabgeeilt. Drunten aus dem Gebüsch tauchte Sauer’s grauer Kopf auf; der alte Diener machte die Meldung, daß eine junge Dame aus Lilli’s Bekanntenkreise im Hause warte. Sie folgte ihm tiefaufathmend, fand aber nicht den Muth, noch einmal dort hinaufzublicken, von wo die letzte Frage schneidend wie ein Weheruf herabgeklungen war.

(Schluß folgt.)




Scenen und Bilder aus dem Feld- und Lagerleben.
5. Am Saume des Nachoder Wäldchens.


Da liege ich hier auf der blanken Diele, die nichts weniger als blank ist, und quäle mich vergeblich ab, das kleine Ding von Trommel als Schreibtisch zu benutzen, um Ihnen wieder ein Lebenszeichen von mir zu geben. Gesund bin ich, Gott sei Dank, geistig und körperlich, aber wo ich mich befinde? – in einem böhmischen Dorfe, heißt – ja, wie – eine große Anzahl unaussprechbar zusammengesetzter Consonanten und daran ein itz gehängt. Wenn ich von Dielen sprach, so war dies freilich ein idealisirter Ausdruck, denn erst nach Abräumung einer dicken Schicht vegetabilischer und animalischer Reste stößt man auf Spuren einstiger Holzdielung, und die Merkmale eines Zimmers bestehen einzig in den leeren Löchern für Thüren und Fenster, aber das Dach ist noch heil und so bivouakirt man unter dessen Schutz.

Wir haben wieder viel erlebt, seitdem ich nicht geschrieben. Freilich ist Nachod längst vorüber und die Berichte aller nachfolgenden herrlichen Schlachten sind Ihnen jedenfalls bekannt. Nichtsdestoweniger bleiben selbsterlebte Details stets interessant, zumal sie dazu beitragen, das Räthsel preußischer Schlagfertigkeit zu lösen, die mächtigen Resultate auf factische Motive zurückzuführen. Die kolossalen strategischen Fehler, welche der Feind gleich bei Beginn der Feindseligkeiten beging, stärkten in uns die Zuversicht. Während jeder Tambour bei uns begriff, daß die böhmischen Pässe für uns hätten verderblich sein müssen, zögerte der Feind mit den betreffenden Maßregeln, verließ sich auf seine Spionage und that uns den Gefallen, uns und unsere Führer gering zu schätzen. Die Lehre, den Gegner stets für vollkommen zu halten, war dem Feinde fremd, und dieser Mangel sollte ihm verderblich werden.

Am Abend des 25. Juni hatten wir, das heißt die Avantgarde des alten Löwen Steinmetz, die Pässe nördlich von Nachod mit der äußersten Vorsicht durchschritten, wir glaubten in jedem Augenblick ein vernichtendes Feuer aus irgend einem Hinterhalt, von irgend einem Felsen her zu bekommen. Jeder von uns fühlte den Ernst des Augenblicks, Jeder fühlte den Tod unmittelbar über sich schweben und eine feierliche Stille herrschte in den Reihen. Hing doch von uns das Gewinnen der Pässe, die Sicherheit der Armee ab, und wir waren stolz auf unsere Aufgabe. Wohl mußten unsere Seiten-Patrouillen auf Feinde stoßen, denn alle Augenblicke knatterten Schüsse und jeder Schuß, so glaubten wir, verkündige den feindlichen Ueberfall. Ein prüfender Blick auf das treue Gewehr und entschlossen vorwärts! Aber nichts vom Feinde, außer einigen größeren Patrouillen, die nur einmal mit zwei Geschützen erschienen, von uns aber mit leichter Mühe und ohne Verlust unsererseits verjagt wurden. Endlich detachirten wir und – ich kann es wohl gestehen – ein Stein fiel uns Allen vom Herzen. Begreifen konnten wir das Unglaubliche freilich nicht.

Wir bivouakirten und patrouillirten die ganze Nacht fleißig gegen Nachod und Skalitz hin, ohne vom Feinde etwas Bedeutendes zu entdecken. Die Nacht verging auch ohne besondere Ereignisse. Am nächsten Morgen des 27. Juni stand uns die schwierige Aufgabe bevor, das lange Defilé südlich von Nachod

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_468.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2016)