Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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verfertigt hat. Außerdem befindet sich hier das Waschhaus, wo die sämmtliche Wäsche für die Anstalt größtentheils von den Patienten gewaschen, gerollt und geplättet wird.
Wir gelangten endlich an die Criminal-Station, und waren froh, hier nur 22 doppelt unglückliche Patienten zu finden. Wir wissen zwar nicht genau die Ursache dieser Erscheinung, ob der Criminalkalender der Frauen so bedeutend geringer ist, was wir fast bezweifeln, oder ob das begangene Verbrechen die Frau weniger affizirt, was wir ungern glauben möchten, aber es ist nichtsdestoweniger eine Thatsache, daß auf eine Verbrecherin dieser Art fast vier Männer kommen. Wir sahen hier auch die frühere Amme des Prinzen von Wales (Kronprinzen), welche vor einigen Monaten in einem Anfall von Wahnsinn bekanntlich ihren sechs Kindern einem nach dem anderen den Hals abschnitt, und welches zur Zeit der That so mancherlei scandalöse Geschichten in Umlauf setzte. Die unglückliche Mutter scheint jetzt durchaus kein Bewußtsein ihrer That zu haben und ist anscheinend vollkommen ruhig und wohlgenährt. Als wir die statistischen Tabellen der Verbrecher in dieser Anstalt übersahen, fiel es uns besonders in die Augen, daß das Jahr 1851 so berühmt durch seine früher nicht geträumte Weltausstellung und so ungünstig für das Verbrechen im Allgemeinen, auch in den Annalen dieser Anstalt eine bemerkenswerthe Stelle einnimmt, da nämlich in diesem Jahre die Anzahl der aufgenommenen Patienten um 58 Individuen geringer als in dem vorhergehenden Jahre ist, und worunter sich nur drei männliche und gar keine weibliche Criminalpatienten befinden.
Unter der Rubrik der muthmaßlichen Ursachen des Wahnsinns nimmt natürlich Liebesgram die erste Stelle ein – o nein, schönste Leserin – Krankheit, Erblichkeit in der Familie, Angst, Unmäßigkeit, Vermögensverluste, übermäßiges Studium, das sind die Hauptursachen, und die Liebe nimmt nur eine ziemlich untergeordnete Stelle ein, und das ist ganz natürlich; denn die wahre Liebe (falls es außer in Novellen eine solche giebt), welche sich getäuscht findet, sucht, wenn sie klug ist, den unwürdigen Gegenstand sobald als möglich zu vergessen, oder wenn sie das nicht ist – bricht das Herz und macht der unerträglichen Existenz ein frühzeitiges Ende. Doch bemerkten wir bei unserem Fortgange aus der Anstalt, als wir durch den Theil des parkartigen Gartens gingen, welcher, wie wir bereits am Eingange unserer Darstellung gesagt haben, sich in Front des Flügels für weibliche Patienten befindet, und indem sich die größere Mehrzahl der Patienten auf dem schönen Rasen ergeht, im Schatten eines baumartigen Strauches ein junges Mädchen von etwa siebzehn oder achtzehn Jahren auf dem Boden sitzen, welches mit ihrem Schürzenbande äußerst beschäftigt schien. Als wir unbemerkt näher kamen, fanden wir, daß sie wie Gretchen in der Gartenscene eine Art Schicksalsprobe machte, um das Herz ihres Geliebten zu erforschen. Sie hatte nämlich eine Menge Knoten in dieses Band geschürzt, und nun begann sie mit: „Er liebt mich,“ „Er liebt mich nicht,“ jedesmal eine Knoten weiter gehend, und wir haben selbst eine Charlotte von Hagen in ihrer Blüthezeit dieses Spiel nicht vollendeter durchführen sehen. Die Spannung, die Ungewißheit und doch eine gewisse Zaghaftigkeit bis zu Ende fortzuschreiten, war meisterhaft und wollte es nun das Geschick, daß der letzte Knoten mit „Er liebt mich,“ zusammentraf, o, dann war sie plötzlich lauter Freude und Glückseligkeit; doch dauerte es nur einen Augenblick, und der Versuch wurde von Neuem gemacht, und fiel es diesmal unglücklich aus – o, welcher Schmerz! und ich werde in meinem Leben den verzweiflungsvollen Angstruf: „Er liebt mich nicht!“ dieser Unglücklichen vergessen; er war mit einer Art von krampfartigem Schluchzen ohne Thränen begleitet, und drang wirklich durch Mark und Bein. Sie raufte dann mit beiden Händen Gras auf, das sie sich auf’s Haupt streute. Diese Trauerscene hatte jedoch ebensowenig Bestand; denn schon nach einigen Minuten begann sie von Neuem zu zählen, und wir eilten so schnell als möglich an ihr vorüber.
Hiermit haben wir unsere Wanderung vollendet, und ich wüßte nicht, daß ich jemals in meinem Leben so durch und durch ergriffen gewesen wäre, denn da giebt es so manche Erscheinungen, ein besonderer Zug im Gesichte, eine einzige Geberde, eine Bewegung mit dem Kopfe, welche einen Eindruck hinterlassen, den man bis in’s Innerste fühlt, aber nicht wiederzugeben im Stande ist.
Die Naturheilkraft.
Die Naturheilungsprocesse (s. Gartenl. Jahrg. III. Nr. 25), durch deren Vermittelung auch ohne Zuthun des Arztes und seiner Arzneimittel die meisten Krankheiten vollständig oder mit Hinterlassung mehr oder weniger beschwerlicher Folgezustände gehoben werden, lassen sich am besten bei Verletzungen, Blutungen und Entzündungen, überhaupt bei örtlichen Leiden beobachten. Weniger deutlich sind für uns zur Zeit noch diese Processe bei den sogen. allgemeinen oder Blutkrankheiten, obschon hier die Erfahrung gelehrt hat, daß ein passendes diätetisches Verhalten zur Heilung gewöhnlich vollkommen ausreicht, und daß das ärztliche Eingreifen oft mehr schadet als nützt. – Betrachten wir nun diese Naturheilungsprocesse bei den verschiedenen Krankheitszuständen etwas genauer.
Bei Blutungen, mögen sie nun am Aeußern unseres Körpers oder aus und in dem Innern desselben (als Blutflüsse) vorkommen, ist stets der Zusammenhang der Blutgefäßwände gestört, so daß nun das Blut aus seiner Röhre (Pulsader, Haargefäß oder Blutader) herausläuft. Eine solche Zusammenhangstrennung kann aber ebensowohl auf mechanische Weise, durch Bersten, Zerreißen und Zerschneiden des Gefäßes, wie durch innere Zerstörungsprocesse (Vereiterung, Verjauchung, Brand,) zustande kommen. Nach der Weite und Beschaffenheit des zerstörten Blutgefäßes wird natürlich das Blut in größerer oder geringerer Menge, schneller oder langsamer herauslaufen; nach der Lage des blutenden Gefäßes aber dringt das Blut entweder nach außen durch die natürlichen Oeffnungen des Körpers hervor, oder in die Höhlen und Gewebe des Körpers ein, so daß es sich hier mehr oder weniger anhäuft und Störungen der verschiedensten Art veranlaßt. – Blutungen aus größeren Pulsadern können, wenn sie nicht durch baldige Verschließung (Zusammendrückung, Unterbindung) der Ader gestillt werden, zum Tode durch Verblutung führen; Blutergüsse aus kleineren Gefäßen dagegen können durch Zusammenfallen und Verstopfung derselben recht gut von selbst heilen. Liegen die blutenden kleineren Gefäße oberflächlich und kann man zu denselben gelangen, dann sind Druck und besonders Kälte (kaltes Wasser, Eis, Schnee,) die besten blutstillenden Mittel, weil sie zur Verschließung des offenen Gefäßes beitragen können. Höchst komisch ist der große Ruf, welchen die Arnica als Heilmittel gegen Blutungen allmälig erlangt hat, da doch, wenn sie äußerlich als Tinctur oder in Wasser angewendet wird, nur der Spiritus der Tinctur oder die Kälte des Wassers, die Arnica selbst aber nicht das Geringste wirkt. Ganz kindisch ist es, an die blutstillende Wirkung homöopathischer Gaben der Arnica, innerlich genommen, zu glauben. Da liegt wirklich in dem sympathetischen Hokuspokus, im Blutversprechen, noch mehr Verstand, insofern hier die psychische Einwirkung beruhigend auf die Blutströmung (durch die Herznerven) wirken kann. Mit solchem Hokuspokus ist freilich die ganze homöopathische Heilmethode zu vergleichen und deshalb eines gebildeten Mannes unwürdig; sie wird auch sicherlich in einiger Zeit nur noch von alten Weibern, Schäfern, verdorbenen Medicinern u. dgl. Leuten betrieben werden.
Beantworten wir nun die Fragen: wie hemmt die Natur den Blutausfluß, und was geschieht mit dem ausgeflossenen Blute? – a) Der Blutausfluß wird dadurch gehemmt, daß das zerstörte Gefäß sich nach seiner Entleerung in sich zurück- und zusammenzieht, auch wohl zusammenfällt, und daß sich dasselbe nun mit einem Blut-Pfropfe, d. i. einem Gerinsel aus Blutfaserstoffe verstopft und schließt. Auch kann das ausgeflossene Blut, indem es fest wird (gerinnt), eine Art Deckel über der Oeffnung des Gefäßes, durch welche das Blut ausströmt, bilden und so das weitere Ausströmen desselben durch die Oeffnung hindern. Die meisten innern Blutungen werden auf diese Weise von der Natur gestillt. –
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_386.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)