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Seite:Die Gartenlaube (1855) 188.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Gutsbesitzer und seine Familie. – Der Offizier war bestürzt. Die edel aussehende Frau bemerkte dieses und sagte:

„Werden Sie wohl so grausam sein, uns zu Grunde zu richten?“

Er entschuldigte sich, brachte die gewöhnlichen leeren Phrasen über Pflicht und unbedingten Gehorsam vor, und zuletzt, außer sich, daß seine Worte nicht die geringste Wirkung hatten, sagte er:

„Was soll ich denn thun?“

Die Frau sah ihn stolz an und sagte mit der Hand auf die Thüre zeigend.

„Hinunter gehen und sagen, daß Niemand hier ist.“

„Bei Gott, ich weiß nicht wie mir geschah und wie es kam, sagte der Offizier, – ich ging hinunter und ließ die Compagnie zusammenrufen. Zwei Stunden später suchten wir den Gutsbesitzer auf’s Eifrigste an einem anderen Ort. Er soll nachher über die Grenze entflohen sein. – „Herr,“ schloß der Offizier, „das war eine Frau!“




Die wandernde Kunst-Ausstellung in England. Eine der schönsten praktischen Früchte der großen Völkerkultur-Ausstellung in London ist die für’s Volk auf die Beine gebrachte und mit Reisemittteln versehene, wandernde Ausstellung von allerlei Gegenständen, welche geeiget sind, den im englischen Volke sehr mangelhaft ausgebildeten Schönheits-, Decorations- und Formensinn für die industrielle Produktion im Gebiete der keramischen Künste[1] auszubilden. Wie Jeder lieber aus einem schönen Topfe trinkt, macht auch jede Häuslichkeit nicht nur auf ganze Töpfe, Tiegel, Tassen, Schaufeln und Schüsseln, Servietten und Arietten, Messer und Gabeln, Vasen und Flaschen, Kessel und Kannen, und wie die „gewobenen und gedrehten, gekneteten und geschmiedeten, gegossenen und gehämmerten Stückchen in die Wirthschaft“ sonst heißen, gerechten und gebildeten Anspruch, sondern sie sollen auch schön sein und mit einander harmoniren, wie die Herzen im Hause. Dadurch ist der Industrie in ganzer Breite die Mission geworden, Künstler zu werden. Selbst Schneider und Schuster müssen Künstler mit geübtem Schönheitssinn sein, wenn sie fort- und emporkommen wollen. Der Schneider muß den allmächtigen Schöpfer corrigiren und durch Kleider schöne Leute machen, wie der Fußbekleidungskünstler Schwung und Grazie auch um die plumpsten Elephantenfüße bringen muß. Die „Gebrüder Beeneke“, wie der Berliner sagt, sind sehr eitel. Ein Oesterreicher gab mal in einer Gesellschaft das Räthsel auf: „’s fangt halt mit der Buchstab a an und is a Theil des menschlichen Körpers. Nu rathen’s das.“ Als sich die ganze Gesellschaft vergebens bemüht hatte, eine anständige Lösung zu finden, rief der Oesterreicher: „a Paar Stiefeln!“ Man sieht aus diesem alten Witze, daß die Fußbekleidung auf unserer Kulturstufe förmlich als ein Theil des Menschen selbst anerkannt wird. In England werden fast jedesmal zuerst die Stiefeln eines an der Thür klopfenden Fremden gemustert. Sind diese fein und schön, wohl gar glanzlackirt, verbreitet sich sofort durch den Mund des dienstbaren Geistes ein guter Ruf von ihm durch’s Haus.

So viel beiläufig im Spaße für den Ernst und die Nothwendigkeit des Schönen in Industrie und Leben und die wandernde Ausstellung der Regierung zur Beförderung desselben. Sie hat drei Jahre an der Ausstellung in ihrer Marlborough-House-Akademie vorbereiten und sammeln lassen, wobei sich auch Professor Semper, der die Abtheilung des Formen- und Modellzeichnens dirigirt, betheiligte. Die Grundlage war eine Auswahl dekorativer Gegenstände aus der großen Ausstellung von 1851, welche zur Herstellung eines „National-Museums für ornamente Kunst“ mit 5000 von der Regierung bewilligten Pfunden angekauft wurden. Diese Sammlung aller Arten von Modellen und Mustern für schöne Industrie sind nun nummerirt, geordnet und in Katalogen näher beschrieben worden; und nun unter Leitung wissenschaftlicher Erklärer reisefertig, um von einer Stadt zur andern zu wandern und Schönheitssinn unter den industriellen Klassen anzuregen. Sie ist noch jung, aber schon sehr reich und enthält z. B. allein 400 Muster und Modelle für Metall-Keramik in Gold und Silber, Juwelerie, Damasquenerie, Niello-Arbeit, Guß, repoussé und getriebene Sachen. Das specielle Gebiet der Keramik, Töpferei, Porzellan-Industrie, Fayence u. s. w. ist bereits zu einer zusammenhängenden historischen Mustersammlung geworden, beginnend mit etruskischen und griechischen Vasen, und fortschreitend bis zu Mustern der Töpfereien von Staffordshire und Sèvres und sich ausdehnend bis China und Japan. Es befinden sich darunter die berühmte japanesische Vase und drei Sèvres-Vasen, welche die Königin früher für 4000 Pfund, also mehr als 27,000 Thaler, kaufte und jetzt der wandernden Ausstellung lieh. Wie hoch man die Sèvres-Vasen in England schätzt, zeigte sich neulich in einer großen Kunst-Auction, in der alle dergleichen dekorative Sachen für Hunderte von Pfunden, ein Paar kleine Sèvres-Vasen, Madame Rothschild aus dem Felde schlagend, für 874 Pfund, weggingen.

Die andern Gebiete der wandernden Ausstellung bestehen aus Mustern und Modellen von Holz- und Elfenbein-Sculptur und Schnitzwerk, antiken und venetianischen Glas-Gefäßen, gemaltem antiken Glas, Limoges-Emaillen, Polissy-Produkten, Münzen, Gemmen und Medaillen, Mustern antiker und orientalischer Gold- und Silberweberei, Zeichnungen davon, Photographieen von Meubles und allerlei Kunstsachen in Holz, elektrotypischen Kopieen der berühmten getriebenen Kunstwerke Benvenuto Cellini’s, von Vechte’s und dem Augsburger Schilde und was sich inzwischen sonst noch eingefunden haben wird, da die reich mit Kunstschätzen versehene Aristokratie mit der Königin als Muster, bei solchen Gelegenheiten immer gern beiträgt.

Die Ausstellung wird zuerst in die Hauptstadt der Metallkunst, nach Birmingham wandern und Ende März eröffnet werden. Nach einem Monate wandert sie weiter und sofort von Stadt zu Stadt, Anregungen für Verschönerung der Lebensverschönerungsmittel nach alten Seiten hin bis in die dunkelsten Werkstätten ausstrahlend. Da sie auf ihren Wanderungen zuweilen auch wandernden Bibliotheken begegnen und später von andern wandernden Aposteln und Missionären der Kultur und Aesthetik unterstützt werden wird, läßt sich erwarten, daß die praktischen Musen und Grazien der Industrie und der Lebensverschönerung aller Art sich bald überall auf die Strümpfe machen und statt der Militär-Regimenter Eisenbahn-Extrazüge nehmen werden. Sind sie dann eine Zeit lang in alle Welt gegangen, zu lehren alle Heiden, wird sich in jedem Städtchen und Dörfchen ein Herd und eine Häuslichkeit fest angestellt finden, wonach sich die Andern richten können. Wie jedes Dorf seinen Pastor und Schulmeister hat, wird es später auch seinen besondern Kulturtempel aufbauen und ausschmücken und jede Häuslichkeit danach fegen und feinen.




Der Sohn des Vaters. Mit Recht heben die Zeitungen hervor, daß von alle den fürstlichen Personen, welche mit den Alliirten nach der Krim zogen, nur der Prinz Eduard von Sachsen-Weimar auf dem Kriegsschauplatz ausgehalten und seinen Posten bis jetzt nicht eine Stunde verlassen hat. Wer den Vater des Prinzen kennt, wird dies natürlich finden. Herzog Bernhard von Weimar (der Sohn des unvergeßlichen Karl August und Bruder des jüngst verstorbenen Großherzogs), in der wissenschaftlichen Welt bekannt durch sein großes Reisewerk über Amerika, ist einer der kräftigsten, energischsten Charaktere der Jetztzeit und ein eben so tapferer Soldat, wie hochgebildeter und freisinniger Mann der Wissenschaft. Von 1806 ab fast bei allen Schlachten des Napoleon’schen Krieges betheiligt, nahm er später Dienste in der niederländischen Armee und ward da zum Gouverneur von Java ernannt, wo er mehrere Jahre verweilte und diese Insel gründlich kennen lernte. Wie wir hören, hat der Herzog ein großes Werk über dieses Land unter der Feder, das bei der geistreichen Auffassung des Verfassers sicher viel Interessantes bieten wird. – Wir bemerken noch, daß die Großherzogin von Weimar, also die Schwägerin des Herzogs Bernhard, eine russische Prinzessin und Schwester des Kaisers Nicolaus ist.




Warum die Armuth nicht aufhört. In Deutschland giebt es bekanntlich eine große Anzahl sogenannter Volksbücher und Schriften „gedruckt in diesem Jahre“; noch zahlreicher als bei uns sind solche Schriften in Frankreich, wo sie fast die einzige Lektüre des Volkes ausmachen. Wenige in Deutschland kennen solche französische Volksbücher und zu den allerunbekanntesten gehört „die Geschichte des guten Elend“, die ihres sehr poetischen Inhalts wegen wenigstens kurz erzählt zu werden verdient.

Zwei Wanderer, Peter und Paul, wurden einmal, vor langer, langer Zeit, in einem Dorfe von einem Regenguß überfallen. In mehreren Häusern suchten sie ein Obdach und Nachtquartier, aber vergebens; die Reichen ließen sie von ihren Knechten von der Thür jagen und die Armen hatten keinen Platz. Endlich fanden sie Aufnahme in einer Hütte, bei dem „guten Elend“, dem ärmsten Manne im Orte, der auf einem Bündel schmutzigen Strohes schlief. Seinen Hauptunterhalt hatte Elend von einem Apfelbaum an seiner Hütte, aber jetzt gerade hatte ihm ein Dieb die meisten Aepfel gestohlen. Die Geschichte des guten Elend erregte das Mitleid der Fremden und zum Lohn für ihre Aufnahme gewährten sie ihm seinen Wunsch, daß von nun an ohne seinen Willen Niemand von dem Apfelbaum wieder herunter steigen könne. Der Erste, der so auf dem Apfelbaum gefangen wurde, war der erste Dieb, der noch mehr Aepfel hatte haben wollen. Elend sah ihn oben, lachte ihn aus und ging fort, um im Walde dürres Holz zu suchen. Zwei Nachbarn, die den Dieb schreiben hörten, wollten ihn befreien, stiegen zu ihm hinauf und blieben ebenfalls hängen. Als Elend zurückkam, ließ er die beiden Nachbarn frei ohne ein Wort zu sagen, den Dieb aber nach dem Versprechen, den Baum nun in Ruhe zu lassen. Bald darauf kam der Tod zu dem alten Manne, und er wunderte sich sehr, daß dieser ihn ohne Furcht, ja freudig empfing. „Warum sollte ich mich vor Dir fürchten?“ sagte er. „Welche Freude hat mir das Leben gewährt? Das Einzige, was ich ungern verlasse, ist mein Apfelbaum, der mich mildthätig genährt hat.“ Er bat denn auch, sich noch ein Paar Aepfel holen zu dürfen, dann wolle er gern mitgehen. Der Tod bewilliget das und geht mit dem Alten hinaus. Der gute Elend blickt sehnsüchtig nach einem Apfel, der am Ende eines Zweiges hängt und bittet den Tod, ihm doch einen Augenblick die Sense zu borgen, damit er den Apfel herunterholen könne. „Meine Sense darf ich nicht aus der Hand geben,“ sagte der Tod; „steige hinauf.“ – „Das kann ich nicht, ich vermag ja kaum zu stehen und zu gehen.“ – „Nun gut, so will ich Dir den Apfel holen,“ sagte der Tod und stieg hinauf, – konnte aber nicht wieder herunter. Er und Tausende von Jammernden warteten auf den ausbleibenden Tod, daß er sie erlöse. Endlich versprach der Tod dem guten Elend, wenn er ihn herunter lassen wollte, werde er ihn bis zum jüngsten Tage nicht wieder stören. Das gab der gute Elend zu und daher kommt es, daß Elend nicht stirbt. Der Tod geht wohl bisweilen an der Thür vorbei, sieht aber gar nicht hin, und so lange die Welt steht, wird es die ärmliche Hütte und in ihr – Elend geben.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. Von κἐραμος (Keramos) Topf. Man versteht jetzt unter „keramischen“ alle industriellen Künste, die aus weichen oder erweichten Massen Gebrauchs- und Luxusgegenstände formen, schmieden, hämmern, gießen, dehnen, ziehen, pressen u. s. w. im Gegensatz zu den textilen Künsten, deren Grundform, wie das Wort sagt, im Weben besteht.
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