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Ein Todtenkranz

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Ein Todtenkranz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 15–17
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Dominik Franz Arago, französischer Wissenschaftler (1786–1853)
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Ein Todtenkranz.

Fast jedes Volk hat einen Tag im Jahre, wo es die Gräber seiner geliebten Todten mit Blumen schmückt. Auch wir wollen heute einen Kranz noch auf das Grab eines Mannes werfen, den uns das scheidende Jahr ins dunkle Reich der Schatten entführte, einen Kranz auf ein Grab, dem alle Völker der Erde Kränze werfen sollten, denn Der, den es birgt, gehörte der ganzen Welt, der ganzen Menschheit an!

Er hieß Dominik Franz Arago!

Vielleicht habe ich einen, den Massen kaum oder nur wenig bekannten Namen genannt, und sicher weiß die große Mehrheit nicht, welcher Heiligenschein das Haupt des Dahingeschiedenen umstrahlt. Der große Haufen bewundert eben immer nur die Männer mehr, die unter Schwertergeklirr und Kanonengerassel einherschreiten, die ihm und der Civilisation Wunden schlagen; für die Heiligen der Wissenschaft aber, für die Träger der Civilisation und Cultur muß seinem Gedächtniß nachgeholfen werden. Arago war einer der Führer unter Denen, welche die neue Naturwissenschaft begründen halfen, und gerade dieses Gebiet des Wissens wird dem Volke erst in jüngster Zeit nach und nach zugänglich gemacht; die wissenschaftliche Welt wußte den großen Denker und Forscher schon längst zu ehren, allein sein Denken und Forschen kam aller Welt zu frommen, und indem er die Wissenschaften bereicherte, wußte Keiner so wie er die gewonnenen Resultate für die Wohlfahrt des Volks nützlich zu machen. Seine Leistungen als Astronom und Physiker, seine Arbeiten über Galvanismus und Magnetismus, seine Forschungen über die Polarisation des Lichts, seine Entdeckungen über den durch Rotation entwickelten Magnetismus wußte er selbst zu neuen mächtigen Hebeln für Handel und Seefahrt, Industrie und Landwirthschaft zu machen. In seiner Hand war die Wissenschaft nie eine todte.

Das Leben Arago’s blieb nicht frei von Stürmen. Geboren am 26. Februar 1768 zu Estagel, genoß er seine erste Bildung im Collège zu Perpignan, welche Stadt sich in spätern Jahren nicht [16] die Ehre nehmen ließ, ihn als ihren Vertreter in die Deputirtenkammer zu senden. Kaum siebzehn Jahre alt, verließ Arago 1803 das Collège, um nach einem glänzenden Examen in die polytechnische Schule zu Paris einzutreten, von welcher aus er bald darauf dem Bureau der geographischen und astronomischen Längenmessungen am Observatorium als Sekretair zugetheilt wurde. Auf Empfehlung des berühmten Monge beauftragte ihn 1806 Napoleon, mit Biot und den spanischen Commissairen Chaix und Rodrigues, die von Mechain und Delambre begonnenen Arbeiten zur Messung eines Meridians fortzusetzen. Arago begab sich zu diesem Zwecke nach dem südlichen Spanien und legte mit dieser gewaltigen Arbeit, welche dem metrischen System zur Basis dient, den ersten Stein zu seinem Ruhme.

Dominik Franz Arago.

Der mittlerweile zwischen Frankreich und Spanien ausbrechende Krieg zog dem jungen Gelehrten eine Reihe mannigfacher Drangsale zu. Rings um ihn begann die Bevölkerung zu den Waffen zu greifen; er selbst wurde für einen Spion gehalten und mußte sich als Bauer verkleidet flüchten. Auf nichts weiter bedacht als auf die Rettung seiner Papiere und Instrumente, suchte er Schutz auf einem spanischen Schiffe, und läßt sich gern in die Citadelle von Belver bei Palma einsperren, nur um in Sicherheit seinen Arbeiten obliegen zu können. Von hier konnte sich Arago nach Algier begeben und bald darauf nach Marseille einschiffen. Das Fahrzeug, das ihn der Heimath zutrug, wurde jedoch unterwegs von einem spanischen Kaper genommen, und Arago auf die Pontons von Palamos gebracht, wo er die schwersten Arbeiten verrichten mußte. Der Verwendung des Dey’s von Algier verdankte er das Ende seiner Leiden. Wiederum schifft er sich nach Marseille ein, allein, unglücklich wie das erste Mal sieht er sich an die afrikanische Küste zurückgeworfen, kommt in Bugia an und muß, um Algier sicher erreichen zu können, den Weg dorthin als Beduine verkleidet machen. Nicht viel besser denn ein Sklave gehalten, verwendete der Dey den jungen französischen Gelehrten als Dolmetscher auf seinen Korsarenschiffen und erst den wiederholten Vorstellungen des französischen Consulats verdankte Arago 1809 seine Freiheit.

Bei seiner Rückkehr nach Frankreich fand der so hart Erprobte die gerechte Anerkennung für seine Arbeiten, seinen Muth und die überstandenen Beschwerden. Obwohl erst 23 Jahre alt, wurde er doch schon zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt und zum Professor an der polytechnischen Schule, deren warmer Vertheidiger er zu allen Zeiten war und wo er zwanzig Jahre lang lehrte. 1830 wurde er zum lebenslänglichen Sekretair der Akademie der Wissenschaften gewählt und bekleidete diesen hervorragenden Posten bis zu seinem Tode. Besonders war es das Observatorium, dessen er sich vorzugsweise annahm, und dabei mit allen bedeutendern auswärtigen Akademien Verbindungen anknüpfte. Alle gelehrten Gesellschaften der Welt rechneten es sich zur Ehre an, ihn zu ihren Mitgliedern zu zählen und mit allen Heroen der Wissenschaft stand er in innigstem Verkehr. Bei diesem unaufhörlichen Verkehr mit ihm mehr oder weniger ebenbürtigen Geistern, übersah er gleichwohl nicht, junge Talente zu ermuthigen, zu pflegen und zu beschützen, und die strebsame Jugend fand stets einen treuen Berather an ihm. Die Ergebnisse seiner Arbeiten hat Arago in einer Reihe von wissenschaftlichen Werken, Memoiren und Biographien berühmter Gelehrten niedergelegt, außerdem war es hauptsächlich das Jahrbuch des Bureau der Längenmessungen, das ihn literarisch beschäftigte und das er zu einem Werke von höchster [17] Bedeutung machte. In seinen Schriften wie in seinen Vorträgen war er ein Muster von Klarheit, Eleganz und Geistesschärfe.

Arago war nicht blos Gelehrter. Vom Jahre 1830 an findet man seinen Namen auch mit der politischen Geschichte Frankreichs eng verknüpft und seine Betheiligung an den Ereignissen trug nicht wenig dazu bei, seine kräftige Constitution zu untergraben. Ihn half der Parlamentarismus aufreiben, dem Ludwig Napoleon ein Ende machte. Als ich im Sommer 1839 nach Paris kam, brachten mich Verhältnisse, die hier unerwähnt bleiben können, mit den sogenannten Männern des National, zu denen Arago seinen politischen Ansichten nach gehörte, in nähere Berührung. Bei Garnier-Pagès, dem damaligen Führer der Opposition, vereinigten sich diese Männer zumeist im geselligen Verkehr. Man traf dort den strengen Dupont de l’Eure, den liebenswürdigen Lafitte, Bethmont, Jolly, den schweigsamen Raspail, den unerschütterlichen Marrast, die demokratischen Buchhändler Pagnerre und Degouve-Denunques, den gewandten Bastide, den feurigen Dupoty und manch Andern noch; auch Arago kam zum öftern. Bei ihm hatte die Natur für einen großen Geist die entsprechende Hülle gewählt. Man kann selten eine stattlichere Gestalt gesehen haben, selten edlere und ausdrucksvollere Gesichtszüge als die seinen; in seinem Mienenspiel und seinen Bewegungen prägte sich die ganze Gluth des Südens, der ihn geboren, aus. Seine biegsame und klangvolle Stimme steigerte sich, wenn es die Gelegenheit mit sich brachte, zu gewaltigem Umfange; so standen ihm alle natürlichen Gaben der Rede zu Gebote, und bei seinem reichen wechselnden Vortrage fand er stets, ob er nun als Professor, Akademiker oder Deputirter sprach, aufmerksame Ohren. Der Mathematiker ließ sich insofern nie in seinen Reden verkennen, als er immer klar und bestimmt war, und die verwickeltsten Fragen zu allgemeiner Verständlichkeit zu bringen wußte.

So eifrig sich Arago auch der politischen Fragen annahm, so war er doch als Mann der Wissenschaft ungleich größer, denn als Politiker. Man konnte dies recht deutlich in den Zusammenkünften bei Garnier-Pagès gewahren. Ich glaube, seine wissenschaftlichen Arbeiten nahmen ihn zu sehr in Anspruch, um daß er sich hinlänglich mit politischen Studien befassen konnte, Politik aber mußte er als Franzose treiben, denn außerhalb der Politik ist in Frankreich wenig Ruhm zu ernten, und Arago liebte den Ruhm leidenschaftlich. Um des Glanzes willen, der seinen Namen umgab, sah sich Arago mit an die Spitze der demokratischen Opposition gestellt, er war dabei einer ihrer taktvollsten Wortführer und gab sich in der Kammer nie eine Blöße. Mit den meisten Franzosen theilte Arago das Gelüste nach dem Rheine, als Frankreichs natürliche Grenze, er konnte über diesen Gegenstand sehr eifrig sprechen und als Deutscher mußte man sich ihm gegenüber erinnern, daß eben jeder Franzose zur Stunde noch an dem traurigen Ruhmesvermächtniß des Kaisers zehrt.

Einige Jahre später hörte ich Arago am Grabe Garnier-Pagès’ sprechen und bei solchen Gelegenheiten war sein Vortrag von hinreißender Gewalt. Ein anderes Mal hörte ich ihn in der Kammer, als die Befestigung der Hauptstadt verhandelt wurde; er wandte zwar vergeblich den ganzen Zauber seines Wortes auf, allein seine Rede war nichts destoweniger ein Meisterstück, das weit hinaus über die engen Räume der Kammer wirkte. Die Februarrevolution führte Arago in die provisorische Regierung, nach deren Rücktritt er so ziemlich von dem politischen Schauplatz verschwand. Ein Triumph war ihm noch vorbehalten. Als Ludwig Napoleon die höchste Gewalt an sich gerissen und von allen Besoldeten des Staats den Eid der Treue verlangte, verweigerte Arago diesen Eid. Da beugte sich die Gewalt vor der Wissenschaft. Der Kaiser erließ dem Akademiker den Eid, um nicht das Vaterland der kostbaren Dienste desselben zu berauben. Es wurde hier auf beiden Seiten ehrenhaft gehandelt.

Daß Arago’s Verdienste von Seiten der wissenschaftlichen Welt die gebührende Anerkennung fanden, wurde schon gesagt; in mehr volksthümlicher Weise wurde sie ihm dadurch zu Theil, daß als er 1834 Großbritannien besuchte, die Städte Edinburg und Glasgow sich beeilten, ihm das Ehrenbürgerrecht zu ertheilen. Ebenso ernannte ihn der verstorbene König von Preußen, bei Stiftung des Ordens pour le merite 1842, zum Ritter desselben.

Die reichen Schätze seines Wissens hat uns Arago in einem umfangreichen literarischen Nachlaß aufgespeichert, worunter sich nebst Anderm ein höchst gediegener Abriß über „populäre Astronomie“ befindet, welche den Namen des Gefeierten mit neuem Ruhme umgeben wird. Arago macht dadurch die Sternenwelt dem Volke zugänglich. Noch größeres Aufsehen werden seine „Studien über die berühmtesten Erfindungen“ erregen, ein Werk, worin Alles, was Kunst und Wissenschaft hervorgebracht, auf das Erschöpfendste und Volksthümlichste behandelt ist. So hilft er noch nach seinem Tode die Schranken niederreißen, welche das Volk von der Erkenntniß der Wahrheit trennen.

Die rastlose Thätigkeit, mit welcher Arago Tag wie Nacht seinen wissenschaftlichen Forschungen oblag, hatte in der letzten Zeit sein Augenlicht merklich geschwächt. Die bei der Akademie einlaufenden Manuskripte, Memoiren, Berichte, Briefe u. s. w. mußte er sich daher vorlesen lassen. Dann in der Sitzung ließ er sich nur jedes Mal den Namen des Verfassers nennen, und erstattete hierauf mit bewundernswürdigem Gedächtniß Bericht über den betreffenden Gegenstand, dabei keine Forschung der alten wie neuen Zeit außer Acht lassend.

So starb er, 67 Jahre alt, in voller Geistesfrische, und ärmer wurde die Welt um eine ihrer schönsten Zierden; zu ihren Unsterblichen zählt sie aber Ihn, der, um ganz groß zu sein, nur etwas weniger hätte Franzos sein müssen.