ADB:Arminius, Jakob
Arminius, Jakob: Arnaud, Heinrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 1. Duncker & Humblot, Leipzig 1875, S. 536Fehler im Ausdruck: Unerwarteter Operator < Arminius: Jakob A., eigentlich Herrmans oder Hermansen, Sohn eines Messerschmieds, war in dem Städtchen Oudewater (daher Veteraquinas) an der Yssel in Südholland im J. 1560, unbekannt an welchem Tage, geboren, † 19. October 1609. Er genoß als Knabe die Wohlthaten des Mathematikers Rudolph Snell. Dieses Schutzes bedurfte er um so mehr, da ihm in Folge der Verwüstung Oudewaters durch die Spanier seine Heimath und Familie gänzlich verloren gehen sollte. Mit trefflichen Talenten und ungewöhnlichem Eifer ausgerüstet, widmete er sich in Utrecht, Rotterdam und Marburg den theologischen und philosophischen Wissenschaften, hauptsächlich aber in Leyden, wo er frühzeitig für die ramistische Philosophie und gegen den herrschenden Aristotelismus eingenommen wurde. Sein theologischer Lehrer in Leyden war der streng calvinistisch gesinnte Lambert Danäus. Die Stadt Amsterdam wurde auf den begabten Jüngling aufmerksam, ließ ihn in dei Zahl der Alumnen eintreten, emgfahl ihn für den künftigen Kirchendienst und machte ihm möglich, zu Genf, [537] wo damals Theodor Beza im größten Ansehen stand, seit 1583 seine Studien fortzusetzen. Hier wurde ihm zwar der Ramismus stark verübelt, dennoch gelang es ihm, sich auszuzeichnen; auch in Basel machte er gute Fortschritte, gewann daher das beste Lob seiner Lehrer Beza und Grynäus, ja er würde an dem letzteren Orte mit 23 Jahren Doctor der Theologie geworden sein, wenn er nicht eine so vorzeitige Auszeichnung bescheiden abgelehnt hätte. Die schon damals geschlossene Freundschaft mit dem bekannten Uytenbogaert, nachmaligem Prediger im Haag, ist ihm für immer treu geblieben. Von der Schweiz aus wurde von ihm, obgleich ohne Erlaubniß seiner Vorgesetzten, eine Reise nach Italien unternommen, und ein seltsames Gerücht sagte aus, er habe in Rom dem Papste und den Jesuiten eine auffällige Huldigung erwiesen. Gewiß ist, daß ihn die in Rom wahrgenommene Sittenlosigkeit mit Erstaunen und Schrecken erfüllte. Nach Amsterdam 1587 zurückgekehrt, bereiteten ihm seine Zeugnisse die günstigste Aufnahme, er unterzog sich der Prüfung, ward am 11. August des folgenden Jahres zum Prediger daselbst berufen und eröffnete sein Amt unter glücklichen Auspicien. Die holländische Kirche hatte damals auf Grund der Confessio Belgica und des Heidelberger Katechismus ihren dogmatischen Abschluß gefunden. Auch A. haben wir anfangs als Anhänger des strengen Calvinismus zu denken, war er doch von Beza selber in die ganze Folgerichtigkeit einer unbedingten (supralapsarisch gedachten) Erwählungslehre eingeweiht worden. Aber es lag in seinem Geschick, daß ihn sein Beruf so frühzeitig an dieser empfindlichen Stelle angriff; denn bald sollte die Aufgabe an ihn herantreten, ein Dogma zu rechtfertigen, welches sich, je ernster er es in Untersuchung zog, um so mehr seinem Denken und Glauben entrückte, und an diesem Faden hing die ganze fernere Entwickelung seiner Wirksamkeit und öffentlichen Stellung. wir haben uns in die Zeit zu versetzen, wo gerade von der Kanzel die Wahrung der ganzen Lehreigenthümlichkeit erwartet wurde, der Prediger also in dieser Hinsicht der schärfsten Aufmerksamkeit von Seiten der Gemeinde und ihres Vorstandes ausgesetzt war. Ein scharfsinniger Laie, Dirik Volckaertszoon Koornheert hatte seit 1578 das genannte Dogma öffentlich angetastet. Andere nahmen es mit Beschränkung in Schutz; so wurde der Unterschied der supralapsarischen und infralapsarischen Vorstellung, welchen die belgische Confession noch freigibt, offenbar. A. sah sich gerade zur Vertheidigung der harten Lehrform aufgefordert, aber eine gründliche Beschäftigung mit den gewöhnlich angezogenden Schriftstellern führten ihn schrittweise zu einer freieren Deutung. Schon 1590 und 91 erregten seine Predigten über Römer 7 Befremden, das Presbyterium wünschte Aufklärung, Besprechungen mit Petrus Plancius veranlaßten einen Conflict, der damals noch durch Martin Lydius und den Prediger Uytenbogaert ausgeglichen wurde, zumal A. die Erklärung abgab, um des Friedens willen die Schranken der gültigen Lehre nach Möglichkeit schonen zu wollen. Indessen der Verdacht gegen seine Rechtgläubigkeit war einmal rege geworden, als er daher seine Predigten über den Römerbrief fortsetzte und auf das wichtigste neunte Capitel ausdehnte, bezeugte der Kirchenrath aufs neue seine Unzufriedenheit. Er selber war geständig, von der üblichen Auffassung einiger Beweisstellen abzuweichen, behauptete aber, daß er an den Sinn, in welchem dieses oder jenes biblische Citat von der belgischen Confession benutzt werde, unmöglich gebunden sein könne. Die eingeleitete Untersuchung erstreckte sich noch auf einige andere Fragepunkte über Sündenfall, gute Werke, Unsterblichkeit der Engel, die aber in Folge seiner Verantwortung nicht weiter betont wurden. Inzwischen war die Aufregung bereits in weitere Kreise übergegangen, sie erlaubte keinen Stillstand mehr. Lob und Tadel und zutretende Gerüchte vermehrten nur den Zulauf seiner Predigten, die Stadt selber ehrte den tüchtigen Lehrer, indem sie ihm 1596 eine Reform der dortigen [538] Trivialschulen übertrug. A. beharrte in seinem Studium auf derselben Bahn und überzeugte sich immer mehr, daß die Prädestination, sobald sie von vorn herein absolutistisch und particularistisch verstanden werde, unmöglich auf das neunte Capitel des Römerbriefs gebaut werden könne. Der Engländer Perkins schrieb eine „Disceptatio de modo et ordine praedestinationis,“ Bas. 1589, diese wurde von A. in einem „Examen libelli Perkinsiani“ beurtheilt, welche Schrift den Universalismus der Gnadenwahl, wie er ihn forderte, schon bestimmter durchblicken läßt, gedruckt wurde sie erst nach seinem Tode. „Ich thue was ich kann, schreibt er damals an Uytenbogaert, indem ich die anerkannte Wahrheit lehre, die noch unerkannte erforsche, das Verstandene weiter untersuche, um es mit sicheren Gründen zu stützen. Dies aber thue ich in Schweigen und Hoffnung, während ich unterdessen den unzeitigen Eifer und die unerträgliche Leidenschaft einiger Menschen zu erdulden habe, bis mich Gott aus diesen Beschwerden erlöst, oder auch jenen den Geist der Milde und Besonnenheit einflößt, der ihren Eifer zu mäßigen vermag.“ Solche Worte bezeichnen die Lage, in der er sich damals befand, aber auch die Sammlung und Festigkeit seines Sinnes. Um den Argwohn der Widersacher nicht unnöthigk zu reizen, lehnte er den Auftrag zur Widerlegung der Wiedertäufer ab, weil seine Gegenschrift auch jenes schwierige Capitel nothwendig hätte berühren müssen. Um andrerseits an jeder vollberechtigten Freiheit festzuhalten, protestirte er energisch gegen die unerhörte Zumuthung einer öfter zu wiederholenden Unterschrift der „Confessio Belgica,“ weil, wie er antwortete, dadurch eine „Inquisition über noch nicht offenbar gewordene Vergehungen“ eingeführt und ein geradezu Tridentinischer Geisteszwang begünstigt werden würde. Um 1602 brach eine Pest aus, A. übte bei dieser Gelegenheit treulich die Pflichten des Seelsorgers und bewies, daß ihm der Trost des Evangeliums leicht und warm von den Lippen floß.
In demselben Jahre brachte der Tod des Franz Junius in Leyden eine neue Wendung. Die Curatoren der Universität schwankten über die Wahl des Nachfolgers, glaubten aber dann das Richtige zu thun, indem sie den jüngeren Trelcatius und neben ihm Arminius, dessen gelehrte Eigenschaften längst anerkannt waren, als geeignete Candidaten bezeichneten. Für den letzteren verwendeten sich nun Grotius und Uytenbogaert, und A. selber leugnete nicht, daß der Uebergang zu einer akademischen Lehrthätigkeit, schon weil dieselbe auch einen höheren Grad von Lehrfreiheit verhieß, seinen Wünschen entsprechen würde. Aber die Ausführung des Vorhabens kostete große Mühe. Zuerst äußerte Franz Gomarus als der eifrigste Vorkämpfer des strengen Calvinismus Bedenken, dann wurden andere tadelnde Stimmen laut; Deputirte auswärtiger Klassen suchten die Wahl zu hintertreiben, selbst mit Berufung auf den Statthalter Moritz. In ausführlichen Gesprächen zwischen Uytenbogaert, Gomarus und A. wurden alle Ausstellungen gegen den letzteren nochmals abgewogen. Da aber die Curatoren fest blieben, da Gomarus sich durch das Colloquium vom 9. Mai befriedigt erklärte, kam es dennoch in Amsterdam zu einer ehrenvollen Entlassung. A. unterwarf sich zu Leyden dem Examen, wurde von B. Vulcanius zum Doctor der Theologie promovirt und konnte noch im Herbst dieses Jahres seine Vorlesungen eröffnen. Bald sah er sich von Zuhörern und Schülern umgeben. Der Schauplatz war verändert, die inneren Verhältnisse dieselben. Zwischen so entgegengesetzten Naturen, wie sie jetzt dicht neben einander wirkten, war ein dauernder Friede nicht möglich; der bereits vorhandene Zwiespalt mußte sich gesteigert auf die Leydener Hochschule übertragen. A. hatte mit alttestamentlichen Collegien den Anfang gemacht, als er dann zum N. T. übergehen wollte, betrachtete dies Gomarus als Einfall in seine Provinz (involasti in provinciam meam.) Seine dogmatische Ansicht faßte A. in Thesen zusammen, welche satt[539] sam bewiesen, daß er sich und seinen Glauben mit aller Gewalt von den Fesseln und Dunkelheiten eines ewig zwiespältigen und unbedingten göttlichen Decrets frei machen wollte.