Mittelhochdeutsche Sprache

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Mittelhochdeutsch

Gesprochen in

mittel- und oberdeutscher Sprachraum
Sprecher keine mehr
Linguistische
Klassifikation
Sprachcodes
ISO 639-1

ISO 639-2

gmh (für Mittelhochdeutsch von 1050 bis 1500)[1][2]

ISO 639-3

gmh (für Mittelhochdeutsch von 1050 bis 1500)[1]

Als mittelhochdeutsche Sprache oder Mittelhochdeutsch (Abkürzung Mhd.) bezeichnet man sprachhistorisch jene Sprachstufe des Deutschen, die in verschiedenen Varietäten zwischen 1050 und 1350 im ober- und mitteldeutschen Raum gesprochen wurde. Damit entspricht diese Zeitspanne in etwa dem Hochmittelalter.[3]

Indes beschreibt das Lexem mittel- keine geografisch definierte Sprachregion – wie es beispielsweise in mitteldeutsch der Fall ist –, sondern es betitelt chronologisch die mittlere Sprachstufe des Deutschen, die zwischen Alt- und Neuhochdeutsch anzusiedeln ist.

Im engeren Sinn bezeichnet Mittelhochdeutsch die Sprache der höfischen Literatur zur Zeit der Staufer. Für diese Dichtersprache des 13. Jahrhunderts wurde im 19. Jahrhundert im Nachhinein eine vereinheitlichende Orthographie geschaffen, das normalisierte „Mittelhochdeutsch“, in dem seither viele Neuausgaben der alten Texte geschrieben worden sind. Wenn von Merkmalen des Mittelhochdeutschen die Rede ist, dann ist normalerweise diese Sprachform gemeint.

Das Mittelhochdeutsche als ältere Sprachstufe des Deutschen

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Ältester bekannter Grabstein mit deutscher Inschrift, Frauenburg in der Steiermark, um 1280: HIE . LEIT . ULRI CH . DI SES . HO USES . REH TTER . ER BE

Das Mittelhochdeutsche als ältere Sprachstufe des Deutschen liegt in einer Vielzahl regionaler Sprachvarietäten vor.

Dem Mittelhochdeutschen ging das Althochdeutsche (Ahd., etwa 750 bis 1050, Frühmittelalter) voraus. Von diesem unterscheidet es sich insbesondere durch die Neben- und Endsilbenabschwächung. Vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen gab es keine schriftliche Kontinuität. Da im 10. und 11. Jahrhundert fast ausschließlich Latein geschrieben wurde, setzte die Verschriftlichung des Deutschen mit dem Mittelhochdeutschen erst wieder neu ein. Dadurch erklären sich die besonders in den früheren mittelhochdeutschen Schriften des 12. Jahrhunderts recht unterschiedlichen Schreibungen.

Für die Zeit von etwa 1350 bis 1650 (etwa das Spätmittelalter bis Frühe Neuzeit) spricht man von Frühneuhochdeutsch (Frnhd., Fnhd.).[4] Doch muss diese Abgrenzung in den verschiedenen Sprachregionen unterschiedlich getroffen werden, denn wo die neuhochdeutschen Sprachmerkmale nicht in den Dialekten verankert waren, wurde länger an älteren Sprachformen festgehalten. So hat sich beispielsweise in der Deutschschweiz das Frühneuhochdeutsche erst im späten 15. Jahrhundert durchgesetzt.[5]

Neben der neuhochdeutschen Sprache ging aus dem Mittelhochdeutschen auch die jiddische Sprache hervor.

Zeitliche Einordnung

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Als mittelhochdeutsch werden alle Texte in einem hochdeutschen Idiom aus der Zeit von ungefähr 1050 bis 1350 bezeichnet. Der Beginn des Mittelhochdeutschen wird in der historischen Linguistik sehr einheitlich um das Jahr 1050 festgelegt, da ab dieser Zeit einige sprachliche Veränderungen gegenüber den althochdeutschen Varietäten erkennbar sind, besonders im Phonemsystem, aber auch in der Grammatik.

Das Ende der mittelhochdeutschen Epoche ist umstritten, da die Forscher des 19. Jahrhunderts mit diesem Begriff jegliche Texte bis zur Zeit Martin Luthers bezeichneten. Eine solche Abgrenzung ist in etwa in älterer Fachliteratur zu finden.[6][7] Diese Einteilung geht hauptsächlich auf die Brüder Grimm zurück. Heute verwendet man den Begriff Mittelhochdeutsch noch für Texte, die bis um das Jahr 1350 entstanden sind, und spricht danach von Frühneuhochdeutsch.

Die folgende Gliederung der mittelhochdeutschen Epoche basiert hauptsächlich auf literaturhistorischen, also sprachexternen und auf den Inhalt bezogenen Kriterien. Es gibt jedoch auch eine Abweichung und Entwicklung in der Grammatik, der Wortbedeutung und im Schreibstil, die diese Einteilung rechtfertigen.

  • Frühmittelhochdeutsch (1050–1170)
  • klassisches Mittelhochdeutsch (1170–1250)
  • Spätmittelhochdeutsch (1250–1350)

In den meisten Darstellungen wird vorwiegend das klassische Mittelhochdeutsch behandelt, welches die Sprache von Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg und von Walther von der Vogelweide war.

Räumliche Gliederung

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Das Mittelhochdeutsche war in sich keine einheitliche Schriftsprache; vielmehr gab es unterschiedliche Schreibformen und Schreibtraditionen in den verschiedenen hochdeutschen Regionen. Die regionale Gliederung des Mittelhochdeutschen deckt sich oft mit den rezenten dialektalen Großräumen und Aussprache-Isoglossen, jedoch haben sich diese Dialektgrenzen seit dem Mittelalter auch verschoben. Beispielsweise ging die Ausdehnung des Niederdeutschen, dessen schriftliche Relikte nicht als Teil der mittelhochdeutschen Literatur gesehen werden, deutlich weiter in den Süden, als es heute der Fall ist.

Die Entstehungsregion der mittelhochdeutschen Texte ist meist an unterschiedlichen Lautformen und am Vokabular, aber auch durch unterschiedliche grammatikalische Formen erkennbar, und darauf basierend teilt die Germanistik das Mittelhochdeutsche in folgende Varietäten. Diese Gliederung basiert auf der Arbeit von Hermann Paul (1846–1921) und ist bis heute nicht vollständig befriedigend. Vor allem ist nicht endgültig untersucht worden, welcher Text exakt welcher Region zuzuordnen ist, da auch viele Texte von unterschiedlichen Autoren verfasst wurden. (Folgende Tabelle zitiert aus Wilhelm Schmidt: Geschichte der deutschen Sprache. 10. Auflage. 2007, S. 276.):

Oberdeutsch

  • Alemannisch
    • Süd- oder Hochalemannisch (heute Schweiz und Südbaden)
    • Niederalemannisch oder Oberrheinisch (Elsass, Süden von Baden-Württemberg, Vorarlberg)
    • Nordalemannisch oder Schwäbisch (in Württemberg und im bayerischen Schwaben)
  • Bairisch
    • Nordbairisch (bis in den Nürnberger Raum, Oberpfalz, südliches Vogtland)
    • Mittelbairisch (Nieder- und Oberbayern, Nieder- und Oberösterreich, Wien und Salzburg)
    • Südbairisch (Tirol, Kärnten, Steiermark)
  • Ostfränkisch (bayerisches Franken, Südthüringen, Südwestsachsen, Teil von Baden-Württemberg)
  • Südrheinfränkisch (nördliches Baden, Teile von Nordwürttemberg)

Mitteldeutsch

  • Westmitteldeutsch
    • Mittelfränkisch (Rheinland von Düsseldorf bis Trier, nordwestlicher Teil von Hessen, Nordwesten von Lothringen inklusive Ripuarisch (um Köln) und Moselfränkisch (um Trier)).
    • Rheinfränkisch (südlicher Teil des Rheinlands, Teil von Lothringen, Hessen, Teil des bayerischen Franken, Teil Württembergs und Badens, Rheinpfalz und Nordrand des Elsass)
  • Ostmitteldeutsch
    • Thüringisch
    • Obersächsisch mit Nordböhmisch*
    • Schlesisch mit Lausitzisch*
    • Hochpreußisch (südlicher Teil des Ermlands)*

Die mit (*) markierten letzten drei regionalen Varietäten des Mittelhochdeutschen bildeten sich erst in dieser Zeit in Gegenden, die davor slawischsprachig waren (siehe Kolonialdialekte).

Das Mittelhochdeutsche als Sprache der staufischen höfischen Literatur

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Die Herrschaft der Staufer schuf die Voraussetzung dafür, dass sich etwa von 1150 bis 1250 in der höfischen Literatur eine überregionale Dichter- und Literatursprache herausbildete.[8] Diese Sprache beruhte auf schwäbischen und ostfränkischen Dialekten. Mit dem Niedergang der Staufer verschwand auch diese relativ einheitliche überregionale Sprachform.

Diese Sprache ist normalerweise gemeint, wenn von Merkmalen des Mittelhochdeutschen die Rede ist. Allerdings ist es nicht so, dass sich das Neuhochdeutsche aus diesem Mittelhochdeutschen im engeren Sinn entwickelt hätte. Es ist also höchstens begrenzt eine ältere Sprachstufe des Neuhochdeutschen. So gab es schon zu jener Zeit Dialekte, welche typische Lautmerkmale des Neuhochdeutschen aufwiesen. Bereits aus dem 12. Jahrhundert sind kärntnerische Urkunden überliefert, in denen die neuhochdeutsche Diphthongierung auftritt. Umgekehrt werden noch heute Dialekte mit typischen Lautmerkmalen des Mittelhochdeutschen im engeren Sinn gesprochen. So haben viele alemannische Dialekte die mittelhochdeutschen Monophthonge und Diphthonge bewahrt.

Die Frage einer Hochsprache

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Das Mittelhochdeutsche der staufischen höfischen Dichtung war keine Standardsprache im heutigen Sinn, denn es gab keine Standardisierung von Orthografie oder Wortschatz. Es hatte aber eine überregionale Geltung. Das lässt sich daran erkennen, dass es auch von Dichtern verwendet wurde, die aus anderen Dialektgebieten stammten, beispielsweise von Heinrich von Veldeke oder von Albrecht von Halberstadt, dass einzelne Dichter im Laufe ihres Lebens immer mehr Regionalismen aus ihren Werken tilgten und dass sich aufgrund sprachlicher Merkmale die Herkunft der Dichter oft nur sehr ungenau ausmachen lässt, während Dialektmerkmale eine sehr genaue Verortung der sprachlichen Herkunft ermöglichen würden.[9]

Geltungsbereich

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Der Geltungsbereich des Mittelhochdeutschen der staufischen höfischen Literatur beschränkte sich auf die höfische Literatur, die während der Zeit der Staufer ihre große Blüte hatte und sich an den Adel richtete. Gebrauchssprachliche Textgattungen, in denen eine überregionale Verständlichkeit weniger wichtig war als eine möglichst breite Verständlichkeit durch alle sozialen Schichten, verwendeten regionale Sprachformen (Rechtstexte, Sachliteratur, Chroniken, religiöse Literatur usw.). Eine breite Überlieferung derartiger Textsorten setzt erst im 13. Jahrhundert ein, da zuvor solche Texte meist in Latein geschrieben wurden.

Die Werke der staufischen höfischen Dichtung gehören zu den bekanntesten mittelhochdeutschen, beispielsweise das Nibelungenlied, der deutsche Lucidarius, der Parzival Wolframs von Eschenbach, der Tristan Gottfrieds von Straßburg, die Gedichte Walthers von der Vogelweide sowie als Gattung Minnesang.

Das normalisierte Mittelhochdeutsch

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Für die Textausgaben der wichtigen mittelhochdeutschen Dichtungen, für Wörterbücher und Grammatiken wird heute das im Wesentlichen auf Karl Lachmann zurückgehende normalisierte Mittelhochdeutsch verwendet, das im Grundsatz die Formen der staufischen höfischen Literatur verwendet, aber die oft vielfältigen Schreibungen der damaligen sprachlichen Realität nicht wiedergibt.

Die Betonung eines Worts liegt stets auf der ersten Haupttonsilbe. Vokale mit einem Zirkumflex (ˆ) – in anderer Orthographie mit einem Makron (¯) – werden lang gesprochen, Vokale ohne Zirkumflex werden kurz gesprochen. Aufeinanderfolgende Vokale werden getrennt betont. Die Ligaturen æ und œ werden wie ä (IPA: [ɛː]) und ö ([øː]) gesprochen.

Das s wird als [s] ausgesprochen, wenn ein Konsonant folgt, außer bei sch und sc und spätmittelhochdeutsch bei anlautendem s vor l, n, m, p, t, w; dort wird es als [ʃ] ausgesprochen.[10][11] Ein z im Wortanlaut oder nach einem Konsonanten wird wie das neuhochdeutsche z als [t͡s] ausgesprochen. Ein z oder zz in der Mitte und am Ende des Worts wird ausgesprochen wie ß bzw. [s] (zur besseren Unterscheidung oft geschrieben als ȥ oder ʒ). Das v wird am Wortanlaut als [f] gesprochen.

Der Buchstabe h wird im Wort- und Silbenanlaut als [h] gesprochen (Beispiel: hase, hûs, gesehen), im Auslaut und den Verbindungen lh, rh, hs, ht dagegen als ​[⁠x⁠]​ (hôch, naht, fuhs); er dient niemals als Dehnungszeichen.[12]

Die folgende Übersicht zeigt das Vokalsystem des (Normal-)Mittelhochdeutschen:

Kurzvokale: a, ë, e, i, o, u, ä, ö, ü
Langvokale: â, ê, î, ô, û, æ, œ, iu (langes ü)
Diphthonge: ei, ie, ou, öu, uo, üe

Es ist zu beachten, dass ei als [ɛɪ] zu sprechen ist (also nicht [] wie im Neuhochdeutschen, sondern wie ej oder äi, vgl. ay in Englisch day); ie ist nicht ein langes ​[⁠⁠]​, sondern [].

Die wichtigsten Unterschiede zwischen Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch betreffen den Vokalismus:

  • Die mittelhochdeutschen Langvokale [iː yː uː] entsprechen den neuhochdeutschen Diphthongen [aɪ ɔʏ aʊ] (neuhochdeutsche Diphthongierung). Beispiele: mînmein, liutLeute, hûsHaus
  • Die mittelhochdeutschen öffnenden Diphthonge [iə yə uə] entsprechen den neuhochdeutschen Langvokalen [iː yː uː] (neuhochdeutsche Monophthongierung). Beispiele: lieplieb, müedemüde, bruoderBruder
  • Die mittelhochdeutschen Diphthonge [ɛɪ øu ɔʊ] entsprechen den offeneren neuhochdeutschen Diphthongen [aɪ ɔʏ aʊ] (neuhochdeutscher Diphthongwandel). Beispiele: beinBein, böumeBäume, boumBaum
  • Die meisten mittelhochdeutschen Kurzvokale in offenen Silben entsprechen neuhochdeutschen gedehnten Langvokalen (Dehnung in offener Tonsilbe). Beispiele ligenliegen, sagensagen, nëmennehmen. Diese Dehnung ist im Neuhochdeutschen jedoch in der Regel ausgeblieben vor -t sowie vor -mel und -mer. Beispiele geritengeritten, siteSitte, himelHimmel, hamerHammer.

Die wichtigsten Unterschiede zwischen Mittel- und Neuhochdeutschen sind:

  • Alle mittelhochdeutschen o-Stämme treten im Neuhochdeutschen in andere Klassen über.
  • Das Mittelhochdeutsche kannte keine gemischte Deklination.
Deklination der starken Substantive
Numerus Kasus 1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse 4. Klasse
Maskulin Neutrum Feminin Feminin Maskulin Neutrum Feminin
Singular Nominativ, Akkusativ tac wort gëbe zît gast blat kraft
Dativ tage worte gëbe zîte gaste blate kraft oder krefte
Genitiv tages wortes gastes blates
Plural Nominativ, Akkusativ tage wort gëbe zît geste bleter krefte
Genitiv worte gëben zîte
Dativ tagen worten zîten gesten bletern kreften
Deklination der schwachen Substantive
Numerus Kasus Maskulin Feminin Neutrum
Singular Nominativ bote zunge hërze
Akkusativ boten zungen
Dativ, Genitiv hërzen
Plural
Konjugation der starken Verben am Beispiel biegen
Numerus Person Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv
Singular ich biuge biege bouc büge
du biugest biegest büge bügest
er / siu / ez biuget biege bouc büge
Plural wir biegen biegen bugen bügen
ir bieget bieget buget büget
sie biegent biegen bugen bügen
Partizip biegende gebogen
Imperativ der 2. Person Singular: biuc!
Konjugation der schwachen Verben am Beispiel lëben
Numerus Person Präsens Präteritum
Indikativ Konjunktiv Indikativ/Konjunktiv
Singular ich lëbe lëbe lëb(e)te
du lëbest lëbest lëb(e)test
er / siu / ez lëbet lëbe lëb(e)te
Plural wir lëben lëben lëb(e)ten
ir lëbet lëbet lëb(e)tet
sie lëbent lëben lëb(e)ten
Partizip lëbende gelëb(e)t
Imperativ der 2. Person Singular: lëbe!
Konjugation der Präteritopräsentia
Neuhochdeutsch Singular Plural Infinitiv Präteritum Partizip
1./3. Person 2. Person 1./3. Person
wissen weiz weist wizzen wisse / wësse / wiste / wëste gewist / gewëst
taugen / nützen touc tugen, tügen tohte – töhte
gönnen gan ganst gunnen, günnen gunde / gonde – günde gegunnen / gegunnet
können / kennen kan kanst kunnen, künnen kunde / konde – künde
bedürfen darf darft durfen, dürfen dorfte – dörfte
es wagen tar tarst turren, türren torste – törste
sollen sol / sal solt suln, süln solde / solte – sölde / solde
vermögen mac maht mugen, mügen, magen, megen mahte / mohte – mähte / möhte
dürfen muoz muost müezen muos(t)e – mües(t)e
Konjugation der besonderen Verben
Tempus Modus Numerus Person sîn (sein) tuon (tun) wellen (wollen) hân (haben)
Präsens Indikativ Singular ich bin tuon wil(e) hân
du bist tuost wil(e) / wilt hâst
er / siu / ez ist tuot wil(e) hât
Plural wir birn / sîn / sint tuon wel(le)n hân
ir birt / bint / sît / sint tuot wel(le)t hât
sie sint tuont wel(le)nt, wellen hânt
Konjunktiv Singular ich tuo welle habe
du sîst tuost wellest habest
er / siu / ez tuo welle habe
Plural wir sîn tuon wellen haben
ir sît tuot wellet habet
sie sîn tuon wellen haben
Präteritum Indikativ Singular ich was – wâren tët(e) wolte / wolde hâte / hate / hæte / hête / hete / het / hiete
du tæte
er / siu / ez tët(e)
Plural wir tâten
ir tâtet
sie tâten
  • Die Formen von gân/gên „gehen“ und stân/stên „stehen“ entsprechen im Präsens denen von tuon. Im Präteritum steht gie(nc) zu gân/gên.
  • lân „lassen“ wird im Präsens konjugiert wie hân. Im Präteritum steht lie(z).
  • tuon hat im Präteritum Konjunktiv die Formen: tæte, tætest usw.

Weitere Merkmale

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  • Keine allgemeine Großschreibung von Substantiven (im Mittelhochdeutschen wurden nur Namen großgeschrieben).
  • Auslautverhärtung wird grafisch gekennzeichnet (mittelhochdeutsch tac – tage entspricht neuhochdeutsch Tag – Tage).
  • Palatalisierung: Das Mittelhochdeutsche unterschied zwei verschiedene s-Laute: einerseits das in der zweiten hochdeutschen Lautverschiebung entstandene [s], das auf germanisches t zurückging und mit z/zz (ȥ/ȥȥ oder ʒ/ʒʒ) geschrieben wurde, beispielsweise in ezzen, daz, grôz, dieser Laut wurde gleich ausgesprochen wie neuhochdeutsches [s] und entspricht auch einem neuhochdeutschen [s], andererseits der auf germanisches s zurückgehende stimmlose alveolo-palatale Frikativ ​[⁠ɕ⁠]​, beispielsweise in sunne, stein, kuss, kirse, slîchen, dieser Laut entspricht teils einem neuhochdeutschen [s] oder [z], teils einem neuhochdeutschen ​[⁠ʃ⁠]​.
Beginn des Nibelungenlieds* Übersetzung

Uns ist in alten mæren   wunders vil geseit
von helden lobebæren,   von grôʒer arebeit,
von fröuden, hôchgezîten,   von weinen und von klagen,
von küener recken strîten   muget ír nu wunder hœren sagen.

Eʒ wuohs in Burgonden   ein vil edel magedîn,
daʒ in allen landen   niht schœners mohte sîn,
Kriemhilt geheiʒen:   si wart ein scœne wîp.
dar umbe muosen degene   vil verliesen den lîp.

Uns wurde in alten Erzählungen viel Wundersames gesagt
von ruhmreichen Helden, von großem Leid,
von Freuden, Festen, von Weinen und von Klagen,
vom Kampf kühner Recken sollt ihr nun Wunder hören sagen.

Es wuchs in Burgund ein sehr feines Mädchen heran,
dass in allen Ländern kein schöneres sein konnte,
Kriemhild geheißen: Sie wurde eine schöne Frau.
Deswegen mussten viele Kämpfer ihr Leben verlieren.

*in standardisiertem Mittelhochdeutsch[13]

Aus dem Artusroman Iwein (2. Hälfte des 12. Jahrhunderts) des Hartmann von Aue* Übersetzung

Swer an rehte güete
wendet sîn gemüete,
dem volget sǣlde und êre.
des gît gewisse lêre
künec Artûs der guote,
der mit rîters muote
nâch lobe kunde strîten.
er hât bî sînen zîten
gelebet also schône
daz er der êren krône
dô truoc und noch sîn name treit.
des habent die warheit sîne lantliute:
sî jehent er lebe noch hiute:
er hât den lop erworben,
ist im der lîp erstorben,
sô lebet doch jemer sîn name.
er ist lasterlîcher schame
iemer vil gar erwert,
der noch nâch sînem site vert.

Wer seinen Sinn
auf das wahre Gute richtet,
der erfährt Glück und Ehre.
Das lehrt uns klar
der edle König Artus,
der mit dem Sinn eines Ritters
nach Lob zu streben wusste.
Er hat zu seinen Zeiten
so vorbildlich gelebt,
dass er den Kranz der Ehren
damals trug, wie ihn noch jetzt sein Name trägt.
Das bezeugen seine Landsleute:
Sie sagen, er lebe heute noch.
Er hat sich Ruhm erworben,
sodass noch immer sein Name lebt,
auch wenn er selber gestorben ist.
Von schimpflicher Schande
ist für immer frei,
wer noch handelt wie er.

*in standardisiertem Mittelhochdeutsch[14][15][16]

Wörterbücher

Neuere Wörterbücher (teils noch in Bearbeitung):

Ältere Wörterbücher und Nachschlagewerke:

  • Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. (1882, 1958 um einen Nachtrag ergänzt) S. Hirzel, 37. Auflage. Stuttgart 1986, ISBN 3-7776-0423-2.
  • P. H. Oettli: A First Dictionary for Students of Middle High German (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 461). Kümmerle Verlag, Göppingen 1986, ISBN 3-87452-696-8.
  • Adolf Socin: Mittelhochdeutsches Namenbuch nach oberrheinischen Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts. Basel 1903; Neudruck Darmstadt 1966.

Einige ältere Wörterbücher des Mittelhochdeutschen sind online zugänglich:

Einführung
  • Thomas Bein: Germanistische Mediävistik. 2., bearbeitete und erweiterte Auflage, Erich Schmidt-Verlag GmbH & Co., Berlin 2005, ISBN 3-503-07960-2.
  • Rolf Bergmann, Peter Pauly, Claudine Moulin: Alt- und Mittelhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der älteren deutschen Sprachstufen und zur deutschen Sprachgeschichte. Bearbeitet v. Claudine Moulin. 6. Auflage. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-20836-7.
  • Michael Graf: Mittelhochdeutsche Studiengrammatik. Eine Pilgerreise. Niemeyer, Tübingen 2003.
  • Thordis Hennings: Einführung in das Mittelhochdeutsche. 2. Auflage. de Gruyter, Berlin 2003, ISBN 3-11-017818-4.
  • Hermann Reichert: Nibelungenlied-Lehrwerk. Sprachlicher Kommentar, mittelhochdeutsche Grammatik, Wörterbuch. Passend zum Text der St. Galler Fassung („B“). Praesens-Verlag, Wien 2007, ISBN 978-3-7069-0445-2. Einführung ins Mittelhochdeutsche auf Basis des Nibelungenlieds.
  • Kurt Otto Seidel, Renate Schophaus: Einführung in das Mittelhochdeutsche. Wiesbaden 1979 (= Studienbücher zur Linguistik und Literaturwissenschaft, 8).
  • Hilkert Weddige: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. 6. Auflage. Beck, München 2004, ISBN 3-406-45744-4.
  • Wilhelm Schmidt: Geschichte der deutschen Sprache – Ein Lehrbuch für das germanistische Studium, 10. Auflage, Hirzel, Stuttgart 2007, ISBN 3-7776-1432-7.
Grammatik
  • Gerhard Eis: Historische Laut- und Formenlehre des Mittelhochdeutschen. Heidelberg 1950 (= Sprachwissenschaftliche Studienbücher.)
  • Friedrich Kauffmann: Deutsche Grammatik. Kurzgefaßte Laut- und Formenlehre des Gotischen, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutschen. 5. Auflage. Marburg 1909.
  • Otto Mausser: Mittelhochdeutsche Grammatik auf vergleichender Grundlage. 3 Bände. München 1932–1933; Nachdruck 1972.
  • K. Meisen: Altdeutsche Grammatik. Bonn 1947.
  • Heinz Mettke: Mittelhochdeutsche Grammatik. 8. Auflage. Niemeyer, Tübingen 2000, ISBN 3-484-89002-9.
  • Victor Michels: Mittelhochdeutsches Elementarbuch. 4. Auflage. Heidelberg 1921.
  • Hermann Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik. 16. Auflage, besorgt von L. E. Schmitt, Halle a. d. S. 1953; 25. Auflage. Niemeyer, Tübingen 2006, ISBN 3-484-64034-0.
  • Karl Weinhold: Kleine mittelhochdeutsche Grammatik. Fortgeführt von Gustav Ehrismann und ab der 11. Auflage, Wien/Stuttgart 1955, neu bearbeitet von Hugo Moser. 18. Auflage. Braumüller, Wien 1986, ISBN 3-7003-0663-6.
  • Karl Weinhold: Mittelhochdeutsche Grammatik. 2. Auflage. Paderborn 1883; Neudruck ebenda 1967.
Metrik
  • Herbert Bögl: Abriss der mittelhochdeutschen Metrik – Mit einem Übungsteil. 1. Auflage. Olms, Hildesheim 2006, ISBN 3-487-13142-0.
Wiktionary: Mittelhochdeutsch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: mittelhochdeutsch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikibooks: Mittelhochdeutsch – Lern- und Lehrmaterialien
Wikisource: Mittelhochdeutsch – Quellen und Volltexte

Wörterbücher und sprachwissenschaftliche Projekte

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Einzelnachweise

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  1. a b SIL International: Documentation for ISO 639 identifier: gmh
  2. Library of Congress: Codes for the Representation of Names of Languages
  3. Hilkert Weddige: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. 3., neu überarb. Auflage. C. H. Beck, München 1999, ISBN 3-406-45744-4, S. 7.
  4. Frédéric Hartweg, Klaus-Peter Wegera: Frühneuhochdeutsch. Eine Einführung in die deutsche Sprache des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. Niemeyer, Tübingen 1989 (= Germanistische Arbeitshefte. Band 33); 2. Auflage ebenda 2005, ISBN 3-484-25133-6.
  5. Stefan Sonderegger: Deutsch. In: Historisches Lexikon der Schweiz. (Kap. 2.3: Frühneuhochdeutsch und älteres Neuhochdeutsch in der Schweiz)
  6. Joseph Wright: A Middle High German Prime with Grammar, Notes, and Glossary. Third Edition. Re-written and enlarged. Oxford, 1917, S. „B“: „Middle High German (MHG.) embraces the High German language from about the year 1100 to 1500.
  7. M. O’C. Walshe: A Concise German Etymological Dictionary, 1951, S. vii: „From 1050 onwards the language found is referred to as Middle High German (MHG). This may be said to extend till about 1500, but after 1350 or so it is usually qualified as Late MGH.
  8. König, Werner: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1978, S. 77 ff.
  9. König, Werner: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1978, S. 78.
  10. Martin Schubert (Hrsg.): Mittelhochdeutsch: Beiträge zur Überlieferung, Sprache und Literatur. Walter de Gruyter, 2011, S. 456. Zitat: „Aber Vorsicht bei anlautendem s vor l, n, m, p, t, w: Es ist in diesen Verbindungen wie im Neuhochdeutschen als Zischlaut sch auszusprechen, also auch schp und scht, keinesfalls aber ‚niederdeutsch‘ bzw. ‚alt-hamburgerisch‘.“
  11. de Boor und Wisniewski: Mittelhochdeutsche Grammatik. Walter de Gruyter, S. 32. Zitat: „Eine ähnliche Tendenz des s in den sch-Laut überzugehen, die allerdings erst im Spätmhd. zur vollen Auswirkung kommt, zeigt sich in den Lautverbindungen st, sp (im Anlaut), sl, sm, sn, sw. Im klassischen Mhd. heißt es noch stets slüȥȥel, snël, s-tein gegenüber nhd. Schlüssel, schnell, S(ch)tein.“
  12. Hilkert Weddige: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. 7., durchgesehene Auflage. C.H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-45744-9, S. 13.
  13. zitiert nach: Helmut de Boor (Hrsg.): Das Nibelungenlied – zweisprachig. 5. Auflage. Reprint/Lizenzausgabe, Parkland Verlag, Köln 2003, ISBN 3-88059-985-8, S. 26.
  14. Lars Löber: Deutsche Sprache. In: brockhaus.de. Verlag F. A. Brockhaus/wissenmedia in der inmediaONE [Herausgebendes Organ], März 2013, abgerufen am 5. November 2023 (Gütersloh ; München).
  15. Hartmann von Aue: Iwein : Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. (ISBN 978-3-15-019011-1) In: Website https://www.reclam.de/. Rüdiger Krohn, 2012, abgerufen am 5. November 2023 (Kommentiert von Mireille Schnyder).
  16. Hartmann von Aue: Iwein. Eine Erzählung von Hartmann von Aue. In: Website http://www.mhdwb-online.de. Hg. von Georg Friedrich Benecke und Karl Lachmann. Neu bearb. von Ludwig Wolff., 1200, abgerufen am 5. November 2023 (7. Ausg., Bd. 1: Text, Berlin 1968.).