Christentum im Libanon

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 24. April 2020 um 10:19 Uhr durch Arabsalam (Diskussion | Beiträge) (übersetzt; == Literatur == + 2 Bücher). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Beirut: Orthodoxe Sankt-Georgs-Kathedrale (im Hintergrund Minarette der Mohammed-al-Amin-Moschee)
Beirut: Maronitische Kathedrale Sankt Georg (links) neben der Moschee Mohammed-al-Amin (rechts)

Das Christentum im Libanon hat eine lange Tradition und bildete bis ins 20. Jahrhundert eine religiöse Mehrheit innerhalb der libanesischen Bevölkerung, speziell in den Bergen.

Der Libanon ist ein Zufluchtsland für Christen aus anderen Staaten des Nahen Ostens. In jüngerer Zeit wanderten aufgrund des Bürgerkrieges und des Libanonkrieges 2006 viele Christen nach Europa, Amerika und Australien aus.[1][2]

Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung des Libanon

Der Anteil schwankt durch die geringere Kinderzahl der wohlhabenderen Schicht und der Mittelschicht, die öfter, aber nicht nur, christlich ist. Besonders aber durch die Rückkehrraten aus der Diaspora, die wesentlich größer ist als die Zahl der Libanesen im Libanon.

  • 1932: 51,2 % (letzte offizielle Volkszählung)
  • 1985: 25 % (Schätzung)
  • 2010: 41 % (Schätzung)

[3][4][5]

Kirchen

Es gibt mehrere, teils sehr alte und autochthone Kirchen. Sie alle üben ihr eigenes Personenstandsrecht aus. Sie sind auch im Parlament repräsentiert (politischer Konfessionalismus).

Insgesamt kann man die christlichen Kirchen in vier große christliche Religionsgemeinschaften einteilen:

Katholische Kirchen
Die Maroniten, die Melkiten, die Syrisch-Katholiken sowie die Armenisch-Katholiken bezeichnet man auch als mit Rom unierte Katholiken. Die Kirchen besitzen alle einen eigenen Patriarchen. Der gegenwärtige maronitische Patriarch ist auch Kardinal. Die Lateinische Kirche d. h. römisch-katholische Kirche gehört direkt zu Rom. Ferner gehört die Chaldäisch-Katholische Kirche zu den katholischen Kirchen.
Die Katholiken sind die größte christliche Religionsgemeinschaft im Libanon.
Orthodoxe Kirchen
Die rum-orthodoxe Kirche wird auch meist als griechisch-orthodoxe Kirche bezeichnet, sie ist die einzige orthodoxe Kirche im Libanon. Die Orthodoxen sind die zweitgrößte christliche Religionsgemeinschaft im Libanon.
Altorientalische Kirchen
Die Armenische Apostolische Kirche ist eine altorientalische Kirche, die erst seit dem Völkermord an den Armeniern ihren Sitz im Libanon hat. Die syrisch-orthodoxe oder Jakobitische Kirche erkannte das Konzil von Chalcedon nicht an und gehört deshalb zu den Altorientalischen Kirchen. Ihr Patriarch residiert in Damaskus. Die Koptisch-orthodoxe Kirche Ägyptens hat einige Gemeinden im Libanon. Etwas außerhalb der Kirchenkategorie ist die Assyrische Kirche des Ostens. Die Altorientalische Christen sind die drittgrößte christliche Religionsgemeinschaft im Libanon.
Evangelische Kirchen
Zu den reformatorischen Kirchen zählen die Armenisch-protestantische Kirche, die Presbyterianische Synode von Syrien und Libanon, die Nationale Evangelische Kirche von Beirut sowie die Anglikanische Kirche und die Baptisten. Die Protestanten bilden die kleinste christliche Religionsgemeinschaft im Libanon.

Siedlungsgebiete

Die griechisch-orthodoxen Christen sind sowohl an der Küste als auch im Libanongebirge angesiedelt. Ein bekanntes Siedlungsgebiet griechisch-orthodoxer Christen ist Koura. Die Maroniten wohnen traditionell in den Bergen. Durch den Bürgerkrieg sind viele Maroniten nach Beirut gezogen.[1] Der Osten Beiruts ist hauptsächlich von Christen bewohnt. Die Stadt Zahlé ist überwiegend von Melkiten bewohnt. In Tripoli ist der Stadtteil Mina von Christen bewohnt. Im Süden des Libanons gibt es einige christliche Dörfer wie Marj Aioun.

Politische Situation

Karte nach Parlamentssitzen
Verteilung der Religionsgruppen im Libanon

Die konfessionelle Parität mit einem maronitischen Staatspräsidenten sowie einem orthodoxen Vizepremierminister sowie die Anzahl der gleich verteilten Kabinettsposten zwischen Muslimen und Christen ist im Nahen Osten einzigartig und geht auf den Nationalpakt von 1943 zurück, der 1989 durch das Abkommen von Taif modifiziert wurde. Seither sind 50 Prozent der Parlamentssitze Christen vorbehalten (bei ca. 41 % Anteil an der Gesamtbevölkerung). Die Staatsämter und Funktionen im öffentlichen Dienst sind paritätisch zwischen Christen und Muslimen aufgeteilt. Der libanesische Staatspräsident und der oberste Befehlshaber der Armee sind jeweils ein Maronit, der stellvertretende Ministerpräsident ein griechisch-orthodoxer Libanese.

Die Anzahl der Parlamentssitze pro christliche Konfession nach dem Abkommen von Taif (insgesamt 128, Christen:Muslime 5:5) und in Klammern vor dem Abkommen von Taif (insgesamt 99, Verteilung 6:5): Maroniten 34 (30), Rum Orthodoxe 14 (11), Griechisch-Katholische 8 (6), Armenisch-Orthodoxe 5 (4), Armenisch-Katholische 1 (1), Andere 1 (1)

Lage der Christen

Der Libanon war traditionell ein Zufluchtsort für Christen aus dem Nahen Osten. Die Christen im Libanon sind im Vergleich zu anderen Christen in der Region sehr autonom sowie weniger Repressionen ausgesetzt als in anderen Nachbarländern. Allerdings werden z. B. in manchen Gegenden Geschäfte, die Alkohol verkaufen, von muslimischen Gruppen attackiert.[2]

Beim Bürgerkrieg im Libanongebirge im Sommer 1860 zwischen christlichen Maroniten und muslimischen Drusen kamen insgesamt 20.000 Christen ums Leben, dazu eine unbekannte Zahl von Muslimen. 380 christliche Dörfer und 560 Kirchen wurden zerstört.

Nach der Unabhängigkeitserklärung des Libanon 1943 verliefen die Beziehungen zwischen Muslimen und Christen zunächst friedlich. Dies erfuhr jedoch eine Wende in der Libanonkrise 1958 und im libanesischen Bürgerkrieg 1975–1990. So verübte die christliche Phalange-Miliz während des Bürgerkriegs im Jahr 1976 das Massaker von Karantina an palästinensischen Flüchtlingen. Als Rache verübten Muslime kurz darauf in der Hafenstadt Damur das Massaker von Damur an christlichen Einwohnern. Als eines der schlimmsten Kriegsverbrechen von christlicher Seite gilt das Massaker von Sabra und Schatila 1982, bei dem zahlreiche Palästinenser durch die Phalangisten ermordet wurden.

Kardinal Nasrallah Boutros Sfeir, Oberhaupt der Maroniten (1986–2011)

Durch die vielen kriegerischen Konflikte mit Israel (Libanonkrieg 1982, Libanonkrieg 2006 sowie der Konflikt um die Schebaa-Farmen) ist das politische wirtschaftliche Leben sowie die Sicherheitslage im Land für die Libanesen sehr schwierig geworden. Dadurch haben sich vor allem bei jungen Libanesen die Gründe für eine Auswanderung verstärkt. Im Vergleich zu den muslimischen Auswanderungswilligen fühlen sich die christlichen Libanesen zusätzlichem Druck sowie der Einschränkung ihrer Freiheiten ausgesetzt.

Zurzeit versuchen muslimische Investoren gezielt Grundstücke in christlichen Kerngebieten über Mittelsmänner zu kaufen. Ein bekannter Fall ist der Kauf eines Grundstücks oberhalb vom Kloster Balamand. Im Jahr 2006 gab es von muslimischen Extremisten Übergriffe auf Kirchen und christliche Gebiete, z. B. in Aschrafiyya, nach dem Karikaturenstreit im Frühjahr sowie nach der Ausstrahlung einer LBC-Sendung „Basmatwatan“, in der der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, karikiert wurde (Mai 2006).[6]

Es gibt auch zahlreiche Mordfälle, z. B. Ermordung einer Nonne in Haddath, einem Grenzort zur schiitischen Vorstadt von Beirut, im Jahre 2001, sowie andere vergleichbare Fälle. In den Jahren 2005 und 2006 wurden auf mehrere christliche Journalisten (Gebran Tueni, May Chidiac, Samir Kassir) und Politiker (George Hawi, Elias Murr, Pierre Gemayel junior, Michel Pharaon) Attentate verübt, bei denen die meisten ums Leben kamen.[7]

In der innerlibanesischen politischen Diskussion wird die offene Diskussion für Christen durch Drohungen und Einschüchterungen von muslimischer Seite zunehmend schwieriger.[1]

Literatur

  • Stephan Stetter, Mitra Moussa Nabo (Hrsg.): Middle East Christianity: Local Practices, World Societal Entanglements. Springer, Cham 2020, ISBN 978-3-030-37010-7.
  • Kail C. Ellis (Hrsg.): Secular Nationalism and Citizenship in Muslim Countries: Arab Christians in the Levant. Taschenbuchausgabe. Springer, Cham 2019, ISBN 978-3-319-89051-7.
  • Rodriguez, Olga (2009): El hombre mojado no teme la lluvia. Voces de oriente medio. Random House Montadori S.A.
  • Bank & Marischka, 2007, Seite 21

Einzelnachweise

  1. a b c d Report: Nearly Half the Maronites Consider Fleeing Lebanon, An-Nahar, Beirut 2. April 2007
  2. a b Une branche d’el-Qaëda promet des « mers de sang » aux chrétiens du Liban (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive)
  3. The collapse and reconstruction of Lebanon
  4. Lebanon – International Religious Freedom Report 2010 U.S. Department of State. Abgerufen am 14. Februar 2010.
  5. Contemporary Religious distribution of Lebanon's main religions
  6. IMI Magazin. Ausgabe April 2007. S. 21–22 Informationsstelle Militarisierung (IMI), Tübingen Online (PDF; 87 kB)
  7. Zeitungen im Libanon. In: Alsharq