Exilliteratur

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Als Exilliteratur, auch Emigrantenliteratur, wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht ist. Meist geben politische oder religiöse Gründe den Ausschlag für die Flucht ins Exil.

Der Begriff „Exilliteratur“ ist der fachlich gebräuchlichere. Während Emigration neutral den Wechsel des Wohnortes von einem Land in ein anderes bezeichnet, bedeutet Exil eher das Land, welches Zufluchtsort wird. Mitunter wird der Begriff auch für literarische Werke verwendet, die als verbotene Literatur in Exilverlagen erscheinen müssen, auch wenn deren Verfasser in ihrem Heimatland bleiben, also keine Emigranten sind.

Exilliteratur in der Antike und im Mittelalter

Bereits in der Antike waren Schriftsteller der Zensur und der Verfolgung durch die Staatsmacht ausgesetzt, so dass sie ihre Werke im Exil verfassten, so Hipponax oder Ovid, im Mittelalter ist u. a. Dante Alighieri zu nennen.

Exilliteratur der Neuzeit bis zum 20. Jahrhundert

Exilliteratur als generelles Phänomen entstand mit den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts, als zahlreiche protestantische Dichter ihre katholischen Heimatländer verlassen mussten. Bis zum 17. und 18. Jahrhundert war Exilliteratur weitgehend religiöse Literatur; Ende des 18. Jahrhunderts gewann die politische Exilliteratur an Bedeutung.

Im 19. Jahrhundert publizieren die deutschen Exilschriftsteller Heinrich Heine, Ludwig Börne, Ferdinand Freiligrath und Georg Büchner[1] in Paris bzw. London. Zu den bekanntesten polnischen Exilliteraten in Paris zählen Adam Mickiewicz, Juliusz Słowacki, Zygmunt Krasiński, aus Russland ist Turgenew zu nennen. Victor Hugo ging nach dem Staatsstreich des späteren Napoléon III. nach Guernsey ins Exil und kehrte erst nach Napoléons Sturz zurück. Napoléon III. selbst verfasste, vor seiner Machtübernahme, im Exil in London und New York mehrere theoretische Werke.

Exilliteratur der Neuzeit ab dem 20. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert wächst die Exilliteratur zu einem weltweiten Phänomen. Europa, Lateinamerika, Asien und Afrika bilden Ausgangspunkte zahlreicher exilierter Autoren.

Exilliteratur in Russland

In Russland wirken bis 1917 Autoren im Exil, die gegen die zaristische Herrschaft opponierten (Lenin, Maxim Gorki); nach der Oktoberrevolution müssen ihre Gegner das Land verlassen, um zu schreiben, kehren teilweise später wieder zurück (Schklowskij, Andrei Bely, Alexei Tolstoi). I. A. Bunin (1933), Alexander Solschenizyn (1970) und Joseph Brodsky (1987) wurde der Nobelpreis verliehen. Nach 1945 gehen Schriftsteller wie Andrej Amalrik (1976) und Solschenizyn (Ausweisung 1974) ins Exil.

Deutsche Exilliteratur

{{Siehe auch|Literatur in der Zeit des Nationalsozialismus#Exilliteratur|titel1=Exilliteratur in der Zeit des Nationalsozialismus}dragan der Zigeuner wäscht Autos für'n 5er pro monat Die deutsche Exilliteratur entstand 1933–1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Emigrantenzentren entstanden in Paris, Amsterdam, Stockholm, Zürich, Prag, Moskau, New York und Mexiko, wo unter meistens schwierigen Bedingungen Verlage gegründet wurden. Bekannte Verlage für Exilliteratur waren z. B. in Amsterdam der Querido Verlag und Allert de Lange Verlag und in Zürich der Europa Verlag des Buchhändlers Emil Oprecht. Zu den bekanntesten Autoren im Exil zählten Bertolt Brecht, Hermann Broch, Ernst Bloch, Elias Canetti, Alfred Döblin, Hilde Domin, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, A. M. Frey, Anna Gmeyner, Hans Sahl, Oskar Maria Graf, Heinrich Eduard Jacob, Marta Karlweis, Hermann Kesten, Egon Erwin Kisch, Annette Kolb, Siegfried Kracauer, Maria Lazar, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Klaus Mann, Thomas Mann, Robert Neumann, Balder Olden, Rudolf Olden, Erich Maria Remarque, Ludwig Renn, Alice Rühle-Gerstel, Otto Rühle, Alice Schwarz-Gardos, Anna Sebastian, Anna Seghers, Adrienne Thomas, B. Traven, Käthe Vordtriede, Peter Weiss, Franz Werfel, Bodo Uhse und Arnold Zweig. Germanisten wie John Spalek haben sich diesen Schriftstellern gewidmet.

Die Autoren Ernst Toller, Walter Hasenclever, Walter Benjamin, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, und Ernst Weiß begingen Selbstmord im Exil, Klaus Mann wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, nachdem er im Nachkriegsdeutschland nicht mehr heimisch werden konnte.

In Deutschland verblieben andererseits Schriftsteller, die sich in die innere Emigration zurückzogen, wie Frank Thiess, Stefan Andres, Gottfried Benn, Reinhold Schneider, Werner Bergengruen, Erich Kästner, Ernst Kreuder, Gertrud von Le Fort, Ernst Wiechert und Ehm Welk.

Estnische Exilliteratur

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs verließen ca. 70.000 Menschen Estland Richtung Westen.[2] Der Anteil der Intellektuellen an ihnen war überproportional hoch, so dass sich nach dem Krieg knapp ein Drittel der bekannteren estnischen Autorinnen und Autoren im Exil befand.[3] Sie gelangten vornehmlich nach Schweden und Deutschland, später entstanden größere Exilgemeinschaften in Kanada, den U.S.A. und Australien. Im Exil wurden mehrere Verlage gegründet (ORTO, Eesti Kirjanike Kooperatiiv), und die Buchproduktion war bis weit in die fünfziger Jahre hinein höher als im stalinistischen Sowjetestland. Bekannteste Vertreter der estnischen Exilliteratur sind August Gailit, Bernard Kangro, Karl Ristikivi, Gustav Suits, Marie Under und Henrik Visnapuu.[4]

Jüdische Exilliteratur

Eine besondere Richtung bildet die jüdische Exilliteratur. Zu ihren bekanntesten Vertreterinnen zählen beispielsweise Nelly Sachs (Nobelpreis 1966), Else Lasker-Schüler und Maria Lazar. Die jüdische Exilliteratur spielt auch eine Rolle in jiddischsprachigen Zentren der USA. Als bekanntester Vertreter gilt Isaac Bashevis Singer (Nobelpreis 1978).

Auch die osteuropäische Exilliteratur ist infolge der Entwicklung im ehemaligen Osteuropa reichhaltig.

Exilliteratur in der Tschechoslowakei

In der Tschechoslowakei gab es im 20. Jahrhundert gleich zwei große Emigrationswellen – und somit auch zweimal den ungewollten Nachschub für die Exilliteratur. Im Jahre 1948, nachdem die kommunistische Partei die Macht ergriffen hatte, verließen über 60.000 Tschechen und Slowaken ihr Land. Die Emigration hinterließ vor allem die liberale Zeitschrift Svědectví (deutsch: Zeugnis), die von Pavel Tigrid in Paris herausgegeben wurde. Nach dem Zerschlagen des Prager Frühlings im August 1968 verließen etwa 250.000 Einwohner das Land. Außer vielen Verlagen, die die verbotenen Werke tschechischer und slowakischer Schriftsteller herausgaben und von denen der 1971 in Toronto von Josef Škvorecký und seiner Frau Zdena Salivarová gegründete und von ihr geleitete 68 Publishers der wichtigste war, entstanden die vor allem politisch agierenden Zeitschriften Listy (herausgegeben in Rom unter der Leitung von Jiří Pelikán) sowie die weitaus kleinere Zeitschrift informační materiály (herausgegeben anonym in West-Berlin).

Bundesrepublik und DDR

Die Werke in die BRD übergesiedelter Autoren (z. B. Günter Kunert, Sarah Kirsch, Jürgen Fuchs) aus der DDR als Exilliteratur zu bezeichnen, ist umstritten. Diese Schriftsteller hatten im Westen oftmals weder Publikations- noch Sprachprobleme, wechselten mithin scheinbar vom kalten ins warme Wasser. Aber Wolf Biermann fasste seine Seelenlage als exilierter DDR-Schriftsteller in die drastischen Worte: Vom Regen in die Jauche.

Exilliteratur in den Vereinigten Staaten

Migrantenschriftsteller

Ein Bereich innerhalb der deutschen Gegenwartsliteratur ist die deutschsprachige Migrantenliteratur. Ihre Autoren können teils den Exilliteraten zugerechnet werden, teils sind die Beweggründe für ihre Migration in der Anwerbung von Arbeitskraft seit den 1950er Jahren oder anderen sozialen und wirtschaftlichen Bereichen zu finden. Hier gibt es die Autoren der als Gastarbeiterliteratur bezeichneten Literatur aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern. Analog zur Anwerbung von Gastarbeitern waren italienischstämmige Schriftsteller anfangs die bedeutendste Gruppe, später zogen vor allem türkischstämmige Autoren viel Aufmerksamkeit auf sich.

Heute gehören solche Migrantenschriftsteller zu den wichtigsten deutschsprachigen Autoren, das gilt etwa für Yōko Tawada, Ilija Trojanow, Emine Sevgi Özdamar, Feridun Zaimoglu, Galsan Tschinag oder Wladimir Kaminer und viele andere mehr. Die Robert Bosch Stiftung vergibt jedes Jahr den Adelbert-von-Chamisso-Preis an Autoren, deren Muttersprache nicht deutsch ist.

Literatur

  • Eva Bloch u. a. (Hrsg.): Grundbegriffe und Autoren ostmitteleuropäischer Exilliteraturen 1945–1989. Ein Beitrag zur Systematisierung und Typologisierung. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08389-8
  • Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser: Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Deuticke, Wien 2000, ISBN 3-216-30548-1
  • Richard Drews, Alfred Kantorowicz (Hrsg.): Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt, Heinz Ullstein, Kindler, Berlin / München 1947 (DNB 450999203); NA: 1983, ISBN 3-463-00860-2.
  • Manfred Durzak (Hrsg.): Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. Reclam jun., Stuttgart 1973, ISBN 3-15-010225-1
  • Wolfgang Emmerich: Lyrik des Exils. Reclam, Stuttgart 1985, ISBN 978-3-15-008089-4.
  • Konrad Feilchenfeldt: Deutsche Exilliteratur 1933–1945. Kommentar zu einer Epoche, Winkler, München 1986, ISBN 3-538-07040-7.
  • Manfred Hammes: Erzähl mir vom Süden. Mit zahlreichen Beiträgen zu Leben und Werk deutschsprachiger Exilautoren insbesondere in Sanary-sur-Mer und Marseille. Wunderhorn, Heidelberg 2005, ISBN 978-3-88423-230-9.
  • Ludwig Hoffmann: Kunst und Literatur im Exil 1933–1945, Sieben Bände, Reclam, Leipzig 1987, ISBN 3-379-00229-1.
  • Carsten Jakobi: Der kleine Sieg über den Antisemitismus. Darstellung und Deutung der nationalsozialistischen Judenverfolgung im deutschsprachigen Zeitstück des Exils 1933–1945. Niemeyer, Tübingen 2005, ISBN 3-484-35106-3
  • jour fixe initiative berlin (Hrsg.): Fluchtlinien des Exils. Unrast, Münster 2004, ISBN 3-89771-431-0
  • Thomas Koebner (Hrsg.): Publizistik im Exil und andere Themen. (= Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Band 7). edition text & kritik, München 1989, ISBN 3-88377-321-2
  • Wolf Köpcke, Michael Winkler (Hrsg.): Exilliteratur 1933–1945. Wissenschaftlich Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, ISBN 3-534-01756-0.
  • Kurt Köster (Hrsg.): Exil-Literatur 1933–1945 Ausstellung der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main, Mai bis August 1965 (Sonderveröffentlichung der Deutschen Bibliothek Nr. 1). Kommissionsverlag der Buchhändler-Vereinigung Frankfurt am Main 1965
  • Martin Mauthner: German Writers in French Exile, 1933–1940, Vallentine Mitchell, London 2007, ISBN 978-0-85303-540-4.
  • Avid Pike: Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil 1933–1945, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-518-03856-7.
  • Valerie Popp: „Aber hier war alles anders …“ Amerikabilder der deutschsprachigen Exilliteratur nach 1939 in den USA. Königshausen und Neumann, Würzburg 2008, ISBN 978-3-8260-3831-0.
  • Birgit Schmidt: Wenn die Partei das Volk entdeckt. Anna Seghers, Bodo Uhse, Ludwig Renn u. a. Ein kritischer Beitrag zur Volksfrontideologie und ihrer Literatur. Unsrast, Münster 2002, ISBN 3-89771-412-4 (Dissertation Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 2001 unter dem Titel: …, der wäre kein Mensch, wenn er sein Land nicht liebte?)
  • Claudia Schoppmann (Hrsg.) Im Fluchtgepäck die Sprache. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im Exil Orlanda-Frauenverlag, Berlin 1991, ISBN 3-922166-78-4 und Fischer TB 1995, ISBN 3-596-12318-6.
  • Hans J. Schütz (Hrsg.): Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen. Vergessene und verkannte Autoren des 20. Jahrhunderts, C. H. Beck, München 1988, ISBN 3-406-33308-7.
  • Jürgen Serke: Die verbrannten Dichter. Mit Fotos von Wilfried Bauer. Beltz & Gelberg, Weinheim/Basel 1979, ISBN 3-407-80757-0.
  • Peter Stahlberger: Der Zürcher Verleger Emil Oprecht und die deutsche politische Emigration, 1933–1945. Vorwort von Jean Rudolf von Salis. Europa Verlag, Zürich 1970, DNB 458210978 (Dissertation Universität Zürich, Philosophische Fakultät I, Zürich 1970. 407 Seiten, 8).
  • Wilhelm Sternfeld, Eva Tiedemann: Deutsche Exilliteratur 1933–1945, Eine Bio-Bibliographie, Lambert Schneider, Heidelberg 1970 (DNB 458233188).
  • Hans-Albert Walter (Hrsg.): Deutsche Exilliteratur 1933–1950, Band 7 Exilpresse, Sammlung Luchterhand 1974, ISBN 3-472-61136-7.
  • Ruth Werfel (Hrsg.): Gehetzt. Südfrankreich 1940. Deutsche Literaten im Exil. NZZ Libro, Zürich 2007, ISBN 3-03823-308-0 und Fink, München 2008, ISBN 978-3-7705-4573-5.

Siehe auch

Wiktionary: Exilliteratur – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Notizen

  1. einen zeitübergreifenden Vergleich dreier bekannter Exilanten bietet Jean Firges: Büchner, Lenz, Celan. Der Gang durchs Gebirg. Gespräch im Gebirg. Exemplarische Reihe Literatur und Philosophie, 29. Annweiler 2010
  2. Raimo Raag: Eestlane väljaspool Eestit. Tartu 1999, S. 62.
  3. Cornelius Hasselblatt: Geschichte der estnischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2006, S. 545.
  4. Cornelius Hasselblatt: § 39: Die Konsolidierung der Exilgemeinschaft, in: Ders.: Geschichte der estnischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2006, S. 562–581.