Die Visio Godeschalci („Vision Gottschalks“) ist der Bericht des Rodungsbauern Gottschalk in Holstein von seiner 1189 erlebten Vision. Zwei verschiedene Geistliche haben ihn unabhängig voneinander befragt und seine Erzählung 1190 in lateinischer Sprache aufgeschrieben. In Gottschalks Vorstellung vom Jenseits mischen sich christliche Bilder mit altnordischen aus vorchristlicher Zeit. Der Visionsbericht vermittelt Einblicke in das Alltagsleben und die Jenseitsvorstellungen eines einfachen Bauern fast am Rande der christlichen Welt des 12. Jahrhunderts.
Vorgeschichte
Gottschalk gehörte in die zweite Generation der Holsten, die Graf Adolf II. 1143 zur Kolonisation Wagriens aufgerufen hatte. Vermutlich in den 1170er Jahren[E 1] kam er aus dem Kirchspiel Nortorf nach Horchen, dem heutigen Klein- oder Großharrie in Holstein. Gottschalk war persönlich ein freier Mann. Das Augustiner-Chorherrenstift in Neumünster war Zehntherr.[E 2] Um seine Ackerfläche zu erweitern, rodete er Bäume im angrenzenden Hochwald. Mit seiner fast blinden Frau, seinem schwächlichen Sohn und einem Gaul bewirtschaftete er den Hof. Gottschalk war immer wieder krank und häufig litt er Not, selbst im Winter ging er barfuß.
Gottschalk gehörte zu einem Aufgebot Holsteins, das im Namen Heinrichs des Löwen 1189 die Burg Segeberg belagerte, eine der letzten Stellungen Graf Adolfs III. Vergebens hatte er den Overboden gebeten, ihn wegen Erkrankung von seiner Pflicht zu entbinden. Mit seinen Dorfgenossen erreichte er Segeberg am 10. Dezember. Zwei Tage später kam die Krankheit mit Fieberschauern zum Ausbruch und er konnte keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Am 17. Dezember verlor er das Bewusstsein, am 20. schien er tot, nur sein Mund bewegte sich kaum sichtbar. In dieser Phase des Scheintods hatte Gottschalk eine Sterbevision.[E 3]
Am 24. Dezember wurde seine Einheit abgelöst, seine Kameraden brachten ihn krank und verwirrt nach Hause. Ende Januar 1190 gab Gottschalk wieder Lebenszeichen von sich und konnte von seinen Erlebnissen berichten.
Visionsbericht
Das Motiv von der Wanderung im Jenseits und der Rückkehr in die irdische Welt gehört zur verbreiteten erbaulichen Literatur des Mittelalters, von der Gottschalk aus der Predigt manches erfuhr. Für die Jenseitsreise ist typisch, dass der Visionär in Ekstase oder Schlaf fällt und die Seele den Körper verlässt, der wie tot zurückbleibt. Häufig begleiten Engel den Visionär als Führer. Typisch ist auch, dass er im Jenseits verschiedene Plätze sieht und dass er nach seiner Rückkehr nicht alles erzählen darf. Dass er in der anderen Welt ihm aus dem Leben bekannte Menschen trifft und dort nicht verweilen darf, sind ebenfalls Topoi in der Visionsliteratur des 12. Jahrhunderts.
Gottschalks Weltbild ist durch die Überlieferungen seiner Familie und seiner Dorfgenossen bestimmt, durch die sonntägliche Predigt und die Bilder in der Kirche. Seine Jenseitsvorstellung entspricht im Wesentlichen der kirchlichen Lehre, vor allem auch in dem Glauben, dass das irdische Handeln im Jenseits belohnt oder bestraft wird. In dem erst vor ein oder zwei Generationen wirklich christianisierten Gebiet ist der Volksglaube aber noch stark von der germanischen Mythologie geprägt. Gottschalks Erlebnisse im Jenseits entsprechen dem Volksglauben seiner Zeit und seiner Umgebung.[E 4]
Wanderung im Jenseits
Gottschalks Vision begann mit einem Topos, mit der Ankunft der beiden Engel, die ihn durch das Jenseits geleiteten und das Gesehene erläuterten.[E 5] An einer Linde, die mit unzählbar vielen Schuhpaaren behängt war, strömten die abgeschiedenen Seelen der Toten zusammen. Wer in seinem Leben dem Nächsten nach seinen Möglichkeiten Barmherzigkeit erwiesen hatte, der bekam schützende Schuhe. [A 1] Mit 14 Schuhträgern und ungefähr 120 Unbeschuhten begann der Marsch der Toten durch eine öde Heide mit Dornen und Stacheln. Die ungeschützten Füße wurden zerstochen; Stürzende wurden so zugerichtet, dass an ihnen keine heile Stelle blieb Stürzende wurden am ganzen Leib zerfetzt. Als Gottschalk barfuß zusammenbrach, holte ihm sein Engel ein Paar Stiefel von der Linde.[A 2] Die Unbeschuhten wurden bestraft, weil sie sich den Geboten Gottes und den Lehren der Priester nicht gefügt hatten. Nachdem alle die dornige Heide passiert hatten, waren 25 der Unbeschuhten von ihren Sünden erlöst und durften sich der Gruppe der Schuhträger anschließen. Die Seelen kamen an einen breiten Fluss, aus dem die Klingen von Schwertern, Spießen und Lanzen emporragten. Tote, die schwimmend ans andere Ufer mussten, wurden zerhackt.[A 3] Im Strom schwimmende Balken glitten ans Ufer, nahmen Beschuhte auf und brachten sie selbststeuernd unverletzt hinüber.[A 4] Wer dem Gemeinwohl gedient, Wege befestigt, im Schlamm Dämme errichtet und Brücken gebaut oder renoviert hatte, den nahmen die Balken auf. [A 5] Bis auf sechs waren jetzt alle entsühnt. Gottschalks erster Tag in der jenseitigen Welt ging mit der Überfahrt zu Ende.
Mit den in ihrer Gestalt wieder hergestellten Seelen formierte sich der Zug in der Reihenfolge der Erlösung. Gottschalk und seine Engel gingen voran. Abseits vom Weg folgten die sechs noch nicht Entlasteten und in einigem Abstand ein schwer Belasteter, dessen Identität Gottschalk nicht preisgibt. An einer Weggabelung [A 6] führte der linke Weg in die Tiefe, eng, morastig und giftig stinkend. Auf der rechten Seite stieg ein in seinem Glanz strahlender Weg bis in den Himmel. Zwischen beiden verlief der Mittelweg geradeaus. Fünf Schuhträger wies ein Engel nach rechts, auf den Weg der Vollkommenen. Sie stimmten Jubelgesang an und plötzlich begannen sie zu leuchten. Der breite und helle Mittelweg für die mittelmäßig Guten führte durch eine liebliche Landschaft. Zufrieden mit ihrem Los besangen sie die Herrlichkeit Gottes. Die sechs noch nicht Entsühnten schickte der Engel nicht nach links auf den Weg der hoffnungslos Verdammten, sondern auf einen dunklen unwegsamen Pfad, zwischen dem Mittelweg und dem Weg zur Hölle.[A 7] Das Wort Gottes hatten sie oft vernommen, aber nicht danach gehandelt, da sie nur an Sichtbares glaubten. Gottschalk wurde zu ihrem Führer bestellt. Er könne des Schutzes der Engel sicher sein, trösteten ihn seine Engel. Am Ende des zweiten Tages loderte ein Feuer [A 8] von unermesslicher Hitze auf der Fläche eines Neunecks.[A 9] Neun Folterknechte quälten die Büßer auf vielfältige und unvorstellbare Weise. Sünder legten einen Arm ins Feuer, einen Fuß oder eine andere Körperpartie. Wer an der Hand gestraft wurde, war ein Dieb und wer an den Füßen gebrannt wurde, ging auf falschen Wegen.[A 10] Noch in einiger Entfernung wurde Gottschalks linke Seite von der Gluthitze gestreift. Gottschalk sah einflussreiche Männer im Feuer, einen ehemaligen Overboden und Angehörige der holsteinischen Führungsschicht, die Heinrich den Löwen unterstützten.[A 11]
Nachdem Gottschalk die Strafen im Feuer gesehen hatte, führten ihn seine Engel auf den Mittelweg zurück zur Gruppe, die auf ihn gewartet hatte. Zwei Seelen aus der ehemaligen Sechsergruppe, die durch die Folter entsühnt waren, begleiteten ihn; 25 weitere Erlöste schlossen sich an und folgten dem alten Zug, gemeinsam sangen sie frohe Lieder. Aus dem Weg wurde eine breite, glänzend schöne Straße. Aus einem prachtvoll, wie die Residenz eines reichen Mannes verzierten Haus, hörte man fröhliche Lieder. Die Straße wurde noch breiter und prachtvoller mit einem Haus wie der Wohnsitz eines Fürsten, dessen Bewohner noch wohltönender sangen. Die Straße wurde noch einmal breiter und schöner. Das Gebäude übertraf die gesehehen an Größe, Pracht und der Zahl der jubelnd singenden Bewohner. Gottschalk bedauerte, dass er seine Engel nicht nach der Bedeutung dieser Abstufung zur Weite, Schönheit, Helligkeit und Freude gefragt hatte. Ein wundersamer Duft spendete ihnen Kraft, und Gottschalk hatte kein Verlangen mehr nach Speisen. [A 12] [A 13] Alle verwandelten sich plötzlich, Gottschalk ausgenommen, und leuchteten in unvergleichlicher Helligkeit. Die Sonne strahlte neunmal heller als auf der Erde und stand immer im Zenit; es gab weder Schatten noch Nacht. [A 14].
Eine mächtige Basilika tauchte auf, Fenster und Türen besaß sie nicht, und der Chor lag im Westen. Strahlend helle Häuschen waren an die Kirche angebaut.[A 15]. In den offenen Häuschen wohnten die abgeschiedenen Seelen, die noch geschlossenen waren für weitere Seelen bestimmt. Als Gottschalk die Kirche mit Abstand betrachtete, stand in strahlender Erhabenheit ein Mann auf dem First: der Evangelist Johannes. [A 16] Gottschalks Weggenossen hatten sich ebenfalls verwandelt und plötzlich verschwanden alle. Gottschalk war mit den beiden Engeln allein. Er sah eine lange Bank und erkannte darauf zwei kürzlich verstorbene Chorherrn. Sie ließen Platz für sechs weitere Seelen. An anderer Stelle sah er einen Laienbruder, einen Küchenhelfer des Stifts, der sich diesen Platz durch Askese und Kasteiungen verdient hatte. Auf einer zweiten Bank kannte Gottschalk drei Laienbrüder, die Platz für zwei andere hielten, die noch lebten. Ein noch verschlossenes Häuschen war für eine Witwe reserviert, die Kranke besucht und ihnen Mittel zur Linderung ihrer Leiden schenkt. Das ihr von ihrem Mann zugefügte Leid hatte sie treu und geduldig ertragen. Nachdem der Hof an sie gekommen war, spendete sie großzügig an die Armen. Der schlechten Behandlung durch ihre Kinder begegnete sie mit Gleichmut. Beim Blick zum Westende der Kirche hatte Gottschalk ein überwältigendes Erlebnis, von dem er zunächst nicht sprechen konnte: Über dem Chor sah er für einen Augenblick ein unbeschreiblich helles Licht, das alles zum Leuchten brachte und alles durchdrang.[A 17] Als er verstört und zitternd wieder aufsah, war die Erscheinung verschwunden. Gottschalk war überzeugt, dass er für einen Augenblick Gott wahrgenommen hatte. [A 18]
Gottschalk und die Engel erreichten einen riesigen Platz, auf dem sich viele Seelen versammelt hatten. Von allen Seiten kamen immer neue Besucher mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die Luft. [A 19] Alle erschienen zum Fest des heiligen Andreas, das man im Dezember feierte. Einige Männer schleppten andere auf dem Rücken von Ort zu Ort. [A 20] Herren und Herrinnen erwiesen ihren Knechten und Mägden gesenkten Hauptes die Ehre. Sie schämten sich, weil sie auf Erden ihr Gesinde nicht wie Mitchristen behandelt hatten. [A 21] Pilger, die eine Reise nach Jerusalem unternommen hatten, trugen goldene, mit Edelsteinen besetzte Kreuze auf der Brust. Wer dreimal zu den Apostelgräbern nach Rom gepilgert war, der trug wegen seiner Beharrlichkeit eine goldene Krone. [A 22] Als der heilige Andreas erschien, stimmte er zart einen Hymnus an, die Umherstehenden fielen jubelnd ein. Gottschalk versuchte es vergeblich, aber seine Stimme hatte keinen Klang. Das Gelingen war ihm versagt, weil er im hier nicht bleiben durfte, denn nach seiner Rückkehr in die irdische Welt sollte er den Menschen von seinen Erlebnissen berichten. Aber die Engel versprachen ihm, ihn später hierher zurückzubringen. Plötzlich war Gottschalk allein, Engel und Festgesellschaft waren verschwunden.
Gottschalk kam zu einer unendlich großen Stadt; ohne Wälle, Gräben und Ringmauer stand sie jedem offen. Millionen Tote aus allen Zeitaltern und Völkern lebten in der Stadt, und überall erklangen sanft tönend freudige Lieder. [A 23] [E 6] Gottschalk traf einen Mann aus seinem Kirchspiel, der am Vortag gestorben war und am selben Tag beerdigt wurde. Er hatte die Peinigungen überstanden und wusste nicht, wo er bleiben sollte. Gottschalk sah, wie ihn seine verstorbene erste Frau bei der Hand nahm und ihm auf ihrer Bank den Platz zu ihrer Rechten anbot. Viele aus seinem Heimatdorf saßen auf derselben Bank. [A 24] Dies war das letzte Bild seiner Vision.
Anmerkungen
- ↑ Das entsprach alten volkstümlichen Vorstellungen. Dem Toten wurden Schuhe mitgegeben, um ihm den Weg ins Jenseits zu erleichtern. (Lammers Anm. 11) Der Brauch, Totenschuhe mit ins Grab zu geben findet sich schon im vorchristlichen Nordgermanien und in England. In der isländischen Gísla saga werden Totenschuhe erwähnt, und in einem südnorwegischen und einem nordenglischen Volkslied ist vom schützenden Jenseitsschuh die Rede. (Dinzelbacher S. 81.)
- ↑ Diese Vorstellung ist in anderen Visionen nicht anzutreffen. Vielleicht dachte Gottschalk an die Gerichtslinde, unter der eine Strafe erfolgte oder erlassen wurde. (Dinzelbacher S. 86.)
- ↑ Gefährliche Flüsse tauchen in mittelalterlichen Jenseitsberichten mehrfach auf. Sie sind Grenzflüsse vor dem Totenreich und symbolisieren den schwierigen Zugang zur anderen Welt. Der waffenstarrende Fluss steht in der vorchristlich-nordgermanischen Tradition. Einen ähnlichen Fluss gibt es in der Völuspá, und auch der dänische Autor Saxo Grammaticus kennt den waffenführenden Fluss in der Funktion der reinigenden Strafe.
- ↑ Der Gedanke an Balken, die sich wie vernunftbegabte Wesen bewegen und als Jenseitsbrücke dienen, taucht offenbar hier zum ersten Mal auf.
- ↑ Gottschalk lebte im Zeitalter des Landesausbaus und der Bodenmelioration (Lammers, Anm. 13.)
- ↑ Im Bild von der Weggabelung erscheint die im Mittelalter wichtige Bedeutung von rechts und links. Der Rechten wird alles Gute zugeordnet, der Linken alles Schwache und Böse.
- ↑ Mit diesem Pfad gibt es vier Wege in Gottschalks Vision, wie in einer mittelenglischen Legende, wo von den Wegen in den Himmel, ins Paradies, ins Fegefeuer und in die Hölle die Rede ist.
- ↑ Auch die Theologen glaubten, dass das Fegefeuer ein konkretes Feuer ist.
- ↑ Die Neunzahl stammt aus der indogermanischen Weltenlehre und spielte im Germanischen eine bedeutende Rolle.
- ↑ Die Szenen geben Einblick in die Rechtspraxis der Zeit.
- ↑ Im Ringen um die Landesherrschaft stand Gottschalk auf der Seite der Grafen von Schauenburg und Holstein.
- ↑ Sicher hatte er vom Land der Lebenden gehört, das voll duftender Blumen in dreifacher Stufung zum Himmel führt, wie Bonifatius in seinen Briefen schrieb. (Lammers Anm. 21 und Anm. 19)
- ↑ Bei Gottschalk führt der Weg, dreifach gestuft, ins Paradies, in das Reich der Lebenden, wie Gottschalk die andere Welt nannte. Die duftenden Blumen werden zum wundersamen Duft, der den Wanderern die Nahrung ersetzte.
- ↑ Wie in der Vision des irischen Ritters Tnugdalus.
- ↑ Mit der Kirche ist die ins Große und Phantastische stilisierte ehemalige Stiftskirche in Neumünster gemeint, die neben der heutigen Vizelinkirche stand.
- ↑ Es wird nicht klar, warum dem Visionär der heilige Johannes erschien, obwohl die Kirche der Jungfrau Maria geweiht war.
- ↑ Vgl. Verklärung Jesu nach Matth. 17,2 (Lammers Anm. 16)
- ↑ Auch Ansgar war Gott als ausströmendes Licht erschienen, berichtet Rimbert in Ansgars Biographie.
- ↑ Im Volksglauben stellte man sich die Seele körperlich vor, als kleine Gestalt oder als Vogel.
- ↑ Dass Mörder ihre Opfer auf dem Rücken tragen, entsprach der Rechtspraxis, die Gottschalk kannte. (Lammers Anm. 31)
- ↑ Dieser Gedanke hat wahrscheinlich mit Gottschalks sozialer Stellung und seinen Wünschen zu tun. (Lammers Anm. 32)
- ↑ Mit den Pilgerabzeichen berichtet Gottschalk von weniger bekannten, einst jedoch sehr verbreiteten Devotionalien. (Lammers Anm. 33)
- ↑ Die Bewohner waren noch nicht im himmlischen Jerusalem, wie es Johannes in der Apokalypse beschreibt, obwohl Gottschalk das „Reich der Lebenden“ als „Empyreum“ beschreibt, als Bereich des Lichtes und obersten Himmel.
- ↑ In den meisten mittelalterlichen Visionen sind die Verstorbenen im Jenseits nach ihren Verdiensten gruppiert, in Gottschalks Vision nach Lebensgemeinschaften. Mann und Frau wohnen zusammen, auch die Dorfbewohner und die Angehörigen des Stifts.
Autoren
Von Gottschalks Vision gibt es zwei sachlich weitgehend übereinstimmende Aufzeichnungen von zwei Geistlichen, deren Namen nicht bekannt sind. Die Autoren unterscheiden zwischen den Angaben Gottschalks und eigenen Kommentaren. Beide Fassungen sind in lateinischer Sprache geschrieben. Die ausführlichere mit dem Titel Godeschalcus stammt vom Pfarrer in Neumünster, zu dessen Pfarrei auch Harrie gehörte. Der literarisch und philosophisch versierte Priester war Kanoniker im Augustiner-Chorherrenstift Neumünster. Im Frühjahr 1190 hatte er Gottschalk an seinem Krankenbett mehrfach befragt und war von der Wahrhaftigkeit und Bedeutung des Berichts überzeugt. Vermutlich zwischen August und Oktober 1190 schrieb er die Erzählung nieder. Neben der eigentlichen Vision enthält seine Fassung Kapitel, die über das Leben Gottschalks vor und nach der Vision berichten. Der Autor nimmt Bezug auf aktuelle Geschehnisse. Damit bietet der Text auch Einblicke in das Alltagsleben und die Rechtspraxis der Zeit.
Ein wenig später als die Fassung Godeschalcus entstand die wesentlich kürzere Visio Godeschalci. Sie ist aus der Sicht des Visionärs in der Ich-Form geschrieben und verzichtet auf lokale Bezüge. Wahrscheinlich war der Pfarrer von Nortorf der Verfasser, auch er befragte den Visionär. Er schrieb vermutlich für einen anderen Leserkreis, der an lokalen Ereignissen nicht interessiert war. Wortwahl und Umfang der beiden Texte unterscheiden sich, aber der Inhalt mit seinen vielen Details widerspricht sich an keiner Stelle. Es ist wahrscheinlich, dass der Pfarrer in Nortorf den Bericht seines Amtskollegen aus Neumünster gekannt hat, denn wie dieser benutzt er bei einigen Parallelstellen dieselben selten gebrauchten Wörter und Begriffe.[E 7] Seine Version wird von Caesarius von Heisterbach im Dialogus miraculorum erwähnt. Der Text ist nur als Abschrift in einer spätmittelalterlichen Sammelhandschrift überliefert. Bis zur Edition durch Erwin Assmann war er nahezu unbekannt.
Handschriften
- Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 558 Helmst., 1v-24r (Autograph)
- Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, Ms. XXIII 163, f.1-81
Literatur
- Erwin Assmann (Hrsg.): Godeschalcus und Visio Godeschalci mit deutscher Übersetzung. (Quellen und Forschung zur Geschichte Schleswig-Holsteins 74), Neumünster 1979
- Enno Bünz: Das älteste Güterverzeichnis des Augustiner-Chorherrenstifts Neumünster. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, 1987, Bd. 112, S. 27–32
- Enno Bünz: Neue Forschungen zur Vision des Bauern Gottschalk (1189). In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte , 1995, Bd. 120, S. 77–111
- Enno Bünz: Visio Godeschalci/Godeschalcus. In: Verfasserlexikon 10, Sp. 404–408
- Peter Dinzelbacher: verba hec tam mistica ex ore tam ydiote glebonis. In: Peter Dinzelbacher/Dieter R. Bauer (Hrsg.): Volksreligion im hohen und späten Mittelalter, Paderborn u.a. 1990, S. 57–99
- Peter Dinzelbacher: Visio Godesc(h)alci. In: Lexikon des Mittelalters 8, Sp. 1731
- Walther Lammers: Gottschalks Wanderung im Jenseits. Zur Volksfrömmigkeit im 12. Jahrhundert nördlich der Elbe. (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 19/2), Wiesbaden 1982
Einzelnachweise
- ↑ Assmann S. 12 und S. 95, Anm. 172
- ↑ Bünz, Güterverzeichnis S. 94ff.
- ↑ Dinzelbacher S. 76.
- ↑ Dinzelbacher S. 75f.
- ↑ Dinzelbacher S. 76.
- ↑ Assmann Kap. 33
- ↑ Bünz, Neue Forschungen S. 85f.
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