'''Politische Justiz''' ist ein [[politisches Schlagwort]], mit dem eine [[Rechtsprechung]] überwiegend [[pejorativ]] beschrieben wird, die nicht ausschliesslich dem [[Recht]] sondern auch [[Politik|politischen Zielen]] verpflichtet sei. In [[Demokratie]]en steht eine Politische Justiz im Konflikt mit den Prinzipien der [[Gewaltenteilung]] und der [[Richterliche Unabhängigkeit|Richterlichen UnabhänigkeitUnabhängigkeit]] und ist daher verboten. In Diktaturen ist es vielfach so, dass die Justiz auch offiziell der Durchsetzung der Regierungslinie verpflichtet ist.
== Politische Justiz und demokratische Grundrechte ==
Politische Justiz stellt nach [[Stephen Rehmke]] einen Missbrauch demokratischer Grundrechte dar, die vor allem die Unabhängigkeit der Justiz von der jeweiligen Herrschaftsgewalt infrage stellt.<ref name="FOR">[[Stephen Rehmke|Rehmke, Stephen]]: ''Politische Justiz''. In: Sonderausgabe 2002/2003 „Wozu Jura Studieren?“ hrg. von [[Forum Recht]] [http://www.forum-recht-online.de/erstinfos/erst2/erst2rehmke.htm online], SeiteS. 26-27</ref> Bei dieser Unabhängigkeit handelt es sich um die Deutschland durch {{Art.|20|gg|juris}} Abs. 2 [[Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland|Grundgesetz]] garantierte [[Gewaltenteilung]]. Dabei stellt es einen Missbrauch der exekutiven Gewalt im Sinne der politischen Justiz dar, wenn [[Justiz]] nicht die Gleichheit politischer Gruppierungen vor dem Gesetz berücksichtigt, sondern vor allem der Ausschaltung des jeweiligen politischen Gegners dient und damit den Spielraum der herrschenden politischen [[Exekutive]] erweitert und nicht etwa der Kontrolle dieser Maßnahmen dient.<ref name="VJV">[[Otto Kirchheimer|Kirchheimer, Otto]]: ''Politische Justiz''. Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken. (1961 Political Justice) dt. Luchterhand, Neuwied 1965, SeiteS. 606</ref> Es handelt sich auch in [[Sozialpsychologie|sozialpsychologischer]] Sicht um den unangemessenen Versuch einer Konsolidierung soziökonomischer Herrschaftsinteressen, der die Grundvoraussetzungen der Herrschaft in der prinzipiellen Minderwertigkeit des Beherrschten sieht.<ref name="PDN">[[Erich Fromm|Fromm, Erich]]: ''Die Pathologie der Normalität''. Zur Wissenschaft vom Menschen. (1974, 2005) Ullstein <sup>3</sup>2009, ISBN 978-3-548-36778-1; SeiteS. 145 ff.</ref> Solche sozioökonomischen Interessen hatte bereits [[William Godwin]] in seinem 1793 erschienenen Werk ''Enquiry Concerning Political Justice'' sowohl in kritischer (negativer) Sichtweise als auch in positiver Weise ausgeführt.<ref name="EPJ">[[William Godwin|Godwin, William]]: ''Enquiry Concerning Political Justice'' Bd. I-VIII (1793); (a) <u>Positive Sicht</u>: Auszug aus Bd. III Principles of Government: „''One of the most popular theories, relative to the foundation of political authority, we have seen to be that of an original contract, affirming that the criterion of political justice is to be found in the conventions and rules which have been adjusted by the community at large.''“ - <u>>Negative Sicht</u>: Auszug aus Bd. VIII Of Property : „The subject of property is the key-stone that completes the fabric of ''political justice''. According as our ideas respecting it are crude or correct, they will enlighten us as to the consequences of a simple form of society ''without government'', and remove the prejudices that attach us to complexity. There is nothing that more powerfully tends to distort our judgement and opinions than erroneous notions concerning the goods of fortune.“ </ref> Die positive Sicht der Herrschaftsgrundlage bestehe in einer breiten politischen Zustimmung, die negative in der Verfälschung der Urteilsfähigkeit durch Besitzanspruch auf materielle Güter.<ref name="EPJ" /> Die Wertung von [[Karl Marx]], daß Rechtsverhältnisse und Staatsformen in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, beschreibt diesen Sachverhalt auf ähnliche Weise.<ref>Marx /Engels Werke (MEW), Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, Bd. XIII, SeiteS. 8 f.</ref> Versteht man diese Sichtweisen [[dialektisch]], so ist es die fehlende Auseinandersetzung zwischen der positiven und negativen Sichtweise, die zum Überwiegen der negativen heutigen Sicht geführt hat.
== Klassenjustiz ==
Ein verwandtes politisches Schlagwort ist die [[Klassenjustiz]]. Der Begriff Klassenjustiz wird unter anderem von [[Marxist]]en zur Charakterisierung der [[Rechtspflege|Justiz]] als Instrument der Klasse der Herrschenden ([[Kapitalist]]en) im [[Klassenkampf]] zur Aufrechterhaltung der [[Klassengesellschaft]] bezeichnet. Er stellt damit einen Sonderfall der Politischen Justiz dar. Im [[Realer Sozialismus|real existierenden Sozialismus]] wurde der Begriff der Klassenjustiz als Beschreibung der eigenen Justiz hingegen positiv verwendet.
== Kritische Justiz ==
Die positive Betrachtungsweise eine "Politischen Justiz" wird heute von Stephen Rehmke in der Forderung nach einer [[Kritische Justiz|Kritischen Justiz]] gesehen.<ref name="FOR" /> Die [[68er-Bewegung]] verstand die Justiz als unkritisches Instrument, gesellschaftliche Verhältnisse zu zementieren. In diesem Zusammenhang wurde auch die Rolle der Justiz in der [[Zeit des Nationalsozialismus]] thematisiert, in der die Rechtsprechung unter Berufung auf das formale Recht Mittäter des [[Unrechtsstaat]]es geworden war (siehe [[Furchtbare Juristen]], [[Filbinger-Affäre]]).
Die 86er-Bewegung setzte dem Idealbild des Richters, der nur an das Gesetz gebunden war das Bild eines kritischen Juristen entgegen, der politisches Bewustsein haben solle und seine richterliche Unabhängigkeit dazu nutzen sollte politisch gewünschte Veränderungen zu bewirken. Der Richter sollte quasi als "Sozialingenieur" zu einer besseren Gesellschaft beitragen.<ref>Johann Braun: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, 2007, ISBN 31614940163-16-149401-6, SeiteS. 108, [http://books.google.de/books?id=AHHO3e2hD78C&pg=PA107&dq=Politische+Justiz&hl=de&ei=c7hLTufFGMjcsgbrqIzFBw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=6&ved=0CEkQ6AEwBTgK#v=onepage&q=Politische%20Justiz&f=false Online]</ref>
== Historische Einordnung ==
Der Prozess gegen [[Wilhelm Liebknecht]] und [[August Bebel]] im Jahre 1872 kann als erster großer politischer Prozess in Deutschland betrachtet werden.
== Einzelnachweise ==
*[http://books.google.com/books?id=IvIHbih8fTcC 1890 Reprint von Godwin Bd. VIII, ''Property'' (Originalversion 1793)] → [[William Godwin]] (1756-1836)
*[http://socserv.mcmaster.ca/econ/ugcm/3ll3/godwin/pj.html Godwin: ''Property''] Erste Ausgabe 1793 [[McMaster University]]
* [[Falco Werkentin]]: [http://www.17juni53.de/material/bpb/bedok005.pdf Recht und Justiz im SED-Staat (2000, Auszug)] PDF, 9 Seiten
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